16

»Warten Sie! Ich habe meinen Rucksack im Mietwagen liegen lassen.«

Kat blieb auf dem Weg stehen, um einen Blick über die beiden kleinen Hügel vor dem Parkplatz zu werfen, doch sie versperrten ihr die Sicht. Ob Pete schon weggefahren war? Sie brauchte diesen Rucksack. Sie musste zurück.

»Wir haben keine Zeit, Ms Meyer.« Halloway packte sie am Ellenbogen.

»Es dauert nur ein paar Minuten, ganz sicher.« Kat hob den Arm, um sich aus seinem Griff zu befreien, merkte jedoch, dass er fest wie ein Schraubstock war. Was sollte das?

»Sie begreifen wohl nicht den Ernst der Lage.« Seine Finger bohrten sich in ihren Arm. »Wir haben keine paar Minuten. Gehen wir!«

Kat blickte in seine sehr harten, sehr schwarzen Augen, während ihr seine Worte auf der Brücke noch einmal durch den Kopf gingen.

Es war nicht so sehr, was er gesagt hatte, sondern, wie er es gesagt hatte. Sein Tonfall war von Ärger durchzogen und hatte sehr, sehr persönlich geklungen.

Und er hatte Marty Martin genannt. Niemand sprach von Marty Slade mit dessen vollständigem Namen.

Jetzt nehmen wir Sie in Schutzhaft. Ihr Aufenthaltsort wird sehr wahrscheinlich durchsickern, sodass sie ihn aus der Reserve locken können.

Nicht sie. Er.

Oh Gott! Sie würde diesen Park nicht lebend verlassen.

Der Baumstamm neben ihr zersplitterte in tausend Stücke, als eine Kugel vorbeizischte und mit einem widerhallenden Krachen auftraf. Als ihr klar wurde, was da geschah, kreischte Kat auf, zuckte zusammen und versuchte, ihren Kopf zu schützen. Ehe sie sich aus der Schusslinie retten konnte, legte sich Halloways Arm fest um ihre Taille und riss sie hinter einer Ansammlung von Felsbrocken am Wegesrand zu Boden.

»Unten bleiben!«, schrie er und stützte den Arm auf den Steinhaufen, um das Feuer zu erwidern.

Eine Reihe von Kugeln prallte um sie herum auf Holz und Stein. Zitternd rutschte Kat so dicht an den schützenden Wall, wie sie nur konnte.

Aber so plötzlich, wie die Schüsse begonnen hatten, hörten sie auch wieder auf.

»Wir wollen keinen Ärger mit Ihnen bekommen«, rief schließlich eine Stimme mit einem starken Akzent. »Geben Sie uns einfach nur das Mädchen, und Sie können Ihrer Wege gehen!«

»Kommt nicht infrage!«, schrie Halloway mit einem eindeutig britischen Akzent zurück, den er zuvor nicht gehabt hatte. »Sie wollen sie? Dann müssen Sie schon herkommen und sie sich selber holen!«

Ein leises Lachen schien ganz aus der Nähe zu kommen. »Tja, Bertrand, ich hätte nicht damit gerechnet, Ihnen hier über den Weg zu laufen. Und dann auch noch mit ihr.«

Bertrand? Kat traten die Schweißtropfen auf die Stirn. Was in Gottes Namen ging hier vor?

Rechts von ihr raschelte es im Gestrüpp. In dem schwachen Licht konnte sie nicht mehr als Bäume und Büsche erkennen. Konnte sie es riskieren wegzulaufen, während diese beiden sich mit Worten und Kugeln untereinander bekämpften? Sie sah wieder Halloway an … oder Bertrand oder wer dieser Mann auch immer war, und wusste mit zunehmender Gewissheit, dass sie nicht weit kommen würde. Aus welchem Grund auch immer: Er war ihretwegen hier, und er würde sie nicht aus den Augen lassen.

»Sie unterschätzen mich, Minyawi!«

Wieder ein Lachen. Gefolgt von Schritten. Nah. Noch näher. Nur einen Meter von ihr entfernt raschelte das Gebüsch. Kat sank hinter die Steine zurück.

