16
Callie folgte ihm zurück ins Haus und in sein Arbeitszimmer und wollte sich gerade auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch setzen, als sie die Scherben auf dem Boden sah.
»Was ist denn hier passiert?« Sie bückte sich und hob die größten Stücke auf, als er neben ihr in die Hocke ging.
»Offensichtlich komme ich mit Selbstanalysen nicht besonders gut zurecht.« Sie hielt im Aufsammeln der Scherben inne und sah ihn fragend an, woraufhin er ein etwas schiefes Lächeln aufsetzte. »Aber keine Angst, wenn ich in Vollzeit-Therapie gehe, schließe ich die Gläser weg.«
»Worum ging es bei deiner Selbstbetrachtung?«, fragte sie.
Er befingerte ein paar der Scherben in seiner Hand. »Darum, wie anders als andere Frauen du bist.«
»Oh.« Da seine Überlegungen damit geendet hatten, dass er ein Glas gegen die Wand geworfen hatte, klang das kaum ermutigend.
»Wusstest du, dass ich mal mit einer Frau zusammen war, die mich darum gebeten hat, einen Wagen für sie zu kaufen?«
Callie schüttelte den Kopf und las weiter Scherben auf. Sie hatte wirklich keine Lust zu hören, wie er von seinen bisherigen Geliebten sprach. »Das überrascht mich nicht.«
»Sie wollte damit zum Shoppen fahren. Wir waren damals in Italien, und da das Mieten eines Wagens ihrer Ansicht nach fast so etwas wie die Benutzung eines öffentlichen Transportmittels gewesen wäre, hat sie diese Möglichkeit strikt abgelehnt.«
Callie lächelte ein wenig, obwohl sich ihr Magen bei dem Gedanken an einen romantischen Urlaub von Jack mit einer anderen schmerzlich zusammenzog. »Lass mich raten. Wir sprechen nicht von einem Ford Escort, oder?«
Er schüttelte den Kopf. »Von einem Ferrari. Sie wollte einen gelben Ferrari von mir haben.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Passend zu ihrem blonden Haar? Und was hast du gemacht?«
»Ich habe den Wagen gekauft.«
»Das hat sie doch bestimmt gefreut.« Als sie hörte, wie missbilligend sie klang, schränkte sie eilig ein. »Ich meine …«
»Es hat sie glücklich gemacht, aber nicht, weil sie den Wagen wirklich wollte. Es war ein Test, eine absurde Forderung, um zu sehen, wie weit zu gehen ich bereit war«, gab er schulterzuckend zu. »Und ich habe ihr gezeigt, wo meine Grenzen sind. Ich wusste, sie würde nie vergessen, dass mir der Wagen vollkommen egal war, vor allem, wenn ich ihr erlauben würde, ihn einen Tag lang zu benutzen. Also habe ich den Ferrari gekauft, eine große rote Schleife drumgebunden und ihr gesagt, dass sie sich damit amüsieren soll. Als sie abends wieder nach Hause kam, habe ich sie darüber informiert, dass ich sie nicht wiedersehen möchte, und bin mit dem Wagen abgedüst. Woraufhin sie noch monatelang bei mir angerufen hat.«
Callie stand wieder auf und leerte ihre Hand über dem Papierkorb aus. Diese Art von beidseitigem rücksichtslosem Vorgehen war ihr völlig fremd. »Bist du sicher, dass sie dich nur auf die Probe stellen wollte? Vielleicht war es ihr ja wirklich ernst.«
»Sie ist mit dem Wagen zu ihrem anderen Liebhaber gefahren. Wahrscheinlich um zu sehen, ob sich aus ihm nicht noch ein bisschen mehr rausholen lässt.«
»Oh.«
»Was ich damit sagen will, ist, dass du so was niemals tätest.«
»Da hast du eindeutig recht«, stimmte sie ihm lachend zu.
