Das Orakel des Hundes

 

»Ja«, sagte Father Brown, »ich mag jeden Hund, solange er nicht rückwärts buchstabiert wird.«{*}

Schnelle Sprecher sind nicht immer schnelle Zuhörer. Manchmal bringt gerade ihre Brillanz eine Art von Dummheit hervor. Father Browns Freund und Begleiter war ein junger Mann, der von Ideen und Geschichten überströmte, ein enthusiastischer junger Mann namens Fiennes, mit eifrigen blauen Augen und blondem Haar, das nicht lediglich von einer Haarbürste zurückgebürstet erschien, sondern vielmehr von den Winden der Welt, wie er sie durchstürmte. Doch hielt er im Strom seiner Rede in einer augenblicklichen Verwirrung inne, ehe er des Priesters sehr einfache Meinung begriff.

»Sie meinen also, daß sich die Leute zu viel aus ihnen machen?« sagte er. »Nun, ich weiß nicht. Es sind wunderbare Geschöpfe. Manchmal glaube ich, daß sie sehr viel mehr wissen als wir.«

Father Brown sagte nichts, sondern fuhr fort, den Kopf des großen Apportierhundes in einer halb abwesenden, aber offensichtlich beruhigenden Weise zu streicheln.

»Nun gab es«, sagte Fiennes und erwärmte sich wieder für seinen Monolog, »einen Hund in diesem Fall, wegen dem ich Sie aufgesucht habe: was man den ›Fall des Unsichtbaren Mordes‹ nennt, wissen Sie. Das ist eine sonderbare Geschichte, aber nach meiner Ansicht ist dabei der Hund das Sonderbarste. Natürlich gibt es da das Rätsel des Verbrechens selbst und wie der alte Druce von jemandem umgebracht worden sein kann, wenn er sich doch ganz allein in dem Gartenhaus befunden hat – «

Die Hand, die den Hund streichelte, hielt für einen Augenblick in ihrer rhythmischen Bewegung inne, und Father Brown sagte ruhig: »Oh, es handelte sich also um ein Sommerhaus, nicht?«

»Ich dachte, Sie hätten alles darüber in den Zeitungen gelesen«, antwortete Fiennes. »Warten Sie; ich glaube, ich habe hier einen Zeitungsausschnitt bei mir, der Ihnen alle Einzelheiten berichten kann.« Er zog ein Stück Zeitung aus der Tasche und gab es dem Priester, der es zu lesen begann, indem er es mit der einen Hand nahe an seine blinzelnden Augen hielt, während die andere Hand mit ihren halb unbewußten Liebkosungen des Hundes fortfuhr. Das sah aus wie das Gleichnis von dem Mann, der seine rechte Hand nicht wissen läßt, was seine linke Hand tut.

 

»Viele mysteriöse Geschichten über Menschen, die man hinter verschlossenen Türen und Fenstern mordete, und über Mörder, die ohne Möglichkeiten des Ein- oder Ausgangs entkamen, wurden wahr im Laufe der außerordentlichen Ereignisse zu Cranston an den Küsten Yorkshires, wo man Oberst Druce fand, von hinten erstochen mit einem Dolch, der vollständig von der Szene, ja wohl gar aus der Gegend verschwunden ist. Das Gartenhaus, in dem er starb, war tatsächlich nur auf einem einzigen Wege zugänglich, durch die normale Haustür, die sich gegenüber dem Mittelpfad durch den Garten zum Haus hin befindet. Aber durch eine Zusammenfügung von Ereignissen, die man schon fast Zufall nennen könnte, war es so, daß sowohl der Pfad als auch die Eingangstür während der fraglichen Zeit überwacht wurden, und es gibt eine Reihe von Zeugen, die sich gegenseitig bestätigen. Das Gartenhaus steht am äußersten Ende des Gartens, wo es keinerlei Eingang oder Ausgang gibt. Der Mittelpfad ist eine Allee zwischen zwei Reihen hohen Rittersporns, die so eng gepflanzt sind, daß jeder Schritt vom Pfade ab seine Spuren hinterlassen würde; und beide, Pfad wie Pflanzen, laufen unmittelbar auf die Öffnung des Gartenhauses zu, so daß kein Abweichen von diesem geraden Wege unbeobachtet erfolgen könnte, und keine andere Art des Eintritts ist vorstellbar.

Patrick Floyd, Sekretär des ermordeten Mannes, bezeugt, daß er sich in einer Position befunden habe, von der aus er den ganzen Garten überschauen konnte, von dem Zeitpunkt an, in dem Oberst Druce zum letzten Mal lebendig in der Tür erschienen war, bis zu dem Zeitpunkt, da man ihn tot auffand; da er, Floyd, sich oben auf einer Treppenleiter befunden und die Gartenhecke geschnitten habe. Janet Druce, die Tochter des toten Mannes, bestätigte das und erklärte, sie habe während der ganzen Zeit auf der Terrasse gesessen und Floyd bei seiner Arbeit gesehen. Für einen Teil der Zeit wird das zusätzlich von Donald Druce, ihrem Bruder, bekräftigt, der den Garten überblickte, während er im Morgenmantel an seinem Schlafzimmerfenster stand, da er spät aufgestanden war. Schließlich stimmt dieser Bericht mit jenem überein, den Dr. Valentine, ein Nachbar, gegeben hat, der für eine Weile zu einem Gespräch mit Miss Druce auf der Terrasse vorbei kam, und mit dem vom Anwalt des Obersten, Mr. Aubrey Traill, der allem Anschein nach den ermordeten Mann als letzter lebend gesehen hat – wahrscheinlich mit der Ausnahme des Mörders.

Alle stimmen überein, daß sich der Ablauf der Ereignisse wie folgt abspielte: Gegen halb vier am Nachmittag ging Miss Druce den Pfad hinab, um ihren Vater zu fragen, wann er den Tee wünsche; doch sagte er, er wünsche keinen, sondern warte auf Traill, seinen Anwalt, den man ihm ins Gartenhaus senden solle. Daraufhin kam das Mädchen zurück und traf Traill, der gerade den Pfad herunterkam; sie wies ihn zu ihrem Vater, und er ging gemäß der Anweisung hinein. Etwa eine halbe Stunde später kam er wieder heraus, wobei ihn der Oberst bis zur Tür begleitete und sich allem Anschein nach gesund und sogar in guter Laune zeigte. Früher am Tage hatte er sich über den unregelmäßigen Lebenswandel seines Sohnes etwas verärgert gezeigt, aber er schien seine Fassung auf völlig normale Weise wiedergefunden zu haben und war bemerkenswert freundlich beim Empfang anderer Besucher, darunter zwei seiner Neffen, die für den Tag zu Besuch kamen. Da diese beiden aber während der ganzen Zeit der Tragödie auf einem Spaziergang waren, hatten sie nichts auszusagen. Es wird zwar behauptet, daß der Oberst sich mit Dr. Valentine nicht auf bestem Fuße befand, doch führte dieser Herr nur ein kurzes Gespräch mit der Tochter des Hauses, der er angeblich ernsthaft den Hof macht. Traill, der Rechtsanwalt, sagte aus, daß er den Oberst im Gartenhaus vollständig allein zurückließ, und dies wird von Floyds Vogelperspektive über den Garten bestätigt, dem sich niemand sonst zeigte, der den einzigen Eingang durchschritt. Zehn Minuten später ging Miss Druce wiederum den Garten hinab und hatte das Ende des Pfades noch nicht erreicht, als sie ihren Vater, auffällig durch seinen weißen Leinenrock, als einen Haufen auf dem Boden liegen sah. Sie stieß einen Schrei aus, der andere zur Stelle brachte, und als man das Haus betrat, fand man den Oberst tot neben seinem Korbstuhl liegen, der ebenfalls umgestürzt war. Dr. Valentine, der sich noch in der unmittelbaren Nachbarschaft aufhielt, bezeugte, daß die Wunde durch irgendeine Art Stilett verursacht worden sei, das unter dem Schulterblatt eindrang und das Herz durchbohrte. Die Polizei hat die Nachbarschaft nach einer solchen Waffe abgesucht, aber konnte keine Spur von ihr finden.«

 

»Also hat Oberst Druce einen weißen Rock getragen, oder?« sagte Father Brown, als er das Papier hinlegte.

