14
Als Jack an dem Abend wieder nach Hause kam, war er total erschöpft. Seine Reise war nicht wie geplant verlaufen. Und auch nicht besonders gut.
Weil Blair gar nicht in New York gewesen war.
Am Morgen auf dem Weg zum Flughafen hatte er sowohl in ihrem Hotelzimmer als auch auf ihrem Handy angerufen, um sicherzugehen, dass sie von seiner bevorstehenden Ankunft wusste. Als er in beiden Fällen nur die Mailbox erreicht hatte, war ihm das nicht weiter ungewöhnlich vorgekommen, ebenso wenig, dass er keinen Rückruf von ihr bekommen hatte. In letzter Zeit hatten sie sich häufig nicht direkt erreicht, und manchmal waren sogar ein, zwei Tage vergangen, ohne dass auch nur eine Nachricht auf der Mailbox des jeweils anderen gewesen war.
Im Cosgrove erklärte man ihm, dass Ms Stanford am Vorabend mit Mr Graves nach London geflogen war, was ihn überraschte. Der Empfangschef hatte ihm erklärt, die beiden wollten sich Graves’ neues Haus in Belgravia ansehen und kämen sicher bald zurück. Wie bald, hatte er nicht sagen können, und sein ängstlicher Blick hatte verraten, dass ihm diese Antwort alles andere als angenehm gewesen war.
Also hatte Jack beschlossen, einfach nach Boston zurückzufliegen. Denn es hätte keinen Sinn gehabt, in New York herumzulungern und auf sie zu warten, während er zuhause jede Menge Arbeit zu erledigen hatte. Dann aber hatte sein Handy geklingelt, als er auf dem Weg zurück zum Flughafen gewesen war. Offenkundig hatte der Empfangschef des Hotels Blair über sein Erscheinen informiert. Sie hatte sich tausendmal bei ihm entschuldigt und gleichzeitig besorgt geklungen, weil er völlig unerwartet nach New York gekommen war. Schließlich wusste sie, dass ein derart spontaner Besuch nicht gerade typisch für ihn war.
Als sie Einzelheiten von ihm hatte wissen wollen, hatte er lediglich versucht, von ihr zu erfahren, wann sie wieder in die Staaten kommen würde. Doch obwohl sie schon am nächsten Tag wieder nach Hause fliegen würde, hatte sie sich geweigert, das Telefongespräch einfach zu beenden, und ihn abermals gefragt, weshalb er überraschend nach New York gekommen war. Weil das für sie ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.
Als er hatte erkennen müssen, dass sie nicht auf eine Erklärung warten würde, bis sie sich das nächste Mal persönlich sähen, hatte er ihr die Wahrheit so schonend wie möglich beigebracht. Zuerst hatte sie schockiert geschwiegen, dann aber gewohnt stoisch reagiert. Die einzige Frage, die sie ihm gestellt hatte, war die gewesen, ob er eine andere Frau kennengelernt hätte, und er hatte wahrheitsgemäß ja gesagt.
Die schreckliche Wahrheit war – es hatte sie anscheinend nicht mal wirklich überrascht.
Nach Ende des Gesprächs war er an Bord seines Flugzeuges gegangen und hatte dem Piloten Chicago als nächstes Ziel genannt. Dort gab es ein Unternehmen, das er schon seit längerem hatte besuchen wollen, und er hatte gedacht, der Trip lenke ihn vielleicht von seinen düsteren Gedanken ab. Doch es hatte eindeutig nicht funktioniert. Es tat ihm noch immer furchtbar leid, Blair derart verletzt zu haben, obwohl er den Verlust ihrer Freundschaft stärker bedauerte als den der intimen Beziehung zu der wunderbaren Frau.
Er machte die Haustür zu, stellte seine Aktentasche ab und lockerte seinen Schlips. Er brauchte einen Drink. Etwas zu essen.
Und wollte vor allem Callie sehen.
Er marschierte in die Küche und stieß dort mit Thomas zusammen, der gerade seine lederne Motorradjacke anzog, um zu gehen. Thomas erklärte ihm, dass seine Mutter ausgegangen wäre, und sein sorgenvoller Ton verriet, dass auch in Mercedes’ Welt eindeutig nicht alles in Ordnung war. Jack fragte nicht, warum. Schließlich hatte er im Augenblick zu viele eigene Probleme, über die er sich Gedanken machen musste, um auch noch für seine Mutter da zu sein.
