In Maubeuge

Teils aus Furcht vor unseren lieben Freunden, den königlichen Rudersportlern, teils aufgrund der Tatsache, dass sich zwischen Brüssel und Charleroi fünfundfünfzig Schleusen befanden, entschlossen wir uns, samt unseren Booten mit dem Zug über die Grenze zu fahren. Fünfundfünfzig Schleusen auf einer Tagesstrecke bedeuteten fast dasselbe, wie den ganzen Weg mit den Kanus auf den Schultern zu Fuß zurückzulegen, zum Erstaunen der Bäume am Kanalufer und als Zielscheibe des ehrlichen Spotts aller klugen Kinder.

Für den Kapitän der Arethusa ist das Überqueren der Grenze sogar in der Eisenbahn eine schwierige Angelegenheit. Auf die eine oder andere Art ist er für das Beamtenauge ein Gezeichneter. Wo immer er gerade unterwegs ist, versammeln sich die Würdenträger. Verträge werden feierlich unterzeichnet, Außenminister, Botschafter und Konsule thronen in Staatstracht von China bis Peru, und der Union Jack flattert in allen Himmelsrichtungen. Unter diesen Sicherheitsvorkehrungen strömen stattliche Kirchenmänner, Lehrerinnen, Herren in grauen Tweedanzügen und all die britischen Touristenhorden mit Murrays Reiseführer in der Hand ungehindert über die Gleise des Kontinents. Der schlanke Kapitän der Arethusa aber verfängt sich in den Netzen, während diese großen Fische lustig ihrer Wege ziehen. Reist er ohne Pass, wird er ohne Umschweife in widerliche Kerker geworfen. Sind seine Papiere in Ordnung, darf er tatsächlich weiterziehen, aber erst nachdem er durch allgemeine Misstrauensbekundungen gedemütigt wurde. Er wurde als Bürger Britanniens geboren, doch ist es ihm noch nie gelungen, einen einzigen Beamten von seiner Nationalität zu überzeugen. Er bildet sich ein, einigermaßen ehrlich zu sein, doch wird er selten für etwas Besseres als einen Spion gehalten, und es gibt keine absurden und anrüchigen Mittel, sein Brot zu verdienen, die man ihm im Fieber des amtlichen oder persönlichen Misstrauens noch nicht zugeschrieben hätte …

Ich kann das beim besten Willen nicht begreifen. Auch mich hat das Glockengeläut zum Kirchgang gerufen, auch ich habe mit redlichen Menschen gefeiert, doch hat das bei mir keine sichtbaren Zeichen hinterlassen. Durch Beamtenbrillen bin ich so fremd wie ein indischer Seemann. Ich könnte anscheinend aus jedem Teil der Welt stammen außer aus meiner Heimat. Meine Vorfahren haben vergeblich geschuftet, und die glorreiche Verfassung kann mich auf meinen Auslandsreisen nicht schützen. Glauben Sie mir: Es ist großartig, den Durchschnittstyp der Nation zu verkörpern, aus der man stammt.

Niemand sonst wurde auf dem Weg nach Maubeuge nach seinen Papieren gefragt – nur ich; und obwohl ich auf meinen Rechten beharrte, musste ich mich schließlich entscheiden, die Demütigung zu akzeptieren oder den Zug zu verlassen. Ich bedauerte meine Nachgiebigkeit, aber ich wollte nach Maubeuge.

Maubeuge ist eine befestigte Stadt mit einem ausgezeichneten Gasthof, dem Grand Cerf. Er schien hauptsächlich von Soldaten und Kaufleuten frequentiert zu werden, zumindest sahen wir außer den Hotelpagen niemanden sonst. Wir mussten einige Zeit bleiben, da die Kanus es nicht eilig hatten, uns zu folgen, und schließlich saßen sie im Zollhaus fest, bis wir uns aufmachten, sie zu befreien. Es gab nichts zu tun, nichts zu sehen. Wir bekamen gute Mahlzeiten, was großartig war, doch das war alles.

Der Kapitän der Cigarette erhielt beinahe den Auftrag, die Befestigungsanlagen zu zeichnen: eine Aufgabe, für die er vollkommen untauglich war. Und da ich außerdem annehme, dass jede kriegslüsterne Nation längst Pläne aller Befestigungen des Feindes besitzt, sind diese Vorkehrungen so viel wert, wie die Stalltür zu schließen, nachdem die Stute ausgebüxt ist. Doch bezweifle ich nicht, dass die Pläne dazu beitragen, die Leute zu Hause bei Laune zu halten. Es ist eine feine Sache, wenn man jemandem weismachen kann, dass er auf die eine oder andere Art in ein Geheimnis eingeweiht ist. Dann fühlt er sich bedeutender. Sogar die Freimaurer, die bis zum Überdruss bloßgestellt worden sind, bewahren sich so etwas wie Stolz; unter ihnen gibt es keinen Gemüsehändler, gleich wie ehrlich, harmlos und hohlköpfig er sich im Innersten fühlen mag, der nicht von der ungeheuren Wichtigkeit seiner Person überzeugt ist, wenn er von einer ihrer coenacula heimkehrt.