Auch Jack warf seine Scherben in den Mülleimer. »Heute Morgen saß ich in meinem Bett, und mir wurde klar, dass ich bestimmte Dinge von dir will. Dinge, an denen mir bisher nichts weiter lag.«
»Wie zum Beispiel?«, fragte sie und hielt gespannt den Atem an.
»Ich hatte schon jede Menge Beziehungen, die von außen betrachtet gut aussahen.« Er lächelte kalt. »Wahrscheinlich, weil wir meistens in Abendgarderobe waren. Was allerdings hinter verschlossenen Türen stattfand, war nicht viel mehr als ein paar sportliche Übungen im Bett. Selbst im Zusammensein mit Blair, die ich sehr respektiert habe, hat etwas gefehlt. Aber das mit dir« – er sah sie reglos an – »ist etwas völlig anderes. Ich weiß, dass du mehr zu bieten hast, und ich möchte alles haben, was du geben kannst. Ich weiß, dass du die Sache zwischen uns als kurze Affäre siehst, aber ich will dich nicht nur in meinem Bett. Ich will dich auch in meinem Leben haben. Ich will morgens aufwachen und dir in die Augen sehen. Ich will mittags nach Hause kommen, weil ich weiß, dass du hier bist, und weil ich es nicht erwarten kann, dich endlich wiederzusehen. Ich will, dass du mir vertraust. Und ich will mir dieses Vertrauen verdienen.«
Bevor sie etwas sagen konnte, rollte er selbstironisch mit den Augen und warf beide Hände in die Luft. »Ich weiß, ich weiß. Das aus dem Mund von einem Mann, der dich erst gestern Abend noch daran erinnert hat, dass er beziehungsunfähig ist. Ich habe allerdings gründlich darüber nachgedacht. Verdammt, ich habe schon seit Wochen kaum an etwas anderes als an dich gedacht.«
Wie gern hätte sie ihm geglaubt und eine gemeinsame Zukunft für sie beide gesehen. Doch Callie sagte sich, dass es auch weiter klüger wäre, das, was zwischen ihnen war, einfach als netten Zeitvertreib zu sehen. Sie hatten ein bisschen über ihre Gefühle gesprochen und eine wunderbare Nacht miteinander verbracht, aber trotzdem war es für eine konkrete Planung ihrer Zukunft viel zu früh.
»Das wird nicht so schnell gehen, Jack.«
»Ich weiß. Aber wenn du es versuchen willst, will ich es auch.«
Sie sah ihn durchdringend an. »Ja, das will ich.«
»Gut.« Er küsste sie innig auf den Mund, trat dann vor seinen Schreibtisch und zog eine der Laden auf.
»Jack?«
Er hob den Kopf.
»Nur zu deiner Information: Ich habe kein Problem mit öffentlichen Transportmitteln. Doch das heißt nicht, dass du mir als Zeichen deiner Zuneigung einen Bus kaufen sollst, okay?«
Lachend zog er einen länglichen Umschlag aus der Schublade. »Okay.«
Das einzelne Blatt, das er daraus hervorzog, hatte dieselbe vergilbte Farbe, war aber wesentlich kleiner als der von ihr entdeckte Brief. »Dies ist ein Fragment, auf das ich vor fünf Jahren beim Sortieren der Unterlagen meines Vaters gestoßen bin.«
Dann las er laut vor. »›Mein geliebtes Herz, natürlich wollte ich zu dir kommen. Es war Furcht und nicht fehlende Liebe, die mich davon abgehalten hat. Alles für einen Blick in dein Gesicht zu wagen erscheint mir wie ein schlechter Tausch, denn er würde unsere Liebe als erbärmlichen Verrat ansehen. Eure Freundschaft, die der Beziehung eines Sohns zum Vater gleicht, wäre ein für alle Mal beendet. Und wie könntest du dann noch unter seinem Kommando in die Schlacht ziehen? Aber nach Concord werden wir uns wiedersehen.‹« Jack hob den Kopf. »Das ist alles.«
Sie starrte ihn verwundert an. »Darf ich den Brief mal sehen?«
Er reichte ihr das Dokument. Die Buchstaben waren geschwungener als auf dem von ihr entdeckten Blatt. Es war die Handschrift einer Frau.
