7

Gegenwart

Nord-Pennsylvania

Kat löste sich von dem Türrahmen, an den sie sich gelehnt hatte. Okay, Pete war seit dreißig Minuten weg. Jetzt reichte es. Sie würde nun losgehen und ihn suchen.

In einem Wandschrank neben der Küche fand sie mehrere Anoraks, Handschuhe und eine Taschenlampe. Gerade als sie vor der äußeren Garagentür stand, öffnete sie sich.

Zitternd und über und über mit Schnee bedeckt, kam Pete hereingestolpert. Eiskristalle hingen an seinem Kinn, auf dem sich ein leichter Bartschatten abzeichnete. Als sie seine beinah weiße Haut auf sich wirken ließ, kam ihr unwillkürlich der Gedanke, dass er aussah wie ein gut gekleidetes Eis am Stiel.

Erleichterung und Ärger rangen in ihr um die Wette, als sie nach seinem Arm griff und ihm hineinhalf. »Schlauer Schachzug, Indiana.«

»K… k… kalt da draußen«, schnatterte er, während er sich den Schnee von den Füßen stampfte.

»Was du nicht sagst. Das nennt man einen Blizzard. Was hast du dir bloß dabei gedacht? Du hättest draufgehen können.«

»Hab ein H… haus gesucht.«

Mit einer Hand schloss sie die Außentür und verriegelte sie, wobei sie darauf achtete, das Licht draußen auszuschalten, und führte ihn dann in die Wohnung. Nachdem sie ihn in einen Sessel vor das Gitter des Heizkessels gesetzt hatte, zog sie ihm seine steif gefrorene Jacke aus, wickelte ihm eine der angewärmten Decken um die zitternden Schultern und rieb ihm die Arme, um die Durchblutung anzuregen.

Und verspürte einen Anflug von Mitgefühl für ihn.

Okay, rumzuzicken, bloß weil dieser Kuss sie aus dem Konzept gebracht hatte, würde sie nicht weit bringen. Sie saßen hier so lange fest, bis der Sturm vorübergezogen war. Sie konnten also genauso gut das Beste daraus machen.

»Es gibt keins«, sagte sie, während sie ihren Anorak abstreifte. »Es ist vor drei Jahren bis auf die Grundmauern abgebrannt. Das nächste Haus ist mindestens eine Meile entfernt.«

Er klapperte immer noch mit den Zähnen, während sie seine Arme abrieb, dann seine Beine und schließlich, nachdem sie ihm Schuhe und Strümpfe ausgezogen hatte, seine Füße. Er war nass bis auf die Knochen. Sie hatte Reserveklamotten im Wandschrank gesehen und wusste, dass sie ihn schleunigst aus diesem nassen Smoking herausbekommen musste.

Sie warf einen Blick auf seine durchnässte Hose, die ruinierten Schuhe am Boden. Armani. Sie lebte nicht in einem Erdloch. Sie erkannte es, wenn sie Geld vor sich sah. Und er hatte welches. Mehr als damals, als sie zusammen gewesen waren. Danach zu urteilen, wie viel ihm all die gestohlenen Artefakte auf der Auktion heute Abend eingebracht hatten, noch viel mehr.

Fang nicht davon an!

»W…wo sind wir?«

Ehe sie antworten konnte, begann der Teekessel zu pfeifen. Erleichtert über die Ablenkung, stand sie auf, ging in die Küche, wo sie ihm eine Tasse Tee einschenkte, und kam damit zurück.

»Nord-Pennsylvania«, sagte sie, während sie ihm die dampfende Tasse reichte. Er nahm sie mit beiden Händen, drückte sie sich an die rechte Wange und schloss die Augen.

Seine Gesichtsfarbe kehrte allmählich zurück, aber er sah immer noch aus wie eine wandelnde Leiche – und verrückterweise fühlte sie sich genauso. Trockene Kleidung konnte ein paar Minuten warten. Er sah aus, als brauchte er einen Augenblick, um sich zu sammeln.

Und sie übrigens auch.

