7
Callie fuhr erschrocken aus dem Schlaf. Sie hatte das unheimliche Gefühl, beobachtet zu werden, und als sie sich auf die Seite rollte, stieß sie gegen ein pelziges Gesicht, aus dem eine rosafarbene Zunge hing.
»Was zum …«
Sie richtete sich eilig auf und brauchte einen Augenblick, um sich daran zu erinnern, wo sie sich befand und dass Artie über Nacht bei ihr geblieben war. Er wedelte schüchtern mit dem Schwanz, als wäre er von ihrer Reaktion enttäuscht.
Sie beugte sich zu ihm vor und legte ihre Hände sanft um seinen Kopf. »Sorry, Artie. Ich bin es einfach nicht gewohnt, in Gesellschaft eines Mannes aufzuwachen.«
Sein Schwanzwedeln verstärkte sich, während er sich auf die Hinterbeine setzte und die obere Hälfte seines Körpers auf die Bettdecke schob. Sie kraulte ihm die Brust, blickte aus dem Fenster, und das fahle Grau des Himmels machte deutlich, dass es noch recht früh am Morgen war.
Trotzdem meinte sie: »Ich nehme an, du willst mal raus.« Sie hatte von Hunden keine Ahnung, schätzte aber, dass er nicht allein aus reiner Freundlichkeit zu ihr ans Bett gekommen war.
Sie stieg in ihre Jeans und hörte ein Klopfen an der Tür.
Als sie öffnete und Jack dort draußen stand, fuhr sie zum zweiten Mal an diesem Vormittag zusammen. Er sah einfach unglaublich sexy aus. Sein noch feuchtes Haar lag in dicken dunklen Wellen um seinen Kopf, und der schwarze Pulli und die blauen Jeans standen ihm genauso gut wie die teuren Maßanzüge, die er für gewöhnlich trug.
Aber was würde ihm wohl nicht stehen?, überlegte sie mit einem Blick auf seine breite Brust.
Er lehnte sich lässig an den Türrahmen und sah sie lächelnd an. »Guten Morgen.«
»Ja?« Ihr war klar, sie starrte ihn mit großen Augen an, doch sie konnte nichts dagegen tun.
»Ich möchte meinen Hund abholen.«
»Ah – er ist hier.« Gehorsam kam das Tier zur Tür.
»Hat er Sie beim Schlafen gestört? Er jagt in seinen Träumen nämlich häufig Murmeltiere.«
Callie schüttelte den Kopf und versuchte, nicht zu lächeln. Wenn sie sich in Gegenwart des Mannes wohler gefühlt hätte, hätte sie ihn garantiert gefragt, woher er wusste, dass der gute Artie Murmeltiere jagte und nicht Mäuse oder so. »Wenn ich einmal schlafe, kriegt mich nichts mehr wach.«
»Das ist eine gute Eigenschaft.«
Das Gespräch geriet ins Stocken, und als er sie weiter ansah, überlegte Callie panisch, wie sie ihn dazu bewegen könnte, endlich wieder zu gehen. Denn bestimmt hatte der große Jackson Walker Besseres zu tun, als in dem vergeblichen Bemühen, Smalltalk mit ihr zu machen, vor ihrer Tür zu stehen.
»Warum treffen wir uns nicht unten?«, fragte er sie schließlich. »Dann gehen wir in Ihr Atelier über der Garage, und Sie können sich dort häuslich einrichten.«
»Je eher, umso besser«, gab sie atemlos zurück.
Er zog die Augenbrauen hoch. »Sind Sie immer so zielstrebig?«
»Ich will die Arbeit einfach hinter mich bringen«, brach es aus ihr heraus. »Ich meine, ich will keine unnötige Zeit vergeuden.« Sie schüttelte unglücklich den Kopf. »Das heißt, ich …«
»Allmählich frage ich mich, ob ich diese unbotmäßige Eile vielleicht persönlich nehmen soll.« Er stieß sich vom Türrahmen ab und rief mit einem halben Lächeln seinen Hund. »Komm, Artie.«
Callie sah den beiden hinterher.
Sie musste zugeben, dass ihr die Art, in der er sich bewegte, ausnehmend gut gefiel. Was ihr weniger zusagte, war seine Angewohnheit, sie durchdringend anzusehen. Denn sie hatte keine Ahnung, was an ihr so faszinierend war.
Obwohl das viel größere Problem wahrscheinlich ihre Reaktion auf seine Blicke war. Das Gefühl der Wärme, das sich über ihre Haut auf ihren ganzen Körper ausdehnte, brachte sie aus dem Gleichgewicht.
Vor allem, weil sie nichts dagegen hätte, sich daran zu gewöhnen.
