Im Auto redeten wir kaum etwas.
Bei mir zu Hause war ich zu Cole gesprungen, hatte mich auf die Zehenspitzen gestellt und ihn vorsichtig geküsst, aber er hatte den Kuss nicht erwidert. Damit war die Stimmung zwischen uns klar. Ich fand das absurd.
»Hey, Liebling«, sagte ich. »Die beiden fahren mit uns, okay?«
Langsam senkte er den Blick und vor lauter Schreck über die Härte darin wich ich einen Schritt zurück. Dann schluckte er und sein Gesicht wurde immerhin ein bisschen weicher. »Klar«, sagte er mit einem gezwungenen Lächeln. »Die Menge macht’s, was?«
Er ging um mich herum, öffnete die Beifahrertür und klappte die Rückenlehne vor, dann stellte er sich neben das Auto und verkündete theatralisch: »Freunde von Alex sind mir jederzeit willkommen!«
Bethany schaute besorgt hinüber zu Zack, der Cole unverwandt anstarrte. Schließlich zupfte sie ihn am Ärmel. »Komm schon«, sagte sie leise und kletterte auf den Rücksitz. Auf dem Weg zum Wagen ließ Zack Cole nicht aus den Augen, und weil ich ihn so gut kannte, wusste ich schon, bevor er den Mund aufmachte, dass gleich eine seiner Bemerkungen kommen würde.
»Wie geht’s denn so, großer alter Meister? Siehst echt stramm aus heute Abend!«, sagte er, als er direkt vor Cole stand. Er schlug ihn auf die Schulter, zog einen Zahnstocher aus dem Nichts, steckte ihn zwischen die Lippen und setzte sich neben Bethany auf den Rücksitz.
Cole drehte sich über die Autotür hinweg zu mir und schaute mich grimmig an. »Sie sind meine Freunde«, flüsterte ich. »Der macht doch bloß Spaß.« Aber ich glaubte mir nicht einmal selbst.
»Fahren wir«, sagte Cole, lief ums Auto herum und stieg ein.
Während wir schweigend vor uns hin fuhren, überlegte ich krampfhaft, wie ich ein Gespräch in Gang bringen könnte. Aber jedes Mal, wenn ich etwas sagen wollte, sah ich Coles verkrampften Unterkiefer oder hörte, wie sich Bethany unruhig räusperte, und traute mich nicht mehr.
Als wir auf die Straße zum See einbogen, begann Bethany in ihrer Tasche herumzukramen.
»Oh, das hätte ich beinahe vergessen«, sagte sie, zog einen Stoß Papier heraus und reichte ihn nach vorne. »Die Colorado-Infos für dich, Cole.«
»Ah, gut«, sagte ich und nahm die Blätter, hielt sie hoch und wedelte mit ihnen. »Da sind deine Colorado-Sachen«, trällerte ich.
»Na super«, sagte Cole mit einem eiskalten Unterton, wie ich ihn noch nie bei ihm gehört hatte. »Stell dir vor. Jetzt krieg ich den Mist, den ich schon vor Wochen haben wollte. Echt nett von dir, dass du dich gleich drum gekümmert hast, Bethany.« Er schnappte sich die Papiere und ließ sie durch das offene Fenster hinaus auf die Straße segeln.
Mir blieb die Luft weg. Ich drehte mich um und schaute aus dem Rückfenster. Die Blätter flatterten einzeln herum und verfingen sich in den Sträuchern am Straßenrand. Bethany und ich tauschten einen Blick. Sie sah so aus, wie ich mich fühlte: Sie stand unter Schock. Ihre Augen hinter den Brillengläsern waren groß geworden, ihre Stirn lag in Falten und der Mund stand ihr offen. Zack hatte die Fäuste geballt und schien zu schäumen vor Wut.
»Was sollte das denn, verdammt?«, sagte ich, aber ich war so überrumpelt, dass mir die Stimme wegblieb und nur ein schwaches Piepsen herauskam, das man wegen des hereinwehendes Windes kaum hören konnte.
»Also ehrlich, großer Meister«, sagte Zack. »Du warst die Nummer eins auf ihrer Liste, aber dein überwältigender Glanz hat sie eingeschüchtert. Ihr hat einfach der Mut gefehlt, sich dir zu nähern.«
»Zack! Mach es nicht noch schlimmer«, zischte ich, aber Cole legte seine Hand auf mein Bein und grub die Finger tief in mein Knie.
»Lass doch, Alex. Deine zwei Freundinnen sollen offen sagen, was sie denken. Das ist absolut in Ordnung. Reden Sie nur weiter, meine Damen.«
»Cole, hör auf«, sagte ich und schob seine Hand von meinem Knie. Dort, wo mich seine Finger gepackt hatten, waren jetzt rote Striemen. Von hinten hörte ich, wie Zack laut auflachte und wie Bethany versuchte, ihn zu beruhigen. »Hey, Leute«, begann ich hilflos, aber dann wusste ich nicht weiter. Das lief alles vollkommen verkehrt. Mein Plan für diesen Abend würde in einem Desaster enden. Ich verkroch mich in meinen Sitz und schloss die Augen.