Er hielt sich die Tasse immer noch an die Wange und machte lange, gleichmäßige Atemzüge. Seit er wieder das Zimmer betreten hatte, hatte er sie nicht ein einziges Mal angesehen. Obwohl er ihre Hilfe angenommen und sie nicht weggestoßen hatte, als sie ihn in die Wohnung geführt hatte, spürte sie, dass er mit aller Macht versuchte, seine Gefühle in Schach zu halten.

Für eine Sekunde blitzte sein blindwütiges Gesicht vor ihr auf, das er heute Abend in jenem Seitenweg gemacht hatte, und ein Schauer lief ihr über den Rücken. Nein, sie kannte diesen Mann wirklich überhaupt nicht. Nicht die Seiten, auf die es ankam.

Jetzt, da sie wusste, wozu er fähig war, dankte sie dem Himmel, dass er sich so unter Kontrolle hatte.

Mit einem tiefen Seufzer setzte sie sich ihm gegenüber auf die Couch und biss sich auf die Innenseite ihrer Lippe. Das würde eine lange Nacht werden.

»Wird dir langsam wärmer?«, fragte sie, um das Schweigen zu durchbrechen.

Er zeigte keinerlei Reaktion bis auf eine leichte Veränderung seines Atemrhythmus. Seine Augen waren immer noch geschlossen, die Tasse immer noch an seine Wange gepresst. Ganz kurz fragte sie sich, ob er wohl eingeschlafen war, entschied dann aber, dass das unmöglich war, so aufrecht, wie er dasaß.

»Du warst nicht auf der Gästeliste«, sagte er mit rauer, tiefer Stimme ohne jede Spur von Gefühl.

»Nein«, sagte sie leise. »War ich nicht.«

Schweigen.

»Was hattest du auf meiner Auktion zu suchen?«

Wie viel konnte sie ihm erzählen, ohne ihrer beider Leben noch mehr aufs Spiel zu setzen? Wie viel Wahrheit konnte sie ihm wirklich anvertrauen?

Nicht viel, riet ihr ihr Gewissen.

»Man könnte sagen, ich war neugierig. Ich habe das Sicherheitssystem umgangen.«

Er machte ein humorloses Geräusch. Ein Zwischending zwischen einem Schnauben und einem Lachen. »Das passt ja«, murmelte er. »Das Karma hat ja einen sonderbaren Humor.«

Kat machte ein finsteres Gesicht. Oh ja, das gute, alte Karma. Wenn man bedachte, dass er der Kriminelle war und sie den Einbruch verübt hatte, zeugte das Ganze von einer ziemlichen Ironie des Schicksals.

»Nur eine Frage«, sagte er. »Warum eine Bombe? Ich meine, wenn du dich vor mir verstecken wolltest, hättest du das nicht etwas weniger theatralisch hinkriegen können?«

Vor ihm verstecken? Das dachte er also? Sie hatte sich seinetwegen versteckt.

»Ich hatte wirklich keine Wahl.«

Der Blick, den er ihr zuschleuderte, schrie: Ja klar! »Das erwähntest du bereits. Jeder hat eine Wahl, Kat.«

Sie nicht. Ihre Wahlmöglichkeiten waren an dem Tag zunichte­gemacht worden, als sie Peter Kauffman begegnet war.

Sie wich seinem Blick aus. »Es spielt keine Rolle mehr.«

»Deinetwegen habe ich jetzt jede Menge Zeit.« Er schlürfte seinen Tee, als sei alles in bester Ordnung, doch der scharfe Ton seiner Stimme riet ihr, auf der Hut zu sein. »Und ich denke, ich habe das Recht, es zu wissen. Wenigstens so viel schuldest du mir.«

Ihr Widerstand begann zu bröckeln. Soweit sie das beurteilen konnte, schuldete sie ihm überhaupt nichts. Aber sie wusste auch, dass er nicht lockerlassen würde, solange sie ihm nicht wenigstens ein paar Brocken Wahrheit hingeworfen hatte. Sie beschloss, dass es nicht schaden konnte, ihm die Grundzüge darzulegen.

