26

Für einen Mann, der gerade die Karte eingelöst hatte, auf der stand Gehe in das Gefängnis, begib dich direkt dorthin, gehe nicht über Los, ziehe nicht zweihundert Dollar ein, war er erstaunlich gefasst. Nachdem er alle Papiere, die sein Anwalt ihm gefaxt hatte, unterschrieben und wieder in das Faxgerät gesteckt hatte, nahm Pete noch einmal das Telefon und wählte die Nummer desjenigen, von dem er wusste, dass er im Dreieck springen würde, wenn er die Neuigkeiten hörte.

Es klingelte dreimal, ehe Rafe Sullivan in Puerto Rico abnahm und schlaftrunken und leicht sauer klang, dass man ihn nachts um – Pete warf einen Blick auf die Uhr – halb zwei aus dem Bett holte. »¿Que?«, brummte Rafe.

Trotz allem entlockte es Pete ein mattes Lächeln. »Ich hoffe, diese angeschlagene Stimme bedeutet, dass du geschlafen hast und nicht gerade dabei warst, deine Lady zu vernaschen.«

Ein leises Lachen drang durch die Leitung, dann ein Rascheln von Stoff, als drehe Rafe sich im Bett um. »Letzteres habe ich bereits gemacht. War gerade auf einem guten Weg zu Ersterem, als du mich so unsanft unterbrochen hast. Wo bist du, Junge?«

Pete grinste. Verdammt, er würde seinen besten Freund ernsthaft vermissen, wenn alles gesagt und getan war.

Im Hintergrund konnte er Lisas Stimme erkennen, die fragte: »Wer zum Henker ist das?«

»Schon gut, querida«, sagte Rafe in gedämpftem Tonfall. »Es ist bloß Pete. Schlaf weiter!«

Ächzen und weiteres Herumrutschen waren zu hören, dann das Klappen einer Tür, irgendwo in der Ferne.

»So, jetzt kann ich reden«, sagte Rafe mit kräftigerer Stimme. Schritte klangen durch die Leitung, und Pete stellte sich vor, wie Rafe durch das große Haus ging, das er und Lisa in Puerto Rico gekauft hatten, wo sie die Schwester der Odyssey-Galerie in San Juan aufbauten. Gähnend sagte er: »Wir waren den ganzen Tag im Krankenhaus. Lisa ist fix und fertig.«

Pete schnürte es derart die Brust zusammen, dass ihm seine eigenen Probleme plötzlich lachhaft vorkamen im Vergleich zu dem, was Rafe durchmachte. »Wie geht es Teresa?«

Rafe stieß einen schweren Seufzer aus, der verriet, dass die Situation einfach nur schrecklich war. »Sie hält durch. Jedes Mal, wenn ich denke, o.k., das war’s, passiert irgendwas, und sie lebt wieder auf. Sie hat nach dir gefragt.«

Pete beugte sich vor und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Du weißt doch, dass ich da wäre, wenn ich könnte, oder? Mann, ich bin nur « Er zögerte, unsicher, was er sagen sollte. Als er seine Eltern und seine Großeltern verloren hatte, war das lange nicht so schlimm gewesen, vor allem, weil er ihnen nicht besonders nahegestanden hatte. Teresa hatte so eine Art, jedermanns Herz zu erobern. Man konnte gar nicht anders, als Rafes Mutter zu lieben. Jeder liebte sie.

»Ist schon gut, Kumpel. Ich weiß. Dein Anruf bedeutet mir trotzdem viel. Aber ich muss auch sagen, wenn das alles mit Mamá nicht wäre, würde ich im nächsten Flieger nach New York sitzen. Das weißt du auch, oder?«

Gerührt lächelte Pete wieder. »Hailey hat geplaudert, was?«

»Da kannst du einen drauf lassen. Sie macht sich Sorgen um dich. Und Lisa genauso. Wir alle, um genau zu sein. Mensch Pete, was ist denn bloß los?«

