6. KAPITEL

Captain Horns Worte klangen noch in Saras Ohren nach, als sie durch den Salon und von dort hinaus aufs Deck eilte. Das gilt auch für Sie. Was für ein Rohling! Fünf Jahre lang hatte sie sich gegen eine Ehe gesträubt, weil sie nicht den richtigen Mann gefunden hatte, und nun glaubte er, er könnte sie irgendeinem alten Schuft übergeben, den er für sie auswählte!

Sie blinzelte in den hellen Sonnenschein und hastete über das Deck zur Luke, die zum Frachtraum hinunterführte. Das könnte ihm so passen! Sie würde nicht zulassen, dass er sie an einen ungehobelten Piraten band, nur weil er es angeordnet

hatte!

Kaum dass sie sich herabgebeugt hatte, um den Lukendeckel zu öffnen, eilte ein junger Pirat mit kurz geschnittenem Haar zu ihr. „Ich helfe Ihnen, Miss“, sagte er, öffnete erst den Verschluss und hielt ihr dann den Deckel auf.

Seine Höflichkeit überraschte sie. Als sie ihn erstaunt ansah, fügte er hinzu: „Ich hoffe, dass die Damen es unten bequem haben. Wenn irgendetwas gebraucht wird, sagen Sie es mir bitte, und ich sorge dafür, dass Sie es bekommen.“

Obwohl er sich äußert rührend benahm, war sie nach ihrem Gespräch mit Captain Horn noch immer aufgebracht. ,,Das Einzige, was die Damen im Augenblick benötigen, ist die Freiheit. Können Sie auch dafür sorgen?“ Als er errötete und meinte, dass dies Sache des Captains sei, fauchte sie ihn an: „Dann sind Sie für uns völlig nutzlos.“ Daraufhin stieg sie die Leiter hinunter und überließ es ihm, den Lukendeckel über ihr wieder zu schließen.

Die Luft im Frachtraum war stickig. Obwohl das Piratenschiff kleiner war als die Chastity war er größer und hatte auch keine hinderlichen Gitter. Da es jedoch keine Matratzen gab, mussten die Frauen sich die Schlafmatten teilen, die man offensichtlich für die „Fracht“ auf den Boden gelegt hatte, die die Piraten auf den Kapverdischen Inseln hatten an Bord nehmen wollen. Wenigstens war der Raum ziemlich hell dank der Laternen, die an den Wänden hingen und den Schiffsbauch mit dem scharfen Geruch brennenden Öls erfüllten.

Als die Frauen Sara bemerkten, sprangen sie von ihren Lagern auf und eilten ihr entgegen.

„Was werden sie mit uns machen?“ fragte Queenie.

„Wie lange müssen wir hier unten bleiben?“ fragte eine andere Frau, deren Kind um Essen bettelte, während ein anderes schrie, weil es durstig war.

„Ich weiß nicht, wann sie uns aufs Deck lassen“, erwiderte Sara, als sie das Ende der Leiter erreichte. „Aber ich weiß, was sie mit uns Vorhaben. Der Captain möchte, dass ich mit Ihnen darüber spreche.“

Unter dem Gescharre von Füßen und dem Klagen der Kinder beschrieb sie den Handel, den sie mit dem Captain vereinbart hatte, berichtete über die Insel Atlantis und teilte ihnen auch mit, was die Piraten wollten. Nachdem sie geendet hatte, waren die Frauen verstummt. Es war deutlich, dass diese genauso wenig wie sie wussten, was sie von dem Angebot des Captains halten sollten.