Neben der Tür blieb Thomas noch mal stehen. »Oh, und Callie ist mit Gray Bennett ausgegangen.«
Jack wurde siedend heiß. »Ach, tatsächlich? Und wo sind die beiden hin?«
»Sie hat etwas vom Biba’s gesagt.« Thomas zögerte. »Kommst du allein zurecht?«
»Ja.« In seiner momentanen Stimmung wäre es für alle sicherer, wenn er alleine war.
Nachdem Thomas gegangen war, trat Jack nicht vor den Kühlschrank, sondern marschierte direkt weiter in sein Büro. Obwohl er einen Bärenhunger hatte, sehnte er sich stärker als nach Essen nach Vergessen, merkte er.
Als er in sein Arbeitszimmer kam, zog er seine Anzugjacke aus, hängte sie über die Rückenlehne eines Stuhles und trat vor die Bar. Auf dem Weg dorthin fiel sein Blick auf das zerbrochene Glas, das noch immer auf dem Boden lag. Er hasste es, wenn irgendwas in diesem Raum in Unordnung geriet. Deshalb wurde dort nur einmal in der Woche sauber gemacht, und er machte sich eine gedankliche Notiz, die Scherben selber zu entsorgen, bevor jemand hineintrat und zu Schaden kam.
Aber er täte es bestimmt nicht jetzt sofort.
Er griff nach einer randvollen Karaffe, einem großen Glas und beschloss, sich zu betrinken.
Denn das wäre der perfekte Abschluss eines grauenhaften Tages.
Er war bei seinem dritten Glas und fing gerade an, die Wirkung des Alkohols zu spüren, als er sich mit einem Mal daran erinnerte, das heute der fünfte Todestag von seinem Vater war.
Was erklärte, weshalb Thomas in Sorge um seine Mutter gewesen war.
Als Jack sein Glas abstellte, schlug er mit dem Ring an seinem kleinen Finger auf das harte Holz des Tischs, drehte seine Hand und sah sich das in das Metall eingravierte Wappen an. Den Ring hätte ein Nathaniel tragen sollen, weil er bisher immer von einem Nathaniel – einschließlich seines Vaters – getragen worden war.
Aber nach dem Tod Nathaniels des Sechsten hatte Nate der Siebte festgelegt, dass Jack ab jetzt den Ring tragen würde, da er in jeder Hinsicht das Familienoberhaupt wäre. Bis dahin hatte Jack abgesehen von seiner Sammlung an Manschettenknöpfen keinerlei Interesse an irgendwelchem Schmuck gehabt, aber das Tragen des Rings hatte sich vom ersten Tag an richtig angefühlt.
Als er auf die Kratzer und die Beulen in dem goldenen Schmuckstück sah und daran dachte, dass er diesen Ring als siebter Mann in der Familie trug, fiel ihm die letzte Begegnung mit seinem Vater ein. Es war der Abend vor seinem Tod gewesen. Sie hatten sich wie so oft gestritten, weil sein Vater wieder mal getrunken hatte und Jack entschlossen gewesen war, endlich einen Schlussstrich unter die großzügige finanzielle Unterstützung des Alten zu ziehen.
Seine Menschenfreundlichkeit hatte er über Jahre dadurch finanzieren können, dass er seinem Sohn für das von ihm erhaltene Geld irgendwelche Dinge überschrieb, aber jetzt war Nathaniel dem Sechsten nichts mehr geblieben, womit sich handeln ließ. Nachdem ihm auch der letzte Anteil ihres Hauses in Palm Beach übertragen worden war, hatte Jack ihm klargemacht, dass er zwar bereit wäre, den Lebensunterhalt des Vaters in einem vernünftigen Umfang weiterhin zu finanzieren, mit den großzügigen Schenkungen an irgendwelche Dritten dagegen wäre Schluss. Und eine Zeitlang hatte es tatsächlich funktioniert.
An dem Abend jedoch hatte ihm Nathaniel erklärt, er hätte dem MFA eine halbe Million Dollar zugesagt. Er hatte betont, dass er die Summe über mehrere Monate in kleineren Beträgen überweisen wollte, denn er hatte offenbar gedacht, dass sich seinem Sohn die großzügige Spende so ein bisschen leichter unterjubeln ließ. Und als sich Jack geweigert hatte, diese Zahlungen zu übernehmen, war sein Vater völlig ausgeflippt.
