Der Untergang der Pendragons

 

Father Brown war nicht in der Stimmung für Abenteuer. Er war kürzlich vor Überarbeitung krank geworden, und als er sich zu erholen begann, hatte sein Freund Flambeau ihn auf eine Vergnügungsfahrt auf einer kleinen Segeljacht mitgenommen, zusammen mit Sir Cecil Fanshaw, einem jungen Landjunker aus Cornwall und begeisterten Liebhaber der kornischen Küstenlandschaften. Aber Brown fühlte sich noch eher schwach; als Seemann fühlte er sich nicht sehr wohl; und obwohl er nicht zu jenen gehörte, die entweder herumnörgeln oder zusammenbrechen, stieg seine Stimmung doch nicht über Geduld und Höflichkeit hinaus. Wenn die beiden anderen den zerfetzten violetten Sonnenuntergang oder die zerklüfteten vulkanischen Klippen priesen, stimmte er ihnen bei. Wenn Flambeau auf einen Felsen wies, der wie ein Drache geformt sei, sah er ihn an und dachte bei sich, er sehe einem Drachen sehr ähnlich. Wenn Fanshaw noch aufgeregter auf einen Felsen hinwies, der wie Merlin aussehe, sah er ihn an und bekundete Zustimmung. Wenn Flambeau fragte, ob dieses Felsentor des sich windenden Flusses nicht das Tor zum Märchenland sei, sagte er »Ja«. Er lauschte den wichtigsten wie den unwichtigsten Dingen mit der gleichen teilnahmslosen Aufmerksamkeit. Er vernahm, daß diese Küste für alle außer den sorgfältigsten Seeleuten den Tod bedeute; und er vernahm, daß die Schiffskatze schlafe. Er vernahm, daß Fanshaw seine Zigarrenspitze nirgends finden könne; und er vernahm den Orakelspruch des Steuermanns:

 

»Beide Augen offen, läßt gute Fahrt erhoffen;

nur ein Auge blinkt, unser Schifflein sinkt.«

 

Er vernahm, wie Flambeau zu Fanshaw sagte, das bedeute zweifelsfrei, der Steuermann müsse beide Augen offen halten und äußerst wachsam sein. Und er vernahm, wie Fanshaw zu Flambeau sagte, daß es das sonderbarerweise nicht bedeute: es bedeute vielmehr, daß sie sich im richtigen Kanal des Flusses befänden, solange sie zwei der Küstenlichter, eines nahe, eines ferne, genau nebeneinander sähen; wenn aber das eine der Lichter sich hinter dem anderen verberge, dann laufe man auf Felsen auf. Er vernahm Fanshaw hinzufügen, daß sein Land voll solcher seltsamer Märchen und Redensarten sei; es sei die wahre Heimat romantischer Dichtung; er beanspruchte sogar für diesen Teil Cornwalls vor Devonshire den Lorbeer elisabethanischer Seefahrerkunst. Er erzählte, daß es zwischen diesen Buchten und Inselchen Kapitäne gegeben habe, neben denen Drake sozusagen eine Landratte gewesen sei. Er vernahm Flambeau lachen und fragen, ob vielleicht der Abenteuerruf »Westward Ho!« nur bedeute, daß alle Devonshirer in Cornwall leben wollten. Er vernahm Fanshaw sagen, daß es da keinen Grund für Albereien gebe; daß kornische Kapitäne nicht nur Helden gewesen seien, sondern es immer noch wären: daß ganz in der Nähe ein alter Admiral im Ruhestand lebe, zernarbt von aufregenden Reisen voller Abenteuer, der in seiner Jugend die letzte Gruppe von 8 Südseeinseln gefunden habe, die der Weltkarte hinzugefügt wurden. Dieser Cecil Fanshaw verkörperte jene Art, die gewöhnlich einen derben aber fröhlichen Enthusiasmus verbreitet; ein junger Mann, blond, mit frischen Farben und einem lebhaften Profil; mit lausbübisch herausforderndem Geist, aber einer fast mädchenhaften Feinheit von Teint und Typus. Die breiten Schultern, die schwarzen Brauen, der schwarze Musketiersauftritt Flambeaus bildeten da den größten Gegensatz.

Alle diese Trivialitäten hörte und sah Brown; aber er hörte sie, wie ein müder Mann eine Melodie im Rattern der Eisenbahnräder hört, und sah sie, wie ein kranker Mann die Muster seiner Zimmertapeten sieht. Niemand kann die Stimmungsumschwünge in der Genesung vorhersagen: Aber Father Browns Niedergeschlagenheit hatte wohl zum großen Teil mit seiner Unvertrautheit mit der See zu tun. Denn als die Flußmündung sich wie ein Flaschenhals verengte, das Wasser ruhiger wurde und die Luft wärmer und mehr nach Land roch, schien er wie ein neugeborener Säugling aufzuwachen und aufzumerken. Sie hatten diese Phase kurz nach Sonnenuntergang erreicht, als Luft und Wasser noch hell waren, aber die Erde und alle auf ihr wachsenden Dinge im Vergleich schon fast schwarz aussahen. An diesem besonderen Abend war aber etwas Ungewöhnliches. Es war eine jener seltenen Stimmungen, in der ein rauchschwarzes Glas zwischen uns und der Natur weggeschoben worden zu sein scheint, so daß an einem solchen Tag selbst dunkle Farben leuchtender wirken als helle Farben an einem wolkigeren Tag. Die zertrampelte Erde der Uferbänke und die Torfbrühe in den Tümpeln wirkten nicht dreckig, sondern wie glühendes Goldbraun, und die dunklen Wälder, die sich in der Brise wiegten, wirkten nicht wie üblich matt bläulich durch die Tiefe der Entfernung, sondern eher wie winddurchwogte Massen kräftig violetter Blüten. Diese zauberische Klarheit und die Nachdrücklichkeit der Farben zwangen sich Browns langsam wiedererwachenden Sinnen auch noch durch irgend etwas Romantisches und sogar Geheimnisvolles in der Form der Landschaft selbst auf.

Der Fluß war immer noch breit und tief genug für ein Vergnügungsboot so klein wie ihres; aber die Schwünge der Landschaft deuteten an, daß sie sich auf beiden Seiten enger zusammenzog; die Wälder schienen abgebrochene und flüchtige Versuche zu unternehmen, Brücken zu schlagen – als ob das Boot aus der Romantik eines Tales in die Romantik eines Hohlweges und hinein in die noch tiefere Romantik eines Tunnels gleite. Jenseits dieser äußeren Ansicht der Dinge gab es wenig Nahrung für Browns sich erfrischende Phantasie; er sah keine Menschen außer einigen Zigeunern, die mit Bündeln im Walde geschnittenen Reisigs und Ruten von Korbweiden am Ufer dahinzogen; und einen nicht länger unüblichen, aber in so abgelegenen Gegenden immer noch ungewöhnlichen Anblick: eine dunkelhaarige Dame mit unbedecktem Kopf, die ihr eigenes Kanu paddelte. Falls Father Brown ihnen auch nur die geringste Aufmerksamkeit gewidmet haben sollte, so vergaß er sie hinter der nächsten Biegung des Flusses, die ein einzigartiges Objekt in den Blick rückte.