Aus dem Stand heraus fuhr Bertrand herum und feuerte in das Gebüsch neben ihr. Kat machte einen Satz und kreischte. Die Ohren klingelten ihr von dem lauten Knall. Ein Mann, den sie nicht hatte näher kommen sehen, fiel neben ihren Füßen zu Boden, und seine aufgerissenen, leblosen Augen starrten ins Leere.

Oh Gott. Oh Gott!

Bertrand schnellte zurück und feuerte wieder über den Fels. »Einen hat’s erwischt! Wie viele haben Sie noch, Minyawi? Wir können das die ganze Nacht fortsetzen. Aber ich garantiere Ihnen, eher lege ich die Kleine selbst um, als dass ich sie Ihnen überlasse!«

In der Ferne war ein dumpfes Grollen wie Donner zu hören, obwohl der Himmel klar war.

Wieder ein Lachen, diesmal aus einer anderen Richtung zwischen den Bäumen. »Sie hat mich angefleht, sie umzubringen. Haben Sie das gewusst? Sie gehört zu denen, die ich nie vergessen werde.«

Bertrand wurde am ganzen Körper stocksteif. Sein Gesicht verformte sich vor Wut, seine Hände krampften sich um die Pistole, während er mit harten Augen den Park absuchte. Und einen Augenblick lang glaubte Kat, diese Stimme schon einmal gehört zu haben. Aber wo?

»Nur zu, töten Sie die Kleine«, schrie Minyawi. »Sie ersparen mir die Unannehmlichkeit, sie selbst um die Ecke zu bringen. Für mich macht das keinen Unterschied.«

Kat erstarrte.

»Verdammtes Arschloch!« Bertrand begann, wild ins Gebüsch zu feuern, und Kat nahm das als ihr Stichwort, die Beine in die Hand zu nehmen.

Sie sprang auf und rannte mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch den Wald. Das Donnern wurde lauter, doch sie nahm sich nicht die Zeit, sich umzusehen, konnte es nicht, denn sie wusste, sie würde hinfallen, und wollte nicht sehen, ob sie ihr näher kamen. Sie spürte ihren Herzschlag bis zum Hals und hörte ihn in ihren Ohren. Sie rechnete damit, jeden Moment niedergeschossen zu werden, doch sie würde nicht kampflos aufgeben, nicht nach all der Zeit.

Sie rannte, so schnell sie konnte, umrundete Bäume und Felsen und rutschte wild über den Boden. Schreie und Stimmen und eine Salve von Schüssen erklangen hinter ihr, doch sie rannte weiter. Sie nahm das Donnern nun als widerhallendes Dröhnen wahr, dem sie nicht entkommen konnte, bis sie plötzlich zu hören glaubte, wie der Wind ihren Namen herantrug.

»Kat!«

Sie stolperte über Felsen, die aus dem Nichts zu kommen schienen, fiel hin und hatte den Mund voll Erde, rollte sich flink ab und kam wieder auf die Beine, bereit, durch die Bäume davonzustieben. Bis sie merkte, dass das Dröhnen kein Donner war und auch kein Hubschrauber, sondern ein Motorrad, das auf sie zuraste. Und der Fahrer? Ein großer blonder Hüne, den sie geglaubt hatte nie wiederzusehen.

Sie hatte viel zu große Angst, als dass sie Zeit gehabt hätte, über die Gründe nachzudenken, weshalb Pete zurückgekommen war. Als er sich näherte, sprang sie lediglich aus dem Weg, um ihm Platz zu machen. Er hielt das Motorrad nicht an, und sie zögerte keine Sekunde: Mit einer einzigen raschen Bewegung, als hätten sie das schon hundertmal geübt, ergriff er mit einer Hand ihren Arm und zog sie hinter sich auf den Sitz, als sie sich mit aller Kraft abstieß.

»Halte dich fest!«, schrie er.

