Jens Riewa

Mein Auto muss die Klappe halten

Jens Riewa wurde am 2. Juli 1963 in Lübbenau geboren. Er ist Moderator und sicherlich der bekannteste Nachrichtensprecher bei der ARD-TAGESSCHAU. Jens gehört zu den Kollegen, die wir nur so «Mua … Mua» kennen. Soll heißen: Küsschen links, Küsschen rechts. Man sieht sich auf Preisverleihungen, begegnet sich hie und da mal in ’ner Sendung. Umso erfreuter waren wir, dass wir in folgendem Gespräch auf einen offenen, charmanten und humorvollen Zeitgenossen trafen, dem der TV-Ruhm keinerlei Starallüren eingebrockt hat.

Jens erklärte sich wie Howie auf dem Sofa der «Ultimativen Chartshow» bereit, bei unsrem Büchlein mitzumachen. Als wir nach der Show auf dem Weg in seine Garderobe waren, kam er uns auf dem Gang entgegen und rief: «Wir haben etwas falsch gemacht! Wir haben etwas falsch gemacht! Kommt bitte und kuckt euch NENAS Garderobe an!» Wir folgten ihm also in zwei Garderoben, in denen Nena und Band den Mittag verbracht hatten. In der Tat bestaunten wir blass vor Neid die Reste eines opulenten Caterings, von denen sich halb Hürth noch ’ne Woche hätte ernähren können. Das Beeindruckendste war jedoch die Tatsache, dass sämtliche Möbel mit weißen Tüchern bedeckt waren. Es sah aus wie in diesen Filmen, wenn reiche Engländer zur Sommerfrische ihr Landhaus nach einem Jahr wieder aufsuchen. Allerdings, nachdem eine Bande Jugendlicher unbefugt ’ne Party gefeiert hat … die weißen Lappen waren etwas verrutscht. Na, immerhin war nicht extra ein Holzfußboden verlegt worden – wie Oliver Geissen es in der Show über einen amerikanischen Superstar andeutete … Wir trollten uns dann zum Interview zurück in seine Standardgarderobe, die – wie unsere – mit fünf innenschenkelwarmen Fläschchen Wasser, Cola light und dem obligaten Teller mit legosteingroßen Schokoriegeln, zwei Mandarinen und ’ner halben Kiwi mit Drachenzähnenrand unterm Zellophanmützchen ausgestattet war.

 

HvS: Lieber Jens, du bist unser erster Interviewpartner, der in der DDR sozialisiert worden ist. Gibt es etwas, was du wirklich schmerzlich vermisst, Speisen oder Getränke, die es in deiner Kindheit gab und an die jetzt nicht mehr ranzukommen ist?

 

JR: Es ist vor allem das Brot, aber noch mehr sind es die DDR-Brötchen, die ich vermisse. Die Adressen von Bäckern, die diese Brötchen, so wie sie damals geschmeckt haben, noch heute zustande bekommen, werden in Berlin gehandelt wie Gold. Es ist wirklich ganz schwer, da ranzukommen. Dieser typische Geschmack. Dazu muss man erklären, dass wir ja keinerlei Konservierungsstoffe hatten.

 

Stimmt. Ihr hattet ja nüscht.

 

Eine Salami, abgeschnitten vom Stück oder irgendein Bierschinken, der rollte sich nach zwei Tagen. Der wurde grün, der wurde blau, da war null Chemie drin. Das reinste Naturprodukt. Genau genommen waren wir eigentlich schon viel früher grün, als die heutigen Grünen es je sein können. Brot wurde halt gammelig nach zwei Tagen, das konntest du wegschmeißen, damit konntest du im besten Fall jemanden erschlagen. All das, diesen natürlichen Geschmack, den vermisse ich sehr. Ich werde nie vergessen, damals die ersten Tage nach der Wende in Westberlin … mit den 100 D-Mark Begrüßungsgeld bin ich in den erstbesten Supermarkt und wollte unbedingt einen bestimmten Pudding haben. Viele Kindheitsjahre lang hatte ich im bundesdeutschen Werbefernsehen einen Schichtpudding bewundert, bestehend aus einer Lage Schoko, einer Schicht Vanillepudding und obendrüber eine Sahnehaube. Ich bin natürlich groß geworden mit Ommas Schokoladenpudding, der richtig in einem doppelwandigen Aluminiumtopf mit Wasser drin aufgekocht wurde … und dann pfiff der irgendwann so lustig. Du musstest ständig rühren, damit dir das ganze Zeug nicht anbrannte, dann kam so dieses klassische Schokoladenpulver rein, aufkochen – fertig! Also fast, denn dann musste man noch sechs Stunden warten, bis der kalt und sturzfähig war, und erst dann konnte man sich ein Stück wie ein Tortenstück rausschneiden. Ein Geschmack, den ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Aber um auf den Puddingkauf in den ersten Wendetagen zurückzukommen: Ich also mit dieser Erwartungshaltung rein in den Supermarkt und hol mir aus dem Kühlregal diesen Schichtpudding von Firma XYZ … ich habe keine Ahnung …

