13. KAPITEL

Nachdem Sara zwei Stunden lang am Strand von Atlantis entlanggewandert war, gab sie widerwillig zu, dass Gideons Liebe für diese Insel gerechtfertigt war. Mit jedem Schritt sanken ihre Schuhe in den Sand ein, der so weiß und fein war wie Marmorstaub, und die Luft roch so köstlich nach Salz und Meer.

Und all diese wundervollen Farben! Exotische Pflanzen und Früchte in den verschiedenen Rot- und Gelbtönen belebten den Wald. Die Insel befand sich zwar in den Tropen, doch dank der südlichen Passatwinde und der kalten Ströme des Nordatlantiks herrschte ein so gemäßigtes Klima, dass hier sowohl Orangen und Zitronen gediehen als auch Dattelpalmen und Bambus.

Wilde Ziegen und Hasen durchstreiften das Vorgebirge. Große Meeresschildkröten schoben sich am Strand entlang, und im Unterholz lebten Waldhühner und Fasane.

Verstohlen schaute sie zu Gideon. Er trug nur die Lederhose und den Gürtel, von dem der Säbel herabhing. Er streckte den Arm nach oben, ergriff ein rundes Büschel gelber Früchte, das von einem seltsamen palmenartigen Baum mit wächsernen grünen Blättern herabhing, zog seinen Säbel und trennte die Früchte mit einem Hieb vom Baum.

Als er sich seitwärts drehte, um sie in einen Karren zu den anderen zu legen, beobachtete sie das Spiel seiner Muskeln. In diesem Moment schaute er in ihre Richtung, und sie sahen einander an. Sein Blick glitt über ihre Stirn, die Wange, die Lippen. Er war wie eine sinnliche Liebkosung. Eine plötzliche, ihr nur zu schmerzlich vertraute Hitze erfasste sie und ließ sie flammend rot werden. Voller Scham darüber, dabei ertappt worden zu sein, dass sie ihn angesehen hatte, wandte sie sich hastig von ihm ab. Doch sie bemerkte noch das sanfte wissende Lächeln, das seine Lippen umspielte.

Dieser Mann war eine Gefahr für alle Frauen! Sie wenigstens sollte ihm widerstehen können. Warum musste es ausgerechnet ein Pirat sein, bei dem sie errötete und weiche Knie bekam wie ein junges Mädchen bei ihrer Einführung in die Gesellschaft? Sie war immer zu vernünftig für solche Torheiten gewesen, außer im Fall von Oberst Taylor, und selbst bei ihm hatte sie ihren gesunden Menschenverstand nicht derart verloren wie bei Gideon.

Obwohl sie am Strand entlang vor ihm davoneilte, konnte sie die Wärme, die sich von den intimsten Bereichen ihres Körpers ausbreitete, nicht ignorieren. O ja, Gideon passte in diesen Garten Eden. Er war so verführerisch wie Adam. Aber hatte Gott bei Gideon Horn nicht ein wenig übertrieben? Er hätte diesem Mann Nützlicheres mitgeben sollen als nur gutes Aussehen und verführerischen Charme. Demut zum Beispiel.

Vergeblich versuchte sie, sich einen demütigen Gideon vorzustellen.

Als sie Louisa entdeckte, die auf einem umgestürzten Baumstamm saß, der einige Meter hinter dem Strand und vor dem Unterholz lag, eilte Sara zu ihr.

„Worüber lächeln Sie denn?“ murrte Louisa. „Sagen Sie nicht, dass Sie sich schon dazu haben verleiten lassen, diese Insel zu mögen. “

„Sie müssen zugeben, dass Sie sie so nicht erwartet haben.“ „Ich habe sie genauso erwartet. Haben Sie schon diese Hütten gesehen? Sie sind das Primitivste, das man sich vorstellen kann! Nur die Betten scheinen bequem zu sein. Doch was kann man von Piraten schon anderes erwarten? Natürlich kümmern sie sich vor allem um ihre Betten. Mehr interessiert sie ja nicht. Männer! Ich schwöre, dass die Gemeinschaftsküche, die Silas geschaffen hat, genauso primitiv ist wie . . .“