Pete rieb sich mit der Hand die Augen. Augen, die hundemüde und wund vor lauter Schlafmangel waren. »Hailey hat dir von Kats Halsschmuck erzählt, ja?«

»Ja. Sie meinte, dass ihr beide hinter diesem Ding her seid. Und was soll ich sagen: Heiliges Kanonenrohr, ist diese Frau wirklich am Leben?«

Das entlockte Pete ein widerwilliges Lächeln. Er hatte Rafe von Kat erzählt. Ein Mal. Als er sturzbetrunken gewesen und so sehr in Selbstmitleid versunken war, dass er seine große Klappe nicht hatte halten können. Offenbar hatte Rafe es nicht vergessen. »Ja, sie lebt. Ich habe Maria kurz vor der Auktion den Anhänger gegeben. Und wie sollte es anders sein – sie hat ihn nicht mehr.« Er erzählte Rafe von dem Einbruch im Lager und seinem Verdacht, wer dahintersteckte.

»Herrgott noch mal. Ihr könnt nicht ewig vor diesen Typen weglaufen«, sagte Rafe in vollem Ernst. »Wir sprechen hier von abgebrühten Dschihad-Extremisten. Von der Sorte, die Leute aus nächster Nähe abknallen und sich einen Dreck darum scheren, wer überlebt und wer stirbt, sogar, wenn es um sie selbst geht.«

»Ich weiß. Glaub mir, ich habe das selbst alles tausendmal durchgekaut. Sie muss sich den Behörden stellen. Es ist ihre einzige Chance.«

»Und was bedeutet das?«, fragte Rafe.

Nun war es an Pete, einen tiefen Seufzer auszustoßen. »Das bedeutet, du musst mir einen Gefallen tun.«

»Du weißt, dass ich alles für dich tun würde, Pete. Was brauchst du?«

Pete überlegte kurz und sagte dann zögernd: »Ich hab dir gerade gefaxt, was ich brauche.« Wieder hörte er Schritte, als ginge Rafe in sein Büro, dann das Rascheln von Papier, als zöge er es aus dem Faxgerät. Ehe sein Freund irgendetwas sagen konnte, fügte Pete hinzu: »Versuche nicht, es mir auszureden. Jerry und ich sind bereits alles durchgegangen. Ich weiß genau, was ich tue.«

»Verdammte Scheiße!« Das Quietschen von Federn, offenbar von Rafes Bürostuhl, war durch die Leitung zu hören. »Sag, dass das ein schlechter Witz ist!«

»Kein Witz, Rafe. Alles geht an sie. Jerry transferiert mein ganzes Vermögen auf Konten, die auf ihren Namen laufen. Ich habe ihr Odyssey bereits überschrieben und dir und Jerry eine Kopie gefaxt. Jerry hat mir versichert, dass die Niederlassung in Puerto Rico aufgrund der Art unseres Partnerschaftsvertrages nicht davon berührt wird. Das Gebäude gehört uneingeschränkt dir und Lisa. Jede Verbindung zur Galerie in Miami besteht nur dem Namen nach.«

»Pete, Mist, hör zu –«

»Es wird brenzlig für mich, aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Alles, woran ich möglicherweise meine Beteiligung zugeben werde, ist lange vor unserer Partnerschaft geschehen. Und seitdem läuft es immer ziemlich geradlinig. Nichts, was du je getan hast, kann zu mir oder Odyssey zurückverfolgt werden. Das FBI wird vermutlich versuchen herumzuschnüffeln. Ich will nur, dass du gewarnt bist. Ich werde nichts preisgeben, das auch nur im Entferntesten mit dir zu tun hat. Das würde ich nie tun.«

»Ich weiß. Gott. Das ist gibt es denn keine andere Möglichkeit?«

Pete stützte sich mit dem Ellenbogen auf den Schreibtisch. »Das wünschte ich mir sehr, aber mir fällt keine ein. Wenn Kat sich alleine stellt, werden die vom FBI sie in der Luft zerreißen. Sie hat schon genug durchgemacht.« Mit weicherer Stimme fügte er hinzu: »Ich habe den Deal mit Slade schon gemacht, Rafe, es hat also keinen Sinn, es mir ausreden zu wollen.«

