28

Pete fühlte sich rundherum wohl. Bis in die Zehenspitzen.

Er lächelte, als er von der Seite die schlafende Kat betrachtete, die sich mit dem Gesicht zu ihm auf dem Bett in Marias Gästezimmer zusammengerollt hatte. Er hatte vorhin das Licht ausgeschaltet, und jetzt beleuchtete nur noch der Widerschein der Stadt durch die riesigen Fenster die Form ihres Gesichtes, die zarte Haut ihrer Schulter, ihre Hände, die sie dicht an den Körper gezogen hatte.

Oh Mann, er hätte einfach nur stundenlang daliegen und sie ansehen können.

Der Regen hatte sich in ein sachtes Trommeln an den Fensterscheiben verwandelt. Die nächtlichen Geräusche der Stadt wurden von Kats rhythmischen Atemzügen geschluckt.

Er konnte sich nicht überwinden, sie zu wecken, obwohl er sich nichts mehr wünschte, als sie vor Sonnenaufgang noch einmal zu lieben. Also gab er sich damit zufrieden, neben ihr zu liegen und ihr beim Schlafen zuzusehen. Er streichelte ihr über den Arm und sah bewundernd, wie ihre Wimpern wie kleine Fächer auf den Wangen ruhten, wie sich ihre Lippen öffneten, wenn sie atmete, und wie ihn jener kleine Leberfleck an ihrem Mund anflehte, sie zu küssen. Er zeichnete die Silhouette ihrer Schulter nach, glitt mit dem Finger über ihr Schlüsselbein und folgte der Kette um ihren Hals bis zu dem Medaillon, das zwischen ihren Brüsten lag.

Der heilige Judas Thaddäus, Schutzpatron der hoffnungslosen Fälle. Sie hatte ihm einmal gesagt, dass sie es trug, weil sie der allerhoffnungsloseste Fall sei. Aber da hatte sie unrecht. Sie war so viel mehr, als sie selbst wusste.

Ein gedämpfter Schlag durchdrang die Stille der Nacht, und Petes Finger hielten auf Kats Amulett inne. Er hob den Kopf und lauschte und vernahm einen zweiten dumpfen Schlag.

Er drehte sich auf den Rücken und blickte auf das Knäuel aus Klamotten am Boden. Er hatte nicht die geringste Lust, das Bett zu verlassen, aber irgendein seltsames Gefühl hieß ihn, aufzustehen und dem Geräusch nachzugehen.

Maria schlief für gewöhnlich wie eine Tote, und nichts konnte sie nachts aufscheuchen. Und sosehr er sich auch bemühte, es fiel ihm keine logische Erklärung ein, warum ihre Haushälterin zu dieser Stunde schon auf den Beinen und im Haus unterwegs sein sollte.

Er zögerte noch, als er es ein drittes Mal hörte, dann rollte er sich, so leise er konnte, aus dem Bett, um Kat nicht zu wecken, und zog sich seine Hose an. Sehr wahrscheinlich war es so etwas Harmloses wie Wind, der loses Material auf dem Dach des Gebäudes in Bewegung gesetzt hatte, doch in Anbetracht der ganzen Situation hielt er es nicht für ratsam, es zu ignorieren.

Lautlos schloss er die Tür hinter sich und ging barfuß durch den oberen Stock. Jeder Raum, in dem er nachsah, war leer. Nichts rührte sich. Nichts Ungewöhnliches. Auf Zehenspitzen schlich er sich die Treppe hinunter und zögerte, als er im Eingang stand.

Das Heizsystem summte. Draußen heulte der Wind, und im Wohnzimmer prasselte der Regen gegen die Fensterscheiben. Er war drauf und dran, sich umzudrehen und wieder hinaufzugehen, als er es wieder hörte.

Einen dumpfen Schlag. Als würde etwas Schweres bewegt. Aus Marias Zimmer.

Vorsichtig lief er den Flur entlang. Und dann wünschte er sich nichts mehr, als dass er seine Pistole von oben mitgenommen hätte. Er sah sich im dunklen Korridor um und erblickte einen großen, klobigen Kerzenständer auf einem Beistelltisch.

Nicht gerade ein Schlagstock. Aber das Beste, womit er aufwarten konnte. Mit finsterer Miene schnappte er ihn sich und drehte ihn um, um ihn wie eine Waffe zu benutzen. Dann schloss sich seine Hand um Marias Türknopf.

Das Zimmer war dunkel, und seine Augen brauchten einen Moment, um sich daran zu gewöhnen, aber das gedämpfte Keuchen war keine Sekunde lang zu überhören gewesen.

Maria lag zwischen Bett und Fenster auf dem Boden, Hände und Füße fest verschnürt, einen Knebel in den Mund gestopft und hinter dem Kopf fixiert. Das Geräusch, das er von oben gehört hatte, war ihr wildes Umsichschlagen gewesen.

Oh verdammt!

Ihm gefror das Blut in den Adern, er drehte sich um und wollte wieder die Treppe hinaufstürzen. Marias dumpfer Schrei hallte ihm nach.

Er schaffte es bis zum unteren Treppenabsatz, als er von hinten bewusstlos geschlagen wurde und auf dem harten Boden aufschlug. Der Kerzenleuchter flog ihm aus der Hand, knallte an die Wand und zerbrach. Ein Paar vertraute dunkle Augen und ein potthässlicher Haarmopp kamen in sein Blickfeld.