Selbst im günstigsten Fall wäre die Situation nicht leicht gewesen, aber es war zehn Uhr abends gewesen, fünf Stunden, nachdem sein Vater mit dem Trinken angefangen hatte, weshalb der Mann für rationale Argumente einfach nicht mehr zugänglich gewesen war. Als Jack den Raum hatte verlassen wollen, hatte Nathaniel ihn als blutrünstigen Kapitalisten tituliert, der die unglücklichen, weniger privilegierten Menschen dieses Landes gnadenlos im Regen stehen ließ.
Jack hatte seinem Vater in Erinnerung gerufen, dass er einzig deshalb noch in Buona Fortuna lebte, weil sein Sohn blutige Schlachten auf dem Kapitalmarkt schlug. Außerdem hatte er ihm erklärt, dass es im MFA nicht gerade viele unglückliche, unterprivilegierte Menschen gab und dass sein Vater, ginge es ihm wirklich um das Wohlergehen Armer, Kranker oder Schwacher, doch ehrenamtlich in einer Suppenküche oder einer Notunterkunft helfen sollte, wo man auf wirklich vom Schicksal gebeutelte Menschen traf.
Als ihn sein Vater daraufhin weiterbeleidigt hatte, hatte Jack endgültig genug davon gehabt, dasselbe Gespräch ein ums andere Mal zu führen, und war explodiert. Er hatte etwas in der Art gesagt, dass sein Vater in allem versagt hatte, außer darin, sich von den Leuten die Füße küssen zu lassen, denen an einem Teil des Walker’schen Vermögens gelegen war.
Damit hatte er den Streit erfolgreich beendet. Sein Vater hatte einen Moment lang betroffen geschwiegen, dann aber mit einer Bemerkung zurückgeschlagen, die Jack Zeit seines Lebens ebenso wenig vergessen würde wie den Ton, in dem sie ausgesprochen worden war.
Meine Söhne sind mein größter Misserfolg und für mich eine Quelle unendlicher Traurigkeit. Wobei dein Bruder wenigstens noch so anständig ist und sich kaum je hier blicken lässt.
Und am nächsten Tag war er gestorben.
Verdammt unschön, die Dinge so zurückzulassen, dachte Jack, hob erneut das Glas an seinen Mund und leerte es in einem Zug. Er konnte einfach nicht verstehen, wie sein Vater so viele Fremde hatte umarmen können, während er seinen eigenen Söhnen gleichzeitig mit einer derartigen Verachtung begegnet war. Aber manchmal ergaben die Dinge, die die Leute taten, eben einfach keinen Sinn. Das machten ihm seine eigenen Entscheidungen allmählich klar.
Er füllte sein Glas zum vierten Mal, legte die Beine auf den Tisch, und während er die Farbe des Alkohols betrachtete, hörte er vom anderen Ende des Hauses das Geräusch der Eingangstür und danach Stimmen im Flur.
Er stand auf, verließ sein Zimmer und sah, dass Callie mit Gray in der Eingangshalle stand. Jack wollte gerade etwas sagen, als sein Freud eine Hand auf ihre Schulter legte und sich zu ihr herunterbeugte.
Jack kniff die Augen zu, spürte ein Brennen im Bauch, das keine Folge seines Alkoholgenusses war, machte auf dem Absatz kehrt, ging zurück in sein Büro und wartete mit gespitzten Ohren auf das Geräusch der sich schließenden Eingangstür.
Als er es endlich vernahm, lief er eilig wieder in den Flur. Wahrscheinlich würde er gleich sehen, wie die beiden gemeinsam nach oben gingen, dachte er. Doch Callie war allein und zog in aller Ruhe ihren Mantel aus.
»Na, hast du dich amüsiert?«, fragte er sie bissig, während er vor sie trat.
Sie fuhr zu ihm herum und schob, als müsse sie sich erst mal sammeln, eine Strähne ihres Haars hinter ihr Ohr. »Du bist wieder da.«
Sie sah an ihm herauf, bevor ihr Blick am offenen Kragen seines Hemdes hängen blieb.
