9. Kapitel

Als wir die erste Etage erreicht hatten, stand Dr. Sabine Rath bereits in der Tür. Sie war eine korpulente Brillenträgerin mit vollem braunem Haar, die sich in ein dunkelblaues Kostüm gezwängt hatte und dazu schwarze Strumpfhosen und Pumps trug. Von mir aus hätte sie auch leger zu unserem Termin kommen können, aber ich wurde den Eindruck nicht los, dass sie uns oder mich irgendwie beeindrucken wollte.

»Guten Tag, Herr Rott. Ich freue mich, dass Sie es einrichten konnten, obwohl heute Sonntag ist.«

Der Händedruck war fest. »Na ja«, erwiderte ich. Was sollte ich sagen? »Das hier ist…«

»Ich weiß schon«, sagte Frau Dr. Rath. »Ihre Mitarbeiterin. Wir haben ja heute früh miteinander telefoniert. Darf ich Vorgehen?«

Wie bitte?

Mitarbeiterin?

Und als solche hatte sie die Anwältin aus dem Bett geschmissen?

»Nein, ich glaube, da liegt ein Missverständnis …« Ich wurde hart unterbrochen, als Wonne mir den Ellbogen in die Seite rammte.

»Das ist kein Problem«, rief Frau Dr. Rath freundlich und ging einen kleinen Gang entlang vor uns her. »Die Sache mit Herrn Hackenberg ist ziemlich dringend. Da macht es mir nichts aus, sonntags zu arbeiten.«

Mir schon, hätte ich am liebsten gesagt, aber ich spielte das Spiel mit. Wonne würde später etwas dazu zu hören bekommen.

Die Kanzlei war in Räumen untergebracht, die sich der Architekt wohl ursprünglich als Wohnung vorgestellt hatte. Das Büro der Anwältin war das Wohnzimmer, das nach hinten hinausging. Hinter dem Schreibtisch gab ein breites Fenster den Blick auf eine Gruppe dunkelgrüner Fichten frei. Davor standen mehrere Stühle.

»Nehmen Sie Platz«, sagte die Anwältin. »Möchten Sie einen Kaffee? Ich muss mich leider selbst drum kümmern, meine Angestellte arbeitet heute natürlich nicht.«

»Danke, wir haben gerade gefrühstückt«, lehnte Wonne für uns beide ab, dabei hätte ich ganz gerne noch einen Kaffee getrunken. Egal. Je eher wir hier wieder draußen waren, desto besser. Und so gut wie Wonnes Kaffee war der hier wohl kaum.

»Worum geht es denn nun genau?«, fragte ich.

Dr. Rath hatte Platz genommen. »Hat Ihnen das Frau Freier nicht erklärt?«

»Doch, doch«, behauptete ich. »Es geht um den Mord an Frau Hackenberg. Wir haben ja die Leiche zufällig gestern gefunden.«

»Ja, und Sie waren auch dabei, als Reinhold Hackenberg vorläufig festgenommen wurde. Ziemlich clever, Herr Rott, das muss man Ihnen lassen. Sie werden Ihrem Ruf wirklich gerecht.«

»Wie meinen Sie das?«

Sie legte die Unterarme auf den Tisch und beugte sich ein wenig vor. »Na, Herr Rott, keine falsche Bescheidenheit. Man kennt Sie doch. Sie haben schon einige Fälle in der Gegend gelöst. Und ein Rechtsanwalt, der Hilfe benötigt, kann sich glücklich schätzen, wenn er Sie beauftragen darf.«

Wenn das stimmte, müssten sich die Auftragsanfragen eigentlich häufen, dachte ich. Ein Seitenblick zu Wonne zeigte mir, dass sie damit zu tun hatte, dass diese Frau so über mich dachte. Auf irgendeine Weise war es ihr gelungen, Frau Dr. Rath meine Leistung zu verkaufen wie eine gerissene Agentin.

»Das ist sehr nett von Ihnen. Aber lassen Sie uns die Details klären. Der Verdacht gegen Reinhold Hackenberg muss ziemlich stark sein, wenn man ihn so schnell verhaftet hat. Worauf ist er begründet?«

Dr. Rath zog die Augenbrauen hoch. »Da treffen Sie genau den richtigen Punkt. Ehrlich gesagt, sieht es tatsächlich nicht gut aus. Nach der Sachlage wurde Klara morgens getötet. Wahrscheinlich so gegen acht Uhr. In ihrem Rücken steckte ein Messer, von denen es mehrere in Klaras Haus gab. Ein scharfes Fleischmesser aus einem dieser Sets, die man in einem Holzblock aufbewahrt. Genau dieses Messer fehlte in Klaras Haus. Außerdem wurde Reinholds Auto zur Tatzeit auf dem Parkplatz Rösberg gesehen, also ganz in der Nähe des Tatorts.«

Ein Messer in ihrem Rücken? Das hatten wir nicht bemerkt. Wahrscheinlich war es von Unterholz verdeckt gewesen.