»Hat er sich in den Tropen angewöhnt«, erwiderte Fiennes mit einiger Verwunderung. »Er muß da nach seinen eigenen Berichten die merkwürdigsten Abenteuer erlebt haben; ich glaube, seine Abneigung gegen Valentine stand im Zusammenhang damit, daß der Doktor ebenfalls aus den Tropen kam. Aber das Ganze ist ein höllisches Rätsel. Der Bericht da ist ziemlich genau; ich habe die Tragödie nicht mit angesehen, im Sinne der Entdeckung; ich war mit den beiden jungen Neffen spazieren, und mit dem Hund – dem Hund, von dem ich Ihnen erzählen wollte. Aber ich habe die Szenerie gesehen, wie sie da beschrieben wird; die gerade Allee zwischen den blauen Blumen direkt bis zum dunklen Eingang, und wie der Anwalt da in Schwarz und mit seidenem Zylinder hinabging, und den roten Schopf des Sekretärs hoch über der grünen Hecke, wie er sie mit seiner Schere bearbeitete. Niemand hätte diesen roten Schopf selbst auf die Entfernung hin verkennen können; und wenn die Leute sagen, sie hätten ihn die ganze Zeit da gesehen, dann können Sie sicher sein, daß sie das auch taten. Dieser rothaarige Sekretär Floyd ist schon eine Type; ein atemlos herumjagender Bursche, der ständig anderer Leute Arbeit erledigt, wie da die des Gärtners. Ich glaube, er ist Amerikaner; jedenfalls hat er die amerikanische Ansicht vom Leben – was sie drüben den Gesichtspunkt nennen. Der Teufel soll sie holen.«

»Und was ist mit dem Rechtsanwalt?« fragte Father Brown.

Es gab ein Schweigen, und dann sprach Fiennes für seine Verhältnisse reichlich langsam. »Traill ist mir als ein eigenartiger Mann aufgefallen. In seinem feinen schwarzen Anzug sah er fast wie ein Stutzer aus, und doch könnte man ihn nicht modebewußt nennen. Denn er trug ein Paar langer üppiger schwarzer Koteletten, wie man sie seit den Zeiten der Viktorianer nicht mehr gesehen hat. Er hatte ein vornehmes ernsthaftes Gesicht und vornehme Manieren, aber ab und zu schien er sich daran zu erinnern, wie man lächelt. Und wenn er seine weißen Zähne zeigte, schien er ein bißchen von seiner Würde zu verlieren, und dann umgab ihn etwas fast Kriecherisches. Aber das konnte auch nur Verlegenheit gewesen sein, denn er fummelte andauernd an seiner Krawatte und der Krawattennadel herum, die zugleich schön und ungewöhnlich waren, wie er selbst. Wenn ich mir irgend jemanden denken könnte – aber wozu, da die ganze Sache unmöglich ist? Niemand weiß, wer es getan hat. Niemand weiß, wie es getan werden konnte. Aber da muß ich eine Ausnahme machen, und deshalb habe ich die ganze Sache erwähnt. Der Hund weiß es.«

Father Brown seufzte und sagte dann abwesend: »Sie waren da als Freund des jungen Donald, oder? Und er hat Sie auf Ihrem Spaziergang nicht begleitet?«

»Nein«, erwiderte Fiennes lächelnd. »Der junge Schuft war erst am Morgen ins Bett gekommen und erst am Nachmittag wieder aufgestanden. Ich bin mit seinen Vettern losgezogen, zwei jungen Offizieren aus Indien, und unser Gespräch war recht alltäglich. Ich erinnere mich, daß der ältere, dessen Name wohl Herbert Druce ist, ein Fachmann im Bereich der Pferdezucht, nur über eine Stute sprach, die er gekauft hat, und über den Charakter des Mannes, der sie verkauft hat; während sein Bruder Harry über sein Pech in Monte Carlo zu brüten schien. Ich erwähne das nur, damit Sie im Hinblick auf das, was sich während unseres Spaziergangs ereignete, sehen können, daß es mit uns nichts Übersinnliches auf sich hatte. Der Hund war in unserer Gesellschaft der einzige Mystiker.«

»Was für eine Art Hund war er?« fragte der Priester.

»Die gleiche Rasse wie der da«, antwortete Fiennes. »Das hat mich ja erst auf diese Geschichte gebracht, als Sie sagten, Sie glaubten nicht, daß man einem Hund glauben könnte. Er ist ein großer schwarzer Apportierer namens Nacht, und das ist auch ein passender Name; denn mir scheint das, was er getan hat, ein noch dunkleres Mysterium als der Mord. Wie Sie wissen, befinden sich Druces Haus und Garten am Meer; wir sind zunächst rund eine Meile über den Sand davongegangen und haben uns dann umgedreht, um den Weg zurückzugehen. Wir kamen an einem reichlich seltsamen Felsen vorbei, den man den Schicksalsfelsen nennt und der in der Gegend berühmt ist, denn er ist ein Beispiel dafür, wie ein Fels auf einem anderen balanciert, so daß ein Stoß ihn hinabstürzen würde. Er ist nicht wirklich hoch, aber der überhängende Umriß läßt ihn ziemlich wild und schaurig erscheinen; jedenfalls für mich, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß meine fröhlichen jungen Gefährten Sinn für das Malerische haben. Vielleicht aber habe ich auch begonnen, eine Art Stimmung zu empfinden; denn gerade dann tauchte die Frage auf, ob es an der Zeit sei, zum Tee zurückzukehren, und schon da hatte ich wohl eine Art Vorahnung, daß die Frage der Zeit eine große Rolle spiele. Weder Herbert Druce noch ich hatten eine Uhr, und so riefen wir nach seinem Bruder, der ein paar Schritte zurückgeblieben war, um sich seine Pfeife im Schutz der Hecke anzuzünden. Daher kam es, daß er die Zeit, zwanzig nach vier, mit seiner starken Stimme durch das fallende Dämmerlicht ausrief; und irgendwie ließ diese Lautheit das wie die Verkündung von irgend etwas Ungeheurem erscheinen. Daß ihm das unbewußt war, vertiefte diesen Eindruck nur noch; aber so ist das mit Vorzeichen ja immer; und an jenem Nachmittag waren bestimmte Uhrschläge ja besonders unheilschwanger. Nach dem Zeugnis von Dr. Valentine war der arme Druce tatsächlich gegen halb fünf gestorben.

Na, die Jungens sagten jedenfalls, wir brauchten uns für weitere zehn Minuten nicht auf den Rückweg zu machen, und so schlenderten wir noch ein wenig weiter den Strand entlang und trieben nichts Besonderes – wir schleuderten Steine für den Hund und warfen ihm Stöcke in die See, damit er hinter ihnen herschwömme. Mir aber wurde die Dämmerung immer bedrückender, und der Schatten des kopflastigen Schicksalsfelsens lag wie eine Last auf mir. Und dann ereignete sich das Eigenartige. Nacht hatte gerade Herberts Spazierstock aus dem Meer zurückgebracht, und sein Bruder hatte den seinen hineingeschleudert. Der Hund schwamm wieder raus, aber in genau dem Augenblick, in dem es die halbe Stunde geschlagen haben muß, hielt er mit Schwimmen inne. Er kam ans Ufer zurück und stand da vor uns. Und dann warf er plötzlich den Kopf zurück und stieß ein Heulen, ein wahres Weheheulen aus – wie ich es noch nie gehört hatte.