Es ist eigenartig, wie glücklich zwei Menschen, wenn es denn zwei sind, an einem Ort leben können, an dem sie keine Bekannten haben. Ich glaube, der Anblick einer ganzen Lebenswelt, an der man keinen Anteil hat, lähmt das persönliche Verlangen. Man ist mit der Rolle des Zuschauers vollauf zufrieden. Der Bäcker steht an seiner Tür, der Oberst mit seinen drei Tapferkeitsmedaillen geht abends ins café, die Soldaten trommeln und trompeten und besetzen mutig wie eine Horde Löwen die Stadtmauern. Es wäre eine sprachliche Herausforderung, zu berichten, wie friedvoll man dies alles betrachtet. An einem Ort, wo man Wurzeln geschlagen hat, wird einem die Gleichgültigkeit ausgetrieben, man hat eine Hand im Spiel, hat Freunde, die in der Armee kämpfen. Doch in einer fremden Stadt, die weder klein genug ist, um rasch mit ihr vertraut zu werden, noch groß genug, als dass sie auf Reisende eingerichtet wäre, hat der Trubel so wenig mit der eigenen Person zu tun, dass man gar nicht erst auf die Idee kommt, näher zu treten. Es ist so wenig menschliches Interesse spürbar, dass man vergisst, selbst ein Mensch zu sein. Vielleicht würde man nach kurzer Zeit aufhören zu existieren. Naturapostel gehen in den Wald, wo das Leben um sie herumwimmelt und das Abenteuer in jeder Himmelsrichtung wartet. Es wäre weitaus zweckdienlicher, wenn sie ihr Lager in einer öden Kleinstadt aufschlügen, wo sie gerade so viel von der Menschheit sehen, um den Wunsch nach mehr zu verhindern, und nur die schale Hülle des Erdenlebens erblicken. Diese Äußerlichkeiten erscheinen uns so leblos wie Formalitäten und sprechen zu unseren Augen und Ohren in ausgestorbenen Sprachen. Sie gehen über die Bedeutung eines Fluchs oder einer Begrüßung nicht hinaus. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, Ehepaare sonntags in die Kirche gehen zu sehen, dass wir vergessen haben, was sie verkörpern; und Schriftsteller werden dazu getrieben, nichts Geringeres als den Ehebruch zu rehabilitieren, wenn sie beweisen möchten, wie schön es für einen Mann und eine Frau ist, füreinander zu leben.

Ein Einwohner von Maubeuge aber zeigte mir etwas mehr als sein Äußeres. Es war der Omnibusfahrer des Hotels: Soweit ich mich erinnere, ein recht bösartig aussehender kleiner Mann, doch mit einem besonderen Funken Menschlichkeit in seiner Seele. Er hatte von unserer kleinen Reise gehört und trat gleich mit neidischer Verbundenheit an mich heran. Er erzählte mir, wie sehr er sich danach sehne, zu reisen! Wie sehr er sich danach sehne, irgendwo anders zu sein, die Welt zu umrunden, bevor er ins Grab sinke! »Hier bin ich«, sagte er. »Ich fahre zum Bahnhof. Schön. Und dann fahre ich zurück zum Hotel. Und so geht das jeden Tag und die ganze Woche. Herrgott, ist das ein Leben?« Ich konnte das nicht bejahen – nicht für ihn. Er drängte mich zu erzählen, wo ich gewesen bin und wohin ich noch zu reisen hoffe, und als er mir zuhörte, ließ der Bursche doch tatsächlich einen Seufzer vernehmen. Hätte er nicht ebenso gut ein tapferer Afrikaforscher sein oder auf den Spuren von Francis Drake in die Karibik segeln können? Doch für zigeunerhafte Naturen unter den Menschen ist dies ein schlechtes Zeitalter. Derjenige, dem es am besten gelingt, sich gerade auf einem dreibeinigen Hocker zu halten, erlangt Ruhm und Reichtum.

Ich frage mich, ob mein Freund immer noch den Omnibus für das Grand Cerf kutschiert. Ich denke, das ist eher unwahrscheinlich, vielmehr vermute ich, dass er kurz vor der Meuterei stand, als wir durchreisten, und womöglich hat unsere Begegnung seinen Entschluss gefestigt. Da ist es doch tausendmal besser, wenn er als Vagabund endet, Töpfe und Pfannen am Wegesrand repariert, unter Bäumen schläft und jeden Tag den Sonnenauf- und -untergang an einem neuen Horizont erblickt. Sie denken wohl, einen Omnibus zu fahren sei ein ehrenwerter Beruf? Nun gut. Welches Recht hat derjenige, der diesen ehrenwerten Beruf nicht ausstehen kann, ihn jenen auszureden, die ihn von Herzen mögen? Angenommen, eine Speise wäre nicht nach meinem Geschmack und Sie würden mir erzählen, es sei das Leibgericht aller anderen – was sollte ich daraus schließen? Vermutlich, dass ich es nicht aufessen sollte, wenn mein Magen dagegen ist.

Ehrwürdigkeit ist auf ihre Art etwas Gutes, doch ist sie innerhalb einer Gesamtbetrachtung nicht das Wichtigste. Ich würde keinen Augenblick wagen anzudeuten, dass es sich um eine Geschmacksfrage handelt, aber ich denke, ich könnte so weit gehen, Folgendes zu behaupten: Wenn ein Beruf zugegebenermaßen unangenehm, unbequem, unnötig, überflüssig und nutzlos ist, dann kann er so ehrenwert sein wie die Kirche von England, aber je eher ein Mann ihn aufgibt, desto besser für ihn und alle Beteiligten.