Das tat sie. Sie fand die Fußrasten, schlang ihm beide Arme fest um die Taille und barg ihr Gesicht an seinem starken, muskulösen Rücken. Der Wind verfing sich in ihren Haaren, und sie rasten in die Tiefen des Parks hinein, fort von Minyawi und dem Tod, dem sie ein zweites Mal innerhalb weniger Stunden ins Auge geblickt hatten.

Und erst, als sie den Parkplatz am anderen Ende des Parks erreicht hatten, merkte sie, dass ihre Hände sich gar nicht an Petes Gürtelschnalle klammerten, sondern an das Unterteil eines Rucksacks, den er verkehrt herum vor seiner Brust trug.

Ihr Rucksack aus dem Auto.

Pete ließ den Motor der Honda aufheulen und kurvte durch die Straßen Philadelphias. Kats Finger an seiner Taille bohrten sich durch seine Jacke hindurch in seine Haut. Er wusste, dass sie verfolgt wurden. Als er die letzten beiden Male in den Rückspiegel gesehen hatte, war ein Stück hinter ihnen ein Motorrad gewesen.

Während sie sich durch den Verkehr schlängelten, begann der Motor zu stottern, und als er hinabblickte, stellte er fest, dass der Tank fast leer war. Dass das gestohlene Motorrad jetzt auf dem letzten Tropfen lief, passte ja wieder wie die Faust aufs Auge.

Als der Motor erneut hustete, bog Pete rasch in eine kleine Seitengasse. Er parkte, so gut es ging vor Blicken geschützt, hinter einem Müllcontainer, stellte den Motor ab und klappte mit dem Fuß den Ständer herunter.

Kat ließ seine Taille los und richtete sich auf. »Was ist denn los?«

»Kein Sprit mehr.« Er stieg ab, nahm den Rucksack auf den Rücken und ergriff ihre Hand. »Los, komm!«

Ohne zu widersprechen, hielt sie seine Hand fest und rannte mit ihm los. Die Gasse führte auf eine spärlich beleuchtete Straße. Die Dunkelheit senkte sich herab, während sie sich an Fußgängern vorbeidrängelten. Sie hielten sich in der mehr als abstoßenden Gegend dicht an den Gebäuden und versuchten, nicht aufzufallen.

Es funktionierte nicht. Minyawis Muskelprotz war immer noch hinter ihnen und kam schnell näher, und gemütlich den Gehsteig entlangzuschlendern, würde zu nichts führen. Als Pete das Röhren eines Motors hinter ihnen hörte, machte er sich gar nicht erst die Mühe, sich umzusehen. Er packte Kat fest bei der Hand und zog sie in die erstbeste offene Tür.

Qualm und Dunkelheit umgaben sie. Kat hustete im dichten Dunst, während Petes Augen und Ohren sich an die pulsierenden Lichter und den rhythmischen Bass zu gewöhnen versuchten, der aus in den Wänden versenkten Lautsprechern drang. Nachtclub, war sein erster Gedanke. Dann bezog er die Umgebung und die Uhrzeit in seine Überlegungen mit ein und wusste, dass ihm so viel Glück nicht beschert war. Und sein Verdacht bestätigte sich, als er Kat hinter sich her durch einen langen, dunklen Gang zog und ihnen eine spärlich bekleidete Frau entgegenkam: mit Strass besetztes Trägertop, ein schwarzer Rock, der kaum ihr Hinterteil bedeckte, und zwanzig Zentimeter hohe Plateauschuhe mit Spike Heels.

»Eintritt zehn Dollar«, verkündete sie. Ihr dunkles Haar war auf ihrem Kopf aufgetürmt, und ihr silbernes Oberteil bildete ein enthüllendes V bis hinunter zu ihrem Bauchnabel.

Alles andere als dein Nachtclub um die Ecke.