Minyawi.

Nein nicht Minyawi. Jemand, den er viel besser kannte.

Flink drehte er sich auf den Rücken, und es gelang ihm ein heftiger Schlag, ehe ihm eine Injektionsnadel in den Arm gerammt wurde. Er holte nach dem schmerzhaften Stachel aus, schlug ihn fort, bevor die Spritze vollständig geleert war, und hörte dann eine eiskalte Stimme, an die er sich auch in seinem benebelten Zustand nur allzu lebhaft erinnern konnte.

»Danke, Pete, dass Sie sie geradewegs zu mir gebracht haben!«

Kat fuhr aus dem Schlaf hoch. Sie wusste nicht, was sie geweckt hatte, doch als sie in dem dunklen Raum um sich blickte, bekam sie es mit der Angst zu tun.

Pete war weg.

Sie schwang die Füße über die Bettkante, zog T-Shirt und Jeans an und verspürte für einen Moment Erleichterung, als sie seine Schuhe und sein Hemd auf einem Haufen am Boden neben ihren Sachen sah.

Okay, er war nicht auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Er war bloß kurz aufgestanden. Sie lauschte, ob sie ihn hören konnte, und als das nicht der Fall war, überkam sie Panik.

Sie griff nach der Pistole in ihrem Rucksack. Im Haus war es viel zu still.

Sie prüfte das Magazin und entsicherte die Waffe, dann ging sie lautlos auf die Tür zu. Als sie oben an der Treppe ankam, horchte sie wieder und hoffte, Pete hören zu können, wie er auf der Suche nach einem Mitternachtssnack in der Küche rumorte.

Doch da war nichts.

Die Panik in ihr schraubte sich noch etwas höher. Kat nahm zwei Stufen auf einmal und bewegte sich dabei wie ein leiser Schatten. Sie zögerte, wenige Schritte von der Küche entfernt, blickte sich um und hielt die Luft an, während sie auf Geräusche von der anderen Seite der geschlossenen Tür lauschte.

Ein lautes Schrillen ließ sie aufspringen. Sie fuhr herum und hielt die Pistole mit beiden Händen im Anschlag.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie gewahr wurde, dass es ein klingelndes Handy war.

Sie atmete tief aus. Rieb sich mit dem Handrücken die Stirn und stieß ein klägliches Lachen aus.

Sie war wirklich dabei, die Nerven zu verlieren. Das war vermutlich der Grund für ihr Aufwachen gewesen: bloß ein dämliches Handy, das irgendwo im Haus losgegangen war. Wahrscheinlich war Pete im Bad gewesen, als sie aufgewacht war, und mittlerweile längst wieder zurück im Bett und fragte sich, wo sie sei.

Ein Lachen stieg glucksend in ihr hoch, während sie sich wieder der Treppe zuwandte. Das Telefon klingelte erneut, doch diesmal rechnete sie damit. Sie sah sich um, neugierig, wo das Ding lag, damit sie es ausschalten konnte.

Sie umrundete den Esstisch. Und erstarrte.

Ein stummer Schrei entfuhr ihrer Kehle, als sie Pete regungslos auf dem Bauch liegen sah. Sein Handy lag neben seinem Kopf auf dem Boden.

»Pete.« Sie legte die Waffe auf den Boden und kniete sich neben ihn. Blut rann ihm die Schläfe hinab und tropfte auf seine nackte Schulter.

Rasch griff sie nach dem Telefon und klappte es auf, um den Notruf zu wählen, und ein eiskalter Schauer überlief sie, als sie die auftauchende Bildmitteilung sah. Laut Zeitanzeige war sie schon vor Stunden gesandt worden, doch Pete hatte sie offenbar noch nicht gesehen. Da stand einfach nur:

Pete,

das hier ist das neueste Bild, das INTERPOL von Minyawi in den Akten hat.H

»Oh Gott!« Übelkeit stieg in Kats Magen auf, als sie auf das Bild von Sawil Ramirez starrte.

Sie schnappte sich die Pistole und kam auf die Beine, um Hilfe zu rufen. Und schaffte zwei Schritte, ehe eine große Hand sie an den Haaren packte und sie nach hinten riss, bis ihr die Luft aus den Lungen wich.

»Wurde auch Zeit, dass du aufkreuzt, Kat. Ich habe sechs beschissene Jahre auf dich gewartet.«

Kleine Lichtflecken schossen in Kats Blickfeld. Schmerz brach in ihrem Schädel aus. Sie kreischte los und versuchte nach der Hand zu schlagen, die sie festhielt, doch die zog so heftig, dass sich das Zimmer um sie drehte. Sawil stieß mit der Schulter die Schwingtür zur Küche auf, und ehe sie wusste, was geschah, wurde sie auf die Kücheninsel aus Granit geschleudert und rutschte auf der anderen Seite wieder hinunter.

Töpfe und Pfannen und Küchengeräte segelten durch die Gegend. Die Waffe flog ihr aus der Hand und quer durch den Raum. Kat kam krachend jenseits der Insel auf, ihr Kopf knallte auf den Fliesenboden, und vor ihren Augen begann es Sterne zu sprühen. Benommen blickte sie auf und sah Sawil über ihr stehen, doch das war nicht der ruhige, freundliche Mann, den sie in Kairo kennengelernt hatte. Der hier war voll Bösartigkeit und einer Art blindem Hass, die sie nie begreifen würde.