Stille. Dann fragte Rafe, »Ist sie es wert?«

»Ja.«

»Ohne Einschränkung?.«

»Ja.«

»Gut, Pete. Du wirst wahrscheinlich eine Weile sitzen müssen.«

Pete rieb sich mit einer Hand über den Mund. »Ja, ich weiß.«

»Und, verdammt noch mal, wenn du dann rauskommst, hast du gar nichts.«

Das wusste Pete auch. Seine Zukunft war eine riesige schwarze Leere. Alles, wofür er gearbeitet hatte, dahin. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie ihn hinter Gitter bringen würden, doch eins wusste er mit Sicherheit: Er schuldete ihr viel. Das hier war seine einzige Chance, zu versuchen, alles wiedergutzumachen. Wenn er die Sache mit ihr nicht so dermaßen verbockt hätte, würde sie jetzt nicht in diesem Schlamassel sitzen.

Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her und hoffte, es seinem Freund begreiflich machen zu können. »Eine Frage, Rafe. Wenn es hier um Lisa ginge, wenn sie die Wahl hätte, entweder für den Rest ihres Lebens davonzulaufen oder von den Behörden fertiggemacht zu werden für etwas, das sie nicht getan hat, was würdest du tun?«

Schweigen.

Schließlich seufzte Rafe. »Ich würde alles tun, um sie zu schützen. Ich würde dafür alles aufgeben, was ich habe. Ich würde sogar meine Freiheit für sie opfern. Keine Frage.«

Pete schloss die Augen und unterdrückte den aufwallenden Gefühlsrausch. Sein Leben war bisher vielleicht ziemlich daneben gewesen, doch es gab zwei Menschen, die es zum Besseren verändert hatten. Einer davon schlief ein Stockwerk weiter oben. Der andere befand sich am anderen Ende der Leitung.

»Ich muss dich um noch einen Gefallen bitten.« Pete massierte sich den Nasenrücken und kniff die Augen fest zusammen, um sich nicht wie die sentimentale Heulsuse anzuhören, zu der er allmählich wurde. »Ich werde nicht da sein, um dafür zu sorgen, dass sie keine Schwierigkeiten bekommt. Und sie hat ein gewisses Talent dafür.«

»Ich werde ein Auge auf sie haben. Sie könnte Odyssey verkaufen«, gab Rafe zu bedenken.

Pete ließ die Hand sinken. »Sie gehört ihr, und sie kann damit tun, was sie will. Wenn sie verkaufen will, versuche nicht, sie davon abzuhalten. Es ist mir egal.«

»Großer Gott, Pete! Du warst nur zwei Tage mit ihr zusammen.«

Sechs Jahre, sechs Monate und zweiundzwanzig Tage, um genau zu sein. Pete wünschte nur, er könnte die letzten zwei Tage noch einmal zurückdrehen.

»Du musst sie wirklich lieben«, sagte Rafe ruhig, als Pete nicht antwortete.

Pete blickte zur Decke, dahin, wo er sich Kat schlafend vorstellte. Und sein Herz wurde fest zusammengedrückt. »Du denkst, ich verhalte mich wie ein Vollidiot, stimmt’s?«

»Nein, ich denke, du verhältst dich menschlich.«

Pete rechnete es Rafe hoch an, dass er nicht versuchte, ihm seine Entscheidung wieder auszureden, und als sie ein paar Minuten später auflegten, wusste Pete, dass sein Freund alles tun würde, worum er ihn gebeten hatte. Selbst inmitten der Turbulenzen aufgrund der Krankheit seiner Mutter gehörte Rafe zu der Sorte Freunde, auf die man sich verlassen konnte. Selbst wenn er der Meinung war, dass man sein bisschen Verstand verloren hatte.

