29

Florida

Drei Wochen später

Kat sank auf das Fußende des Bettes und starrte fassungslos auf den Dankesbrief in ihrer Hand. Sie hatte ihn an sich genommen, als sie heute Morgen unten gewesen war, um sich Kaffee zu holen, und ihn zusammen mit der anderen Post nach oben gebracht, während sie sich für den Tag fertig machte.

Eigentlich hatte sie geglaubt, sie hätte schon seit Wochen keine Tränen mehr, als Pete seinen Deal mit der Regierung geschlossen hatte und in Gewahrsam genommen worden war. Offensichtlich hatte sie sich geirrt.

Sie hob die Hand, um mit den Fingern über ihr Medaillon zu reiben und die letzten Zeilen des Briefes noch einmal zu lesen.

Wir können Ihnen gar nicht sagen, was Ihre Spende für uns hier im St.-Thomas-Waisenhaus bedeutet. Sie sind wahrlich ein Geschenk Gottes. Möge der Herr stets mit Ihnen sein!

Schwester Mary Francis Gilbert

Sechs Millionen Dollar. Der gesamte Erlös aus Petes Auktion in New York, bis auf den letzten Cent, war dem Waisenhaus St. Thomas bei Seattle gespendet worden. Ihr Waisenhaus. Nachdem Kat den Brief gelesen hatte, hatte sie Petes Anwalt angerufen und erfahren, dass dies bereits zwei Wochen vor der Auktion in die Wege geleitet worden war. Zwei volle Wochen, bevor er überhaupt gewusst hatte, dass sie noch lebte.

Eine Träne rann ihre Wange hinunter und landete auf dem Blatt in ihren Händen. Durch einen Schleier hindurch blickte sie auf und sah sich in dem Schlafzimmer des Hauses um, in dem sie wohnte, seit sie nach Miami gekommen war.

Petes Schlafzimmer in seinem großen Haus in Miami Beach, mit dem Kopfende aus Leder und Mahagoniholz, der Einrichtung aus dunklem Holz, geraden Linien und maskulinen Farben. Sie hatte seit dem Morgen in Marias Wohnung nichts mehr von ihm gehört, und niemand war bereit, ihr irgendwelche Fragen zu beantworten. Es machte sie fertig, nicht zu wissen, was los war.

Ihr war schier das Herz gebrochen, als sie seinen Freund Rafe getroffen hatte und dieser ihr von der Abmachung erzählt hatte, die Pete mit den Behörden getroffen hatte. Und dann war sie sprachlos gewesen, als Rafe und Petes Anwalt ihr die Urkunden gezeigt hatten, durch die sein Vermögen auf Konten übertragen worden war, die auf ihren Namen lauteten. Aber das Unvorstellbarste, das, was sie immer wieder fassungslos werden ließ und ihr gleichzeitig alle Hoffnung auf ein glückliches Leben raubte, war der Moment gewesen, als sie begriff, dass er ihr Odyssey übertragen hatte.

Denn das schien ihr der endgültige Beweis zu sein, dass er nicht zurückkommen würde. Nicht so bald. Er hatte einen Deal gemacht und alles aufgegeben. Für sie.

Die gewohnte Beklemmung kehrte wieder zurück. Jedes Mal, wenn sie glaubte, es ginge ihr besser und Atmen sei nicht mehr ausschließlich ein Kraftakt, geschah irgendetwas – zum Beispiel, dass sie diese Dankesworte erhielt –, das ihre Welt wieder aus den Angeln hob.

Sie schloss fest die Augen, unsicher, wie sie den heutigen Tag bei Odyssey durchstehen konnte und so tun, als leitete sie eine Galerie, wovon sie nicht die geringste Ahnung hatte. Selbst mit der Hilfe, die seine Schwester Lauren ihr angeboten hatte, war es mehr Arbeit, als sie sich zutraute und bewältigen konnte. Der Brief entglitt ihrer Hand und segelte zu Boden.

Hier zu sein, zermürbte sie immer mehr. All das zu sehen, was er aufgebaut hatte und sich ihn in diesem Haus, umgeben von all seinen Sachen, vorzustellen, zehrte sie langsam von innen her auf. Sich auszumalen, wo er sich gerade befand, während sie in einem seiner Designerhemden von Turnbull & Asser auf seinem Bett saß, wie sie es jede Nacht getan hatte, seit sie hier war, machte sie allmählich völlig fertig.

»Ich halte das nicht mehr lange aus«, flüsterte sie in die morgendliche Stille.

»Was?«, fragte eine Stimme von der Schlafzimmertür her.