»Das ist alles deine Schuld. Du hast einfach keine Ruhe gegeben. Und jetzt sieh dir an, was daraus geworden ist.« Sein Akzent klang nicht mehr brasilianisch. Er klang stark nahöstlich, und mit seinem langen Haar und dem Bart entsprach er dem Terroristenprofil besser, als sie gedacht hätte.

Mühsam kam sie auf die Beine.

Er schleuderte einen Stuhl beiseite, als er auf sie zuging, die Augen dunkel und böse. »Ich war dabei, mich zu beweisen, mir einen Namen zu machen. Bis du mir alles versaut hast. Niemand wäre verletzt worden.« Sie duckte sich hinter den Tisch. »Dann machten sie mich fertig. Sagten, es sei mein Problem. Dass du es mir vermasselt hättest. Dass ich die Sache aus dem Weg schaffen solle. Dich aus dem Weg schaffen solle. Du hättest in dieser Nacht in dem Grab sterben sollen. Dann wäre Shannon jetzt noch am Leben.«

Ihr Blick fiel auf die Narbe, die über seine Wange lief. Die Narbe, die, wie ihr jetzt klar wurde, sie ihm zugefügt hatte. Er war derjenige gewesen, der sie von hinten gepackt hatte. Er hatte sie dorthin gelockt, war dann verschwunden und hatte versucht, sie umzubringen. Allerdings hatte er nicht erwartet, dass sie sich wehren würde.

»Dir hätte der Garaus gemacht werden sollen, nicht Shannon!« Er knurrte, als er einen weiteren Stuhl aus dem Weg räumte. »Nicht ihr.«

Und, oh Scheiße! Ihr wurde klar, dass sie ein ernsthaftes Problem hatte. Was hatte Bertrand im Park zu ihr gesagt? ­Minyawi ist seit fast fünf Jahren im Blutrausch. Ist in der ­Hierarchie seiner Gruppe aufgestiegen wie ein Flächenbrand, der sich in einem Trockental ausbreitet. Der Mann, den Kat gerade anstarrte, war ganz gewiss nicht mehr derselbe, den sie vor sechs Jahren gekannt hatte. Wenn er Shannon nicht umgebracht hatte, war es seine Organisation gewesen. Um an Kat ranzukommen. Und er hatte es nicht verhindern können. Was bedeutete, dass er einen doppelten Grund hatte, Kat leiden sehen zu wollen.

Ihr Adrenalin schoss in die Höhe. Sie stolperte rückwärts, als er sich ihr näherte.

»Niemand wird dir zu Hilfe kommen, Mädchen. Bevor das hier zu Ende ist, wirst du mich anflehen, dich zu töten.«

Einen Teufel würde sie.

Sie warf ihm einen Stuhl vom Küchentisch entgegen. Er ächzte, als er ihn am Knie traf, und schleuderte ihn dann beiseite, als bestünde er aus Streichhölzern. Und er kam ihr immer näher.

»Lauf vor mir weg«, brummte er. »Ja, genau. Lauf weg. Es wird noch viel besser, wenn ich dich fange und dich dann bezahlen lasse. Ich habe das trainiert. All die Jahre habe ich nur drauf gewartet, dich bezahlen zu lassen wie Shannon.«

Die Küche war groß, doch Kats Platz wurde allmählich knapp. In einem Handgemenge konnte sie ihn nicht schlagen. Ihre einzige Chance war, zu entkommen und sich etwas einfallen zu lassen. Sie entdeckte die Seitentür, die zur hinteren Treppe führte, drehte sich um und rannte los. Er machte einen Hechtsprung nach ihr, erwischte sie am Fußgelenk und zog sie mit sich auf den Boden, ehe sie auch nur drei Schritte tun konnte.

Ihr Körper traf hart auf dem Boden auf. Sie stöhnte vor Schmerzen, trat um sich und strampelte, doch er drehte sie auf den Rücken wie eine Stoffpuppe.

»Geh runter von mir!«

Er rang mit ihren Händen, packte sie an den Handgelenken und fixierte sie rechts und links von ihrem Kopf. Sie kämpfte, so sehr sie nur konnte, denn sie dachte daran, was Pete ihr erzählt hatte: was er mit Bertrands Frau gemacht hatte. Wusste, wenn sie hier verlor, war sie tot.

Mach, dass Pete nicht tot ist!

Dicht an ihrem Ohr knurrte er. »Ich mag es, wenn sie sich wehren. Jetzt fleh mich an! Fleh mich an, dir nicht wehzutun! Genau wie Shannon, bevor sie sie aufgeschlitzt haben.«

»Nein!« Übelkeit stieg in Kats Magen hoch. Sie hob das Knie, und es gelang ihr beinahe, es ihm in die Weichteile zu rammen, doch er konnte gerade noch ausweichen. Sein Handrücken durchschnitt die Luft und landete mit einem lauten Klatschen auf ihrer Wange.

»Los!«, schrie er. Er verlagerte die Beine so, dass er die ihren unter dem Gewicht seines Körpers zu Boden presste.