 

CS: … war das «Dany plus Sahne»?

 

Nein, irgendwas aus dem No-Name-Regal. Ich riss sofort nach der Kasse diesen Aludeckel ab. Und natürlich hatte ich keinen Löffel dabei. Also kurz den Finger eingetaucht, in Erwartung des königlich besten Geschmacks, den man sich vorstellen kann … ich dachte, alles, was aus dem Westen kam, MUSS gut sein … und spuckte das eine Zehntelsekunde später wieder aus. Eine Welt brach in mir zusammen. Aus der Sicht von heute ein tiefgreifendes Schlüsselerlebnis: Auch im Westen wird nur mit Wasser gekocht, manchmal ist es auch nur lauwarm …

 

Oh, ich kenne diesen Chemiegeschmack, weil ich auch mit selbstgemachten Puddings großgezogen wurde. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Das geht gar nicht. Jetzt habe ich eben in der Chartshow festgestellt, dass du ein großer Musikkenner bist, fast ein Musik-Freak. Du hast zu Hause die Computer voll mit Mucke.

 

Zwei Terabyte, um genau zu sein …

 

War das immer so?

 

Nein, ich habe überhaupt erst irgendeine Art Bezug zu Musik entwickelt, als in der vierten Klasse zwei Lehrer vom örtlichen Musikkonservatorium unsere Schule besuchten. Wer Interesse hatte, ein Instrument zu lernen, der konnte sich melden, was ich auch neugierig tat. Da habe ich überhaupt erst einmal mitbekommen, dass es Musik gibt, dass man sich mit ihr beschäftigen kann, Musik lernen und begreifen kann, so blöd das jetzt klingen mag. Ich bin, wie soll ich sagen, in einem Stadtpark groß geworden. Ich habe meine Kindheit draußen verbracht, im Freien, im Wald meiner Heimatstadt, in der Natur. Ich habe nicht stundenlang Fernsehen geschaut, ich war ein Natur-, ein Straßenkind. Wir haben uns mit uns selbst beschäftigt. Ich wusste nicht, dass es so verrückte Trompeten gab, dass es Blechblasinstrumente gab, irgendwelche Gitarren oder so, das ging wirklich an mir vorbei bis zur vierten Klasse. Dann hatten wir gute Lehrer, und die sagten: «Guck mal, das ist ein Orchester. So ist es aufgebaut. Es gibt Streichinstrumente, es gibt Blechblasinstrumente.» Gut, ein Klavier hatte ich schon mal gesehen. Lange Rede: Ich wollte eigentlich irgendwas Schickes lernen. Trompete gefiel mir. Doch der damalige Musiklehrer meinte, meine Unterlippe wäre dazu zu dick. Deshalb kam nur ein größeres Blechblasinstrument in Frage. Schließlich wurden es dann sieben Jahre Musikkonservatorium im Fach Bariton. 96 DDR-Mark Jahresgebühr, erinnere ich mich noch. Und damit ich nicht ständig die Nachbarn im Plattenbau nervte, trötete ich zu Hause immer in den Kleiderschrank. Liebe Nachbarn, ich kann nur ahnen, was ihr damals ertragen habt, verzeiht bitte.

 

Bariton-Gesang?