Es war lange nach zwei Uhr morgens, als Pete schließlich das Licht ausmachte und auf die Treppe zuging. Nachdem er seine Entschlüsse gefasst hatte, gab es noch eine Person, mit der er reden musste, ehe der Morgen hereinbrach und sein Deal mit Slade Wirklichkeit wurde.

Hanif Busir blickte von dem schäbigen Sofa auf, auf dem er saß, und beäugte Minyawi am anderen Ende des Raums. Durch den Schlafmangel der letzten Tage, viel zu viele Fahrten und Flüge und vergebliche Versuche, eine lächerliche Ägyptologin auszutricksen, war er mit seinen Nerven völlig am Ende.

Sie hatten sich in einer Absteige von einem Motel irgendwo in Newark verkrochen und warteten auf Neuigkeiten von Kalim. Die Zimmerwände waren von einem schmuddeligen Gelb, und der schale Gestank von Zigarettenkippen schien allmählich in Busirs Poren einzusickern. Aber das war es nicht, was ihn bis aufs Blut reizte. Nein, es war der Blick nackter Boshaftigkeit in Minyawis kohlschwarzen Augen, während er Lauren Kauffman betrachtete, die, geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt, auf dem Boden in der Zimmerecke lag, mit einer tief auf den Hüften sitzenden Stoffhose und sich stramm über die selbstbewusste Brust spannenden Bluse.

Ein widerliches Verlangen stand in seinem Gesicht, gepaart mit der Art von Rausch, der Vergewaltiger und Serienmörder antrieb. Busir hatte gehört, was Minyawi mit Frauen und Kindern gemacht hatte, die ihm im Laufe der Jahre in die Quere gekommen waren. Ebenso anschauliche wie abstoßende Schilderungen darüber, wie Minyawi sich daran ergötzte, andere zu quälen. Er wusste auch, dass dieser Mann etwas ähnlich Schreckliches für Katherine Meyer geplant hatte. Doch während sie warteten, schien er darüber nachzudenken, an dem blonden Model in der Zimmerecke schon einmal zu üben. Und das passte Busir überhaupt nicht.

Sie war ein paarmal wieder zu sich gekommen, als die Drogen aufgehört hatten zu wirken, doch jetzt schlief sie wieder, den Kopf zur Seite gedreht und an die schmutzige Wand gelehnt. Ihre Atemzüge waren langsam und gleichmäßig, und ihre perfekten Brüste hoben und senkten sich rhythmisch. In ihrem Gesicht zeichneten sich frische blaue Flecken ab, die sie sich durch ihre Gegenwehr eingehandelt hatte, die letztendlich erfolglos geblieben war, was sie allerdings nicht gebremst hatte. Die Frau war eine Kämpferin.

Natürlich bedeutete sie Busir nichts. Es war ihm absolut egal, ob sie überlebte oder starb, aber Kalim hatte ihnen deutliche Anweisungen gegeben, sie in Ruhe zu lassen. Und Busir wollte nichts tun, was diesen Schlag versauen könnte, damit sie ihren Scheißjob endlich beenden konnten. Er hatte nicht die geringste Lust, zuzusehen, wie Minyawi das Mädchen zur Befriedigung seiner eigenen, perversen Neigungen benutzte, und das Ganze Kalim später erklären zu müssen.

Doch allmählich hatte er den Verdacht, dass er beides würde tun müssen, wenn nicht bald etwas geschah.

Minyawi stand von seinem Platz auf dem Bett gegenüber auf, starrte Lauren Kauffman an und bewegte sich auf sie zu. Er kauerte sich dicht neben sie und fuhr ihr mit dem Finger den Hals hinunter, über ihr Schlüsselbein, tiefer zu ihrem Brustansatz. Mit geschlossenen Augen und noch halb unter Drogen, stöhnte das Model und versuchte von der grabschenden Hand zurückzuweichen. Minyawi lachte nur in sich hinein.

