Der königliche Rudersportclub

In der Nähe von Laeken hörte es auf zu regnen. Doch die Sonne war bereits untergegangen, die Luft war eisig, und beide hatten wir keinen trockenen Faden am Leib. Nun, da wir uns fast am Ende der Allée Verte und direkt an der Schwelle von Brüssel befanden, wurden wir auch noch mit einem ernsten Problem konfrontiert. An den Ufern wartete eine lange Schlange Kanalboote darauf, durch die Schleuse zu kommen. Nirgendwo gab es eine passende Landestelle, nirgendwo war auch nur ein Stall in Sicht, in dem wir die Kanus über Nacht hätten unterbringen können. Wir krabbelten an Land und betraten ein estaminet, in dem ein paar traurige Gestalten mit dem Wirt zusammensaßen. Der Wirt behandelte uns ziemlich grob. Er kannte weder Kutschenhaus noch Scheune, nichts dergleichen, und als er merkte, dass wir nicht hereingekommen waren, um etwas zu trinken, zeigte er recht deutlich, dass er uns so schnell wie möglich loswerden wollte. Eine der Jammergestalten kam uns zu Hilfe. Er meinte, es gäbe irgendwo in einer Ecke des Schleusenbeckens eine Helling und noch etwas anderes, was er nicht klar beschreiben konnte, aber von seinen Zuhörern hoffnungsvoll ausgelegt wurde.

Es gab tatsächlich eine Helling in einem Winkel des Beckens, wo wir auf zwei freundlich aussehende Burschen in Rudersportanzügen trafen. Der Kapitän der Arethusa sprach die beiden an. Einer von ihnen meinte, es sei kein Problem, unsere Boote über Nacht unterzubringen, und der andere nahm eine Zigarette aus dem Mund und fragte, ob sie von »Searle & Son« gefertigt seien. Der Name war eine recht gute Empfehlung. Ein halbes Dutzend anderer junger Männer kam aus dem Bootshaus, das mit den Worten ROYAL SPORT NAUTIQUE beschildert war, und mischte sich in die Unterhaltung ein. Sie alle waren sehr höflich, gesprächig und enthusiastisch, und ihre Reden waren mit englischen Rudersportbegriffen, englischen Bootsbauern und englischen Clubs gespickt. Zu meiner Schande kenne ich keinen Ort in meinem Heimatland, in dem ich von ebenso vielen Leuten ebenso herzlich begrüßt worden wäre. Wir waren englische Rudersportler, und die belgischen Rudersportler fielen uns um den Hals. Ich frage mich, ob französische Hugenotten von englischen Protestanten ebenso liebenswürdig begrüßt wurden, als sie aus großer Not über den Ärmelkanal flohen. Aber immerhin: Welche Religion vermag die Menschen so eng zusammenzuschmieden wie eine weitverbreitete Sportart?

Die Kanus wurden ins Bootshaus getragen. Sie wurden für uns von den Club-Dienern abgespritzt, die Segel zum Trocknen aufgehängt, und alles wurde so ordentlich und sauber erledigt, wie man es sich nur wünschen konnte. In der Zwischenzeit wurden wir von unseren neugewonnenen Brüdern, denn so bezeichnete mehr als einer von ihnen unser Verhältnis, nach oben geführt, wo wir ihr Bad benutzen durften. Einer borgte uns Seife, ein anderer ein Handtuch, ein dritter und vierter half uns, die Taschen auszupacken. Und die ganze Zeit über unzählige Fragen, Respektbezeugungen und ein unglaubliches Mitgefühl! Ich muss gestehen, dass ich vorher keine Ahnung hatte, was Ruhm bedeutet.