»Habe ich dir gefehlt?«, wollte er von ihr wissen. »Oder warst du anderweitig beschäftigt?«
Stirnrunzelnd sah sie auf das Glas in seiner Hand. »Seit wann trinkst du schon?«
Er blickte auf den Bourbon. »Schon eine ganze Weile.«
Sie hängte ihren Mantel über das Treppengeländer und trat auf ihn zu. »Ich glaube, du hast genug.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Was, glaubst du, wirst du dadurch erreichen, dass du dich bis zur Besinnungslosigkeit betrinkst?«
Sein Blick wanderte an ihr herab und wieder herauf, bis er an ihren Brüsten hängen blieb. »Vielleicht vergesse ich dich dann für eine Weile.«
Dann legte er den Kopf zurück und trank den nächsten großen Schluck.
»Gib mir das Glas, Jack«, bat sie sanft.
Als sie ihn weiter reglos ansah, kam er ihrer Bitte nach. Sie hatte recht. Dadurch, dass er sich betrank, würden seine Probleme nicht gelöst. Verdammt, dadurch würde er nur noch stärker an seinen Vater erinnert, und es würde die Chance erhöht, dass er irgendetwas Dummes tat.
Wie vor ihr auf die Knie zu fallen und sie anzuflehen, ihn zu nehmen und nicht seinen Freund.
Als sie an ihm vorbei in Richtung Küche ging, lief er ihr hinterher und verfolgte jede Bewegung, die sie machte, das elegante Wogen ihrer Hüften und der endlos langen Beine in dem schwarzen Rock. Sein Blut geriet in Wallung, doch ihm war bewusst, am besten zöge er sich umgehend zurück. Ginge in sein Schlafzimmer hinauf und schliefe auf der Stelle ein.
Denn in der Stille und der Dunkelheit des Hauses war das Einzige, woran er denken konnte, endlich mit dieser Frau ins Bett zu gehen. Aber wenn er ihr beweisen wollte, dass er ihrer auch nur ansatzweise würdig war, müsste er sich nicht wie ein Steinzeitmensch benehmen, sondern wie ein Gentleman.
Sie spülte sein Glas und fragte ihn leise. »Geht’s dir gut?«
Über das Rauschen des Wassers hinweg konnte er sie beinahe nicht verstehen.
»Ich könnte noch wesentlich betrunkener sein«, klärte er sie auf. »Eigentlich wollte ich mich bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lassen, aber bisher sehe ich noch nicht mal doppelt und kann auch noch aufrecht stehen.«
Callie zog ein Geschirrtuch aus der Schublade neben der Spüle und sah ihn, während sie das Glas abtrocknete, unter ihren Lidern hervor an. »Ich weiß, dass dies bestimmt ein schwerer Abend für dich ist.«
Er runzelte die Stirn, dachte daran zurück, dass Gray sie zum Abschied geküsst hatte, und vor lauter Eifersucht fiel seine Antwort schärfer als erwartet aus.
»Wie großmütig von dir. Die meisten Frauen hätten wahrscheinlich kein Mitgefühl mit einem Mann, der sechshundert Kilometer geflogen ist, um ihrer Konkurrentin das Messer in die Brust zu rammen.«
Jetzt runzelte sie die Stirn, als hätte sie sich verhört, dann aber sah sie ihm direkt ins Gesicht. »Ich werde dir diese Bemerkung durchgehen lassen, weil du zu viel getrunken hast. Und ich habe nicht von dem gesprochen, was heute zwischen dir und Blair vorgefallen ist, sondern davon, dass heute der Todestag von deinem Vater ist.«
Jack lehnte sich gegen den Türrahmen und fühlte sich wie ein Idiot.
Das Bedauern machte ihn wieder vollends nüchtern, und ihm wurde bewusst, dass er nur noch mühsam um Beherrschung rang. Sie war unglaublich sexy, wunderschön und stand kaum zwei Meter von ihm entfernt. Aus allen diesen Gründen kämpfte er gegen das grässliche Verlangen, sie an seine Brust zu ziehen und so lange zu küssen, bis sie sich nicht mehr daran erinnern könnte, wie Grays Kuss gewesen war.
Verdammt, bereits bei dem Gedanken daran, Callie zu berühren, wurde er steinhart.
»Ich glaube, du solltest jetzt besser gehen.«
»Warum?«
»Glaub mir einfach, dass es besser ist.«
»Weißt du, ich habe vor kurzem ebenfalls meinen Vater verloren«, sagte sie. »Und meine Beziehung zu ihm war alles andere als gut. Aber selbst wenn das Verhältnis schwierig war, kommt man über den Verlust eines Elternteils nicht so leicht hinweg.«
Fast hätte Jack gelacht. Es stimmte, er musste damit leben, dass es zwischen ihm und seinem alten Herrn jede Menge böses Blut gegeben hatte. Aber ein viel dringlicheres Problem stand hier direkt vor ihm und bedachte ihn mit einem sorgenvollen, mitfühlenden Blick.