Rasch stand Busir auf. »Kifaaya! Rühr sie nicht an!«

Minyawi wandte seine seelenlosen Augen Busir zu und spannte die Kiefer an. »Was hast du zu mir gesagt?«

»Wir sollen ihr nichts tun.«

»Ich werde ihr nichts tun«, sagte Minyawi mit eisiger Stimme und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Model. »Ich werde mich bloß ein bisschen mit ihr vergnügen.« Seine Hand glitt hinunter zur Hose des Models, und mit dem Finger zog er die Baumwolle weiter ihre Hüften hinunter und enthüllte ihre helle Haut.

Minyawis Lachen wurde tiefer. Und Busir sah die Chance, diesen beschissenen Auftrag endlich zu beenden, geradewegs den Bach hinuntergehen, und das nur wegen Minyawis Unüberlegtheit und Unberechenbarkeit. Wutentbrannt und ohne richtig nachzudenken, ging er auf Minyawi los, trat ihm in die Nierengegend und machte sich auf einen ehrlichen Faustkampf von Mann zu Mann gefasst. Er hatte genug von diesem Typen und all den Chancen, die sie schon vertan hatten.

Minyawi ging rasch zum Angriff über, doch womit Busir nicht gerechnet hatte, war das Messer, das Minyawi an den Oberschenkel geschnallt trug. Metall blitzte auf, kurz bevor die Klinge Busirs Hals aufschlitzte und ein Blutschwall aus seinem Körper schoss.

Er sank auf die Matratze. Ungläubig. Erstarrt. Die Augen weit aufgerissen, als er an seinem eigenen Blut schluckte.

Minyawi starrte auf ihn hinab und wischte sich die Messerklinge an seiner schmutzigen Tarnhose ab. »Niemand sagt mir, was ich zu tun habe.«

Dumpf hörte Busir ein Telefon klingeln und sah trotz der über ihn hereinbrechenden Dunkelheit, wie Minyawi sein Handy ans Ohr hob.

»Ja«, sagte Minyawi mit fester Stimme, die Augen immer noch auf Busir gerichtet. »Bist du sicher? Sie sind allein in Dr. Gotsis Wohnung?« Ein triumphierendes Lächeln machte sich langsam auf seinem Gesicht breit, als er nickte. »Wir werden bald da sein. Busir? Nein. Er ist im Moment verhindert. Ja. Wir werden es heute Nacht beenden. Das garantiere ich dir.«

Busir machte den Mund auf, um loszubrüllen, doch im selben Augenblick wurde es für immer still um ihn.

Okay, das Maß war voll!

Kat schlug die Decke des gigantischen Himmelbetts zurück, knipste die Nachttischlampe an und wand sich unter den Laken hervor. Die Uhr am anderen Ende des Raums zeigte 2:10, als sie ihre Jeans überstreifte und in ihre Schuhe schlüpfte.

Sie hatte zwei Stunden dagelegen, dem Rauschen des Regens zugehört, der auf die Stadt niederprasselte, und auf Gott weiß was gewartet. Sie hatte genug vom Warten.

Von der verschnörkelten viktorianischen Einrichtung mit ihren Beinen im Queen-Anne-Stil und dieser alles umgebenden, zarten Rosentapete wurde ihr leicht schwindelig. Und jedes Mal, wenn sie zu dem Spitzenbaldachin über dem Monsterbett emporblickte, in dem sie gelegen hatte, mit seinen kunstvollen Schnitzereien und breiten Pfosten, war ihr übel geworden, weil sie an Pete denken musste und an das, was er jetzt gerade in einem anderen Zimmer dieser riesigen Wohnung machte.

Sie war so blöd gewesen, zu glauben, dass er zu ihr kommen würde. Offensichtlich war das zwischen ihnen in dem Motelzimmer letzte Nacht nur aufgrund der Anspannung geschehen, durch Zeit und Ort und die von dem Aufenthalt im Striplokal übrig gebliebenen Hormone. Und dass er ihr nach North Carolina gefolgt war? Lag nicht an ihr, sondern daran, dass er seine Haut retten wollte.

Es störte ihn noch nicht einmal, dass sie hier oben war und er dort unten mit dieser diesem Piranha.

Sie ging auf die Tür zu und scherte sich nicht darum, dass es draußen schüttete oder dass sie keine Ahnung hatte, wohin sie von hier aus sollte, oder dass Minyawi und seine Gorillas in dieser Minute vielleicht da draußen irgendwo auf sie lauerten. Wenn sie auch nur eine weitere Sekunde in diesem Penthouse verbrachte, würde sie mit Sicherheit den Verstand verlieren.

Ihre Brust schnürte sich zusammen, und sinnlose, erbärmliche Tränen, die zu vergießen sie kein Recht hatte, stiegen in ihr hoch, bis sie kaum mehr atmen konnte. Sie würde nicht weinen, verdammt! Der Gedanke, zu einer jämmerlichen Pfütze zu zerfließen, machte sie nur noch wütender. Sie wollte nicht, dass irgendetwas sich dieser Lkw-Ladung von Stinkwut in den Weg stellte. Sie griff nach ihrer Jacke, verfluchte den Mann, der sie an diesen Ort gebracht hatte, schnappte sich ihren Rucksack und riss die Schlafzimmertür auf. Und zuckte zusammen, als Petes breite Schultern und sein markantes Gesicht ihren einzigen Fluchtweg ausfüllten.

Zuerst kam der Schock – dass er hier war und nicht bei dieser Hexe. Dann der Argwohn, dass er lediglich nachsehen wollte, ob sie schön still hielt, während er seinen Spaß hatte.

»Geh mir aus dem Weg!«, keifte sie ihn an.

Er rührte sich nicht, stand nur da und starrte sie mit seinen wahnsinnig erotischen, völlig emotionslosen rauchgrauen Augen an. Er hatte die Hände zu beiden Seiten gegen den Türrahmen gestützt, um ihr den Weg zu versperren.

»Ich gehe«, sagte sie in scharfem Ton, für den Fall, dass ihm das entgangen war. »Hättest du wohl die Güte, mich vorbeizulassen?«

»Du gehst nirgendwohin.«

»Und ob ich das tue.«

Als Antwort ließ er die Hände sinken und bewegte sich auf sie zu, bis sein Körper den ganzen Durchgang auszufüllen schien und sie nichts mehr sah als ihn. Nicht mehr den Flur, nicht die Tür, nur noch das frische weiße Hemd, das sich über seine starke Brust spannte.

Als sie nirgendwo mehr hingehen konnte und ihre Emotionen kurz vor dem Überkochen waren, wich Kat zurück. Und biss die Zähne zusammen, um nicht nach ihm zu schlagen. Er zog mit einer Hand die Tür hinter sich zu, ohne den Blick von ihrem Gesicht abzuwenden, und ließ das Schloss zuschnappen.

»Du kannst mich nicht hier festhalten«, brach es aus ihr heraus. »Ich bin nicht deine Gefangene.«

»Du wirst nicht gehen, Kat.« Er nahm ihr Rucksack und Jacke ab und warf sie auf einen Stuhl.

Was glaubte er, wer er war? Sie blickte ihn böse an, doch sein ruhiger und völlig gelassener Gesichtsausdruck änderte sich immer noch nicht. Ihre Stimmung wechselte von sauer zu fuchsteufelswild, doch ihn schien das überhaupt nicht zu kümmern.

Die dämlichen Tränen stiegen wieder in ihr hoch. In ihrer Nase kribbelte es. Sie wandte sich schnell von ihm ab, damit sie sich nicht noch mehr Blößen vor ihm gab, und blinzelte mehrmals, um nicht wie ein Baby loszuflennen. Es gab ein paar Dinge, die einer Frau niemals widerfahren sollten. Heute Nacht in diesem Haus zu bleiben, führte diese Liste an.