Kat machte große Augen, als auch ihr klar wurde, wo sie sich befanden. Aber als die Tür um die Ecke aufgerissen wurde und ein kalter Windstoß durch die Eingangshalle fegte, drängte sie Pete vorwärts. »Na los, bezahl schon!«

Der Hundertfünfzig-Kilo-Türsteher, der wie ein Linebacker der Eagles gebaut war, beäugte sie, als hätte er ihre Situation mit einem sechsten Sinn genauestens erfasst. Wenn man an einem solchen Ort arbeitete, hatte man zweifellos schon alles gesehen. »Wir wollen hier drin keinen Ärger.«

Pete nickte, zog einen Zwanzigdollarschein aus der Gesäßtasche, schickte ein Dankgebet zum Himmel, als er merkte, dass der Kerl sie nicht abtasten wollte, und klatschte das Geld auf den hohen Tresen. »Wir sind nur zu unserem Vergnügen hier.« Er wartete nicht ab, bis die Frau einen Stempel auf ihr Handgelenk gedrückt hatte, sondern packte Kat und zerrte sie um die Ecke ins Herz des Striplokals.

Sie blieben kurz stehen, um sich zu orientieren. Hier drin war der Rauch noch dichter, die Musik ein rhythmisches Dröhnen, das es unmöglich machte, Gespräche um sie herum zu verstehen. Neonlichter pulsierten auf dem Boden des Clubs und strahlten die drei erhöhten Bühnen an, auf denen sich Mädchen in verschiedenen Entkleidungsstadien für vor ihnen sitzende Männer und auch Frauen drehten und wanden.

Kats Fingernägel bohrten sich in Petes Handfläche, und er warf ihr einen Blick zu. Mit aufgerissenen Augen ließ sie alles auf sich wirken, und er wusste, wenn er nicht schleunigst etwas unternahm, würde sie ziemlich schnell die unerwünschte Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich ziehen.

Er ergriff ihre Hand und zog sie mit sich, denn er wusste, dass es hier einen Ort gab, an dem sie sich unsichtbar machen und der ihnen den Hintern retten konnte. Stripschuppen waren auf der ganzen Welt gleich. Er war oft genug in welchen gewesen und hatte dort Geschäfte mit zwielichtigen Händlern gemacht, die er in Miami keines Blickes gewürdigt hätte.

Der VIP-Bereich befand sich eine Etage weiter oben, etwas zurückversetzt auf einer Galerie, von der aus man das Treiben unten beobachten konnte. Er führte Kat die Wendeltreppe hinauf und bemühte sich, im Dunkeln dicht an der Wand zu bleiben. Als sie in das Obergeschoss kamen, zeigte er auf die erstbeste Tänzerin, die aus der Tür trat und sagte: »Du bist genau richtig. Los, da hinein!«

Sie musterte ihn von oben bis unten, während sie sich ihr hautenges feuerrotes Kleid zurechtzog. Dann warf sie einen Seitenblick auf Kat, und ein wissendes Lächeln glitt über ihr stark geschminktes Gesicht. »Aber sicher, mein Großer. Soll ich für dich tanzen oder für sie?«

Kat zuckte neben ihm zusammen und machte den Mund auf, um zu protestieren, doch ihre Worte wurden durch einen lauten Krawall unter ihnen abgeschnitten.

Pete näherte sich dem Geländer, um hinunterzuspähen. Sein Adrenalinspiegel stieg abrupt an. »Scheiße«, murmelte er.

Beunruhigung malte sich auf Kats Gesicht, und sie trat näher, um selbst hinunterzusehen. Ihr Puls hämmerte unter der Haut ihrer Hand, die sich immer noch fest in seine presste, als sie den bullig aussehenden dunkelhaarigen Mann mit einem der Rausschmeißer diskutieren sah, an denen sie selbst beim Eintreten vorbeigekommen waren. Nicht Minyawi oder Busir, aber auf jeden Fall einer ihrer Kumpane von Slades Grundstück.