Die Wasserfläche schien sich zu verbreitern und aufzureißen, zerspalten vom dunklen Keil eines fischförmigen und bewaldeten Inselchens. Bei der Fahrt, die sie machten, schien das Inselchen ihnen wie ein Schiff entgegenzuschwimmen; ein Schiff mit einem sehr hohen Bug – oder besser gesagt mit einem sehr hohen Schlot. Denn am äußersten, ihnen am nächsten Punkt erhob sich ein sonderbar aussehendes Bauwerk, ungleich allem, woran sie sich erinnern oder das sie mit irgendeinem Zweck verbinden konnten. Es war nicht besonders hoch, aber es war für seine Breite zu hoch, als daß man es anders denn einen Turm hätte nennen können. Jedoch schien es ausschließlich aus Holz erbaut zu sein, und das in einer höchst ungleichmäßigen und exzentrischen Weise. Manche der Planken und Balken waren aus guter abgelagerter Eiche; manche andere aus dem gleichen Holz, aber grob und kürzlich zugeschnitten; andere wieder waren aus weißem Fichtenholz, und noch viel mehr aus dem gleichen Holz, aber schwarz geteert. Diese schwarzen Balken hatte man schief und die Kreuz und Quer in allen möglichen Winkeln eingesetzt, was dem Ganzen ein höchst zusammengeflicktes und verwirrendes Äußeres verlieh. Es gab ein oder zwei Fenster, die auf altmodische Weise aber in einem feineren Stil bunte, bleigefaßte Scheiben hatten. Die Reisenden sahen sich das mit jenem paradoxen Gefühl an, das uns überkommt, wenn etwas uns an etwas erinnert und wir doch sicher sind, daß es etwas ganz anderes ist.

Father Brown vermochte, selbst wenn er verwirrt war, klug seine Verwirrung zu analysieren. Und er entdeckte sich beim Nachsinnen darüber, ob das Sonderbare nicht daher rühre, daß eine bestimmte Form aus einem völlig unpassenden Material geschnitten sei; als ob man einen Zylinder aus Zinn sähe, oder einen Frack aus buntkariertem Schottentartan. Er war sich sicher, daß er Hölzer verschiedener Farben schon einmal ähnlich zusammengefügt gesehen hatte, niemals aber in solchen architektonischen Proportionen. Im nächsten Augenblick sagte ihm ein Blick durch die dunklen Bäume alles, was er zu wissen wünschte, und er lachte. Für einen Augenblick erschien da in einer Lücke im Laubwerk eines jener alten Holzhäuser, deren Vorderseite mit schwarzen Balken ausgelegt ist und die man immer noch hier und da in England finden kann, die aber die meisten von uns als Nachahmungen in Ausstellungen mit Titeln wie »Alt-London« oder »Shakespeares England« sehen. Es blieb gerade lange genug in Sicht, daß der Priester es, wie altmodisch auch immer, als ein bequemes und wohlgepflegtes Landhaus erkennen konnte, mit Blumenbeeten davor. Es hatte nichts von dem buntscheckigen und verrückten Anblick des Turmes an sich, der aus seinen Überbleibseln zusammengestoppelt erschien.

»Was in aller Welt ist denn das?« fragte Flambeau, der immer noch den Turm anstarrte.

Fanshaws Augen leuchteten auf, und triumphierend sagte er: »Aha! Ich kann mir vorstellen, daß Sie so was nie zuvor gesehen haben; deshalb habe ich Sie hergebracht, mein Freund. Nun sollen Sie selbst sehen, ob ich im Hinblick auf die Seeleute von Cornwall übertrieben habe. Dieser Besitz gehört dem alten Pendragon, den wir den Admiral nennen, obwohl er in den Ruhestand trat, ehe er diesen Rang noch erreicht hatte. Der Geist von Raleigh und Hawkins ist für die Devon-Leute eine Erinnerung; bei den Pendragons ist er moderne Tatsache. Wenn Königin Elisabeth aus dem Grabe erstünde und in einer goldenen Barke diesen Fluß heraufkäme, würde sie vom Admiral in genau so einem Haus empfangen, wie sie es gewohnt war, mit jeder Ecke und jedem Fensterflügel, mit jedem Wandpaneel und jedem Teller auf dem Tisch. Und sie würde einen englischen Seekapitän vorfinden, der immer noch so begeistert von der Suche in kleinen Schiffen nach unbekannten Ländern erzählt, als ob sie mit Drake dinierte.«

»Und im Garten würde sie ein wunderliches Ding finden«, sagte Father Brown, »das ihrem Renaissance-Auge gar nicht gefallen würde. Diese elisabethanische Art Häuser zu bauen ist auf ihre Weise bezaubernd; aber es widerspricht ihrem Wesen, in Türmchen auszubrechen.«

»Und doch«, antwortete Fanshaw, »ist das gerade der romantischste und elisabethanischste Teil der Geschichte. Der Turm wurde zur Zeit der Kriege mit Spanien von den Pendragons erbaut; und obwohl er Reparaturen und aus anderen Gründen sogar einen Wiederaufbau brauchte, wurde er doch immer wieder in der alten Weise errichtet. Man erzählt, daß die Gemahlin von Sir Peter Pendragon ihn an diesem Platz und mit dieser Höhe errichten ließ, weil man von seiner Spitze aus gerade jene Biegung erblicken kann, um welche die Schiffe in die Flußmündung einbiegen; und sie wollte die erste sein, die das Schiff ihres Gemahls erblickte, wie er es aus der spanischen Karibik nach Hause brachte.«

»Und aus welchem anderen Grunde«, fragte Father Brown, »wurde er, wie Sie sagen, wieder aufgebaut?«

»Oh, auch dazu gibt es eine seltsame Geschichte«, sagte der junge Landjunker voller Freude. »Sie sind wirklich in einem Land der seltsamen Geschichten. König Artus war hier mit Merlin, und vor ihm die Feen. Man erzählt sich, daß Sir Peter Pendragon, der (fürchte ich) einige der Fehler der Piraten nebst allen Tugenden des Seemanns besaß, drei spanische Edelleute in ehrenhafter Gefangenschaft mit zurück nach Hause brachte, um sie zum Hofe der Königin Elisabeth zu geleiten. Aber er war ein Mann vom flammenden Temperament eines Tigers, und als es zu einem heftigen Wortwechsel mit einem von ihnen kam, packte er ihn bei der Gurgel und schleuderte ihn zufällig oder absichtlich in die See. Ein zweiter Spanier, der Bruder des ersten, zog daraufhin sofort seinen Degen und griff Pendragon an, und nach einem kurzen aber wilden Kampf, während dem beide drei Wunden in ebenso vielen Minuten empfingen, stieß Pendragon dem anderen seine Klinge durch den Leib, und damit war auch der zweite Spanier erledigt. Nun war das Schiff bereits in die Flußmündung eingeschwenkt und verhältnismäßig flachem Wasser nahe. Da sprang der dritte Spanier über Bord, schwamm aufs Ufer zu und war ihm bald nahe genug, daß er bis zu den Hüften im Wasser stehen konnte. Und da wandte er sich erneut dem Schiff zu und reckte beide Arme zum Himmel empor – wie ein Prophet, der die Pest auf eine gottlose Stadt herabbeschwört – und schrie Pendragon mit durchdringender und schrecklicher Stimme zu, daß wenigstens er noch lebe, daß er weiterleben werde, daß er für immer leben werde; und daß vom Hause der Pendragons Generation um Generation weder ihn noch die Seinen je wiedersehen würde, aber durch höchst sichere Zeichen stets wissen werde, daß er und seine Rache lebendig seien. Damit tauchte er in eine Welle und ertrank entweder, oder schwamm so lange unter Wasser, daß kein Haar seines Hauptes je wieder gesehen ward.«