»Ich habe dieses Schreiben aufgehoben«, meinte Jack, »weil es alt und interessant aussah, aber ich hätte nie gedacht, dass es einen direkten Bezug zu Nathaniel gibt. Viele Mitglieder meiner Familie haben im späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert in der Armee gedient und auch gekämpft. Das Brieffragment, das du gefunden hast, rückt meinen Fund allerdings natürlich in ein völlig anderes Licht.«
»Das tut es auf jeden Fall.« Sie verglich die beiden Schreiben und erkannte, dass die Tinte jeweils auf dieselbe Art verblichen war.
Jack zuckte mit den Schultern. »Ich habe sämtliche Tagebücher von Nathaniel gelesen. Bis zu seiner Heirat mit Jane Hatte hat er nie eine Frau erwähnt. Aber er schreibt über General Rowe, den Mann, mit dem er bei Concord gegen die Briten ins Feld gezogen ist. Die beiden standen einander sehr nahe, und Rowe hatte eine Frau mit Namen Sarah.«
Callie sah ihn an. »Dann hatten Nathaniel und diese Sarah ja vielleicht eine Affäre.«
»Das könnte eine Erklärung dafür sein, dass Nathaniel erst so spät geheiratet hat.« Er nahm ihr die beiden Briefe wieder ab und schob sie in den Umschlag zurück. »Gut, dass Grace nächste Woche zu der Party kommt. Vielleicht kann sie uns ja noch ein paar Einzelheiten nennen.«
Callie räusperte sich. »Hör zu, wegen Thanksgiving. Ihr werdet sicher jede Menge Gäste habe, deshalb fahre ich am besten wieder nach New York …«
»Aber ich will nicht, dass du fährst. Es sei denn, du hättest dort Verwandte, mit denen du feiern willst«, widersprach er ihr so prompt und eindringlich, dass sie lächelnd von ihm wissen wollte: »Braucht ihr denn mein Zimmer nicht für jemand anderen?«
»Nein. Und selbst wenn wir nicht alle Gäste unterbringen könnten, würde ich eher jemand anderen in ein Hotel schicken, als dich aus deinem Zimmer zu vertreiben«, antwortete er.
Jetzt grinste sie bis über beide Ohren. »Und was ist mit dem traditionellen Truthahnessen?«
»Das haben wir nach dem Tod von meinem Vater abgeschafft. Stattdessen findet bei uns immer einen Tag nach Thanksgiving eine Riesenparty statt. Zu der du natürlich eingeladen bist.«
Callie nickte erfreut. »Okay, dann bleibe ich hier.«
Zufrieden lächelnd fragte er: »Schön. Und wie sieht es mit heute Abend aus?«, wollte er von ihr wissen. »Hast du Lust, mir mit essen zu gehen?«
»Und ob.«
»Gut. Ich habe heute jede Menge auswärtiger Termine, aber spätestens um sechs müsste ich wieder zuhause sein. Und bis dahin habe ich wahrscheinlich einen Riesenappetit.«
Der Blick, mit dem er sie bedachte, wärmte nicht nur Callies Herz. Dann trat er vor seinen Schreibtisch, nahm sie in den Arm und küsste sie, bis sie genauso keuchte wie er selbst.
»Ich werde an dich denken«, meinte er. »Und zwar den ganzen Tag.«
Das täte sie andersherum auf alle Fälle auch.
Während der Arbeit an dem Bild dachte Callie wirklich beinahe pausenlos an ihn und die vergangene Nacht. Um vier machte sie eine Pause, ging mit Artie in den Garten und warf gerade sein Lieblingsstöckchen in die Luft, als ein schwarzer Wagen in die Einfahrt bog. Während der Hund hinter dem Stock herlief, sah sie, dass die Limousine vor der Haustür hielt. Ein Chauffeur in Uniform stieg aus und öffnete die Tür des Fonds.