›Was zum Teufel ist denn mit dem Hund los?‹ fragte Herbert; aber keiner von uns konnte antworten. Eine lange Stille herrschte, nachdem das Heulen und Winseln der Kreatur an dem verlassenen Strand erstorben war; und dann wurde die Stille gebrochen. Bei meinem Leben, sie wurde gebrochen von einem schwachen und fernen Schrei, wie dem Schrei einer Frau hinter den Hecken im Binnenland. Damals wußten wir nicht, was es war; aber später wußten wir es. Es war der Schrei, den das Mädchen ausstieß, als sie zuerst die Leiche ihres Vaters sah.«

»Ich nehme an, Sie sind dann zurückgegangen«, sagte Father Brown geduldig. »Und was geschah dann?«

»Ich werde Ihnen erzählen, was dann geschah«, sagte Fiennes mit grimmigem Nachdruck. »Als wir in jenen Garten zurückkamen, sahen wir als erstes Traill, den Anwalt; ich kann ihn immer noch sehen, wie er sich da mit dem schwarzen Hut und den schwarzen Koteletten vor dem Hintergrund der blauen Blumen abhob, die sich zum Gartenhaus hinab erstreckten, und vor dem Sonnenuntergang und dem sonderbaren Umriß des Schicksalsfelsens in der Ferne. Sein Gesicht und seine Gestalt befanden sich vor dem Sonnenuntergang im Schatten; aber ich schwöre, daß seine weißen Zähne leuchteten und daß er lächelte.

In dem Augenblick, als Nacht den Mann sah, stürmte der Hund vorwärts und stand da mitten auf dem Pfad und bellte ihn wie besessen mörderisch an, wobei er Verfluchungen hervorstieß, die in ihrer fürchterlichen Deutlichkeit des Hasses fast wie Worte wirkten. Und der Mann krümmte sich zusammen und floh zwischen den Blumen den Pfad hinab.«

Father Brown sprang mit erschreckender Ungeduld auf.

»Dann hat ihn also der Hund angeklagt, oder?« rief er. »Das Orakel des Hundes verurteilte ihn. Haben Sie auch gesehen, welche Vögel da flogen, und ob zur Rechten oder zur Linken? Haben Sie die Auguren nach den Opfern befragt? Sicherlich haben Sie nicht versäumt, den Hund aufzuschneiden und seine Eingeweide zu befragen. Das ist die Art wissenschaftlicher Prüfung, auf die ihr heidnischen Humanitarier euch zu verlassen scheint, wenn ihr einem Mann Leben und Ehre nehmen wollt.«

Fiennes saß einen Augenblick mit offenem Munde da, ehe er genügend Atem fand, um zu fragen: »Was ist denn mit Ihnen los? Was habe ich denn jetzt getan?«

In die Augen des Priesters kroch eine Art Besorgnis zurück – die Besorgnis eines Mannes, der im Dunkeln gegen einen Pfosten gerannt ist und sich nun fragt, ob er ihn verletzt habe.

»Tut mir furchtbar leid«, sagte er mit aufrichtiger Betrübnis. »Ich bitte Sie um Vergebung, daß ich so grob war; bitte verzeihen Sie mir.«

Fiennes sah ihn neugierig an. »Manchmal glaube ich, daß Sie von allen Geheimnissen das Geheimnisvollste sind«, sagte er. »Aber wenn Sie auch nicht an das Geheimnis des Hundes glauben, so kommen Sie doch nicht um das Geheimnis des Mannes herum. Sie können nicht leugnen, daß im gleichen Augenblick, da das Tier aus dem Meer stieg und heulte, die Seele seines Meisters durch den Hieb einer ungesehenen Macht aus dem Körper getrieben wurde, die kein Sterblicher aufspüren oder sich auch nur vorstellen kann. Und was den Anwalt angeht – ich halte mich da nicht nur an den Hund –, da gibt es auch noch andere merkwürdige Einzelheiten. Er kam mir wie ein glatter, lächelnder, doppelzüngiger Mensch vor; und eine seiner Angewohnheiten erschien wie eine Art Hinweis. Wie Sie wissen, waren der Doktor und die Polizei sehr rasch an Ort und Stelle; Valentine wurde zurückgeholt, während er vom Haus fortschritt, und er telephonierte sofort. Das machte es angesichts des abgeschlossenen Hauses, der kleinen Anzahl Leute und des eingefriedeten Geländes möglich, jeden zu durchsuchen, der auch nur in der Nähe gewesen sein konnte; und jeder wurde gründlich durchsucht – nach einer Waffe. Das ganze Haus, der Garten, das Ufer wurden nach einer Waffe durchkämmt. Das Verschwinden des Dolches ist fast ebenso irrsinnig wie das Verschwinden des Mannes.«

»Das Verschwinden des Dolches«, sagte Father Brown nickend. Er schien plötzlich aufmerksam geworden zu sein.

»Nun«, fuhr Fiennes fort, »ich habe Ihnen erzählt, daß dieser Traill die Angewohnheit hatte, an Krawatte und Krawattennadel herumzufummeln – vor allem an der Krawattennadel. Die Nadel war wie er selbst gleichzeitig prunkvoll und altmodisch. Sie besaß einen jener Steine mit konzentrischen farbigen Ringen, die wie ein Auge aussehen; und wie er sich auf ihn konzentrierte, ging mir auf die Nerven, so als ob er ein Zyklop mit einem Auge mitten auf seiner Brust wäre. Die Nadel war aber nicht nur groß, sondern auch lang; und mir kam es so vor, als komme seine Unruhe über ihren richtigen Sitz daher, daß sie noch länger war als sie aussah; so lang wie ein Stilett.«

Father Brown nickte nachdenklich. »Hat man auch noch an eine andere Waffe gedacht?« fragte er.

»Es gab noch einen anderen Gedanken«, antwortete Fiennes, »von einem der jungen Druces – den Vettern, meine ich. Weder Herbert noch Harry würden einem zunächst als mögliche Helfer bei einer wissenschaftlichen Aufklärung auffallen; während aber Herbert tatsächlich der typische schwere Dragoner war, den nichts anderes interessierte als Pferde, mit dem einzigen Wunsch, eine Zierde der berittenen Garde zu sein, war sein jüngerer Bruder Harry bei der Indien-Polizei gewesen und wußte einiges von solchen Dingen. Auf seine Weise war er sogar ganz schön schlau; und vielleicht ist er sogar zu schlau gewesen; ich glaube, er mußte die Polizei verlassen, weil er sich über irgendwelche Dienstvorschriften hinweggesetzt und irgendwelche Risiken und Verantwortungen selbst übernommen hat. Jedenfalls, er war auf eine gewisse Art ein Detektiv außer Diensten und warf sich auf diese Sache mit mehr als dem Eifer eines Amateurs. Und mit ihm hatte ich eine Diskussion über die Waffe – eine Diskussion, die zu etwas Neuem führte. Es begann damit, daß er meiner Beschreibung widersprach, wie der Hund Traill angebellt habe; er sagte, wenn ein Hund besonders zornig ist, belle er nicht mehr, sondern knurre.«

»Damit hatte er ganz recht«, bemerkte der Priester.

»Dieser junge Bursche sagte dann weiter, wenn es darum ginge, so habe er Nacht schon zuvor andere Menschen anknurren gehört; darunter auch Floyd, den Sekretär. Ich gab ihm zurück, daß sein Argument sich selbst widerlege; denn man könne das Verbrechen nicht zwei oder drei Menschen anhängen, und zu allerletzt Floyd, der so unschuldig sei wie ein ausgelassener Schuljunge und den jedermann die ganze Zeit gesehen habe, wie er sich mit seinem Büschel roter Haare so auffällig wie ein scharlachroter Kakadu über die Hecke gebeugt habe. ›Ich weiß, daß es da Schwierigkeiten gibt‹, sagte mein Kollege, ›aber kommen Sie bitte mal mit mir in den Garten. Ich möchte Ihnen etwas zeigen, das sonst wohl niemand gesehen hat.‹ Das war an dem Tag der Entdeckung, und der Garten war ganz unverändert. Die Treppenleiter stand noch an der Hecke, und unmittelbar an der Hecke blieb mein Führer stehen und zog etwas aus dem tiefen Gras hervor. Es war die Heckenschere, und an einer der Scherenspitzen war ein Blutfleck.«

Es gab ein kurzes Schweigen, und dann sagte Father Brown plötzlich: »Warum war der Anwalt gekommen?«

»Er erzählte uns, der Oberst habe nach ihm geschickt, um sein Testament zu ändern«, antwortete Fiennes. »Und übrigens, im Zusammenhang mit dem Testament gab es noch etwas anderes, das ich erwähnen sollte. Wissen Sie, das Testament wurde gar nicht an dem Nachmittag im Sommerhaus unterzeichnet.«

»Das nehme ich auch nicht an«, sagte Father Brown, »dazu hätte es zweier Zeugen bedurft.«

»Der Anwalt war bereits am Vortag gekommen, und da war es unterschrieben worden; aber es wurde am nächsten Tag wieder nach ihm geschickt, weil dem alten Mann Zweifel wegen eines der Zeugen gekommen waren und er sich deshalb vergewissern wollte.«

»Wer waren die Zeugen?« fragte Father Brown.

