Kapitel 36

Alles lief gut. Cole ging zu seinen Beratungsstunden und legte sich wirklich ins Zeug, damit es zwischen uns klappte. Er gewöhnte sich wieder an, mich Emily Dickinson zu nennen und mir Geschenke zu machen, sodass uns ziemlich alle für das rundum perfekte Paar hielten. Es war, als hätten wir es geschafft, durch einen langen, dunklen Winter zu kommen, und jetzt blühten wir wieder, genau wie die ersten Frühlingsblumen.

Cole strengte sich so sehr an, alles richtig zu machen, dass auch ich selbst mir erlaubte, wieder ein bisschen an uns zu glauben. Und dann noch ein bisschen mehr. Nach einem Monat ohne Wutausbrüche bekam ich den Eindruck, dass alles, was passiert war, jetzt der Vergangenheit angehörte und dass er und ich es schaffen würden.

Eines Abends, als wir in seinem Zimmer auf dem Boden lagen und Fernsehgeräusche von unten zu uns hochdrangen, beschlossen wir, dass Cole mit nach Colorado fahren sollte – alles andere ergab keinen Sinn. Er meinte, es täte ihm leid, Bethanys Papiere aus dem Fenster geworfen zu haben. Er hätte trotzdem immer weiter mitkommen wollen. Er sagte, er wüsste genauso viel von mir wie Zack und Bethany – vielleicht sogar mehr – und Colorado wäre der beste Ort, um unsere Bindung aneinander zu vertiefen.

Mir war klar, dass Zack und Bethany diese Idee furchtbar finden würden. Aber wenn ich mir vorstellte, in einer Berghütte vor einem lodernden Feuer zu sitzen, die Vergangenheit zu vergessen und mich in Coles Arme zu schmiegen, um später in Daunendecken mit ihm zu schlafen, dann fand ich, dass es den Kampf auf jeden Fall wert war. In solcher Liebesromantik zu baden würde uns beiden unglaublich gut tun.

Außerdem redete Cole in letzter Zeit immer öfter von einem Leben zu zweit. Vielleicht würde er mir bald einen offiziellen Antrag machen und wir würden es durchziehen und in Colorado heiraten. Bis dahin waren wir beide achtzehn. Eine Hochzeit auf einem Berggipfel. Schön!

Ich beschloss, Bethany und Zack bei unserem nächsten Treffen die Idee nahezubringen. Schließlich hatten sie sogar Tina mitnehmen wollen. Im Vergleich dazu war mein Wunsch, dass Cole mitkam, viel einleuchtender.

Ich wartete auf ein Treffen der beiden bei Zack zu Hause. Jeden Tag hielt ich Ausschau nach Bethanys Auto, und als ich es endlich vor Zacks Haus stehen sah, warf ich mir gleich eine Jacke über und ging rüber.

»Hallo«, sagte ich, als Zacks Mutter die Tür öffnete. »Sind sie da?«

»Alex!«, rief sie viel zu laut. In ihrer Stimme lag ein Hauch von etwas, das ich nicht ganz einordnen konnte. Wie viel hatte Zack ihr von Cole erzählt? Wusste sie von der Prügelei vor ihrem Haus? »Ach, Liebes, es ist schon – komm doch rein – Zack kommt bestimmt gleich – Zack, Alex ist da – ich hab gerade was zu essen gemacht, magst du was?«

Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Ich geh einfach runter«, und bevor sie etwas einwenden konnte, hatte ich schon das Wohnzimmer durchquert und lief die Treppen zum Hobbykeller hinunter.

Genau wie vermutet hockten Zack und Bethany im Schneidersitz vor dem Bildschirm und spielten das gleiche Autorennspiel wie auf Trents Party. Als ich hereinkam, schaltete Bethany auf Pause.

Ich hievte mich hoch auf die Waschmaschine, die nur ein paar Schritte entfernt vom Fernsehapparat stand, überkreuzte die Beine und stieß immer wieder sacht mit den Fersen gegen die Maschine, so wie ich es in den letzten siebzehn Jahren schon Milliarden von Male getan hatte.

»Wer gewinnt?«, fragte ich.

»Wir haben eben erst angefangen«, sagte Bethany. »Machst du mit?« Sie hielt mir ihren Controller hin.

