25
Maria sah zu, wie Katherine Meyer die Treppe hinaufstolzierte. Sie machte sich nicht die Mühe, noch einmal zurückzublicken, was Maria gerade recht war. Sie war froh, sie endlich aus dem Zimmer zu haben.
Als sie alleine waren, wandte Maria sich wieder der Anrichte zu. »Einen Drink, Peter?«
Mit mürrischem Gesicht riss er seinen Blick von der Treppe los. »Du kannst eine richtige Zicke sein, wenn du willst, weißt du das?«
Maria lachte, goss einen Fingerbreit Bourbon in ein Glas und reichte es ihm. »Und du bist ein Mann, der für jede Frau völlig unberechenbar ist.« Sie sah zu, wie er sein unberührtes Glas auf den Couchtisch stellte und in einen Sessel sank. Jetzt sah er müde aus. Verbraucht. Besiegt. Maria konnte nicht anders, als sich zu fragen, was in den letzten zwei Tagen passiert war, das Peter Kauffman derart Saft und Kraft geraubt hatte.
Sie setzte sich auf die Armlehne des Sofas ihm gegenüber und schürzte die Lippen. Als offensichtlich war, dass er freiwillig keine Informationen herausrücken würde, sagte sie: »Sie war diejenige, hinter der du bei der Auktion her warst, oder?«
Er zögerte, dann nickte er.
»Frühere Geliebte?«
Wieder zögerte er und nickte dann.
»Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass da noch mehr ist?«
»Warum stellst du ständig dieselbe Frage?«, fragte er mit finsterem Blick.
Sie konnte nicht anders. Sie musste lächeln. »Warum bist du nicht ehrlich zu mir? Habe ich in der Vergangenheit nicht oft genug den Kopf hingehalten? Und sind wir denn keine Freunde? Plötzlich kommt diese Frau wieder in dein Leben geschneit, und du traust niemandem mehr außer ihr?«
Peter stieß einen erschöpften Seufzer aus und ließ den Kopf nach hinten in die Kissen fallen. »Sie ist nicht einfach irgendeine Frau«, sagte er schließlich. »Sie ist diejenige, die mein Leben verändert hat.«
»Verstehe«, sagte Maria, obwohl sie das nicht tat, nicht tun konnte. Peters Vergangenheit war für sie ein ebenso unbeschriebenes Blatt wie die ihre für ihn, und für einen Moment dachte sie daran, die ganze Sache auf sich beruhen zu lassen. Natürlich, er war ihr Freund, aber es gab einen Grund, warum sie die Beziehung auf rein sexueller Ebene belassen hatte. Sie wollte sich nicht mit dem Gepäck anderer herumschlagen.
Ihr fiel ein, wie er Katherine Meyer angesehen hatte, mit Zärtlichkeit in den Augen und einer Sehnsucht, die sie bei keinem anderen Mann gesehen hatte, seit … Jahren. Und plötzlich fragte sie sich, ob sie sich selbst etwas vorgemacht hatte. Vielleicht war er derjenige gewesen, der ihre Beziehung rein sexuell gehalten hatte. Vielleicht hatte sie die Sache gar nicht in dem Maße unter Kontrolle gehabt, wie sie gedacht hatte.
»Ich bin eine gute Zuhörerin, Peter«, sagte sie mit sanfterer Stimme.
Er hob den Kopf und maß sie mit forschendem Blick. Dann stand er auf und ging zum Fenster, wo er in den Regen hinausstarrte, der sich in Strömen über die Stadt ergoss. »Da gibt’s nicht viel zu erzählen«, sagte er, während er den Vorhang zur Seite zog.
»Oh, das glaube ich aber doch. Es ist offensichtlich, dass sie sich dir unter die Haut gebrannt hat. Ich glaube sogar, dass sie dir das Herz gebrochen hat, irgendwie.«
Als er ein spöttisches Lächeln versuchte, wusste Maria, dass sie ins Schwarze gestochen hatte.