»Du erinnerst dich sicher noch an Dr. Sawil Ramirez.«

Er dachte einen Moment nach und nippte an seiner Tasse. »Dunkelhaariger Typ. Brasilianer, oder?«

»Ja.« Er hatte in der Wohnung über ihr und Shannon gewohnt, und Pete war ihm mehrmals begegnet. »Ich erzählte ihm von meinem Verdacht, dass die verschwundenen Relikte aus dem Grab gestohlen worden seien. Er war überrascht, dass ich das so aufmerksam verfolgt hatte. Aber letztendlich war er mir dankbar dafür.«

Mit diesen paar Sätzen war die Spannung in den Raum zurückgekehrt. Seine Hand schloss sich fester um die Tasse.

Kat verschränkte die Arme vor der Brust. Sie würde sich deswegen nicht wieder schuldig fühlen. Wenn er die Wahrheit nicht hören wollte, hätte er nicht fragen sollen.

»Eines Abends, als du gerade auf einer deiner ›Geschäftsreisen‹ warst, tauchte Sawil in meiner Wohnung auf. Er sagte, er habe den Beweis, den ich brauche, und dass ich nicht glauben würde, wer darin verwickelt sei.«

Pete presste abwechselnd die Kiefer aufeinander und löste sie wieder. Kat wusste, was er dachte, aber er stritt es nicht ab, also fuhr sie fort.

»Er hatte das, was ich ihm erzählt hatte, dem Supreme Council of Antiquities mitgeteilt und einen Bericht darüber eingereicht. Der Mann, bei dem er war, Amon Bakhum, kam praktischerweise am nächsten Tag bei einem Autounfall ums Leben.«

Das Supreme Council of Antiquities war das Regierungsorgan, das alle archäologischen Ausgrabungen in Ägypten überwachte. Eigentlich sollte es die Sicherheit der Schätze Ägyptens gewährleisten. Aber diese Sache hatte es verbockt. In ganz großem Stil.

Sie hielt inne, dachte zurück an Sawils misstrauischen Blick an dem Abend, als er an ihre Tür geklopft hatte. Er war ein stiller Mensch, und seine Schwäche für Shannon hatte ihn Kat sympathisch gemacht. Wiederholt hatte er versucht, sie zu überreden, das Ganze auf sich beruhen zu lassen, ihr gesagt, dass es sie nichts angehe. Aber als sie nicht nachgab und weiterhin Nachforschungen anstellte, hatte er versucht, sie zu warnen. Er hatte sie mit Pete kommen und gehen sehen und fürchtete, dass diese Liaison sie am Ende das Leben kosten würde.

Das hatte es, wenn auch nicht so, wie Sawil es vorausgesagt hatte.

Sie biss sich auf die Lippe, rang mit sich, wie viel sie noch preisgeben sollte, und sagte sich dann: Was soll’s? Pete wusste sowieso schon das meiste. Er war von der Gegenseite eingeweiht worden.

»Einer der Männer, die ich heute Abend auf der Auktion gesehen habe, hat auf dem ägyptischen Schwarzmarkt mit gestohlenen Artefakten gehandelt.«

»Lass mich raten«, sagte Pete ruhig. Zu ruhig. »Ramirez hat dir gesagt, dass ich den Kerl kenne.«

Ihr Magen zog sich zusammen, als sie sich zurückerinnerte. Damals hatte sie nicht glauben wollen, was Sawil ihr gesagt hatte. Der Mann, in den sie sich verliebt hatte, konnte unmöglich in einen Kunstschmuggel verwickelt sein. Und das hatte sie Sawil auch gesagt. Aber das war gewesen, bevor sie den Beweis mit eigenen Augen gesehen hatte.

Das Gefühl, betrogen worden zu sein, versetzte ihr heute noch genauso einen Stich wie an dem Tag, als ihr klar geworden war, dass er sie an der Nase herumgeführt, ihr von Anfang an etwas vorgemacht hatte.

»Das brauchte er mir nicht zu sagen«, fuhr sie ihn an.

Petes Blick traf sie ohne jede Gefühlsregung. Nein, nicht ganz. In seinen leeren Augen war Langeweile zu erkennen. Langeweile und Gleichgültigkeit.