»Der Täter hat nicht nur von hinten zugestochen, sondern auch von vorne«, fuhr Sabine Rath fort. »Den Ablauf hat die Polizei auch schon einigermaßen rekonstruiert. Sie geht davon aus, dass Klara Hackenberg morgens runter nach Altenberg gefahren ist; ihr eigener Wagen stand ebenfalls auf dem Parkplatz Rösberg. Reinhold soll ihr gefolgt sein und sie getötet haben. Nach vollbrachter Tat sei er wieder nach Hause gefahren.«

»Was hat Frau Hackenberg so früh am Morgen dort gemacht?«

»Gebetet. Das heißt, sie hatte es vor. Sie fuhr fast jeden Tag morgens nach Altenberg. Sie war immer eine der Ersten, die in den Dom gingen. Er öffnet um acht Uhr.«

Ich überlegte. Die Version der Polizei war nach den Indizien schlüssig. Aber es blieben Fragen. Wenn Reinhold auch nur einen Funken Verstand besaß, wäre er bei seiner Mordplanung anders vorgegangen. Aber wer sagte, dass Mörder intelligent sein mussten?

Wonne schaltete sich ein. »Wenn Frau Hackenberg in den Dom wollte - was hat sie dann auf dem Spielplatz gemacht?«

»Vielleicht finden Sie es heraus.«

Mir fiel etwas ein, was ich eben schon fragen wollte. »Sie nennen Frau Hackenberg beim Vornamen. Kennen, ich meine, kannten Sie sie näher?«

»Meine Eltern waren mit ihr befreundet. Als Kind habe ich sie Tante Klara genannt. Als ich Anwältin wurde, habe ich sie ein paarmal beraten. Bei Hausverkäufen und Ähnlichem. Und als Reinhold jetzt verhaftet wurde, hat er sich daran erinnert und mich benachrichtigt.«

»Erzählen Sie uns mehr von ihr«, nahm mir Wonne die Worte aus dem Mund.

»Sie lebte mit ihrem Sohn zusammen, mit dem sie allerdings überhaupt nicht zurechtkam. Unten wohnt er, oben sie. Früher hat sie als Sekretärin in Bensberg gearbeitet, das ist aber schon eine Weile her. Sie war siebenundsiebzig Jahre alt.«

»Was heißt das, sie kam mit ihrem Sohn nicht zurecht?«

»Das ist eine lange Geschichte. Ich fange mal so an: Obwohl Klara fast schon übertrieben religiös war, ist Reinhold ein uneheliches Kind gewesen.«

»Also eine Art Fehltritt«, stellte Wonne fest.

»Nach ihrer Auffassung bestimmt. Jedenfalls gab es nie einen Vater dazu. Er kam einfach nicht vor. Klara zog Reinhold allein groß, doch als Reinhold sechzehn, siebzehn war, geriet er auf die schiefe Bahn. Er brach die Schule ab, und die Jahrzehnte seitdem waren ein einziges Hin und Her: Strafen wegen Einbruch und Autodiebstahl. Arbeitslosigkeit. Gelegentliche Jobs als Hilfsarbeiter. Ewiger Streit mit der Mutter.« Sie sah in ihre Akte. »Auch das ist übrigens amtlich. Ein Zeuge, der ein Haus weiter wohnt, hat mitbekommen, dass es am Freitagabend wieder einmal Auseinandersetzungen im Hause Hackenberg gab. Man hörte es durch die offenen Fenster. Reinhold gab öfter Anlass zu Ärger, weil er seine Computerspiele immer so laut stellte, dass man glaubte, man sei auf einem Schlachtfeld. So hat es der Nachbar ausgesagt.«

»Das haben wir auch mitbekommen«, sagte ich.

Dr. Rath sah mich an. »Reinhold lebte also von seiner Mutter. Er hat kein eigenes Geld verdient. Er ist eine verkrachte Existenz. Sie dagegen war immer fleißig und sparsam. Ich gehe davon aus, dass sie einiges zu vererben hat.«

»Wobei wir beim Motiv wären«, warf ich ein.