»Ja, ja, der ›Royal Sport Nautique‹ ist der älteste Club in Belgien.«

»Wir haben zweihundert Mitglieder.«

»Wir« – das ist keine direkte Wiedergabe, sondern steht stellvertretend für all die Aussagen, die nach langen Gesprächen diesen Eindruck bei mir hinterlassen haben, und es wirkt auf mich jugendlich, freundlich, natürlich und patriotisch: »Wir haben alle Rennen gewonnen außer jenen, bei denen wir von den Franzosen betrogen wurden.«

»Ihr müsst alle eure nassen Sachen zum Trocknen hierlassen.«

»Oh! Entre frères! In jedem Bootshaus in England würden wir genauso behandelt.« (Ich hoffe von Herzen, dass es so wäre.)

»En Angleterre, vous employez des sliding-seats, n’est-ce pas?«

»Tagsüber arbeiten wir alle in Handelsfirmen, aber am Abend: Voyez-vous, nous sommes sérieux

Dies waren die Worte. Tagsüber waren alle mit den frivolen Handelsgeschäften Belgiens beschäftigt, doch am Abend fanden sie ein paar Stunden Zeit für die ernsten Dinge des Lebens. Womöglich habe ich eine falsche Vorstellung von Weisheit, aber ich halte das für eine überaus weise Bemerkung. Gewisse Literaten und Philosophen versuchen ihr Leben lang, überkommene Meinungen und falsche Maßstäbe loszuwerden. Es ist ihr Beruf, im Schweiße ihres Angesichts durch verbissenes Nachdenken ihre alten unverbrauchten Lebensansichten zurückzugewinnen und das, was sie wirklich und ursprünglich schätzen, von dem zu unterscheiden, was ihnen gewaltsam beigebracht wurde zu tolerieren. Und diese königlichen Rudersportler trugen den Unterschied recht deutlich lesbar in ihren Herzen. Sie hatten immer noch klare Vorstellungen von dem, was hübsch und was hässlich, was interessant und was langweilig ist, Vorstellungen, die neidische alte Herren gern als Illusionen bezeichnen. Die Alptraumillusion des mittleren Alters – die bärenhafte Umarmung der Gewohnheit, die allmählich das Leben aus der Seele eines Mannes quetscht – hatte für diese glückssternbeschienenen jungen Belgier noch nicht begonnen. Sie wussten noch, dass ihr Einsatz für ihre Geschäfte im Vergleich zu ihrer spontanen, langgehegten Liebe für den Rudersport eine banale Angelegenheit war. Seine eigenen Vorlieben zu kennen, anstatt amen zu allem zu sagen, was andere uns an Vorlieben vorschreiben wollen, bedeutet, die Seele am Leben zu halten. So jemand kann großzügig sein, er kann über die geschäftliche Bedeutung hinaus ehrlich sein, er kann seine Freunde mit einem frei gewählten, persönlichen Mitgefühl lieben und nicht nur als Zugabe zu dem Posten akzeptieren, der ihm zugeteilt wurde. Kurzum: Er kann sich von seinen Instinkten und seiner gottgewollten Natur leiten lassen, statt nur ein Rädchen im gesellschaftlichen Getriebe zu sein, das aus Gründen gefertigt wurde, die er nicht versteht, und zu Zwecken, die ihm gleichgültig sind.

Denn wer würde es wagen, mir zu erzählen, dass das Geschäftsleben kurzweiliger ist als das Herumalbern mit Booten? Wer so etwas sagt, hat noch nie ein Boot gesehen – oder noch nie ein Büro betreten. Und mit Sicherheit ist das eine wesentlich besser für die Gesundheit. Ein Mann sollte sich um nichts Wichtigeres kümmern müssen als um seinen Zeitvertreib. Als Gegenargument kann nur die Geldgier dienen; kein anderer als »Mammon, er, der gebeugteste der Geisterschar, die aus dem Himmel fiel«, wagte eine Antwort zu riskieren. Es ist verlogenes Geschwätz, den Kaufmann und den Bankier als selbstlose Kämpfer im Namen der Menschheit darzustellen, die dann am nützlichsten sind, wenn sie sich in ihre Arbeit stürzen, denn der Mensch ist wichtiger als seine Dienste. Wenn mein königlicher Rudersportler so weit von seiner hoffnungsvollen Jugend abgefallen ist, dass er sich nur noch für seine Buchführung begeistern kann, dann wage ich zu bezweifeln, dass er noch ein ebenso netter Kerl sein und mit solch gütiger Anmut ein paar durchnässte Engländer begrüßen würde, die in der Abenddämmerung nach Brüssel paddeln.