„Silas? Sie scheinen ja mit Mr. Drummond schon recht vertraut zu sein.“

Leicht verlegen zog Louisa den Kopf ein. „Überhaupt nicht. Silas . . . ich meine Mr. Drummond und ich haben einfach gelernt, uns . . . gegenseitig zu tolerieren. Er hat schließlich eingesehen, dass er meine Hilfe braucht.“

Ihre Hilfe? Louisas „Hilfe“ hatte darin bestanden, dass sie sich der Küche des armen Mannes bemächtigt hatte und all seine Versuche, seinen Arbeitsplatz zurückzuerobern, unterlaufen hatte. Wenn er das zu tolerieren gelernt hatte, dann war er ein weit besserer Mann, als sie gedacht hatte. „Nun ich muss zugeben, dass die Mahlzeiten genießbar sind, seit Sie Ihre ,Hilfe“ angeboten haben. Und ich bin sicher, dass es uns gelingen wird, die Hütten schön herzurichten.“

„Das ist auch der einzige Grund, warum sie uns hierher mitgenommen haben: um zu putzen, zu kochen und zu nähen.“ „O nein, sie möchten viel mehr von uns“, erwiderte San bissig, als sie an Gideons begehrlichen Blick dachte.

Louisa erstarrte. „Sie haben natürlich Recht. Sie wollen auch unsere Körper haben. Und ich werde mich hüten, meinen auch nur einem von ihnen zu geben. Dazu müsste man mich schon fesseln.“

„Sagen Sie das bloß nicht laut. Es könnte sie auf Ideen bringen.“ Sara schaute zu einigen Frauen hinüber, die sich schon Ehemänner gesucht hatten. „Leider werden Sie und ich in unserem Wunsch, unverheiratet zu bleiben, überstimmt werden.“

Louisa warf ihr einen langen, neugierigen Blick zu. „Sie und ich? Sie haben sich doch schon einen Ehemann ausgesucht.“ Innerlich stöhnend verfluchte Sara ihren Versprecher. „Oder haben Sie Ihre Meinung geändert und überlassen Petey nun doch Ann?“

Sofort wurde Sara wieder von Schuldgefühlen geplagt. Arme Ann. „Wo ist sie überhaupt?“ erkundigte sich Sara und überging Louisas Frage, als sie ihren Blick über die Grüppchen der Männer und Frauen schweifen ließ. Sara hatte Ann schon früher suchen wollen, um die Dinge zwischen ihnen wieder einzurenken, doch bei der Erforschung der Insel hatte sie das ganz vergessen.

Louisa wandte sich dem nahe gelegenen Fluss zu. „Vor kurzem habe ich sie dort hinaufgehen sehen. Ich glaube, sie wollte allein sein.“

„Oh, natürlich. Ich werde mal nach ihr schauen. Sie sollte sich nicht so weit von den anderen entfernen, da wir die Insel noch nicht gut kennen. Sie könnte sich verletzen.“

„Machen Sie, was Sie wollen. Ich jedenfalls werde zu dem schmutzigen kleinen Loch zurückkehren, das sie Küche nennen. Wir essen bald. Die Piraten haben für uns ein fettes Wildschwein getötet, und wenn ich Silas die Zubereitung überlasse, wird er es in das zäheste und ungenießbarste Gericht verwandeln.“

Als Sara ihren Aufstieg begann, stellte sie fest, dass ihre Stiefeletten sich kaum für das Erklettern der glitschigen Felsen um den Fluss herum eigneten. Sie war so damit beschäftigt, ihr Gleichgewicht zu halten und gleichzeitig ihre Röcke zu raffen, dass sie die leisen Stimmen eines Paars im Wald erst hörte, als sie schon fast vor ihm stand.

Sara hielt inne und lauschte. Sie erkannte Anns Stimme, auf die eine tiefere, männliche antwortete. Lieber Himmel, nutzte jetzt einer dieser grässlichen Männer schon Anns Kummer aus? Das würde sie nicht zulassen. Ann hatte schon genug mitgemacht.

Als sie sich entschlossen durch das dichte Unterholz drängte, befand sie sich plötzlich auf einer Lichtung. Das Paar, das sich leidenschaftlich umarmte, löste sich sofort voneinander. Und zu ihrer Überraschung war Petey dieser „grässliche Mann“, der Ann umarmte.

