16

Savannah wachte neben Gideon im Gästezimmer von Amelies Haus, als er zum ersten Mal wieder zu sich kam.

Es waren fast achtzehn Stunden des Wartens und Hoffens gewesen.

Sie hatte so gebetet, dass er durch irgendein Wunder zu ihr zurückkommen würde.

Sie hatte ihn versorgt, so gut sie konnte; von ihrer eigenen Verletzung hatte sie sich wieder vollständig erholt, und nie in ihrem Leben hatte sie sich stärker gefühlt.

Das hatte sie ihm zu verdanken.

Sie ging zu seinem Bett hinüber, als seine Augenlider zu zucken begannen, beugte sich über ihn und streichelte sein Gesicht, strich ihm sein kurzes blondes Haar zurück. Er schmiegte sein Gesicht in ihre Hand und stöhnte leise. Dann öffnete er ein wenig die Augen, blinzelte im dämmrigen Licht des verdunkelten Schlafzimmers. »Wo sind wir?«

»Bei meiner Schwester«, antwortete sie sanft.

Er keuchte ein wenig, nervös geworden. »Sind wir allein? Weiß jemand, dass ich hier bin?«

»Nur Amelie. Es ist okay, Gideon. Sie weiß über dich Bescheid. Ich habe ihr erklärt, was du bist. Sie wird unser Geheimnis bewahren.«

»Wo ist sie?«

»Drüben im Wohnzimmer, sie sieht fern.«

Er drehte das Gesicht zur Wand, und Savannah vermutete, dass er Amelie mit seiner übersinnlichen Gabe suchte. »Ich kann sie nicht sehen. Meine Gabe … sie funktioniert nicht. Sie ist fort.«

Savannah konnte seine Unruhe spüren. Wie sein Pulsschlag sich beschleunigte. Er hob sich die Hand vor die Augen. »So hell hier.«

Sie sah zu den fest geschlossenen Fensterläden hinüber, durch die nur die leiseste Ahnung der Nachmittagssonne drang. »Tut mir leid. Ich dachte, es wäre so dunkel genug für dich.«

Sie ging zur Kommode hinüber und nahm eine überdimensionierte Sonnenbrille heraus. »Hier«, sagte sie und setzte sie ihm vorsichtig auf. »Versuch die mal.«

Er öffnete die Augen und nickte schwach. »Besser. Aber wahrscheinlich nicht direkt mein Stil.«

»Gut siehst du aus.« Sie lächelte und setzte sich zu ihm auf die Matratze. »Ich wusste nicht, ob du je wieder aufwachst. Ich war nicht sicher, ob es funktionieren würde.«

Er runzelte die Stirn, und sie fuhr fort. »Als du neulich in diesem schrecklichen Zustand zurückgekommen bist, sagte dein Freund vom Orden, du brauchst Blut. Und Amelie hat mir gesagt, was du gestern Nacht für mich getan hast, als ich angeschossen wurde. Du hast mich mit deinem Blut gerettet, Gideon. Also habe ich versucht, dasselbe für dich zu tun.«

Er stieß einen Fluch aus. »Die Blutsverbindung, Savannah … sie ist für immer. Unauflöslich. Ein heiliger Bund.« Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. »So sollte das nicht sein.«

Sie setzte sich zurück, verletzt. Hatte das Gefühl, dass sie etwas falsch gemacht hatte und er enttäuscht war. »Tut mir leid, wenn es nicht das war, was du wolltest.«

Gideon versuchte, sich etwas aufzurichten, und stöhnte vor Schmerz.

»Vorsichtig«, sagte sie und half ihm, sich wieder hinzulegen. »Du solltest dich nicht bewegen, und ich sollte keine Sachen sagen, die dich aufregen. Du hast letzte Nacht auch eine Kugel abbekommen. Meine hat mir Lunge und Rippen durchschlagen und ist wieder ausgetreten, aber deine …«

»Steckt mir immer noch im Kopf«, riet er grimmig. »In meinem Gehirn.«

Savannah nickte ernst. »Amelie wollte dich ins Krankenhaus bringen –«

»Nein.« Er sagte es nachdrücklich, genauso wie vorgestern Abend in Boston, als sie ihm medizinische Hilfe holen wollte. »Die Ärzte der Menschen können mir nicht helfen, Savannah.«

»Ich weiß«, sagte sie. »Also habe ich eben das Einzige getan, was mir einfiel.«

Er nahm ihre Hand. »Du hast mir das Leben gerettet.« Wieder stieß er einen Fluch aus, dieses Mal heftiger. »Als ich erkannte, dass du fort warst … wo ich doch wusste, dass Keatons Meister immer noch da draußen war, konnte ich dich gar nicht schnell genug finden, Savannah.«

Sie hörte die Wut in seiner Stimme, auf den Feind, den er so verzweifelt hatte vernichten wollen, und nickte traurig. »Ich bin froh, dass er tot ist. Er hat es verdient für das, was er Rachel und deinen Brüdern angetan hat, und sogar Professor Keaton. Dafür, was er dir angetan hat. Ich bin froh, dass du bekommen hast, wofür du hergekommen bist.«

Er machte ein finsteres Gesicht. »Ich bin um deinetwillen gekommen, Savannah. Ich liebe dich. Ich hätte es dir schon vorher sagen sollen. Ich werde es dir jetzt tausendmal sagen, damit du weißt, was du mir bedeutest.«

Sie spürte, wie eine wunderbare Wärme sich in ihrer Brust ausbreitete und ihr durch die Adern strömte. Nicht ihre eigene Emotion, sondern Gideons, die sie durch ihre Blutsverbindung spürte.