Selbst aus der Ferne konnte Callie sehen, dass die große, schlanke blonde Frau, die aus dem Wagen stieg, jemand mit Rang und Namen war. Sie trug ein schwarzes Kostüm und war mit ihrem kurzen, tadellos frisierten Haar der Inbegriff lässiger Eleganz.
Irgendwoher kannte Callie diese Frau. Vielleicht aus Stanleys Galerie?
Die Haustür wurde geöffnet, Mrs Walker trat mit ausgestreckten Armen auf die Besucherin zu, und die beiden Frauen begrüßten sich mit einem Wangenkuss.
Im selben Augenblick legte der Hund den Stock zu ihren Füßen ab, und sie warf ihn erneut in hohem Bogen durch die Luft und drehte sich eilig wieder um, doch es gab nichts mehr zu sehen. Die beiden Frauen waren im Haus verschwunden, und der Fahrer lehnte sich lässig gegen den Wagen, als wäre er die Warterei gewohnt.
Callie kehrte wieder in ihr Atelier zurück, hoffte, die nächsten beiden Stunden gingen möglichst schnell vorbei, und Jack und sie könnten von hier verschwinden. Denn obwohl Buona Fortuna riesig war, hatte sie das Gefühl, hier ständig unter Beobachtung zu stehen, und konnte es deswegen kaum erwarten, endlich irgendwo mit ihm allein zu sein. Am besten fingen sie den Abend mit ein bisschen Knutscherei in seinem schicken Aston Martin an. Nur schade, dass er nicht einen Volvo-Kombi fuhr.
Oder einen Minivan.
Eine Stunde später hörte Callie das Surren des Garagentors und das dumpfe Grollen eines Motors, riss sich die Atemmaske vom Gesicht, fuhr sich mit den Händen durch das Haar und breitete es über ihren Schultern aus.
Als Jack das Atelier betrat, verschlang sie mit den Augen sein lächelndes Gesicht.
»Du hast mir gefehlt«, erklärte er. »Wie war dein Tag?«
»Ich habe heute Nachmittag unglaublich viel geschafft. Sieh dir seinen Kopf an. Die Wellen in seinem Haar sind einfach phänomenal.« Sie beugte sich über das Porträt und zeigte mit ihrem Holzstab auf den genannten Bereich.
Er trat hinter sie, legte ihr die Hände auf die Schultern und flüsterte dicht an ihrem Ohr: »Ich habe etwas für dich.«
Sie hob erwartungsvoll den Kopf, doch statt sie zu küssen, legte er eine glänzende Tüte mit Satingriffen vor ihr auf den Tisch.
Sie erstarrte, als sie den Namen Cartier auf der Tüte las. »Was ist das?«
»Nur ein kleines Geschenk. Los. Schau es dir an.«
Sie nahm eine große, mit rotem Leder bezogene Schachtel aus der Tüte, klappte sie vorsichtig auf und schüttelte den Kopf. Auf einem Bett aus schimmerndem Satin lag eine goldene Uhr.
»Jack, die kann ich unmöglich annehmen.«
»Warum denn nicht?« Er griff nach dem wunderschönen Stück. »Schließlich brauchst du eine Uhr.«
»Ja, aber kein derart teure.« Sicher war die Uhr zehn- bis zwanzigtausend Dollar wert.
»Probier sie erst mal an.«
Er schob sie über ihre Hand, und sie lag schwer und völlig fremd an ihrem Arm.
»Passt wie angegossen«, stellte er zufrieden fest.
