WIR WOLLEN SEIN WIE SIE

IMAGE ch glaube, dass uns die Science-Fiction-Autoren auf die falsche Zukunft vorbereitet haben. Ihre Fantasie kreiste um die intelligenten Maschinen, die Frage, ob sie eines Tages klüger sein werden als der Mensch: Und ob sie schließlich die Menschen zu Untertanen machen. Und damit das Kräfteverhältnis umkehren.

Die Frage, die sich heute tatsächlich stellt, ist aber eine ganz andere. Die Frage lautet, ob wir damit begonnen haben, uns selbst wie Maschinen zu behandeln. Und ob der Preis für Maschinen, die denken können, von Menschen gezahlt wird, die es mehr und mehr verlernen.

Irving J. Good, der mit Alan Turing zusammen an den ersten Computern baute, hat in den sechziger Jahren die superintelligente Maschine mit den Worten definiert, dass es eine Maschine sein werde, »die glaubt, dass Menschen nicht denken können«.73

Vielleicht glauben die Maschinen das bereits. Ganz sicher aber tun wir es. Am eindeutigsten kann man das an unserer Sprache erkennen.

Wenn wir Menschen heute erläutern wollen, was eigentlich los ist mit uns und wo wir stehen im Leben, an diesem Tag und auch immer wieder zwischen all den modernen Technologien und unablässigen Informationstornados, beschreiben wir uns immer häufiger selbst wie Computer.

Wir sagen einander »unsere Daten«, gestehen uns unsere Fehlfunktionen ein, sprechen davon, dass wir gerade einen Absturz, einen Systemausfall oder keinen Saft mehr hätten, dass wir etwas nicht gespeichert oder gerade nicht auf dem Schirm hätten, dass letzte Nacht Teile unserer Festplatte gelöscht wurden, dass wir uns wieder auf Betriebstemperatur bringen, dass wir dringend mal wieder unsere Batterie aufladen müssten, kurzum: Wenn wir erschöpft sind oder an etwas scheitern, beschreiben wir uns wie leistungsschwache Rechner, bei denen alles in Zeitlupe läuft. Bis schlimmstenfalls der geistige Bildschirm ganz schwarz wird.

Aber das Ganze geht natürlich tiefer als Semantik. Die Menschen beginnen nämlich auch, ihre Leistungen, ihre Gefühle, ihre ganze Lebensbahn immer stärker wie Informationen abzurufen. Und wenn sie es selbst noch nicht tun, werden es ihre Arbeitgeber tun. So entsteht nicht nur ein Raum, in dem alles Zufällige kalkulierbar wird, sondern es entsteht auch eine ganz eigene Lebensdynamik, die das, was man bisher nur aus der industriellen Arbeitswelt kannte (und worunter man litt), in die Welt des Privaten katapultiert: Dinge geschehen nur noch, weil sie kalkulierbar und verwertbar sind. Bereits jetzt genügt ein Blick auf Youtube, um zu begreifen, dass Erfahrungen zunehmend nur gemacht werden, damit man sie digital verarbeiten und verwerten kann. In einer einzigen Minute werden - Stand 2009 - 20 Stunden Videomaterial allein auf Youtube hochgeladen, pro Woche 850 000 Filme in Spielfilmlänge.74 Den wachsenden Anteil nehmen skurrile Aufnahmen des privaten Lebens ein, viele davon kleine Kunstwerke in sich selbst. Schon aus den heutigen Zahlen folgt, dass das gefilmte Leben das gelebte Leben bei Weitem übertrifft. Der Schriftsteller Jorge Louis Borges hat in einem schönen Bild einmal von der präzisesten Landkarte der Welt erzählt, die so detailliert und genau war, dass sie schließlich so groß wurde wie die Welt selbst. Er war zu bescheiden. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie die Statistik in fünf Jahren aussehen wird. Vernetzt mit Google Earth,Twitter, Handy tritt das Leben ins Stadium seiner technischen Verwertbarkeit.

Videos im Netz sind freilich noch das traditionellste aller digitalen Angebote. Das Gleiche geschieht bei der Organisation von Freundschaften, Sozialkontakten, Lebensentscheidungen. Hinzu kommt der Verarbeitungsdruck normaler Nachrichten und Informationen, der größer wird, je länger die Informationen gespeichert sind, auf einen blinkend warten oder in regelmäßigen Abständen über Mail-Konten oder digitale Anrufbeantworter beim Empfänger nachfragen. Der Mensch ist ein Wesen auf der Suche, und die Suche hat für ihn jetzt der Rechner übernommen. Und ohne es zu spüren, übersetzen wir damit unser Ich in die Befehlsstruktur eines Mikroprozessors.

Das tun wir deshalb jetzt schon so bereitwillig, weil die Informationstechnologie in der Tat einen ganz wesentlichen Teil des Geistes nicht nur widerspiegelt, sondern auch perfektioniert. Man lebt in dem Kasten, ganz gleich, ob er ein Computerbildschirm oder ein Blackberry ist, gleichsam seelisch zusammengekauert und dabei stets alarmiert.75

Nein, unser Problem sind nicht Roboter, die wie Menschen aussehen, oder Computer, die wie HAL in dem Film »2001« reden. Solange die Roboter in der wirklichen Welt noch nicht einmal den Rasen mähen können, ohne alles durcheinanderzubringen, können wir die Sorge, sie könnten uns irgendwann ablösen und dann ganz ersetzen, sogar getrost der Nachwelt überlassen.