 

Nicht Bariton-Gesang, sondern das Bariton-Blechblasinstrument. Liegt der Größe nach zwischen Tenor-Horn und Tuba. Vier Ventile und wird nach dem Bass-Schlüssel gespielt. Das habe ich dann am Musikkonservatorium gelernt. Das prägte sehr mein erstes Verhältnis zur Musik. Jahre später ging ich nach Berlin, hatte meine erste eigene Wohnung und fing bei Deutschlands ältestem Radiosender, dem Berliner Rundfunk, an. Da gab es noch eine Ausbildungsform, die gibt es im Westen eigentlich gar nicht. Man hat wirklich Radiomacher, professionelle Sprecher, ausgebildet. Der Begriff «Moderator» war uns immer zu hoch. Als Allererstes hast du ganz verschärft Nachrichten lesen gelernt. Das sollte die Richtung sein, in die ich dann gegangen bin. Wenn’s drauf ankommt, kann ich sehr offiziell klingen.

 

(Spricht mit professionellster Nachrichtentonlage:)

 

«Der Vorsitzende des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik und Erster Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands …»
(Bricht angestrengt ab.)
… ich habe es heute immer noch drauf.

 

Allerdings.

 

Man könnte mich nachts wecken …

 

Es gab ja nun doch Volksempfänger in der DDR. Es gab aber keine Kassettenrecorder? Viele von uns Wessikids hatten ja Kassettenrecorder und haben mit Mikrophönchen vorm Radio gesessen und sich ihre eigenen Kassetten aufgenommen. Diese «Aufnahme-Kultur» war dir als Kind fremd?

 

Diese Kultur hätte ich gerne gepflegt. Aber meine Eltern waren keine reichen Leute, sondern hart arbeitende Menschen, die sich so was gar nicht hätten leisten können. Oder wollten.

 

Ah. Okee.

 

Es gab zu Haus ein Gerät, so ein Kassettengerät mit Aufnahmefunktion, das nur mein Vater bedienen durfte. Der hat das gehütet wie seinen Augapfel. Das war aber nur ein Kassettenabspielgerät. Erst viel später hatten wir dann eines mit ’ner Aufnahmefunktion. Und noch viel später, fast schon in den Endzügen der DDR, kam der erste Stereo-Recorder. Das war ein komplizierter technologischer Prozess für unsere Wirtschaft. (Hebt die Augenbrauen.) Mikrophone gab es bis dato in diesen Geräten ja nicht. Die hatte höchstens die Stasi. Für die ging wahrscheinlich eine Jahresproduktion Mikrophone drauf. Ich hatte keine Ahnung von Karaoke oder integrierten Mikrophonen. Gab es doch nicht in den Läden. Das war alles bei Horch und Lausch.

 

HiHi. Das trifft mein Komikzentrum: Karaoke und Mikrophone bei Horch und Lausch. Da saßen sie dann in ihren abgedunkelten Autos und sangen: «I did it my way …»

 

Was würdest du sagen, wie wichtig ist Musik in deinem Leben? Komplett unverzichtbar? Bei der Frage nach der einsamen Insel – würde Musik dazugehören?

 

Oh Gott, ich glaube, ich würde eher auf Essen verzichten und dafür ein paar iPods mehr einpacken, um nicht auf Musik verzichten zu müssen. Wisst ihr, Musik ist dein Begleiter in einsamen Stunden und in den schönsten Momenten. Musik ist das, was du mit Mitmenschen verbindest, was dich an deine Eltern, deine Geschwister erinnert, was immer dabei ist. In dem Moment, als der Mensch anfing zu musizieren, hat er sich, glaube ich, vom Tierreich abgehoben.

 

Du sagtest, der Schichtpudding, das Erste, was du damals für Westgeld zuerst gekauft hast, war die größte Enttäuschung des Jahrtausends. Gibt es dennoch irgendetwas «Westliches», wo du dich nach gesehnt hast? Und das deine Erwartungen übertroffen hat?

 

Essenstechnisch?

 

Egaltechnisch. Gab es nichts, wo du gesagt hast: «Wow! Das ist einfach geiler, als es bei uns war!»

