IV.

 

Der Himmel ist bewölkt als das Flugzeug in Brüssel-Zaventem landet. Das Auschecken verläuft zäh, und es dauert ewig bis die junge Deutsche ihr Gepäck vom Band nehmen kann. Überall herrscht Gedränge, Taxis sind rar, was zu erneuter Warterei führt. Endlich ergattert sie eines der Gefährte und lässt sich ins Zentrum der Stadt zu einem kleinen Mittelklassehotel bringen. Sie mag den dezenten Chic des um die Jahrhundertwende im Art-Nouveau-Stil erbauten „Hotel Le Dome“, dessen meisterhaft restaurierte Fassade so gediegen wirkt wie die Ausstattung mit kirschbaumfarbenen Möbeln und den meergrünen Samtbezügen anheimelnd. Schon mehrmals hat sie hier Quartier bezogen gehabt und es nicht bereut.

Obwohl seit der letzten Buchung fast ein halbes Jahr vergangen ist, begrüßt sie der Portier Carlo wie eine überaus geschätzte Stammkundin. Nach ein paar allgemeinen Worten über das hiesige Wetter und dem Zweck ihres Aufenthalts, begibt sich die Referentin aus dem Bundesfinanzministerium mit einem der winzigen Aufzüge in die für sie reservierte Suite. Bevor sie ihre Garderobe aus dem Koffer nimmt und einsortiert, betrachtet sie die Reproduktionen der Bilder namhafter Künstler, mit denen die beiden Wohnräume geschmückt sind und so die Besonderheiten des Jugendstils dezent unterstreichen.

Als alles erledigt ist, wirft sie sich aufs Bett und greift nach dem Telefon. In elegantem Französisch, das sie schon als Dreijährige von ihrem Kindermädchen gelernt hat, lässt sie sich mit dem Büro des Vize-Präsidenten verbinden. Es dauert eine Weile, bis sich jemand am anderen Ende der Leitung meldet.

„Ah, Mademoiselle Boyer“, hört sie eine sehr jung klingende männliche Stimme sagen, „man hat uns schon informiert, dass Sie den Vortrag vor der Finanzkommission diesmal selbst halten werden. Es ist uns eine große Ehre, dass die Kanzlerin eine ihrer am besten mit der Materie vertrauten Mitarbeiterinnen schickt. Würde es Ihnen etwas ausmachen, morgen Vormittag im Büro des Organisators vorbeizuschauen. Er möchte eine kleine Vorabsprache mit Ihnen treffen, doch leider ist er am heutigen Nachmittag auf einer Konsultation bei den Vertretern der griechischen Abordnung. Ich schlage vor, Sie melden sich gegen zehn Uhr. Wenn es Ihnen recht ist, werde ich Herrn de Marville dementsprechend informieren.“

Während die junge Frau den Worten am anderen Ende der Leitung lauscht, schweifen ihre Gedanken ab.

Wenn nur Pascha da wäre. Sie wüsste schon, wie sie die freie Zeit angenehm verbringen wollte.

„Ja, natürlich. Ich werde Herrn de Marville morgen gern aufsuchen, um alle Einzelheiten der Anhörung mit ihm abzusprechen“, bestätigt sie rasch. Wenige Sätze genügen und man ist sich einig.

Wohlig dehnt sie sich auf dem mit einer flauschigen Tagesdecke überzogenen Bett und gähnt herzhaft.

Soll ich mich mit meinen Aufzeichnungen herumärgern oder tue ich mir etwas Gutes an, überlegt sie einen Moment. Ein Blick in den Spiegel des verspielt hergerichteten Bades, erleichtert ihr die Entscheidung.

Diese schulterlange, blonde Mähne ist so langweilig. Sie braucht etwas Auffrischung.

„Empfehlen Sie mir bitte einen Trend-Friseur, Carlo. Einen ganz hippen Salon“, fordert sie nur wenige Minuten später an der Rezeption.

Damit kann der weltgewandte Angestellte dienen. Ohne ihre Zustimmung abzuwarten, ruft er der Dame ein Taxi.

„Bestellen Sie Grüße von ‚Carlo vom Dom‘, dann erhalten Sie außer der Reihe die hauseigene exklusive Bedienung“, verspricht er ihr mit einem Augenzwinkern.

Sie schenkt ihm ein Lächeln. Genauso hat sie sich das gedacht.

„Sie werden der erste sein, der meinen neuen Style begutachten darf“, verspricht sie und schiebt ihm einen größeren Euro-Schein zu.

„Ich fühle mich geehrt, Mademoiselle Boyer“ erwidert er und hält ihr die Tür auf, denn draußen ist soeben das Taxi vorgefahren.

Liebe in Zartbitter
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