Der junge Stevenson

Lloyd Osbourne

 

In dem alten Wirtshaus in Grez-sur-Loing sah ich Robert Louis Stevenson zum ersten Mal. Ich war acht Jahre alt, ein barfüßiges Kind mit zerzaustem Haar, das in jener Gesellschaft von Künstlern »Fischchen« gerufen wurde. Obwohl ich an der langen table d’hôte saß, war ich viel zu unbedeutend, um von diesem wundervollen Neuankömmling bemerkt zu werden, dessen Ankunft solch einen Aufruhr erzeugt hatte.

Aber nach dem Essen, als wir alle hinunter zum Flussufer pilgerten, um die Cigarette und die Arethusa anzusehen – die beiden Kanus, die gerade ihre Flussfahrt beendet hatten –, erlaubte mir der Fremde, mich in sein Boot zu setzen, und machte sich zu meinem Vergnügen sogar die Mühe, den kleinen Mast aufzustellen und das Segel zu setzen. Ich war sehr geschmeichelt, so ernst genommen zu werden – Stevenson machte Kindern stets das Kompliment, sie ernst zu nehmen, auch wenn in seinen strahlenden braunen Augen ein schalkhaftes Licht tanzte –, und ich verlieh ihm sofort einen Ehrenplatz in meiner Wertschätzung.

Während die anderen redeten, bewunderte ich ihn schweigend. Er war groß und schlank, mit hellbraunem Haar, einem dünnen goldblonden Schnurrbart und einem schönen gesunden Teint; er war so fröhlich und lebhaft, dass er bei allen Lachanfälle verursachte. Er trug eine komisch aussehende kleine runde Kappe, wie sie früher bei Schuljungen in England üblich war, ein weißes Flanellhemd, dunkle Hosen und sehr hübsche Schuhe. Stevenson hatte überaus wohlgeformte Füße, sie waren lang und schmal, mit hohem Rist und Spann, und er war sehr stolz auf sie. Auch wenn er oft nachlässig angezogen war, seine Schuhe waren stets elegant. Ich erinnere mich, von seiner Kleidung sehr beeindruckt gewesen zu sein, die sich stark von der seines Cousins Bob unterschied, der vor ihm nach Grez gekommen war und den ich schon recht gut kennengelernt hatte. Bob trug ein zerschlissenes blaues Baumwollhemd, so wie es die Fischer trugen, Hosen, aus denen nicht nur Sherlock Holmes schließen konnte, dass er Landschaftsmaler war, und Holzschuhe, die sich in einem etwas besseren Zustand befanden.

All diese Burschen – denn viel mehr waren sie nicht – waren mit Haut und Haar dem Zauber des vie de bohème verfallen; sie wollten arm, leichtsinnig und sorglos sein und waren eifrig darauf bedacht, als Ausgestoßene und Rebellen zu gelten. Einer der Amerikaner, der eine üppige Rente bezog, hatte Vergnügen daran, sich in einen alten Gehrock und einen Fez zu kleiden. Ein anderer, der ebenfalls ein beträchtliches Vermögen besaß, trug stets teure Ringe, die er mit dem größten Vergnügen verpfändete. Doch für einige war die Armut keine Maskerade und bitter genug. Ich bezweifle, dass der arme kleine Bloomer mehr als ein Hemd zum Wechseln hatte oder auch nur genug Knöpfe für seinen einzigen schäbigen Anzug. Einmal wurde ihm der Eintritt in die Galerie Luxembourg verwehrt, weil er »unwürdig gekleidet« war. Das hätte eine wunderbare Anekdote abgeben können, doch Bloomers zartes, gefühlvolles Gesicht verzog sich jedes Mal, wenn man sie in seiner Gegenwart wiederholte.

Bei ihnen allen war es Brauch, über die Respektablen und Wohlhabenden herzuziehen. Stevensons Lieblingsausdruck war »ein einfacher Bankier«, so wie man jemanden als einfachen Arbeiter bezeichnet. »Aber sogar ein einfacher Bankier würde bei so einer Sache wortbrüchig werden!« – »wortbrüchig« war ein weiterer Lieblingsausdruck. Ich bekam den Eindruck, dass Leute mit guter Kleidung, mit Geld in den Taschen und schönen großen Häusern irgendwie anrüchig waren und von ganzem Herzen verachtet werden sollten. Sie gehörten einem seltsamen Volk an, das man Philister nannte, und mussten streng in ihre Schranken gewiesen werden. Wenn einer von ihnen es gewagt hätte, im Hôtel Chevillon einzukehren, hätte er sich in ein Hornissennest gesetzt.

Stevenson sagte immer, er hoffe, in einem Straßengraben zu sterben. Er muss sich darüber wortreich und mitsamt seinem unvergleichlichen Humor ausgelassen haben, denn obwohl ich die Einzelheiten vergessen habe, ist mir das Bild von ihm als einem weißhaarigen und dahinscheidenden Wanderer unauslöschlich im Gedächtnis geblieben. Es bereitete mir einigen Kummer, dass dies sein Ende sein sollte, während einfache Bankiers in glitzernden Equipagen blindlings und verächtlich vorbeiklimperten. Doch die Tragödie, die Bob überschattete, war noch schlimmer. Bob hatte seine bescheidene Erbschaft in zehn gleiche Teile geteilt, und nachdem er diese Jahr für Jahr ausgegeben haben würde, wollte er Selbstmord begehen. Ich habe ihm nie dabei zugesehen, wie er ein paar Münzen für Tabak ausgab, ohne das ungute Gefühl, er hätte soeben sein Leben verkürzt.

So jung ich auch war, blieb es mir nicht verborgen, dass Stevenson und meine Mutter eine große Zuneigung zueinander empfanden oder vielmehr endlos zu beiden Seiten des Esszimmerofens saßen und redeten, während alle anderen draußen, unter großen weißen Schirmen, auf den Wiesen und in den Wäldern, ihren Beschäftigungen nachgingen. Ich gewöhnte mich daran, sie als ständiges Paar zu betrachten, und auf eine merkwürdige, kindliche Weise schien es mich glücklich zu machen. Ich hatte Luly Stevenson, wie ich ihn nannte, zu lieben begonnen. Er pflegte mir aus Pilgrim’s Progress und Tales of a Grandfather vorzulesen und Geschichten zu erzählen, die er sich selber ausgedacht hatte. Er gab mir ein Gefühl der Geborgenheit und Wärme, und obwohl ich viel zu schüchtern war, um es laut auszusprechen, war er der Figur Großherz in dem Buch so ähnlich, dass ich ihm insgeheim diesen Namen gab.

Als der Herbst in einen frühen Winter überging und es für uns an der Zeit war, nach Paris zurückzukehren, war ich überglücklich, als meine Mutter mir sagte: »Luly kommt auch mit.«