 

Das ist wirklich eine sehr gute Frage, zumal jetzt dieser Abstand von über 20 Jahren dazukommt. Vielleicht klingt das jetzt ein bisschen zu philosophisch – aber zu sehen, was Menschen, die man NICHT gängelt, die man NICHT an der kurzen Leine hat, die sich im besten Sinne frei entfalten können, zu produzieren vermögen, zu schaffen, das war mehr als beeindruckend. Ich erinnere mich an Momente, als ich in den ersten Wendetagen durch Westberliner Warenhäuser ging und wirklich jede Einzelheit bestaunt habe. Türklinken, Rolltreppen, Regale, Schlösser! Wie ist das gemacht? Ich habe alles, was mein Auge erfassen konnte, angeguckt. Wirklich alles! Weil es anders war, als ich es in meinem Land erlebt habe. Das war ein Gefühl, als hätte man mich auf dem Mars ausgesetzt. Als würde ich eine völlig neue Zivilisation kennenlernen. Wie wird das hergestellt? Welche Farbe haben sie sich ausgedacht? Welches Muster für dieses T-Shirt, für diesen Pullover? All dieses zu begreifen, was im Nachhinein auch bei uns möglich gewesen wäre, hätte man uns nicht so klein gehalten. Ich ertappe mich auch heute noch dabei, wie ich mich manchmal förmlich zur Phantasie zwingen muss. Denk dich frei, Alter, im Kopf gibt’s keine Grenzen.

 

Wenn ich dich hier in deinem fliederfarbenen Hemd sitzen sehe, bist du ja auch ein farbenfroher Mensch. Du liebst Farben. Und wenn ich das richtig in Erinnerung habe, war deine Heimat, waren Autos, Tapeten, Häuserfassaden, Fernsehstudios beige, braun, hellbeige, dunkelbraun, ocker, creme, hellblau oder wenn’s hochkam, vielleicht noch blassorange angepinselt. Ich glaube, farbliche Eintönigkeit war eine der ganz großen visuellen Beutelungen, oder?

 

Wo sollte sie herkommen, die Farbigkeit? Farbzusätze waren ja nur für Devisen zu haben. Schau mal, unsere Jeans hatten zum Beispiel nicht dieses unglaublich satte Indigoblau, wie man es von amerikanischen Jeans kennt. Unsere waren irgendwie ganz anders hergestellt. Ich weiß nicht wie, aus Erdfarben oder Tonschichten vielleicht.
(Schmunzelt.)

 

War das denn dann eine komplette Reizüberflutung im Westen – die Farbigkeit?

 

Ich bin regelmäßig mit Kopfschmerzen aus Supermärkten, aus Kaufhäusern geflüchtet, weil ich nicht mehr konnte. Es war ein Input, den kein Mensch ausgehalten hat. Und das hielt, glaube ich, zwei, drei Jahre an. Selbst heute habe ich noch manchmal Probleme damit. Dass es mir zu viel wird, zu viel Optik, zu viel Akustik.

 

Bist du jemand, der mit Ängsten zu tun hat?

 

Nein, ich bin eher ein sehr neugieriger, ein wissbegieriger Mensch. Und ich gehe gern an meine Grenzen. Einer meiner besten Freunde, Niki, schenkte mir zum Geburtstag mal ’ne Vogelspinne. Sie ist wunderbar pflegeleicht. Verbraucht monatlich eine Grille oder einen Grashüpfer.

 

Sie bekommt nur einmal im Monat einen Grashüpfer?

 

Ja. Sie heißt Emilia und wird acht.

 

Wie alt werden denn Vogelspinnen?

 

Ich glaube, über 30 Jahre alt.

 

Ist das süß – Emilia!

 

Abgeleitet von ihrem lateinischen Namen Brachypelma emilia.

 

Und die streichelst du auch und spielst mit ihr?

 

Nein, um Gottes willen. Das würde ihren Kosmos gewaltig durcheinanderbringen, den sie ja über ihre sogenannten Brennhaare wahrnimmt. Man muss sie nur mal anpusten, und sie wird massiv nervös.

 

Wie groß ist denn ihr Käfig?

 

Es ist ein Terrarium, denn bei einem Käfig könnte sie durch die Stäbe krabbeln. Und dann wäre Polen offen.

 

Emiliaphobie in Hamburg!

 

Sie lebt in einem 30 mal 30 Zentimeter großen Glasterrarium, weil die nicht wandern. Die verrücken einmal alle acht Stunden ein Bein, und das ist dann schon eine immense Bewegung.

