17. KAPITEL

Sara stand im Frachtraum der Satyr und notierte sich, welche Kleidung die Frauen von der Chastity hatten mitnehmen können. Die anderen Piraten würden heute Nacht oder morgen zurückkehren, und sie wollte bis dahin wissen, wie sie die Sachen verteilen sollte, die sie mitbrachten. Erst als sie sich die Augen rieb, fiel ihr auf, wie schwach das Licht im Frachtraum war. Sie war am frühen Nachmittag heruntergekommen, zu einer Zeit, da die Frauen den Frachtraum wegen der Hitze mieden. Doch nun war es sicher schon fast Abend. Bald würde Sie eine Lampe anzünden müssen.

Sie dachte an Gideon. Er war ihr seit dem Abend in seiner Kajüte ausgewichen und behandelte sie, als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Wann immer sie wagte, ihn auf Dinge anzusprechen, die die Frauen betrafen, gab er ihr abweisende Antworten und machte mit seiner Arbeit weiter.

Obwohl sein Verhalten sie verletzte, sagte sie sich, dass es so wohl am besten sei. Wenn Petey hatte fliehen können, würde sie die Insel ohnehin bald verlassen und dann wollte sie genauso unbelastet fortgehen, wie sie gekommen war. Vorausgesetzt natürlich, sie schaffte es, dass Gideon die Frauen nicht dazu zwang, sich Ehemänner auszusuchen. Morgen sollte die Wahl stattfinden, und sie hatte noch immer keine Idee, wie sie sie verzögern sollte, bis Petey mit Jordan hierher zurückkehrte.

Sara eilte zur Leiter. Es wurde Zeit, dass sie und Gideon noch einmal darüber sprachen. Als sie das Schiff verließ, musste sie nicht lange nach ihm suchen. Er sprach vor seiner Hütte mit Barnaby und Silas. Doch als sie sich zu ihnen gesellte, verstummten sie.

„Was wollen Sie?“ stieß Gideon ungeduldig hervor.

Sara straffte die Schultern und erwiderte seinen Blick genauso ungehalten. „Ich möchte, dass Sie Ihre Forderung, die

Frauen müssen sich Ehemänner aussuchen, zurücknehmen. Ist es nicht schon schlimm genug, dass Sie und Ihre Männer uns gegen unseren Willen hierher gebracht haben? Warum quälen Sie die Frauen auch noch damit, dass sie Männer heiraten, die sie kaum kennen?“

„Sie haben eine Wahl.“

Sie lachte verächtlich auf. „O ja, die berühmte Wahl. Sie können sich einen Ehemann wählen, oder Sie wählen einen für sie aus. Aber sie dürfen nicht unverheiratet bleiben, nicht wahr?“

„Möchte das überhaupt jemand, Sara?“

Sara wandte sich zu Ann um, die ein Stück entfernt von ihr stand. „Einige schon. Ann zum Beispiel. Sie . . . hat einen Liebsten in England zurückgelassen. Noch ist sie nicht so weit, sich einem anderen Mann zuzuwenden. “

„Sie hat einen Liebsten in England zurückgelassen?“ wiederholte Gideon scharf. „Wirklich? Oder hat sie nicht vielmehr einen verloren, der sie vor drei Tagen verlassen hat und davongesegelt ist?“

Als Ann in Tränen ausbrach und davonlief, blickte Sara Gideon anklagend an. „Sehen Sie nur, was Sie angerichtet haben!“

Zu ihrer Überraschung warf Silas Gideon einen verärgerten Blick zu. „Das hätten Sie nicht sagen sollen, Cap’n. Das Mädchen hat ein sehr zartes Wesen.“

Barnaby rollte mit den Augen. „Louisa hat Silas so weich geklopft, dass ich ihn kaum wieder erkenne.“

„Hör mal, du verfluchter Brite . .protestierte Silas.

