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Sechseinhalb Jahre früher

Tal der Könige

Sie hatte recht gehabt. Peter Kauffman bedeutete Ärger. Ärger der Art, die mit großen Leuchtbuchstaben daherkam und eigentlich rundum mit Warnhinweisen versehen sein müsste.

Kat starrte über den Tisch des dämmerigen italienischen Restaurants, während Pete über sein Geschäft redete, und spürte nach wie vor jene Elektrizität durch ihr Blut fließen, gegen die sie seit den letzten paar Stunden anzukämpfen versuchte.

Oder vielmehr seit den letzten paar Tagen, verflixt!

Es war nicht so sehr, was er sagte – obwohl sie wirklich daran interessiert war, etwas über seine Galerie in Miami und die Erwerbsreisen zu erfahren, die ihn über den ganzen Globus führten –, es war die Art, wie er sie ansah. Mit diesen glühenden Augen, als sei sie ein saftiges Eins-a-Steak vom besten Stück und er kurz davor, seine Zähne in sie zu versenken.

Die Hitze schoss ihr in die Wangen. Unauffällig steckte sie die Hände unter die Damasttischdecke und wischte sich die verschwitzten Handflächen an ihrer schwarzen Stoffhose ab, wie sie es während dieses Essens schon mehrmals getan hatte.

Er war wirklich umwerfend – blond, gebräunt und absolut sexy in diesem weißen Hemd und den dunkelgrauen Hosen. Seine Schultern waren breit, seine Taille schmal und seine Hüften perfekt. Und er widmete sich ihr so ganz und gar, dass sie sich fragte, ob er real sei. Sie war zunächst zögerlich gewesen, allzu viel über ihre Arbeitsstätte auszuplaudern, nur für den Fall, dass er einer der Schatzsucher war, vor denen die Crew sie gewarnt hatte, doch er schien sich kaum für ihre Ausgrabungen zu interessieren. Und darüber war sie sehr erleichtert. Sie hatte nicht die geringste Lust, in den Skandal verwickelt zu werden, der ihre Grabungsstätte und die in den letzten Monaten nach und nach verschwindenden Artefakte umwitterte. Stattdessen hatte er das Gespräch auf die Monate gelenkt, die sie in Kairo verbracht hatte, auf ihre Interessen und Freizeitbeschäftigungen und darauf, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte.

Und das hatte bei ihr wirklich gezogen. Noch nie zuvor hatte sich jemand so aufrichtig für sie interessiert. Schon gar nicht so ein Adonis wie er.

Irgendwann sah sie ein, dass sie ihren Mund aufmachen und etwas Kluges sagen sollte und sich endlich auf etwas anderes konzentrieren als jenes betörende Grübchen und den leichten Schwung seiner Lippen. Er hatte die meiste Zeit geredet, und es würde nicht mehr lange dauern, bis er merken würde, dass sie förmlich nach ihm lechzte. Also wählte sie ein Thema aus, das sie ganz bestimmt auf andere Gedanken bringen würde als heißen, brünstigen, schweißtreibenden Sex und die Frage, wie er unter diesen schicken Klamotten aussah.

Und bereute es schon nach wenigen Minuten, als er sie nur anstarrte, ohne etwas zu erwidern.

»Ich langweile dich, stimmt’s?« Kat griff nach ihrem Weinglas. »Nicht jeder ist so begeistert von ägyptischer Geschichte wie ich. Tut mir leid.«

Pete lachte in sich hinein, ein Klang, der so tief und voll war, dass sie sicher war, die Vibrationen über den Tisch hinweg bis in ihre Fußspitzen zu spüren. »Du langweilst mich überhaupt nicht. Ich könnte dir die ganze Nacht zuhören.«

Sie runzelte die Stirn, denn sie wusste, dass er nur mit ihr spielte, und ermahnte sich, nicht allzu viel in seine Worte hin­einzudeuten. Doch als sein Lächeln tiefer wurde und seine verfluchten Augen zu funkeln begannen, an den ihren hängen blieben und sich dann auf ihren Mund senkten, war sie sich da nicht mehr so sicher. Zwischen ihnen passierte eindeutig etwas. Eine Sinnlichkeit und elektrische Spannung, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hatte. Und sie wollte verflucht sein, wenn es sie nicht erregte und gleichzeitig zu Tode erschreckte.