»Nö«, sagte ich. »Ich wollte mit euch reden. Wegen Colorado.«

Sie tauschten einen Blick miteinander – das taten sie in der letzten Zeit dauernd. Als hätten sie sowieso schon alles besprochen, was es über mich zu besprechen gab. »Ach ja?«, sagte Bethany und setzte mit einem Knopfdruck das Spiel wieder in Gang. Sofort war der Keller überflutet mit dem Heulen rasender Rennwagen.

»Ja«, sagte ich und holte tief Luft. Es gab keine lockere Art, davon anzufangen. Ich musste einfach raus damit. »Ich hab mich irgendwie gefragt, ob Cole nicht mitkommen könnte.«

Zack stieß einen Lacher aus – ein einzelnes bellendes »Ha!« –, dann spielte er einfach weiter. Bethany dagegen ließ ihren Controller in den Schoß sinken und setzte die Brille ab.

»Du machst Witze, oder?«, meinte sie, ohne mich anzusehen. Zack blieb ins Spiel vertieft, er schien außer dem »Ha« nichts zu diesem Gespräch beitragen zu wollen.

»Nein«, sagte ich. »Hört mal, ich weiß ja, dass ihr beiden ihn nicht leiden könnt, aber er hat mir versprochen, dass er sich bemüht, mit euch auszukommen, und … er wird mir wohl einen Heiratsantrag machen.«

»O – mein – Gott!«, stieß Bethany hervor und warf den Controller auf die Seite. Diesmal drückte Zack auf Pause. Dann hockte er nur da und starrte mich an, während Bethany aufstand und zu dem verrosteten Kühlschrank auf der anderen Seite vom Keller hinübertigerte. »Das meinst du doch nicht ernst.«

Ich sprang von der Waschmaschine. »Doch, jawohl, das meine ich ernst. Wir sind bald achtzehn. Wieso sollten wir nicht heiraten, wenn wir dort sind?«

Sie riss den Kühlschrank auf und holte eine Orangenlimo raus, öffnete sie und nahm einen Schluck. »Tja, zum Beispiel weil er dich schlägt, Alex.« Ich schreckte zusammen und blinzelte. Es war das erste Mal, dass sie aussprach, was ich sogar vor mir selbst verleugnete.

»Das hat er schon lange nicht mehr getan«, sagte ich, was auch stimmte. »Und wenn wir erst verheiratet sind, ist alles anders. Dann muss er den Druck von seinen Eltern nicht mehr aushalten und er hat auch keinen Stress mehr mit der Schule und so. Außerdem geht er jetzt zu einem Psychologen, um besser klarzukommen. Für uns. Für unsere Zukunft.«

Zack lachte wieder laut auf – diesmal war es ein »Haha« –, doch es lag nicht einmal eine Spur von Belustigung in seinem Gesicht. »Du bist echt bekloppt«, sagte er.

»Wie bitte?«

»Er hat recht«, sagte Bethany. »Ich hatte sowieso kaum noch damit gerechnet, dass wir fahren, weil du dich nicht mehr dafür interessiert hast. Aber wenn du Cole mitnimmst, bin ich raus aus der Nummer. Ich will mit diesem Typen nichts zu tun haben.«

»Gilt genauso für mich«, sagte Zack.

Ich spürte, wie von den Zehen aus Wut in mir hochstieg. »Das würde euch gefallen, was?«, schrie ich. »Ihr würdet mich zu gern rauskicken aus eurer netten kleinen Freundesrunde. Das wollt ihr doch schon die ganze Zeit, seit ich Cole kenne. Am besten nehmt ihr Tina-die-Ulknudel mit. Ich hab gehört, sie ist echt der Hammer!«

»Man sollte meinen, du wüsstest uns mehr zu schätzen«, sagte Bethany und fuchtelte mit ihrer Limo herum.

»Ich soll euch zu schätzen wissen?« Diesmal war ich diejenige, die auflachte – ein heiseres Schnauben.