»Ich weiß, dass du es spüren kannst«, sagte er, seine Finger warm auf ihrer Hand. »Ich weiß, dass du meine Liebe in dir spüren kannst, in deinem Blut. Sag mir, dass du mich auch liebst, Savannah. Sag mir, dass du es mich dir beweisen lässt. Sei meine Stammesgefährtin. Komm mit mir zurück nach Boston. Lass mich versuchen, der Held zu sein, den du verdienst.«

Sie entzog ihm ihre Hand und schüttelte leicht den Kopf. »Ich will keinen Helden.«

Sie dachte daran, wie er letzte Nacht fast gestorben wäre – im Kampf, und jetzt steckte eine Kugel tief in seinem Kopf. Eine Kugel, die sich jederzeit lösen und noch mehr Schaden anrichten konnte, vielleicht sogar etwas, was sich mit ihrem Blut nicht mehr heilen ließ.

Vielleicht hatte ihm die Kugel schon etwas genommen: seine übersinnliche Gabe. Seine Augen.

»Ich könnte es nicht ertragen«, murmelte sie. »Ich kann nicht zu Hause auf dich warten, während du jede Nacht in den Krieg ziehst. Ich bin nicht stark genug, um dir zu erlauben, zu kämpfen, verletzt zu werden und vielleicht nie mehr zurückzukommen.«

Gideon schwieg sehr lange, das Gesicht gesenkt. »Ich habe fast mein ganzes Erwachsenenleben lang Rogues gejagt, um eine Rechnung zu begleichen. Um Abbitte zu leisten. Es hat nicht funktioniert. Aber der Orden ist meine Familie, Savannah. Die Krieger sind für mich jetzt die einzigen Brüder, die ich jemals haben werde. Ich kann sie nicht aufgeben. Nicht einmal für dich.«

Ihr wollte das Herz brechen, aber sie nickte stumm. Versuchte, ihre Stimme wiederzufinden. »Ich verstehe. Es wäre nicht fair von mir, das von dir zu verlangen.«

Er hob ihr Kinn. »Hast du doch auch nicht. Du hast mich gebeten, nicht hinaus in den Kampf zu ziehen. Vielleicht kann ich das. Vielleicht gibt es für mich andere Möglichkeiten außer den aktiven Kampf, um den Missionen des Ordens nützlich zu sein, und gleichzeitig meinen Schwur dir gegenüber zu halten … meiner Frau. Meiner Stammesgefährtin. Meiner ewigen Liebe.«

Savannah spürte eine Woge der Euphorie, aber sie war immer noch verletzt wegen der Art, wie die Dinge in Boston gelaufen waren. »Du hast mir wehgetan, Gideon. Du warst nicht ehrlich zu mir. So wird das auf Dauer nichts mit uns.«

»Ich weiß.« Er streichelte ihre Wange. »Ich weiß, und es tut mir leid. Lass es mich wiedergutmachen. Lass mich dich lieben.« Er legte seine große, starke Hand um ihren Nacken und zog sie an sich zu einem kurzen, zarten Kuss. »Sag mir, dass du mich liebst, und lass mich anfangen, der Mann zu sein, der ich für dich sein will.«

Sie stieß einen Seufzer aus, unfähig, ihm Widerstand zu leisten oder sich ihm zu verweigern. »Ich liebe dich doch auch, Gideon.«

»Dann lass uns eine richtige Blutsverbindung eingehen, so wie ich es mir für dich, für uns wünsche. Sei mein, Savannah.«

»Ja«, flüsterte sie an seinen Lippen. »Ja, Gideon. Ich werde deine Stammesgefährtin.«

Er zog sie an sich, ließ sie seine Erregung spüren. »Machen wir es richtig, hier und jetzt.«

Sie streckte die Hand aus und zog ihm mit dem Zeigefinger die lächerliche Sonnenbrille auf die Nasenspitze hinunter. In seinen hellblauen Augen tanzten bernsteingelbe Funken. »Du bist erst vor ein paar Stunden dem Tod von der Schippe gesprungen und willst schon wieder Liebe machen?«

Er grinste. »Oh, ich will noch mehr als das.«

»Meine Schwester sitzt nebenan«, flüsterte sie mit einem empörten Lachen.

Gideon war einen Augenblick lang still, und plötzlich schloss sich die Schlafzimmertür von selbst, und das leise metallische Klicken des Schlosses ertönte.

Er küsste sie, dann fuhr er mit den Lippen über ihren Hals. Savannahs Herzschlag beschleunigte sich, als er mit den Spitzen seiner Fänge sanft über die Stelle strich, wo ihr Puls schlug. Dann zog er sie zu sich aufs Bett, rollte sich neben sie und rieb seinen steifen Schwanz fordernd gegen ihre Hüfte.

»Du bist mir schon ein ganz Schlimmer«, sagte sie, als er den Mund über ihrer Halsschlagader öffnete.

Und dann spürte sie, wie diese rasiermesserscharfen Fänge sanft und sinnlich in ihre zarte Haut eindrangen. Ihre Adern flammten auf, elektrisch und heiß vor magischer Kraft, als Gideon den ersten tiefen Schluck aus ihrer Ader nahm.

»Oh Gott«, keuchte sie, als eine Welle der Lust sie überflutete. »Du bist ein ganz, ganz Schlimmer.«

Und als ihr Körper willenlos an ihm zerschmolz, dachte Savannah, dass ihr Leben mit Gideon sehr, sehr gut werden würde.