»Das ist es ja gerade«, erwiderte sein Informant eifrig, »die Zeugen waren Floyd, der Sekretär, und dieser Dr. Valentine, diese ausländische Art Chirurg oder was immer er ist; und die beiden hatten einen Streit miteinander. Nun muß ich sagen, daß der Sekretär die Art Mensch ist, die sich in alles einmischt. Er ist einer von diesen hitzigen und halsstarrigen Kerlen, deren Temperament sich unglücklicherweise meistens in Widerborstigkeit und knisterndes Mißtrauen verwandelt; den Menschen mißtrauen, statt ihnen zu trauen. Diese Sorte rothaariger rotglühender Burschen ist immer entweder unendlich zutraulich oder unendlich mißtrauisch; und manchmal auch beides. Er ist nicht nur ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen, sondern er weiß auch alles besser als jeder Fachmann. Er weiß nicht nur alles besser, sondern er warnt auch jeden vor jedem. All das muß man im Hinblick auf seine Verdächtigungen gegen Valentine mit in Rechnung stellen; aber in diesem besonderen Fall scheint doch etwas dahinter zu stecken. Er sagte, Valentine heiße nicht wirklich Valentine. Er sagte, er habe ihn anderswo gesehen, wo man ihn unter dem Namen de Villon kannte. Er sagte, das würde das Testament ungültig machen; natürlich besaß er die Freundlichkeit, dem Rechtsanwalt das Recht in dieser Frage zu erklären. Darauf gerieten sie sich ganz schön in die Haare.«

Father Brown lachte. »Leute sind oft so, wenn sie ein Testament bezeugen«, sagte er, »denn das bedeutet unter anderem, daß sie darin nicht bedacht werden können. Aber was hat Dr. Valentine gesagt? Zweifellos wußte der universale Sekretär mehr über den Namen des Doktors, als der Doktor selbst. Aber auch der Doktor sollte eigentlich etwas über seinen eigenen Namen wissen.«

Fiennes hielt einen Augenblick inne, ehe er antwortete.

»Dr. Valentine nahm das in einer eigenartigen Weise auf. Dr. Valentine ist ein eigenartiger Mann. Seine Erscheinung ist recht auffällig und sehr ausländisch. Er ist noch jung, aber trägt einen eckig geschnittenen Bart; sein Gesicht ist sehr blaß, schrecklich blaß und schrecklich ernsthaft. In seinen Augen schimmert ein Schmerz, als ob er Brillen tragen müsse oder als ob er sich durch Denken Kopfschmerzen verschafft hätte; aber er sieht sehr gut aus und ist immer sehr förmlich gekleidet, mit Zylinder und dunklem Jackett und einer kleinen roten Rosette. Sein Benehmen ist ziemlich kühl und hochmütig, und er hat eine Art, einen anzustarren, die einen ganz durcheinander bringt. Als man ihn bezichtigte, seinen Namen geändert zu haben, starrte er zunächst wie eine Sphinx und sagte dann mit einem kleinen Lachen, er nehme an, daß Amerikaner keine Namen hätten, die sie ändern könnten. Daraufhin geriet auch der Oberst in Fahrt und sagte dem Doktor alle Arten ärgerlicher Dinge; um so ärgerlicher wegen der Absichten des Doktors auf einen künftigen Platz in seiner Familie. Ich hätte mir aus all dem aber nicht viel gemacht, wären da nicht einige Worte, die ich zufällig später hörte, am frühen Nachmittag der Tragödie. Ich will ihnen aber nicht zuviel Gewicht beimessen, denn sie waren nicht von der Art, bei der man gewöhnlich gern den Lauscher macht. Als ich mit meinen beiden Gefährten und dem Hund zum Gartentor strebte, hörte ich Stimmen, die mir verrieten, daß sich Dr. Valentine und Miss Druce für einen Augenblick in den Schatten des Hauses zurückgezogen hatten, in einen Winkel hinter einer Reihe blühender Pflanzen, und daß sie miteinander in leidenschaftlichem Flüstern sprachen – manchmal fast wie ein Zischen; es war zugleich ein Streit und ein Stelldichein von Liebenden. Niemand wird da bereit sein zu wiederholen, was die beiden sich hauptsächlich sagten; aber in einer so unglücklichen Geschichte fühle ich mich doch verpflichtet zu sagen, daß mehr als einmal ein Satz wiederholt wurde, daß jemand getötet werden solle. Tatsächlich schien das Mädchen ihn anzuflehen, jemanden nicht zu töten, oder darauf hinzuweisen, daß keine Provokation es rechtfertigen könne, jemanden zu töten; was mir als eine unübliche Art von Rede erscheint, die man an einen Herrn richtet, der auf eine Tasse Tee vorbeigekommen ist.«

»Wissen Sie«, fragte der Priester, »ob Dr. Valentine nach der Szene mit dem Sekretär und dem Oberst sehr ärgerlich war – ich meine die Sache mit dem Bezeugen des Testaments?«

»Nach allen Berichten«, erwiderte der andere, »war er nicht halb so ärgerlich wie der Sekretär. Es war der Sekretär, der nach der Beglaubigung des Testamentes kochend vor Wut wegstürmte.«

»Und jetzt«, sagte Father Brown, »was ist mit dem Testament?«

»Der Oberst war ein sehr wohlhabender Mann, und sein Testament war daher wichtig. Traill wollte uns zu jenem Zeitpunkt die Änderung nicht mitteilen, und ich habe erst heute Morgen gehört, daß der Hauptteil des Geldes vom Sohn auf die Tochter übertragen wurde. Ich habe Ihnen ja erzählt, daß Druce mit meinem Freund Donald wegen dessen Lebenswandel ziemlich zornig war.«

»Die Frage des Motivs ist durch die Frage der Methode ziemlich überschattet worden«, bemerkte Father Brown nachdenklich. »In jenem Augenblick war also Miss Druce die offenkundige Nutznießerin aus dem Tod.«

»Guter Gott! Welch eine kaltblütige Weise zu reden«, rief Fiennes und starrte ihn an. »Sie wollen doch nicht wirklich andeuten, daß sie – «

»Wird sie diesen Dr. Valentine heiraten?« fragte der andere.

»Manche sind dagegen«, antwortete sein Freund. »Aber im Ort mag und respektiert man ihn, und er ist ein geschickter und gewissenhafter Chirurg.«

»Ein so gewissenhafter Chirurg«, sagte Father Brown, »daß er sein chirurgisches Besteck mit sich führte, als er der jungen Dame zur Teezeit einen Besuch abstattete. Er muß eine Lanzette oder so was Ähnliches benutzt haben, und er scheint niemals nach Hause gegangen zu sein.«

Fiennes sprang auf und starrte ihn in brennender Neugierde an. »Sie meinen, er könnte dieselbe Lanzette verwendet haben, die – «

Father Brown schüttelte den Kopf. »Alle diese Überlegungen sind jetzt noch reine Phantasiegebilde«, sagte er. »Die Frage ist nicht, wer es tat, oder was er tat, sondern wie es getan wurde. Wir können viele Männer finden und sogar viele Tatwerkzeuge – Krawattennadeln und Heckenscheren und Lanzetten. Aber wie ist ein Mann in den Raum gekommen? Oder wie ist auch nur eine Nadel hineingekommen?«

Er starrte nachdenklich an die Decke, während er sprach, aber als er die letzten Worte sagte, zuckte sein Auge wachsam, als habe er plötzlich an der Decke eine eigenartige Fliege gesehen.