Und als sie sein düsteres Gesicht betrachtete, das von der Fensterscheibe in den Raum zurückgeworfen wurde, war es nicht Eifersucht, die sich in ihr ausbreitete, sondern Neugierde. Er konnte sagen, was er wollte. Diese Frau bedeutete ihm mehr als alles andere. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, fand sich in den tiefen Linien um seinen Mund herum und in seinem gepeinigten Blick. Obwohl sie sich geschworen hatte, selbst nie wieder jemand anders so nahe zu kommen, war sie nicht so völlig kaltherzig, dass sie kein Mitgefühl empfand für jemanden, der litt.
»Warum erzählst du mir nicht von diesem Anhänger und was sie auf der Auktion gemacht hat.«
Er zog den Vorhang wieder zu und drehte sich zu ihr um. »Er enthält den Beweis zu einem Verbrechen, dessen Zeugin sie in Kairo wurde, als sie dort arbeitete. Dort sind wir uns auch damals begegnet. Seitdem versteckt sie sich aus Angst vor Vergeltung durch die wahren Täter.«
»Du wusstest davon?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte, sie sei tot.«
»Oh!«
Damit hatte die Frau ihm also das Herz gebrochen, wurde Maria klar. Ihr Blick senkte sich auf sein unberührtes Glas auf dem Tisch vor ihr, während sich die Puzzleteile der Geschichte ineinanderfügten. »Sie hat ihren Tod vorgetäuscht.«
»Ja. Sie hatte Angst, dass sie ihre Familie verfolgen würden, wenn sie einfach nur untertauchte. Es musste aussehen, als sei sie tot.«
»Wo ist ihre Familie jetzt?«
»Sie hat keine mehr. Ihre Mutter ist vor zwei Jahren gestorben. Herzinfarkt.«
»Warum wusstest du davon nichts?«
»Sie hat sich mir nicht anvertraut. Zwischen uns sind damals noch andere Dinge vorgefallen.«
»Ich verstehe«, sagte Maria wieder. Doch ihre Stirn kräuselte sich, als sie über das nachdachte, was er gesagt hatte. »Warum ist sie jetzt zurückgekommen?«
»Weil ich den Anhänger verkauft habe und sie Angst hatte, dass er in die falschen Hände gerät.«
»Aber du hast ihn nicht verkauft.«
»Nein«, sagte er und fing auf einmal an, ein Gemälde an der hinteren Wand zu studieren. »Das habe ich nicht. Sie hat auf der Auktion den falschen Halsschmuck mitgehen lassen.«
»Eine Frau, die bei einer Auktion bei Worthington einbrechen und trotz aller Sicherheitsleute ein bedeutendes Kunstwerk vor ihrer Nase entwenden kann, kommt mir nicht gerade hilflos vor. Du hattest den Anhänger seit Jahren, und dein Sicherheitssystem ist nicht halb so streng wie das von Worthington. Sie hätte jederzeit in deine Galerie einbrechen können, um ihn sich zu holen. Warum jetzt?«
Er zuckte mit den Schultern, während er das Gemälde an der Wand gerade rückte. »Keine Ahnung. Vielleicht war sie es müde, sich zu verstecken. Vielleicht wollte sie ihr Leben zurück.«
Maria runzelte die Stirn. »Das kaufe ich ihr nicht ab. Wenn dieses Beweisstück sie von allen Taten hätte reinwaschen können, hätte sie jederzeit aus ihrem Versteck herauskommen können. Hier geht es noch um etwas anderes, Peter. Sie schützt jemanden.«
Seine Hand erstarrte, und langsam drehte er sich um und blickte ihr ins Gesicht. Fragen huschten über seine klassischen Gesichtszüge – und etwas, das so ähnlich wie ein plötzliches Erkennen aussah.
»Was?«, fragte Maria, verdutzt über seine Reaktion.
»Nichts. Nur …« Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Er schien über etwas nachzudenken. Er sah zu der Treppe hinüber, dann erneut auf das Bild. Doch als er sie wieder ansah, war die Verwirrung gewichen, und in seinen Augen lag eine Klarheit, die vorher nicht dagewesen war.