Dann brachte der Kellner ihm die Rechnung. Pete quittierte das Stück Papier und schob seinen Stuhl zurück. »Bist du so weit?«

»Ja.« Froh über die Ablenkung, griff sie nach ihrer Handtasche, hängte sich den Riemen über die Schulter und ging auf den Ausgang zu.

Draußen war die Luft mild, und eine sanfte Brise wehte vom Wasser her. Neben ihr steckte Pete die Hände in die Hosentaschen und rollte mit der Schulter. »Willst du ein Stück zu Fuß gehen?«

Sie war erleichterter, als sie zugeben wollte. Zu Fuß gehen bedeutete, noch ein bisschen Zeit mit ihm zu verbringen, ehe sie sich Gute Nacht sagen würden. »Ja, gerne.«

Sie streiften durch die Straßen Kairos und redeten über Sport, Politik und darüber, wie es war, als Amerikaner im Ausland zu leben und zu arbeiten. Und schließlich waren sie am Ufer des Nils angelangt, wo sich die Lichter der Bürotürme schimmernd im Wasser spiegelten, die einen scharfen Kontrast zu den Lehmhäusern und von Eseln gezogenen Karren bildeten.

Kairo war keine freundliche Stadt. Sie überreizte die Sinne mit ihrem Lärm und Chaos, der Umweltverschmutzung und ihren sechzehn Millionen Einwohnern. Aber Kat liebte sie. Sicher, hier gab es von allem zu viel – zu viel Fortschritt, zu viel Geschichte, zu viele Gefahren, die einem auflauerten, wenn man nicht aufpasste –, doch es war ein magischer Ort. Wenn auch noch nie so sehr wie in dieser Nacht.

Es war fast eine Stunde später, als sie schließlich an ihrer Wohnung ankamen. Das Gebäude lag in einer älteren Wohngegend, die aber gut in Schuss und ausreichend beleuchtet war.

»Hier wohne ich«, sagte sie, während sie in der Nähe des Eingangs und der fünf Stufen, die zur Haustür führten, langsamer wurden.

»Nette Gegend.« Sie stellte fest, dass er alles auf sich wirken ließ – die anderen Häuser, die modernen Autos auf der Straße, die Alarmanlage, die gleich hinter der Glastür ihres Gebäudes blinkte – und dass er es guthieß. Dem Mann entging wirklich gar nichts.

»Ja. Einer aus unserem Team lebt schon lange in Kairo und hat eine Wohnung hier. Er hat uns Bescheid gesagt, als im Haus eine frei wurde. Ehrlich gesagt, glaube ich, weil er etwas für Shannon übrighat und sie in seiner Nähe haben wollte, aber ich beschwere mich nicht. Auf jeden Fall besser, als in einer Lehmhütte oder einem Zelt zu hausen.«

Er lächelte und blickte auf sie herab. Und der Funke sprang wieder zwischen ihnen hin und her. Und versetzte ihr einen Stoß, von dem sie hoffte, dass er ihn ebenso intensiv spürte wie sie.

Sie schluckte und beobachtete, wie seine Augen die Silhouette ihres Halses hinabglitten, bis zu der Stelle ihrer Haut, die ihr offener Kragen freigab, und noch ein Stückchen tiefer auf das Medaillon des heiligen Judas Thaddäus, das bis kurz über ihre Brüste fiel.

Ihr Puls hämmerte unter seinem sinnlichen Blick. Und Hals über Kopf fällte sie eine Entscheidung, die sie bisher nicht einmal in Erwägung gezogen hatte. »Kommst du noch mit rauf? Ich glaube, Shannon ist heute mit irgendwelchen Freunden unterwegs. Vor morgen früh wird sie nicht zurück sein.«

Seine glühenden Augen hoben sich, um auf ihren Lippen zu verweilen, wanderten dann noch etwas höher, bis sie sich auf ihre hefteten und sie das Gefühl hatte, er blickte tief in ihre Seele.