Sie räusperte sich und fuhr fort: »Es gibt sehr viele Dinge, von denen ich mir wünschte, ich hätte sie meinem Vater gesagt, und sehr viele Antworten, die er mir nicht mehr geben kann. Was mich entsetzlich wütend macht und zugleich ungemein frustrierend ist. Ich weiß, dass es dir ähnlich geht, denn du wirkst ziemlich aufgewühlt, und ich habe nie zuvor erlebt, dass du so viel trinkst. Vielleicht solltest du mit jemandem darüber reden. Vielleicht hilft dir das.«
Bevor er wusste, was er tat, trat er entschlossen auf sie zu, legte eine Hand in ihren Nacken, die andere auf ihren Rücken und zog sie eng an sich. Er achtete darauf, sie spüren zu lassen, wie erregt er war, und versuchte gar nicht, sein Verlangen zu verbergen, als er ihr in die Augen sah.
»Ich bin nicht in der Stimmung für irgendein Gespräch, und meine schlechte Laune hat nicht das Geringste mit meinem toten Vater zu tun.« Er bedachte ihre Brüste mit einem vielsagenden Blick und stellte sich vor, wie sein Mund einen der Nippel fand, die er unter ihrem dünnen Wollpullover sah. Und dann stellte er sich vor, an ihrer Haut zu lecken, bis sie stöhnend seinen Namen sprach.
Callie musste schlucken und öffnete den Mund.
Er konnte sie praktisch schmecken, trat dann aber fluchend wieder einen Schritt zurück. Er musste mit ihr reden und nicht über sie herfallen wie ein wildes Tier. Wie sollte sie in ihm jemals etwas anderes als den Playboy sehen, wenn er nicht die Finger von ihr lassen konnte, sobald er im selben Zimmer war wie sie?
»Gottverdammt. Ich versuche, das Richtige zu tun. Wirklich.«
Sie verzog unglücklich das Gesicht. »Gegenüber Blair.«
»Nein. Ich habe die Verlobung heute gelöst. Ich versuche, dir gegenüber das Richtige zu tun.«
Sie starrte ihn mit großen Augen an. »Was hast du gesagt?«
»Dass ich die Verlobung gelöst habe.« Er trat noch einen Schritt zurück und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Als ihm drei Meter Abstand noch immer nicht reichten, trat er rückwärts durch die offene Tür.
Es folgte ein langer Augenblick der Stille. »Ist es wirklich vorbei? Zwischen euch beiden?«
»Ja. Es ist vorbei.«
»Warum«, wollte sie von ihm wissen, obwohl es nicht wie eine Frage klang.
Jack spürte, dass seine Antwort bestimmend für ihre Zukunft wäre, und wog seine Worte deshalb sorgfältig ab. Er wünschte sich, er könnte sich selber mehr vertrauen, denn er hätte sie am liebsten mit einer Reihe heißer Küsse überzeugt, doch sie hatte vollkommene Ehrlichkeit verdient.
»Ich habe sie nie geliebt. Das war mir von Anfang an bewusst. Ich dachte, Respekt und Freundschaft würden reichen, aber als ich dir begegnete, wurde mir klar, dass mir etwas fehlt.«
»Und was fehlt dir?«, hakte sie mit leiser Stimme nach.
Er stieß ein harsches Lachen aus. Am besten hielte er seinen verdammten Mund. Er hatte zu viel getrunken für ein derart schwieriges Gespräch. Wer konnte schon sagen, was für blödsinniges Zeug ihm herausrutschen würde, wenn er weitersprach. Wenn er zu ihr zum Beispiel »Ich liebe dich« sagen würde, nähme sie ihn garantiert nicht ernst.
Dabei lagen ihm genau diese drei Worte auf den Lippen.
Nein, am besten ginge er die Sache langsam an, gäbe ihr die Gelegenheit, in ihm etwas anderes als einen Mann, der immer zwischen zwei Extremen hin und her schwankte, zu sehen.