»Die Einzelheiten sind im Moment eigentlich nicht wichtig, Maria. Die Quintessenz ist, dass sie ohne diesen Beweis die Hauptverdächtige eines Verbrechens ist, dessen Zeugin sie war. Deshalb brauchen wir ihn zurück.«
Maria stieß einen Seufzer aus und erhob sich, um wieder mit ihrem Glas zur Anrichte zu gehen. »Dann fürchte ich, dass wir ein Problem bekommen könnten.«
»Wieso?«
»Weil«, sagte sie, während sie ihr Glas abstellte, »ich vorhin nicht ganz ehrlich zu euch war, was den Zustand meines Lagers betrifft.«
Er kniff die Augen zusammen, war völlig klar und konzentriert.
»Ich bin ganz Ohr.«
»Heute früh ist jemand dort eingebrochen. Der Tresorraum wurde geknackt. Einige der Stücke, die ich auf deiner Auktion erworben habe, fehlen.«
»Und der Anhänger?«
»Ich weiß es nicht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er schon auf dem Weg nach Athen ist. Es ist aber ebenso möglich, dass er sich noch im Tresor befindet. Wir überblicken das Chaos, das dort hinterlassen wurde, noch nicht ganz.«
»Und es ist möglich, dass er gestohlen wurde«, führte er den Satz für sie zu Ende.
Sie schürzte die Lippen. »Ja. Es war ein professioneller Schlag. Das FBI hat den ganzen Tag nach Beweisen gesucht. INTERPOL hat auf der Website bereits eine Liste der bekannten fehlenden Stücke aus dem Diebstahl veröffentlicht.«
»Du hast keine Ahnung, wer dafür verantwortlich sein könnte?«
»Nein.« Sie neigte den Kopf. »Aber irgendetwas sagt mir, dass du eine hast.«
Er fuhr sich mit der Hand über den Mund und war so lange still, dass sie nicht sicher war, ob er noch antworten würde. Dann ließ er die Hand sinken, und die Dringlichkeit, die sie in seinen Augen sah, bestätigte ihre Annahme.
»Ich will morgen hingehen und mich dort umsehen.«
»Ich kann das wahrscheinlich arrangieren, obwohl es vermutlich nicht gern gesehen werden wird.«
»Als wenn ich so etwas zum ersten Mal machen würde.«
Sie lächelte ein wenig, froh, dass etwas von dem unbeschwerten Humor in seine Stimme zurückgekehrt war, den sie am meisten an ihm mochte. »Du siehst erschöpft aus, Peter. Heute Abend können wir überhaupt nichts unternehmen. Du tust besser daran, unter die Dusche zu gehen und dich auszuschlafen. Du hast noch ein paar Sachen zum Anziehen hier. Alles andere kann bis morgen warten.«
Er blickte zur Treppe hin, mit derselben Sehnsucht in den Augen, die sie gesehen hatte, als er zur Tür hereingekommen war, und die Verbitterung darüber, dass er sie nach der Auktion so abserviert hatte, verflog.
Auch wenn sie selbst nicht mehr viel Herz hatte. Jemand anders hatte es sehr wohl. Sie würde ihm nicht im Wege stehen. »Warum gehst du nicht einfach zu ihr und fragst sie?«, sagte sie sanft.
Überraschte rauchgraue Augen wandten sich ihr zu. »Sie was fragen?«
»Was auch immer es ist, das dich so sehr über ihre Motive in Verwirrung gestürzt hat.« Als sich seine Miene verfinsterte, wurde ihr Lächeln tiefer. »Und wenn du gerade dabei bist: Vielleicht kannst du ja auch mal versuchen, ihr zu sagen, was du für sie empfindest. Eine Frau hört immer gern, dass sie genau das ist, was ein Mann will.«
Sein Gesicht wurde noch düsterer. »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
Maria lachte. »Doch. Das hast du.« Sie drehte sich zum Flur um, der zum Hauptschlafzimmer im unteren Geschoss führte. »Du könntest vielleicht auch erwähnen, dass ich nicht ganz so zickig bin, wie ich auf den ersten Blick wirke.«
»Aber das bist du«, sagte er zu ihrem Rücken.