Sie schlug um sich. Ihre Hand kam frei. Sie bohrte ihre Fingernägel in sein linkes Auge. Blut lief ihr über Gesicht und Brust und brachte sie zum Würgen. Er krächzte und zuckte zurück, eine Hand flog zu seinem Gesicht, während die andere sie ununterbrochen festhielt. Sie drehte leicht den Kopf und sah, dass ihre Pistole keinen Meter von ihr entfernt lag, gerade außerhalb ihrer Reichweite.

Sie war so nah dran.

Sie trat um sich, versuchte sich zu befreien, doch er war zu stark. Schweiß und Blut rannen ihr die Wange hinab.

Er röhrte, und eine bedrohliche Wut legte sich auf sein ­Gesicht, bis sie ihn kaum noch wiedererkannte. Er legte ihr eine Hand um den Hals und drückte zu, bis ihr fast die Adern platzten.

Vor ihren Augen verschwamm alles. Sie schnappte nach Luft, kämpfte noch verbissener. Und traf ins Leere.

Oh Gott! Das war’s dann wohl. Nach all der Zeit, nachdem sie endlich so kurz davor gewesen war, zu bekommen, was sie immer gewollt hatte

»Nimm deine Scheißhände von ihr!« Pete streckte den Arm aus, und die gusseiserne Bratpfanne in seiner Hand krachte seitlich auf Sawils Kopf.

Sawil wurde auf die Seite geworfen und prallte gegen die Küchenwand.

Pete war blitzschnell auf den Knien – kein Traum, sondern Realität – und zog sie an sich. »Sag was, Baby!«

Ihre Kehle brannte, doch sie klammerte sich fest an ihn und dachte daran, wie er ausgesehen hatte, da im Esszimmer. Immer weiter lief ihr das Blut über eine Seite des Gesichts. »Pete –«

Sawil schoss knurrend vom Boden hoch und rannte Pete um. Kat kreischte, als er ihr aus den Armen gerissen wurde. Die beiden segelten quer durch die Küche. Petes Kopf und Rücken trafen mit einem ohrenbetäubenden Krach auf die Küchenschränke.

Kämpfend bewegten sie sich vorwärts, ächzend und miteinander ringend. Kat kroch zu ihrer Waffe und packte sie mit beiden Händen. Aber kein Schuss fiel. Ihre Körper krachten in einen anderen Schrank, und ein Stapel Teller kam darüber ins Schwanken, stürzte um und krachte mit lautem Getöse zu Boden.

Kat kam auf die Beine. Sawil gewann die Oberhand, rollte sich auf Pete. Er umschloss Petes Hals mit den Händen. »Hätte dich schon längst töten sollen.«

»Warum hast du’s dann nicht getan?«, fauchte Pete, während er Gegenwehr leistete und Sawil mit einem rechten Haken erwischte, der den Mann ins Wanken brachte, ihn aufhielt und den Kopf schütteln ließ, doch er ließ Pete immer noch nicht los. Pete schaffte es, sich hochzustemmen, mit dem Rücken zu Kat und in ihrer Schusslinie.

»Weil ich wusste, du würdest mich geradewegs zu ihr führen.« Sawils Griff wurde fester. »Du kannst dich bei ihr für alles bedanken, was ich heute bin. Wenn du aus dem Weg bist, gehört sie mir. Und ich werde jeden Moment davon genießen.«

Da rastete bei Pete etwas aus. Er knallte mit seinem Kopf gegen den von Sawil. Hart. Benommen lockerte Sawil seinen Griff um Petes Hals, während sein Kopf nach hinten knickte. Pete versetzte Sawils Gesicht zwei rechte Haken, die im ganzen Raum widerhallten, dann wand er sich unter ihm hervor.

Sawil taumelte, setzte sich auf, schüttelte den Kopf und erhob sich. Kat zielte mit der Waffe auf Sawil, während Pete sich aufrichtete, schwankte und sich wieder fing. Beide Männer ­atmeten schwer und sahen aus, als könnte der kleinste Windhauch sie umwerfen. Verwirrung zeichnete sich in Sawils Augen ab. Er stolperte zwei Schritte rückwärts und fiel gegen die Theke.

Kats Puls hämmerte. Ihre Haut war schweißnass. Die Stille, die sich über den Raum legte, war ohrenbetäubender, als es Sawils wütende Schreie gewesen waren. Konnte sie ihn töten? Würde sie es tun? Sie konnte schießen. Sie konnte es beenden, jetzt sofort.

Sie zögerte. Hin- und hergerissen.

Sawils Augen blickten sie glasig an, und er wankte. Und eine Hoffnung stieg in Kat auf. Er ging von allein zu Boden.

Und dann streckte er in letzter Sekunde die Hand aus. Er schnappte sich ein Messer aus dem Messerblock auf der Arbeitsfläche hinter sich und machte einen Satz vorwärts.

Jahrelanges Training floss in einer Zehntelsekunde zusammen. Kat drückte ab. Einmal. Zweimal. Und ihre Hände waren ruhiger, als sie erwartet hätte.

Die Schüsse hallten durch die riesige Küche und trafen Sawil mitten in die Brust. Er fiel nur wenige Zentimeter vor Petes nackten Füßen zu Boden.

Vage nahm sie eine hektische Stimme von der Küchentür her wahr. Verschwommen sah sie Menschen in den Raum stürmen, sie hatte keine Ahnung, wo sie herkamen. Alles, was sie sah, war Sawils lebloser Körper auf dem Fliesenboden, mit dem Gesicht nach unten in einer immer größer werdenden Blutlache.

