8. Kapitel

Ein leises Klickern stahl sich in einen Traum, in dem ich mit Wonne durch das Bergische Land fuhr und plötzlich an einem Bahnhof stand.

Eigentlich war es kaum mehr als ein asphaltierter Bahnsteig mit einer dieser schwarz-weißen Bahnuhren. Der Sekundenzeiger tickte über das Zifferblatt. Wonnes Haar glänzte fast unnatürlich golden, und ihr Gesicht veränderte sich, ohne dass mich das erschreckt hätte. Auf einmal sah sie aus wie Gabi Winkelrath - ein Mädchen aus der Parallelklasse, das ich irgendwann Mitte der Siebziger geküsst hatte. Gabi war die Erste gewesen, die es zuließ, dass ich ihre Brüste berührte. Natürlich nur durch den Stoff, aber ich erinnerte mich genau, wie aufregend es war, diese eigenartige Weichheit zu entdecken.

Erneut klickerte es. Wonne, die jetzt wieder sie selbst war, lächelte mich an und deutete in Richtung eines Gebäudes. Dort, an dem verfallenen Wartehäuschen, stand ein kleiner dunkelhaariger Junge, vielleicht acht Jahre alt. Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich wahrscheinlich selbst dieser Junge war.

»Das ist Gaylord«, sagte Wonne jedoch. »Und das hier ist der alte Bahnhof Tente. Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung.«

Plötzlich klickerte etwas hell, und ich war wach. Ich lag auf der Seite in Mannis Gästebett und blickte genau auf den Digitalwecker: neun Uhr dreiunddreißig.

Die Welt war definitiv länger in Ordnung als bis sieben Uhr -vorausgesetzt, man durfte schlafen.

Jetzt klickerte es noch mal. Es kam vom Fenster, das ebenfalls in meinem Blickfeld lag. Kleine Steinchen flogen gegen die Scheibe. Und jemand rief draußen meinen Namen.

Ich wollte aufstehen, doch ein stechender Schmerz von der Schädeldecke über die Schläfen bis in den Nacken ließ mich stöhnend zurücksinken. Mein Mund war trocken wie Styropor.

»Remi! Ich weiß, dass du da bist.«

Wonne!

Moment, warnte ich mich. Du hast gestern Abend schon mehrmals Gespenster gesehen. Du siehst sie ja neuerdings überall.

Egal. Vielleicht war sie ja dieses Mal real.

Mit übermenschlicher Kraft richtete ich mich auf, biss die Zähne zusammen, schleppte mich zum Fenster und machte es auf. Unten auf dem kiesbedeckten Vorplatz stand Wonne, frisch und energiegeladen wie der neue Sommertag.

»Da bist du ja.« Sie winkte. »Kannst du mich bitte mal reinlassen? Dieses Haus scheint keine Klingel zu haben.«

»Warte einen Moment«, krächzte ich. Der Schmerz aus dem Kopf setzte sich im rechten Arm fort.

»Oh, hab ich dich geweckt?«

Ich absolvierte meine Wanderung zur Haustür und öffnete.

»Hey, du siehst ganz schön zerknittert aus.« Wonne hatte einen Korb in der Hand. Wie Rotkäppchen auf dem Weg zur Großmutter. »Du hast doch hoffentlich noch nicht gefrühstückt?«

Ich musste mich kratzen, und dann fiel mir siedend heiß ein, dass ich mit Sicherheit kein allzu anziehender Anblick war.

He, alter Junge, dachte ich. Sie ist da. Reiß dich zusammen. Bring dich außerhalb ihres Blickfeldes und sorg für Klarschiff.

»Ich bin gleich so weit«, brachte ich hervor.

Sie sah mich an. »Freust du dich nicht, mich zu sehen? Bis du etwa sauer?« Eine Spur Enttäuschung in ihrer Stimme.

Ich war verblüfft. Meine derangierte Ausstrahlung schien sie nicht im Mindesten zu stören.

Trotzdem.

»Doch, doch. Ich freue mich total, ehrlich. Ich will nur schnell raufgehen und mich … anziehen.«

»Super. Ich mach solange Frühstück. Wo ist in diesem Palast die Küche?«

Sie stakste an mir vorbei, in der Hand den Korb. Ich bekam den Vergleich mit Rotkäppchen nicht aus dem Kopf. Ein rotweiß gewürfeltes Tuch bedeckte den Inhalt. An der Seite war es etwas verrutscht, und ich erkannte zugeschraubte Gläser. Außerdem zog Wonne einen Geruch nach Bäckerei hinter sich her. Offenbar hatte sie irgendwo Brötchen gekauft.