Kurz darauf drängte sich Louisa durch die Menge. Ihr blondes Haar hing ihr wild um den Kopf, und ihr Gesicht war weiß. „Wollen Sie damit sagen, dass diese Männer beabsichtige: uns zur Ehe zu zwingen, und uns dann für den Rest unseres Lebens auf einer einsamen Insel gefangen halten werden?“ In ihrer Stimme schwang Panik mit. „Können wir dann nie mehr nach England zurückkehren?“

„Wer gibt schon einen Pfifferling dafür, nach England zurückzukehren?“ entgegnete Queenie, noch ehe Sara antworten konnte. „Dort will man uns doch gar nicht haben. Außerdem, wenn wir nach New South Wales gefahren wären, wären wir dort doch auch gestrandet. Man muss für die Rückfahrt nach England selbst bezahlen, wenn die Strafe abgeleistet ist, und das wird doch wohl kaum möglich sein, wenn man sich überlegt, was für ein Vermögen die Reise kostet.“

„Aber meine Familie lebt in England, Queenie“, rief eine der jüngeren Frauen. „Ich muss mich um eine Mutter kümmern. Sie ist ganz allein . . .“

Sara bat mit einem Händeklatschen um Ruhe. „Ich weiß., dass dies für Sie genauso entsetzlich klingt wie für mich. Doch ich fürchte, dass Captain Horn fest entschlossen ist, uns zu behalten. Sein einziges Zugeständnis ist, dass wir uns die Männer aussuchen dürfen, die wir heiraten wollen.“

„Uns?“ stieß Louisa hervor. Ihr Gesicht bekam einen ungläubigen Ausdruck. „Er sagt, dass auch Sie heiraten müssen, obwohl Sie eine Lady sind?“

„Ich bin keine Lady. Der Earl of Blackmore ist nur mein Stiefbruder. Aber ja, er fordert, dass ich auch heiraten muss.“ Sara hielt sich an der Leiter fest, als das Schiff sich senkte, und fügte hinzu: „Am Ende dieser einen Woche werden wir entweder unsere Ehemänner unter den Piraten ausgesucht haben, oder Captain Horn wählt uns unsere zukünftigen Gatten aus. Wir können Atlantis zu unserer Heimat machen oder zu unserem Gefängnis. Das bleibt uns selbst überlassen. Eine andere Möglichkeit hat er uns nicht zu bieten.“

„Es klingt gar nicht so schrecklich“, bemerkte Ann. „Wir werden einen Mann haben, um den wir uns kümmern können, und vielleicht auch Kinder . . .“

„Nicht alle von uns sehnen sich nach einem Mann und Kindern, Annie“, zischte Louisa. „Einige von uns würden lieber ohne beides auskommen.“

„Und was geschieht mit denen, für die sich kein Mann erwärmt?“ fragte eine Stimme aus dem Hintergrund. Sara schaute in die Richtung, wo Jillian, eine Frau von ungefähr sechzig Jahren, auf einem versiegelten Trinkwasserfass saß. „Nicht alle von uns sind jung“, fügte sie hinzu. „Es gibt einige, die für diese Piraten wenig reizvoll sind.“

„Das stimmt“, sagte Sara nachdenklich. Daran hatte sie nicht gedacht. Unter ihnen waren drei Frauen, die das gebärfähige Alter längst hinter sich hatten. Und sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Piraten, die kaum älter als vierzig sein mochten, sich eine Großmutter zur Frau nehmen wollten.

„Und was ist, wenn man nicht hübsch ist?“ fragte eine junge Frau mit pockennarbigem Gesicht. „Was ist, wenn kein Mann uns haben möchte?“

Saras Miene verfinsterte sich. Zum Teufel mit Captain Horns

Angebot. Sein Plan war einfach nicht durchdacht genug. E hatte gesagt, dass die Männer den Frauen den Hof machen würden, doch wie sie die Männer kannte, würden sie um di| Zuneigung der hübschesten Frauen wetteifern und die anderen nicht beachten. Und was war dann? Wenn die hübschen sich ihre Ehemänner ausgesucht hatten, würde er den restlichen Männern Frauen aufzwingen, die diese nicht haben wollten? Und wie stand es um die Frauen, die zwei oder drei Kinder hatten? Erwartete er von seinen Piraten, dass sie eine ganze Familie übernahmen? Was war, wenn sie sich weigerten? Was würde dann aus den Kindern werden?