Sie hatte das getan. Sie war tatsächlich in der Lage, ein Leben auszulöschen. Das Leben von jemandem, der einmal ihr Freund gewesen war. Und in dem Moment wusste sie, dass sie diese Tat für den Rest ihres Lebens verfolgen würde.

Sie ließ die Pistole fallen und wich taumelnd einen Schritt zurück.

Pete fing sie mit beiden Armen auf, ehe sie fiel. »Ich habe dich«, sagte er in ihr Haar. »Halt dich an mir fest. Halt mich einfach nur fest, Kit-Kat.«

Sie begann am ganzen Körper zu zittern, doch sie klammerte sich mit dem letzten bisschen Kraft, das sie noch hatte, an ihn. »Lass mich nicht los«, flüsterte sie.

»Das werde ich nicht, Baby. Bei Gott, das werde ich nicht!«

Pete blickte von seinem Platz an Marias Esstisch auf. Er war immer noch etwas benebelt von den Drogen, die ihm Ramirez – oder Minyawi oder wie auch immer dieser Typ wirklich geheißen hatte – verabreicht hatte. Aber zumindest nahmen sie auch dem Alkohol, mit dem die Rettungssanitäterin ihm die Schläfe betupfte, die beißende Schärfe.

Glücklicherweise war die Wunde nicht so tief, dass sie genäht werden musste. Er zuckte zusammen, als die Sanitäterin ihm ein Klammerpflaster darauf setzte und ihm dann den letzten Nerv raubte, als sie ihm mit einer Taschenlampe in die Augen leuchtete, um nach Anzeichen einer Gehirnerschütterung zu suchen.

»Nehmen Sie das weg!« Er schob das Licht beiseite und hielt nach Kat Ausschau.

Sie saß auf dem Sofa am anderen Ende des Raums und wurde gerade von einem anderen Sanitäter genauso wieder zusammengeflickt und hingebogen wie er. Der Raum wimmelte von Polizisten und vermutlich FBI-Leuten, die sich untereinander austauschten und den Tatort in Augenschein nahmen. Maria stand mit einem Polizisten in Zivil am Fenster und machte ihre Aussage. Pete konnte sich vage daran erinnern, Slade irgendwo unter den Beamten gesehen zu haben, und fragte sich zerstreut, wer zum Henker ihn wohl hergerufen hatte, ließ den Gedanken dann aber fallen. Die einzige Person, für die er sich im Moment interessierte, saß dort auf der Couch.

Sein Herz zog sich zusammen. Blaue Flecken bildeten sich um seine Augen herum und auf seiner Wange. Er wusste, wenn sie Sawil nicht getötet hätte, hätte er es getan. Für das, was er ihr in diesem Grab angetan hatte. Für die Jahre des Versteckens, zu denen er sie gezwungen hatte. Für die paar Minuten, in denen sie allein mit ihm in der Küche gewesen war, während Pete bewusstlos am Boden gelegen hatte.

»So. Das war’s«, sagte die Sanitäterin endlich.

Pete unterdrückte ein Stöhnen, als er aufstand, und begann sich das Hemd zuzuknöpfen, das ihm irgendjemand von oben heruntergebracht hatte.

Das Geräusch von jäh zum Stehen kommenden Schuhsohlen im offenen Eingang zum Penthouse ließ ihn den Kopf drehen. Schock, dann Ungläubigkeit und Verwirrung durchfuhren ihn, als er Hailey dort erblickte, die nicht viel besser aussah als Kat.

»Pete!«

Hailey warf sich ihm in die Arme. Er zuckte zusammen, schob sie zurück und musterte ihr zerschundenes Gesicht, das von großer Erleichterung und einem Schuss Verärgerung zeugte. »Was in aller Welt ist mit dir –«

Sie schlug ihm auf die Schulter. »Du bist mir eine Kleinigkeit schuldig, du Mistkerl. Ich habe eine ganze Liste von Möglichkeiten, wie du mir das zurückzahlen kannst.« Sie sah sich im Raum um. »Mann, bin ich froh, dass die Polizei rechtzeitig hier war!«

Er hatte große Mühe, Haileys Worten zu folgen, aber zwei Dinge drangen zu ihm durch: erstens, sie hatte gewusst, was hier los war, und zweitens, jemand hatte sie übel zugerichtet.

Oh Mist! Hailey.

Er ergriff ihren Arm. »Was ist passiert?«

»Als ich in Laurens Haus war, um mich zu vergewissern, dass sie nicht zu Hause war, sind dort zwei fiese Typen aufgetaucht.« Sie warf einen Seitenblick auf die Bahre, die gerade aus der Küche gefahren wurde. »Welcher ist das? Der Dunkelhaarige oder der mit der Glatze?«

Bei der Vorstellung, dass sie auch nur mit einem von beiden alleine gewesen war, drehte sich ihm der Magen um.

»Minyawi«, sagte Kat neben ihm mit ruhiger Stimme. »Der Dunkelhaarige.«

Pete blickte zu Kat hinüber. Sie befand sich gerade nicht in ­seiner Nähe, mit blasser Haut und unsicheren Augen. Sie zog sich eine Decke um die Schultern, als hinge ihr Leben davon ab.