Ehe Pete reagieren konnte, zerrte Kat ihn vom Geländer weg und lief schnurstracks auf das Separee zu. »Für ihn. Ich seh zu.«

Pete fiel beinahe über seine eigenen Füße, sowohl wegen ihrer klaren Worte, als auch, weil sie ihn hinter sich herzog wie eine Frau, die eine Mission hat, doch er schaffte es gerade noch, den Kopf zu schütteln, als Kat ihn in den Raum zerrte. »Nein, du tanzt für sie.«

Er war zu dem Schluss gekommen, dass das alles in allem sicherer war. Er würde nicht so abgelenkt sein und konnte die Tür im Auge behalten, nur für den Fall der Fälle. Außerdem wollte er nicht, dass die Stripperin aus Versehen die Pistole fand, die im Bund seiner Jeans steckte.

Ein weiterer NFL-reifer Rausschmeißer schloss die Tür hinter ihnen und verschwand in der Dunkelheit. Die Blonde mit dem hautengen Kleid zeigte auf ein Plüschsofa in der hinteren Ecke. Zwei andere Tänzerinnen verdienten sich dort gerade eine Stange Geld, indem sie ihre Hüften und nackten Brüste zur Unterhaltung der vor ihnen sitzenden Männer schüttelten. Niemand schien Notiz davon zu nehmen, dass sie den Raum betreten hatten.

Es sprach für Kat, dass sie es schaffte, nicht schockiert auszusehen, dennoch warf sie Pete einen Blick über die Schulter zu, der zu sagen schien: Was soll dieser Mist?, und starrte auf die Couch und dann auf die Tänzerin, die dicht hinter ihm folgte.

Und Pete nutzte die Gelegenheit, sich selbst ein dickes fettes Was soll der Mist? an den Kopf zu werfen. Noch bis vor vierundzwanzig Stunden hatte er ein ziemlich gewöhnliches Leben geführt. Arbeit und hier und da eine Verabredung oder eine Party. Nichts übermäßig Aufregendes, abgesehen von ein paar geschäftlichen Überseereisen pro Jahr. Aber selbst die waren harmloser geworden und immer seltener, je mehr er sich zusammengerissen hatte.

Und jetzt war er auf der Flucht vor einem gemeingefährlichen Irren und kurz davor, seiner Traumfrau, von der er angenommen hatte, sie sei tot, dabei zuzusehen, wie eine namenlose Blondine, die ihn kaum weniger interessieren konnte, einen Lap Dance für sie vollzog. Verdammt, das war so gar nicht das, was er sich vorgestellt hatte, als er gestern Abend in die Limousine gestiegen war und sich nach einer Veränderung gesehnt hatte.

Seine Nerven pulsierten, als das Tempo der Musik wechselte und er sich auf das Sofa setzte, so nah an Kat, um den Schein des Paares zu wahren, das sich ein bisschen in der Stadt vergnügen wollte, aber weit genug entfernt, dass er an der Tänzerin vorbei zur Tür sehen konnte. Er ließ den Rucksack zu seinen Füßen fallen und konnte hören, wie Kat scharf einatmete, als die Blondine sich nach vorn beugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte, das er nicht verstand.

Er blickte zu ihr hin und sah, wie Kat große Augen machte, während sie mit einem leichten Kopfschütteln antwortete und ihm einen flüchtigen Blick zuwarf. Doch die Tänzerin lächelte nur wissend und wich zurück. Dann fuhr sich die Frau langsam mit der Zunge über die Lippen und zwinkerte Pete zu, als die Show begann und ihre Hüften anfingen, sich zum Rhythmus der Musik zu bewegen.

Sein Blut erhitzte sich. Er wusste, dass irgendwo da unten ein potenzieller Killer war, doch Kats Reaktion auf das, was die Tänzerin ihr ins Ohr geflüstert hatte, erzeugte eine unglaubliche Spannung in seinen Lenden. Aus der Art, wie sie ihn angesehen hatte, schloss er, dass es offensichtlich etwas mit ihm zu tun gehabt hatte, aber, verflucht noch mal, er konnte sich nicht vorstellen, was die Frau gesagt haben konnte, das Kat derart die Röte in die Wangen hatte schießen lassen.

Oder vielleicht konnte er es doch. Sein Blut wurde kochend heiß, als unvermittelt erotische Bilder vor ihm aufblitzten.