Und das schmerzte sie. Ebenso sehr wie sie seine Reaktion damals geschmerzt hatte.

»Und weiter?«, fragte er. »Was ist dann passiert?«

Sie holte tief Luft. »Sawil hatte eine Idee, wie wir an den endgültigen Beweis kommen könnten, und ich, na ja ich war neugierig. Er bat mich, noch an diesem Abend mit ihm zur Grabungsstätte zurückzukehren.« Ihr Magen bäumte sich auf, als Erinnerungen an jene Nacht auf sie eindrangen.

»Kat?«

Petes Stimme ließ sie zusammenzucken. Seine Brauen senkten sich, als er sie beobachtete. War das Sorge in seinen Augen? Sorge oder bloß Anspannung, weil sie schwieg?

Sie wusste es nicht. Aber letztendlich hatte sie Sawil begleitet, weil sie gehofft hatte, einen Beweis dafür zu finden, dass er sich geirrt hatte und Pete unschuldig war. Aber das hatte sie nicht.

»Wir wussten nicht, dass sie noch dort waren. Wir überraschten sie.«

»Wen?«

»Zwei Männer. Einer davon war heute Abend bei der Auktion. Der andere – sein Gesicht habe ich nicht gesehen. Sawil hat « Sie schluckte gegen den Kloß in ihrer Kehle an. »Er hat es nicht mehr rausgeschafft.«

Pete spannte die Kinnmuskeln an, doch er sagte nichts, und es war unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu deuten.

»Irgendwie bin ich zurück nach Kairo gelangt«, fuhr sie fort und weigerte sich, an die Einzelheiten zu denken oder daran, was sie aus dem Dunkel der Grabkammer gehört hatte. »Ich hatte Angst, nach Hause zu gehen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich versuchte Shannon anzurufen und sie davor zu warnen, unsere Wohnung zu betreten. Ich machte mir solche Sorgen, dass ich « Sie rang nach Atem. »… dass ich Marty angerufen habe.«

Petes Tasse verharrte auf halbem Weg zum Mund. Es war kein Geheimnis, dass er ihren Exmann, Martin Slade, der bei der CIA arbeitete, noch nie hatte leiden können. Allerdings hatte sie nie zwei und zwei zusammengezählt, warum, bis zu dem Zeitpunkt, als alles herausgekommen und ihr klar geworden war, in welche Geschichten Pete in Wirklichkeit verwickelt war.

Es war unübersehbar, dass Pete Marty jetzt noch weniger leiden konnte als damals. In Anbetracht der Umstände hätte das doch eigentlich alles umso leichter machen können. Doch aus irgendeinem verrückten Grund war das nicht der Fall.

»Marty hat mir gesagt, dass man Shannon abfangen würde. Dass sie sie beschützen würden. Aber sie konnten es nicht.«

Kat blickte auf die Heizung und konzentrierte sich auf das fleckige Metall. Bis heute konnte sie nur mit Grauen an die furchtbaren Dinge denken, die diese beiden Männer ihrer Mitbewohnerin angetan hatten.

»Für wen sie auch immer arbeiteten – er war so wichtig«, sagte sie, »dass sie bereit waren, jeden zu töten, der ihnen in die Quere kam. Diesen SCA-Beamten. Sawil. Shannon. Mich. Sie haben Shannon benutzt, um an mich heranzukommen.«

»Und warum die Bombe?«

»Weil ich bis zum Hals da drinsteckte. Ich war die Letzte, die Sawil lebend gesehen hatte. Ich hatte kein Alibi, wo ich in die­ser Nacht gewesen war, und die Mitarbeiter der Ausgrabung hatten gehört, dass ich mich an dem Tag heftig mit ihm gestritten hatte.« Sie hatten über Pete und seine mögliche Beteiligung gestritten, aber das sagte sie jetzt nicht. »Mehrere der vermiss­ten Artefakte wurden in meiner Wohnung gefunden, zusammen mit Shannons Leiche. Shannon und Sawil waren zu diesem Zeitpunkt praktisch ein Paar gewesen. Und sie starben beide in derselben Nacht. Laut Marty wurde ich schon wegen meines Jobs und meiner Verbindung zu dir bereits seit Längerem überwacht.«