»Geh einfach«, sagte sie mit einer Stimme, die schwach und gekünstelt klang, und nicht halb so fest, wie sie gehofft hatte. »Ich versteh schon. Geh einfach wieder zu deiner Freundin und lass mich in Ruhe.«

»Sie ist nicht meine Freundin.« Sie hörte nicht, wie er sich bewegte, spürte ihn aber plötzlich direkt hinter sich, nur den Hauch einer Berührung, als sich die Luft neben ihr bewegte. »Wenn ich mit ihr zusammen sein wollte, dann wäre ich es auch.«

»Und warum bist du es nicht?«, fuhr sie ihn an.

»Weil sie nicht du ist.«

Diese fünf kleinen Worte legten sich wie eine Schlinge um Kats Herz.

»Etwas an deiner Geschichte plagt mich schon die ganze Zeit«, sagte er. »Es gibt da etwas, das ich einfach nicht in meinen Schädel bekomme.«

Sie wurde wütend. Sie verdrängte die Gedanken an ihre gemeinsame Vergangenheit aus ihrem Kopf und konzentrierte sich auf die Gegenwart. Und darauf, warum in aller Welt er das um zwei Uhr morgens zur Sprache brachte. »Nichts, was ich gesagt habe, war gelogen.«

»Nein, aber ich glaube, du hast bewusst etwas Wichtiges ausgelassen.«

Sie wollte zurückweichen, aber sie konnte nirgendwohin. Vor ihr war das Bett, links das Fenster. Wenn sie sich nach rechts wandte, würde es aussehen, als bereitete er ihr Unbehagen, und diese Befriedigung wollte sie ihm nicht gönnen. Stattdessen verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«

»Oh, ich glaube schon! Ich glaube sogar, dass genau das der Grund ist, warum du jetzt hier bist.«

»Du musst unter Jetlag leiden, Kauffman, oder dein Hirn ist vom vielen Sex schon zerstört, denn du faselst nur Unsinn.«

»Der einzige Sex, den ich hatte, war letzte Nacht, und es war nicht annähernd genug. Warum warst du auf meiner Auktion, Kat?«

Seine Enthüllung, dass er Maria ein Stockwerk weiter unten nicht gevögelt hatte, wurde rasch durch seine Frage verdrängt, die sie völlig unerwartet traf. Verwirrt drehte sie den Kopf und stellte fest, dass er ihr noch näher war, als sie ursprünglich gedacht hatte. Nur Millimeter davon entfernt, sie zu berühren. Die Wärme seines Atems breitete sich auf ihren Wangen aus und setzte zischend ihre Nervenenden unter Strom. Hatte er wirklich nicht mit dieser Frau geschlafen? »W- was meinst du?«

»Warum jetzt?«, fragte er. »Warum war es so wichtig, den Halsschmuck jetzt wiederzubekommen?«

»Ich du weißt doch, warum. Ich musste vermeiden, dass du ihn verkaufst.«

»Willst du mir weismachen, dass du nie in Miami warst? Dass du nie dort warst, um selbst nachzusehen, ob ich ihn noch habe? Nicht ein Mal in sechs Jahren?«

Ein Kloß wuchs in ihrem Hals, als sie nach einer Antwort suchte, die sie nicht fand. Natürlich hatte sie ihn und was er mit ihrem Anhänger machte, im Auge behalten. Das hatte sie schon aus Sicherheitsgründen getan. Sie war sogar einmal in seiner Galerie gewesen, als sie wusste, dass er sich nicht in der Stadt befand. Damals war sie über die schiere Größe dessen, was er aufgebaut hatte, fassungslos gewesen. Aber wie konnte er irgendwas davon wissen?

Er kam noch näher an sie heran, bis sie spürte, wie seine Brust ihren Rücken streifte und sich seine Wärme sanft an ihren Körper drückte. Und ihre Herzfrequenz, die sie so mühsam unter Kontrolle gehalten hatte, durchbrach die Schallmauer. »Du hättest ihn dir jederzeit nehmen können. Du wusstest, dass ich ihn nicht eingeschlossen hatte.«

Sie schluckte. Überlegte, was sie sagen sollte. Er hatte recht. Dieses eine Mal, als sie in seiner Galerie gewesen war, hatte sie sich in sein Büro geschlichen und den goldenen Pharao in einem Glasregal gegenüber seinem Schreibtisch stehen sehen.

