COMPUTER KÖNNEN KEINE GESCHICHTEN ERZÄHLEN

IMAGE ngenieure sind keine Geschichtenerzähler. Trotzdem schreiben sie die wahren Romane unserer Zeit. Und sie haben offenbar längst verinnerlicht: Die Zeit des linearen Denkens, wie es ein Buch oder eine Geschichte erfordert, war womöglich nur eine Phase in der menschlichen Geschichte. »Auch ihre Bücher sind schließlich voll mit Ablenkungen«, sagt ein Blogger, »Käpt'n Ahab jagt ja auch nicht nur einen Wal. Da steht noch alles mögliche andere Zeug in ›Moby Dick‹.« Aber er fügt hinzu: »Darum ist es wahrscheinlich so ein gutes Buch.«

Wieder andere sind seit der Informationsflut skeptischer geworden, zum Beispiel der Wissenschaftshistoriker George Dy-son, dessen Familie wie keine andere mit Erfolgen der modernen Naturwissenschaft verbunden ist. Immer wieder geht es um den Januar 2003 und darum, ob Computer nur deshalb so zuverlässig wirken, weil wir keine Risiken mehr abschätzen können.

Eine harmlose Powerpoint-Tafel ist nichts anderes als ein gefilterter Denkprozess. Im Fall der Columbia allerdings in einer Art gefiltert, die maßgeblich an der Katastrophe der Raumfähre im Januar 2003 mitschuldig ist.

Durch ein Video hatte die NASA damals festgestellt, dass die Raumfähre zweiundachtzig Sekunden nach dem Start von einem Stück Hartschaum getroffen worden war, das womöglich lebenswichtige Systeme beschädigt hatte. Was würde das für die Columbia bedeuten, wenn sie wieder in die Erdatmosphäre eintreten würde? Die Techniker hatten zwölf Tage Zeit, das Problem zu lösen; so lange befand sich die Raumfähre noch auf der Umlaufbahn um die Erde. Techniker der Flugzeugfirma Boeing, die Teile der Raumfähre gebaut hatte, halfen nach ausführlichen Diskussionen mit Erklärungen: 28 Powerpoint-Illustrationen, auf deren Grundlage die Verantwortlichen der NASA zu der irrigen Annahme kamen, für die Columbia bestehe keine Gefahr.

Der Informatiker und Grafikdesigner Edward Tufte hat diese Präsentationen Jahre später noch einmal ausgewertet und herausgefunden, dass sie eine völlig falsche Vorstellung von dem erzeugen musste, was wichtig war und was nicht: Während erst später im Kleingedruckten und bei den kleinen Aufzählungspunkten Zweifel und technische Probleme geschildert wurden, war die obere Hierarchie der Präsentation, waren die Überschriften und Zusammenfassungen der einzelnen Sheets, hervorgehoben durch besonders dicke Aufzählungspunkte, optimistisch und positiv.

Die NASA-Verantwortlichen wurden also von der Grafik falsch navigiert: Sie ließen sich durch diese vereinfachende Schein-Logik täuschen und gaben Entwarnung. Dabei hatten die Erkenntnisse, die dieser Grafik zugrunde lagen, auf ihrem Weg durch die Organisationshierarchie der NASA eine merkwürdige Veränderung erfahren: Sie wurden immer verständlicher, einfacher und weicher.

Was aber fast noch bemerkenswerter war: Tufte fand heraus, dass die Illusion, eine »Information« zu bekommen, die Kreativität und Diskussionsbereitschaft gelähmt hatte. Die Ingenieure an der Basis hatten in mehreren Hundert E-Mails die Probleme geschildert, und zwar in vollständigen Sätzen, mit logischen Satzteilen. Erst die Übersetzung der Erkenntnisse für die höheren Leitungsebenen der NASA in die Informationsgrafik des Computersystems hatte zur Verfälschung geführt.70

Dennoch werden im späteren Columbia-Untersuchungsbericht Tuftes Erkenntnisse besonders hervorgehoben und die NASA aufgefordert, für wichtige Dokumentationen keine Powerpoint-Präsentationen mehr zuzulassen.71

Wieso ist diese Geschichte hier wichtig? Nicht, weil man nun sämtliche Powerpoint-Illustrationen abschaffen sollte - obgleich ein zweiter Blick bei den fast hypnotisch wirkenden Aktien- und Lebensversicherungsgrafiken nicht schaden könnte -, sondern weil sie zeigt, dass es dann und wann wichtig ist, Geschichten zu erzählen, statt alles in den Betriebszustand der Information umzuwandeln.

Hier handelte es sich nur um ein Beispiel eines neuen kognitiven Stils, einer neuen Art zu denken und Informationen zu transportieren - und dazu noch eines der offensichtlichsten Beispiele. Mit annähernd 600 Millionen Kopien weltweit ist Powerpoint unser Hauptwerkzeug für die Darstellung der Welt. »Unsere Werkzeuge«, schreibt die amerikanische Publizistin Maggie Jackson, »spiegeln die Werte unserer Zeit, und es ist deshalb kein Zufall, dass Powerpoint das Werkzeug unserer Wahl in einer Welt der Schnipsel und Sound-Bites ist.«72

Aber es ist selbst nur ein Symbol für Systeme, die unsere Intelligenz überfordern.