»Gut«, murmelte Hailey eisig. »Das Arschloch hatte es verdient zu sterben.«

Petes Blick fiel wieder auf Rafes Exfrau, und eine schreckliche Ahnung überkam ihn. »Hailey, hat er –«

»Nein«, sagte sie schnell, als sie seine Gedanken erriet. »Er hat nur ein bisschen auf mich eingeprügelt. Ich komme mit so was klar. Mir geht’s gut.«

Das stimmte. Pete konnte es in ihren Augen sehen. Hailey Roarke war eine der zähsten Frauen, die er kannte.

Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf Kat. »Ich bin übrigens Hailey. Eine ehemalige Freundin.«

»Eine gute Freundin«, berichtigte Pete.

Ein halbes Lächeln umspielte Haileys Mundwinkel. Kat blickte mit einer großen Portion Unsicherheit zwischen den beiden hin und her.

»Ich habe in einem Anfall von geistiger Umnachtung seinen Partner von Odyssey geheiratet«, erklärte Hailey. »Aber ich bin schnell wieder zur Vernunft gekommen.« Sie grinste Pete an. Blaue Flecken hin oder her. »Ich hab euch den Hintern gerettet, stimmt’s? Siehst du, Kauffman? Es gibt noch Hoffnung für mich.«

Pete konnte nicht anders. Er musste in sich hineinlachen. Er hatte Hailey immer gemocht, also brach ihm kein Zacken aus der Krone, wenn er sie in dem Glauben ließ, dass sie den Tag gerettet hatte. »Das hast du. Ich muss mich korrigieren. Du bist die verdammt beste Polizistin, die ich kenne.«

Hailey verdrehte die Augen. Kat begann allmählich zu lächeln, während sie dem Geplänkel folgte.

»Also, Kat«, sagte Hailey. »Ist es reines Wunschdenken, anzunehmen, dass du etwas an Petes Stimmungsschwankungen ändern wirst? Denn eins muss ich dir sagen. Ich liebe ihn wie einen Bruder, aber der Mann hat ein ernsthaftes Problem mit seiner Einstellung.«

Er wollte sich gerade für seine angeblichen Stimmungsschwankungen rechtfertigen, als er den schüchternen Ausdruck in Kats Gesicht bemerkte. Dann überraschte sie sie beide, indem sie auf ihn zuging und geradewegs in seine Arme fiel.

Und es stimmte ja, er war der größte Dummkopf auf dem Planeten, und es machte ihm nicht einmal etwas aus. Seine Arme legten sich fest um sie, während er sie auf die Schläfe küsste. Über Kats Schulter sah er Hailey lächeln und ihm zuzwinkern.

»Wurde aber auch Zeit«, sagte sie.

Petes Lächeln erstarb. Und als er sich umblickte, wurde er unsanft daran erinnert, dass jede Aussicht auf ein Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage gleich ein jähes Ende finden konnte. Das Gefühl wurde noch verstärkt, als er Slade auf sie zukommen sah.

Er verkrampfte sich. Kat ließ von ihm ab und blickte sich um.

»Hallo, Kauffman«, sagte Slade, als er neben Hailey stehen blieb. »Kat«, sagte Slade sanfter, seine dunklen Augen blickten unglücklich, »wie geht es dir?«

Eine Sekunde lang dachte Pete, Kat würde ihn loslassen, und er rüstete sich für diesen Moment. Sie waren Freunde. Er wusste, dass Slade schon einmal versucht hatte, ihr zu helfen. Geistig hatte er das immer akzeptiert. Gefühlsmäßig jedoch, vor allem unter den jetzigen Umständen, war das etwas ganz anderes.

Doch als sie keine Anstalten machte, sich aus Petes Armen zu befreien, fühlte er unendliche Erleichterung in sich aufsteigen. Entweder kannte sie ihn gut genug, um zu wissen, dass es ihm nicht gefallen würde, wenn sie zu Slade ging, oder sie war sich bezüglich Slade nicht mehr ganz sicher.

Ihm wurde klar, dass vermutlich beides zutraf.

»Ein paar meiner Beamten brauchen deine Aussage, Kat«, sagte er, »aber danach bist du frei und kannst deiner Wege gehen.«

Kats Brauen zogen sich zusammen. »Aber was ist mit –«

»Es gibt keine Spur von Busir«, sagte Slade rasch und wandte seine Aufmerksamkeit Pete zu. »Wir lassen die Grenzen überwachen, aber möglicherweise hat er das Land bereits verlassen.«

»Er war mit Sicherheit im selben Motel wie ich«, mischte sich Hailey ein. »Ich bin nicht ganz sicher, was passiert ist, weil meine Augen verbunden waren, aber die beiden haben sich gestritten. Worum es in dem Streit auch immer ging, er war schnell vorbei. Und Minyawi war allein mit mir in dem Lieferwagen.«

Jetzt begriff Pete, weshalb die Polizei gekommen war. Hailey hatte sie gerufen.

Slade drehte sich zu Hailey um. »Ich nehme nicht an, dass Sie noch wissen, wo dieses Motel war, oder?«

»Nein, aber wenn Sie mir eine Karte geben, kann ich es vielleicht herausfinden. Ich konnte zwar nichts sehen, aber ich habe auf die Strecke geachtet, die wir fuhren, und ich kenne mich in New York aus. Ich komme vielleicht darauf, über welche Brücken wir gefahren sind.«

Slade warf Pete einen fragenden Blick zu.