Mit der Fingerspitze strich er ein Haar beiseite, das sich in ihren Nacken verirrt hatte. »Du hast mir erzählt, du hättest dich die ganze Zeit versteckt gehalten, um deine Familie zu schützen. Wenn das so ist, warum hast du ihn dann nicht geholt, nachdem deine Mutter gestorben war? Warum hast du so lange gewartet?«

»Das das spielt doch keine Rolle.«

»Für mich schon. Du hättest dich jederzeit rehabilitieren können. Ich glaube, es gab einen Grund, dass du in dem Versteck geblieben bist. Genauer gesagt, kann ich mir nur einen Grund vorstellen, warum du nicht eher herausgekommen bist.«

Kats Herz klopfte wie wild gegen ihre Rippen, und die Worte blieben ihr im Hals stecken.

»Hast du nichts dazu zu sagen, zu beichten?«, fragte er mit amüsierter Stimme, während er mit seinem Finger auf ihrem Arm träge Kreise beschrieb.

Sie biss sich auf die Lippe.

»Dann ist es wohl an der Zeit, dass du meine Beichte hörst.«

Er strich weiter mit dem Finger auf ihrem Arm hin und her und hielt so die Verbindung zwischen ihnen aufrecht. Ihr Körper reagierte sehr lustvoll darauf, während sie sich immer benommener fühlte.

»Du hattest recht mit deinem Verdacht über den Grund, warum ich anfangs zu deiner Grabungsstätte kam«, sagte er. »Damit, weshalb ich zurückgekommen bin und mich mit dir verabredet habe. Ich habe dich ausgefragt, weil ich wusste, dass ich leichtes Spiel mit dir haben würde.«

Sie versteifte sich, doch sie entzog sich ihm nicht, denn sie spürte – nun ja, sie hoffte –, dass er ihr noch mehr zu sagen versuchte. Bitte mach, dass da noch mehr ist!

»Du wusstest nicht«, sagte er, während sein Finger über ihren Unterarm strich, »konntest nicht wissen, was du an diesem Abend in mir ausgelöst hast. Zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich nicht an Geld oder daran, welchen Deal ich als Nächstes aushandeln würde. An diesem Abend warst alles, woran ich denken konnte, du.«

Reue färbte seine raue Stimme, und Kat ertappte sich dabei, dass sie lauschte und betete, dass sich durch das, was er ihr sagen würde, die Dinge irgendwie zum Besseren wendeten.

»Nach dem Wochenende im Mena House ging ich nicht zurück in die Staaten, wie ich dir erzählt hatte. Stattdessen blieb ich noch ein paar Tage in Kairo, damit ich mich wieder aus dem Deal hinausmanövrieren konnte, den ich vermittelt hatte.«

Er zögerte, und Stille senkte sich auf sie herab, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ, denn sie hatte das äußerst ungute Gefühl, dass er als Nächstes etwas sagen würde, was sie nicht hören wollte.

»Mit einer Sache hatte Ramirez recht. Ich kannte Busir – ich hatte mit ihm schon einmal zusammengearbeitet.«

Kat lief ein eiskalter Schauer über den ganzen Körper, und in ihrem Bauch brodelte Übelkeit hoch und schoss ihr durch die Blutbahnen. Die Hoffnung, an die sie sich geklammert hatte, zerplatzte wie eine Seifenblase, und in ihrer Seele breitete sich Dunkelheit aus. Jeder Verdacht, den sie gehabt, aber nie wirklich geglaubt hatte, war in diesem Augenblick bestätigt worden.

Und das Herz, das sie so mühsam zu schützen versucht hatte, lag in Scherben vor ihr am Boden.

Sie fuhr so schnell zu Pete herum, dass sie ihn beinahe umgeworfen hätte. »Wie konntest du nur!«