»Da ist das Mädchen im Kanu wieder«, sagte Flambeau zusammenhanglos, denn gutaussehende junge Frauen konnten ihn von jedem Thema abbringen. »Ihr scheint der eigenartige Turm ebenso verwirrend vorzukommen wie uns.«

Und wirklich ließ die schwarzhaarige junge Dame ihr Kanu langsam und schweigend an der sonderbaren Insel vorübertreiben; und blickte den sonderbaren Turm aufmerksam an, wobei auf ihrem ovalen olivfarbenen Antlitz hell die Neugier brannte.

»Kümmern Sie sich nicht um Mädchen«, sagte Fanshaw ungeduldig; »von denen gibt es viele auf der Welt, aber nicht viele Dinge wie den Turm der Pendragons. Wie Sie sich leicht vorstellen können, entstanden aus dem Fluch des Spaniers viele abergläubische Geschichten und Skandale; und ohne jeden Zweifel wurde, wie Sie sagen würden, jedes Unglück, das dieser kornischen Familie zustieß, von ländlicher Leichtgläubigkeit mit ihm in Verbindung gebracht. Aber vollkommen wahr ist, daß dieser Turm zwei- oder dreimal niederbrannte; und man kann die Familie nicht vom Glück begünstigt nennen, denn meines Wissens sind mehr als zwei der nächsten Anverwandten des Admirals bei Schiffsuntergängen umgekommen; und wenigstens einer, nach meinen eigenen Kenntnissen, an praktisch eben der Stelle, wo Sir Peter den Spanier über Bord geworfen hat.«

»Wie schade!« rief Flambeau aus. »Sie macht sich davon.«

»Wann hat Ihnen Ihr Freund der Admiral diese Familiengeschichte erzählt?« fragte Father Brown, als das Mädchen im Kanu davonpaddelte, ohne die geringste Absicht zu zeigen, ihr Interesse vom Turm auf die Jacht auszudehnen, die Fanshaw inzwischen längsseits der Insel hatte anlegen lassen.

»Vor vielen Jahren«, erwiderte Fanshaw; »er ist seit einiger Zeit nicht mehr zur See gefahren, obwohl er darauf immer noch so scharf ist wie nur je. Ich glaube, es gibt da ein Familienabkommen oder so was. Aber hier ist der Landungssteg; gehen wir an Land und begrüßen wir den alten Knaben.«

Sie folgten ihm unmittelbar unter dem Turm durch auf die Insel, und Father Brown schien, ob nun durch die einfache Berührung trockenen Landes oder durch etwas Interessantes auf dem anderen Ufer des Flusses (wohin er einige Sekunden lang sehr aufmerksam starrte), auf einmalige Weise an Frische zu gewinnen. Sie kamen in eine Allee zwischen zwei Zäunen aus dünnem gräulichem Holz, wie sie oftmals Parks und Gärten einfassen, und über die hinweg man die Gipfel der dunklen Bäume hin und her schwingen sah wie schwarze und purpurne Federn auf dem Leichenwagen eines Riesen. Der Turm sah, als sie ihn hinter sich zurückließen, um so merkwürdiger aus, denn solche Einfahrten werden meist von zwei Türmen flankiert; und dieser eine hier sah daher schief aus. Davon abgesehen bot die Allee den üblichen Anblick einer Auffahrt zu einem Herrenhaus; und da sie so geschwungen verlief, daß das Haus jetzt außer Sicht geriet, erweckte der Park den Eindruck, viel größer zu sein, als irgendeine Anpflanzung auf dieser Insel in Wahrheit sein konnte. Father Browns Phantasie war vielleicht durch seine Mattigkeit etwas angeregt, aber fast glaubte er, die ganze Anlage dehne sich aus, wie Dinge das in einem Alptraum tun. Wie auch immer: Eine mystische Monotonie war die einzige Eigenschaft ihres Marsches, bis Fanshaw plötzlich stehenblieb und auf etwas hinwies, das durch den grauen Zaun stach – etwas, das zuerst nach dem festgekeilten Horn eines Tieres aussah. Nähere Betrachtung erwies hingegen, daß es eine leicht gebogene Klinge aus Metall war, die schwach im schwindenden Licht schimmerte.

Flambeau, der wie alle Franzosen Soldat gewesen war, beugte sich über sie und sagte mit aufgeschreckter Stimme: »Wie denn, das ist ja ein Säbel! Ich glaube, ich kenne die Sorte, schwer und gebogen, aber kürzer als bei der Kavallerie; man hatte solche gewöhnlich bei der Artillerie und bei – «

Doch während er noch sprach, zog sich die Klinge aus dem Spalt heraus, den sie gemacht hatte, und sauste dann in einem mächtigeren Hieb nieder und spaltete den aufklaffenden Zaun bis zum Boden mit einem berstenden Geräusch. Dann wurde sie wieder herausgezogen, blitzte einige Schritte weiter über dem Zaun auf und spaltete ihn wiederum bis zur Hälfte mit dem ersten Streich; und nachdem sie ein bißchen hin und her gewackelt hatte, um sich (begleitet von Flüchen in der Dunkelheit) zu befreien, spaltete sie ihn mit einem zweiten bis zum Boden. Dann schleuderte ein Tritt von geradezu teuflischer Kraft das ganze gelöste Viereck dünnen Holzes auf den Fußweg, und in der Umzäunung gähnte ein großes Loch dunklen Gebüschs.

Fanshaw blickte in die dunkle Öffnung und stieß einen Ausruf des Erstaunens aus. »Mein lieber Admiral!« rief er aus. »Schneiden Sie – err – schneiden Sie sich immer eine neue Vordertür zurecht, wenn Sie spazierengehen wollen?«

Die Stimme im Düster fluchte erneut und brach dann in ein heiteres Lachen aus. »Nein«, sagte sie; »ich mußte diesen Zaun wirklich irgendwie kleinhauen; er schädigt all die Pflanzen, und außer mir kann es niemand hier tun. Aber ich will noch ein weiteres Stück aus der Vordertür schnitzeln und dann rauskommen und Sie begrüßen.«

Und wirklich schwang er die Waffe erneut empor und legte mit zwei Hieben einen weiteren ähnlichen Streifen Zaun um, wodurch die Öffnung alles in allem 14 Fuß breit wurde. Dann trat er durch dieses verbreiterte Waldtor ins Abendlicht heraus, und ein Stück grauen Holzes stak auf seiner Säbelspitze.