 

Machen die denn auch Pipi und Kacka? Muss man da das Terrarium säubern?

 

Einmal im Jahr bekommt sie frische Tropenerde. Und was sie machen, ähnelt der Größe nach einer Stecknadel. Irgendein weißes Gebilde. Und das geht in die Erde und dort verloren, ein Nichts.

 

Und der Grashüpfer, den musst du lebendig in der Zoohandlung kaufen? Oder fressen die auch tote?

 

Nein, sie will ihn fangen, das ist völlig klar.

 

Und hast du kein Mitleid mit dem Grashüpfer?

 

Doch natürlich, ich spreche ja vorher mit dem. Man könnte auch sagen, er kriegt ’ne 1a Anmoderation. Verpackt sind die Grashüpfer in kleinen Plastikboxen, immer zehn Stück. Am Füttertag lüpfe ich den Deckel und der erste, der den Kopf raussteckt, hat die A-Karte gezogen. Anmoderation Riewa: «Du hast nicht umsonst gelebt, du lebst jetzt in der Spinni weiter.» Und die restlichen werden vorbildlichst und unter Beachtung aller zoologischen Regeln an der Hamburger Außenalster ausgesetzt. Früher handhabte ich das etwas anders. Da wohnte ich im Seitenflügel eines beschaulichen Hinterhofs in der Langen Reihe und setzte sie in unmittelbarer Nachbarschaft eines Restaurants aus, in den Blumenrabatten. Im Laufe der Zeit entwickelte sich – akustisch gesehen – süditalienisches Flair auf diesem Hinterhof. Ein Gegrille und Gezirpe, wunderbar in lauen Sommernächten. Bis die Inhaber vom Restaurant meinten: «Du, Jens, nichts gegen deine Tierliebe, aber wir haben Angst, dass uns die Viecher in die Küche krabbeln …» Seitdem kommen Emilias Überlebende an die Alster.

 

Gibt es noch andere putzige Haustiere?

 

Nein, das ist das einzige. In meinem Job ist man viel unterwegs. Und Spinni Emilia braucht keine große Pflege, wie gesagt. Sie hat auch richtige Diätphasen. Vogelspinnen sind Weltmeister in Sachen Energieverwertung. Das ist unglaublich. Anderthalbjährige Ruhepausen legt sie hin und wieder ein, in der Literatur spricht man von bis zu drei Jahren, die eine Vogelspinne völlig ohne Nahrung auskommen kann. Sie braucht nur ein wenig Wasser.

 

Und was ist mit ihrem Geschlechtstrieb? Emilia möchte vielleicht ja auch mal Sex haben?

 

Möchte sie, und man sieht es ihr mittlerweile auch an. Also, sie ist …

 

Wuschig?

 

Ja, zurzeit würde sie jedes Männchen ohne Nachfrage und ohne Anlauf kirre machen.

 

Bist du abergläubisch?

 

Teils, teils. Kommt auf die Situation an. Weiß ich nicht. Ich würde jetzt wirklich nicht unter so einer Malerleiter herlaufen, wenn da irgendjemand eine Birne rausschraubt aus der Decke. Nicht übertrieben, aber wenn mir eine schwarze Katze begegnet, wenn ich mit dem Auto fahre, dann bin ich schon mal umgekehrt.

 

Gibt es Rituale, bevor du die Nachrichten liest?

 

Ich gurgele.

 

Womit?

 

Vor der 20-Uhr-Tagesschau mit stillem Wasser. Derart befeuchtet muss ich keine Angst haben, das «Guten Abend» zu versauen. (Lacht.)
Ich habe mich mal im «Guten Abend» versprochen, Kollege Stefan Raab und neuerdings ja auch wieder Zapping freuen sich seeehr darüber: «G’n Abend, meine Damen und Herren.» Und das auch noch mit einer krächzenden Stimme. Deshalb habe ich mir irgendwann angewöhnt, sehr zum Leidwesen der Sekretärinnen, die am Prompter sitzen, zu gurgeln. Das finden die einfach nur eklig. Ich sage: «Da ist doch nichts Ekliges dran, andere ziehen so ihren ganzen Euf durch die Nasengänge!»

 

Und wie kurz vorher ist der Gurgler?