„Ich glaube, Captain Horn hat sich das alles nicht gründlich genug überlegt“, erklärte Sara. Er mochte das englische Klassensystem verdammen, doch er selbst wusste offenbar wenig über die Planung einer Gemeinschaft. „Ich muss mich wohl doch noch einmal mit unserem Captain über all diese Dinge unterhalten. Wenn er erkennt, wie verzwickt die Lage ist, wird ihm vielleicht auch klar werden, dass er von uns nicht erwarten kann, dass wir seinem Plan zustimmen.“

Einige nickten, doch manche murrten auch, dass sie lieber einen Piraten zum Ehemann hätten als einen Kolonialisten. Es war deutlich, dass die Frauen geteilter Meinung über die Wahl eines Ehemanns waren.

„Ich jedenfalls“, sagte Queenie, „möchte nicht an einen einzigen Mann gekettet werden, wenn ich eine ganze Insel voller Männer haben kann.“

Als die anderen in Gelächter ausbrachen, unterdrückte Sara ein Schmunzeln. Es würde interessant zu beobachten sein, wie Captain Horn mit einem unverbesserlichen, „gefallenen Täubchen“ wie Queenie fertig wurde. Aus einer Insel mit Piraten und Gefangenen eine Gemeinschaft zu machen, erwies sich vielleicht doch nicht als realisierbar, wie er sich das vorgestellt hatte. Und wenn ihm klar wurde, dass sich die Dinge nicht zu seiner Zufriedenheit entwickelten, kam er ja vielleicht zur Vernunft.

Obwohl sie da einige Zweifel hatte.

Gideon saß am Schreibtisch und schärfte seinen Säbel mit einem Wetzstein. Seine Hand rutschte aus, und er schnitt sich in den Finger. Fluchend wischte er sich das Blut an der Lederweste ab. Es war gefährlich, eine Klinge in der Hand zu halten, wenn er an Sara Willis dachte.

Missmutig legte er den Säbel auf seinen Schoß und blickte starr zur Tür. Er konnte es kaum glauben, dass er sich so sehr zu ihr hingezogen fühlte. Zum Teufel mit der Frau! Wenn es sie nicht gäbe, hätte er ein gutes Gefühl, die gefangenen Frauen von der Chastity auf sein Schiff gebracht zu haben. Die Frauen wären glücklich, er und seine Männer wären es, und alles wäre einfach wundervoll.

Wenn es Miss Willis nicht gäbe. Barnaby hatte Recht: Sie hätten diese Sara Willis auf der Chastity zurücklassen sollen. Dann hätte ihr Stiefbruder mit ihr machen können, was er wollte.

Fluchend warf Gideon den Wetzstein auf den Schreibtisch. Was für ein Mann war ihr Bruder eigentlich, dass er eine Frau wie sie mit einer Meute Gefangener in See stechen ließ? Den Earl of Blackmore sollte man auspeitschen. Gideon hätte niemals seine Schwester so etwas Dummes tun lassen.

Er stöhnte. Jetzt hatte sie ihn auch schon dazu gebracht, wie ein verdammter Engländer zu denken. Sie war nicht viel besser als diese Gefangenen, und sie verdiente auch keine bessere Behandlung als die anderen.

Außerdem war sie mit ihrer scharfen Zunge nicht wehrlos. Doch er würde sie schon unter die anderen einreihen, und wenn er ihr den Mund mit einem Knebel verschließen musste, um sie zum Schweigen zu bringen.

Ihren Mund. Oh, er konnte sich bessere Methoden vorstellen, um ihr den Mund zu verschließen . . . viel angenehmere. Kurz hatte er sich ausgemalt, wie es sich anfühlen würde, wenn er diese Lippen küsste. Sie würde willig ihren Mund öffnen und . ..

In diesem Moment klopfte es an der Tür. Er fuhr zusammen und schob stöhnend seine Gedanken an Miss Willis beiseite. „Herein“, rief er gereizt, als er den Wetzstein wieder zur Hand nahm.