Für den Augenblick erfüllte er Fanshaws ganze Erzählung von einem alten piratischen Admiral; obwohl die Einzelheiten sich hernach in Zufälligkeiten aufzulösen schienen. So trug er zum Beispiel einen breitrandigen Hut als Schutz gegen die Sonne; aber die Vorderkrempe war himmelwärts hochgebogen und die beiden Ecken tiefer hinabgezogen als die Ohren, so daß er ihm halbmondförmig über der Stirne stand wie einst der alte Dreispitz, den Nelson trug. Er trug eine gewöhnliche dunkelblaue Jacke, deren Knöpfe nichts Besonderes hatten, die aber in Verbindung mit den weißen Leinenhosen einen irgendwie seemännischen Anblick bot. Er war groß und schlaksig und ging mit einem gewissermaßen wiegenden Gang, der nicht direkt der Seemannsgang war und doch irgendwie an ihn erinnerte; und in der Hand hielt er einen kurzen Säbel, der wie ein Entermesser der Marine aussah, aber etwa doppelt so lang war. Unter dem Brückenbogen seines Hutes blickte sein Adlerantlitz beutelustig hervor, um so mehr, als es nicht nur glattrasiert war, sondern auch keine Augenbrauen hatte. Es sah aus, als sei ihm all sein Haar aus dem Gesicht geschwunden, weil er es durch das Dräuen der Elemente gedrängt hatte. Seine Augen standen vor und waren durchdringend. Seine Gesichtsfarbe war eigenartig anziehend, da sie teils tropisch war; sie erinnerte einen von ferne an eine Blutorange. Denn wiewohl sie rötlich und gut durchblutet war, gab es etwas Gelbes darin, das aber in keiner Weise kränklich wirkte, sondern eher zu glühen schien, wie die goldenen Äpfel der Hesperiden. Father Brown dachte, daß er noch nie eine Gestalt gesehen hatte, die all die romantischen Erzählungen aus den Ländern der Sonne so sehr verkörperte.

Nachdem Fanshaw seine beiden Freunde ihrem Gastgeber vorgestellt hatte, verfiel er wieder in Spöttereien über jene Zerstörung des Zaunes und seine offenkundige Lust am Fluchen. Der Admiral spielte das zuerst als ein Stück nötiger aber langweiliger Gartenarbeit herab, bis schließlich der Klang wirklicher Energie wieder in sein Gelächter zurückkehrte und er in einer Mischung aus Ungeduld und guter Laune ausrief:

»Na schön, vielleicht treib ich’s ja ein bißchen rabiat und empfinde auch ein gewisses Vergnügen daran, etwas zusammenzuhauen. Das würde Ihnen auch so ergehen, wenn Ihre wahre Freude darin bestand, um die Welt zu segeln und nach noch unbekannten Menschenfresser-Eilanden zu suchen, und wenn Sie dann in diesem schlammigen kleinen Steingarten inmitten eines ländlichen Teichs festsäßen. Wenn ich daran denke, wie ich anderthalb Meilen grünen, giftigen Dschungels mit einem alten Entermesser halb so scharf wie dieses niedergemacht habe, und dann daran denke, daß ich hier feststecke und dieses Streichhölzerholz zerhacke, und das bloß wegen eines verfluchten alten Handels, der in die Familienbibel gekritzelt ist, dann möchte ich – «

Er schwang den schweren Stahl erneut hoch, und diesmal spaltete er die Wand aus Holz von oben bis unten mit einem einzigen Streich.

»Danach ist mir«, sagte er lachend, schleuderte aber den Säbel zornig einige Meter den Fußpfad hinab, »und nun wollen wir ins Haus gehen; Sie müssen was zum Abendessen haben.«

Der Halbkreis von Rasen vor dem Haus wurde von drei kreisrunden Blumenbeeten unterbrochen, eines voller roter Tulpen, ein zweites voller gelber Tulpen und das dritte voller weißer, wächsern aussehender Blumen, welche die Besucher nicht kannten und für exotisch hielten. Ein plumper, behaarter und ziemlich mürrisch aussehender Gärtner war dabei, eine schwere Gartenschlauchrolle aufzuhängen. Die Ecken des erlöschenden Sonnenuntergangs, die sich an den Ecken des Hauses festzuklammern schienen, ließen hie und da Blicke auf die Farben weiter entfernter Blumenbeete zu; und in einer baumlosen Lichtung auf der einen Seite des Hauses, die sich zum Fluß hin öffnete, stand ein großes messingnes Dreibein, auf dem sich ein geneigtes großes messingnes Teleskop befand. Unmittelbar neben den Türstufen stand ein kleiner grün angestrichener Gartentisch, als ob dort gerade jemand seinen Tee genossen hätte. Den Eingang flankierten zwei jener roh behauenen Steinklumpen mit Löchern als Augen, von denen man sagt, sie seien Südseegötzen; und in dem braunen Eichenbalken über der Tür waren einige unordentliche Schnitzereien, die fast ebenso barbarisch aussahen.

Als sie eintraten, sprang der kleine Kleriker plötzlich auf den Tisch und stand dort und starrte ungerührt durch seine Brille auf die Einkerbungen im Eichenbalken. Admiral Pendragon sah sehr erstaunt aus, wenngleich nicht besonders unangenehm berührt; während Fanshaw sich durch das, was wie die Vorführung eines Zwerges auf seinem Podest aussah, so erheitert fühlte, daß er sein Gelächter nicht beherrschen konnte. Aber Father Brown war nicht von der Art, daß er das Gelächter oder das Erstaunen wahrgenommen hätte.

Er starrte auf drei eingeschnitzte Symbole, die ihm, obwohl sehr verwittert und nachgedunkelt, irgendeinen Sinn zu übermitteln schienen. Das erste ähnelte dem Umriß eines Turmes oder eines anderen Gebäudes, das von etwas bekrönt war, was wie an den Enden gekräuselte Bänder aussah. Das zweite war deutlicher: eine alte elisabethanische Galeere auf dekorativen Wellen, in der Mitte von einem sonderbar gezackten Felsen unterbrochen, entweder einem Fehler im Holze oder irgendeiner stilisierten Darstellung eines Wassereinbruchs. Das dritte stellte die obere Hälfte eines Menschen dar, die in einer muschelrandartigen Wellenlinie endete; das Gesicht war abgerieben und ohne Gesichtszüge, und beide Arme wurden sehr steif in die Höhe gehalten.