„O ... es ... es tut mir Leid. Ich dachte . . . ich hatte mir Sorgen gemacht. . .“Verlegen wandte Sara sich ab. „Ich werde zurück zum Strand gehen . . .“

„Warten Sie!“ rief Petey ihr nach. „Bitte, Miss Willis . . . ich kann das erklären.“ Er folgte ihr.

Sara schüttelte den Kopf, während sie weiterhastete. „Sie müssen mir überhaupt nichts erklären. “ Doch da hatte er sie schon erreicht und packte sie am Arm.

„Hören Sie bitte zu.“ Als Sara ihn anschaute, sagte er: „Ich habe Ann genau erklärt, warum ich Sie heirate und wer Sie sind. Ich habe ihr gesagt, dass ich für Ihren Bruder arbeite. Ich musste das einfach tun.“

„Bitte nehmen Sie ihm das nicht übel“, stieß Ann hervor, die hinter Petey hergelaufen war. Als Sara Ann anschaute, sah sie bedauernd, wie rot Anns Augen und Nase waren.    

Zögernd fuhr sie fort. „Ich bin hier heraufgegangen, weil ich allein sein wollte . . . weil. . .“

„Sie hat geweint“, warf Petey ein. „Ich habe gesehen, dass sie allein hierher ging. Weil ich mir Sorgen um sie machte, bin ich ihr gefolgt, und sie hat dort auf dem Baumstamm gesessen.“ Petey wies mit der Hand in die Richtung. „Sie dachte, dass Sie und ich ineinander verliebt seien. Weil sie so sehr litt, konnte ich sie nicht länger in diesem Glauben lassen.“ Leise fügte er hinzu: „Vor allem, weil es ja nicht wahr ist.“

Der Blick, den Ann und Petey tauschten, war so zärtlich, dass Sara traurig wurde. Sehnsüchtig wünschte sie, dass sie und Gideon sich so anschauen würden.

Kaum hatte sie das gedacht, stöhnte sie innerlich auf. Ausgerechnet Gideon! Dieser Mann wusste ja überhaupt nichts von Zuneigung und Zärtlichkeit. Er wollte nur ihren Körper, und er begehrte sie sicherlich auch nur deshalb so sehr, weil sie sich ihm bisher verweigert hatte.

Ann wandte sich nun an Sara. „Nachdem Petey mir alles erklärt hat, Miss Willis, verstehe ich ihn auch. Wirklich.“ Es klang, als versuchte sie, mehr sich selbst als Sara zu überzeugen. Ann senkte die Lider und glättete ihre Röcke. „Es gibt keine andere Möglichkeit. Petey muss Sie heiraten, um Sie vor den Piraten zu schützen. Ich sehe das jetzt ein.“

Um Sie vor den Piraten zu schützen. Ann erwähnte dabei nicht, dass sie damit auf den Schutz vor den Piraten verzichtete. Sie akzeptierte es einfach, dass Sara wichtiger war als sie und daher mehr Schutz verdiente.

Nie zuvor hatte Sara sich so entsetzlich elend gefühlt - oder so deutlich die Ungerechtigkeit des englischen Klassensystems erkannt. Ann hatte man jede Chance auf Glück genommen. Ihre einzige Schandtat hatte darin bestanden, dass sie gestohlen hatte, um Medizin für ihre Mutter zu kaufen. Sie hatte ihre Freiheit und ihre Mutter verloren, noch ehe sie alt genug war, um einen Mann und Kinder zu haben. Jetzt hatte sie einen Mann gefunden, den sie gern hatte und der ihre Gefühle offensichtlich erwiderte. Und nun wurde auch er ihr aus einem höchst zweifelhaften Grund genommen - damit es nicht zu einem Skandal kam, falls Sara auf wundersame Weise vor Gideon und seinen Männern gerettet würde.

Das war nicht gerecht. Obwohl Sara ständig von Gerechtigkeit und Gleichheit geredet hatte, hatte sie stillschweigend Peteys Verzicht angenommen, als hätte sie ein Anrecht darauf. Und sie hatte ihn nie gefragt, ob er das auch wirklich wollte.

Nun, damit war jetzt Schluss. „Petey wird mich nicht heiraten“, erklärte Sara mit fester Stimme. „Wenn ich geahnt hätte, wie Sie beide zueinander stehen, hätte ich dieser Vereinbarung nie zugestimmt. Da ich es jetzt weiß, kann ich nicht mehr daran festhalten.“

„Aber Miss Willis . . .“, begann Petey.