»Tut mir leid, dass ich’s dir jetzt erst gebe«, sagte Bethany, doch ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. »Aber das liegt wohl einfach daran, dass ich vorher gar keine Gelegenheit hatte, die Sachen auf den Weg zu bringen. Seit du mit Alex zusammen bist, habe ich sie nämlich nicht mehr gesehen.« Der Vorwurf war unüberhörbar. »Außerdem wollten wir Spaß haben in Colorado.« Sie ließ den Angriff einfach so stehen.
»Also ehrlich, Bethany«, sagte Zack mit gespielter Entrüstung. »Das wäre echt ein Jammer, wenn wir auf unseren großen Meister hier verzichten müssten. Mehr Spaß als mit ihm kann man doch nicht haben.«
»Zack!«, blaffte ich. »Hör auf damit. Bitte, Leute …«
Cole bog in den Parkplatz am See ein. Er gab etwas von sich, das wie ein Husten klang, und stellte den Wagen unter einem Baum ab. Es wurde gerade dunkel und ich konnte unter dem großen Holzdach keine einzelnen Leute erkennen, aber es wirkte, als wäre fast die ganze Schule da. Auf einmal hatte ich überhaupt keine Lust mehr, dabei zu sein. Meine Partystimmung war dahin.
Cole schaltete den Motor aus und drehte sich um. »Ich lass mich nicht verarschen, ist das klar? Alex ist anscheinend zu blöd, um zu kapieren, was hier läuft. Aber ich nicht. Du« – er zeigte mit dem Finger auf Zack – »willst eindeutig meiner Freundin an die Wäsche und du« – jetzt deutete er auf Bethany – »bist so verzweifelt hinter ihm her, dass du’s nicht merkst. Sieht doch jeder Blinde, dass du heiß auf ihn bist. Aber du wirst nie bei ihm landen, denn er ist nur scharf auf Alex. Warum fahrt ihr nicht zu zweit nach Colorado? Vielleicht läuft dann doch noch was zwischen euch. Als kleiner Trostpreis für die Frustrierten.«
Mit einem selbstzufriedenen Grinsen drehte er sich wieder nach vorne. Im Auto war es jetzt absolut still, wir waren alle zu entgeistert, um irgendwas zu erwidern. In meinen Ohren rauschte es. Cole hatte keine Ahnung von unserem Verhältnis zueinander. Wie konnte er solche Sachen behaupten? Und wie konnte er es wagen, mich blöd zu nennen?
»Alex«, flüsterte Bethany und warf mir mit zitterndem Kinn und Tränen in den Augen einen Blick zu.
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, was. Ich war irrsinnig wütend auf Cole, auf Zack und auch auf mich selbst, außerdem war mir das alles furchtbar peinlich. Cole öffnete die Tür und stieg aus. Er klappte die Rückenlehne zurück und schielte nach hinten.
»Verpiss dich, du Großmaul«, sagte er knurrend zu Zack. »Und nimm deinen größten Fan mit.« Dann kam er zu mir herüber und riss die Tür auf meiner Seite auf.
Zack beugte sich vor. Sein Gesicht war dicht an meinem. »Klar, Alex. Ist ein netter Kerl, dein Freund. Du hast echt Geschmack.«
Bethany wischte sich über die Wangen und rutschte zur Tür. »Wir fahren mit irgendwem andern nach Hause«, erklärte sie.
Die beiden kletterten aus dem Auto und ich sah zu, wie sie hinüber zu den anderen liefen. Zack hatte den Arm um Bethanys Schultern gelegt, sie schmiegte ihren Kopf eng an ihn.
Ich fühlte mich elend. In Gedanken ging ich noch mal alles durch, was passiert war, und versuchte herauszufinden, ab wann es schiefgelaufen war. Vor gerade mal zwanzig Minuten war ich noch Arm in Arm mit Zack und Bethany über den Rasen gelaufen, so wie wir das schon seit Kindertagen machten, und war davon überzeugt gewesen, dass alles gut werden würde: Wir würden zusammen einen wunderbaren Abend verbringen und die beiden würden Cole am Ende genauso gern mögen wie ich. Wie hatte er bloß die Sachen aus dem Fenster werfen können? Wieso musste er Bethany derart übel eine reinwürgen? Auch wenn er die beiden nicht mochte – er wusste doch, wie viel sie mir bedeuteten. Wie konnte er mir das antun?