Hailey bemerkte seinen Gesichtsausdruck und wandte sich Slade zu. »Officer Hailey Roarke. Police Department Key West. Ich glaube nicht, dass wir uns offiziell schon einmal begegnet sind.«

Slade erwiderte unwillig ihren Händedruck. »Marty Slade.«

Hailey kniff die Augen zusammen. »CIA

»Das unterliegt nicht dem Prinzip des notwendigen Wissenmüssens.« Als Hailey ihren blonden Schopf zur Seite neigte, fügte er hinzu: »Glauben Sie mir, Officer Roarke. Sie brauchen das wirklich nicht zu wissen.« Slade gab einem Mann im Anzug, der an der Tür stand, ein Zeichen. »Officer Crowly wird den Rest Ihrer Aussage aufnehmen und Ihnen alles besorgen, was Sie brauchen.«

Hailey erkannte offensichtlich, wenn sie sich in einer Sackgasse befand. Sie verzog das Gesicht und wandte sich zu dem dunkelhaarigen Beamten, der auf sie zukam.

Slades Blick folgte ihr, während sie sich entfernte. »Police Department Key West?«

»Außer Dienst«, sagte Pete. »Sie ist zurzeit beurlaubt, um in der Firma ihrer Familie in Miami auszuhelfen, solange ihr Vater krank ist.«

»Und was für eine Firma ist das?«

»Hotels.«

Slade machte große Augen, als der Groschen fiel. »Hailey Roarke? Etwa die Tochter des Hoteliers Garrett Roarke, von den Roarke Resorts?«

Pete nickte. Bisweilen war es selbst für Pete schwer zu glauben. Der Name Roarke war in den letzten Jahren so bekannt geworden wie Hilton. Und Hailey – so unglaublich das auch erschien – war eine Erbin.

»Und was nun?«, fragte Kat und zog Slades Aufmerksamkeit wieder auf sich und Pete. »Wir wissen alle, dass es nicht Minyawi und Busir sind, die hinter der ganzen Sache stecken. Was geschieht als Nächstes?«

»Wir überwachen die Grenzen und benachrichtigen die ägyptischen Behörden über Busirs Taten in den USA«, sagte Slade, der sich wieder gefangen hatte. »Aber ohne einen Beweis für eine Beteiligung auf höherer Ebene kommt die andere Person, die du in dem Grab gehört hast, ungeschoren davon.«

»Aber das ist nicht richtig«, protestierte Kat.

»Richtig und falsch spielen keine große Rolle in der internationalen Politik«, sagte eine dunkelhaarige Frau mit dunkler Haut, schwarzem Anzug und einem nahöstlichen Akzent, die zu der Gruppe trat. »Es sei denn, Sie können diesen Dritten eindeutig identifizieren.«

Alle sahen sie an.

Sie nickte in die Runde. Ihre Gesichtszüge waren scharf und eindrucksvoll, und sie verbreitete eine Autorität, die keinem von ihnen entging. »Ich bin Agent Tiya Hawass von INTERPOL. Die Festnahme von Aten Minyawi war eine unserer Top-Prioritäten. Wir haben seinetwegen mehrere gute Agenten verloren, einschließlich Dean Bertrand, mit dem Sie sich, wie ich hörte, in Philadelphia getroffen haben.«

Als Pete und Kat Blicke miteinander wechselten, sagte sie: »Minyawi ist vor etwa sechs Jahren auf unserem Radar aufgetaucht. Er ist rasch in den Rängen der Ägyptischen Befreiungsarmee aufgestiegen, obwohl wir den Verdacht haben, dass er schon viel länger in dieser Organisation war. Er hat in seinen späten Teenagerjahren kurze Zeit beim ägyptischen Militär gedient, doch sein Fachgebiet waren Antiquitäten, was erklärt, warum er in einem Kunstschmugglerring eingesetzt wurde.

Vor mehreren Jahren verlagerte er jedoch seinen Schwerpunkt. Wir sind nicht ganz sicher, warum, doch er wurde einer ihrer führenden Auftragskiller. Er agierte häufig außerhalb der ELA, wie wir es auch in diesem Fall annehmen, weil er eine persönliche Vendetta verfolgte. Doch seine Verbindung mit ihrer Organisation ist bekannt und gut dokumentiert. Durch Observierung wissen wir, dass Hanif Busir seit Jahren archäologische Schätze aus Ägypten herausschmuggelt – sie wurden für stattliche Summen auf dem Schwarzmarkt verkauft. Ein Teil der Einnahmen fand wieder in die Taschen der ELA zurück und finanzierte so ihre Unternehmungen. Was wir bisher nie beweisen konnten, ist die Verbindung zwischen dem Kunstschwarzmarkt, der überall in Afrika, Asien und Europa existiert, dem SCA, das für die archäologische Forschung in Ägypten zuständig ist, und der ELA

»Bis ich kam«, sagte Kat leise.