Sie machte die Tür hinter den beiden zu und musste sich eingestehen, dass sie sich zu Jack trotz seiner Vergangenheit als Playboy und trotz seines ungeheuren Reichtums hingezogen fühlte. Zum Teil, weil er einfach ein wirklich attraktiver Bursche war, zum Teil jedoch aus einem anderen Grund. Seine empörte Reaktion darauf, dass ihr von seiner Mutter ein Zimmer im Personaltrakt zugewiesen worden war, hatte ihr gezeigt, dass ihm ihr Komfort am Herzen lag und er auch Respekt vor ihrem Stolz empfand. Seine Sensibilität hatte sie überrascht, und die Tatsache, dass ihm etwas an ihrem Wohlergehen lag, sagte ihr durchaus zu – auch wenn sie ihm hatte beweisen müssen, dass sie völlig unabhängig war.
Sie schüttelte den Kopf und erinnerte sich daran, wer Jack Walker wirklich war.
Nur, weil er sich zu benehmen wusste, war er bestimmt kein Traumprinz. Denn auch skrupellose Männer konnten durchaus höflich sein. Schließlich hatte ihr Vater ebenso das Benehmen eines englischen Adligen gehabt und es trotzdem geschafft, seine Frau jahrzehntelang zu hintergehen. Es wäre sicherlich nicht ratsam, Jack Walker mit einem Mal in einem romantischen Licht zu sehen. Und um möglichen Problemen aus dem Weg zu gehen, arbeitete sie am besten rund um die Uhr und sähe zu, dass sie so schnell wie möglich wieder aus seinem Haus verschwand.
Der Mann konnte ihren Wunsch, die Arbeit so schnell wie möglich zu erledigen, durchaus persönlich nehmen, dachte sie.
Nach dem Duschen schnappte sie sich ihren Werkzeugkasten und machte sich, unsicher, wo genau sie ihren Auftraggeber treffen sollte, auf den Weg ins Erdgeschoss. Unten angekommen spitzte sie die Ohren, hörte eine Stimme am anderen Ende des Hauses, folgte ihrem Klang und fand ihn in seinem Büro.
Er stand hinter einem großen Schreibtisch gegenüber einer hinter dunkelbraunen Samtvorhängen verborgenen Flügeltür. Die Wände des Raums waren mit dunklem Holz vertäfelt, und die spektakulär gewölbte Decke war mit einem Gemälde von Engeln und Wolken verziert. Gegenüber dem Schreibtisch gab es eine Bar aus schwarzem Marmor sowie eine Reihe Fernseher, auf denen lautlos eine Auswahl verschiedener Nachrichtensendungen lief.
Gerade als sie sich bemerkbar machen wollte, bellte er ins Telefon: »Es ist mir scheißegal, was er gesagt hat. Er hat die Zahlen frisiert, und damit ist der Deal vom Tisch. Richten Sie ihm aus, dass er sich einen anderen Idioten suchen soll.«
Das hier war der wahre Jack Walker, dachte sie.
Plötzlich beugte er sich vor, als ob er direkt vor der Person stünde, mit der er sprach. »Hören Sie, ich habe momentan noch ein halbes Dutzend anderer Deals am Laufen, deshalb werde ich für diesen Kerl nur noch fünf Worte erübrigen. Er. Soll. Zur. Hölle. Fahren.«
Callie zuckte zusammen, als er das Telefon krachend auf seinen Schreibtisch warf. »Gottverdammt.« Er raufte sich das Haar, wirbelte herum, um etwas vom Schreibtisch zu nehmen …
… erblickte sie und räusperte sich leicht. »Callie.«
»Ich komme vielleicht besser später noch einmal vorbei.«
»Nein.« Er ließ den Zettel, den er in der Hand hielt, fallen und verfolgte, wie er auf dem Schreibtisch landete. »Nein.«
Entschlossen stemmte er die Hände in die Hüften, atmete ein paarmal langsam ein und aus, und als er sie wieder ansah, hatte sich ein Großteil seiner Aggressivität gelegt.
»Also los.«
Er ging an ihr vorbei, und sie trat eilig einen Schritt zurück, damit er ja genügend Platz bekam.
Auf dem Weg über den Hof unterdrückte Jack auch weiter mühsam seinen Zorn. Dank seiner Finanzkraft versuchte kaum jemals jemand, sich mit ihm anzulegen, nur war es leider so, dass Verzweiflung oder Gier viele Menschen zu Narren werden ließ. Und wenn er weiter ganz oben mitspielen wollte, durfte er diese Tatsache niemals vergessen und nicht überrascht sein, wenn jemand versuchte, ihn über den Tisch zu ziehen.