Maria konnte das Kichern nicht unterdrücken, das ihr entfuhr, während sie sich entfernte. »Ich schicke Mabel, um dir etwas Sauberes zum Anziehen zu bringen. Gute Nacht, Peter.«
»Nacht, Maria.«
In ihrem Zimmer angekommen, schloss Maria die Tür und lauschte. Der Boden draußen knarrte kaum hörbar. Sie sah sich in dem vornehmen, in Rottönen und Gold dekorierten Raum um und beschloss, dass das als die gute Tat des Jahres durchging. Natürlich hatte sie einen Geliebten verloren, aber sie konnte hoffen, dass sie sich einen Freund bewahrt hatte.
Geliebte gab es wie Sand am Meer. Jemand, auf den man zählen konnte, wenn einen das Glück verlassen hatte, war sehr viel schwerer zu finden.
Und gerade sie musste das eigentlich wissen.
Pete duschte und zog sich im Gästezimmer im unteren Stock um. Heißes Wasser hatte sich noch nie so gut angefühlt, und diesmal war er ausnahmsweise froh, dass er in weiser Voraussicht ein paar Sachen hiergelassen hatte, auch wenn es ihm seinerzeit wie ein Fehler vorgekommen war.
Während er sich anzog, gingen ihm Marias Worte durch den Kopf, und Fragen, die zu stellen ihm in den letzten zwei Tagen nicht in den Sinn gekommen war, wurden eine nach der anderen abgefeuert wie kleine Raketen. Mehr als alles andere auf der Welt wollte er nach oben in Kats Zimmer stürzen und herausfinden, ob sein plötzlicher Verdacht der Wahrheit entsprach, doch er konnte nicht. Noch nicht. Es gab zwei Dinge, die er vorher tun musste.
Die Stille in der Wohnung war unheimlich, als er zu dem Büro ging, das Maria auf der Hauptetage hatte. Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten, gaben den Blick auf Bäume und Rasen und ein schwarzes Loch frei, das der Park war. Dunkle Bücherregale aus Kirschholz erstreckten sich über eine ganze Wand, bestückt mit dicken, in Leder gebundenen Wälzern, Bronzeskulpturen und teurer Kunst, die sie zweifellos über viele Jahre hinweg gesammelt hatte.
Er hatte diesen Raum immer gemocht. Während der Rest ihres Penthouses verspielt und voller Firlefanz war, wies dieses Zimmer die dunklen Farben und geschwungenen Holzmöbel auf, die er beruhigend fand. Er schloss die Tür hinter sich, umrundete den antiken französischen Schreibtisch und ließ sich in den eleganten Ledersessel sinken. Auf der makellos sauberen Oberfläche befanden sich lediglich eine kleine Lampe, ein Telefon und ein einzelner Stift.
Er saß im Dunkeln und starrte nur auf den von den Lichtern der Stadt draußen leicht angeleuchteten Schreibtisch und dachte über alles nach, was Maria gesagt hatte. Über alles, was in den letzten zwei Tagen passiert war. War es wirklich erst zwei Tage her, seit sein Leben Kats wegen komplett auf den Kopf gestellt worden war? Es kam ihm viel länger vor.
Ein kleiner Teil von ihm wünschte sich, es wäre länger gewesen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Einbruch bei Maria mit der Auktion und mit Kat zusammenhing, war ziemlich groß. Jemand wollte wissen, ob Maria den Anhänger hatte, und würde fast alles tun, um ihn in die Finger zu bekommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er schon lange weg war, war noch größer.
Was bedeutete, dass Kat tief in der Tinte steckte.
Wie Pete es auch betrachtete, Kat würde den Kopf hinhalten müssen für das, was vor all diesen Jahren in Kairo geschehen war. Wenn sie sich an das FBI wandte ohne Beweise, dass in der Nacht, in der Ramirez ermordet worden war, noch jemand außer ihr in dem Grab gewesen war, standen die Chancen gut, dass sie eingelocht wurde. Vielleicht sogar nach Ägypten abgeschoben.
Ein stechender Schmerz schien ihm schon bei dem Gedanken daran die Luft abzuschnüren. Würde Slade für sie einstehen? Und falls ja, wäre sein Einfluss groß genug?