Die Figur, die uns schon eher ähnelt, trat zum ersten Mal vor über 200 Jahren in Erscheinung. Im Frühjahr des Jahres 1770 führte der kaiserliche Hofbeamte Wolfgang von Kempelen einer hingerissenen Kaiserin Maria Theresia und ihrem Hofstaat seine Erfindung vor. Hinter einem Kasten, auf dem ein Schachbrett aufgemalt war, saß eine lebensgroße hölzerne Figur, drapiert in Seide und Hermelin. Der Kasten selbst war 1,20 Meter lang und 90 Zentimeter hoch und stand auf vier Messingrollen. Er werde ein Wunder zeigen, verkündete von Kempelen: einen automatischen Schachspieler.76

Der »Schachtürke« des Wolfgang von Kempelen war ein mechanischer Schachspielautomat, der quietschte und ratterte und stockte und aus dessen Innerem man das Pumpen hydraulischer Maschinen hörte. Und der angeblich der erste Computer der Welt war.

Fast hundert Jahre hat der Schachtürke das alte Europa in Atem gehalten, Napoleon hat gegen ihn gespielt und die großen Geister der Epoche haben sich den Kopf darüber zerbrochen, ob eine Maschine wirklich denken könne. Aber es ist nicht der geschnitzte Türke, in dem man den heutigen Menschen wiedererkennt, sondern eine Person, deren Identität niemals aufgeklärt wurde.

Dieser Automat ist, wie wir heute wissen, ein ziemlich beklemmendes Gefängnis. Edgar Allan Poe hat 1836 mit mathematischer Logik in einem Essay nachgewiesen, dass in dem Automat ein Mensch sitzen musste: »Nicht immer bleibt der Schachtürke Sieger. Wär' die Maschine jedoch ein Apparat (…) so könnte dies nimmermehr der Fall sein - sie würde jedes Spiel gewinnen.«77

Wir werden mehr und mehr zu diesem Menschen, der zusammengekauert an seinem Arbeitsplatz, einem kleinen Kasten sitzt, Instruktionen befolgt und auf Informationen von außen wartet. Zugegeben, das Gehäuse ist nicht mehr so eng wie zu Kempelens Zeiten, und wenn es von Apple kommt, ist es sogar nicht nur Gehäuse und Technik, sondern auch Kunst. Aber nichtsdestotrotz sitzen wir zunehmend in diesem Apparat fest.

Der Vermenschlichung der Maschinen entspricht die Computerisierung des Menschen. Nur dass heute, anders als bei von Kempelen, oft ein Rechner und nicht mehr ein Mensch die Anweisung für den nächsten Schachzug erteilt. Die Frage, die dieser Erkenntnis zwingend folgt, ist nicht die, wozu wir die Computer künftig noch gebrauchen können - sondern wozu die Computer uns brauchen können.

»Wenn wir von Schnittstellen zwischen Menschen und Computer sprechen, unterstellen wir gewöhnlich, dass der Mensch eine Aufgabe erledigt haben will und dass der Computer sie erledigt und das Ergebnis bereitstellt. Was aber, wenn der Prozess umgekehrt würde und ein Computerprogramm den Menschen darum bitten könnte, eine Aufgabe auszuführen und Ergebnisse zu liefern?« So die Anleitung, mit der Amazon seine Software namens »Der mechanische Türke« versieht.

Dieses Programm vergibt auf einer Auktionsplattform, ähnlich Myhammer.de, bereits HITs, menschliche Intelligenz-Aufgaben (»human intelligence tasks«). Es sind solche, die Computer noch immer nicht besonders gut lösen können. Und deshalb vermittelt die Firma Amazon - und sie ist mittlerweile nur eine von vielen - eben die Aufträge, die die Computer gern von Menschen gelöst hätten.

Da sie beispielsweise schlecht darin sind, Bilder zu erkennen, werden Menschen gesucht, die große Datenbanken von Bildern mit kurzen Beschreibungen versehen. Andere sollen feststellen, ob E-Mail-Anschlüsse noch aktiv sind oder Kontaktadressen für Websites. Es gibt auch die Anweisung: »Finde Familiennamen für diesen Stamm. 3 Cent pro Stück.«

Die Tatsache, dass wir Menschen für die Computer arbeiten sollen, macht uns noch nicht zu ihren Untertanen. Schließlich bezahlen sie unsere Leistungen ja auch.

Doch leider fordern sie damit nicht nur eine gewaltige hirnlose Arbeit von uns menschlichen Hilfskräften. Die Bezahlung für solche Dienste bewegt sich fast immer nur zwischen 0,1 und 5 Cent, was, wie unzählige empörte Blogger bereits festgestellt haben, kaum nennenswerte Einkünfte bringt. Und uns wieder ganz nah zu Frederick Taylor bringt, der verkündet hatte: Die gleiche Handverrichtung, jeden Tag, jede Stunde, ein Leben lang. Schon leisten Millionen von Menschen stündlich solche Mikroarbeit, und viele tun es ohne Bezahlung.

Multitasking ist, wie wir gesehen haben, das Problem auf Seiten der Menschen. Die Computer würden sich, wenn sie es könnten, über die Probleme der Menschen wundern, sie wären der Meinung, dass, nach anfänglichen Schwierigkeiten, die Kommunikation zwischen uns und ihnen immer besser funktioniert. Denn das Erstaunliche ist, dass wir mittlerweile tatsächlich mehr und mehr wie Maschinen agieren und dass wir uns unser Roboter-Verhalten freiwillig und immer besser antrainieren.