Aber, verdammt, er hatte bezüglich dieses Deals seine Hausaufgaben gemacht, Zeit und Ressourcen investiert, reiflich darüber nachgedacht. Weshalb er die Entdeckung kurz vor Toresschluss, dass er belogen worden war, als persönliche Beleidigung empfand. So etwas war ihm auch vorher schon passiert, und es würde auch in Zukunft ab und zu passieren, aber das hieß nicht, dass es ihm gefallen musste, wenn man ihn betrog. Und falls seine Reaktion barscher als gewöhnlich ausgefallen war, dann, weil es ihn frustrierte, dass ihm und seinen Leuten dieses Problem nicht schon früher aufgefallen war.
Er blickte auf Callie, die sich fasziniert auf dem Grundstück umzusehen schien. Ihr Blick wanderte überallhin, außer auf ihn, und er kam sich fast wie ein Verbrecher vor.
»Tut mir leid, dass Sie das eben mitbekommen haben.«
Sie belohnte ihn mit einem kurzen Blick. »Ich weiß, dass Sie ein knallharter Geschäftsmann sind, und kann mir deshalb nicht vorstellen, dass es irgendetwas gibt, was Sie derart aus der Fassung bringen kann.«
»Sind Sie jemals Gefahr gelaufen, hundertfünfundzwanzig Millionen Dollar zu verlieren?«
Sie riss die Augen auf. »Ah, nein.«
»Tja, Sie können mir glauben, das macht einem Menschen Feuer unter dem Arsch.«
Sie erreichten die Garage, und er öffnete die Tür.
»Womit genau verdienen Sie Ihr Geld?«, wollte sie von ihm wissen.
Er bemühte sich um eine Antwort, während er verfolgte, wie sich ihre Hüfte hin und her bewegte, als sie die Treppe in den oberen Stock erklomm.
»Ich investiere in private Unternehmen und bekomme im Gegenzug Anteile daran. Den Profit mache ich dann, wenn ein solches Unternehmen an die Börse geht.«
»Und wie groß ist der Walker Fund? Ich möchte Ihnen nicht zu nahetreten, aber Finanzen sind nicht gerade meine Stärke.«
»Einschließlich des Fremdkapitals, das ich kurzfristig aufnehmen kann, verfüge ich über circa zehn Milliarden Dollar, die ich nach Gutdünken investieren kann.«
»Oh.« Am Kopf der Treppe blieb sie stehen und sah aus, als ob sie versuchen würde, sich vorzustellen, wie viele Nullen diese Zahl enthielt. Dann blickte sie plötzlich auf und rief: »Das ist ja wunderbar!«
Der Rest seines Zorns verflog, als sie ihre Werkzeugkiste auf den Boden stellte und den großen, offenen Raum betrat. Auf allen Seiten gab es Fenster, und die spitz zusammenlaufende Decke war mehrere Meter hoch. Er hatte einen langen Holztisch aufstellen lassen und mehrere verschiedene Stühle organisiert, unter denen sie den auswählen sollte, der für sie am bequemsten war. Außerdem gab es noch eine von zwei Beistelltischen flankierte breite Couch.
Ihre Schritte hinterließen auf dem schimmernden Boden ein klickendes Geräusch, und er sah ihr, erfüllt von einem geradezu beängstigenden Verlangen, hinterher.
»Der Raum ist durch und durch perfekt«, erklärte sie, während sie aus einem der Fenster sah. »Hier habe ich jede Menge Licht.«
»Freut mich, dass er Ihnen gefällt. Als ich den Raum im letzten Winter isolieren ließ, haben die Handwerker auch noch ein Bad mit einer Dusche und eine in die Wände eingelassene Stereoanlage installiert.«
»Das ist alles furchtbar überraschend«, meinte sie und strich mit ihrer Hand geistesabwesend über den Tisch.
»Was?«
Sie fuhr herum, als fiele ihr plötzlich ein, dass sie nicht alleine war.
»Nichts.« Sie bedachte ihn mit einem geschäftsmäßigen Blick. »Ich habe eine Liste mit Dingen, die ich brauche. Ein paar der Sachen muss ich haben, bevor ich überhaupt mit der Arbeit an dem Bild beginnen kann.«
»Okay. Dann fahren wir am besten gleich zum MFA.«
Sie nickte und zeigte auf eine Flügeltür. »Und was ist dahinter versteckt?«
»Eine Abstellkammer.« Er trat vor die Tür und machte sie auf. In der Kammer standen vier Plastikcontainer, und Callie bedachte sie mit einem neugierigen Blick. »Ich glaube, in den unteren beiden sind ein paar bestickte Kissen, für die meine Mutter keine Verwendung hat. Die anderen sind voll mit alten Papieren der Familie.«
»Wirklich?« Sie betrat den kleinen Raum und machte einen der Container auf. »Sind sie katalogisiert?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Das sollten sie aber sein.«
»Wollen Sie das übernehmen?«
Sie blickte über ihre Schulter. »Meinen Sie das ernst?«
»Natürlich. Ich würde Sie für die Arbeit auch bezahlen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Zufällig macht es mir Spaß, Ordnung ins Chaos zu bringen, es wäre also eine nette Ablenkung für mich. Außerdem habe ich keine Ausbildung als Archivarin. Ich könnte die Papiere also höchstens durchgehen und auf verschiedene Haufen legen, damit jemand, der Ahnung davon hat, sie noch mal durchsehen kann.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, beugte sich ein wenig vor, griff in den Container, und er hörte das Rascheln von Papier und dann ein lautes Krachen, als die Kiste in Bewegung geriet.