„Das reicht“, verlangte Gideon und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Sara zu. „Ich werde meine Meinung nicht ändern, Sara. Es tut mir Leid, dass Ann unglücklich ist, aber glauben Sie nicht auch, dass es für sie besser ist, einem Ehemann und Kinder zu haben, als sich nach irgendeinem Liebsten zu sehnen, der sie vielleicht jetzt schon vergessen hat?“

„Das kann auch nur ein Mann sagen!“ Sara verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ihn herausfordernd an. „Ann ist nicht die Einzige, Gideon. Andere Frauen zögern auch, einen Mann zu heiraten, den sie kaum kennen. Warum; geben Sie uns nicht mehr Zeit?“

„Zeit wofür? Damit Sie ihnen erzählen können, dass sie als Dienstboten viel glücklicher in diesem New South Wales wären?“

„Damit sie sich darauf vorbereiten können, gute Ehefrauen zu werden. Unglückliche Frauen sind es nämlich nicht, ob Sie das nun einsehen wollen oder nicht.“ Plötzlich hatte sie einen genialen Einfall. Er sprach doch oft davon, dass sie Atlantis zu einer richtigen Gemeinde machen wollten, zu einem Land, auf das sie alle stolz sein konnten. Aber dafür brauchte er schließlich die Frauen. „Aber vielleicht ist es Ihnen ja egal, ob sie gute Ehefrauen sind. Solange sie nur gute Bettgefährtinnen sind, spielt es ja dann auch wohl keine Rolle, ob sie am Aufbau von Atlantis mitarbeiten oder nicht. “

Ein wütender Ausdruck erschien auf Gideons Gesicht, als er verstand, was sie meinte. „Sie wissen ganz genau, dass es mir nicht egal ist. “

Bewusst gleichmütig zuckte sie mit den Schultern. „Den Frauen schon. Warum sollten sie schuften, wenn man ihnen nicht wenigstens einige Freiheiten gewährt? Man zwingt sie, sich Männer auszuwählen, die ein Leben als Gesetzlose geführt haben und nun plötzlich behaupten, sie seien rechtschaffen geworden. Doch diese Männer interessieren sich überhaupt nicht für das, was die Frauen denken oder fühlen. Ihnen ist nur wichtig, dass ihre eigenen Bedürfnisse befriedigt werden.“ Selbst Silas regte sich über ihre letzte Bemerkung auf, und Gideons Augen funkelten vor Zorn, als er sagte: „Sie gehen zu weit, Sara.“

Sie wollte ihm gerade heftig widersprechen, als eine Stimme die Spannung zwischen ihnen löste.

„Feuer!“ schrie jemand. Als sie sich umdrehten, sahen sie einen der Piraten am Strand entlanglaufen. „Feuer in der Küche!“

Sara und Gideon wirbelten herum. Sara entdeckte die dünne graue Rauchfahne zuerst. „Lieber Himmel, es brennt wirklich!“ Sie griff nach Gideons Arm und deutete dorthin.

„Auch das noch!“ Gideon wandte sich an Barnaby und befahl, er solle die Männer sofort zusammenrufen. „Geht an Bord der Satyr, und holt so viele Eimer, wie ihr finden könnt. Füllt sie mit Wasser. Und beeilt euch! Wenn die anderen Dächer Feuer fangen, können wir nichts mehr machen!“

Als Barnaby davonhastete, rief Gideon nach den anderen Leuten. Mehrere Piraten und Frauen eilten schon herbei, und Sara, Gideon und Silas liefen mit ihnen zum Feuer.

Neben sich hörte Sara Silas murmeln: „Bitte Gott, lass Louisa nicht in der Küche sein. Bloß nicht in der Küche.“ Während er rannte, suchte er den Strand mit besorgter Miene ab.

Als sie die Küche erreichten, stand sie in hellen Flammen.

„Louisa!“ schrie Silas.