Er sah zur Seite, doch sie streckte den Rücken durch und fuhr fort. »Und dann hörte ich etwas von ihnen. Sie wussten alles über mich – über meine Mutter, wo ich lebte, wo ich arbeitete, welche Strecke ich zur Universität fuhr, wenn ich zu Hause war. Sie bedrohten meine Familie, und nach allem was passiert war wusste ich, sie würden ihre Drohungen wahr machen.«

Als er sie mit ausdruckslosen Augen ansah, wusste sie, dass er ihr nicht glaubte, und das Herz rutschte ihr in die Hose. Erwartete sie etwa sein Mitgefühl? Sie war wirklich noch jämmerlicher, als sie geglaubt hatte.

»Also, lass mich raten«, sagte er. »Die Autobombe des guten, alten Marty war ein Schwindel.«

Sie nickte.

»Und im Autowrack war Shannons Leiche, nicht deine.«

Die Übelkeit wallte wieder in ihrem Magen auf, genau wie an jenem Tag. »Nein, nicht Shannons, aber die von irgendjemand anders. Ich weiß nichts Genaueres, aber Marty kümmerte sich darum. Er war der Meinung, dass eine Ermittlung durch die ägyptischen Behörden zu viele Fragen aufwerfen würde. Wer es auch immer war Er sorgte dafür, dass die Zahnuntersuchungsberichte übereinstimmten.«

»Großer Gott!« Pete wandte sich angewidert ab.

Kat straffte die Schultern und hob das Kinn. An der Vergangenheit konnte sie nichts ändern. Alles, was zählte – alles, was je zählen würde –, war, was sie nun tun würde.

»Hör zu, ich erwarte nicht, dass du es verstehst. Du hast gefragt. Ich habe geantwortet. Ich habe getan, was ich tun musste, um am Leben zu bleiben.«

Er erhob sich, schwankte und griff nach dem Stuhl. Sie stand schnell auf, um ihm zu helfen, doch die Flammen, die aus seinen Augen sprühten, hielten sie davon ab, ihn zu berühren, und sie zog die Hand zurück.

»Nein, ich verstehe es nicht, und ich will es auch nicht verstehen. Für mich klingt es, als sei alles nur passiert, weil du zu stur und zu impulsiv warst, um auf die Stimme der Vernunft zu hören.«

»Warte doch –«

»Nein, ich habe lang genug gewartet«, fuhr er sie an. »Warum zum Henker bin ich jetzt hier? Nicht weil du irgendetwas von mir brauchst. Ich bin hier, weil du es vergeigt hast – wieder mal –, und diesmal hast du mich auch noch mit hineingezogen.«

Sie konnte nicht glauben, dass er allen Ernstes dastand und so tat, als hätte er nicht seinen Teil zu alledem beigetragen. Sie machte den Mund auf, um genau das zu sagen, hielt dann aber inne.

Mit einer Sache hatte er recht. Sie hatte ihn wieder in dieses Chaos hineingezogen. Wenn sie sich an ihren Plan gehalten hätte und heute Abend nicht in der Lobby von Worthington’s gewesen wäre, wären sie beide jetzt nicht hier.

»Ich wollte dich nicht –«

»Was du tun wolltest und was du getan hast, sind zwei verschiedene Paar Stiefel, damals wie heute. Nicht wahr, Kat?«

Ihre Lippen schlossen sich jäh.

»Und jetzt wirst du mir wahrscheinlich erzählen, dass diese Typen, die heute Abend auf der Auktion waren, dich gesehen haben und nun wissen, dass du in Wirklichkeit nicht tot bist. Was bedeutet, dass sie jetzt nach dir suchen, weil sie sich ein bisschen mit dir darüber unterhalten wollen, was du noch so weißt. Und weil es meine Auktion war, auf der du dein Gesicht zur Schau gestellt hast, habe ich die Arschkarte gezogen, weil sie versuchen werden, mich zu finden, um an dich ranzukommen. Kommt das in etwa hin? Falls ich irgendetwas vergessen habe, lass es mich doch bitte wissen!«

Es stimmte nur zu sehr, und sein Sarkasmus bewies, wie sehr getroffen er wirklich war. Sie spürte, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, ihm zu sagen, dass der Schmuckanhänger, den sie ihm kurz vor ihrem Verschwinden vor sechs Jahren mit der Post geschickt hatte, den einzigen Beweis für ihre Unschuld enthielt und möglicherweise einen Mörder ins Gefängnis bringen würde.

Und dass sie, wenn sie morgen gezwungen wäre, diesen Beweis und sich selbst den Behörden auszuliefern, auch alles erzählen musste, was sie über seine Verwicklung in die Sache wusste.

Er wartete zäh vergehende Sekunden auf eine Antwort, die sie einfach nicht geben konnte. Schließlich rieb er sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Das hat mir im Moment gerade noch gefehlt.«

Ihm? Stell dich hinten an, Kumpel!

Er drehte sich um sich selbst und sah sich im Raum um. »Ich bin völlig durchnässt.«

»Hier sind Ersatzklamotten drin.« Dankbar für den Vorwand, aus seiner Schusslinie zu kommen, ging sie zum Wandschrank und zog ein frisches Handtuch heraus. »Nicht besonders schick, aber trocken.«

»Wem gehört das hier?«

Sie erstarrte. Sie hatte gehofft, dass er diese Frage nicht stellen würde. Sie konnte die Gewalt herunterspielen, mit der die Geschehnisse in dem Grab vonstattengegangen waren. Sie konnte ihre Emotionen heraushalten, wenn sie ihm diese Geschichte erzählte. Sie konnte sogar ein kleines bisschen flunkern, wenn es darum ging, warum sie das alles gemacht hatte. Aber was sie nicht konnte, war, ihn anzulügen. Nicht darüber. Denn es war immer ein Streitpunkt zwischen ihnen gewesen, auch schon vor jenen letzten paar Tagen.

»Wem gehört es, Kat?«

»Marty.«

»Oh Mann! Das wird ja immer besser.«

Er ging mit großen Schritten auf sie zu, riss ihr das Handtuch aus den Händen und stieß die Badezimmertür auf. »Warum bin ich eigentlich überrascht?«, murmelte er. »Nach allem anderen dürfte ich das eigentlich nicht sein.«

»Um Himmels willen, Pete, es ist nicht so, wie du –«

»Weißt du was?« Er betrat das kleine Badezimmer. »Ich will es gar nicht wissen. Mit wem du rumfickst, ist nicht mehr mein Problem. Wenn der Sturm vorbei ist, bin ich weg.«

Die Wut kochte in ihr hoch. Sie wollte doch, dass er ging, oder nicht? Warum schnürte es ihr dann plötzlich die Brust zusammen?

»Fährt dieser Pick-up hinten in der Garage noch?«, fragte er.

Erschrocken dachte sie an den heruntergekommenen Ford F-250, neben dem sie die Limousine geparkt hatte. »Ja, ich denke schon.«

»Gut. Dann nehme ich den, und du bist mich los.«

»Sie werden herkommen und nach dir suchen.«

»Ach ja?« Als er auf sie hinabblickte, waren seine Augen hart und kalt und von demselben Stahlgrau wie vergangene Nacht in dem Seitenweg, als er Busir gegen die Wand des Gebäudes gepresst hatte. Das war der Mann, den sie nicht kannte, eine Seite, die er geflissentlich vor ihr verborgen hatte. Sie hatte nie Angst vor ihm gehabt. Bis jetzt. Er sah sie an, als sei er imstande, einen Mord zu begehen und auch noch seine Freude daran zu haben. »Ich kann nicht warten.«

»Pete –«

Sie konnte ihren Satz nicht beenden. Die Tür schloss sich vor ihrer Nase. Er knallte sie nicht zu, ließ sie nicht einmal zufallen, wie sie erwartet hatte. Sondern er schloss sie einfach mit einem Klicken und sperrte sie aus.

Dann drehte er von innen den Schlüssel herum, sodass sie nicht mehr in seine Nähe kommen konnte.