Ob ich noch schlief? Und immer noch träumte?

Ich verzichtete aufs Rasieren, duschte so schnell wie nie zuvor und zog mich in Windeseile an. Es dauerte genau viereinhalb Minuten, bis ich Mannis noble Marmortreppe wieder hinunterschritt.

Im Bad hatte mich plötzlich ein seltsames Gefühl beschlichen. Wie würde sich Wonne mir gegenüber verhalten? Würde sie die Ereignisse des gestrigen Abends nur als Flirt ansehen und darüber hinweggehen? Würde sie der Sache den Gnadenstoß verpassen nach dem Motto: Lass uns einfach nur Freunde sein?

So war es damals auch mit Gabi weiter- oder vielmehr zu Ende gegangen. Mir hatte das lange Kopfzerbrechen beschert. Einerseits wollten Frauen, dass man sich ihnen gegenüber als nett und zuverlässig, also als guter Freund erwies. Aber wenn man es dann tat, konnte es passieren, dass man für die Beziehung nicht mehr der Richtige war. Als hätte sich irgendetwas verbraucht. Manche Frauen behaupteten nach dieser Phase der hoffnungsfrohen Anfreundung sogar, es käme ihnen jetzt seltsam vor, wenn man zusammen ins Bett ginge.

Bitte - alles, nur das nicht bei Wonne!

Wonne hatte in derselben kurzen Zeit etwas fertiggebracht, wofür ich Jahre benötigt hätte. Sie hatte im Esszimmer den Tisch gedeckt, Wurst und Käse auf Tellern drapiert und sogar Marmeladengläser einzeln mit Löffeln versehen.

Bei mir zu Hause kam alles einfach so auf den Tisch, wie es mir in die Finger geriet. Nutellaglas, Brotscheiben, Käsescheiben in der Verpackung. Falls ich nicht sowieso im Stehen frühstückte und mir alles gleich aus dem Kühlschrank griff.

Wonne hatte das bunte Geschirr aus Mannis Küche genommen. Zu einem blauen und einem grünen Teller, einer gelben und einer roten Tasse gesellten sich die nicht minder bunt gefüllten Gläser mit Marmelade, die sie offenbar mitgebracht hatte. Die Klebezettel waren von Hand beschriftet. Als ich näher kam, konnte ich sie lesen: »Apfel-Holunder« stand auf einem Glas mit rötlich dunklem Inhalt, auf einem anderen mit etwas hellerem Rotem darin »Himbeer-Zitronenmelisse«.

»Das ist doch nicht dein Ernst, Remi!« Wonne hatte aus der Küche gerufen. »Das darf nicht wahr sein! Ich fass es nicht!«

Sie stand an der Arbeitsplatte und hatte wohl gerade Scheiben von dem Brot abgeschnitten, dessen Duft die Küche erfüllte.

Der riesige Kühlschrank war offen. Im oberen Kühlfach stapelten sich drei meiner von mir so ausgiebig konsumierten Tiefkühlpizzas.

»Da ich nichts anderes gefunden habe, muss ich davon ausgehen, dass du dieses Zeug hier isst.«

»Na ja, ich habe oft wenig Zeit, und es ist halt einfach, so ein Ding in die Mikrowelle …«

»Tiefkühlpizza in der Mikrowelle?« Ihr freundliches, immer zum Lachen aufgelegtes Gesicht verzog sich angeekelt. Sie schmiss das Tiefkühlfach wieder zu. »Und was nimmst du zum Frühstück zu dir? Dachpappe?«

»Nein … Ich trinke einen Kaffee. Manchmal esse ich dazu ein Brot. Wenn ich Zeit habe.«

Sie nahm die abgeschnittenen Scheiben, legte sie auf einen flachen Teller und brachte ihn zum Esstisch hinüber. »Dann solltest du langsam mal was Neues kennenlernen. Schon mal was von Slow Food gehört? Bring die Kaffeekanne mit.«

Ich gehorchte.

»Guten Morgen übrigens«, sagte sie, als ich am Tisch stand.