»Und was würden Sie deswegen unternehmen?« fragte der junge Mann. »Sie haben doch eine Menge Erfahrungen; was würden Sie jetzt raten?«

»Ich fürchte, ich bin da nicht von großem Nutzen«, sagte Father Brown mit einem Seufzer. »Ich kann nicht gut Ratschläge geben, ohne dem Ort oder den Menschen auch nur nahe gewesen zu sein. Im Augenblick können Sie nur mit den örtlichen Untersuchungen fortfahren. Ich nehme an, daß Ihr Freund von der Indien-Polizei die Untersuchungen da unten mehr oder minder übernommen hat. Ich würde hinfahren und nachsehen, wie er vorankommt. Sehen, was er im Rahmen der Amateurermittlung getan hat. Es mag inzwischen Neuigkeiten geben.«

Nachdem seine Gäste, der zweibeinige und der vierbeinige, verschwunden waren, nahm Father Brown sich seinen Federhalter und kehrte zu seiner unterbrochenen Beschäftigung zurück, nämlich eine Vortragsreihe über die Enzyklika Rerum Novarum zu planen. Das Thema war umfangreich, und er hatte es mehr als einmal neu anzugehen, so daß er fast auf die gleiche Weise beschäftigt war, als zwei Tage später der große schwarze Hund erneut ins Zimmer stürmte und sich enthusiastisch und aufgeregt auf ihn warf. Sein Herr, der dem Hund folgte, teilte dessen Aufregung, wenn nicht seinen Enthusiasmus. Er war in weniger angenehmer Weise aufgeregt, denn seine blauen Augen schienen ihm vor den Kopf zu treten, und sein eifriges Gesicht war sogar ein bißchen bleich.

»Sie haben mir gesagt«, begann er abrupt und ohne Vorrede, »ich solle herausfinden, was Harry Druce tue. Wissen Sie, was er getan hat?«

Der Priester antwortete nicht, und der junge Mann fuhr ruckartig fort:

»Ich werd Ihnen sagen, was er getan hat. Er hat sich umgebracht.«

Father Browns Lippen bewegten sich nur schwach, und in dem, was er sagte, war nichts Praktisches – nichts, das irgend etwas mit dieser Geschichte oder dieser Welt zu tun hatte.

»Manchmal bekomme ich von Ihnen eine Gänsehaut«, sagte Fiennes. »Haben Sie – haben Sie das erwartet?«

»Ich hielt es für möglich«, sagte Father Brown, »deshalb habe ich Sie gebeten, hinzufahren und nachzusehen, was er tue. Ich hoffte, Sie kämen nicht zu spät.«

»Ich habe ihn gefunden«, sagte Fiennes mit belegter Stimme. »Es war die häßlichste und unheimlichste Erfahrung meines Lebens. Ich bin wieder durch den alten Garten gegangen, und ich wußte, daß es da etwas Neues und Unnatürliches außer dem Mord gab. Die Blumen drängten sich noch immer in blauen Mengen auf beiden Seiten des schwarzen Eingangs zum alten grauen Gartenhaus; aber auf mich wirkten die blauen Blumen wie blaue Teufel, die vor den dunklen Höhlen der Unterwelt tanzen. Ich sah in die Runde, alles schien an seinem üblichen Platz zu sein. Aber in mir wuchs der sonderbare Eindruck, daß irgendwas mit der Form des Himmels selbst nicht stimme. Und dann sah ich, was es war. Immer hatte sich der Schicksalsfelsen im Hintergrund jenseits der Gartenhecke vor der See erhoben. Der Schicksalsfelsen war nicht mehr da.«

Father Brown hatte den Kopf gehoben und lauschte aufmerksam.

»Es war, als sei ein Berg aus einer Landschaft weggewandert oder ein Mond aus dem Himmel gefallen; obwohl ich natürlich wußte, daß jederzeit eine Berührung das Ding umstürzen konnte. Ich war von irgendwas besessen, und ich raste wie der Wind den Gartenpfad hinab und rauschte krachend durch die Hecke, als wäre sie ein Spinnweb. In Wirklichkeit war es eine dünne Hecke, obwohl ihr ungestörter Beschnitt sie die Dienste einer Mauer hatte tun lassen. Am Ufer fand ich den losen Felsen, der von seinem Sockel gestürzt war; und der arme Harry Druce lag wie ein Wrack darunter. Einen Arm hatte er wie in einer Umarmung herumgeschlungen, als habe er ihn auf sich herabgezogen; und in den bräunlichen Sand daneben hatte er in großen wackeligen Buchstaben die Worte gekritzelt: ›Der Schicksalsfelsen stürzt auf den Narren.‹«

»Das Testament des Obersten hat das ausgelöst«, bemerkte Father Brown. »Der junge Mann hatte alles darauf gesetzt, von Donalds Ungnade zu profitieren, besonders, nachdem sein Onkel am gleichen Tage nach ihm schickte wie nach dem Anwalt und ihn mit solcher Wärme begrüßte. Andernfalls war es mit ihm aus; er hatte seinen Posten in der Polizei verloren; in Monte Carlo war er zum Bettler geworden. Und er brachte sich selbst um, als sich herausstellte, daß er seinen Verwandten umsonst umgebracht hatte.«

»Halt, einen Augenblick!« schrie Fiennes starren Blicks. »Sie sind zu schnell für mich.«

»Wenn wir übrigens vom Testament sprechen«, fuhr Father Brown ruhig fort, »ehe ich das vergesse oder wir zu wichtigeren Dingen kommen: Es gibt, glaube ich, für all den Wirrwarr um des Doktors Namen eine einfache Erklärung. Ich bilde mir ein, daß ich beide Namen schon früher irgendwo gehört habe. Der Doktor ist in Wirklichkeit ein französischer Edelmann mit dem Titel eines Marquis de Villon. Aber er ist ebensosehr ein glühender Republikaner, der seinen Titel aufgegeben hat und sich statt dessen des vergessenen Familiennamens bedient. ›Mit eurem Bürger Riquetti habt ihr Europa zehn Tage lang sehr verwirrt.‹«

»Was ist denn das?« fragte der junge Mann verständnislos.

»Egal«, sagte der Priester. »In 9 von 10 Fällen liegt einer Namensveränderung eine Schurkerei zugrunde; in diesem Fall aber war es ein Stück des feinsten Fanatismus. Und das ist die Pointe seiner sarkastischen Bemerkung, daß die Amerikaner keine Namen zum Ändern hätten – nämlich keine Titel. In England würde man den Marquis of Hartington niemals als Mr. Hartington anreden; aber in Frankreich wird der Marquis de Villon als Monsieur de Villon angeredet. Deshalb konnte das Ganze wie eine Namensänderung aussehen. Was nun das Gespräch übers Töten angeht, so vermute ich, daß es sich da ebenfalls um eine Frage der französischen Etiquette handelte. Der Doktor sprach davon, Floyd zu einem Duell zu fordern, und das Mädchen versuchte, ihm das auszureden.«

»Oh, ich verstehe«, rief Fiennes langsam. »Jetzt begreife ich auch, was sie gemeint hat.«

»Und was war das?« fragte ihn sein Gefährte lächelnd.