Barnaby erschien mit einem seiner Männer, und beide stießen einen Mann vor sich her, den Gideon nicht kannte. „Den hier haben wir im Großboot gefunden, Captain.“ Barnaby schubste den Mann grob vorwärts. „Wir glauben, dass er von der Chastity stammt.“

Gideon warf dem Fremden einen scharfen Blick zu. Schwei gend begann er, seinen Säbel wieder zu schärfen, und sah, dass der Mann blass wurde. Er fuhr mit dem Wetzstein über die schon rasiermesserscharfe Klinge des Säbels und ließ das Geräusch von Stein gegen Stahl mehrmals ertönen, ehe er zu sprechen begann. „Bitte sag mir“, begann er ruhig, „wer du bist und was du an Bord meines Schiffes willst.“

Obwohl die Hände des Mannes zitterten, hielt sein Blick Gideons stand. „Mein Name ist Peter Hargraves, Sir. Ich habe mich an Bord geschlichen, während Sie die Frauen auf die Satyr gebracht haben. Ich . . . ich möchte Pirat werden! Sir.“

„Und warum möchtest du das werden? Das ist kein leichtes Leben. Du musst hart arbeiten und manch unangenehme Sachen machen.“

Hargraves sah ziemlich elend aus, doch er hielt sich nun gerader.

„Nun, Sir. . . die Wahrheit ist, dass ich kaum eine Wahl habe. Ich hatte in New South Wales mein Glück versuchen wollen, doch das haben Sie verhindert. Ich kann nicht nach England zurückkehren, also habe ich mich hier an Bord geschlichen.“

Wenigstens war er ehrlich. Gideon schärfte weiter an seiner Klinge herum. „Und warum kannst du nicht nach England zurückkehren?“

Hargraves großen Ohren röteten sich. „Ich bin aufs Meer geflohen, um dem Henker zu entkommen, Sir. Ich habe einen Mann getötet. Deshalb kann ich jetzt nicht zurückkehren.“ Ich kann jetzt nicht zurückkehren. Diese Worte klangen durchaus wahr. Doch der Rest. . . Log der Mann nicht doch? Obwohl seine Geschichte glaubwürdig klang, verhielt Hargraves sich so, dass Gideon vermutete, er sagte ihm nicht die ganze Wahrheit.

Allerdings hatten auch Gideons Männer fast alle Geheimnisse. Deshalb hatten sie ihr Glück ja als Piraten gesucht. Und niemand würde sich an Bord eines Piratenschiffs verstecken, wenn er nicht verzweifelt war.

Gideon unterbrach das Klingenschärfen und blickte Hargraves forschend ins Gesicht. Er wollte sich also den Piraten anschließen? Zwar war er klein, sah aber kräftig genug aus. Er erkletterte wahrscheinlich gut die Wanten. Doch diese Fähigkeit war Gideon nun nicht mehr von Nutzen. „Peter Hargraves, kennst du dich mit der Landwirtschaft aus?“

Hargraves sah Gideon an, als hätte dieser den Verstand verloren. „Landwirtschaft, Sir?“

„Ja, Landwirtschaft“, erwiderte Gideon ungeduldig. „Oder mit dem Schreinern oder der Herstellung von Ziegeln. Was kannst du davon?“

Hargraves blickte Barnaby an, doch der sagte nur: „Gib dem Captain schon eine Antwort, Mann.“

„Ich . . . ich kann nichts davon. Ich bin ein Matrose, Sir, und ein sehr guter.“ Als Gideons Miene sich verfinsterte, fügte er hastig hinzu: „Und ich bin ein wirklich guter Kämpfer. Ich sehe zwar nicht so aus, aber ich kann einen Mann überwältigen, der doppelt so groß ist wie ich. “

Gideon blickte nur noch unwilliger drein. „Ich brauche weder gute Kämpfer noch Matrosen, wenn wir unser Ziel erst einmal erreicht haben, also bist du nutzlos für mich. Barnaby, leg ihn in Ketten bis . . .“

„Ich kann schlachten und ein Tier zerlegen!“ sprudelte Hargraves heraus.

