Auf dem Sambre-Kanal nach Quartes

Gegen drei Uhr nachmittags begleitete uns das gesamte Personal des Grand Cerf zum Flussufer. Der Omnibusfahrer zeigte einen gequälten Ausdruck. Armer Käfigvogel! Erinnere ich mich denn nicht an die Zeit, als ich selbst am Bahnhof herumgeisterte, um einen Zug nach dem anderen, vollbesetzt mit Reisenden, in die Nacht ziehen zu sehen und auf den Fahrplänen die Namen ferner Orte mit unbeschreiblicher Sehnsucht zu lesen?

Wir hatten die Festungsanlagen noch nicht verlassen, als es zu regnen begann. Es herrschte Gegenwind, der in wilden Sturmböen wehte, und auch die anderen Aspekte der Natur waren nicht gnädiger als die Machenschaften des Himmels. Wir durchquerten einen öden Landstrich, der spärlich mit Buschwerk bedeckt, dafür aber nett mit Fabrikschornsteinen durchzogen war. Wir landeten an einer schmutzigen Wiese mit einigen Baumstümpfen und rauchten dort eine Pfeife, als sich das Wetter zwischendurch besserte. Doch der Wind war so heftig, dass wir kein Feuer machen konnten. Es gab keine natürlichen Sehenswürdigkeiten in der Umgebung, nur ein paar schäbige Werkstätten. Eine Kinderschar, angeführt von einem großen Mädchen, stand da und beobachtete uns während unseres ganzen Aufenthalts aus nächster Nähe. Ich frage mich wirklich, was sie über uns dachten.

Bei Hautmont war die Schleuse beinahe unpassierbar. Die Landestelle war steil und hoch, und die Rampe lag weit entfernt. Ein gutes Dutzend schmutziger Arbeiter half uns. Sie lehnten jede Bezahlung ab, und – was noch viel besser ist – sie lehnten sie freundlich ab, ohne das Gefühl zu vermitteln, beleidigt zu sein. »So ist das hier bei uns auf dem Land Brauch«, sagten sie. Und es ist ein sehr anständiger Brauch. In Schottland, wo einem ebenfalls ohne Gegenleistung geholfen wird, lehnen die zuvorkommenden Leute dein Geld ab, als ob man versucht hätte, ihre Stimme für eine Wahl zu kaufen. Wenn jemand sich zu ehrenamtlicher Tätigkeit bereit erklärt, sollte er noch ein wenig mehr geben und darauf achten, dass allen die Würde erhalten bleibt. Doch in unseren wackeren Sachsenländern, wo wir siebzig Jahre im Schlamm schuften und der Wind uns von der Wiege bis zur Bahre in den Ohren heult, vollbringen wir unsere guten und bösen Taten selbstherrlich und beinahe aufdringlich, und sogar unsere Almosen spenden wir demonstrativ und als Kriegserklärung gegen das Unrecht.

Nach Hautmont kam die Sonne wieder zum Vorschein, der Wind flaute ab. Ein paar Ruderschläge entfernten uns von den Eisenhütten und brachten uns in ein Schlaraffenland. Der Fluss schlängelte sich zwischen niedrigen Hügeln, so dass die Sonne abwechselnd hinter uns und direkt vor uns stand, und der Fluss war eine einzige Fläche aus unerträglichem Glanz. Auf beiden Seiten säumten Wiesen und Obstgärten die Ufer, während am Rand des Flusses Riedgras und Wasserlilien wuchsen. Die Hecken waren hoch und rankten sich um die Stämme der Ulmen. Die Felder, da sie häufig sehr klein waren, versprachen eine Reihe von schattigen Plätzen entlang des Stromes. Es gab keine großen Aussichten, manchmal ragte der Gipfel eines Hügels mit seinen Bäumen über die nächste Hecke und bildete den Mittelgrund zum Firmament, doch das war alles. Der Himmel war wolkenlos. Nach dem Regen war die Luft von beglückender Reinheit. Der Fluss mäanderte zwischen den kleinen Hügeln wie ein schimmerndes Band aus Spiegelglas, und das Eintauchen der Ruder ließ die Blumen am Ufersaum schwanken.