Sie zog mich an sich, gab mir einen echten, tief empfundenen, langen Kuss. Ihr Geruch vermischte sich mit dem des frischen Brotes, der Zitronenmelisse und all der anderen Wunderdinge, die in ihrer Konfitüre enthalten waren. Ich war jetzt absolut sicher, dass sie sie selbst eingekocht hatte.

»Nur damit du nicht denkst, du hättest das alles geträumt«, erklärte sie dann.

»Ich habe geträumt. Von dir.« Es war die Wahrheit. Gabi musste ich ja nicht erwähnen.

Sie lächelte mir zu, und wir setzten uns.

»Wie hast du mich eigentlich gefunden?«, fragte ich und griff nach einer Brotscheibe, jede Sekunde dieses herrlichen Morgens genießend. Und feststellend, dass mein Kater schlagartig verschwunden war. Wonne musste etwas Magisches an sich haben.

»Du hast mir doch gesagt, wo du das Haus hütest. Ich habe alle Häuser abgeklappert, bis ich das entdeckte, vor dem dein Auto steht.«

»Woher kennst du mein Auto?«

»Das ist nicht schwer. Erstes Indiz: Lange nicht gewaschen. Die Karre starrt vor Dreck.«

»Ach, und das ist so selten hier in der Gegend?«

»Zweites Indiz: W-Kennzeichen.«

»Wuppertal ist nicht weit.«

»Drittes Indiz …« Sie war bei den ersten beiden Indizien schon näher gekommen. Jetzt war ihr Mund schätzungsweise anderthalb Millimeter von meinem entfernt. Sie wollte mich küssen, doch ich wich zurück.

»Erst das Indiz.«

»Brief vom Finanzamt auf dem Rücksitz. Dein Name ist deutlich lesbar.«

Verdammt, sie hatte recht. Im selben Moment belohnte sie mich schon. Mein Herz versprühte Glückshormone. Sie hatte mich gesucht. Sie wollte mich.

»So ganz nebenbei stand dein Wagen auch bei der Party auf der Wiese«, fügte sie hinzu, als sie sich wieder losgemacht hatte. »Aber sag mal, das scheint ja eine tolle Hütte zu sein. Wem gehört die eigentlich?«

»Einem Freund, der gerade auf Reisen ist.«

»Hast du von Detektiv auf Haushüter umgesattelt?«

»Nein, ich mache das nur, um ihm einen Gefallen zu tun.« Das stimmte zwar nicht so ganz, aber das brauchte Wonne ja nicht zu wissen.

»Hast du das hier alles selbst gemacht?« Ich zeigte auf die Marmeladengläser.

Wonne biss in ihr Brot. »Mmm«, machte sie, und dabei rutschte ihr ein Tröpfchen Marmelade auf die Unterlippe. Sie bemerkte es, nahm eine Papierserviette und wischte es weg.

Das hatte ich noch gar nicht registriert. Sie hatte uns Servietten hingelegt. Wo sie die nur gefunden hatte?

»Nicht nur die Marmeladen«, sagte sie. »Ich hab auch das Brot selbst gebacken. Slow Food. Wie gesagt.«

»Kann man nicht auch Hamburger langsam essen?«

»Slow Food bedeutet nicht einfach langsames Essen, sondern bewusste Ernährung auf der Grundlage regionaler Küche. Mit heimischen Produkten. Dass man langsam und genussvoll essen soll, versteht sich dabei natürlich von selbst.«

Ich griff zu dem Glas mit der Himbeer-Zitronenmelisse-Marmelade, strich ein wenig auf meine gebutterte Brotscheibe und biss hinein. Wonne beobachtete mich.

»Na?«

Zuerst spürte ich nur eine leicht prickelnde Süße auf der Zunge, die sich mit dem vollen Geschmack des Brotes vermischte. Wie in kurzen Schlaglichtern flammten Bilder auf - von verwunschenen Gärten mit versteckten Himbeerhecken, die in der Sommerhitze vor sich hin brüteten. Von weiten Weizenfeldern, die der Wind streichelte.

»Ich habe übrigens einen Job für dich«, sagte Wonne.

Ich versuchte, die Bilder zu halten wie einen Traum, den man auf keinen Fall vergessen möchte. Ich biss noch mal in meine Scheibe. Es war ein Genuss. Aber das intensive Erlebnis vom ersten Mal kam nicht wieder.