Gideon legte den Säbel und den Wetzstein zur Seite und sah Hargraves skeptisch an. „Wirklich? Könntest du ein Schwein häuten?“

„Ja.“ Hargraves atmete jetzt schwer. „Mein Vater war Metzger. Er hat mir alles beigebracht, was er wusste. Ich ging zur See, nachdem er seinen Laden verloren hatte.“

Einen Fleischer konnten sie auf Atlantis gebrauchen. Wenn der Mann die Wahrheit sagte. Doch es war das Risiko wert. „Ich sag dir was, Engländer. Du kannst dich meiner Besatzung anschließen, bis wir unser Ziel erreicht haben.“ Als Hargraves sich bei ihm bedanken wollte, hob er eine Hand. „Aber du musst dich bewähren, wenn du auch weiterhin bei uns bleiben willst. Ich dulde keine Faulheit. Wenn du glauben solltest, dass Piraten Faulpelze seien, hast du dich getäuscht. Leistest du zu wenig, setzen wir dich aus.“

Gideon ignorierte Barnabys hochgezogene Augenbrauen. Sie hatten noch nie jemand ausgesetzt, selbst die englischen Adligen nicht, die sie hassten, doch Gideon wollte dem Mann Angst einflößen. Vielleicht würde Hargraves es sich dann in

Zukunft zweimal überlegen, sich auf einem Piratenschiff zu verstecken.    

„Lass ihn das Deck mit Sand schrubben“, ordnete Gideon an und nahm dann seinen Säbel wieder auf.

Doch sein Erster Offizier rührte sich nicht. „Captain?“

„Ja?“ erwiderte Gideon, ohne aufzublicken.

„Es ist fast Essenszeit. Was sollen wir mit der Versorgung der Frauen machen?“

Die Frauen. Sie waren in der letzten Stunde so ruhig gewesen, dass Gideon sie fast vergessen hatte. „Wir haben genügend Nahrungsmittel für sie mitgebracht. Lass Silas etwas für sie und die Kinder kochen.“

„Aber sollen wir sie zum Essen an Deck holen?“ fragt Barnaby.    

Als Gideon aufschaute, bemerkte er, dass Hargraves ihrer Unterhaltung aufmerksam zuhörte. Vielleicht war der Mann doch nicht ganz ehrlich gewesen. Womöglich hatte er eine Liebste unter den Frauen. Nun, das war ein recht unschuldiger Grund, um an Bord zu kommen, und Gideon konnte ihm das nicht übel nehmen.

„Nein, noch nicht. Ich muss mit den Männern noch einige Dinge besprechen, ehe die Frauen an Deck gelassen werden." „Was für Dinge?“ fragte Barnaby.    

Gideon sah seinen Ersten Offizier missbilligend an. „Das wirst du noch früh genug erfahren.“ Er zog seine Taschenuhr hervor. Eine Stunde war vergangen, seit er mit Miss Willis gesprochen hatte. Es wurde Zeit zu erfahren, ob die Frauen sein Angebot angenommen hatten oder nicht. „Aber bring Miss Willis zu mir. Sie und ich müssen unsere zuvor geführte Unterhaltung noch beenden.“    

Als Barnaby ihn fragend anschaute, ging er darüber hinweg. Gideon hatte den anderen noch nichts von dem Angebot erzählt, das er den Frauen gemacht hatte. Er wollte sich nicht das Stöhnen und die Klagen der Männer anhören, ehe er sicher war, dass die Frauen einverstanden waren.    

Nachdem Barnaby und sein Piratengefährte ihn mit Hargraves verlassen hatten, blickte Gideon nachdenklich vor sich hin. Er hatte nicht bedacht, wie schwierig es sein würde, den Männern zu eröffnen, dass er den Frauen die Wahl überlassen wolle. Welcher Teufel hatte ihn bloß geritten, so etwas überhaupt vorzuschlagen? Zumal die Frauen solche Vorrechte nicht einmal erwartet hatten. In New South Wales hätten sie auch keine Wahlmöglichkeiten gehabt, oder nur sehr geringfügige.