»Nun«, sagte der junge Mann, »mir ist da etwas zugestoßen, unmittelbar bevor ich die Leiche des armen Kerls gefunden habe; nur diese Katastrophe hat es mich vergessen gemacht. Vermutlich ist es schwierig, sich an eine kleine romantische Idylle zu erinnern, wenn man gerade den Gipfel einer Tragödie erreicht hat. Jedenfalls, als ich die Straßen zum alten Wohnhaus des Obersten hinabging, begegnete ich seiner Tochter, die mit Dr. Valentine spazieren ging. Sie war natürlich in Trauer, und er trug immer Schwarz, als ob er zu einer Beerdigung ginge; aber ich kann nicht behaupten, daß ihre Gesichter sehr nach Beerdigung aussahen. Nie habe ich zwei Menschen gesehen, die auf ihre Weise ehrbarer strahlend und fröhlich aussahen. Sie hielten an und begrüßten mich, und dann erzählte sie mir, sie seien verheiratet und lebten in einem kleinen Haus am Rande der Stadt, wo der Doktor weiterhin praktiziere. Das hat mich einigermaßen überrascht, denn ich wußte ja, daß das Testament ihres Vaters ihr seinen Besitz zugesprochen hatte; darauf wies ich vorsichtig hin, indem ich sagte, ich sei unterwegs zu ihres Vaters Haus und hätte halb erwartet, sie dort anzutreffen. Aber sie lachte nur und sagte: ›Wir haben das alles aufgegeben. Mein Mann liebt Erbinnen nicht.‹ Und dann stellte ich mit einigem Erstaunen fest, daß sie wirklich darauf bestanden hatte, den ganzen Besitz an den armen Donald zurückzugeben; also hoffe ich, daß er einen heilsamen Schock erlitten hat und ihn vernünftig behandelt. Es stand in Wirklichkeit nie ganz übel mit ihm; er war sehr jung, und sein Vater war nicht sehr klug. Aber in diesem Zusammenhang sagte sie etwas, was ich damals nicht verstanden habe; jetzt aber bin ich sicher, daß es so gewesen sein muß, wie Sie sagen. Sie sagte mit plötzlichem und glänzendem Hochmut, der vollkommen altruistisch war:

›Ich hoffe, das wird diesen rothaarigen Narren davon abhalten, noch weiter Aufhebens um das Testament zu machen. Glaubt er denn, mein Mann, der um seiner Grundsätze willen Helmschmuck und Wappenkrone aufgegeben hat, die so alt wie die Kreuzzüge waren, würde einen alten Mann in seinem Gartenhaus um einer solchen Erbschaft willen umbringen?‹ Dann lachte sie wieder und sagte: ›Mein Mann bringt niemanden außer beruflich um. Er hat ja nicht einmal seine Freunde gebeten, den Sekretär aufzusuchen.‹ Nun begreife ich natürlich, was sie da gemeint hat.«

»Ich begreife natürlich einen Teil dessen, was sie gemeint hat«, sagte Father Brown. »Aber was genau meinte sie mit dem Aufhebens, das der Sekretär um das Testament mache?«

Fiennes lächelte, als er antwortete: »Ich wünschte, Sie kennten den Sekretär, Father Brown. Es würde Ihnen Spaß machen zuzusehen, wie er alles sausen macht, wie er das nennt. Er machte das Trauerhaus sausen. Er stattete die Bestattung mit allem Biß und Zack einer sportlichen Großveranstaltung aus. Nichts kann ihn halten, wenn irgendwas wirklich geschehen ist. Ich habe Ihnen erzählt, wie er den Gärtner bei der Gartenarbeit überwachte und wie er den Rechtsanwalt die Rechte lehrte. Unnötig zu sagen, daß er auch den Chirurgen in der Chirurgie unterwies; und da der Chirurg Dr. Valentine war, dürfen Sie sicher sein, daß es damit endete, daß er ihn schlimmerer Dinge als nur chirurgischer Kunstfehler bezichtigte. Der Sekretär hat unter seinem roten Schopf die fixe Idee, daß der Doktor das Verbrechen begangen habe, und als die Polizei eintraf, benahm er sich unendlich erhaben. Muß ich betonen, daß er sich auf der Stelle in den größten aller Amateurdetektive verwandelte? Sherlock Holmes hat Scotland Yard niemals mit titanischerem intellektuellem Stolz und Spott überragt, als Oberst Druces Privatsekretär die Polizei, die Oberst Druces Tod untersuchte. Ich sage Ihnen, es war ein Genuß, ihm zuzusehen. Er schritt mit abwesendem Antlitz umher, warf seine rote Haarmähne zurück und gab kurze ungeduldige Antworten. Natürlich hat sein Verhalten während jener Tage Druces Tochter so gegen ihn aufgebracht. Natürlich hatte er eine Theorie. Genau die Art von Theorie, die ein Mann in einem Roman haben würde; und Floyd ist die Art von Mann, die in einem Roman vorkommen sollte. In einem Roman böte er mehr Spaß und weniger Verdruß.«

»Was ist denn seine Theorie?« fragte der andere.

»Oh, die war ganz schön gepfeffert«, erwiderte Fiennes düster. »Sie würde Riesenschlagzeilen gemacht haben, wenn sie nur für 10 Minuten länger zusammengehalten hätte. Er behauptete, der Oberst sei noch am Leben gewesen, als man ihn im Gartenhaus fand, und dann habe der Doktor ihn mit einem Skalpell unter dem Vorwand getötet, die Kleidung aufzuschneiden.«

»Aha«, sagte der Priester. »Ich nehme an, daß er bäuchlings auf dem Lehmboden lag, ausgestreckt zum Mittagsschlaf.«

»Wunderbar, was Betriebsamkeit alles schafft«, fuhr sein Informant fort. »Ich glaube, daß Floyd seine große Theorie auf alle Fälle in die Presse gebracht und den Doktor vielleicht verhaften lassen hätte, wäre das alles nicht wie durch Dynamit in die Luft geflogen durch die Entdeckung jener Leiche unter dem Schicksalsfelsen. Und damit sind wir wieder beim Anfang angekommen. Ich nehme an, daß der Selbstmord praktisch ein Geständnis ist. Aber niemand wird wohl je die ganze Geschichte kennen.«

Es herrschte Schweigen, und dann sagte der Priester bescheiden: »Ich glaube, daß ich die ganze Geschichte kenne.«

Fiennes starrte ihn an. »Aber wie denn«, schrie er; »wie könnten Sie denn die ganze Geschichte kennen? Oder sicher sein, daß es die wahre Geschichte ist? Sie haben hier hundert Meilen entfernt gesessen und an einer Predigt geschrieben; wollen Sie mir erzählen, daß Sie wirklich wüßten, was bisher geschehen ist? Wenn Sie wirklich das Ende erkannt haben, wo in aller Welt haben Sie begonnen? Was hat Sie denn auf Ihre Geschichte gebracht?«

Father Brown sprang in sehr ungewöhnlicher Aufregung auf, und sein erster Ausruf war wie ein Ausbruch.

»Der Hund!« rief er. »Natürlich der Hund! Mit der Geschichte vom Hund am Strand hatten Sie die ganze Geschichte in der Hand, wenn Sie nur den Hund richtig beachtet hätten.«

Fiennes starrte immer mehr. »Aber Sie selbst haben mir doch früher gesagt, daß meine Gefühle dem Hund gegenüber Unfug seien und daß der Hund nichts damit zu tun habe.«

»Der Hund hatte alles damit zu tun«, sagte Father Brown, »wie Sie selbst herausgefunden hätten, wenn Sie den Hund nur als Hund gesehen hätten und nicht als Gott den Allmächtigen, wie er die Seelen der Menschen richtet.«

Er hielt für einen Augenblick verwirrt inne und sagte dann mit einem pathetischen Ausdruck der Entschuldigung: »Die Wahrheit ist, daß ich Hunde zufällig furchtbar gern habe. Und mir scheint, daß bei all diesem unheimlichen Nimbus von Aberglauben um den Hund niemand wirklich an den armen Hund selbst gedacht hat. Um mit einer Kleinigkeit zu beginnen, wie er den Anwalt anbellte oder den Sekretär anknurrte. Sie haben mich gefragt, wie ich die Dinge hundert Meilen entfernt erraten konnte; die Ehre dafür gebührt vor allem Ihnen, denn Sie haben die Personen so gut beschrieben, daß ich sie genau kenne. Ein Mann wie Traill, der normalerweise die Stirne runzelt und dann plötzlich lächelt, ein Mann, der an den Dingen herumfummelt und besonders an seiner Kehle, ist ein nervöser und leicht in Verlegenheit geratender Mann. Ich würde mich nicht wundern, wenn auch Floyd, der so tüchtige Sekretär, ein aufgeregter und schreckhafter Mann wäre; diese übereifrigen Yankees sind das oft. Andernfalls hätte er sich nicht die Finger an der Schere geschnitten und sie fallen gelassen, als er Janet Druce schreien hörte.