Pete ließ seine Reisetasche fallen und versuchte seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen, während er sah, wie Kat den Kopf hob und ihn verwirrt ansah. Ihre Augen von geschmolzener Schokolade, feucht, als habe sie gerade geweint, wurden groß vor Überraschung.

»Pete!«

Sie warf sich in seine Arme und riss ihn zu Boden, ehe er sichs versah. Er landete halb im Flur, halb im Schlafzimmer. Aber das war es nicht, worauf sich seine Aufmerksamkeit richtete, sondern ihr Mund, der sich in einem heißen, gierigen Kuss über seinem schloss und seiner Kehle ein Stöhnen entlockte und pulsierend das Blut in seine Lendengegend schießen ließ.

Ihre Hände waren überall, ihr Mund nass und fordernd auf seinem. Sie nahm sich genau das, was sie brauchte, und gab ihm keine Gelegenheit, Ja oder Nein oder sonst irgendetwas zu sagen. Und er dankte dem Himmel dafür. Innerhalb von Sekunden hatte sie seine Hose geöffnet und bis zu den Oberschenkeln heruntergezogen, während sie ihn weiterküsste und sich schließlich jeder rationale Gedanke aus seinem Hirn verabschiedete, als sie das Hemd, das sie anhatte, hochschob, rittlings auf seine Hüften stieg und ihn tief in ihrer heißen Nässe aufnahm.

»Kit-Kat.« Er stöhnte und stieß ihr ebenso fieberhaft, wie sie es war, sein Becken entgegen. Und als sie beide wenige Augenblicke später gemeinsam zum Höhepunkt kamen, schnappte er nach Luft, als sei er gerade beim Chicago-Marathon mitgelaufen.

Sie ließ ihr Gesicht an seinen Hals sinken. Stützte sich mit der Hand auf seine Schulter. Ihr Medaillon fiel auf sein Hemd, und ihr Herz raste im Takt mit dem seinen, während er zur Decke des Flurs hochblinzelte.

So wünschte man sich eine Heimkehr!

Sie umklammerte sein Hemd mit der Faust und holte tief Luft. »Ich bin so sauer auf dich, Pete.«

Er atmete zweimal durch und versuchte sich zu beruhigen. »Wenn es so aussieht, wenn du sauer auf mich bist, dann finde ich, wir sollten uns definitiv öfter streiten.«

»Das ist nicht lustig«, sagte sie an seinem Hals.

»Ich höre auch niemanden lachen.«

Sie stemmte sich hoch und blickte auf ihn hinab. »Oh Pete! Bitte sag, dass das hier wirklich passiert!«

Er lächelte sie an und strich ihr eine Haarlocke aus der Schläfe. »Es passiert wirklich.«

Sie stieg von ihm herunter, sodass er sich aufsetzen konnte, doch sie entfernte sich nur so weit, dass er sich die Hose hochziehen konnte. »Ich verstehe das nicht. Was ist passiert? Ich habe jeden Tag angerufen. Und niemand hat mir irgendetwas gesagt.«

»Weil sie nicht durften.« Er richtete sich das Hemd. »Zwei Tage nachdem ich verhaftet wurde, hat Maria deinen Halsschmuck gefunden.«

Kat riss die Augen auf. »Wirklich?«

»Er war schon nach Griechenland zurückgeschickt worden. Und du hattest recht. Der Beweis war auf der Karte der Kamera, ganz eindeutig. Minyawi und Busir in dem Grab in dieser Nacht, bevor Minyawi zurückging, um dich zu holen. Busir und irgendein anderer Typ, die austüftelten, was sie mit dir und Shannon anstellen würden, wenn du nicht kooperiertest.«

Als sie blass wurde, fügte er hinzu: »Der andere Kerl, der dritte, den du nicht zu Gesicht bekamst, war Dr. Omar Kamil. Der Direktor des Ägyptischen Museums in Kairo.«

Ihre Augen wurden immer größer. »Er ist beim SCA. Kein Wunder, dass meine Informationen nicht weitergeleitet wurden.«

»Er ist außerdem Mitglied der Muslimbruderschaft, die Verbindungen zur ELA hat. Ramirez – Minyawi – wie immer du ihn nennen willst, war sein Spitzel. Irgendwie haben sie Latham dazu gebracht mitzuspielen – wie es aussieht, durch Erpressung. Aber zusammen scheffelten sie einen ziemlichen Haufen Geld, indem sie Stücke von dort abzweigten und sie auf dem Schwarzmarkt verkauften. Latham hat in dem Tagebuch, das wir von seiner Frau bekommen haben, Notizen darüber hinterlassen. Notizen, Kat«, sagte er und konnte es selbst immer noch nicht glauben, »die beweisen, was für ein kleiner Fisch er in Wirklichkeit war. Busir war ihr Hauptakteur.«