Auf den Wiesen wanderte Vieh, das mit schwarzen und weißen Flecken phantastisch gemustert war. Ein Tier mit weißem Kopf und schwarz glänzendem Körper kam zum Trinken ans Ufer und drehte mir, als ich vorüberfuhr, feierlich die Ohren zu, fast wie ein lächerlicher Kirchenmann in einem Theaterstück. Kurz darauf hörte ich ein lautes Platschen, und als ich mich umdrehte, sah ich den Kirchenmann ans Ufer strampeln. Der Damm hatte unter seinen Hufen nachgegeben.

Neben dem Vieh sahen wir keine lebenden Wesen außer ein paar Vögeln und jede Menge Fischer. Sie saßen entlang der Wiesenränder, manchmal mit einer, manchmal mit bis zu zehn Angelruten. Sie schienen vor lauter Zufriedenheit wie betäubt; und wenn wir sie dazu brachten, ein paar Worte mit uns über das Wetter zu wechseln, klangen ihre Stimmen leise und weit entfernt. Unter ihnen kursierte eine befremdliche Vielzahl unterschiedlicher Meinungen über die Fischsorten, nach denen sie ihre Köder ausgeworfen hatten, obwohl sie alle darin übereinstimmten, dass die Bestände des Flusses überaus reich waren. Es war offensichtlich, dass nicht zwei von ihnen je dieselbe Sorte Fisch gefangen hatten, und wir konnten nicht umhin, den Verdacht zu hegen, dass womöglich keinem von ihnen jemals ein Fang gelungen war. Weil der Nachmittag so schön war, hoffe ich allerdings, dass sie alle miteinander belohnt wurden und dass aus jedem Korb ein silbriger Fang zu Hause in den Kochtopf wanderte. Einige meiner Freunde würden mir diesen Wunsch übelnehmen, doch mir ist ein Mensch, auch wenn es sich nur um einen Angler handelt, lieber als das tapferste Kiemenpaar in allen Gewässern Gottes. Ich habe keine besondere Vorliebe für Fische, es sei denn, sie werden in Soße serviert. Ein Angler hingegen ist ein wichtiger Bestandteil einer Flusslandschaft und verdient daher die Anerkennung aller Kanufahrer. Er kann stets auf ruhige Art erzählen, wo man sich befindet, und seine friedliche Gegenwart betont die Einsamkeit und die Stille und erinnert an die glitzernden Wasserbewohner unter dem Boot.

Die Sambre schlängelte sich so eifrig um die kleinen Hügel, dass es bereits nach sechs war, als wir der Schleuse bei Quartes näher kamen. Auf dem Treidelpfad liefen einige Kinder neben uns her, mit denen der Kapitän der Cigarette ein paar Neckereien tauschte. Ich warnte ihn vergeblich. Vergeblich sagte ich ihm auf Englisch, dass Knaben die gefährlichsten Kreaturen seien und dass, wenn man sich einmal mit ihnen eingelassen habe, es garantiert mit einem Steinhagel ende. Wann immer sie mich ansprachen, lächelte ich sanft und schüttelte den Kopf, als sei ich eine harmlose Person mit unzureichenden Französischkenntnissen. Denn ich hatte zu Hause tatsächlich die Erfahrung gemacht, dass ich lieber einer Schar wilder Tiere begegnen würde als einer Bande munterer Bengel.

Doch ich war zu diesen friedlichen Hennegauern ungerecht. Während der Kapitän der Cigarette fortging, um Erkundigungen einzuholen, ließ ich mich auf dem Damm nieder, um eine Pfeife zu rauchen und auf die Boote aufzupassen, und war bald der Mittelpunkt sympathischer Neugier. Inzwischen hatten sich eine junge Frau und ein sanftmütiger Bursche, der einen Arm verloren hatte, zu den Kindern gesellt, was mir Sicherheit gab. Als ich mein erstes französisches Wort über die Lippen brachte, nickte ein kleines Mädchen auf komische, altkluge Weise mit dem Kopf. »Ah, da seht ihr’s«, sagte sie. »Jetzt versteht er uns doch. Er hat nur so getan.« Und die kleine Versammlung lachte gutmütig.