»Bitte, erwarte nicht, dass ich dir heute Abend irgendwas erkläre. Vor allem nicht, was ich empfinde«, bat er sie. »Weil ich mich im Augenblick einfach nicht richtig ausdrücken kann.«
»Vielleicht solltest du es trotzdem wenigstens versuchen.« Sie lehnte sich gegen die Arbeitsplatte, als ob ihre Beine jeden Augenblick den Dienst versagten.
Als er schwieg, sah sie ihn reglos an. »Ich kann einfach nicht glauben, dass ich dich das wirklich frage. Aber, Jack, was hat das zwischen uns alles zu bedeuten?«
Er dachte wieder an seinen Freund und an den Abschiedskuss, dessen Zeuge er geworden war.
»Macht es dir etwas aus, mir zu erzählen, wie es zwischen dir und Gray weitergehen soll?«, fragte er sie rau.
Sie wurde rot. »Er ist nicht der Richtige für mich.«
»Ich dachte, er wäre klug und attraktiv und hätte ein einnehmendes Wesen.« Gott, wie verhasst ihm diese Worte waren.
»Das sind viele andere Männer auch. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich mit einem von ihnen zusammen sein will.«
Jack stieß ein kurzes Lachen aus.
»Tja, dann, ich bin seit kurzem wieder zu haben und habe mindestens zwei von diesen Eigenschaften sicher nicht. In den letzten Wochen habe ich mich häufig furchtbar dämlich angestellt, und du hast den Großteil der Zeit damit verbracht, mich nicht ausstehen zu können – und zwar aus gutem Grund. Was die Attraktivität betrifft, kann ich nichts dazu sagen.« Er kam sich wie ein Arschloch vor und schüttelte den Kopf. »Oh, verflucht. Nur, damit du es weißt, ich rede augenblicklich jede Menge Mist.«
Callie sah ihn mit einem sanften Lächeln an. »Das ist okay. Ich finde dich sogar ziemlich nett, wenn du ein bisschen neben der Kappe bist.«
Er starrte ihr ins Gesicht.
Er konnte es nicht glauben, aber sie lächelte noch immer. Ihre straff gespannten Schultern machten deutlich, dass sie nach wie vor einen gewissen Argwohn hegte, allerdings deutete ihr offenes Gesicht an, dass es vielleicht wirklich völlig unverhofft doch noch eine Chance für ihn gab.
»Mein Gott, Callie. Ich will einfach nur mit dir zusammen sein«, erklärte er und suchte weiter nach den richtigen Worten. »Unbedingt. Und jetzt sofort. Du bist die einzige Frau, für die ich jemals so empfunden habe, und ich würde es wirklich gern mit dir versuchen. Ich weiß, ich habe viele Dinge fürchterlich vermasselt, aber ich würde trotzdem gern versuchen, dich glücklich zu machen. Himmel, ich möchte dir alles Mögliche versprechen, obwohl ich nicht erwarten kann, dass du meine Versprechen, nach allem, was du über mich weißt, auch glaubst.«
Dann verstummte er. Sie brauchte keine weiteren schmutzigen Details darüber zu hören, wie er bei seinem bisher einzigen Versuch, monogam zu sein, gescheitert war.
»Schon gut«, verblüffte sie ihn abermals. »Du musst mir nichts versprechen. Ich suche nicht nach irgendeiner Fantasie.«
Wieder wogte Hoffnung in Jack auf, und er klammerte sich daran fest. »Hör zu, ich weiß, ich bin nicht unbedingt der beste Kandidat, wenn du etwas Ernstes suchst.«
»Was du nicht sagst. Dabei hatte ich in Gedanken schon die Hochzeitsfeier geplant.«
Er sah sie reglos an, und angesichts des leichten Lächelns in ihrem Gesicht schmolz er vollends dahin.
Am liebsten hätte er die Arme nach ihr ausgestreckt, hielt sich aber auch weiterhin zurück. »Du lässt mich plötzlich an Dinge glauben, über die ich mich bisher immer lustig gemacht habe.«
»Wie den Weihnachtsmann?« Sie sah ihn mit blitzenden Augen an, und er lächelte zurück.
»Ich spreche von Liebe. Ewiger Liebe«, klärte er sie auf.
Sofort wich etwas von der Freude aus ihrem Gesicht. »Sag das nicht. Nicht in diesem Augenblick.«
Er öffnete den Mund, klappte ihn aber wieder zu, als sie sich von der Arbeitsplatte abstieß und erst einen und dann zwei Schritte in seine Richtung kam.
»Ich will jetzt nicht mehr reden«, murmelte sie rau.