Als sich ihre Augen schlossen, wusste er, was ihr wieder in den Sinn kam – die Angst, die sie in diesem Grab gehabt, das, was sie in Marias Küche getan hatte. Er umschloss mit einem festen Griff ihre Hand. »Es ist vorbei, Kat.«

»Haben sie Kamil?«

»Inzwischen schon.«

Sie riss die Augen wieder auf. »Was meinst du mit inzwischen? Warum habe ich das Gefühl –«

»Er war auf dem Film nicht eindeutig zu erkennen. Es gab kein klares Bild von Kalims Gesicht. Aber als Maria es sah, wusste sie, dass er es war. Sie hatte an dem Abend, als wir in ihre Wohnung kamen, mit ihm zusammen gespeist. Er war der Mann, der uns begegnet ist, als wir in ihrem Gebäude in den Fahrstuhl stiegen. Deshalb wusste Minyawi, dass wir in New York sind.«

»Also, was ist geschehen?«

»Mein Anwalt hat einen neuen Deal vereinbart.«

Sie sah ihn skeptisch an. »Deine Deals sind mir nicht mehr geheuer, Pete.«

Er lachte und ergriff auch ihre andere Hand. »Er funktionierte doch, oder etwa nicht? Ich sitze doch jetzt hier bei dir.«

»Ich weiß immer noch nicht genau, was überhaupt passiert ist. Und warum du nicht anrufen und mir sagen konntest, was los war. Ich war krank vor Sorge um dich.«

»Ich weiß. Aber ich konnte nicht, weil ich die letzten paar Tage in Kairo war, Kat.«

»Wo?« Ihre mandelförmigen Augen wurden vor Erstaunen so groß, dass er das Weiße um die moccafarbene Iris sehen konnte.

Er zuckte die Achseln und versuchte die Situation herunterzuspielen. »Wie sich herausstellte, war INTERPOL in Zusammenarbeit mit der CIA und der ägyptischen Regierung mehr daran interessiert, Kamil zu schnappen und die Verbindung der ELA zum SCA zu unterbinden, als mich festzuhalten. Dafür, dass ich ihnen geholfen habe, Kamil und den kläglichen Rest seiner Komplizen in die Falle zu locken – einer davon war der Kerl, der in Raleigh auf uns geschossen hat –, haben sie mir eine Du kommst aus dem Gefängnis frei-Karte gegeben.«

Er grinste, doch sie sah ihn immer noch so an, als sei ihm ein zweiter Kopf gewachsen. »Du hast was

Er umschloss ihre Hände noch fester, weil er fürchtete, dass ihr Vertrauen in ihn wieder einmal auf der Kippe stand. »Jetzt flipp nicht aus. Ich habe lange Zeit keine Geschäfte mehr mit diesen Typen gemacht, aber ich kenne immer noch einige Kontaktleute im Untergrund. Es war nicht so schwer, wie man vielleicht denkt, einen Deal auszuhandeln und Kamil zu ködern.«

»Und das hast du gemacht.«

»Nicht ich allein. Ich habe nur geholfen.«

Sie starrte ihn mit großen, undurchdringlichen braunen Augen an. »Einen Mann zu schnappen, von dem bekannt ist, dass er zu einer gewalttätigen Terroristenvereinigung gehört.«

»Ja«, sagte er zögernd, denn sie sah ihn jetzt an, als kenne sie ihn plötzlich nicht mehr.

»Ohne mir zu sagen, was du vorhast«, fügte sie viel zu ruhig hinzu.

»Ja.«

Sie presste die Zähne aufeinander.

Okay, sie war sauer. Und zwar zu Recht. Doch er hatte nicht gewollt, dass sie es wusste. Auch wenn es nicht so schwierig gewesen war, wie er gedacht hatte, alles in die Wege zu leiten, war es dennoch gefährlich gewesen. Und wenn es nicht geklappt hätte, hätte er gleich wieder im Gefängnis landen oder, noch schlimmer, draufgehen können.

»Du hättest getötet werden können«, sagte sie mit zusammengekniffenen Augen.

»Aber ich bin es nicht.« Er beugte sich vor und versuchte sie zu küssen. Sie wich vor ihm zurück.