 

Ich muss schon aufpassen, dass ich nicht im Bild gurgle, in der Anfangstotalen, wie der Fachmann sagen würde.

 

Ich muss nochmal nachfragen. Euf?

 

E – U – F. Wahrscheinlich so ein typisches DDR-Wort, glaub ich. Manchmal kommt eben immer wieder der Zoni durch. (Lacht.)

 

Euf für Rotz?

 

Schnodder, ich weiß nicht, wie man das in Bundesdeutsch nennt.

 

Okay. Und wenn die Nachrichten vorbei sind, gibt es da ein Ritual?

 

Nein, nur schnell raus.

 

Also – es gibt nicht irgendwelche Blätter, die man noch zusammenlegt?

 

Ach so, oh ja! Da wollte ich mir immer mal eine andere Präsentation angewöhnen. Achtet mal drauf, es gibt wirklich sehr unterschiedliche Typen von Blätter-Zusammenlegern. Da sind vorbildliche, die hochgeschätzte Kollegin Rakers gehört zum Beispiel dazu. Sie legt alle Blätter während der Sendung ganz ordentlich ab. Nun gut, sie ist ja auch Journalistin. (Schmunzelt.) Ich dagegen bin Sprecher, habe während der ganzen Sendung Kuddelmuddel auf dem Tisch und muss ab und zu mal zwischen den MAZen Ordnung reinbringen, aber zum Schluss stauche ich die nochmal so richtig zusammen. Die Sendung muss hören, dass sie vorbei ist. Am liebsten würde ich zum Ende noch einen Stempel draufdrücken. Wir Deutschen lieben das ja. Deshalb war die «Tagesschau» auch immer so erfolgreich. Man müsste eigentlich jedes Blatt ablegen zur Seite und noch einen Stempel draufmachen. Das hat so «Verlautbarungs-Charakter».

 

Ich habe auch ganz viele Stempel zu Hause. Ich liebe Stempel.

 

Und die Blätter von deiner allerersten Nachrichtensendung, die hast du aber nicht verwahrt?

 

Nein.

 

Hast du denn Glücksbringer, die dabei sein müssen, wenn du liest?

 

Nein. Aber ich habe ein besonderes Blatt, gut verwahrt zu Hause. Vor Jahren hab ich mal den Beginn einer Sendung – nennen wir es ruhig versaut. Mir fehlte ein Blatt mit der Bezeichnung 3 A. Das Blatt war mir vor Beginn der Sendung unbemerkt runtergefallen und verursachte 36 Sekunden Schweigen und betretenes Lächeln von mir in die Kamera, bis mir jemand keuchend eine Kopie der Meldung ins Studio brachte, ’nen Teleprompter gab’s damals noch nicht. Dass das meine Schuld war, merkte ich erst viel später, da war dann schon eine studentische Hilfskraft zusammengefaltet worden. Nun, und dieses Blatt habe ich mir aufgehoben, und ich werde es irgendwann dem Redakteur schenken, der damals Dienst hatte. Mir ist das bis heute schrecklich peinlich, und ich gestehe das hier, ihr Lieben, auch zum ersten Mal.

 

Wie lange ist das her?

 

Na, schon ein paar Jahre.

 

Na, drum. Also, der freut sich doch, wenn du dich jetzt noch bei ihm entschuldigst, oder?

 

Ja, es war ein Student, und ich glaube, der ist noch immer in der Medienbranche tätig. Ich weiß gar nicht mehr, wer das war.

 

Kannst du den denn noch finden? Sonst machen wir das hier über das Buch.

 

Wahrscheinlich ist der jetzt Unterhaltungschef von RTL …

 

Weiß ich nicht, ich glaube, der ist nicht mehr auffindbar. Aber es ist sehr schön, dass man sich das eingesteht: «Ja, ich habe da gesündigt!» Ich fühle mich jetzt viel besser. Wie ein Katholik.

 

Das finde ich auch sehr, sehr tapfer von dir. Herzlichen Dank.

 

Zum Thema Rituale werden wir nicht müde, uns nach Weihnachten und Silvester zu erkundigen …

 

Na, ich hasse Weihnachten. Dazu habe ich ein ganz komisches Verhältnis. Also nicht Hass … ich weiß nicht. Und Silvester? Mir ist es zweimal in meinem Leben passiert, dass ich Silvester mutterseelenalleine war. Hat sich einfach so ergeben. Und das war das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Also, seitdem passe ich immer auf, dass das nicht nochmal passiert. Das muss ich nicht nochmal haben.