Instinktiv schlang er Callie die Arme um die Taille und riss sie zurück. Er wollte nur verhindern, dass der schwere Behälter auf sie fiel.
Sein Gehirn stellte die Arbeit ein, und er berührte sie.
Sie rang erstickt nach Luft, und er stöhne leise auf. Auch ihr fiel offensichtlich auf, dass ihre Hüften wie zwei Puzzleteile zueinanderpassten, denn als er sie weiter festhielt, setzte sie sich kaum zur Wehr.
Er hätte die Herzschläge nicht zählen können, während derer er vollkommen reglos hinter ihr stand.
Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um sie loszulassen, sagte er sich streng. Er bräuchte nur einen Schritt zurück zu tun, seine Hände zurückzuziehen und irgendeine witzige Bemerkung darüber zu machen, dass sie sich in die Arbeit stürzen sollte, und nicht die Arbeit auf sie.
Stattdessen maß er mit gespreizten Fingern die leichte Wölbung ihrer Rippen und die weichen Flanken ihres Körpers ab, nahm, als sie Luft holte, die Dehnung ihres Brustkorbs wahr, und als sie sich noch immer nicht von ihm löste, beugte er sich noch ein wenig weiter vor, bis seine Brust an ihrem Rücken lag.
Tu das nicht, sagte er sich. Um Himmels willen.
Aber inzwischen übernahm sein Körper die Kontrolle und ersetzte jeden rationalen oder moralischen Gedanken durch das irrationale Verlangen nach dieser Frau. Er konnte nicht darüber nachdenken, was für Folgen es möglicherweise hätte, ließe er nicht endlich von ihr ab. Er begehrte sie und hatte nichts anderes mehr im Kopf.
Langsam hob er seine Hand, strich ihr die Haare aus dem Nacken, neigte seinen Kopf und schob seine Lippen an ihr Ohr.
»Callie.«
»Lassen Sie mich los«, wisperte sie.
»Callie.« Das Vibrieren seiner Stimme machte deutlich, wie es um ihn stand, noch während er sie für das, was er gleich täte, um Verzeihung bat. »Es tut mir leid.«
Dann presste er den Mund auf ihre Haut.
Sie atmete keuchend aus, und er küsste ihren Hals erneut, liebkoste ihn mit seiner Zunge, und als sie den Kopf nach hinten fallen ließ, schlang er ihr die Arme um den Leib und spreizte seine Finger über ihrem flachen Bauch.
Er drückte seinen Mund ein drittes Mal auf ihren Nacken, woraufhin sich ihr Kopf bewegte, als ob sie versuchte, sich der Berührung zu entziehen. Doch er nutzte die Gelegenheit und drehte sie zu sich herum.
In ihren Augen lag ein heißer Glanz, auch wenn Jack den Eindruck hatte, dass sie im Begriff war, Hals über Kopf vor ihm zu fliehen.
Er sah ihr ins Gesicht, neigte abermals den Kopf, presste seine Lippen gleichzeitig beruhigend und erregend sanft auf ihre Wange und bahnte sich einen Weg zu ihrem Mund.
Dann zögerte er kurz.
In seinem tiefsten Inneren war ihm bewusst, dass das, was er gleich täte, eindeutig ein Riesenfehler war.
Du Bastard, dachte er, gab allerdings zugleich seinem Verlangen nach und küsste sie zärtlich auf den Mund.
Callies Lippen bebten unter seinem Kuss, aber als sie leise seufzte, reichte ihm das als Erlaubnis völlig aus.
Er küsste sie erneut. Zärtlich, lockend, sanft.
Er wusste, verdammt noch mal, genau, dass er sich nicht dauerhaft würde beherrschen können. Denn mit jedem noch so leichten Kuss nahm seine Selbstbeherrschung weiter ab und verwandelte einen normalerweise rationalen Menschen in einen erregten Mann, der genau das, was er wollte, in den Armen hielt.
Dann öffnete sie ohne Vorwarnung den Mund, er schob seine Zunge vor, stieß, als er die feuchte Wärme ihrer Zunge spürte, ein heiseres Stöhnen aus und konnte nur noch daran denken, wie er ihr noch näher kam. Er ritt auf einer Woge heißer Lust und zog sie eng an seine Brust.
Heiliges Kanonenrohr. Nichts in seinem Traum hatte ihn auf das tatsächliche Gefühl von ihrem Körper vorbereitet, und er dachte an das Sofa am anderen Ende des Raums. Hatte er die Garagentür abgesperrt, bevor er mit ihr raufgegangen war? Das Letzte, was er wollte, war, dass jemand sie jetzt störte.
Dann aber stieß sie ihn stöhnend von sich fort und stolperte aus der Abstellkammer zurück in den großen Raum.
Jack fluchte, als die kühle Luft die Wärme ihres Körpers ersetzte und ihm mit grauenhafter Klarheit zu Bewusstsein kam, was eben geschehen war.
Bevor auch er sich umdrehte, holte er tief Luft. Denn es würde ihre Beziehung nicht unbedingt vereinfachen, wenn sie ihm seine Erregung überdeutlich ansehen würde.
Mann, er hatte es total verbockt.
Als er aus der Kammer kam, lief sie im Zimmer auf und ab.
»Es tut mir furchtbar leid«, erklärte er. »Ich weiß wirklich nicht, wie das passieren konnte.«
Nun, wenn er ehrlich war, dann wusste er es ganz genau. Was er hätte sagen sollen, war, dass er keine Ahnung hatte, weswegen er derart über sie hergefallen war. Es hatte eine gewisse Zeit gedauert, sich im Zusammensein mit Blair daran zu gewöhnen, dass es keine anderen Frauen mehr für ihn gab, aber er hatte es geschafft. Bis jetzt. Und er konnte einfach nicht glauben, dass er das Versprechen gebrochen hatte, das ihm von ihr abgenommen worden war.
»Ich kann nicht …«, fing sie an, brach dann aber noch einmal ab. »Es wird nicht funktionieren. Ich muss zurück nach Hause …« Sie drückte ihre Hände an die glühend heißen Wangen. »Gott! Das hätte ich nie zulassen dürfen. Ich … schließlich habe ich keine Ahnung, wer Sie wirklich sind.«
Jack verspürte den absurden Wunsch, ein paar Daten aufzuzählen. Größe, Gewicht, Sozialversicherungsnummer, Geburtsdatum. Familienstand.
Bei dem letzten Wort fuhr er zusammen.
»Es war meine Schuld«, ließ er verlauten. »Sie haben nichts Falsches getan.«
Er merkte, dass sie auf die Werkzeugkiste und dann in Richtung Treppe sah.
»Warten Sie einen Moment. Wir sollten die Dinge nicht übertreiben.« Das Letzte, was er wollte, war, dass Callie ging. »Nur, weil ich Sie geküsst habe, müssen Sie ja wohl nicht gleich aufgeben.«
»Aufgeben? Wenn ich jetzt wieder nach Hause fahre, ist das ja wohl kein Aufgeben. Sie haben versucht, mich auszunutzen.«
Er runzelte die Stirn und gab spontan zurück: »Sie haben sich nicht gerade vehement zur Wehr gesetzt.«
Sie stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Danke, dass Sie mich darauf hingewiesen haben. Jetzt fühle ich mich deutlich besser.«
Jack verfluchte sich, weil er so wenig zartfühlend gewesen war. »Es tut mir leid. Ich kann momentan einfach nicht richtig denken.«
Verdammt, er hatte Glück, wenn er auch nur einen halbwegs ordentlichen Satz zusammenbekam. Er war sexuell frustriert und deshalb furchtbar schlecht gelaunt. Und was noch schlimmer war, trotz allem, was gegen eine Beziehung zwischen ihnen sprach, wollte er sie unbedingt wieder in seinen Armen spüren. Und zwar möglichst nackt.
Er kniff schmerzlich die Augen zu, denn eine neuerliche Woge des Verlangens stieg in seinem Körper auf.
Vielleicht sollte er sie einfach gehen lassen. Sie aus seinem Haus und seinem Leben werfen.
Weil etwas wie dieser Kuss bestimmt kein Zufall war.
Er hatte sich bereits seit dem Moment vor ihrem Haus in Chelsea ausgemalt, was für ein Gefühl es wäre, hielte er Callie im Arm. Und es war wirklich tragisch, dass seine Erwartung durch das eben Geschehene noch übertroffen worden war.
»Muss ich davon ausgehen, dass Sie noch mal versuchen werden, mich zu küssen?«, fragte sie.
Er schlug die Augen wieder auf und wünschte sich, verflucht noch mal, er könnte ihr die eindeutige Antwort geben, an der ihr offenbar gelegen war. Nur dass er in diesem Augenblick nicht unbedingt vertrauenswürdig war.
Er raufte sich das Haar. »Ich habe eine Beziehung. Ich bin seit ein paar Wochen verlobt …«
»Sie sind verlobt?«, hakte sie ungläubig nach. »Oh mein Gott.«
Wieder presste sie die Hände an die Wangen und sah während eines Augenblicks so aus, als müsse sie sich übergeben, denn sie blickte verzweifelt nicht in Richtung Treppe, sondern auf die Badezimmertür.
»Hören Sie, normalerweise halte ich einmal gegebene Versprechen ein. Deshalb ist es auch nicht meine Art, meine Verlobte zu hintergehen.«
»Ach wirklich?«, schnauzte sie ihn an. »Dann haben sich die Reporter die zahllosen Geschichten über Ihr ausschweifendes Liebesleben also nur ausgedacht?«
»Ich habe gesagt, dass ich niemanden betrüge, dem gegenüber ich eine Verpflichtung eingegangen bin.«
»Aber das tun Sie auch nicht oft, nicht wahr?«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte es ihr nicht verdenken, dass sie ihn verachtete, und es fiel ihm alles andere als leicht, ihr ins Gesicht zu sehen.
»Sagen Sie mir, Jack, was genau werden Sie ihrer Verlobten von diesem Vormittag erzählen?«
Gott, er hatte keine Ahnung.
»Ich weiß noch nicht genau.«
»Wahrscheinlich nichts, richtig? Genau das ist der Grund, aus dem alle diese Frauen um Sie gekämpft haben. Weil sich ohne Zweifel jede Einzelne von ihnen eingebildet hat, sie wäre die Einzige für Sie.«
»Sie sollten nicht alles glauben, was geschrieben wird.«
»Selbst wenn ich ein Viertel der Dinge, die ich über Sie gelesen habe, streichen würde, bliebe noch immer genug. Wie das eine Mal, als eine Ihrer Freundinnen eine halbnackte Schauspielerin durch das Foyer des Waldorf-Astoria gescheucht hat. Und was hatte der reizende Cameron-Diaz-Verschnitt am Leib? Eine Federboa und ein Paar von Ihren Boxershorts, nicht wahr?« Callie stemmte die Hände in die Hüften. »Das war eine meiner Lieblingsgeschichten über Sie. Und zwar stand sie nicht nur in der People, sondern auch in der New York Post.«
Er fluchte lange und vernehmlich. »Das ist Jahre her. Und wenn ich mich recht entsinne, hatte sie eine Hose von mir an.«
Damals hatte ihn der Vorfall amüsiert. Nachdem die Jagd begonnen hatte, hatte er es sich in seiner Suite bequem gemacht und darauf gewartet, dass entweder seine Hose oder aber die Frau, mit der er seit sechs Wochen liiert gewesen war, wieder erschien. Rückblickend betrachtet, und vor allem Callie gegenüber, kam ihm das Theater jedoch völlig unreif vor.
Er atmete tief ein. »Ich habe mich verändert.«
»Sind Sie sich da sicher?«
»Damals hätte ich mich nicht bei Ihnen entschuldigt, denn ich hätte mich nicht schlecht gefühlt. Jetzt fühle ich mich dagegen grauenhaft. Ich weiß, ich habe in Bezug auf Frauen keinen allzu guten Ruf, aber Sie müssen mir bitte trotzdem glauben. Ich hatte nicht die Absicht, mich an Sie heranzumachen. Es ist einfach so passiert.«
Sie starrte ihn durchdringend an. »Haben Sie … sie je zuvor betrogen?«
»Nein. Und das hatte ich auch jetzt nicht vor.« Er ging zum Sofa, setzte sich und stützte seine Ellbogen auf den Knien ab. »Es ist einfach so geschehen, und ich habe einen Fehler gemacht. Ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll.«
Ihr Blick wanderte zum Fenster, kehrte dann aber zu ihm zurück. »Ich bin nicht wie die Frauen, mit denen Sie es sonst zu tun haben. Ich bin einfach nicht so.«
Nein, dachte er, das war sie wirklich nicht. Sie würde sich niemals benutzen lassen, und er hatte auch nicht den Wunsch, leichtfertig mit ihr umzugehen.
»Das ist mir klar«, gab er zurück. »Doch es war mir einfach unmöglich, mich von Ihnen abzuwenden. Was eindeutig nicht Ihr Fehler, sondern ein Zeichen meiner eigenen Schwäche war.«
Sie senkte den Kopf und starrte auf den Fußboden.
»Wenn ich bleibe, dann nur meiner Arbeit wegen. Nicht, weil ich Interesse daran hätte, irgendwelche Spielchen mit Ihnen zu spielen. Ich möchte nicht, dass so etwas wie eben noch einmal passiert.«
»Dürfte ich fragen, warum nicht?«
»Was ist denn das für eine Frage?«
»Was ich meine, ist, ob es einen Mann in Ihrem Leben gibt.« Er glaubte nicht wirklich, dass ihm Callie eine Antwort geben würde, wollte es aber einfach wissen.
»Das spielt keine Rolle. Denn selbst wenn ich alleine wäre, hieße das noch lange nicht, dass ich was von Ihnen will.«
»Das haben Sie mir sehr deutlich zu verstehen gegeben«, stimmte er ihr lächelnd zu.
Allmählich ließ die Anspannung in Callies Schultern nach, und sie atmete leise auf.
»Dann können wir also Freunde sein?«, fragte er sie und war selber überrascht davon, wie viel ihm daran lag.
»Nein, können wir nicht.« Wieder sah sie aus dem Fenster. »Sie und ich, wir werden niemals Freunde sein.«
Diese Antwort sagte ihm nicht im Geringsten zu.
»Und warum nicht?«
»Weil es zwischen uns keine Gemeinsamkeiten gibt.«
»Das ist nicht wahr. Wir sind beide Kunstliebhaber, mögen Hunde und Grace Woodward Hall, und ich bin sicher, dass sich diese Liste noch endlos verlängern lässt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich arbeite für Sie. Genau wie die hundert oder tausend oder sonst wie vielen Leute, die beim Walker Fund beschäftigt sind. Ich bin nur eine von …«
»Nein, das sind Sie nicht.«
»… und ich will, dass es so bleibt.«
»Sind Sie schon immer lieber anonym geblieben, oder gilt das nur in diesem Fall?«
»In diesem Fall will ich es so.«
Sofort waren seine Instinkte geweckt. »Und wann wollten Sie es nicht?«
»Das Gespräch ist beendet.« Eilig wandte sie sich ab, durchquerte den Raum, griff nach ihrer Werkzeugkiste und stellte sie krachend auf den Tisch.
Er betrachtete sie einen Augenblick und fragte sich, was der Grund für ihren plötzlichen Rückzug war. Was sie vor ihm verbarg.
»Sagen Sie mir nur noch eins.«
»Nein.«
»Sie wissen doch noch gar nicht, was ich fragen will.«
»Das ist mir egal.«
»Ich möchte einfach wissen, ob jemand Sie verletzt hat«, fuhr er sanfter fort.
Ihre Augen funkelten vor Zorn. »Wissen Sie eigentlich, dass Sie unmöglich sind?«
Er stand auf. »Ich denke nur, dass das vielleicht eine Erklärung ist.«
»Wofür?«
»Dafür, dass Sie sich eben so plötzlich zurückgezogen haben.«
Etwas Hübscheres als ihre roten Wangen hatte er seit langer Zeit nicht mehr gesehen. Zugleich war diese Röte die Bestätigung dafür, dass sie eben in der Abstellkammer dasselbe empfunden hatte wie er.
Wieder reckte sie trotzig das Kinn. »Vielleicht lag das einfach daran, dass es mir nicht gefallen hat.«
»So hat es sich aber für mich nicht angefühlt.«
»Dann hatten Sie vielleicht einfach genug Spaß für uns beide.« Sie warf einen vielsagenden Blick auf seinen Schritt.
Worauf er bei dem Gedanken, dass ihr seine Erregung aufgefallen war, frustriert die Zähne aufeinanderbiss.
Ihm war klar, er sollte sich zurückziehen. Weil sie, wenn er sie jetzt nicht in Ruhe ließe, vielleicht ihren Job – und dadurch auch ihn – endgültig sausen ließ.
Doch er konnte es ganz einfach nicht. Ihre Gegenwehr zog ihn in ihren Bann, und mit einem Mal erschien die Fügsamkeit, die er von anderen Frauen kannte, langweilig und uninteressant.
»Callie, es ist mir egal, ob Sie mich zurückgewiesen haben, weil Sie mich nicht mögen oder weil ich mich unangemessen verhalten habe oder zu schnell vorgegangen bin. All das ist ohne Zweifel wahr. Aber trotzdem würde ich eine gewisse Ehrlichkeit durchaus zu schätzen wissen. Es hat Ihnen gefallen, als ich Sie geküsst habe, nicht wahr?«
Sie stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Haben Sie nicht manchmal Probleme, Ihr Ego durch die Haustür zu bekommen?«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Nicht in einem Haus wie diesem, nein. Aber in einem kleinen Bauern- oder Reihenhaus würde es wahrscheinlich schwierig.«
Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, wandte sich dann allerdings wieder lächelnd ihrem Werkzeugkasten zu.