»Komm schon, Kit-Kat! Alles ist gut. Ich bin in Sicherheit. Du bist in Sicherheit. Alles ist wieder so, wie es sein sollte. Wir haben dieses riesengroße Bett.« Er wies mit dem Kopf ins Schlafzimmer und hob in der Hoffnung, die Stimmung aufzuheitern, bedeutungsvoll die Augenbrauen. »Es wäre eine Schande, das nicht auszukosten, da ich doch so lange weg war. Du weißt genau, dass ich im Gefängnis keine eheähnlichen Besuche bekommen konnte.«

»Wenn alles wieder so ist, wie es sein sollte«, sagte sie, sah ihn von der Seite her an und ignorierte seinen Scherz, »bedeutet das wohl, dass du deine Galerie zurückhaben willst. Und das Haus und alles andere.«

»Nein«, sagte er und wählte seine Worte mit Bedacht, weil er jetzt nicht alles vermasseln wollte. »Es bedeutet, dass ich dich liebe und dich zurückhaben will. Alles andere bedeutet mir nichts, wenn du nicht Teil davon bist.«

Er hatte die richtigen Worte gewählt. Ihre Augen wurden weicher, gerade genügend, dass er wusste, er hatte ins Schwarze getroffen.

»Wenn du einen Job willst, wirst du dich darum bewerben müssen.«

Ein Lachen brach aus ihm hervor, und er zog sie dicht an sich, ehe sie sich aus seinem Griff befreien konnte.

»Und wenn du vorhast, in diesem Haus zu wohnen, versuch nie wieder, die Wahrheit vor mir zu verbergen, Pete! Nie mehr!«

»Abgemacht.« Lächelnd beugte er sich vor, um sie zu küssen, doch sie drehte ihren Kopf weg, sodass er nur ihr Ohr streifte.

»Und«, fuhr sie fort und stemmte die Hände gegen seine Schultern, »auch wenn ich das großzügige Geschenk das du mir gemacht hast, wirklich zu schätzen weiß, hat mein neuer Anwalt –«

»Du meinst mein Anwalt«, sagte er und ging, immer noch grinsend, dazu über, ihr Ohr zu küssen, damit es keine Widerworte mehr gab.

»Sag ich doch. Obwohl ich wirklich zu schätzen weiß, was du getan hast, hat mich mein Anwalt darüber in Kenntnis gesetzt, dass ich aufgrund der Art der Vermögensübertragung am Ende des Steuerjahrs mit saftigen Steuerzahlungen zu rechnen habe. Wenn du also für mich bei Odyssey arbeiten und wieder in diesem Haus wohnen willst, dann unternimmst du am besten etwas dagegen.«

Er kicherte, während sie sich rittlings auf seinen Schoß setzte und seinen Oberkörper nach hinten drückte. Ganz Geschäftsfrau, blickte sie auf ihn herab, und seine hübsche Ägyptologin verwandelte sich von der Verdächtigen auf der Flucht plötzlich in die selbstbewusste Verhandlungspartnerin.

»Versuchst du einen Deal mit mir abzuschließen, Kit-Kat?«

»Ja«, sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Und was bekommst du als Gegenleistung?«

»Hoffentlich eine gemeinsame Steuererklärung.«

Sein Herz setzte für einen Schlag aus. »Reden wir jetzt vom Heiraten?«

»Ich schon. Ich werde dein Baby nicht ohne Trauschein bekommen.«

»Baby?«

»Ich bin nicht schwanger«, sagte sie schnell, als sie sein erschrockenes Gesicht sah. »Aber wenn man bedenkt, wie du mich angesprungen hast, als du hier ankamst, ist alles möglich.«

»Wie ich dich angesprungen habe?«

»Willst du das etwa abstreiten, Pete?« Sie hob die Augenbrauen. »Wünschst du dir jetzt, du wärst in Kairo geblieben?«

Er drehte sie so flink auf den Rücken, dass ihr die Luft wegblieb. »Im Leben nicht.«

»Warte!« Sie lächelte an seinem Mund. »Ich fürchte plötzlich, du könntest mich nur heiraten, um an mein Geld zu kommen.«

»Kat«, sagte er voll Ernst und blickte ihr dabei fest in die Augen. »Aus der Nummer kommst du nicht mehr heraus. Wenn ich einen Deal abschließe, dann binde ich mich auch langfristig, gleichgültig, wohin er mich führt.«

»Versprochen?«

Das spitzbübische Funkeln in ihren Augen sagte ihm, dass die Zukunft, was sie anging, niemals einfach werden würde. Ein Glück für ihn, dass ihm genau das so gut gefiel.

»Großes Ehrenwort. Jetzt halt den Mund und heiße mich noch einmal zu Hause willkommen!«