Er öffnete eine Schreibtischschublade und tastete darin herum, bis er eine wenig benutzte Taschenflasche mit Rum fand, die er dort aufbewahrte, um einen Fieberanfall zu behandeln. Selten trank er hochprozentigen Alkohol, doch heute war es berechtigt. Er nahm einen Schluck, hustete und trank noch einen. Kurz darauf fühlte er sich schon gelassener.

Es war doch gut, dass er den Frauen die Wahl überließ. Schließlich wollte er, dass sie glücklich waren. Denn dann würden sie tun, was von ihnen verlangt wurde. Die Frauen sollten auf Atlantis nicht nur die sexuellen Bedürfnisse der Männer befriedigen, sondern auch andere Aufgaben erledigen - Kochen, Weben und Gartenarbeit, Tätigkeiten, von denen seine Männer keine Ahnung hatten. Und wenn die Frauen durch ein wenig mehr Freiheit zugänglicher wurden, wollte er ihnen die geben. So würde er seinen Männern das erklären. Dann verstanden sie es sicherlich. Er selber hätte es lieber, dass die Frau, die er sich aussuchte, ihn aus freiem Willen heiratete.

Es klopfte leicht an der Tür. Er legte die Rumflasche in die Schublade zurück, lehnte sich in seinem Sitz zurück und rief: „Herein.“

Miss Willis trat ein. Als sie zuvor seine Kajüte verlassen hatte, war sie wütend gewesen, doch nun wirkte sie geradezu unterwürfig und ängstlich. Seltsamerweise mochte er so ein Verhalten nicht an ihr, und deshalb sprach er auch schärfer als nötig. „Nun? Wie haben sich die Frauen entschieden?“

Sie schien seine Frage nicht zu hören. „Ich sah, dass sie ein Mitglied der Besatzung der Chastity gefangen genommen haben. Was haben Sie mit ihm vor?“

Aus unerfindlichem Grund ärgerte ihn ihr Interesse an einem einfachen englischen Matrosen. „Ertränken natürlich.“ Als er ihre entsetzte Miene sah, lenkte er sofort ein: „Er schließt sich meiner Besatzung an. Mehr nicht.“ Ihre Gesichtszüge entspannten sich vor Erleichterung. Das missfiel ihm zutiefst. ,,Warum wollen Sie das wissen?“

Sie senkte den Blick. „Es wäre mir nicht recht, wenn irgendjemandem von der Chastity Leid zugefügt würde.“ „Wie nett von Ihnen. “ Einen Moment lang spielte er mit dem

Gedanken, dass Hargraves sich vielleicht wegen Miss Willis an Bord geschlichen hatte. Dann wies er diesen Gedanken jedoch als absurd zurück. Britische Seeleute hüteten sich davor, sich in Frauen zu verlieben, die nicht von ihrem Stand waren. Und eine so hübsche Frau wie Miss Willis würde sicherlich kau: romantische Gefühle für Peter Hargraves entwickeln.

Doch wegen solcher Fragen hatte er sie nicht zu sich gerufen. „Haben sich die Frauen dazu entschlossen, mein Angebot anzunehmen?“

Ein Wandel ging mit ihr vor, als sie den Kopf hob und ihn ansah. Die Angst verschwand und machte einer wilden Entschlossenheit Platz, die sich in dem störrischen Zug um ihren Mund und dem Glitzern in ihren schönen braunen Augen zeigte. „Nicht ganz.“

„Nicht ganz?“ Er stand auf, kam um den Schreibtisch herum und stellte sich vor sie hin. „Bedenken Sie, wenn die Frauen diese Auswahlwoche nicht haben wollen, werden meine Männer sich eben die Frauen aussuchen, die sie sich wünschen . . .“

„Nein!“ Als er die Augenbrauen hochzog, fügte sie hastig hinzu: „Ich meine, dass sie natürlich diese eine Woche haben möchten. Aber es sind noch einige Fragen offen.“

Er setzte sich auf die Schreibtischkante und sah sie aufmerksam an. Sie war nervös, und das kam ihm durchaus gelegen. Je nervöser sie war, desto schneller würden sie die Angelegenheit regeln können und desto schneller verschwand sie wieder aus seiner Kajüte.

Warum er sie hier nicht haben wollte, mochte er im Moment nicht genauer untersuchen. „Ich werde mich bemühen, alle Fragen, die sie Vorbringen, zu beantworten.“

Erleichtert schob sie sich eine Haarsträhne unter ihre Rüschenhaube und straffte die Schultern. „Einige der Frauen haben Kinder. Werden die Männer, die sie heiraten, auch die Verantwortung für die Kinder übernehmen?“ „Selbstverständlich. Wir sind doch keine Ungeheuer.“ Skeptisch blickte sie ihn an. Offenbar teilte sie seine Meinung über sich selbst und seine Männer nicht.

„Und was geschieht mit den älteren Frauen? Wir haben mehrere Frauen unter uns, die das gebärfähige Alter überschritten haben. Wenn keiner der Männer sie heiraten möchte, werden

Sie ihnen dann einen Ehemann aussuchen, der sie nicht haben

will?“

Zum Teufel, das hatte er nicht bedacht. Doch das konnte leicht gelöst werden. „Für die älteren Frauen, die keine Kinder mehr gebären können, werde ich eine Ausnahme machen. Wenn sie keinen Mann finden, der sie heiraten möchte, können sie unverheiratet bleiben.“

Sie atmete hörbar aus. „Wenn eine Frau keinen Mann zum Heiraten findet, darf sie also ledig bleiben.“

„Das habe ich nicht gesagt.“ Die kleine Hexe drehte ihm die Worte im Mund herum. „Die Frauen, die noch Kinder bekommen können, müssen sich trotzdem einen Ehemann aussuchen, oder er wird für sie ausgesucht werden.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Obgleich sie diese lächerliche Haube und das hochgeschlossene Kleid trug, das bei dem übereilten Wechsel zur Satyr zerrissen und beschmutzt worden war, sah sie dennoch äußerst begehrenswert aus.

Hochmütig hob sie das Kinn. „Angenommen, eine Frau im gebärfähigen Alter ist zu reizlos, um einen Mann für sich zu interessieren, werden Sie dann jemand aus Ihrer Besatzung dazu zwingen, sie zu heiraten?“

Ihre Worte machten ihn wütend, weil ihre Einwände so vernünftig klangen und weil sie damit auch ihre Verachtung für seine Pläne bekundete. Er ging auf sie zu und spürte eine gewisse Zufriedenheit, dass ihr Gesichtsausdruck plötzlich wachsam wurde. „Meine Männer sind acht Jahre lang zur See gefahren und haben nur hin und wieder eine Nacht in einem Hafen verbracht, um ihre Bedürfnisse nach weiblicher Gesellschaft zu befriedigen. Auch wenn Ihre Frauen Pferdegesichter oder vorstehende Zähne haben, werden meine Männer sie noch immer haben wollen, das versichere ich Ihnen!“

Das stimmte zwar nicht ganz, doch er hatte ihre Wortklauberei satt. Sie würde seine Regeln schon befolgen, und Wenn er sie dazu einsperren müsste!

Mit geröteten Wangen wich sie vor ihm zurück. Doch als sie gegen die Tür stieß und sich in die Enge getrieben sah, stichelte sie dennoch weiter: „Ich glaube kaum, dass Ihre Männer eine Frau haben wollen, die . ..“

„Das reicht!“ Er presste die Hände rechts und links neben

ihre Schultern gegen die Eichentür und hielt Sara so gefangen. „Ihre Frauen haben eine Woche lang Zeit, sich einen Ehemann auszusuchen. Nach Ablauf dieser Woche werde ich alle noch nicht Vergebenen so zusammenbringen, wie ich es für richtig halte. Und daran wird sich auch nichts ändern, und wenn Sie noch so viel reden!“

„Aber Sie bedenken nicht die Folgen“, protestierte sie ernsthaft und hob ihr hübsches Kinn noch ein wenig mehr an. „Falls Sie die Menschen zwingen .

„Warum sind Sie so hartnäckig? Machen Sie sich Sorgen darüber, dass Sie keinen Ehemann finden? Ist es das? Haben Sie Angst, dass niemand Sie haben will?“

Aus ihrem Gesicht wich alle Farbe. „Oh, Sie abscheulicher; verachtenswerter..."

„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Viele Männer auf diesem Schiff finden Sie reizvoll.“

Noch ehe sie ihn aufhalten konnte, zerrte er ihr die Haube vom Kopf und warf sie zu Boden. Als sie ihn mit weit aufgerissenen Augen ansah und schneller zu atmen begann, spürte er; dass ihn ein wildes, heißes Verlangen überfiel. Braune Strähnen hingen lose aus ihrem Haarknoten. Und ihre Wimpern waren die längsten und schönsten, die er je gesehen hatte.

Wie wundervoll sie doch war! Pfirsichfarbene Lippen, eine hohe Stirn und eine zarte Haut mit einigen Sommersprossen. die ihr ein leicht schalkhaftes Aussehen verliehen. Er war ihr noch nie so nahe gewesen, und noch nie hatte er dieses schöne Gesicht so genau betrachten können

Seine Männer und er hatten in ihrer Piratenzeit viele Engländerinnen kennen gelernt. Und obwohl er einige von ihnen geküsst hatte, um ihre langweiligen Ehemänner zu ärgern, hatte er keine haben wollen. Jedenfalls nicht so, wie er diese hier haben wollte.

Dieser Gedanke erschreckte ihn zutiefst. Sie war nichts für ihn. Sollte doch einer seiner Männer sich diese kleine Hexe ins Bett holen und ihr Temperament und ihr hochmütiges Wesen ertragen.

Doch das gefiel ihm genauso wenig.

Er hätte sich jetzt von ihr entfernen sollen, doch er konnte es nicht. Nicht, bevor er nicht ein wenig mehr gesehen hatte. Wie gebannt entfernte er die Haarnadeln, bis ihr das Haar

über die Schultern fiel. Er fuhr mit den Fingern hindurch, bis ihm die Strähnen wie Seidenfäden durch die Finger glitten. So weich war es, so unglaublich weich. Wie lange war es her, dass er zuletzt solches Frauenhaar berührt hatte? Und wie lange war es her, dass er einer Frau so nahe gewesen war?

Er drehte sich eine kastanienbraune Locke um den Finger, und das schien sie aus ihrer Erstarrung zu befreien.

„Lassen Sie das“, flüsterte sie, während ein gequälter Ausdruck auf ihrem Gesicht erschien.

„Warum?“ Er strich ihr das Haar über einer Schulter glatt und berührte dann ihre Wange. Wie wundervoll zart ihre Haut war.

Sie schnappte nach Luft, als er mit einem Finger die Konturen ihres Halses nachzeichnete. „Es . . . schickt sich nicht“, brachte sie stockend hervor.

Er lächelte amüsiert. „Das schickt sich nicht? Sie haben die Grenze zwischen Schicklichkeit und Unschicklichkeit in dem Augenblick überquert, als Sie die Chastity verlassen haben. Sie befinden sich auf einem Piratenschiff, erinnern Sie sich? Sie sind mit einem berüchtigten Piratenkapitän allein in seiner Kajüte . . . Sie haben Ihre schickliche kleine Haube verloren . . . und ich bin kurz davor, Sie zu küssen.“

Er bereute die Worte schon, als er sie aussprach. Er wusste, dass es ein Fehler war - nicht wegen der Empörung, die ihr im Gesicht stand. Es war gefährlich, sie zu küssen, weil sie nicht die richtige Frau für ihn war.

Doch er musste sie einmal schmecken. Nur ein wenig.

Und so presste er den Mund auf ihren und erstickte damit den Protest, den sie gerade hatte äußern wollen.