»Aha«, murmelte Father Brown blinzelnd, »das hier ist deutlich genug die Geschichte vom Spanier. Hier hält er seine Arme hoch und steht verfluchend in der See; und hier sind die beiden Flüche: das zerborstene Schiff und der Brand des Turms der Pendragons.«

Pendragon schüttelte den Kopf in respektvoller Belustigung. »Und was es sonst nicht alles sein könnte«, sagte er. »Kennen Sie denn nicht jene Art von Halbmenschen oder Halblöwen oder Halbhirschen, die in der Heraldik durchaus geläufig sind? Könnte nicht diese Wellenlinie durch das Schiff eine jener Parti-per-pale-Linien sein, gezickzackt, wie man sie wohl nennt? Und obwohl das dritte Ding nicht so besonders heraldisch aussieht, wäre es doch heraldischer anzunehmen, es sei ein mit Lorbeer statt mit Feuer bekrönter Turm; und es sieht aus, als sei es gerade das.«

»Aber es erscheint doch reichlich merkwürdig«, sagte Flambeau, »daß es so genau zu der alten Legende paßt.«

»Ach«, sagte der skeptische Weltumsegler, »Sie wissen ja nicht, wieviel von der alten Legende sich aus diesen alten Figuren entwickelt haben mag. Und außerdem ist es nicht die einzige alte Legende. Unser Fanshaw, der sich für solche Dinge sehr interessiert, wird Ihnen sagen, daß es noch andere Versionen der Geschichte gibt, und sehr viel entsetzlichere. Eine Variante schreibt meinem unseligen Vorfahr zu, daß er den Spanier in zwei Teile gehauen habe; und das paßte ebenfalls zu dem hübschen Bildchen. Eine andere schreibt unserer Familie liebenswürdigerweise den Besitz eines Turmes voller Schlangen zu und erklärt damit diese kleinen, sich windenden Dinger. Und eine dritte Theorie unterstellt, daß die gezackte Linie am Schiff einen stilisierten Blitz darstellen soll; aber schon das zeigt, wenn man es denn ernsthaft untersucht, auf wie kurzen Beinen diese unglücklichen Zufälligkeiten wirklich wandeln.«

»Wieso, was meinen Sie?« fragte Fanshaw.

»Zufälligerweise«, erwiderte der Gastgeber kühl, »steht fest, daß es bei keinem der zwei oder drei Schiffbrüche in meiner Familie, von denen ich weiß, Donner und Blitz gab.«

»Oh!« sagte Father Brown und sprang von dem kleinen Tisch herunter.

Es folgte ein Schweigen, in dem sie das endlose Murmeln des Flusses hörten; dann sagte Fanshaw in zweifelndem und vielleicht enttäuschtem Ton: »Dann glauben Sie also nicht an die Geschichten vom Turm in Flammen?«

»Da sind natürlich diese Geschichten«, sagte der Admiral und zuckte mit den Schultern, »von denen einige, was ich gar nicht bestreiten will, sich auf so ehrbare Beweise stützen, wie man sie für solche Fragen nur bekommen kann. Irgend jemand sah hier in der Gegend einen Feuerschein, wissen Sie, als er durch den Wald nach Hause wanderte; irgend jemand, der landeinwärts auf der Hochebene seine Schafe hütete, glaubte, er habe eine Flamme über dem Turm der Pendragons schweben gesehen. Na ja, aber ein nasser Haufen Schlamm wie diese verdammte Insel ist nun wirklich der letzte Ort, an dem man einen Brand vermuten sollte.«

»Was ist das für ein Feuer da drüben?« fragte Father Brown mit sanfter Plötzlichkeit, wobei er auf die Wälder am linken Flußufer zeigte. Das brachte sie alle etwas aus der Fassung, und der phantasiereichere Fanshaw hatte sogar einige Schwierigkeiten, seine zurückzugewinnen, als sie eine lange dünne Säule blauen Rauches lautlos ins ersterbende Abendlicht aufsteigen sahen.

Dann brach Pendragon wieder in ein spöttisches Lachen aus. »Zigeuner!« sagte er. »Sie lagern da seit rund einer Woche. Meine Herren, Sie werden Hunger haben«, und er wandte sich um, um ins Haus zu gehen.

Aber die abergläubische Lust des Liebhabers von Altertümlichem in Fanshaw bebte noch nach, und er sagte hastig: »Aber, Admiral, was ist das zischelnde Geräusch nahe der Insel? Das klingt sehr nach Feuer.«

»Das klingt mehr nach dem, was es ist«, lachte der Admiral, als er voranschritt; »das ist nur ein vorbeifahrendes Kanu.«

Noch während er sprach, erschien der Butler, ein hagerer Mann in Schwarz, mit sehr schwarzem Haar und einem sehr langen gelben Gesicht, in der Tür und verkündete, das Abendessen sei aufgetragen.

Das Speisezimmer war so schiffsmäßig wie eine Kabine an Bord; aber die Ausstattung entsprach eher einem modernen als einem elisabethanischen Kapitän. Zwar hingen da tatsächlich drei altertümliche Entermesser wie Trophäen über dem Kamin, und eine vergilbte Weltkarte aus dem 16. Jahrhundert mit Tritonen und auf eine gekräuselte See hingetupften kleinen Schiffen. Aber die traten auf der weißen Täfelung weniger hervor als einige Kästen mit seltsam bunten südamerikanischen Vögeln, sehr fachmännisch ausgestopft, mit phantastischen Muscheln aus der Südsee und einigen Instrumenten von so grober und eigenartiger Form, daß Wilde sie ebensowohl zum Töten wie zum Kochen ihrer Feinde verwendet haben mochten. Aber die fremdartige Farbigkeit gipfelte in der Tatsache, daß außer dem Butler die beiden einzigen Bediensteten des Admirals zwei Neger waren, einigermaßen sonderbar in engsitzende gelbe Uniformen gekleidet. Des Priesters instinktiver Trick, seine eigenen Eindrücke zu analysieren, teilte ihm mit, daß die Farbe und die kleinen sauberen Rockschöße dieser Zweibeiner ihm das Wort »Kanarienvögel« aufgedrängt hatten und sie so durch ein Wortspiel mit Südreisen in Verbindung brachten. Gegen Ende der Mahlzeit entfernten sie ihre gelbe Kleidung und ihre schwarzen Gesichter aus dem Raum und hinterließen lediglich die schwarze Kleidung und das gelbe Gesicht des Butlers.

»Tut mir leid, daß Sie das so leichtnehmen«, sagte Fanshaw zu dem Gastgeber; »denn ich habe, um die Wahrheit zu sagen, diese meine Freunde mitgebracht mit dem Hintergedanken, daß sie Ihnen helfen könnten, weil sie von solchen Dingen eine ganze Menge verstehen. Glauben Sie denn wirklich überhaupt nicht an diese Familiengeschichte?«

»Ich glaube an gar nichts«, antwortete Pendragon sehr aufgeräumt, indem er mit seinen hellen Augen einen roten tropischen Vogel schräg ansah. »Ich bin ein Mann der Wissenschaften.«

Zu Flambeaus ziemlicher Verblüffung nahm sein klerikaler Freund, der vollständig wach geworden zu sein schien, das Stichwort auf und diskutierte mit seinem Gastgeber Naturgeschichte mit einem Wortschwall und vielerlei unerwarteter Kenntnis, bis Nachtisch und Karaffen serviert waren und der letzte Bedienstete verschwunden war. Dann sagte er, ohne den Tonfall zu ändern:

»Bitte halten Sie mich nicht für unverschämt, Admiral Pendragon. Ich frage nicht aus Neugierde, sondern wirklich zu meiner Orientierung und zu Ihrer Bequemlichkeit. Irre ich mich, wenn ich annehme, daß Sie diese alten Dinge nicht vor Ihrem Butler besprechen möchten?«