 

Hast du denn im Alltag noch drollige Angewohnheiten?

 

Lass mich überlegen. Ja, da gibt’s was. Ich trage ja seit Jahren Kontaktlinsen. Wenn ich meinen Tag beginne und mir die Dinger da reinknalle, muss ich IMMER mit der linken Kontaktlinse beginnen. Passiert ab und zu mal, vielleicht dreimal im Jahr, dass ich mir aus Tranigkeit die rechte zuerst einsetze. Dann geht alles auf null, auf Anfang: die rechte raus, nochmal zurück in den Becher, nochmal durchschütteln und nochmal so tun, als würde der Tag erst jetzt beginnen. Das ist eine fürchterliche Macke von mir. Aber ich kann nicht in den Tag gehen, wenn ich die rechte Kontaktlinse zuerst ins Auge eingesetzt habe. Zum Totlachen eigentlich. Man muss wissen, ich habe links und rechts absolut identische Stärken, es ist schnurzpiepegal, in welcher Reihenfolge ich mir die reinknalle, aber so handhabe ich das halt.

 

Wir können dich beruhigen: Das machen viele!

 

Oder gestern … Gott, was erzähle ich hier eigentlich alles … Gestern war ich bei meinem Autohändler, da habe ich fast einen Fön bekommen. Ich habe Sommerreifen aufziehen lassen. Was ich bis dato nicht wusste: Dazu müssen die an diesen Werkzeugsatz, damit sie diese diebstahlhemmenden Radschrauben aufsetzen können. Dieser Radschlüssel ist hinten im Kofferraum. Und mein Kofferraum ist wirklich etwas Besonderes für mich! Ich bin ja DDR-Kind und lebe in der ständigen Angst, dass unter und in meinem Auto etwas klappern könnte! Selbst fabrikneue Wagen werden nachträglich von mir ausgekleidet! Oder besser ausgestopft. Achtung, festhalten: Es kommt ein Handtuch ins Handtuchfach!
Ich sag schon «Handtuchfach». (Er schmeißt sich weg vor Lachen.)
Yeah, ein Freud’scher Versprecher. Live! Wenn eine Brille oder auch nur eine kleine Kreditkarte im Handschuhfach abgelegt wird, wickele ich die in ein Handtuch. Das Handtuch muss genauso groß sein wie das Fach. Das ganze Fach muss vollständig ausgefüllt sein, damit es nicht klappert! Genauso der Kofferraum! Das ist ja ein weites Feld für Handtücher. Da könnte ja was klappern. Ich drapiere dann um den Ersatzreifen ein Handtuch. Um den Werkzeugkasten ein Handtuch. Überall Handtücher! Alle Hohlräume werden mit Handtüchern ausgelegt. Und das hat mir gestern dieser freundliche Werkstattmensch völlig durcheinandergebracht.

 

Dein Kofferraum sah aus wie Nenas Garderobe.

 

Jetzt, wo ich nach dieser Sendung mal reinschauen durfte, würde ich sagen: Mein Kofferraum sah aus wie Nenas Garderobe. Ja, in der Tat. Nena, ich liebe dich auch …

 

Das bezieht sich aber nur aufs Auto? Das hast du jetzt nicht zu Hause in deinen Schränken?

 

Meine Schränke zu Hause klappern nicht.

Warum darf nichts klappern im Auto?

 

Trabant. Wartburg. So hießen die Autos, die mich sozialisiert haben, um das Wort einer hochgeschätzten Comedienne zu gebrauchen. Etwas an diesen Autos klapperte jedoch immer. Und ich wollte einmal in meinem Leben ein Auto haben, das nicht klappert. Natürlich klappert auch an so einem fortschrittlichen Auto mal was, aber eigentlich darf es das nicht geben. Ich bin oft in die Werkstatt gefahren, habe gesagt: «Da klappert was!» Ich könnte wirklich Lieder darüber singen …
Des Wahnsinns fette Beute: Macken und Marotten auf der Spur
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