Sie waren sehr beeindruckt, als sie hörten, dass wir aus England kamen, und das kleine Mädchen lieferte die Information, England sei eine Insel »und sehr weit weg – bien loin d’ici«.

»Ja, das kann man wohl sagen, sehr weit weg«, sagte der einarmige Bursche.

Mein Heimweh wurde groß, vielleicht größer als je zuvor in meinem Leben. Aus ihrer Sicht schien der Ort, an dem ich das Licht der Welt erblickt hatte, unermesslich weit fort zu sein. Sie bewunderten die Kanus ausgiebig. Und ich beobachtete an den Kindern eine bemerkenswerte Art von Schüchternheit. Während der letzten hundert Meter hatten sie uns immer wieder lautstark gebeten, in unseren Booten mitfahren zu dürfen; ja, und am nächsten Morgen, bevor wir aufbrachen, hörten wir dasselbe Lied. Doch dann, als die Kanus fertig vor uns lagen, war die Bitte vergessen. Schüchternheit? Oder vielleicht ein wenig Angst vor dem Wasser in so einem winzigen Gefährt? Ich hasse Zynismus noch viel mehr als den Teufel, es sei denn, die beiden sind ein und dasselbe. Und doch ist er ein gutes Stärkungsmittel, die kalte Wanne und das Badetuch der Gefühle, und wirklich lebensnotwendig in Fällen extremer Empfindsamkeit.

Nach den Booten bewunderten sie meine Kleidung. Von meinem roten Halstuch konnten sie gar nicht genug bekommen, und mein Messer erfüllte sie mit Staunen.

»So werden sie in England gemacht«, sagte der einarmige Junge. Ich war froh, dass er nicht wusste, wie schlecht sie heutzutage in England gefertigt werden. »Sie sind für Leute gemacht, die zur See fahren«, fügte er hinzu, »um ihr Leben gegen große Fische zu verteidigen.«

Ich spürte, dass ich für die kleine Gruppe mit jedem weiteren Wort eine romantischere Figur wurde. Und wahrscheinlich war ich wirklich eine. Sogar meine Pfeife, obwohl es sich um eine gewöhnliche französische Tonpfeife handelte, die – wie sie es nennen – recht gut »geschwärzt« war, schien für sie eine Kostbarkeit zu sein, weil sie von so weit her kam. Und obwohl meine Schreibfedern eigentlich nicht die besten waren, kamen sie doch aus Übersee. Etwas an meiner Ausstattung reizte sie jedoch über die Grenzen aller Höflichkeit hinaus, und zwar der verschmutzte Zustand meiner Segeltuchschuhe. Vermutlich dachten sie, der Schlamm sei mit Sicherheit ein Produkt meiner Heimat. Das kleine Mädchen (das Genie der Gesellschaft) präsentierte zum Vergleich seine eigenen Holzschuhe, und ich wünschte, Sie hätten sehen können, wie glücklich und anmutig sie das machte.

Die Milchkanne der jungen Frau, eine große Amphore aus gehämmertem Messing, stand ein Stück weit entfernt auf der Wiese. Ich freute mich über die Gelegenheit, die öffentliche Aufmerksamkeit von mir abzulenken und einige der Komplimente, die ich erhalten hatte, zurückzugeben. So bewunderte ich Form und Farbe der Kanne und sagte ihnen voller Aufrichtigkeit, sie sei schön wie Gold. Das überraschte sie nicht. Die Dinger waren offenkundig der Stolz dieses Landstrichs. Und die Kinder erklärten weitschweifig, wie teuer diese Amphoren seien, die manchmal bis zu dreißig Francs das Stück kosteten, erzählten mir, wie sie auf Eseln transportiert würden, eine auf jeder Seite des Sattels, jede für sich genommen schon ein stattliches Gerät, und wie man sie im gesamten Bezirk sehen könne und dass es auf den größeren Bauernhöfen sehr viele und sehr große von ihnen gebe.