Pete bezweifelte es. Erstens gab es keine Beweise, so oder so. Und zweitens bezweifelte Pete stark, dass Slade sich für sie in die Schusslinie begeben würde, egal, wie viel er noch für sie empfand.
Und daher gab es nur noch eine Option: Sie musste sich weiterhin verstecken. Aber, verdammte Scheiße, nach allem, was in den letzten Tagen passiert war, war das eigentlich auch keine Option mehr. Wie lange würde es wohl dauern, bis Minyawi oder für wen er auch immer arbeitete, sie aufgespürt hatte? Sie wussten jetzt, dass sie lebte. Sie wussten, dass sie sie ans Messer liefern konnte. Sie konnten sie nicht am Leben lassen.
Pete fuhr mit der Hand über die schimmernde Oberfläche des Holzes und dachte darüber nach, wie sein Leben im Vergleich zu ihrem aussah. Darüber, wie glatt immer alles gegangen war. Eigentlich war er wie das Luxusboot seines Kumpels Rafe gewesen, das vor sich hingesegelt war, hier und da ein paar Wellen, aber nie ein größerer Sturm, der ihn geschüttelt oder zum Kentern gebracht hätte. Es war hart gewesen, seine Eltern zu verlieren, aber damals war er noch ein Kind gewesen, und er hatte sich schnell damit abgefunden. Seine Großeltern zu beerdigen, hatte wehgetan, aber zu der Zeit war er schon auf dem College gewesen und hatte sein eigenes Leben unabhängig von ihnen geführt. Und auch wenn es selbstsüchtig klang, wusste er, dass der Tod der Vorbilder in seinem Leben ihm geholfen hatte, Odyssey aufzubauen. Er hatte sein Erbe komplett in die Galerie gesteckt, hatte immer so vor sich hin gewurstelt, ohne zurückzublicken. Ihm war immer alles in den Schoß gefallen. Bis zu dem Moment, als er Kat begegnet war – und sie verloren hatte.
Da hatte sich sein Leben für immer verändert.
Nun gab er schon seit fast drei Tagen ihr die Schuld dafür. Mit dem Argument, dass er so viel weiter sein könnte, wenn er nicht den Pfad der Tugend eingeschlagen hätte, als er dachte, sie sei gestorben. Seitdem war sein Leben ohne Frage schwerer geworden.
Emotional, weil er versuchte, wieder in die Spur zu kommen, geistig, weil er sich Methoden ausdenken musste, wie er Odyssey auf legale Weise profitabel machte, körperlich, weil er bis zum Umfallen schuftete, damit er nicht mehr die Energie aufbrachte, an sie zu denken oder von ihr zu träumen oder sich zu wünschen, dass alles anders gekommen wäre.
Er erinnerte sich, was es für ein Gefühl gewesen war, zu erfahren, dass sie lebte: wie vor den Kopf geschlagen und zutiefst verletzt. Weil alles, was er für sie getan hatte, für die Katz gewesen war.
Dann dachte er daran, was Maria gesagt hatte: Wenn dieses Beweisstück sie von allen Taten hätte reinwaschen können, hätte sie jederzeit aus ihrem Versteck kommen können. Hier geht es noch um etwas anderes, Peter. Sie schützt jemanden.
Gefolgt von Kats Stimme in jenem Park in Philadelphia, kurz bevor sie gegangen war: Wenn ich dich belogen habe, gab es dafür einen guten Grund. Vielleicht wirst du es eines Tages verstehen.
Er schloss die Augen, atmete tief ein und wusste, wenn er die Chance hätte, würde er alles noch einmal ganz genau so machen. Egal, wie sich alles entwickelt hatte, sie war diejenige gewesen, die sein Leben zum Besseren verändert hatte.
Sein Herz raste, als er sich vorbeugte, die kleine Schreibtischlampe anknipste und dann nach dem Telefon griff. Ein rascher Blick auf die Uhr an der Wand sagte ihm, dass es schon fast Mitternacht war, aber es kümmerte ihn nicht. Er zahlte seinem Anwalt in Miami einen irrsinnigen, geradezu unverschämten Vorschuss für Momente wie diesen. Der Kerl konnte seinen Hintern ruhig aus dem Bett bewegen.
