Das Ende des Regenbogens

Fanny Vandegrift Stevenson

 

»Wir sind weit weg von zu Haus«, murmelte ein sterbender Schotte, als mein Mann ihn am Boden einer Eingeborenenhütte auf einer der Inseln der Tukalau-Gruppe fand. Es scheint sonderbar, dass der Schotte, dessen Heimatliebe nur mit der des Schweizers vergleichbar ist, der größte Wanderer auf dem Antlitz der Erde sein sollte, abgesehen vom Juden, der zumindest die Ausrede hat, zu einem Volk ohne Land zu gehören.

Mein Mann wurde mit der schottischen Sehnsucht nach dem »Ende des Regenbogens« geboren. Schon in seinem Kinderzimmer zerrte er an den Haltestricken und war immer dann am glücklichsten, wenn ihm erlaubt wurde, seine Mutter auf ihren Reisen nach Südfrankreich zu begleiten. Dort, in Menton, erwarb das Kind einen Akzent und ein Vokabular, die ihn für den Rest seines Lebens begleiteten. Er hatte nur spärliche Kenntnisse in französischer Grammatik (wie eigentlich in jeder Grammatik), sprach den Dialekt jedoch so freimütig und präzise, dass er überall in Frankreich als Einheimischer akzeptiert wurde, der lediglich aus einer anderen Provinz stammte. Eines Tages in Nizza, von einem langen Spaziergang erschöpft, kehrte er in einer armseligen Spelunke ein. Ein paar schurkisch aussehende Kerle am Nachbartisch schwiegen plötzlich, musterten ihn einige Augenblicke scharf, lauschten seiner Bestellung und fuhren dann in ihren Gesprächen fort, wohl wissend, dass sie nichts zu befürchten hatten. Sie sprachen über ihren Hass auf die Engländer und den Plan, den ersten Engländer, der das Lokal betrat, zu vergiften und auszurauben.

Als der Knabe zum Mann wurde, machten ihm die schottische Rastlosigkeit und seine eigene Abenteuerlust ein untätiges Leben schier unerträglich. Nur das Wissen, dass es seinem Vater das Herz brechen würde, hielt ihn davon ab, dem Rat von Mr. Seed (dem späteren Regierungsbeamten in Neuseeland) zu folgen und zu den Inseln von Samoa zu reisen. Wie er die Überfahrt hätte bezahlen wollen, kann ich mir nicht vorstellen, da nicht nur der kleine Betrag an Taschengeld, den sein Vater ihm gewährte, für diesen Zweck unzureichend gewesen wäre, sondern er auch noch einen kranken Freund im Hospital hatte, dessen Wohlergehen von jener winzigen Summe abhing. Lange Zeit war er gezwungen, sich mit Phantasiereisen zufriedenzugeben. Gegen Ende seines Lebens fand er das größte Vergnügen am Studium von Karten, insbesondere Straßenkarten. Wie Branwell Brontë, über den er nie ohne Mitgefühl sprechen konnte, brütete er gern über Karten und machte imaginäre Reisen. Ebenso wie der junge Brontë kannte er die Abfahrtzeiten der Züge in London und Paris und wusste, wann Passagierschiffe die englischen und französischen Häfen verließen. »Armer Käfigvogel!«, rief er. »Erinnere ich mich denn nicht an die Zeit, als ich selbst am Bahnhof herumgeisterte, um einen Zug nach dem anderen, vollbesetzt mit Reisenden, in die Nacht ziehen zu sehen und auf den Fahrplänen die Namen ferner Orte mit unbeschreiblicher Sehnsucht zu lesen?«

In seinen frühen Zwanzigern entspannte sich die strenge elterliche Disziplin ein wenig, und dem Sohn, dessen labiler Gesundheitszustand die von seiner Mutter geerbte Schwäche zeigte, wurde mehr Freiheit zugestanden. 1872 schickte man ihn mit Sir Walter Simpson nach Deutschland auf Urlaubsreise, und 1873, nach einem Anfall von Diphtherie, verschrieb ihm Dr. Andrew Clarke einen Aufenthalt in Südfrankreich. Diese Reise wurde nur durch das Eingreifen von Mr. Sidney Colvin möglich, der mit dem gutaussehenden, scharfsinnigen jungen Mann bereits Freundschaft geschlossen hatte, die ein Leben lang halten sollte.

Sir Walter Simpson, Sohn des berühmten Arztes, war ein zurückhaltender, bedächtiger Mann, der erst dann eine Entscheidung treffen konnte, wenn er die Frage von allen Seiten sorgfältig untersucht hatte. Er war ungemein ehrlich und beurteilte andere mit außergewöhnlicher Milde. Tatsächlich grenzte seine Nachsicht gegenüber den Fehlern der Mitmenschen fast an Zynismus. Er war ein loyaler Freund und besaß jene seltenen Qualitäten, die einen Mann zu einem guten Reisegefährten machen. Die enge Beziehung zwischen ihm und Louis Stevenson begann, als sie beide die Universität in Edinburgh besuchten, und wurde durch ihre gemeinsame Liebe zum Meer gefestigt. Die beiden hatten in einem Boot, das Sir Walter gehörte, schon mehrere kleine Kreuzfahrten entlang der schottischen Küste unternommen, als die Kanufahrt geplant wurde.

Inzwischen hatte Louis Stevenson ein kleines Zeichen in der Literatur gesetzt und mit dem Schreiben von Zeitschriftenartikeln etwas Geld verdient, so dass er sich in der Lage fühlte, die Reisekosten der geplanten Flussfahrt, zumindest in einem sehr bescheidenen Rahmen, bestreiten zu können; außerdem hoffte er, einen Bericht zu schreiben, mit dessen Erlös er eine zweite Reise finanzieren wollte. Für dieses Buch, Das Licht der Flüsse, erhielt er von Mr. Kegan Paul einen Betrag von zwanzig Pfund. Doch auch seine Gesundheit hatte sich verbessert, und er hatte einiges über die Eigenheiten der französischen Bauern und Dorfbewohner gelernt.