Er wollte hineingehen, doch Gideon hielt ihn zurück. „Bleib hier, Mann! Drinnen ist ein einziges Flammenmeer!“

Plötzlich tauchte Louisa bei ihnen auf und warf sich in Silas' Arme. „Es geht mir gut, Silas“, sagte sie mit erstickter Stimme an seiner Brust, als er sie fest an sich drückte und Gott laut für ihre Rettung dankte. „Ich war nicht in der Küche, als es ausbrach.“

„Wir müssen es löschen, bevor es auf die andere Hütten überspringt“, sagte Gideon.

„Zu spät.“ Silas deutete grimmig auf eine nahe stehende Hütte. Funken von der brennenden Küche hatte schon das Nachbardach in Flammen gesetzt. „Da es in dieser Woche besonders trocken war, werden sie wie Zunder abbrennen.“

„Wo bleiben denn die Männer mit den Eimern Wasser?“ fragte Gideon ungeduldig und blickte suchend über den Strand.

Sara folgte seinem Blick und sah die Leinentücher, die sie und die Frauen im Laufe des Tages zum Trockenen aufgehängt hatten. Viele Frauen irrten händeringend vor der Küche herum. „Meine Damen! Holt die Leinentücher dort, tränkt sie mit Wasser und bringt sie schnell her!“

Gideon warf Sara einen schnellen, anerkennenden Blick zu. „Gute Idee.“ Während er sich das Hemd auszog und zum Meer rannte, rief er seinen übrigen Männern zu: „Helft den Frauen! Wir müssen den Brand löschen, ehe er sich noch weiter ausbreitet!“

Ann schloss mit Sara auf. Sorgenvoll blickte sie drein. „Was ist mit den Kindern, Miss? Was sollen wir mit ihnen machen?“

„Bring sie aufs Schiff, und behalte sie dort, bis wir hier fertig sind.“

Ann rannte davon und scheuchte die Kinder vor sich her. Danach gab es keine Gelegenheit mehr für Gespräche. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, alle verfügbaren Behälter mit Seewasser zu füllen und es auf das Feuer zu schütten. Oder sie schlugen mit den nassen Leinentüchern auf die brennenden Teile.

Nachdem sie stundenlang Eimer mit Seewasser geschleppt und sich mit den nassen Leinentüchern abgerackert hatten, brannten zehn Hütten, und die Küche war bis auf den Grund abgebrannt. Mit schmerzenden Muskeln nahm Sara einen Stapel Tücher auf und wollte zurück zum Wasser gehen.

Gideon packte sie am Arm. „Nein. Es hat keinen Zweck mehr.“

Sie blickte ihn an. Der flackernde Schein des Feuers beleuchtete sein rußbedecktes Gesicht. Der Ausdruck von Trostlosigkeit in seinem Gesicht tat ihr weh.

„Wenn wir vielleicht. . .“, begann sie.

„Nein, es ist zu spät.“

„Und was wird aus dem Rest der Insel?“

Schmerz verzerrte sein Gesicht, bevor er sich zusammenriss. „Ich glaube nicht, dass der Wald brennen wird. Die Hütten sind ein gutes Stück von ihm entfernt. Außerdem sind die Bäume grün und brennen nicht gut. Doch die Hütten sind zerstört. Wir müssen das eben hinnehmen. Wir sollten jetzt an Bord des Schiffs gehen und ablegen, bevor es auch noch Feuer fängt.“

Dass er aufgab, ging ihr sehr nahe. „Sie können doch nicht alles abbrennen lassen!“ schrie Sara, als die anderen Frauen sich um sie scharten.

„Er hat Recht, Mädchen“, warf Silas ein. Er ging zu Gideon. Sein Gesicht war rußverschmiert, und Schweiß rann ihm von der Stirn. „Wir können das Feuer nicht unter Kontrolle bringen. Wir müssen es sich selbst überlassen und beten, dass es nicht die ganze Insel vernichtet.“

„Wenn wir vielleicht die anderen Hütten wässern“, versuchte Sara es noch einmal.