»Ja«, sagte sie. »Zack ist fast verknackt worden, als er versucht hat, dich vor diesem Arschloch zu beschützen. Und um ein Haar hätte er einen Schulverweis gekriegt, bloß weil er dich in der Umkleide verteidigt hat. Er hat sich den Mund blutig schlagen lassen. Alles für dich, Alex.«

»Ah«, sagte ich. »Du bist also eifersüchtig. Weil er’s nicht für dich getan hat.«

Sie lief dorthin, wo sie vorher gesessen hatte, und stellte ihre Limonade ab. »Nein, das bin ich nicht. Ehrlich gesagt komme ich gar nicht dazu, weil ich immer noch so darunter leide, dass mich meine beste Freundin wie Scheiße behandelt – da ist mir alles andere egal.«

»Oh, ich bedaure zutiefst, Euch nicht gebührend verehrt zu haben, Eure Majestät. Tut mir wahnsinnig leid, dass ich einen Freund habe und du nicht, weil du einfach nicht genug Mumm hast, um auf die Typen zuzugehen, die du gut findest, und schon gar nicht, um was mit ihnen anzufangen. Aber vielleicht redest du auch nur darum nicht mit Randy Weston, weil du in Wirklichkeit in Zack verliebt bist. Herrje, Zack, warum besorgst du’s ihr nicht mal richtig, damit sie endlich ein bisschen besser drauf ist?«

Beide schossen mir wütende, entsetzte Blicke zu. Zacks Gesicht war so grau geworden wie der Betonfußboden. Bethany war am ganzen Körper rot angelaufen. Ich hatte sogar mich selbst schockiert. Nun stand ich keuchend da und wusste nicht weiter.

Ich hatte mich gerade angehört … wie Cole.

O Gott. Ich verwandelte mich in ihn.

»Geh nach Hause, Alex«, sagte Zack. Er drückte auf einen Knopf und das Geheule der Rennwagen setzte wieder ein.

Bethany putzte sich mit einem Zipfel ihres T-Shirts die Brille und setzte sie wieder auf, dann nahm sie den Controller und begann auch weiterzuspielen.

Auf einmal hatte ich das Gefühl, die Beine nicht mehr bewegen zu können. Es war, als wüsste ich nicht mehr, wie man einen Fuß vor den anderen setzt, um vorwärtszukommen. Ich stand mit den Händen in den Hüften da, rang nach Luft und versuchte zu begreifen, was gerade passiert war.

»Ich hab Tschüss gesagt«, stellte Zack fest. Er schrie nicht. Er fluchte nicht. Da war überhaupt keine Emotion. Es war, als würde er mit einer Fremden reden. Oder mit einem Hund.

»Gut«, sagte ich und versuchte, dabei hart zu wirken und mein Gesicht zu wahren, so gut das eben ging. Ich wollte nicht klingen, als würde ich bereuen, was ich gerade gesagt hatte. Ich stürmte zur Treppe. »Aber wenn ihr beide Cole nicht akzeptiert, akzeptiert ihr mich auch nicht. Dann habt ihr in meinem Leben nichts mehr zu suchen.«

»Deine Entscheidung«, sagte Bethany, dann murmelte sie irgendwas Unverständliches vor sich hin und Zack murmelte eine Antwort.

Ich schleppte mich die Treppe hoch und begegnete oben Zacks Mutter, die mit düsterem Gesicht auf mich wartete.

»Ach, Schatz«, sagte sie und streckte die Hand aus, um meine Haare zu streicheln. »Ach, Schatz, bestimmt werden sie – habt ihr euch gestritten? – das wird wieder – Zack und dieser Junge, die kommen einfach nicht – ach, meine Kleine, ich würde dir doch so gerne helfen.«

Plötzlich wirkte sie auf eine Art mütterlich, mit der ich absolut nichts zu tun haben wollte. Du bist doch schuld, wütete ich innerlich. Wenn ich nicht all die Jahre immer das Gefühl gehabt hätte, dass es so verdammt gut ist, eine Mutter zu haben, hätte ich sie nicht so vermisst. Vielleicht wäre ich dann genauso hart geworden wie Celia und Shannin und nie in diesen ganzen Mist hineingeraten. Ich wich ihrer Berührung aus.

»Das geht aber nicht«, sagte ich und lief durch die kühle Abenddämmerung zurück nach Hause und hoch in mein Zimmer, wo ich mir vorspielen konnte, alles hätte doch irgendwie seine Richtigkeit.