Zwanzig Minuten später drückte er die Schlusstaste des schnurlosen Telefons, und mit dem Gewicht seiner Entscheidung auf den Schultern und ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, es nicht zu tun, wählte er die Nummer, die sein Anwalt widerwillig für ihn ausgegraben hatte.
Er wurde von Pontius zu Pilatus weiterverbunden, und schließlich wurde ihm gesagt, man werde ihn zurückrufen. Er legte wieder auf, lehnte sich zurück und wartete.
Minuten verstrichen, ehe das verdammte Ding klingelte. Beim zweiten schrillen Ton nahm er ab. »Das ging schnell, selbst für Sie.«
»Wo ist Kat?« Die Stimme von Martin Slade hatte denselben überheblichen Klang, den er von seinem einzigen Zusammentreffen mit dem Kerl in Kairo in Erinnerung hatte. Und so sicher wie das Amen in der Kirche trug das im Moment nicht gerade dazu bei, ihn in sein Herz zu schließen.
»Es geht ihr gut«, sagte Pete, um einen gleichmäßigen und ruhigen Tonfall bemüht. »Sie schläft. Ich muss Ihnen nicht sagen, dass sie in den letzten paar Tagen ordentlich durch die Mangel gedreht worden ist. Unter anderem Ihretwegen.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass Halloway mit Bertrand in Verbindung steht und dass er die Information über Kats Aufenthaltsort weitergeben würde. Ich bin sicher, Kat glaubt nicht –«
»Im Moment weiß sie überhaupt nicht, was sie glauben soll«, fuhr Pete ihn an. »Egal, wie man es betrachtet: Die Regierung hat sie jetzt schon zweimal angeschmiert. Warum zum Henker sollte sie Ihnen trauen?«
»Weil sie nicht viele andere Möglichkeiten hat. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Minyawi euch beide findet. Keiner von euch hat eine Ahnung, womit ihr es hier zu tun habt. Das hier reicht weiter, als sie es sich vorstellen kann.«
»Das weiß sie bereits.«
»Wie –«
»Ich habe auch meine Verbindungen, Slade. Und das Wie ist dabei nicht wichtig. Wichtig ist, Kat in Sicherheit zu bringen. Ich bin bereit, alles zu tun, was nötig ist, damit ihr nichts geschieht und dass es für sie endlich ein Ende hat, denn ich weiß, ich habe von Anfang an mein Teil dazu beigetragen. Aber was ist mit Ihnen? Sie hat sechs Jahre weggeworfen, weil Sie sie überzeugt haben, dass das der einzige Weg sei. Und jetzt ist sie wieder am Anfang. Nur dass es diesmal keinen einfachen Ausweg gibt. Wie werden Sie für sie wieder alles ins Lot bringen?«
Stille.
Pete knirschte mit den Zähnen, und obwohl er wusste, dass es sinnlos war, gelang es ihm nicht, die Verachtung aus seiner Stimme ganz herauszuhalten. »Sie schulden ihr etwas, Sie verfluchtes Arschloch!«
Immer noch Schweigen, dann endlich, als Pete sicher war, dass Slade nicht antworten würde, sagte der: »Sie muss sich stellen. Ich werde alles tun, was ich kann, damit sie fair behandelt wird. Wenn sie kooperiert, sorge ich dafür, dass sie nicht nach Ägypten abgeschoben wird. Aber sie wird Fragen beantworten müssen – nicht einmal ich kann sie davor bewahren.«
»Und was ist mit Ihnen?«, fragte Pete. »Werden Sie Ihre Kür laufen, als sei nichts geschehen?«
»Nein.« Es war das erste Mal, dass Pete Reue in Slades Stimme hörte. »Nein. Wenn sie sich stellt, werde ich zugeben müssen, was ich getan habe, um ihr zu helfen. Gott, es wird alles wahrscheinlich noch schlimmer machen, aber ich werde alles tun, was ich kann, um ihr die Sache zu erleichtern. Das schwöre ich Ihnen.«
In diesem Augenblick wurde Pete klar, dass Slade die Wahrheit sagte. Er sorgte sich auf seine Art um Kat. Oder fühlte sich schuldig oder vielleicht auch ein wenig verantwortlich. Und just in diesem Moment begriff Pete auch, dass der Kerl nichts von dem Beweisstück wusste, das Kat in dem Schmuckanhänger deponiert hatte. Wenn er das gewusst hätte, hätte er sie schon vor Jahren dazu überredet, aus der Versenkung aufzutauchen.