Nun hassen Hunde nervöse Menschen. Ich weiß nicht, ob sie den Hund auch nervös machen; oder ob er, der schließlich nur ein Tier ist, auch ein bißchen vom Bramarbas hat; oder ob sich seine hündische Eitelkeit (die kolossal ist) einfach dadurch beleidigt fühlt, daß man ihn nicht mag. Wie auch immer, da war nichts anderes im armen Nacht, was gegen diese Leute protestierte, außer daß er sie nicht mochte, weil sie ihn fürchteten. Nun weiß ich, daß Sie sehr scharfsinnig sind, und kein vernünftiger Mann verspottet den Scharfsinn. Aber manchmal stelle ich mir beispielsweise vor, daß Sie zu scharfsinnig sind, um die Tiere zu verstehen. Manchmal sind Sie auch zu scharfsinnig, um die Menschen zu verstehen, vor allem, wenn sie fast so einfach wie Tiere handeln. Tiere nehmen alles wörtlich; sie leben in einer Welt der alltäglichen Wahrheiten. Nehmen Sie diesen Fall: Ein Hund bellt einen Mann an, und ein Mann flieht vor einem Hund. Nun scheinen Sie nicht einfach genug zu sein, um die Tatsachen zu erkennen: daß der Hund bellte, weil er den Mann nicht mochte, und daß der Mann floh, weil er vor dem Hund Angst hatte. Die hatten keine anderen Gründe, und sie brauchten keine; aber Sie müssen da psychologische Rätsel hineingeheimnissen und annehmen, der Hund besitze übernatürliche Erkenntnisse und sei das rätselhafte Sprachrohr des Schicksals. Sie müssen annehmen, daß der Mann nicht vor dem Hund, sondern vor dem Henker floh. Denken Sie aber darüber nach, so ist all diese tiefere Psychologie ungewöhnlich unwahrscheinlich. Wenn der Hund wirklich bewußt den Mörder seines Herrn erkennen könnte, stünde er nicht kläffend vor ihm wie vorm Dorfpriester bei der Teegesellschaft; dann würde er ihm viel eher an die Gurgel gehen. Und andererseits, glauben Sie wirklich, daß ein Mann, der sein Herz genug verhärtet hat, um einen alten Freund zu ermorden und dann lächelnd zwischen seiner Familie umherzugehen, unter den Augen der Tochter seines alten Freundes und des Arztes, der seinen Tod festgestellt hat – glauben Sie, ein solcher Mann würde vor lauter Gewissensbissen zusammenbrechen, bloß weil ein Hund bellt? Er könnte die tragische Ironie darin spüren; sie könnte seine Seele erschüttern wie jede andere tragische Kleinigkeit. Aber er würde nicht wie ein Verrückter durch den ganzen Garten fliehen, um dem einzigen Zeugen zu entkommen, von dem er weiß, daß er nicht reden kann. Menschen verfallen in solche Panik nicht aus Angst vor tragischer Ironie, sondern vor Zähnen. Die ganze Sache ist einfacher, als Sie begreifen können.

Wenn wir aber zu den Ereignissen am Ufer kommen, sind die Dinge sehr viel interessanter. Und wie Sie sie dargestellt haben, auch sehr viel verwirrender. Ich habe die Geschichte von dem Hund, der ins Wasser ging und wieder herauskam, einfach nicht verstanden; das erschien mir nicht wie hündisches Verhalten. Wenn Nacht wegen irgend etwas sehr aufgeregt gewesen wäre, hätte er sich möglicherweise geweigert, überhaupt hinter dem Stock herzulaufen. Er hätte vermutlich in jeder Richtung nachgeschnüffelt, in der er das Unheil vermutete. Aber wenn ein Hund einmal dabei ist, hinter irgendwas herzujagen, einem Stein oder einem Stock oder einem Kaninchen, dann würde ihn nach meiner Erfahrung nichts davon abbringen, außer dem schärfsten Befehl, und nicht einmal immer der. Daß er umgekehrt sein soll, weil sich seine Stimmung geändert hat, schien mir völlig undenkbar.«

»Aber er ist umgekehrt«, beharrte Fiennes, »und er kam ohne den Stock zurück.«

»Er kam aus dem besten Grund auf der Welt ohne den Stock zurück«, erwiderte der Priester. »Er kam zurück, weil er ihn nicht finden konnte. Er winselte, weil er ihn nicht finden konnte. Solche Sachen sind es, wegen denen ein Hund wirklich winselt. Ein Hund hängt höllisch an Ritualen. Er ist mit der exakten Routine eines Spiels ebenso eigen wie ein Kind mit der exakten Wiederholung eines Märchens. In diesem Fall war mit dem Spiel etwas falsch gelaufen. Er kam zurück, um sich ernstlich über das Benehmen des Stockes zu beschweren. So etwas war noch nie dagewesen. Noch nie war ein so bedeutender und ausgezeichneter Hund von einem üblen alten Spazierstock so behandelt worden.«

»Was hatte der Spazierstock denn getan?« fragte der junge Mann.

»Er war untergegangen«, sagte Father Brown.

Fiennes sagte nichts, sondern fuhr fort zu starren; und dann fuhr der Priester fort:

»Er war untergegangen, weil er nicht wirklich ein Stock war, sondern vielmehr eine Stahlstange mit einem sehr dünnen Bambusmantel und einer scharfen Spitze. Mit anderen Worten, ein Stockdegen. Ich nehme an, daß noch nie ein Mörder seine blutige Waffe auf eine so ungewöhnliche und doch zugleich so natürliche Weise losgeworden ist, indem er sie für einen Apportierhund ins Meer schleuderte.«

»Ich beginne zu begreifen, was Sie meinen«, gab Fiennes zu, »aber selbst wenn ein Stockdegen verwendet wurde, habe ich doch keine Ahnung, wie er verwendet wurde.«

»Ich hatte eine Ahnung«, sagte Father Brown, »bereits ganz im Anfang, als Sie das Wort Gartenhaus sagten. Und eine andere, als Sie sagten, daß Druce eine weiße Jacke trug. Solange jeder nach einem kurzen Dolch suchte, hat niemand daran gedacht; aber wenn wir die Möglichkeit einer langen Klinge wie die eines Rapiers einräumen, ist es nicht mehr unmöglich.«

Er lehnte sich zurück, blickte an die Decke und begann wie jemand, der sich auf seine Anfangsgedanken und Grundsätze zurückbesinnt.

»All dies Gerede über Detektivromane wie Das Gelbe Zimmer, über einen Mann, der in geschlossenen Räumen tot aufgefunden wurde, zu denen niemand Zutritt hat, paßt nicht auf diesen Fall, weil es sich um ein Sommerhaus handelt. Wenn wir von einem Gelben Zimmer oder sonst einem Raum sprechen, gehen wir davon aus, daß die Mauern wirklich massiv und undurchdringlich sind. Aber so ist ein Gartenhaus nicht gebaut; es besteht meistens und auch in diesem Fall aus dicht verbundenen, aber einzelnen Holzplanken und Holzstücken, zwischen denen es da und dort Lücken gibt. Eine befand sich unmittelbar hinter Druces Rücken, als er in seinem Stuhl gegen die Wand gelehnt saß. Aber ebenso wie der Raum ein Gartenhaus war, war der Stuhl ein Korbstuhl. Auch das war ein Geflecht mit Schlitzen. Und schließlich stand das Gartenhaus unmittelbar an der Hecke; und Sie selbst haben mir erzählt, daß es eine dünne Hecke war. Ein Mann, der hinter ihr stand, konnte leicht durch das Gewirr von Zweigen und Planken und Rohr das Weiß von der Jacke des Obersten sehen, so deutlich wie das Weiß einer Zielscheibe.