Worauf Jacks Körper einfach explodierte.
Mit vor Unglauben und Dankbarkeit weit aufgerissenen Augen verfolgte er, wie Callie vor ihn trat, nahm all das rote Haar, die schlanken Hüften, die zierliche Taille überdeutlich war. Sie bewegte sich zielstrebig auf ihn zu. Gleichzeitig wirkte sie etwas schüchtern und knabberte an ihrer Lippen, während sie ihren Blick von seinem Gesicht auf seine Brust und wieder zurück zu seinen Augen wandern ließ.
Unschuld und rauer Sex-Appeal gingen bei ihr eine so teuflische Mischung ein, dass er einen trockenen Mund bekam.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, stellte sie leise fest.
Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. »Welche Frage?«
»Was genau dir fehlt.«
Und dann legte sie eine Hand auf seine Brust, direkt über seinem Herzen, das inzwischen wie ein Presslufthammer schlug.
Himmel, es hatten ihn schon jede Menge Frauen berührt, aber so hatte er sich dabei noch nie gefühlt. Als sie vor ihm stand und ihr Arm den Abstand zwischen ihnen überbrückte, hatte sie ihn völlig in der Hand. Sie könnte ihn mühelos zerstören, das wusste er.
Einfach, indem sie wieder ging.
»Du«, stieß er mit einem dumpfen Stöhnen aus. »Du … hast mir gefehlt.«
Dann neigte er den Kopf, um sie zu küssen, aber sie schob ihn von sich fort.
»Weißt du noch, als du von mir wissen wolltest, was für einen Mann ich gerne hätte?«
Er nickte mit dem Kopf.
»Nun, ich hätte gerne jemanden, der mich liebevoll und fürsorglich behandelt. Jemanden, der mich achtet, der für mich durchs Feuer geht und dem ich vorbehaltlos vertrauen kann.«
Jack verlagerte sein Gesicht nach hinten, doch sie legte die Hand in seinen Nacken und streichelte ihn sanft.
»Aber weißt du was? Diesen Mann habe ich nie gefunden. Kein Mann hat diese Kriterien auch nur ansatzweise erfüllt. Und ich werde nicht so tun, als wärst du dieser Mann. Weil es nämlich im wahren Leben nicht gerade viele romantische Helden gibt.« Sie hob ihre Hand an sein Gesicht, und er küsste ihre Handfläche. »Ich will dich.«
Er machte die Augen zu, denn diese drei Worte aus ihrem Mund waren verführerischer als jeder nackte Frauenkörper, den er je aus nächster Nähe betrachtet hatte.
»Jack, ich will nicht, dass du mir irgendwas versprichst, aber um einen Gefallen werde ich dich bitten.«
Er öffnete die Augen wieder und hoffte, das tun zu können, worum sie ihn auch immer bat. »Schieß los.«
»Lass es bitte mich wissen, wenn du das Interesse an mir verlierst, bevor die nächste Frau in dein Leben tritt.« Sie legte ihren Kopf zurück und schob ihren Mund dicht an ihn heran. »Ich werde das hier nur als kurze Affäre betrachten und habe deshalb auch keine weiter gehenden Erwartungen. Ich möchte nur meine Würde bewahren, okay?«
Er wollte ihr gerade widersprechen, als er das in ihren Augen aufflackernde Misstrauen sah. Natürlich würde sie ihm jetzt nicht glauben, wenn er ihr erklärte, dass er keine andere Frau mehr wollte, das wusste er.
»Gott, ja. Ich verspreche es.«
Stöhnend küsste er sie auf den Mund, schob seine Zunge zwischen ihre Zähne und zog sie an sich, woraufhin sie seine Schultern umklammerte und sich an ihn schmiegte. Er hob den Kopf und stieß, bereit, sie auf Knien anzuflehen, ihn endlich zu erhören, ein dumpfes Knurren aus.
»Oben?«
Nachdem sie genickt hatte, nahm er eilig ihre Hand und führte sie durchs Haus ins Rote Zimmer. Er hatte noch nicht einmal die Tür hinter sich zugemacht, da nahm er sie wieder in die Arme, küsste sie voller Inbrunst und zog sie eng an sich.
Er stieß mit einem Fuß gegen die Tür und hörte kaum den leisen Knall, mit dem sie zufiel, als er seine Hände unter ihren Pulli schob, ihn stöhnend nach oben zog und gleichzeitig die Schuhe von seinen Füßen schleuderte. Dann zog er den Pullover über ihren Kopf, warf ihn achtlos auf den Boden und machte die Augen zu, während er um einen Rest von Selbstbeherrschung rang.