»Ich kann im Augenblick leider keinen Job annehmen«, sagte ich.

»Hör dir erst mal an, worum es geht.«

Plötzlich hatte ich ein Déjà-vu. Ich sah Jutta, die hier gesessen hatte und mich für ihre Party anheuern wollte.

Verdammt, ich hatte einfach keine Lust, über Arbeit zu reden. Ich wollte den Tag mit Wonne verbringen und schwelgen … Nicht nur im Essen, auch in anderen Genüssen, die uns noch bevorstanden.

»Es ist Sonntag«, fügte ich hinzu, weil mir nichts Besseres einfiel.

»Einem Engagement steht nichts im Wege … Das waren deine Worte gestern, erinnerst du dich? Du würdest mir einen großen Gefallen tun.«

»Also gut. Du kannst mir ja wenigstens sagen, worum es geht.« Ich nahm einen Schluck Kaffee. Er schmeckte viel voller und stärker als der, den ich kochte. Trotzdem war er nicht bitterer.

»Du musst pro Kanne einen knappen Kaffeelöffel Kakao mit in das Kaffeepulver geben«, erklärte Wonne, die offenbar schon wieder meine Gedanken lesen konnte.

Ich nickte, trank versonnen vor mich hin - und bemerkte nach ein paar Sekunden, dass Wonne gar nichts sagte.

»Wolltest du nicht über einen Job reden?«, fragte ich. »Ich bin ganz Ohr.«

»Dafür müssen wir wegfahren. Ich habe für zwölf Uhr einen Termin vereinbart.«

»Wie bitte? Ich habe gedacht, wir könnten …«

»Können wir auch. Sieh es als kleinen Ausflug an, okay? Es dauert nicht lange, und danach …« Sie wiegte vielsagend den Kopf. »Ich meine, ich habe heute nichts weiter vor …«

»Wohin fahren wir denn?«

»Wirst du dann schon sehen …«

»Ich denke, du willst mir sagen, worum es geht?«

»Sag ich ja auch. Dauert halt nur noch was.«

Ich sagte nichts und aß. Sie schwieg ebenfalls. Ließ zu, dass ich mir meine Gedanken machte. Trank ihren Kaffee.

»Erzähl mir was über dich«, sagte ich.

»Das Wichtigste weißt du doch.«

»Wirklich? Was denn?«

»Sagen wir mal so: Gefühle sind wichtiger als Fakten. Sie geben den Dingen eine Bedeutung, einen Sinn. Was das Herz nicht weiß, das weiß man nicht.«

»Heißt das Zitat nicht ›Man sieht nur mit dem Herzen gut‹?«

Wonne konnte nicht wissen, dass ich dieses Zitat, das man auf allen möglichen erbaulichen Postkarten oder in Büchern fand, nicht mochte. Wenn alle immer nur auf ihr Herz, also auf ihr Gefühl hören würden, was dabei wohl herauskäme …

»Das läuft auf dasselbe hinaus«, sagte sie, wiegte wieder den Kopf und strahlte mich an.

Schlagartig brach meine Meinung über den Postkartenspruch in sich zusammen. Mein Herz sah gut. So gut wie nie. Sollte sie mich doch mitnehmen, wohin sie wollte. Hauptsache, wir waren zusammen.

Als sie losfuhr, war es wie eine Fortsetzung unserer kleinen Rallye von gestern.

Wonne bog von der Landstraße auf die A 3 ab. Von Lärm und Fahrtwind umgeben, krochen wir mit knapp achtzig Stundenkilometern auf der rechten Spur dahin. In Langenfeld verließ sie die Autobahn wieder, und kurz darauf lenkte sie den Wagen in eine Parktasche vor einem grauen, kastigen Haus. Sonntägliche Einsamkeit umgab uns.

»Hättest du dir keine nettere Umgebung aussuchen können?«, fragte ich.

»Das lag leider nicht in meiner Macht.«

Ich kniff die Augen zusammen. Neben der Haustür waren ein paar Aluminiumschilder befestigt. In dem Gebäude befanden sich, so weit ich das auf die Entfernung lesen konnte, mehrere Arztpraxen.

Wonne wollte aussteigen, aber ich hielt sie an der Schulter fest.

»Ich möchte erst mal erfahren, was mich da drin erwartet.«

»Du wirst es schon sehen.«

»Nein, Wonne. Das geht so nicht. Du weißt, ich … also …«

»Ja?« Ihr Blick war die pure Aufforderung, weiterzusprechen.