»Jack, das ist zu viel.«
Ein Ausdruck von Ungeduld huschte über sein Gesicht. »Das Ding sagt dir die Uhrzeit. Das ist alles, was dich interessieren muss.«
»Aber das tut eine Timex auch.«
Er runzelte die Stirn. »Warum darf ich dir nichts schenken? Das tun die Leute doch die ganze Zeit. Tatsächlich ist es das, wovon der Einzelhandel lebt.«
Sie stand entschlossen auf. »Natürlich darfst du mir was schenken. Aber … deine Version eines Geschenks unterscheidet sich erheblich von der des Rests der Welt.«
»Der Rest der Welt ist mir egal.«
»Meinetwegen. Dann eben von meiner Version eines Geschenks.« Sie wandte sich ihm zu. »Jack, ich muss dir gegenüber ehrlich sein. Ich habe keinen Cent, abgesehen von dem Geld, das du mir für meine Arbeit zahlst. Die Bude in Chelsea? Dort lebe ich. Der Hosenanzug von Chanel? Den hatte ich von einer Freundin ausgeliehen. Ich bin nicht aus deiner Welt. Nicht einmal annähernd.«
»Ich weiß.«
Sie kniff die Augen zu.
Natürlich war ihm das bewusst. Schließlich war er alles andere als dumm.
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Und ich weiß auch, worauf du mit alldem hinauswillst, also lass mich eine Sache klarstellen: Es ist mir vollkommen egal, aus was für einer Welt du kommst. Vollkommen egal.«
Callie sah ihm forschend ins Gesicht und blickte nochmals auf die Uhr an ihrem Arm. »Dir ist doch wohl klar, dass ich mich niemals ändern werde. Egal, was du mir kaufst, ich werde niemals eine dieser schicken Frauen, die sich für Kleider und Schuhe und Partys interessieren. Erstens, weil ich es hasse, shoppen zu gehen.«
»Dann lass es einfach sein.«
»Zweitens, weil ich mit meinen Riesenfüßen sowieso niemals in diese Sex and the City-Schuhe passen würde.«
»Was bedeutet, dass du fest auf eigenen Füßen stehst. Was ein unglaublicher Vorzug ist«, erklärte er ihr ernst.
Sie rollte mit den Augen. »Und drittens, weil ich große Menschenansammlungen verabscheue. Ehrlich gesagt bin ich beinahe soziophob. Ich habe nichts gegen andere Leute, nur habe ich lieber möglichst wenig mit ihnen zu tun.«
»Dann werden wir also nicht zusammen Silvester zum Times Square gehen, um uns anzusehen, wie die Lichterkugel heruntergelassen wird? Das ist natürlich eine Enttäuschung.«
Sie musste einfach lachen, als sie seine gespielt entsetzte Miene sah. Trotzdem meinte sie: »Ich kann einfach nicht glauben, dass dir das egal sein soll.«
»Nun, natürlich bin ich ein bisschen erschüttert, dass es keine Riesen-Silvestersause für uns beide geben wird, aber wir können ja auch einfach fernsehen.«
Lächelnd zog er sie zurück an seine Brust und küsste sie.
»Ich mag dich so, wie du bist.« Er nickte in Richtung ihres Handgelenks. »Und wenn dir diese Uhr wirklich nicht gefällt, bringe ich sie eben zurück, wenn du mir im Gegenzug versprichst, dass du jeden Mittag brav was essen wirst. Aber ich habe sie dir geschenkt und hoffe, dass du sie wenigstens mal ausprobieren wirst.«
Sie schlang ihm die Arme um den Hals. »Okay, das mache ich. Und vielen Dank.«
Er schnupperte an ihrem weichen Hals. »Gott, du riechst fantastisch. Was ist das für ein Parfüm?«
»Eau de Isopropanol.«
»Was zum Teufel soll das sein?«
»Das Mittel, mit dem ich den oxidierten Harzlack von deinem Gemälde ablöse.«
»Oh richtig. Dachte ich mir doch, dass ich den Geruch irgendwoher kannte.« Er knabberte sanft an ihrem Ohrläppchen. »Wie wäre es damit, wenn wir uns noch mal anständig begrüßen?«
Im Handumdrehen lagen sie auf der Couch, streiften ihre Schuhe ab und zogen sich in aller Eile aus, doch als er sich zwischen ihre Beine schob, sah er sie begehrlich, gleichzeitig aber auch etwas ängstlich an.
»Bist du sicher, dass … das für dich in Ordnung ist?«
Seine Sorge zauberte ein Lächeln auf Callies Gesicht.