Ich hätte irgendwas sagen können. Ich hätte sogar was sagen müssen. Die beiden waren meine besten Freunde. Bethany hatte hilfsbereit sein wollen. Was für eine miserable Freundin ich war. Ich hätte für sie einstehen müssen. Und auch für mich selbst, verdammt noch mal!
Nach einer Weile ging Cole in die Hocke und nahm meine Hand. Ich schüttelte ihn wütend ab.
»Lass mich in Ruhe!«, fauchte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Doch er legte die Hand wieder auf meine und streichelte sie sanft. Ich hörte ihn tief einatmen und seufzen.
»Tut mir leid«, sagte er leise. Er wirkte jetzt vollkommen verwandelt. »Aber du weißt doch, dass es stimmt. Du weißt, dass Zack in dich verliebt ist. Er will dauernd mit dir zusammen sein, er fasst dich an und … das macht mich einfach eifersüchtig. Ich komm nicht dagegen an. Ich liebe dich so sehr. Niemand darf dich mir wegnehmen.«
Ich funkelte ihn an. »Und Bethany? Du warst so gemein zu ihr. Kann gut sein, dass sie nie mehr mit mir zu tun haben will«, sagte ich und weinte jetzt nicht mehr so sehr. »Und das mit Zack stimmt einfach nicht.« Ich verteidigte Zack, weil er mein bester Freund war, aber in Wirklichkeit war ich auf ihn genauso wütend wie auf Cole. Zack stichelte jedes Mal herum, wenn Cole da war. Nannte ihn großer Meister und so. Wenn man es genau nahm, hatte Zack eigentlich angefangen, oder? Auch nicht gerade ein Verhalten, das man sich wünscht von einem Freund.
»Ich hab Bethany einen Gefallen getan«, sagte Cole. »Wenn Zack endlich kapiert, dass du mir gehörst und er dich vergessen muss, kriegt sie ihn vielleicht doch.«
Ich schüttelte den Kopf. »Bethany will nichts von Zack. Du hast keine Ahnung von unserer Freundschaft. Ich hab schon so oft versucht, dir das begreiflich zu machen« – wütend tippte ich mir mit dem Finger gegen die Stirn –, »aber du kriegst das einfach nicht in dein Hirn, keine Ahnung wieso.« Gleichzeitig fragte ich mich allerdings, ob das wirklich stimmte. Vielleicht lag Cole richtig und ich war diejenige, die es einfach nicht wahrhaben wollte. Vielleicht sah er eine Wahrheit über unsere Freundschaft, die ich selbst nicht erkannte. Vielleicht war ich wirklich nur zu blöd, um zu kapieren, was lief.
»Die kommen schon drüber hinweg«, sagte er und bewegte seine Hand hoch zu meiner Schulter. Mein Bein kribbelte immer noch an der Stelle, wo er mich vorhin gepackt hatte. Ich fragte mich, ob dort nachher wohl immer noch der Abdruck seiner Finger zu sehen sein würde. »Vielleicht kriegen sie sich sogar schon heute Abend wieder ein.« Ich schüttelte zweifelnd den Kopf. »Aber ich käme nie im Leben darüber hinweg, wenn Zack dich mir wegnehmen würde.«
Er legte die Hände um mein Gesicht und drehte es langsam in seine Richtung. »Es würde mich umbringen, wenn mir jemand dich wegnehmen würde, ganz egal wer«, sagte er.
Er fuhr mir mit dem Daumen über die Wangen und strich mir die Tränen weg, dann beugte er sich vor und küsste mich dort, wo sie gewesen waren. Ich schmiegte mich an ihn, fühlte mich dabei aber elend und hatte ein höllisch schlechtes Gewissen. Ich war schuld. Ich hatte alle verletzt. Niemand konnte etwas dafür außer mir. Ich hätte nicht versuchen dürfen, Cole meine Freunde aufzuzwingen.
Ich war schon so lange befreundet mit Bethany und Zack, aber ich konnte jetzt keine komplizierten Dreiecksgeschichten brauchen. Es war nicht in Ordnung, dass sie Cole ohne echten Grund hassten und ihn jedes Mal derart provozierten, wenn wir uns sahen.
Die beiden verstanden ihn einfach nicht. Sie begriffen nicht, wie tief meine Gefühle für ihn waren. Sie hatten keine Ahnung davon, wie zärtlich er sein konnte und wie liebevoll er mich oft ansah. Das alles verschwand nicht einfach, bloß weil er wütend geworden und ausgerastet war.
Es konnte nicht sein, dass der ganze Mist, der mit Bethany und Zack lief, zwischen Cole und mich trat. Wir beide passten so perfekt zusammen.
Er legte seine Stirn gegen meine. »Es tut mir leid«, flüsterte er. »Verzeihst du mir?«
Ich schloss die Augen und nickte. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen.