XXVII.

 

Heftiges Klopfen lässt Hendrik Würtz zusammenzucken und ihn unwillig den in Schaum getränkten Pinsel auf das Bord vor dem Spiegel zurückstellen. Er hasst es, wenn man ihn bei der Morgentoilette stört. Ganz besonders, wenn er beim Rasieren ist.

Das Klopfen lässt nicht nach. Er hört wie jemand mehrmals die Klinke niederdrückt.

„Moment noch!“, brüllt Würtz durch die Badtür.

Zum Glück hat er sich das Gesicht noch nicht eingeschäumt, denn dann müsste selbst die Polizei die Tür eintreten, um hereinzukommen. Diesem Anblick gewährt er niemandem. Selbst Elena hat ihn noch nie so zu sehen bekommen.

Mit einem Knurren dreht er den Schlüssel im Schloss herum. Die Tür springt auf und ein völlig aufgelöster Busfahrer fällt ihm beinahe vor die Füße.

„Komm Se schnell, die Kleene is wech! Da muss wat passiert sein! Wat schlimmet!“, stößt Fritze mit leichenblasser Miene hervor.

Würtz holt tief Luft. Schon wieder Ärger mit der Reiseleiterin. Und das am frühen Morgen. Langsam hat er von diesem Fräulein Bauer die Nase voll.

„Was heißt ‚weg‘?“, fragt er ungehalten. Dann tut ihm der grauhaarige Mann leid, der ihn mit hilflosem Blick anstarrt. Er fordert ihn auf, sich hinzusetzen und erst einmal zu beruhigen. Fritze sorgt sich wie ein Vater um die junge Reiseleiterin‚ das hat er von Anfang an mitbekommen. Deshalb nimmt er an, dass der Busfahrer übertreibt.

„Nun mal langsam und der Reihe nach. Was ist passiert?“, fragt er so ruhig wie möglich, um den Alten nicht noch mehr aufzuregen.

„Ick wollt se heute janz früh abpassen, wejen dem Schlüssel für’n Bus. Aber se hat nich uffjemacht...“

Fritze ist so in Sorge um Lena, dass er Würtz von der vergessenen Handtasche erzählt, die sie am Abend unbedingt noch aus dem Bus holen wollte.

„Wär ick ma mitjejangen, denn wär bestimmt nüscht passiert“, jammert er schuldbewusst. „Aber se wollte det nich, weil ick mit’n Kollejen  parliert habe. Und denn hab ick se ja ooch später mit Ihnen jesehen, hier im Hotel.“

„Und?“ Hendrik Würtz versteht noch immer nicht.

„Na, die Kleene is nich uffzufinden und meen Bus is ooch wech.“

„Waaas?“ Hendrik Würtz glaubt, sich verhört zu haben. „Der Reisebus ist verschwunden?“

Fritze nickt bedrückt. „Ick wollte vorm Frühstück een kleenen Spazierjang machen und meen Besten ‘n juten Morjen wünschen, damit’da nich muckt. Aba, wie ick uff’n Parkplatz komme, issa nich mehr da.“

Der Reiseleiter schluckt.

„Und was hat das mit Fräulein Bauer zu tun?“

Fritze senkt den Kopf.

„Na, die hat doch noch den Schlüssel jehabt. Und der Portjee meent, se is spät in de Nacht noch mal wechjejangn.“

Würtz fasst sich ungläubig an den Kopf.

„Wollen Sie damit andeuten, dass sie sich mit dem Bus auf und davon gemacht hat? Kann Fräulein Bauer denn überhaupt ein so schweres Fahrzeug lenken?“

„Nee, ick globe nich. Aber se is wech und der Bus ooch.“

„Sie ist wirklich nicht auf ihrem Zimmer und hat nur ein wenig verschlafen?“

Würtz will einfach nicht glauben, was ihm Fritze da auftischt.