»Es gibt nur einen Weg, um das herauszufinden«, murmelte sie, während sie verführerisch die Hüften kreisen ließ.
Trotz seines spürbaren Verlangens drang er vorsichtig und langsam in sie ein. Sie erschauderte vor Glück, denn sie fand es wunderbar, wenn er schwer auf ihr lag, und als er anfing, sich zu bewegen, hielt sie sich an seinen Schultern fest und passte ihre eigenen Bewegungen an seinen Rhythmus an, bis er heiser ihren Namen rief. Und als er sie noch fester in die Arme nahm, gab sie jede Zurückhaltung auf, bis auch sie mit einem leisen Aufschrei kam.
Später, als sie nicht mehr keuchte und ihr Herz wieder in einem fast normalen Tempo schlug, machte sie die Augen auf. Jack hatte sich neben ihr ausgestreckt und den Löwenanteil des Sofas für sich reklamiert. Sein entspanntes Gesicht und das Glitzern seiner Augen verrieten, dass er rundherum zufrieden war.
»Wie fühlst du dich? Okay?«, fragte er mit rauer Stimme.
»Wesentlich besser als okay.«
»Ich wollte dir nicht weh tun.«
»Ich bin zäher, als ich aussehe.«
Er küsste sie auf die Nasenspitze. »Und du siehst nicht gerade wie ein Weichei aus.«
Ihr Magen stieß ein lautes Knurren aus.
»Bereit, etwas zu essen?«, fragte er, setzte sich, als sie nickte, auf und hielt ihr ihren Pullover hin. »Ich dachte, wir fahren in dieses Restaurant, von dem im Augenblick ganz Boston spricht.«
Verdammt, selbst wenn sie zu McDonald’s fahren und dort mit Plastikgabeln essen würden, wäre ihr das vollkommen egal.
Sie zog ihren Pullover an ihre Brust, ließ sich wieder rücklings auf das Sofa sinken und sah ihm beim Anziehen zu. Er bückte sich nach seinem Hemd, spannte dabei seine Rückenmuskeln an, und sie nahm die roten Kratzer, die sie letzte Nacht dort hinterlassen hatte, wahr.
»Was guckst du?«, fragte er.
»Offenbar habe ich deinem Rücken einen gewissen ästhetischen Schaden zugefügt.«
Er zog sie auf die Füße und an seine Brust. »Ich hoffe, heute Nacht nimmst du dir auch noch die Vorderseite vor.«
Der schnelle Kuss, den er ihr gab, drückte sein auch weiterhin bestehendes Verlangen nach ihr aus.
»Vielleicht sollten wir das Essen noch ein bisschen verschieben«, knurrte er, glitt mit seinen Händen über ihre Hüften und presste sein abermals steinhartes Glied an ihren Unterleib. »Gott, ich kann von dir ganz einfach nicht genug bekommen«, stieß er aus.
Was für ein wunderbarer Satz. Callie ließ ihren Pullover wieder fallen und schlang ihm die Arme um den Hals. Er drückte sie gegen die Tür der Abstellkammer, hob sie hoch, und als sie ihm die Beine um die Taille schlang, drang er begierig nochmals in sie ein. Callie trieb auf einer Woge bisher unbekannter Leidenschaft dahin und schrie, erfüllt von ungeahnter Energie und Freude, auf.
Nachdem die Erschütterung ein wenig nachgelassen hatte, stellte sie die Beine wieder auf dem Boden ab.
»Mein Gott«, murmelte Jack, stützte sich mit beiden Händen links und rechts von ihrem Kopf an der Holztür ab und atmete keuchend ein und aus.
Dann strich er ihr das Haar aus dem Gesicht, küsste sie auf die Stirn, und die Hände, die sie einen Augenblick zuvor so kraftvoll festgehalten hatten, rahmten zärtlich ihr Gesicht.
»Callie.« Sein Atem traf warm auf ihre Haut.
