XXII.

 

Es dauert eine Weile, bis ich mit Fritzes Schlüsseln klarkomme. Bei meinem kleinen Flitzer genügt ein Knopfdruck, der die automatische Zentralverriegelung aktiviert. Bei diesem Bus, der nicht das allerneueste Modell zu sein scheint, ist das Auf- und Zuschließen etwas komplizierter. Doch ich habe es geschafft.

Ohne das Licht einzuschalten sehe ich mich im Innern des Busses um. Wie erwartet liegt die Handtasche auf dem Sitz, jedoch unter meinem wollenen Tuch verborgen. Da konnten sie weder Fritze noch Würtz entdecken.

Ich lasse mich auf den Sitz plumpsen, ziehe den Reißverschluss auf und greife nach dem Handy. Ein Blick auf das Display verrät mir, dass fünf Anrufe in Abwesenheit eingegangen sind – drei, von denen die Answalts gesprochen haben, die anderen beiden von Würtz, vermute ich. Ist ja auch egal. Jeder Rückruf hat sich längst erübrigt.

Während ich sie aus dem Speicher lösche, kuschele ich mich in das Polster. Am liebsten würde ich die Nacht hier verbringen, zugedeckt mit dem Tuch. Allein, in völliger Ruhe und Abgeschiedenheit, in der Frühe geweckt durch den Gesang der Vögel.

Lena, du spinnst, rufe ich mich zur Ordnung. Warum nimmst du nicht gleich den Bus und fährst zurück nach Deutschland?

Bei der Vorstellung, was für ein Gesicht Hendrik Würtz machen wird, wenn er morgen mit der Reisegruppe ohne Fahrzeug dasteht, muss ich unwillkürlich kichern.

Aber selbst wenn ich einen Bus lenken dürfte, Fritze könnte ich so etwas nicht antun. Seinen Reisebus entführen? Niemals!

Ich werde jetzt brav ins Hotel zurückkehren, mein Zimmer aufsuchen, schlafen gehen und morgen eine vorbildliche Reiseleiterin abgeben, an der niemand etwas auszusetzen findet.

Ich schnappe mir die Tasche – das Tuch lasse ich liegen –, verlasse den Bus und schlendere ganz langsam durch den menschenleeren Park.

 Im Hotel begegnet mir niemand, nur der Portier nickt mir einen Gruß zu.

„Bonsoir, Mademoiselle...“

Hat er jetzt Boyer oder Bauer zu mir gesagt?

Vor meinem Zimmer angekommen, suche ich nach dem Schlüssel. Aus der Hosentasche ziehe ich den vom Bus, aber wo ist der andere? Hektisch leere ich meine Handtasche aus. Nichts.

Krampfhaft überlege ich, wann ich ihn das letzte Mal in der Hand gehabt habe. In der Kneipe. Als Fritze mir den Fahrzeugschlüssel gegeben hat, habe ich ihn in der linken Hosentasche platziert, den anderen in der rechten. Und als ich den Bus öffnen wollte, habe ich erst den falschen gegriffen.

Ich rekapituliere das Geschehen. Verloren kann ich ihn nicht haben. – Verdammt, wenn ich mich nicht sehr täusche, ist der Zimmerschlüssel auf dem Sitzpolster liegengeblieben –  unter meinem Tuch.

Verärgert lasse ich die Luft aus meinen Nasenlöchern entweichen. Jetzt bleibt mir wohl nicht weiter übrig, als noch einmal dorthin zurück zulaufen.

Der Portier scheint etwas verwundert darüber, dass ich nach kaum fünf Minuten das Hotel schon wieder verlassen will.

Ich zögere einen Moment.

Soll ich ihn nach einem Ersatzschlüssel fragen? Es gibt ganz sicher einen. Es ist spät, und ich würde mir den Weg gern ersparen. Aber lohnt es sich, dafür zu riskieren, dass sich mein Missgeschick in der Reisegruppe herumspricht?

 „Ich bin gleich zurück!“, rufe ich dem Uniformierten zu und eile erneut hinaus in die Dunkelheit.

Liebe in Zartbitter
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