Der Admiral wölbte die haarlosen Bögen über seinen Augen und rief aus: »Ich weiß zwar nicht, woher Sie das wissen, aber die Wahrheit ist, daß ich den Kerl nicht ausstehen kann, obwohl ich keinen Grund habe, einen Diener der Familie zu entlassen. Fanshaw mit seinen Gespenstergeschichten würde sagen, daß mein Blut sich gegen Männer mit so schwarzem, spanisch aussehendem Haar auflehnt.«

Flambeau schlug mit seiner schweren Faust auf den Tisch. »Bei Gott!« schrie er. »Und das hatte auch das Mädchen!«

»Ich hoffe, daß heute nacht alles aufhören wird«, fuhr der Admiral fort, »wenn mein Neffe heil von seinem Schiff zurückkommt. Sie sehen überrascht aus. Sie verstehen nichts, nehme ich an, wenn ich Ihnen nicht die ganze Geschichte erzähle. Sehen Sie, mein Vater hatte zwei Söhne; ich blieb Junggeselle, aber mein älterer Bruder heiratete und bekam einen Sohn, der wie wir alle Seemann wurde und eines Tages die Besitzung erben wird. Nun war mein Vater ein eigenartiger Mann; irgendwie verband sich in ihm Fanshaws Abergläubigkeit mit meiner Skepsis; sie kämpften ständig miteinander in ihm; und nach meinen ersten Reisen entwickelte er eine Vorstellung, die nach seiner Meinung endgültig klären sollte, ob der Fluch Wahrheit oder Wahn sei. Wenn alle Pendragons gleichzeitig herumsegelten, gab es nach seiner Meinung zu viele Möglichkeiten für natürliche Katastrophen, als daß sich daraus irgend etwas hätte beweisen lassen. Aber wenn wir jeweils nur einer zur See fahren würden in der strengen Reihung der Erbfolge, dann würde sich, so dachte er, zeigen können, ob tatsächlich der Familie als Familie ein Fluch folge. Ich hielt das für eine blödsinnige Idee, und ich stritt darüber mit meinem Vater recht heftig; denn ich war ein ehrgeiziger Mann und hatte bis zuletzt zu warten, da ich in der Erbfolge erst nach meinem eigenen Neffen komme.«

»Und Ihr Vater und Ihr Bruder«, sagte der Priester sehr sanft, »starben, fürchte ich, auf See.«

»Ja«, stöhnte der Admiral; »durch einen jener brutalen Zufälle, auf denen alle die verlogenen Mythologien der Menschheit aufbauen, wurden beide schiffbrüchig. Mein Vater, der aus dem Atlantik hereinkam, lief auf diese kornischen Felsen auf. Meines Bruders Schiff versank, niemand weiß wo, auf der Heimreise von Tasmanien. Seine Leiche wurde nie gefunden. Ich sage Ihnen, es waren ganz natürliche Unfälle; viele andere Menschen ertranken außer den Pendragons; und beide Unglücksfälle werden von Seefahrern als ganz normal besprochen. Aber natürlich setzte es diesen ganzen Wald des Aberglaubens in Brand; und man sah überall den brennenden Turm. Deshalb sagte ich, daß alles in Ordnung kommen wird, sobald Walter zurück ist. Das Mädchen, mit dem er verlobt ist, wollte heute herkommen; aber ich hatte solche Angst, eine zufällige Verzögerung könnte sie erschrecken, daß ich ihr telegraphiert habe, sie solle erst kommen, wenn sie von mir höre. Aber er war praktisch sicher, daß er irgendwann heute Nacht hier sein wird; dann wird sich alles in Rauch auflösen – in Tabaksrauch. Wir werden diese alten Lügen köpfen, wie wir eine Flasche dieses Weines köpfen werden.«

»Ausgezeichneter Wein«, sagte Father Brown und hob feierlich sein Glas; »aber, wie Sie sehen, ein sehr schlechter Weintrinker. Ich muß Sie sehr um Entschuldigung bitten«; denn er hatte ein paar Tropfen Weines auf dem Tischtuch verschüttet. Er trank und setzte das Glas mit gefaßtem Gesicht ab; aber seine Hand hatte gezuckt, als er sich eines Gesichtes bewußt geworden war, das durch das Gartenfenster gerade hinter dem Admiral lugte – das Gesicht einer Frau, mit dunklem Teint, mit südländischen Haaren und Augen, und jung, aber wie eine tragische Maske.

Und nach einer Weile sprach der Priester wieder in seiner milden Manier. »Admiral«, sagte er, »würden Sie mir einen Gefallen erweisen? Würden Sie mich und meine Freunde hier – wenn sie wollen – nur heute nacht in Ihrem Turm bleiben lassen? Wissen Sie, daß man in meinem Beruf fast vor allem anderen ein Teufelsaustreiber ist?«

Pendragon sprang auf und ging rasch vor dem Fenster hin und her, aus dem das Gesicht sofort verschwunden war. »Ich sage Ihnen doch, daß da nichts ist«, schrie er in dröhnendem Unmut. »Es gibt eines, was ich in dieser Angelegenheit weiß. Sie können mich einen Atheisten nennen. Ich bin ein Atheist.« Und er schwang sich herum und fixierte Father Brown mit einem Blick schrecklicher Konzentration. »Diese ganze Geschichte ist vollkommen natürlich. In ihr gibt es überhaupt keinen Fluch.«

Father Brown lächelte. »In dem Fall«, sagte er, »sollte es doch keinerlei Einspruch dagegen geben, daß ich in Ihrem hübschen Sommerhaus übernachte.«

»Der Gedanke ist vollkommen lächerlich«, erwiderte der Admiral und schlug auf der Lehne seines Stuhles den Zapfenstreich.

»Ich bitte wegen allem um Vergebung«, sagte Brown mit seiner liebenswürdigsten Stimme, »einschließlich des Weinvergießens. Aber mir scheint, daß Sie den brennenden Turm nicht ganz so leichtnehmen, wie Sie vorgeben.«

Admiral Pendragon setzte sich ebenso plötzlich wieder hin, wie er aufgesprungen war; aber er saß ganz still da, und als er wieder sprach, geschah das mit leiser Stimme. »Sie tun das auf Ihre eigene Gefahr«, sagte er; »aber würden nicht auch Sie zum Atheisten, um in all diesem Teufelsspuk den Verstand zu behalten?«

 

Etwa drei Stunden danach schlenderten Fanshaw, Flambeau und der Priester immer noch in der Dunkelheit im Garten umher; und es dämmerte den beiden anderen, daß Father Brown überhaupt nicht die Absicht hatte, sei es im Turm oder im Haus ins Bett zu gehen.

»Ich glaube, der Rasen muß gejätet werden«, sagte er träumerisch. »Wenn ich ein Jätemesser oder so was finden könnte, würde ich mich selbst daran machen.«

Sie folgten ihm, lachend und halb protestierend; aber er erwiderte ihnen in größter Feierlichkeit und erklärte ihnen in einer nervtötenden kleinen Predigt, daß man immer irgendeine kleine Arbeit finden könne, die anderen hilfreich sei. Er fand kein Jätemesser; aber er fand einen alten Reisigbesen, mit dem er energisch die gefallenen Blätter vom Rasen abzukehren begann.