»Das würde ich gerne«, sagte er sanft. »Aber ich kann nicht. Ich flieg heute Nacht noch nach Rom.«

Ihr rutschte das Herz in die Hosen. »Nach Rom?«

Er nickte langsam.

»Wann kommst du zurück?«

»Weiß ich noch nicht genau.«

»Oh.«

Sie blickte auf ihre Hände hinunter, merkte, dass sie zitterten, und presste sie aneinander. Vielleicht hatte sie sein Verhalten falsch interpretiert. War sie wirklich so blöd?

Seine Hand schloss sich über ihre beiden, noch ehe sie seine Bewegung überhaupt wahrgenommen hatte. »Danke für das netteste Abendessen, das ich seit einer Ewigkeit hatte. Ich bin froh, dass ich dir begegnet bin, Katherine Meyer.«

Ein leichtes Zittern war in seiner Berührung zu spüren, und sie versuchte, nichts hineinzudenken, konnte es aber auch nicht ignorieren. Sie riskierte einen Blick in seine Augen. Und wusste, sie hatte nicht ganz falschgelegen. Bedauern und Enttäuschung spiegelten sich in ihren Tiefen wider.

Und so seltsam es auch war, wenn man bedachte, dass sie ihn mehr wollte, als sie jemals irgendetwas in ihrem Leben begehrt hatte, brachte ein merkwürdiges Gefühl der Erleichterung ihre Nervenenden zum Pulsieren.

Etwas Undefinierbares drängte sie zu ihm hin. Etwas, das tiefer war als eine sexuelle Verbindung und tausendmal heißer. Er gehörte zu den gefährlichsten Männern überhaupt, denn er war der erste, der sie dazu brachte, mehr mit dem Herzen zu entscheiden als mit dem Kopf.

Ein Glück für sie, dass etwas ihn zurückhielt. Etwas, das sie nicht begriff, von dem sie aber instinktiv wusste, dass es sie gerade vor großem Liebeskummer bewahrt hatte.

»Ich bin auch froh, dass ich dir begegnet bin, Pete.« Ein Kloß steckte ihr im Hals. »Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit gehabt.«

Sie zwang sich, von ihm abzulassen und einen Schritt zurückzutreten, ehe er etwas sagen konnte, was sie davon abhalten konnte. Die Geheimnisse, die sich in diesen rauchgrauen Augen verbargen, würden sie zweifellos noch verfolgen, wenn er längst gegangen war. »Viel Glück in Rom!«

Sie wandte sich ab, eilte die Stufen hinauf, und mit einem Klicken ihres Schlüssels ließ sie ihn allein draußen auf der Straße stehen.

Gegenwart

Nordost-Pennsylvania

»Laut Vorhersage sollen die Schneefälle in etwa einer Stunde nachlassen.«

Aten Minyawi blickte von dem GPS-Handheld auf, mit dem er sich gerade eingehend beschäftigte, und nickte seinem Gegenüber, Hanif Busir, kurz zu. Dieser saß an dem kleinen Tisch des Motelzimmers, in dem sie sich eingenistet hatten, und sah sich auf seinem Computer das Wetter an. Minyawi konzentrierte sich wieder auf das Bild vor ihm. Der GPS-Punkt hatte sich in den letzten drei oder vier Stunden nicht vom Fleck bewegt. ­Katherine Meyer hatte sich einen Unterschlupf gesucht und wiegte sich in Sicherheit.

Aber nicht mehr lange. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er sie eingeholt haben würde. Und beenden, was sie sechs Jahre zuvor begonnen hatte.

»Sehr gut«, murmelte Busir mit einem finsteren Blick, der verriet, dass er mit sich selbst sprach.

Minyawi ignorierte ihn. Kats große braune Augen kamen ihm in den Sinn. Wie sie ihn damals angesehen hatte. Wie arglos sie gewesen war. Wie naiv. Doch er hatte sie von Anfang an falsch eingeschätzt. Den Fehler würde er nicht noch einmal machen.