„Kommen Sie!“, fordert er den Alten kurz entschlossen auf.

Gemeinsam fahren sie in den dritten Stock hinunter. Diesmal ist es der Reiseleiter, der heftig an ein Hotelzimmer klopft.

„Fräulein Bauer, machen Sie auf... Melden Sie sich wenigstens, wenn Sie gerade im Bad sein sollten.“

Beide warten mit angehaltenem Atem. Würtz versucht es ein zweites Mal. Als er daraufhin noch immer keine Antwort erhält, gibt er es auf und begibt sich mit Fritze nach unten.

Im Foyer erwischen sie gerade noch den Nachtportier, der gähnend das Gebäude verlassen will. Er wiederholt bereitwillig in wenigen Sätzen, was er bereits dem Busfahrer mitgeteilt hat.

„Ich habe Mademoiselle Boyer nicht zurückkommen sehen.“, schließt er und will sich auf den Heimweg machen.

Würtz stutzt und hält ihn zurück.

„Wir haben Sie nach Fräulein B a u e r  gefragt.“

Er betont den Namen Bauer ganz besonders.

„Ja, Boyer, das habe ich doch gesagt.“

Der Mann schaut irritiert. 

Der Reiseleiter versucht es anders.

„Gibt es an der Rezeption einen Generalschlüssel für alle Zimmer?“

Der Nachtportier nickt.

„Wenden Sie sich vertrauensvoll an Carlo, der hilft Ihnen gern weiter.“

Nachdem Würtz sein Anliegen erklärt hat, fährt Carlo mit den beiden Männern hinauf in den dritten Stock. Er ist von seinen Gästen eine Menge gewöhnt und lässt sich deshalb nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Der Anblick jedoch, der sich ihm bietet, als er Zimmer 313 aufgeschlossen hat, haut ihn regelrecht um.

„Mon Dieu, was ist denn hier passiert?“, fragt er fassungslos.

Die ihn begleitenden Männer stehen wie erstarrt.

Das hübsche Einzelzimmer sieht aus, als wenn eine Herde Büffel hindurch getrampelt wäre. Die Bettdecke ist zerwühlt, die Matratze herausgerissen, auf dem Teppich liegt ein leerer Reisekoffer achtlos herum. Überall finden sich verstreute Kleidungsstücke. Eine Blumenvase, in der eine langstielige Rose steckt, ist umgefallen, das Wasser auf den Boden getropft. Selbst vor dem hoteleigenen Briefpapier haben die Vandalen nicht halt gemacht, es liegt teils zerknüllt, teils zerrissen in Wohnraum und Bad herum.

Von Lena Bauer finden sie nicht die geringste Spur.

 „Sach ick doch, der Kleenen is wat passiert“, jammert Fritze beim Anblick der Verwüstung erneut los. „Und det is meene Schuld.“

Carlos hat seine stoische Ruhe bereits zurückerlangt.

„Ich rufe die Polizei, dann sehen wir weiter“, sagt er und drängt die beiden, nichts zu berühren und das Zimmer zu verlassen.

„Im Frühstücksraum kein Wort über den Vorfall“, ordnet Würtz an.

Fritze nickt ergeben.

„Und womit beschäftjen wa die Touristen heute?“

„Können Sie mir einen Ersatzbus beschaffen? Möglichst sofort und inklusive Programm und deutschsprachigem Reiseleiter. Ich muss mich um das Verschwinden von Fräulein Bauer kümmern“, wendet sich Hendrik Würtz an den Portier

„Aber selbstverständlich, Monsieur! Mit oder ohne Fahrer. Und: Wie lange benötigen Sie ihn?“

Es gibt nichts, was Carlo nicht erledigen oder beschaffen kann. Nichts, was er nicht kennt oder wofür er keinen Ratschlag weiß. Dafür liebt ihn die Kundschaft, dafür wird er gut bezahlt.

Liebe in Zartbitter
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