Nun haben Sie die Geographie ein bißchen undeutlich gehalten; aber es war möglich, zwei und zwei zusammenzuzählen. Sie sagten, der Schicksalsfelsen sei nicht besonders hoch gewesen; aber Sie sagten auch, man habe ihn den Garten wie eine Bergspitze beherrschen gesehen. Mit anderen Worten, er befand sich nahe dem Gartenende, obwohl Ihr Spaziergang Sie einen weiten Weg um ihn herumgeführt hatte. Und dann ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß die junge Dame wirklich so laut gebrüllt hat, daß man sie eine halbe Meile weit gehört hätte. Sie stieß unwillkürlich einen Schrei aus, und doch hörten Sie den am Strand. Und unter anderen interessanten Dingen, die Sie mir erzählt haben, war auch, woran ich Sie erinnern darf, daß Harry Druce zurückgeblieben war, um sich seine Pfeife im Schatten der Hecke anzuzünden.«

Fiennes schauerte leicht. »Sie meinen, er hat da die Klinge gezogen und sie durch die Hecke in die weiße Stelle gejagt? Aber das war doch eine sehr kleine Chance und ein sehr plötzlicher Entschluß. Und außerdem konnte er sich gar nicht sicher sein, daß das Geld des alten Mannes an ihn fiele, was es dann ja auch nicht tat.«

Father Browns Gesicht belebte sich.

»Sie verstehen den Charakter des Mannes nicht«, sagte er, als ob er selbst den Mann sein ganzes Leben lang gekannt hätte. »Ein eigenartiger, aber nicht ungewöhnlicher Charakter. Wenn er wirklich gewußt hätte, daß ihm das Geld zufiele, dann hätte er es nach meiner festen Überzeugung nicht getan. Dann wäre es ihm als die schmutzige Tat erschienen, die sie ist.«

»Ist das denn nicht paradox?« fragte der andere.

»Dieser Mann war ein Spieler«, sagte der Priester, »und ein Mann, der in Ungnade gefallen war, weil er Risiken auf sich genommen und Befehlen zuvorgekommen war. Wahrscheinlich wegen etwas reichlich Skrupellosem, denn jede Reichspolizei ähnelt der russischen Geheimpolizei mehr, als wir wahrhaben wollen. Er aber hatte die Grenze überschritten und war gescheitert. Nun besteht die Verlockung für diesen Typ Mann, etwas Verrücktes zu tun, gerade darin, daß sich das Risiko in der Rückschau wunderbar ausnehmen wird. Er möchte sagen: ›Niemand außer mir hätte diese Chance ergreifen oder erkennen können, daß sie dann oder nie da war. Welch eine wilde und wunderbare Kombination war das doch, als ich all diese Dinge zusammenfügte; Donald in Ungnade; nach dem Anwalt war geschickt worden; und zugleich war nach Herbert und mir geschickt worden – und dann nichts mehr als die Art, wie der alte Mann mich angrinste und mir die Hand schüttelte. Jeder würde sagen, daß ich verrückt war, das Risiko auf mich zu nehmen; aber so werden eben Vermögen gewonnen, von einem Mann, der verrückt genug war, ein bißchen Weitblick zu haben.‹ Kurz, das ist die Eitelkeit des Raters. Das ist der Größenwahn des Spielers. Je unwahrscheinlicher der Zufall, je spontaner der Entschluß, desto sicherer glaubt er, die Chance zu erwischen. Der Zufall, die tatsächliche Alltäglichkeit des weißen Flecks und des Lochs in der Hecke berauschte ihn wie eine Vision der Schätze dieser Erde. Keiner, der klug genug war, ein solches Zusammentreffen von Zufällen zu erkennen, konnte feige genug sein, das nicht zu nutzen! So spricht der Teufel zum Spieler. Aber selbst der Teufel hätte jenen unglückseligen Mann schwerlich dazu verleiten können, auf eine langweilige überlegte Art hinzugehen und einen alten Erbonkel umzubringen. Das wäre ihm zu bürgerlich erschienen.«

Er hielt für einen Augenblick inne, und fuhr dann mit einer gewissen ruhigen Betonung fort.

»Und nun versuchen Sie, sich der Szene zu erinnern, wie Sie selbst sie gesehen haben. Als er da stand, trunken von dieser teuflischen Gelegenheit, blickte er auf und sah jenen sonderbaren Umriß, der ein Abbild seiner eigenen schwanken Seele hätte sein können; den einen großen Felsbrocken, wie der da gefährlich auf dem anderen lagerte, wie eine Pyramide auf ihrer eigenen Spitze, und er erinnerte sich, daß man ihn den Schicksalsfelsen nannte. Können Sie sich vorstellen, wie solch ein Mann in solch einem Augenblick solch ein Zeichen liest? Ich bin sicher, daß es ihn zur Tat und sogar zur Wachsamkeit aufpeitschte. Er, der ein Turm sein würde, brauchte nicht zu fürchten, ein stürzender Turm zu sein. Und er handelte; seine nächste Schwierigkeit war, seine Spuren zu verbergen. Wenn man ihn während der folgenden Suche mit einem Stockdegen und gar einem blutbefleckten anträfe, würde das fatal sein. Wenn er ihn irgendwo liegen ließe, würde man ihn finden und die Spur verfolgen. Und selbst wenn er ihn ins Meer schleuderte, würde man die Tat bemerken und für bemerkenswert halten – außer es gelänge ihm, sich irgendeine natürlichere Weise auszudenken, die Tat zu verdecken. Wie Sie wissen, dachte er sich eine aus, und eine ungewöhnlich gute dazu. Da er der einzige von Ihnen mit einer Uhr war, erzählte er Ihnen, es sei noch nicht an der Zeit zurückzukehren, schlenderte noch ein Stückchen weiter und begann mit dem Spiel, dem Apportierer Stöckchen hineinzuwerfen. Aber wie verzweifelt muß sein Blick über jenes verlassene Meeresufer hingeflogen sein, bis er an dem Hund hängenblieb!«

Fiennes nickte und blickte gedankenvoll ins Weite. Sein Geist schien sich zu einem weniger faßlichen Teil der Geschichte zurückzubewegen.

»Sonderbar«, sagte er, »daß der Hund nach allem nun doch eine Rolle in der Geschichte spielt.«

»Der Hund hätte Ihnen fast die ganze Geschichte erzählen können, wenn er nur hätte reden können«, sagte der Priester. »Ich beschwere mich lediglich darüber, daß Sie sich seine Geschichte ausdachten, weil er sie nicht erzählen konnte, und ihn dabei mit den Zeugen von Menschen und Engeln sprechen ließen. Das ist ein Teil von etwas, das mir in der modernen Welt mehr und mehr auffällt, wie es in allen Arten von Zeitungsgerüchten und gesellschaftlichen Schlagworten auftaucht; etwas Willkürliches ohne Entscheidungsvollmacht. Die Leute schlucken die Ansprüche von diesem oder jenem oder noch anderem ungeprüft. Das schwemmt euren ganzen alten Rationalismus und Skeptizismus fort und wallt heran wie Meereswogen; und sein Name ist Aberglaube.«

Er stand plötzlich auf, sein Gesicht von einem gewissen Runzeln schwer, und er sprach weiter fast so, als ob er allein wäre. »Das ist die erste Folge davon, wenn man nicht mehr an Gott glaubt, daß man seinen gesunden Verstand verliert und die Dinge nicht mehr sehen kann, wie sie sind. Alles, wovon jemand spricht und behauptet, da stecke doch eine ganze Menge drin, dehnt sich aus ins Unendliche wie die Aussicht in einem Alptraum. Und ein Hund ist ein Vorzeichen und eine Katze ist ein Geheimnis und ein Schwein ist ein Glücksbringer und ein Käfer ist ein Skarabäus, der die ganze Menagerie des Polytheismus Ägyptens und des alten Indiens heraufbeschwört; der Hund Anubis und die große grünäugige Pascht und alle die heiligen brüllenden Bullen von Bashan; zurück zu den Tiergöttern des Anbeginns, Flucht in Elefanten und Schlangen und Krokodile; und das alles, weil ihr Angst vor den vier Worten habt: ›Er ist Mensch geworden.‹«

Der junge Mann stand ein bißchen verlegen auf, als ob er ein Selbstgespräch belauscht hätte. Er rief den Hund zu sich und verließ das Zimmer mit vagen, aber unbeschwerten Abschiedsworten. Doch mußte er den Hund zweimal rufen, denn der Hund war einen Augenblick lang bewegungslos zurückgeblieben und blickte Father Brown ebenso stetig an wie einst der Wolf den heiligen Franz.