Wenn er so weitermachte, wären sie noch halb bekleidet, wenn er in ihr käme, dachte er.
Sie schlang ihm die Arme um den Hals, zog seine Lippen abermals auf ihren Mund, und er schob sie rückwärts Richtung Bett. Unterwegs stießen sie gegen einen Stuhl, der gegen einen Tisch kippte, und Jack streckte schnell die Hand nach einer umfallenden Lampe aus. Ohne sich von ihrem Mund zu lösen, riss er sich das Hemd vom Leib, hatte aber die Manschettenknöpfe vergessen, weshalb er sich in den Ärmeln verhedderte.
Als er fluchend an den Ärmeln zerrte, bat ihn Callie lachend: »Hör auf zu kämpfen und lass mich das machen, ja?«
Er starrte an sich herab und hoffte nur, sie machte schnell. Nachdem sie ihn eilig von dem Stoff befreit hatte, murmelte er reuevoll: »Ich werde diese gottverdammten Dinger nie wieder benutzen. Und zum Teufel mit dem Hemd.«
Mit einem strahlenden Lächeln legte sie die goldenen Manschettenknöpfe auf den Tisch neben dem Bett. Das Hemd blähte sich auf, segelte wie eine weiße Wolke auf den Boden, und als ihr Blick auf seinen Körper fiel, hatte er mit einem Mal den Wunsch, langsamer zu machen, um keine Sekunde der Zeit je wieder zu vergessen, die ihm in dieser Nacht mit ihr beschieden war. Sie bedachte ihn mit einem Blick, als ob sie noch nie eine nackte Männerbrust gesehen hätte, und die Verwunderung in ihren blauen Augen gab ihm das Gefühl, als hätte er zum ersten Mal Sex mit einer Frau. Worauf auch noch der letzte Rest seiner Ungeduld verflog.
Dies würde keine schnelle Nummer, dachte er. Denn er wollte ganz richtig mit dieser Frau zusammen sein. Wollte sie gemächlich lieben. Ehrfurchtsvoll.
Doch als sie ihn auch weiterhin mit großen Augen ansah, empfand er wieder einen Teil der alten Dringlichkeit.
»Du bist wunderschön«, stieß sie mit einem erstickten Seufzer aus und hob, als wollte sie ihre Reaktion vor ihm verbergen, eine Hand an ihren Mund.
Worauf es vollends um ihn geschehen war.
»Komm her.«
Er nahm ihre Hand, setzte sich aufs Bett, zog sie zwischen seine Beine und blickte auf ihre hinter dünner weißer Spitze verborgene Brust, während ihr wohlgeformter Körper im weichen Licht der Lampe aufreizende Schatten warf.
Er legte ihr die Hände auf die Hüften, schob sie bis zum Saum des Rocks, den sie noch trug, glitt unter den Stoff, streichelte ihre Kniekehlen und spürte der Wärme ihrer Schenkel nach. Dann küsste er sie zärtlich auf den Bauch und suchte mit den Fingern den Reißverschluss des Kleidungsstücks.
Bevor der Rock, gefolgt von ihrer Strumpfhose, zu Boden fiel.
Er nahm sie wieder in den Arm, zog sie auf sich herab, fiel rücklings mit ihr aufs Bett, küsste sie begehrlich auf den Mund, rollte sich mit ihr herum und berührte zärtlich ihre Brust.
Als sie sich vor Verlangen zitternd an ihn klammerte, schob er den BH ungeduldig an die Seite und zog einen ihrer Nippel, während er ihr in die Augen blickte, sanft in seinen Mund. Sie spreizte ihre Beine, bäumte sich unter ihm auf, wirkte dabei aber derart überrascht, als wäre ihr das, was sie in diesem Augenblick empfand, vollkommen fremd.
Mit unsicheren Händen machte Jack den Büstenhalter auf, zog ihn ihr eilig aus, schob sich über sie und spürte, dass sie ihre Hände tief in seinem dichten Haar vergrub.
In dem Moment, in dem er ihre nackten Brüste und die Hitze ihres Leibes spürte, ahnte er, dass er nach dieser Nacht bestimmt nicht mehr derselbe wäre.
Was für ihn völlig in Ordnung war.