Die Rechtsanwältin nickte. »Ganz genau.«

Ich biss mir auf die Lippen. Da passte wirklich alles gut zusammen. Bis auf die Tatsache, dass sich Hackenberg, wenn er schuldig war, ziemlich dämlich angestellt hatte. Aber das entlastete ihn natürlich keineswegs. Ich hatte mal irgendwo gelesen, dass man bei jedem Computerspiel ein Promille seines Intelligenzquotienten verlor. Machte bei zehn Stunden täglich …

»Wie alt ist Hackenberg eigentlich?«, fragte ich.

»Vierzig.«

Viel Zeit, um sich eine Menge Intelligenz wegzuballern.

Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück. »Frau Dr. Rath, Sie erwarten von mir, angesichts dieser Indizienlage Hackenbergs Unschuld zu beweisen?«

Es tat mir richtig leid, das zu sagen. Aber da ließ sich kaum etwas machen.

»Können Sie es denn nicht wenigstens versuchen? Er selbst streitet alles ab.«

»Aber das heißt doch nichts. Wenn ich nur einen Anhaltspunkt hätte. Einen einzigen.«

»Aber es gibt Anhaltspunkte! Dinge, die gegen Reinholds Schuld sprechen. Zum Beispiel die Uhrzeit. Reinhold ist ein ausgesprochener Langschläfer. Warum sollte er morgens seiner Mutter zum Dom nachfahren, um sie zu töten?«

»Vielleicht war er nicht schon auf, sondern noch? So wie Sie das schildern, könnte er nachts unterwegs gewesen sein. Am Abend vorher hat es Streit gegeben, er ist runtergefahren und hat voller Hass dort auf sie gewartet.«

Sie seufzte. »Ja, das klingt plausibel …« Sie suchte nach Worten, schien fieberhaft nachzudenken. In diesem Moment bewunderte ich sie. Sie setzte sich wirklich für ihren Mandanten ein. »Auch das wäre aber erst mal zu überprüfen.«

»Wann haben Sie mit Reinhold gesprochen?«

»Gestern Abend. Ganz kurz. Da kannte ich aber das Vernehmungsprotokoll noch nicht. Und ich wusste noch nicht, dass er immer wieder in alle mögliche kriminelle Machenschaften verwickelt und bereits einmal in Haft war.«

»Was die Sache für ihn nicht besser macht.«

»Er selbst ist der Ansicht, dass man ihn reinlegen will. Und das wäre ein weiterer Ansatz für Ihre Ermittlungen.«

»Was meint er damit? Hat er das näher erklärt?«

»Da gibt es allerlei Gestalten aus seiner Vergangenheit. Leute, die immer noch irgendwelche Dinger drehen. Reinhold sagt, er habe damit nichts mehr zu tun, aber seine Mutter glaubte ihm nicht. Darum ist es bei dem erwähnten Streit gegangen. Seine Theorie ist, dass sie irgendetwas herausgefunden hat und diesen Leuten gefährlich wurde.«

»Das ist alles sehr unkonkret.«

»Wenn Sie die Akten kennen, werden Sie mehr darüber wissen.«

»Das heißt, Sie wollen von mir eine Überprüfung dieser sogenannten Kumpels. Weil die Polizei dieser Spur nicht nachgeht?«

»So ist es.«

Ich dachte nach. Weniger über Hackenberg. Mehr darüber, wie ich hier wegkam.

Ich unterdrückte den Wunsch, einfach aufzustehen und zu gehen. In was für eine Geschichte war ich hier geraten? Und was bezweckte eigentlich Wonne damit?

Wenn ich etwas schärfer darüber nachdachte, wurde die Sache klar: Sie war Journalistin. Sie war hinter einer Story her. Und die hatte sie jetzt. Mit einem Privatdetektiv auf Mörderjagd. Wo würde diese Reportage erscheinen? In irgendeinem dieser Boulevard -Schmierblätter?

»Entschuldigen Sie, Frau Dr. Rath. Ich muss das überdenken.«

Ihr Gesicht wurde hart. Offensichtlich hatte ich sie enttäuscht. Wer weiß, was Wonne ihr für Wunderdinge über mich erzählt hatte.

»Dauert es lange? Ich meine, bis Sie es überdacht haben?«

»Gibt es irgendein Faktum, das ich noch kennen muss?«, fragte ich. »Irgendetwas, was Hackenberg deutlich entlastet?«

»Wenn ich es hätte, wüssten Sie es schon.«

»Also gut. Ich verstehe, dass Sie unter Zeitdruck stehen. Ich werde mich mit meiner Mitarbeiterin beraten. In spätestens zehn Minuten sind wir wieder hier. Ist das ein Wort?«

Sie nickte. »Das ist es. Ich danke Ihnen, Herr Rott.«

Kurz darauf stand ich mit Wonne auf der Vorstadtstraße neben der Nussschale.

»Remi, bitte tu mir den Gefallen. Du musst diesem Hackenberg helfen …«

»Jetzt hörst du mir erst mal zu«, unterbrach ich sie. »Wie kommst du dazu, dich als meine Mitarbeiterin auszugeben? Du hast sie wohl nicht alle!«

»Schrei mich nicht an. Und wie redest du eigentlich mit mir?«

»Ich rede mit dir, wie es mir passt. Das ist wirklich das Letzte. So funktioniert das nicht. Ich komme mir vor wie ein Idiot.«

»So ein Mordfall ist doch eine Riesensache für dich. Du könntest Geld verdienen. Deinen Ruf aufpolieren.«

»Als ob ich das nötig hätte.«

»Ach, hast du nicht? Da habe ich aber ganz andere Sachen über dich gehört. Bist du nicht immer der Loser gewesen, der keine Jobs hatte? Der sich von seiner Tante aushalten lassen musste?«

»Jutta hat mir nie Geld gegeben. Höchstens mal einen Fall zugeschanzt.«

»Was auf dasselbe rauskommt.«

Ich senkte meine Stimme und bemühte mich, sachlich zu bleiben. »Jetzt mal ganz, ganz langsam. Wonne, ich brauche deine Hilfe nicht. Und ich frage mich jetzt nur noch, wie ich aus dieser Nummer wieder rauskomme. Das ist eine Scheißsituation.«

Ich atmete tief durch. Die Enttäuschung, mit Wonne einen handfesten Krach auszutragen, noch dazu auf offener Straße, wogte wie heißes Öl in mir. Wie schön hätte alles werden können! Was für ein Sommer hätte vor uns gelegen!

So sanftmütig wie möglich sagte ich: »Warum machst du so was? Warum bringst du mich in so eine Lage? Was hast du denn eigentlich davon, dass ich diesen Fall übernehme?«

Zum Glück drosselte auch sie ihre Lautstärke: »Ich dachte, es wäre eine gute Idee.«

»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Journalistin bist?«

»Keine Ahnung. Wegen diesem blöden Spiel zwischen uns. Und dann sah ich die Chance, dich mal in einem richtigen Fall zu erleben.«

»Willst du darüber schreiben, oder was? Brauchst du eine Story? Willst du mich benutzen, um beruflich voranzukommen?«

Sie sah mich erstaunt an. Dann erst schien sie zu begreifen, dass es für unsereins nicht so erstrebenswert war, ins Visier der Presse zu geraten. Plötzlich lächelte sie wieder.

»Ach Quatsch. Hast du etwa gedacht … Nein, darum geht’s mir nicht.«

»Ganz ehrlich?«

»Remi, ich war immer ehrlich zu dir. Außerdem schreibe ich nicht über Mordfälle. Mehr über Kultur. Und Menschen.«

Eine Pause entstand. Ich kam mir vor wie in einem Boxkampf, in dem sich beide Gegner so verausgabt haben, dass sie nur noch schwer atmend dastehen und nicht in der Lage sind, auch nur den Arm zu heben. Geschweige denn zuzuschlagen.

»Nimm’s mir bitte nicht übel«, sagte Wonne. »Ich war irgendwie … euphorisiert. Einen Detektiv kennenzulernen und so. Und dann dieser Fall…«

»Laufen dir in deinem Job nicht ständig viel interessantere Leute über den Weg?«

»Ein Ermittler war noch nicht dabei. Ich finde es einfach aufregend.« Sie hatte ihr Lächeln wiedergefunden. »Weißt du, das abenteuerliche Leben törnt mich irgendwie an. Ich werde auch nie darüber schreiben, wenn du das nicht willst. Ich schwör’s.«

»Eigentlich hast du das gar nicht so unclever gemacht«, musste ich zugeben.

»Wie meinst du das?«

»So schnell den Fall einzutüten. Das gelingt nicht jedem.«

»Danke. Und? Wirst du ihn annehmen?«

Ich atmete tief durch.

Es törnte sie an, was ich tat? Sicher, sie wollte keinen Typen erleben, der ein Haus hütete und die ganze Zeit vor dem Fernseher herumhing. Sie wollte einen tollen Hecht. Einen tollen Hecht, der ich war, wenn ich einen Einsatz hatte. Eine eigentümliche Wärme machte sich in mir breit und wanderte in meinen Unterleib.

»Zwei Bedingungen«, sagte ich schließlich.

»Welche?«

»Die Arbeit darf mich nicht vom Haushüten abhalten. Denn das ist mein eigentlicher Job im Moment.«

Keine Ahnung, wie das gehen soll, dachte ich. Aber es muss einfach. Irgendwie hatte ich plötzlich das Gefühl, dass ich Wonne nur bekam, wenn ich mich auf den Fall einließ. Notfalls hätte ich sogar bei Manni gekündigt. Obwohl das gar nicht ging, weil er nicht zu erreichen war.

»Das sollte sich doch einrichten lassen. Du langweilst dich da oben sowieso nur.«

»Das würde ich nicht sagen. Ich habe eine Menge Laster, denen ich dort frönen kann.«

»Laster? Klingt aufregend.«

»Kann sein. Dahinter verbergen sich jedoch eher profane Dinge wie Dauerfernsehen und so was.«

»Schade - ach ja, und natürlich Tiefkühlpizzas.«

Der Ärger war von mir abgefallen wie ein Panzer. Wonne war hinreißend wie eh und je. Wie gestern. An dem Tag, an dem wir uns kennengelernt hatten. Meine Güte, war das wirklich erst einen Tag her?

»Was ist die zweite Bedingung?«

»Das wirst du gleich sehen. Komm mit.«

Als wir näher kamen, hätte ich schwören können, am Fenster der Rechtsanwältin einen Vorhang zucken zu sehen.

Kurz darauf saßen wir wieder vor ihrem Schreibtisch.

»Und?«, fragte Frau Dr. Rath.

»Ich nehme den Auftrag an«, sagte ich. »Allerdings ohne Erfolgsgarantie.«

»Geben Sie die denn in anderen Fällen?«

»Manchmal schon. Jedenfalls verhandle ich dann ein Erfolgshonorar.«

»Das wäre mir in diesem Fall auch lieber.«

»Tut mir leid, das kann ich nicht machen. Die Chancen für Herrn Hackenberg stehen nicht gut.«

»Was haben Sie sich denn als normales Honorar vorgestellt?«

»Fünfhundert Euro am Tag. Plus Spesen.«

Der Preis war eine Unverschämtheit. Normalerweise lag mein Preis bei der Hälfte. Ich war sicher, dass Frau Dr. Rath das wusste.

»Zweihundert«, sagte sie.

Ich machte ein bekümmertes Gesicht. »Die Ermittlungen werden schwierig. Ich habe eine Mitarbeiterin, die ich bezahlen muss.«

Wonnes Augen leuchteten plötzlich, und ich versuchte, ihr einen Blick zuzuwerfen, der ihr unmissverständlich klarmachen sollte, dass falsche Hoffnungen unangebracht waren. Leider sind meine Blicke nicht so deutlich.

»Sagen wir vierhundertfünfzig«, handelte ich weiter.

»Dreihundertfünfzig. Mein letztes Angebot.«

»Und meines lautet vierhundert. Und noch mal tausend extra, wenn ich trotzdem Erfolg haben sollte.«

»Ich dachte, Sie wollten kein Erfolgshonorar verhandeln? Und jetzt bringen Sie es doch ins Spiel. Also gut - von mir aus. Dreihundertfünfzig. Und tausend bei Erfolg.«

»Zweitausend. Wenn Hackenberg unschuldig ist, kann er das sicher leicht aus seinem Erbe bezahlen.«

Sie druckste herum. »Könnte sein. Er hat mir gesagt, er hätte ein Sparbuch, das seine Mutter für ihn angelegt hat. Da sind knapp zwanzigtausend Euro drauf.«

»Er hat ein Sparbuch? So wie sie ihn mir beschrieben haben, kann ich mir kaum vorstellen, dass er das nicht geplündert hat.«

»Seine Mutter hat es lange vor ihm geheim gehalten. Er hat erst vor einigen Tagen davon erfahren.«

»Abgemacht.« Sie hielt mir die Hand hin, und ich schlug ein. Dann fügte sie hinzu: »Was wollen Sie als Erstes unternehmen?«

»Ich denke, ich werde mich mit Frau Freier noch mal am Tatort umsehen. Und bei Hackenbergs zu Hause. Und dann möchte ich mehr über die Theorie hören, dass ihn jemand hereingelegt hat.«

»Darüber können Sie mit Herrn Hackenberg selbst reden.«

»Er sitzt doch in Untersuchungshaft.«

»Aber ich bin seine Anwältin und darf ihn besuchen. Ich habe uns angemeldet.« Sie sah auf ihre Armbanduhr. »Der Termin ist in einer Stunde. Kommen Sie.«