Bevor sie die Augen schloss, um den Moment nach Kräften zu genießen, sah sie, dass seine wunderschöne Anzugjacke hoffnungslos zerknittert auf dem Boden lag, seine Hose über der offenen Dokumentenkiste hing und seine zerknüllte Krawatte halb unter die Couch geflogen war.
Diese Merkmale des Wohlstands bedeuteten ihr nichts. Sie wollte nur Jack. Den nackten, vor Leidenschaft bebenden Jack. Jack ohne jede Kultur und Raffinesse, während er knurrend ihren Namen sprach.
Sie schmiegte sich an ihn und hielt ihn fest. Sie wollte Jack Walker, den Mann. Nicht den legendären Unternehmer. Nicht den jüngsten Star einer angesehenen Familie.
Schließlich trat er einen Schritt zurück und stellte mit ehrfürchtiger Stimme fest: »Du bist eine wirklich erstaunliche Frau.«
Dann strich er mit den Fingern über ihre Wange, legte ihren Kopf etwas zurück und gab ihr einen Kuss, der so liebevoll und sanft wie der Blick aus seinen Augen war.
»Wahrscheinlich sollten wir allmählich gehen«, meinte sie. »Warum treffen wir uns nicht im Haus? Ich muss nur noch das Glas mit Nathaniels Schönheitskur verschließen und würde mich gerne noch schnell umziehen.«
Er gab ihr einen letzten Kuss, stieg in seine Hose, stopfte das Hemd hinein, zog seine Jacke an und schlang sich die blaue Krawatte lässig um den Hals.
Doch er ging nicht gleich, sondern sah sie mit einem leichten Lächeln an.
»Komm her«, bat sie. »Dein Haar sieht aus, als hättest du es mit einem Ventilator trockengefönt.«
Er trat vor sie, neigte den Kopf und wartete geduldig ab, bis seine Frisur wieder in Ordnung war.
»Und auch die Krawatte ziehst du besser wieder richtig an. Denn dann siehst du nicht mehr aus, als ob du überfallen worden wärst.« Mit einem verführerischen Lächeln klappte sie den Kragen seines Hemdes hoch, rückte den Seidenschlips zurecht, band eilig einen ziemlich guten Windsor-Knoten und nickte zufrieden mit dem Kopf. »So, jetzt bist du wieder beinahe perfekt. Aber gegen die Falten in deinem Hemd und deiner Jacke können wir nichts machen.«
Wieder streckte er die Arme nach ihr aus und hielt sie fest. »Ich kann dich einfach nicht loslassen.«
»Was für mich völlig in Ordnung ist.«
Nachdem Jack Callie schließlich alleingelassen hatte, räumte sie noch schnell die Arbeitsmaterialien fort und ging dann ebenfalls zurück zum Haus. Als ihr die kalte Abendluft entgegenschlug, hätte sie vor lauter Freude und Lebendigkeit am liebsten laut gelacht. Sie hatte das Gefühl, als hätte sich die Welt plötzlich ausgedehnt, und sogar der dunkle Himmel zeige ihr unzählige Möglichkeiten auf. Es gab Dinge, auf die sie sich freuen konnte, Pläne, die sie schmieden, Orte, die sie plötzlich sehen wollte.
Natürlich zusammen mit Jack.
Sie stellte sich vor, wie sie mit ihm zusammen durch die winterliche Landschaft fuhr und in irgendeiner kleinen Pension ein Zimmer nahm. Ein Zimmer mit einem Kamin und einem riesengroßen, mit zahlreichen Decken und Kissen bestückten Bett. In dem sie sich tagelang lieben würden, während draußen lautlos der Schnee vom Himmel fiel.
Lächelnd öffnete sie die Hintertür.
Und blieb abrupt stehen.
Jack und die blonde Frau starrten einander über die Kochinsel in der Küche hinweg an. Auf der Arbeitsplatte aus Granit lag ein diamantbesetzter Ring.
Beim Klang der Tür fuhren sie beide gleichzeitig zu ihr herum.
»Sie sind also Callie« stellte die andere Frau mit ruhiger Stimme fest. »Sie sind also diejenige …«