„Als ob irgendeine von Ihnen interessiert, was mit unseren Häusern geschieht“, herrschte Barnaby neben ihr sie an. Er hatte das Feuer heroisch bekämpft, und nun waren seine eleganten Sachen verschmutzt. „Eine Ihrer Frauen hat das Feuer im Ofen unbeaufsichtigt gelassen, und ich denke, wir sollten erfahren, wer das war. Louisa?“

„Lass sie in Ruhe.“ Schützend legte Silas den Arm um Louisa. „Sie kann nichts dafür.“

„Vielleicht war es Ann“, giftete Barnaby. „Ich habe sie gar nicht gesehen. Wisst ihr, wo sie steckt? Sie war wütend darüber, dass sie sich einen Ehemann auswählen sollte. Vielleicht wollte sie sich an uns rächen.“

Die herumstehenden Männer begann zu murren und sahen sich feindselig um.

„Das ist doch Unsinn.“ Müde warf Sara ihr verfilztes Haar zurück. „Ann würde so etwas nie tun.“

Unbeeindruckt musterte Barnaby Sara. „Wie auch immer, eine Ihrer verdammten Gefangenen hat es getan. Wir hätten auf dieser Insel noch nie einen Brand. Eine Ihrer Frauen ist dafür verantwortlich, und Sie haben sie wahrscheinlich noch dazu angestiftet.“

„Es reicht, Barnaby!“ knurrte Gideon. „Es spielt keine Rolle, wer es getan hat. Wir müssen uns um wichtigere Dinge kümmern . . .“

„Cap'n?“ unterbrach ihn eine leise Stimme unter den Männern. Die Menge teilte sich und ließ einen kleinen Jungen durch: Gideons Kabinensteward. Sein Gesicht war bleich und hatte Tränenspuren. „Es war mein Fehler, Sir. Mr. Kent rief mich nach draußen, weil ich beim Holzsammeln mithelfen sollte, und ich habe . . . vergessen, das Feuer im Ofen auszumachen. Ich hatte Schinken in der Pfanne gebraten, und ich dachte, ich stelle sie beiseite .. .“

„Das spielt keine Rolle mehr, Junge“, sagte Gideon sanft und fuhr dem Jungen durchs Haar. „Aber es ist mutig von dir, es zu gestehen. “ Er sah Barnaby und die anderen Männer streng an. „Und es nützt niemand, wenn irgendwelche Anschuldigen erhoben werden. Wir sollten lieber alles Wertvolle aus den Hütten herausholen und die Satyr retten.“

Die Männer wurden blass. Offenbar hatte keiner von ihnen an das Schiff gedacht, dem sie jetzt besorgte Blicke zuwarfen. Sara auch. Selbst sie wusste, dass die Segel nur zu leicht Feuer fangen konnten.

„Silas, sag den Männern, dass sie die restlichen Hütten ausräumen sollen“, ordnete Gideon an, „und bring sie dann an

Bord.“ Er wandte sich an Sara. „Rufen Sie die Frauen zusammen, und sorgen Sie dafür, dass sie ebenfalls an Bord gehen. Und suchen Sie Ann.“

„Sie ist schon auf dem Schiff. Ich habe sie mit den Kindern dorthin geschickt, als es hier losging.“

„Gott sei Dank. Ich habe gar nicht an sie gedacht.“ Müde strich er sich durchs Haar. „Es wird Zeit, dass auch wir an Bord gehen. Wir wissen ja nicht, wie lange das Feuer braucht, ehe es von selbst verlöscht.“

„Aber Gideon, wir können es doch nicht einfach weiterbrennen und sich ausbreiten lassen!“

„Tun Sie, was ich sage, Sara!“ stieß er hervor. Als er sah, dass sie vor ihm zurückschreckte, fügte er etwas sanfter hinzu: „Manchmal muss man akzeptieren, dass man verloren hat. Es sieht so aus, als hätte eine höhere Gewalt uns die Dinge aus der Hand genommen. Jetzt können wir nur noch beten, dass uns nicht die gesamte Insel weggenommen wird.“