»Bis Sie kamen«, wiederholte Agent Hawass und nickte ihr zu. »Weshalb wir uns in den letzten Tagen im Hintergrund gehalten und Minyawis Bewegungen hier in den Staaten genauestens beobachtet haben. Als mir klar wurde, dass Sie tatsächlich am Leben sind, zögerten wir, uns einzumischen, weil wir hofften, Sie könnten uns den nötigen Beweis liefern. Als wir jedoch merkten, dass Bertrand auf eigene Faust agierte, machten wir uns bereit einzuschreiten. Der Zwischenfall im Park war bedauerlich, und wenn Sie nicht so rasch von dort entkommen wären, hätten wir Sie gleich dort in Schutzhaft nehmen können. Dazu kam es jedoch nicht.« Sie blickte von einem zum anderen. »Jetzt steht und fällt also alles mit einem Beweis. Und wenn ich es richtig verstehe, gibt es keinen.«

Kat blickte Pete mit gerunzelter Stirn an, während sich Agent Hawass Pete zuwandte. »Wegen der internationalen Bedeutung dieses Falls hat Officer Slade zugestimmt, dass ich bei Ihrer Befragung anwesend bin. Ihre Kooperation wird bei der strafrechtlichen Verfolgung Ihres Falls berücksichtigt werden.«

»Es wird Zeit, Kauffman«, sagte Slade. »Wir müssen gehen.«

»Moment mal«, warf Kat ein. »Ich weiß nicht genau, was hier vorgeht, aber ich habe einen Beweis –«

Pete schnürte es die Brust zusammen. Ja, ihr Happy End war gerade in die Tonne gestampft worden.

»Können wir kurz miteinander sprechen?«, fragte er Slade und Hawass.

Die beiden wechselten einen Blick miteinander, nickten dann und traten zurück an die Tür.

Kat blickte mit großen, verwirrten Augen zu ihm auf. »Was ist los?«, fragte sie mit einem Anflug von Panik in der Stimme. »Pete, über was für eine Befragung reden die?«

Er nahm ihre beiden Hände in seine und drückte sie, spürte die Wärme ihrer Haut auf seiner eigenen. »Ich will, dass du mir einen Gefallen tust.«

»Alles, was du willst.«

»Wenn du von hier weggehst, möchte ich, dass du dich mit meinem Freund Rafe Sullivan triffst. Hailey weiß, wie du ihn erreichen kannst. Er hat etwas für dich. In Florida. Vertrau ihm, wie du mir vertraust, und mach ihm nicht die Hölle heiß wegen dieser Dinge hier.«

»Was meinst du mit ›diese Dinge hier‹, Pete?« Sie umklammerte seine Handgelenke und suchte in seinen Augen nach einer Erklärung. Die um ihre Schultern gelegte Decke fiel zu Boden. »Sag mir, was los ist!«

»Maria kann deinen Halsschmuck nicht finden, Kat.«

»Aber –«

»Ich habe in meinem Leben viele bescheuerte Sachen gemacht. Meistens war ich den Behörden eine Nasenlänge voraus, verwischte meine Spuren, kümmerte mich nicht darum, wer zu Schaden kam, solange es mich weiterbrachte. Ich war vorsichtig, und ich war clever. Und ich sorgte dafür, dass nie etwas auf mich zurückfiel. In meinem Leben gab es nie irgendwas, an das ich so sehr glaubte, dass ich meine Denkweise änderte. Bis du kamst.«

Sie warf einen Blick auf Slade, der neben der Tür stand, dann wieder auf Petes Gesicht. »Was hast du gemacht?«, flüsterte sie.

Er hob die Hand und rieb mit dem Daumen über ihre zarte Wange. »Ich habe genau das gemacht, was du auch gemacht hättest. Was du gemacht hast. Und ich bereue es nicht. Nicht einen Moment.«

»Nein, nein, nein«, flüsterte sie. »Pete.« Sie versuchte nicht, ihre Tränen zurückzuhalten. Sie strömten über ihre rußschwarzen Wimpern und ihre Wangen hinab. »Sag ihnen, dass du es dir anders überlegt hast. Sag ihnen –«

»Es ist schon alles erledigt, Kat.«

Das ließ sie verstummen, doch ihre Tränen flossen weiter, und ihre Hände umklammerten die seinen, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.

In der Stille zwischen ihnen berührte er mit den Fingern das Medaillon auf ihrer Brust. »Du hattest unrecht, du weißt schon. Deswegen. Du bist kein hoffnungsloser Fall. Das warst du nie. Und du hattest unrecht bezüglich dessen, was geschehen ist. Du hast nicht mein Leben ruiniert, Kat. Du hast es gerettet. Auf die einzig mögliche Art.«

Er ließ ihre Hände los, nahm sanft ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste sie unendlich zärtlich.

»Bitte, tu das nicht!«, flüsterte sie und griff nach seinen Händen. »Ich kann nicht ohne dich leben.«

Er legte seine Stirn auf ihre und atmete lang und tief ein, während ihre Worte auch die kälteste Ecke seines Herzens erwärmten. »Doch, das kannst du. Gott, Kit-Kat, du kannst es so viel besser machen als ich! Das wünsche ich mir für dich. Ich will, dass du alles hast.«

»Pete, bitte!«

Sie schließlich loszulassen, war das Schwerste, was er jemals getan hatte. Schwerer, als von ihrem Unfall zu erfahren, schwerer, als zu ihrem Gedenkgottesdienst zu gehen, sogar schwerer, als in dem Glauben zu leben, sie sei tot. Doch er zwang sich dazu, es zu tun. Als er die Tür erreichte, wo Slade stand und darauf wartete, ihn in Untersuchungshaft zu nehmen, und sich zu ihr umdrehte, wusste er, dass sich ihr schmerzerfülltes Gesicht für immer in sein Gedächtnis einbrennen würde.

Und so sollte es auch sein.