Und er spürte, dass Slade Minyawis Verbindung zu Busir nicht ganz durchschaute. Und nichts von Ramirez’ Verwicklung mit der ELA wusste. Und das waren zwei Trümpfe im Ärmel, die Pete, so gut es ging, ausspielen wollte.
Pete stützte sich mit dem Ellenbogen auf den Schreibtisch und wusste, dass das für ihn sozusagen der Auslöser für den Schleudersitz war. Wenn es erst einmal draußen war, würde es kein Zurück mehr geben. »Sie wird sich stellen. Aber unter einer Bedingung.«
»Versuchen Sie etwa, mit mir zu verhandeln, Mr Kauffman? Sie haben nicht gerade eine gute Ausgangspo–«
»Sie können Ihren Arsch verwetten, dass ich verhandeln werde. Und wenn Sie schlau sind, dann nehmen Sie, was ich Ihnen gebe, denn es ist verflucht noch mal das beste Angebot, das Sie bekommen werden. Kat wird sich unter einer Bedingung stellen«, wiederholte er. »Sie wird von allen Anklagen gegen sie entlastet. Keine Fragen über den Tod von Ramirez oder Driscoll und jede Verbindung zu ihr. Sie und ich wissen beide, dass sie mit keinem von beiden etwas zu tun hatte.«
»Herrgott noch mal«, stieß Slade hervor. »Ich weiß, dass sie nichts damit zu tun hatte, aber sie hat keinen Beweis. Sie hatte nie irgendeinen Beweis, was von Anfang an ein Riesenproblem bei der Sache war. Die ägyptische Regierung ist nicht so nachsichtig mit Mordverdächtigen wie wir hier in den Staaten. Und skrupellose Ägyptologinnen, die sich mit Schurken einlassen, die für Kunstdiebstahl und -schmuggel bekannt sind, zählen nicht gerade zu den Menschen, die die USA unbedingt wieder im Land haben wollen. Das Einzige, was ihr im Moment zugute kommt, ist, dass sie sich auf US-amerikanischem Boden befindet und bereit ist zu kooperieren.«
»Das ist noch nicht alles. Sie hat auch mich.«
»Und was zum Teufel soll das be–«
»Das ist der Deal, Slade: Kat stellt sich nur aus Sicherheitsgründen und wird von allen Vorwürfen entlastet. Im Gegenzug stelle ich mich. Sie wollen wissen, welche Rolle Minyawi im Schmugglerring spielt? Ich bin Ihr Mann.«
Schweigen.
Jetzt war endlich seine Aufmerksamkeit geweckt, nicht wahr?
»Ist das Ihr Ernst?«, fragte Slade skeptisch.
Und ob es sein Ernst war! Es war ihm todernst. Ernster als alles in seinem bisherigen Leben. »Ich sage Ihnen alles, was ich weiß. Namen, Aufenthaltsorte, Verbindungen in einem halben Dutzend Ländern, die auf dem Schwarzmarkt handeln. Ich weiß, wer an Kats Grabungsstätte die Schwachstelle war, ich weiß, mit wem der Mann zusammenarbeitete, und ich weiß, wie sie die Stücke außer Landes schafften. Sie halten Kat aus der Sache raus, sorgen für ihre Sicherheit, und ich gebe Ihnen alles, was ich weiß.«
»Und was ist mit Ihnen?«, fragte Slade zögernd.
Pete lehnte sich zurück. Er war dabei, einen Pakt mit dem Teufel höchstpersönlich zu schließen, und diesmal gab es kein Zurück. »Tja, das ist die 1000-Dollar-Frage.«