Er fuhr sich mit dem Finger über die Narbe auf seiner linken Wange. Nein, sie war nicht naiv. Sie hatte ihm das Einzige genommen, das ihm wirklich etwas bedeutet hatte. Hatte ihn zu dem Killer gemacht, der er heute war.

Er sperrte die Erinnerungen und Gefühle aus, an denen ihm nichts mehr lag. Sein Training hatte ihn so sehr abgehärtet, dass er nur noch eine Maschine war. Und das hatte ihn gerettet.

Er stand auf. »Wir gehen jetzt.«

Busir blickte auf. »Aber das Wetter –«

»Wir gehen jetzt«, wiederholte er. Sie saßen sich in diesem lausigen Motel mitten in Amerika schon viel zu lange ihren Hintern platt, und er hatte die Schnauze gestrichen voll. Vom Warten, vom Beobachten. Vom Planen. »Kümmere dich um den Portier, während ich Usted und Wyatt Bescheid gebe. Sie werden aus nördlicher Richtung kommen, wir aus dem Süden.«

Ihre Partner bei diesem Ausflug waren angeheuerte amerikanische Schläger, aber das war Minyawi egal. Er war im Auktionshaus gewesen und hatte nach Kat Ausschau gehalten, während sie Busir und Wyatt ausgestochen hatte. Und blöd, wie sie waren, hatten sie sie entwischen lassen. Aber Minyawi brauchte sie noch. Zumindest noch eine Weile.

»Aten –«

Er warf Busir einen versteinerten Blick zu. Der Mann machte sofort den Mund zu.

In Busirs Augen war Unentschlossenheit zu erkennen. Er erwog, ob er etwas fragen oder sich auf die Zunge beißen sollte.

Minyawis Miene entspannte sich. Auch wenn er hier das Sagen hatte, schätzte er es, dass dieser ungleiche Waffenbruder ein Gehirn hatte und wusste, wie man es gebraucht. Das konnte in Zukunft noch von Nutzen sein.

Busir klappte den Laptop zu und erhob sich langsam von dem Metallstuhl. »Wir sind zwei Stunden von ihrem Aufenthaltsort entfernt. Aber bei dem Schnee brauchen wir doppelt so lange. Usted und Wyatt liegen eine Stunde hinter uns. Sie wird nirgendwohin gehen. Wenn wir warten –«

Natürlich war es eine Sache, von einem Gehirn Gebrauch zu machen, aber eine ganz andere, sich etwas zu weit aus dem Fenster zu lehnen.

»Wenn wir warten«, presste Minyawi zwischen den Zähnen hervor, wobei sein Akzent jedes Wort betonte, »könnte sie auf die Idee kommen abzuhauen. Wir werden die Umgebung absichern und die Stellung halten, bis die anderen da sind. Und jetzt tu, was ich gesagt habe!«

Busirs Lippen waren nur noch eine dünne Linie, aber er ließ es dabei bewenden. Mit düsterem Blick zog er die Halbautomatik aus dem Halfter in seinem Kreuz und schraubte den Schalldämpfer darauf. Seine Schritte hallten über den Fliesenboden, gefolgt vom dumpfen Schluchzen des Nachtportiers, der, die Hände hinter dem Rücken an die Füße gefesselt, auf dem Bauch im Hinterzimmer lag.

Minyawi warf noch einen letzten Blick auf das GPS, ehe er das Gerät einpackte. Er würde sie nicht entkommen lassen. Diesmal nicht.

Ein gedämpfter Schuss ertönte aus dem Nebenraum. Dann Stille.

Er hatte noch eine Rechnung offen.

Schon beim Militär, als er fast noch ein Junge gewesen war, hatte er gelernt, alle Eventualitäten zu berücksichtigen. Sich auf das Unerwartete vorzubereiten, seinen Feind niemals zu unterschätzen. Er hatte Katherine Meyer übersehen, als er ihr das erste Mal begegnet war.

Das würde ihm nicht noch einmal passieren.

Er kannte jetzt ihre Schwäche. Eine Schwäche, die er nicht mehr hatte. Sie hatte keine Familie mehr, keine Freunde. Nichts. Aber sie war loyal.

Und diese Loyalität würde ihn, glücklicherweise, geradewegs zu ihr führen.