„Das ist mein letztes Wort, Petey. Wir haben keine Ahnung, was uns die Zukunft bringen wird, und ich werde nicht zulassen, dass Sie mich heiraten, wenn Sie eine andere Frau lieben.“ Als er protestieren wollte, schnitt sie ihm das Wort ab. „Es kann sein, dass wir jahrelang hier bleiben müssen. Es wäre unsinnig, so zu tun, als würde dieses Abenteuer hier jeden Tag beendet sein.“

Hoffnungsvoll leuchteten Anns Augen auf, doch Petey verschränkte eigensinnig die Arme vor der Brust. „Und was ist mit dem Piratenlord? Er ist hinter Ihnen her. Wenn er glaubt, dass Sie frei sind . .

„Mit ihm werde ich schon selber fertig werden“, sagte Sara mutiger, als sie sich fühlte.

„Das gefällt mir nicht“, murrte Petey und sah dann, dass der hoffnungsvolle Ausdruck aus Anns Gesicht verschwunden war. Er ging zu ihr und legte ihr den Arm um die Taille. „Ich möchte dich ja heiraten, Liebste. Aber ich habe Miss Willis gegenüber nun einmal eine Verpflichtung.“

Sara seufzte. Petey würde sich niemals erweichen lassen, wenn er glauben musste, dass sie Schutz brauchte. Ruhig dachte sie nach. Vielleicht ließ sich ja diese Situation zu ihrem Vorteil nutzten. „Wir könnten Gideon mit seinen eigenen Waffen schlagen. Immerhin hat er gesagt, dass er alles tun würde, um mich zu bekommen.“

„Wann hat. . .“, begann Petey.

„Das ist jetzt egal“, sagte sie schnell. „Er kann mich nicht zwingen, ihn zu wählen, solange ich an Ihnen festhalte.“ Sie sprach jetzt schneller. „Wenn ich mich ihm noch länger widersetze, wird er vielleicht von den Frauen erst eine Wahl verlangen, bis ich frei bin, um ihn zu wählen. Da das jedoch nie geschehen wird, können wir ihn endlos lang hinhalten.“ „Endlos lang?“ Peteys Stimme klang höchst skeptisch. „Entschuldigen Sie, Miss Willis, aber ich glaube nicht, dass der Piratenlord so geduldig ist.“

„Trotzdem brauchen wir Zeit, um zu überlegen, wie wir uns alle befreien können. Das ist immer noch besser, als dass Sie beide ins Unglück gestürzt werden.“ Sie sah Ann an. „Was halten Sie davon? Wären Sie beide in der Lage, so zu tun, als wären Sie Fremde, wenn Sie mit den anderen zusammen sind?“

Ann nickte. Sie wäre zu allem bereit, nur um Petey zu behalten.

„Gut. Dann werden wir es so machen.“

„Und wenn der Pirat uns ertappt?“ fragte Petey. „Wenn er von Ihnen ablässt und sich einer anderen Frau zuwendet? Wenn er weiter darauf besteht, dass die Frauen sich in einer Woche ihre Ehemänner aussuchen? Was dann?“

„Dann werden Sie beide heiraten, und ich werde mich um mich selbst kümmern, so gut ich kann.“ Als Petey sie finster anschaute, fügte sie ernst hinzu: „Sie wissen, dass das die einzige Möglichkeit ist, Petey. Möchten Sie wirklich zusehen, dass Ann gegen ihren Willen einem anderen Mann gegeben wird? Denn das wird geschehen, wenn sie sich nicht entscheidet.“

Das schien ihn zu überzeugen. Mit barscher Stimme, in der eine Spur Erleichterung mitschwang, stimmte er ihrem Plan zu.

„Gut. Und nun sollten Sie beide zurückgehen, bevor jemandem Ihre Abwesenheit auffällt. Und trennen Sie sich besser, bevor Sie den Strand erreichen.“

„Kommen Sie nicht mit uns mit?“ fragte Petey.

„Gleich. Ich möchte mich hier noch ein wenig umsehen.“

In Wahrheit konnte sie Gideon noch nicht unter die Augen treten. Ihr schwindelte noch immer von seinem Geständnis heute Morgen - dass er auf eine Nacht mit Queenie verzichtet habe, weil er sie wolle. Sie brauchte ein wenig Zeit für sich, um ihre Kräfte für die Kämpfe zu sammeln, die sie mit ihm weiterhin würde ausfechten müssen.