Verdammt, er wünschte sich, sie hätte diesen Gesichtsausdruck mit ihm geteilt.
Er machte einen Schritt in ihre Richtung, blieb dann aber wieder stehen. »Hören Sie, es ist nichts falsch daran, Freude am Zusammensein mit einem anderen Menschen zu empfinden, und wenn sie das Glück haben und diese Freude finden, wünschen sich die meisten, sie würde nie mehr aufhören. Außer natürlich, sie sind bereits mit jemand anderem zusammen oder jemand hätte ihnen furchtbar weh getan, womit ich wieder bei meiner ursprünglichen Frage bin. Sie sind eine der abweisendsten, verschlossensten Frauen, die mir je begegnet sind. Deshalb denke ich, Sie wurden irgendwann von irgendwem fürchterlich verletzt.«
Ohne auch nur noch eine Spur des Lächelns im Gesicht sah sie ihn über ihre Schulter hinweg an. »Ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen über mein Privatleben zu sprechen. Das geht Sie nichts an, weil es keinen Einfluss auf unsere berufliche Beziehung hat. Und ich bin nicht abweisend!«
Lächelnd zog er die Augenbrauen hoch.
Sie räusperte sich und wandte sich verlegen ab. »Vielleicht bin ich Fremden gegenüber einfach etwas misstrauisch. Was eine durchaus gesunde Haltung ist.«
»Heißt das, wenn Sie mich besser kennen würden, wären Sie nicht mehr so vorsichtig?«
Sie lachte, und er atmete erleichtert auf. »Ich werde Ihnen gegenüber immer vorsichtig sein.«
»Callie, sehen Sie mich an.«
Es dauerte einen Moment, bis sie es tat.
»Es tut mir wirklich leid. Und Sie können mir alles anvertrauen. Sogar Ihr Leben. Denn ich werde Ihnen niemals weh tun.«
Stirnrunzelnd knabberte sie an ihrer Unterlippe, und beim Anblick ihrer weißen Zähne auf dem weichen Fleisch wäre es um ein Haar erneut um seine guten Vorsätze geschehen.
Als sie schließlich etwas sagte, sprach sie derart leise, dass er sie beinahe nicht verstand. »Aber Sie haben mich geküsst, obwohl Sie verlobt sind. Oder etwa nicht?«
Er kniff die Augen zu. Sie hatte ihn erwischt.
Sie nahm ein paar Gläser aus dem Werkzeugkasten und stellte sie nebeneinander auf den Tisch. »Vielleicht sollten wir auf die Ankunft des Gemäldes warten, bevor wir zum MFA fahren. Und jetzt, ähm, glaube ich, würde ich mich gerne einrichten.«
Es war ein effektiver Themenwechsel, mit dem sie ihm deutlich machte, dass sie gern alleine wäre, doch auch wenn er wusste, dass er sie nicht zwingen könnte, noch länger mit ihm zu sprechen, hoffte er von ganzem Herzen, dass er mit seinen Worten zu ihr durchgedrungen war. Trotz seines verwerflichen Tuns.
»Dann werde ich jetzt erst mal gehen«, erklärte er. »Eins sollten Sie aber noch wissen: Ich bin froh, dass Sie bleiben. Und ich hoffe wirklich, dass die nächsten Wochen angenehm verlaufen. Und zwar für Sie und mich.«
Als sie ihm keine Antwort gab, wandte er sich ab, blieb aber am Kopf der Treppe noch mal stehen. »Callie?«
»Was?«
»Sind Sie mit jemandem zusammen?«
Sie errötete, woran er erkannte, dass er erneut zu weit gegangen war.
Wenn auch nicht so weit wie bei dem Kuss.
»Was ich meine, ist, ob Sie hin und wieder ein paar freie Tage brauchen. Oder ob jemand Sie besuchen kommen wird«, fragte er in möglichst beiläufigem Ton, damit sie seine wahren Gedanken nicht erriet.
Denn in Wahrheit wollte er nur in Erfahrung bringen, ob sie ungebunden war.
Es dauerte einen Moment, bis sie ihm eine Antwort gab. »Eigentlich hatte ich vor, ohne Pause durchzuarbeiten, bis das Gemälde fertig ist.«
»Und wie sieht es mit Besuchern aus?«
Sie trat wieder vor die Werkzeugkiste und zog ein paar Holzstäbe und Baumwolllappen daraus hervor. »Ähm – nein. Ich erwarte niemanden.«
Angesichts der heißen Freude, die er plötzlich empfand, hätte er am liebsten laut geflucht.
Sieh, zum Teufel, zu, dass du von hier verschwindest, du Idiot.
Eilig lief er die Treppe hinunter und stürzte in den Hof hinaus.