Oh nein! Das war eine wirklich blöde Idee gewesen.

Die Musik schwoll an und riss ihn aus seinen Gedanken. Die Blondine bewegte ihre Hüften wellenförmig im Rhythmus und ließ ihre Hände an ihrem Oberkörper hinaufgleiten, um ihre kaum bedeckten Brüste zu umschließen und mit ihnen zu spielen. Mit geschlossenen Augen rollte sie ihren Kopf zur Seite und löste die Spange aus ihrem Haar, sodass sich ihre langen blonden Locken in einer verführerischen Bewegung über ihre Schultern ergossen, die höchstens jemanden kaltgelassen hätte, der impotent war. Ihre Hände glitten tiefer, über ihren Unterleib, langsam, Zentimeter für Zentimeter, bis sie schließlich die Beine spreizte und sich vorlehnte, um ihnen einen aufreizenden Blick auf ihr chirurgisch vergrößertes Dekolleté zu gewähren, und sich die Innenseite ihrer Oberschenkel rieb, als würden sie brennen. Mit einer wohlberechneten und geübten Bewegung hob sie einen mit einem Stiletto bekleideten Fuß und stellte ihn rechts von Kat auf die Armlehne.

Petes Jeans wurden verdammt eng. Aber nicht wegen der Blonden oder dessentwegen, was sie tat. Nein, er nahm sie kaum wahr. Stattdessen hingen seine Augen nur an Kat und ihrer Reaktion auf das, was sie sah. Ihre Augen waren so groß wie Untertassen, der geöffnete Mund formte ein kleines »o« und, völlig gebannt von der Szene, beobachtete sie die Tänzerin vor sich. Ein- oder zweimal rutschte sie in den Sofakissen hin und her, als fühlte sie sich nicht wohl bei der Sache, doch sie blinzelte kaum. Und die Blicke, die sie ihm immer wieder zuwarf, als versuchte sie, seine Reaktion abzuschätzen, während die Stripperin sich wand und die Hüften hin und her schwang, heizten ihm nur von Sekunde zu Sekunde mehr ein.

War sie je zuvor in einem Striplokal gewesen? Er wusste es nicht. Doch wie sie sich die Lippen leckte und sich ihre Schneidezähne in die Unterlippe gruben, das brachte ihn fast um den Verstand.

Verdammt, das konnte er wirklich nicht brauchen. Er musste die Tür beobachten, nicht sie. Er versuchte wegzusehen, doch dann drehte sich die Stripperin um, beugte den Oberkörper nach vorne, zog ihr Kleid die Oberschenkel hinauf und gewährte ihnen beiden einen freien Blick auf ihren winzigen Stringtanga. Kats Augen wurden noch größer. Die Blondine fuhr sich mit der Hand die Rückseite ihres Schenkels hinunter und sah sich mit einem gespielt verschämten Lächeln nach Kat um. Dann ließ sie ihre Hände zu ihrem Hintern hinaufwandern und wippte mit den Hüften im Rhythmus auf und ab.

Kat sah ihn direkt an, und ihm entging nicht das unmissverständliche Aufblitzen von Erregung in ihren Augen. Er hätte tot sein müssen, um nicht die Elektrizität zu spüren, die zwischen ihnen durch die Luft zischte. Wie als Antwort darauf stand seine Erektion mit einem Ruck stramm, und er fragte sich, ob sie an ihn dachte, als sie schluckte und ihre Augen langsam wieder zu der Tänzerin zurückwanderten.

Er konnte es nicht sagen. Doch als sie ihre Jacke öffnete, die Hand zu dem silbernen Medaillon hob, das sie um den Hals trug, und mit den Fingern über das warme Metall und den Rand ihres weißen T-Shirts rieb, wusste Pete, dass er verloren war. Er hätte nicht wegsehen können, selbst wenn sein Leben davon abgehangen hätte.