Doch sie hätte wissen müssen, dass Gideon ihr auch das nicht erlauben würde.

„Sie sind ein hübsches Paar, nicht wahr?“ sagte wenig später eine raue Männerstimme hinter ihr und erschreckte sie fast zu Tode.

„Was?“ Als sie herumwirbelte, duckte sich der Mann, über den sie gerade nachgedacht hatte, unter die tief hängenden Zweige einer knorrigen Eiche und trat auf die Lichtung hinaus.

Ihr Herz begann, heftig zu schlagen. Wie lange war er schon da gewesen? Wie viel hatte er gehört? Wusste er, was sie und Petey planten?

„Welches . . . Paar ist hübsch?“ brachte sie stockend hervor, um Zeit zu gewinnen, während sie ihn forschend anblickte.

Doch wie immer konnte er seine Gedanken hervorragend verbergen. „Ann Morris und Petey natürlich.“ Gideon lehnte sich gegen die Eiche und wirkte aufreizend selbstsicher. „Ich habe sie gerade zum Fluss laufen sehen.“

Sie schaute auf die Stelle, von der Ann und Petey verschwunden waren. Oh, wie sehnlich wünschte sie sich, mit ihnen fortgegangen zu sein. „Nun ja . . . Ann und Petey sind gute Freunde. Er behandelt sie wie eine kleine Schwester und kümmert sich ein bisschen um sie.“

Gideon stieß sich von der Eiche ab. „So, wie er sich auch um Sie kümmert?“

„Ja natürlich“, sprudelte Sara heraus und korrigierte sich gleich wieder. „Nein, ich meine, nicht genauso. Seine Gefühle für sie sind eher . . . eher brüderlich.“

„Brüderlich?“ Gideon kam auf dem mit Laub und Reisig bedeckten Waldboden fast lautlos näher. Seine Stimme klang skeptisch. „Schade, dass sie ihm gegenüber ganz andere Empfindungen hat. . . weniger schwesterliche.“

Sara warf ihm einen schnellen Blick zu. Woher wusste er das?

„Ann verehrt Hargraves ja geradezu. Jedenfalls sagte sie mir das vorgestern Abend. Ich hatte sogar den Eindruck, dass sie hoffte, ihn für sich gewinnen zu können. Es muss ihr das Herz brechen, ihn mit Ihnen zusammen zu sehen.“

Sie durfte nicht zulassen, dass er die Wahrheit erahnte! „Dann haben Sie Ann wohl missverstanden. Für sie ist Petey wirklich nur wie ein Bruder.“

„Warum hat er dann Ann zum Strand begleitet und nicht Sie?“

Sara fühlte sich immer unbehaglicher. „Ich wollte allein sein.“ Das stimmte wenigstens. „Nachdem ich so lange mit so vielen anderen Menschen auf dem Schiff eingesperrt war, verspürte ich einfach den Wunsch, für mich zu sein.“

Als sie ihn wieder ansah, war er abgelenkt. Sein Blick konzentrierte sich auf etwas, das er über ihrer rechten Schulter entdeckt hatte.

„Was ist los?“ fragte sie und wollte sich umdrehen.

„Nicht bewegen!“ befahl er leise, aber so eindringlich, dass sie sofort gehorchte. Und er schob seine rechte Hand langsam zum Heft seines Säbels.

Sie sprach so leise wie er. „Sagen Sie mir, was los ist, Gideon.“

Ganz kurz sah er sie an. „Eine schwarze Mamba hängt im Baum hinter Ihnen. Das ist eine Giftschlange.“

„W . . . wie nah?“

„Nah genug.“ Langsam streckte er Sara die linke Hand entgegen. „Nehmen Sie meine Hand, aber ganz vorsichtig, Sara.“

Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn, als sie die Hand hob. Leise raschelten die Blätter im Wind.