»Immer gibt es Kleinigkeiten zu tun«, sagte er mit fast idiotischer Heiterkeit; »wie George Herbert sagt: ›Wer da den Garten eines Admirals in Cornwall um Deiner Gebote willen kehret, heiliget dadurch die Handlung und sich.‹ Und jetzt«, fügte er hinzu und schleuderte plötzlich den Besen beiseite, »wollen wir gehen und die Blumen wässern.«

Mit den gleichen gemischten Gefühlen beobachteten sie ihn, wie er beachtliche Längen des großen Gartenschlauchs abwickelte und dazu mit einem Ausdruck der bedeutungsvollsten Diskriminierung sagte: »Die roten Tulpen vor den gelben, nicht wahr? Sie sehen ein bißchen trocken aus, meint ihr nicht auch?«

Er drehte den Hahn auf, und das Wasser schoß heraus, so gerade und massiv wie eine lange Stahlstange.

»Aufgepaßt, Samson«, schrie Flambeau; »nun haben Sie doch die Tulpenköpfe abgeschnitten!«

Father Brown stand da und betrachtete reuevoll die enthaupteten Pflanzen.

»Mir scheint, ich habe da eine ziemlich mörderische Bewässerungsmethode«, gab er zu und kratzte sich am Kopf. »Es ist wirklich schade, daß ich kein Jätemesser gefunden habe. Ihr hättet mich erst mal mit einem Jätemesser sehen sollen! Apropos Handwerkszeug, haben Sie eigentlich den Stockdegen bei sich, Flambeau, den Sie sonst immer mit sich tragen? Das ist gut so; und Sir Cecil könnte sich den Säbel holen, den der Admiral an der Hecke fortgeschleudert hat. Wie grau alles aussieht!«

»Der Nebel steigt vom Fluß auf«, sagte der starr vor sich hin blickende Flambeau.

Fast noch während er sprach, erschien die mächtige Gestalt des behaarten Gärtners auf einer höheren Stufe des mit Gräbern und Terrassen angelegten Rasens und rief sie mit einer schrecklich bellenden Stimme an, während er wüst den Rechen schwang. »Legen Sie den Schlauch hin«, schrie er; »legen Sie den Schlauch hin und gehen Sie zum – «

»Ich bin so furchtbar ungeschickt«, erwiderte der ehrwürdige Herr mit schwacher Stimme; »wissen Sie, schon bei Tisch habe ich etwas Wein verschüttet.« Er machte eine schwankende, Entschuldigung heischende Halbwendung zum Gärtner hin, den spritzenden Wasserschlauch immer noch in der Hand. Den Gärtner traf der kalte Schwall Wassers ins Gesicht wie eine Kanonenkugel; er stolperte rückwärts, rutschte aus und ging zu Boden mit den Stiefeln himmelwärts.

»Wie entsetzlich!« sagte Father Brown und sah sich wie verwundert um. »Ich habe ja einen Menschen getroffen!«

Er stand einen Augenblick mit vorwärts geneigtem Kopf da, als betrachte oder höre er etwas; und dann setzte er sich in Richtung Turm in Trab und zerrte immer noch den Gartenschlauch hinter sich her. Der Turm war ganz nahe, aber seine Umrisse waren sonderbar undeutlich.

»Ihr Flußnebel«, sagte er, »hat einen eigenartigen Geruch.«

»Bei Gott, das hat er«, schrie Fanshaw mit schneeweißem Gesicht. »Aber Sie wollen doch nicht etwa behaupten – «

»Ich behaupte«, sagte Father Brown, »daß eine der wissenschaftlichen Voraussagen des Admirals heute nacht in Erfüllung geht. Diese Geschichte löst sich in Rauch auf.«

Während er noch sprach, schien ein wunderschönes rosenrotes Licht in die Blüte einer riesigen Rose aufzuplatzen; begleitet war das von einem krachenden und klappernden Geräusch wie dem Gelächter von Teufeln.

»Mein Gott! Was ist das?« schrie Sir Cecil Fanshaw.

»Das Zeichen des brennenden Turmes«, sagte Father Brown und schickte den Wasserstrahl aus seinem Schlauch in das Herz der roten Stelle.

»Wie gut, daß wir nicht zu Bett gegangen sind!« entfuhr es Fanshaw. »Ich nehme an, es kann nicht auf das Haus übergreifen.«

»Sie werden sich erinnern«, sagte der Priester ruhig, »daß der hölzerne Zaun, der es hätte weiterleiten können, weggehauen worden ist.«

Flambeau richtete seine Blicke wie elektrisiert auf seinen Freund, aber Fanshaw sagte lediglich abwesend: »Wenigstens kann niemand getötet werden.«

»Das ist wahrlich ein eigenartiger Turm«, bemerkte Father Brown; »wenn es ans Töten von Leuten geht, tötet er immer Leute, die gerade irgendwo anders sind.«

Im gleichen Augenblick erschien wieder die monströse Gestalt des Gärtners mit dem wallenden Bart auf der hohen Rasenkante vor dem Himmel und winkte anderen zu, heranzukommen; aber diesmal winkte er nicht mit einem Rechen, sondern mit einem Entermesser. Hinter ihm tauchten die beiden Neger auf, ebenfalls mit den krummen Klingen aus der Trophäensammlung bewaffnet. Aber in dem blutroten Schein sahen sie mit ihren schwarzen Gesichtern und gelben Gestalten aus wie Teufel, die Foltergeräte tragen. In dem düsteren Garten hinter ihnen hörte man eine ferne Stimme kurze Befehle rufen. Als der Priester diese Stimme hörte, fand in seiner Haltung eine schreckliche Verwandlung statt.

Aber er blieb gefaßt; und er nahm seinen Blick keine Sekunde lang von dem Feuerflecken fort, der sich zuerst ausgebreitet hatte, aber nun ein wenig zu schrumpfen schien, während er unter der Fackel des langen silbernen Wasserspeers zischte. Er behielt den Finger an der Öffnung des Schlauchs, um besser zielen zu können, und kümmerte sich um nichts anderes, und erkannte nur am Geräusch und aus den halbbewußten Augenwinkeln die aufregenden Vorgänge, die sich um den Inselgarten zu überschlagen begannen. Er gab seinen Freunden zwei kurze Anweisungen. Eine lautete: »Schlagt diese Kerle irgendwie nieder und bindet sie, wer immer sie sein mögen; Stricke liegen da bei den Reisigbündeln. Sie wollen mir meinen schönen Schlauch wegnehmen.« Die andere lautete: »Sobald ihr die Möglichkeit habt, ruft das Kanu-Mädchen an; sie ist da drüben auf dem Ufer bei den Zigeunern. Fragt sie, ob sie nicht ein paar Eimer herüberbringen und aus dem Fluß füllen können.« Dann schloß er den Mund und fuhr fort, die neue rote Blume ebenso gnadenlos zu wässern, wie er die roten Tulpen gewässert hatte.