Sie beschrieb sachte, träge Kreise auf ihrer Pfirsichhaut und rutschte jedes Mal ein paar Millimeter weiter runter auf ihre üppige Brust zu, bis Pete glaubte zu explodieren. Die ganze Zeit berührte sie sich selbst, als hätte sie keine Ahnung, was ihre Finger da mit ihr taten. Irgendwann merkte Pete, dass die Stripperin ihr Kleid von sich geworfen hatte, doch er nahm kaum Notiz davon. Die Hitze färbte nun Kats Wangen, und die Erregung, die er in ihrem Gesicht sah, zwang ihn, sich selbst anders hinzusetzen, um den Schmerz seiner Erektion zu bändigen.

Vielleicht war es die Musik. Vielleicht war es die Tatsache, dass sie um ihr Leben rannten und beide zweifellos genug Adrenalin im Blut hatten, um eine kleine Stadt mit Energie zu versorgen. Sehr wahrscheinlich waren es die sexgeladene Atmosphäre und die sich wiegende Frau vor ihnen, die alles änderten. Aber aus welchem Grund auch immer: Als Pete zusah, wie sich die Stripperin immer weiter auf Kat zubewegte und für sie ihren mit Sicherheit allerersten Lap Dance vollführte, wollte er sie immer noch.

Er mochte jeden Grund der Welt haben, immer noch sauer auf sie zu sein, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass er wollte, dass sie auf der Stelle so für ihn tanzte. Er wollte, dass sie mit ihren nackten Brüsten über sein Gesicht streifte, dass ihre Hände über seine Schultern streichelten, ihr Hintern sich an seiner Erektion rieb. Und er wollte, dass sich ihr Mund fest auf seinen presste, während er tief in sie hineinstieß.

Tausende von Visionen von ihnen beiden zusammen stürzten auf ihn ein und lösten eine Welle von Erinnerungen daran aus, wie sie sich in ihren gemeinsam verbrachten Monaten geliebt hatten. Langsam und sinnlich, bei Kerzenschein in einer Nacht, ungestüm und rau in der nächsten, als er an nichts anderes hatte denken können, als so schnell wie möglich in sie zu dringen. Er schluckte schwer, als er weiter beobachtete, wie sich ihre Brüste unter ihrem T-Shirt hoben und senkten und ihre Atmung immer flacher wurde.

Die Blondine stieg rittlings über Kat und beugte sich dicht zu ihr. Ihre nackten Brüste streiften Kats von Baumwollstoff bedeckte, und wieder flüsterte sie Kat etwas ins Ohr. Wie gebannt rutschte Pete ein Stück, um besser zusehen zu können.

Was die Frau auch immer zu ihr sagte: Als Kat es hörte, bekam ihr Gesicht die Farbe rubinroten Weins, und sie drehte blitzschnell den Kopf, um in seine Richtung zu sehen. Gefühle spiegelten sich in ihrem Gesicht wider, und ein Verlangen, wie er es seit Jahren nicht gesehen hatte, flackerte in den Tiefen ihrer Augen auf. Und, oh ja, er wusste, jetzt dachte sie an ihn.

Dann umfasste die Tänzerin Kats Wangen, drehte ihr Gesicht wieder zu sich und streifte mit ihren Lippen sanft über Kats. Kat zuckte zusammen, und ihre Augen wurden riesengroß, doch sie wehrte sich nicht gegen den zärtlichen Kuss.

Pete dagegen kam beinahe.

Und mit einem Schlag war der Tanz vorbei.

Die Musik klang aus, und die Blondine lehnte sich mit einem triumphierenden Lächeln zurück, als sie nach ihrem Kleid am Boden griff. »Na, mein Großer, hat dir die Show gefallen?«

Verdammt, und wie!

Pete setzte sich auf und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Gott, er war nass geschwitzt. Und so geil, dass er kaum still sitzen konnte. Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass die Stripperin, die sich jetzt wieder anzog, zum Schluss nichts weiter angehabt hatte als die Stilettos und den String, aber das interessierte ihn nun nicht mehr. Die einzige Frau, für die er sich interessierte, begann plötzlich den Teppich zu betrachten, als könnte der sie jeden Moment anspringen und beißen.