»Na ja, ich mag dich halt. Aber du musst ehrlich zu mir sein. Schon die Sache gestern … Das hätte ins Auge gehen können.«

Sie verzog den Mund. Mit einem Mal war der Ausdruck des ewigen Lächelns, der Belustigung über die Welt verschwunden, und sie wirkte ungewohnt ernst. Ich hatte kein Problem damit. Der Moment der Entscheidung, dass mich diese Frau ernsthaft interessierte, war längst vorüber. Und nun war es mir recht, alles über sie zu erfahren. Von mir aus auch ihre dunklen Seiten zu entdecken.

»Da drin wartet Frau Dr. Sabine Rath«, sagte sie schließlich. »Ich habe einen Termin bei ihr.«

»Schön. Und wer ist das? Eine Ärztin?«

»Sabine Rath ist Rechtsanwältin. Sie vertritt Reinhold Hackenberg.«

»Auch schön. Und wer ist das schon wieder?«

»Remi! Hast du das etwa vergessen? Der Mord gestern … Die alte Frau hieß Klara Hackenberg. Und Reinhold Hackenberg, der vor unseren Augen festgenommen wurde, ist ihr Sohn.«

Es knallte geradezu, als das Brett vor meinem Kopf entzweibrach und sich in Luft auflöste. Die letzten Sägespäne, die als Wolke herumschwebten, senkten sich langsam zu Boden.

»Du hast einen Termin bei der Anwältin von diesem Kerl gemacht?«

»Exakt.«

»Am Sonntagmittag?«

Mir war klar, dass Anwälte so einiges für ihre Mandanten unternahmen, aber sich gleich am nächsten Tag, und dann auch noch sonntags, mit einem Detektiv zu treffen …

Mit einem Detektiv!

Das nächste Brett krachte.

»Soll das etwa heißen …?«

Wonne nickte nur. »Können wir jetzt reingehen? Wir sind spät dran. Ich fände es unhöflich, sie warten zu lassen.«

»Wie hast du das rausgekriegt? Woher weißt du, wer diesen Reinhold Hackenberg vertritt, und wie bist du so schnell an die Anwältin herangekommen?«

»Es hat mit meinem Beruf zu tun.«

»Verstehe. Bist du bei der Justiz tätig? Oder bei der Polizei?«

Jetzt lächelte sie wieder. »Nein, das nicht.«

Sie kramte in ihrem Handtäschchen, förderte eine kleine Mappe zutage und entnahm ihr etwas, das so groß wie eine Kreditkarte war. Etwas Dünnes, Transparentes. In Plastik gehüllt. Sie hielt es mir vor die Nase, so wie ich es immer tat, wenn ich meine Lizenz zeigte.

Eine Sekunde lang befürchtete ich, dass Wonne Detektivin war wie ich.

Doch die Lizenz war ein Presseausweis. Mit ihrem Foto, ihrem Namen: Yvonne Freier.

»Du bist Journalistin?«

»Richtig gelesen.«

»Und für wen schreibst du?«

»Gehen wir rein.«

»Und wenn ich das nicht will?«

Sie stieg aus und stellte sich neben den Wagen. »Nun komm«, drängelte sie.

Was hätte ich tun sollen? Weggehen? Wegfahren konnte ich nicht. Auf einen Streit mochte ich es auch nicht ankommen lassen. Und alles in mir wollte mit dieser Frau zusammen sein - von mir aus auch in einer langweiligen Rechtsanwaltskanzlei. Es gab schlimmere Möglichkeiten, einen sommerlichen Sonntag zu verbringen. Sicher, schönere gab es auch. Aber vielleicht dauerte die Besprechung gar nicht so lange. Mir war schon klar, worauf das alles hinauslief. Was will ein Rechtsanwalt schon von einem Detektiv? Vielleicht konnte ich mit der suggestiven Überzeugungskraft eines Profis sagen, dass ich keine Chance sah, etwas Entlastendes gegen Hackenberg zu finden.

Aber andererseits ging es doch nur darum, meiner neuen Freundin einen Gefallen zu tun. Und warum sollte ich mich dem verweigern?

Ich stieg ebenfalls aus.

Wonne klingelte. Es dauerte nur zwei Sekunden, bis der Summer ertönte.