„Gut so“, sagte Gideon aufmunternd. „Sie interessiert sich gerade nicht für uns.“ Behutsam zog er seinen Säbel heraus. Sie zitterte heftig. „Was wollen Sie tun?“

„Ihr den Kopf abschlagen.“

„Und wenn Sie sie verfehlen?“

„Beten Sie lieber darum, dass ich sie nicht verfehle.“

Dann berührten sich ihre Hände, und er fasste fest zu. Danach geschah alles ganz schnell. Mit der linken Hand riss Gideon Sara zu sich, während er mit der rechten den Säbel in Richtung Baum durch die Luft sausen ließ. Als Sara auf ihn zu wirbelte, sah sie gerade noch den dunklen erhobenen Schlangenkopf. Dann jagte die Klinge zischend durch die Luft. Schon im nächsten Moment hatte die Säbelklinge den Schlangenkopf sauber vom Körper getrennt, und beide Teile fielen zu Boden.

Als sie sah, wie sich der Schlangenkörper nur ein paar Zentimeter von ihnen entfernt wild auf dem Boden wand, barg sie mit einem Aufschrei das Gesicht an Gideons haariger Brust. Er rammte den Säbel in den Boden und legte dann die Arme so fest um sie, dass sie kaum atmen konnte.

„Es ist alles in Ordnung, Sara“, sagte Gideon immer wieder, während er sie in den Armen hielt. „Die Schlange ist tot. Sie kann dir nichts mehr tun.“

„Aber sie war mir so nah! “ stammelte Sara. Sie geriet zwar nicht leicht in Panik, doch sie hatte nie zuvor eine Giftschlange gesehen. „Wenn sie . . . wenn sie mich gebissen hätte . . .“

„Aber das hat sie nicht.“ Er umfasste ihr Gesicht, hob ihr Kinn an und schaute ihr in die Augen. „Es ist wirklich alles in Ordnung.“

„Und . . . wenn Sie . . . nicht. . . hier gewesen wären?“ stieß Sara halb erstickt hervor.

„Aber ich war ja hier.“ Jetzt schienen seine Augen ihre Panik widerzuspiegeln. Er zog sie wieder an sich und streichelte beruhigend ihren Rücken. „Ich werde immer hier sein. Alles werde ich abwehren, was dich verletzen könnte. Ich verspreche es.“

„Ich hätte wissen müssen, dass es hier Schlangen gibt“, sagte sie zerknirscht. „Was wäre ein Garten Eden ohne eine Schlange?“

Er lächelte. „Ich weiß es nicht. Langweilig?“

Langweilig? Ungläubig blickte sie ihn an. Hatte er das wirklich gerade gesagt. . . nach dem, was eben fast geschehen wäre . . . Aber so war Gideon eben.

Sie trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust. „Das ist alles nur ein Spiel für Sie, nicht wahr? Und es ist Ihnen auch egal, dass Sie uns hierher an diesen Ort verschleppt haben, wo es Giftschlangen gibt und vielleicht noch andere gefährliche Tiere! Sie wollten etwas haben, Sie haben es sich genommen, und es interessiert Sie überhaupt nicht, was Sie uns . . . mir damit antun!“

Sie begann, wild zu schluchzen. All die Gefühle, die sie in den letzten Tagen unterdrückt hatte, stiegen nun in ihr hoch und drohten, sie zu überwältigen. Seit er das Schiff gekapert hatte, hatte sie nicht einmal Zeit genug gehabt, die Tatsache zu betrauern, dass sie England oder Jordan nie wieder sehen würde.

Doch jetzt traf die Erkenntnis sie gnadenlos. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie konnte sie nicht mehr unterdrücken, und im Moment wollte sie das auch gar nicht versuchen.

Besorgt hielt Gideon sie fest. Anfangs wehrte sie sich gegen ihn, doch er ließ sie nicht los. Er flüsterte immer wieder: „Es tut mir Leid, Liebste, es tut mir so Leid.“

Schließlich überließ sie sich seiner Umarmung und weinte hemmungslos. Allmählich versiegten ihre Tränen, und sie schmiegte sich sogar an ihn. Es gab keinen anderen Menschen, der sie hätte trösten können. Auch wenn er ihr Gegner war, so war er doch auch stark, und gerade jetzt brauchte sie dringend seine Stärke.

„Es geht mir wieder gut“, sagte sie, während sie zu ihm aufblickte, und wischte sich die Tränen fort.

Im nächsten Moment beugte er sich herab und senkte seinen Mund sanft auf ihren. Hingebungsvoll erwiderte sie seinen Kuss, weil sie nach der Beruhigung suchte, die nur er ihr geben konnte.