Und er war sich nicht ganz sicher, ob er das nicht tun würde. Wenn er sich überlegte, was hier gerade passiert war, hielt er allmählich alles für möglich.

Er stand auf und achtete darauf, seine Hüften und den in seiner Hose wütenden Steifen aus Kats Blickfeld zu drehen, während er ein Bündel Bargeld aus der Hosentasche zog. Er hatte keine Ahnung, wie viel er der Blondine gab, doch im Moment konnte er nicht klar genug denken, um zu zählen. Er musste seine ganze Denkfähigkeit für Techniken des Druckabbaus aufbringen.

»Hat dieser Raum eine Hintertür?«, fragte er. Seine Stimme klang rau, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er bis zum Maximum angetörnt war. Er hustete, um es zu verbergen, wusste jedoch, dass ihn das auch nicht normaler klingen ließ. Die Stripperin lächelte voller Stolz, als sei alles ihr Verdienst, was es jedoch nicht war.

Nicht annähernd.

Er wartete, und die Blondine sah hinunter, um die Geldscheine in ihrer Hand zu zählen, und riss dann die Augen auf, als wäre sie gerade auf eine Goldader gestoßen. »Na klar, die Tür da.« Sie deutete mit dem Kopf auf etwas, das Pete für nichts weiter als eine Wand gehalten hatte.

Nein, nicht bloß eine Wand. Eine gut getarnte Tür, die vermutlich benutzt wurde, um die Typen, die mit den Fingern guckten, aus dem VIP-Bereich hinauszubefördern. Vielleicht wendete sich ihr Blatt doch noch zum Guten.

Kat stand auf und bemühte sich, keinen von beiden anzusehen, während die Blondine eine Visitenkarte hervorzog, die sie wie Houdini unsichtbar in ihrem Kleid untergebracht gehabt hatte, und sie Pete in die Jackentasche steckte. »Ich tanze auch privat.« Sie blickte zu Kat hinüber und zwinkerte ihr zu. »Sie gefällt mir. Wenn sie mal bereit dazu ist, ein bisschen wilder zu werden, ruf mich an. Ich stehe auf Dreier.«

Kats große Augen schnellten hoch, hefteten sich auf das Gesicht der Stripperin und sprangen dann rüber zu Pete. Er hatte keinen blassen Schimmer, was sie dachte, als ihre Wangen rote Flecken bekamen, doch als sie eilig auf die versteckte Tür zustürzte, wusste er, dass er lieber nicht mehr herumtrödeln, sondern ihr schleunigst folgen sollte.

Mit einem lauten Knall schlug die Tür hinter ihnen zu. Ein langer weißer Gang erstreckte sich vor ihnen und bildete einen krassen Kontrast zu dem dämmerigen Raum, in dem sie sich eben noch befunden hatten. Pete blinzelte ein paarmal, bis seine Augen sich angepasst hatten. Gedämpfte Musik drang von der anderen Seite der Wände aus der dröhnenden Anlage des Clubs zu ihnen. Als sie die Hälfte des Flurs hinter sich gelassen hatten, blieb Kat abrupt stehen und fuhr herum, um sich ihm in den Weg zu stellen.

Jetzt würde es losgehen. Mist!

Er wappnete sich gegen ihre Entrüstung darüber, was er ihr gerade angetan hatte, aber anstatt ihn mit einem Wortschwall zu attackieren, erschreckte sie ihn zu Tode, indem sie ihn an den Jackenaufschlägen packte, ihn rücklings gegen die Wand warf und ihren Mund über seinem schloss in einem Kuss, der ihn beinahe in die Knie zwang.

Das Blut wich ihm aus dem Kopf und stürzte wieder Richtung Lenden, wo es sich von Neuem sammelte. Und jeder rationale Gedanke über Lügen und Verrat und Möchtegernkiller löste sich in Luft auf. Alles, woran er denken konnte, war sie und das, was sie gleich mit ihm tun würde.

Er hoffte nur, dass sie es schnell tun würde, ehe ihm ein Grund einfiel, Nein zu sagen.