Keinmal wandte er den Kopf, um den sonderbaren Kampf zu beobachten, der sich zwischen den Feinden und den Freunden des rätselvollen Feuers abspielte. Er fühlte fast, wie die Insel erbebte, als Flambeau mit dem riesenhaften Gärtner zusammenprallte; er stellte sich nur vor, wie alles um sie herum wirbelte, während sie miteinander rangen. Er hörte den dröhnenden Sturz; und das triumphierende Keuchen seines Freundes, als der sich auf den ersten der Neger stürzte; und die Schreie der beiden Schwarzen, als Flambeau und Fanshaw sie banden. Flambeaus ungeheure Stärke machte das Mißverhältnis im Kampfe mehr als wett, vor allem, da der vierte Mann sich immer noch nahe dem Hause herumdrückte, nur ein Schatten und eine Stimme. Er hörte auch, wie die Paddeln eines Kanus das Wasser teilten, wie die Stimme des Mädchens Anweisungen gab, wie die antwortenden Stimmen der Zigeuner näher kamen, und das platschende und schlürfende Geräusch leerer Eimer, die in einen vollen Fluß tauchten; und schließlich das Geräusch vieler Füße rund um das Feuer. Aber alles das bedeutete ihm weniger als die Tatsache, daß der rote Riß, der kürzlich wieder größer geworden war, erneut langsam kleiner wurde.

Dann erscholl ein Schrei, der ihn fast den Kopf hätte wenden machen. Flambeau und Fanshaw hatten sich, verstärkt durch einige der Zigeuner, auf den geheimnisvollen Mann beim Haus gestürzt; und jetzt hörte er vom anderen Ende des Gartens des Franzosen Schrei aus Entsetzen und Erstaunen. Ihm antwortete ein nicht mehr menschlich zu nennendes Heulen, als das Wesen sich aus ihrer Umklammerung löste und durch den Garten rannte. Dreimal mindestens rannte es um die ganze Insel, auf eine Weise, die so entsetzlich wie die Jagd auf einen Wahnsinnigen war, sowohl durch die Schreie des Verfolgten wie durch die Stricke der Verfolger; aber es war entsetzlicher noch, denn auf irgendeine Weise erinnerte es einen an die Haschmich-Spiele von Kindern im Garten. Und dann, als es sich auf allen Seiten eingekreist fand, sprang das Wesen auf eines der hohen Flußufer und verschwand mit einem Platschen im dunklen treibenden Fluß.

»Ihr könnt jetzt nichts mehr tun, fürchte ich«, sagte Brown mit einer Stimme, die vor Kummer kalt war. »Es wird ihn inzwischen gegen die Felsen geschmettert haben, wohin er so viele andere geschickt hat. Er wußte die Familienlegende gut zu nutzen.«

»Ach, reden Sie doch nicht immer in Bildern«, rief Flambeau ungeduldig. »Können Sie es denn nicht in einfachen Worten sagen?«

»Ja«, sagte Brown, mit dem Blick auf den Schlauch gerichtet:

 

»Beide Augen offen, läßt gute Fahrt erhoffen;

nur ein Auge blinkt, unser Schifflein sinkt.«

 

Das Feuer zischte und kreischte immer mehr, wie ein erwürgtes Wesen, während es unter den Fluten aus Schlauch und Eimern kleiner und kleiner wurde, aber Father Brown hielt auch weiterhin seinen Blick darauf gerichtet, während er fortfuhr:

»Wäre es schon Morgen, würde ich die junge Dame hier bitten, durch das Teleskop die Flußmündung und den Fluß zu beobachten. Dann könnte sie vielleicht etwas sehen, was sie interessiert: das Zeichen des Schiffes, oder Mr. Walter Pendragon, wie er heimkommt, und vielleicht sogar das Zeichen des Halbmannes, denn obwohl er inzwischen bestimmt in Sicherheit ist, mußte er doch möglicherweise ans Ufer waten. Er stand um Haaresbreite vor einem anderen Schiffbruch; und wäre ihm nimmer entkommen, hätte die Dame nicht genug Verstand gehabt, dem Telegramm des alten Admirals zu mißtrauen und herzukommen, um ihn zu überwachen. Aber wir wollen nicht vom alten Admiral sprechen. Wir wollen von nichts sprechen. Es genügt zu sagen, daß, wann immer dieser Turm aus Pechkiefer und harzigem Holz wirklich Feuer fing, sein Glutfunke am Horizont stets aussah wie das Zwillingslicht des Leuchtfeuers am Ufer.«

»Und so«, sagte Flambeau, »starben Vater und Bruder. Der böse Onkel aus der Legende hat schließlich fast doch noch den Besitz bekommen.«

Father Brown antwortete nicht; und wirklich sprach er außer einigen Höflichkeiten nicht wieder, ehe sie nicht alle sicher um eine Zigarrenkiste in der Kabine der Jacht saßen. Er sah, daß das erfolglose Feuer gelöscht war; und dann weigerte er sich, länger zu bleiben, obwohl er bereits den jungen Pendragon in Begleitung einer begeisterten Menge das Flußufer heraufmarschieren hörte; und er hätte (würde er sich von romantischer Neubegier haben bewegen lassen) die vereinten Danksagungen des Mannes vom Schiff und des Mädchens aus dem Kanu entgegennehmen können. Aber seine Mattigkeit hatte ihn erneut überfallen, und er fuhr nur einmal zusammen, als ihm Flambeau plötzlich sagte, daß er sich habe Zigarrenasche auf die Hose fallen lassen.

»Das ist keine Zigarrenasche«, sagte er müde. »Das kommt vom Feuer, aber daran denken Sie nicht, weil Sie alle Zigarren rauchen. Auf diese Weise ist mir übrigens mein erster Verdacht gegen die Karte gekommen.«

»Meinen Sie Pendragons Karte von seinen Südseeinseln?« fragte Fanshaw.

»Sie glaubten, es sei eine Karte der Südseeinseln«, antwortete Brown. »Packen Sie eine Feder und eine Versteinerung und ein Stückchen Koralle zusammen, und jeder wird glauben, es handele sich um ein Ausstellungsstück. Packen Sie dieselbe Feder mit einem Band und einer künstlichen Blume zusammen, und jeder wird glauben, es sei für den Hut einer Dame bestimmt. Packen Sie dieselbe Feder mit einem Tintenfaß, einem Buch und einem Haufen Manuskriptpapier zusammen, und die meisten werden schwören, sie hätten eine Schreibfeder gesehen. Nun haben Sie jene Karte zwischen tropischen Vögeln und Muscheln gesehen und haben angenommen, es sei eine Karte der Südseeinseln. Es war die Karte dieses Flusses hier.«

»Aber woher haben Sie das gewußt?« fragte Fanshaw.

»Ich habe den Felsen gesehen, der Ihnen wie ein Drache vorkam, und den anderen wie Merlin, und – «

»Sie haben anscheinend eine Menge bemerkt, als wir herkamen«, rief Fanshaw. »Und wir dachten, Sie wären reichlich abwesend.«

»Ich hatte die Seekrankheit«, sagte Father Brown einfach. »Ich fühlte mich einfach entsetzlich. Aber sich entsetzlich fühlen hat nichts mit Dinge nicht sehen zu tun.« Und er schloß die Augen.

»Glauben Sie, daß viele Menschen das bemerkt hätten?« fragte Flambeau. Er bekam keine Antwort: Father Brown war eingeschlafen.