Jetzt zog er sie enger an sich und presste sie gegen seinen schlanken, harten Körper, während er ihre Lippen und Wangen, ihre geschlossenen Augenlider und ihr wirres Haar mit Küssen bedeckte.

„Ich hätte dich auf der Chastity lassen sollen“, flüsterte er. „Atlantis ist für die anderen gut, aber nicht für dich.“

„Das ist nicht wahr. Es ist nicht richtig . . .“, für uns alle, hätte sie gesagt, wenn sein Mund ihren nicht wieder geschlossen hätte.

Doch diesmal war sein Kuss nicht nur tröstlich. Er war voller Leidenschaft, und sie reagierte darauf mit dem gleichen; heißen Verlangen.

Sara konnte nichts dagegen tun. Sie brauchte ihn, um die gerade erlebte tödliche Bedrohung vergessen zu können. Als wüsste er genau, was sie brauchte, drehte er sie so in seinen Armen, dass er sie liebkosen und streicheln konnte. Er ließ die Hand zu ihrer Brust gleiten und massierte sie so aufreizend, dass ihr ganz heiß wurde. Wie hatte sie sich insgeheim nach seinen Zärtlichkeiten gesehnt. Und erneut rollten ihr Tränen über das Gesicht.

Er küsste sie zärtlich von ihren Wangen fort. „Weine nicht mehr, meine Sara. Weine nicht mehr. Ich möchte dir nicht wehtun.“ Er bewegte sie rückwärts zu einem Baum und drückte sie dagegen. Erregt schob er die Hände um ihre Hüften herum. Dann merkte sie plötzlich, dass er behutsam ihren Rock über ihre Beine hochzog. „Ich möchte dich nur erfreuen. Mehr nicht.“

Obwohl sie es versuchte, konnte sie sich ihm nicht verweigern. Sie wollte es auch nicht wirklich. Es erschien ihr richtig zu sein, dass er sie in dieser Weise berührte, er seine Finger an ihren Schenkeln entlanggleiten ließ auf der Suche nach der intimen Stelle, die so sehr nach ihm verlangte, dass sie sich;

fürchtete. Selbst der Wald schien den Atem anzuhalten, als Gideon sie immer wieder mit wildem Verlangen küsste und seine Zunge mit jedem Stoß tiefer in ihren Mund eindrang. Jetzt hatte er das Zentrum ihrer Lust ertastet, und mit dem Daumen rieb er über die kleine Erhöhung, die zwischen den seidenweichen Hautfalten saß. Stöhnend presste Sara sich gegen seine Hand.

„Ja, so ist es schön, Liebste“, flüsterte er. „Lass dich von mir verwöhnen.“

Sie sehnte sie sich danach, sich ihm ganz hinzugeben. Zu ihrer Beschämung verlangte sie immer stärker danach, je länger er sie zwischen den Beinen streichelte.

„Ja, Liebste“, raunte er gegen ihre Wange, „nimm dir, was du brauchst. Es ist nur für dich. Gönn es dir.“

Sie fragte sich, was er damit meinte. Eine ungewohnte Spannung war in ihr, die der Vorfreude entsprach, die sie empfunden hatte, als die Chastity die Themse verlassen hatte und ins offene Meer gefahren war. Vor ihr lag Gefahr . . . und Aufregung. Sie konnte sie deutlich spürten ... sie war verlockend und anziehend.

Er küsste sie nicht mehr, weil er sich ganz auf seine Liebkosungen konzentrierte. Seine Bewegungen wurden immer schneller, was ihre innere Spannung erhöhte, bis sie plötzlich unter Wellen von Lust erbebte.

Sie gab einen heiseren Schrei von sich und klammerte sich zitternd an Gideon. Oh. War es das, was zwischen einem Mann und einer Frau geschah? Diese . . . diese unglaubliche Erregung? Nie hätte sie sich das träumen lassen . . . nie hätte sie sich das vorstellen können . . . niemand hatte ihr je gesagt, dass so etwas geschehen könnte.

Da sie es jetzt wusste, verstand sie auch, warum Gideon das als Beruhigung angeboten hatte und warum er glaubte, dass er sie damit in sein Bett locken konnte.

Und diese Erkenntnis ließ sie einmal mehr bittere Tränen vergießen.