Als wir unsere nasse Kleidung gewechselt und ein Glas helles Ale auf das Wohl des Clubs getrunken hatten, begleitete uns einer der Rudersportler zu einem Hotel. Er hatte wohl keinen Hunger, aber nichts gegen ein Glas Wein einzuwenden. Begeisterung ist ziemlich ermüdend, und ich beginne zu verstehen, warum die Propheten in Judäa, wo man sie am besten kannte, unbeliebt waren. Drei geschlagene Stunden lang saß dieser vorzügliche junge Mann bei uns, um über Boote und Bootsrennen zu fachsimpeln, und bevor er ging, war er freundlich genug, Kerzen für unsere Schlafzimmer zu bestellen.

Immer wieder versuchten wir, das Thema zu wechseln, doch es gelang uns nicht einen Augenblick: Der königliche Rudersportler zügelte sich, scheute, antwortete auf die Frage und stürzte sich erneut kopfüber in die anschwellende Flut seines Lieblingsthemas. Ich nenne es sein Lieblingsthema, doch in Wirklichkeit war er ihm mit Leib und Seele verfallen. Der Kapitän der Arethusa, der alle Wettrennen für Teufelszeug hält, befand sich in einem traurigen Dilemma. Er wagte nicht, sein Unwissen über die Ehre Altenglands preiszugeben, und plapperte über englische Clubs und englische Ruderer, von dessen Ruhmestaten er nie zuvor gehört hatte. Einige Male und insbesondere als es um die Frage der Rollsitze ging, hätte er sich um Haaresbreite verraten. Was den Kapitän der Cigarette anging, der in der Hitze seines Blutes Ruderrennen bestritten hatte, nun aber diese Ausrutscher seiner wilden Jugend verleugnete, so war sein Fall noch verzweifelter. Denn der königliche Rudersportler bot ihm für den folgenden Tag einen Platz in einem ihrer Achter an, um den englischen mit dem belgischen Schlag zu vergleichen. Ich konnte meinen Freund in seinem Sessel schwitzen sehen, wann immer die Sprache darauf kam. Und es gab noch einen anderen Vorschlag, der auf uns beide dieselbe Wirkung hatte. Anscheinend war der Europameistertitel im Rudern (wie die meisten anderen Titel) an ein Mitglied des königlichen Rudersportclubs gegangen. Und wenn wir nur bis nächsten Sonntag warteten, dann würde sich dieser infernalische Ruderer dazu herablassen, uns bis zur nächsten Etappe zu begleiten. Keiner von uns verspürte auch nur den geringsten Wunsch, die Rennpferde der Sonne gegen Apollo antreten zu lassen.

Nachdem der junge Mann gegangen war, ließen wir unsere Nachtkerzen zurückgehen und bestellten Brandy-Soda. Die großen Wogen waren über uns hinweggerollt. Die königlichen Rudersportler waren so nette junge Burschen, wie man es sich nur wünschen konnte, für unseren Geschmack nur waren sie ein bisschen zu jung und ein klein wenig zu sportlich. Wir begriffen allmählich, dass wir alt und zynisch waren. Wir mochten Unbefangenheit und das freundliche Umherstreifen des menschlichen Verstandes in diesen und jenen Themenbereichen. Wir wollten unserem Vaterland keine Schande bereiten, indem wir einen Achter versenkten oder kläglich im Kielwasser eines Ruderchampions strampelten. Kurzum: Wir ergriffen die Flucht. Es schien undankbar, aber wir versuchten es mit einer Postkarte voll aufrichtiger Komplimente wiedergutzumachen. Wir hatten wirklich keine Zeit für Skrupel. Uns war, als spürten wir den heißen Atem des Champions schon im Nacken.