Die Oise hinunter: Nach Moy

Anfangs betrog uns Carnival aus Gewohnheit. Als er merkte, dass wir sorglose Gesellen waren, bedauerte er, dass er uns so billig hatte davonkommen lassen; er nahm mich beiseite und erzählte mir ein Ammenmärchen mit der Moral: weitere fünf Francs zugunsten des Erzählers. Die Sache war augenscheinlich absurd, aber ich bezahlte und ließ sogleich jede Freundlichkeit fallen, indem ich ihn von oben herab mit frostiger britischer Würde auf seinen Platz verwies. Er merkte sofort, dass er zu weit gegangen war und den Goldesel geschlachtet hatte. Er machte ein langes Gesicht. Ich bin sicher, er hätte eine Rückzahlung geleistet, wenn er einen anständigen Vorwand gefunden hätte. Er wollte mich auf ein Glas einladen, aber ich lehnte ab. Seine Beteuerungen wurden mitleiderregend sanft, doch ich ging schweigend neben ihm her oder antwortete mit höflichen Floskeln; als wir zur Landestelle gelangten, gab ich dem Kapitän der Cigarette in englischem Slang Bescheid.

Trotz der falschen Fährte, die wir am Vortag gelegt hatten, warteten um die fünfzig Leute an der Brücke. Wir waren zu allen außer Carnival so freundlich wie möglich. Wir sagten auf Wiedersehen, schüttelten dem alten Herrn, der den Fluss kannte, und dem jungen Herrn, der ein wenig Englisch konnte, die Hand, doch kein einziges Wort zu Carnival. Armer Carnival! Das war wirklich demütigend. Er, der so sehr mit den Kanus identifiziert worden war, der in unserem Namen Anweisungen gegeben hatte, der die Boote und sogar die Bootsfahrer wie in einer Privatausstellung präsentiert hatte, wurde nun von den Helden seiner Karawane derart öffentlich beschämt! Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so niedergeschlagen war wie er. Er hielt sich im Hintergrund, trat immer schüchtern vor, wenn er glaubte, ein Anzeichen für nachlassenden Missmut bemerkt zu haben, und zog sich rasch wieder zurück, wenn er auf eisige Blicke traf. Hoffen wir, dass es ihm eine Lehre sein wird.

Ich hätte Carnivals Kavaliersdelikt nicht erwähnt, wenn es für Frankreich nicht so ungewöhnlich gewesen wäre. Dies war zum Beispiel der einzige Fall von Unehrlichkeit oder gar Gaunerei während unserer ganzen Reise. Wir in England reden gern von unserer Ehrlichkeit. Es ist ratsam, auf der Hut zu sein, wann immer jemand große Worte wegen einer kleinen Tugendhaftigkeit macht. Wenn die Engländer nur hören könnten, wie man über sie im Ausland spricht, dann würden sie sich eine Weile zurückziehen, um den Schaden zu beheben, und selbst wenn das erledigt ist, könnten sie etwas weniger Überheblichkeit gut vertragen.

Die jungen Damen, die Grazien von Origny, waren bei unserem Aufbruch nicht anwesend, doch als wir zur zweiten Brücke gelangten, siehe da – sie war schwarz vor Schaulustigen! Wir wurden lautstark bejubelt, und ein gutes Stück rannten Knaben und Mädchen johlend am Ufer entlang. Durch die Strömung und das Paddeln flogen wir wie die Schwalben dahin. Es war kein Kinderspiel, am bewaldeten Ufer mit uns mitzuhalten. Doch die Mädchen rafften ihre Röcke, als ob sie wüssten, dass sie schöne Knöchel hatten, und folgten uns, bis sie außer Atem waren. Die Letzten, die aufgaben, waren die drei Grazien und ein paar Kameraden. Gerade als auch sie genug hatten, sprang die erste von ihnen auf einen Baumstumpf und warf den Kanuten eine Kusshand zu. Nicht einmal Diana persönlich, obwohl diese hier eher eine Venus war, hätte etwas Anmutiges noch anmutiger tun können. »Kommt wieder!«, rief sie. Und alle anderen stimmten ein, und die Hügel um Origny wiederholten ihre Worte: »Kommt wieder.« Doch im nächsten Augenblick hatte uns der Fluss um eine Biegung befördert, und wir waren allein mit den grünen Bäumen und dem fließenden Wasser.

Wiederkommen? Auf dem ungestümen Strom des Lebens, junge Damen, gibt es keine Wiederkehr.

 

»Der Kaufmann beugt sich vor dem Seemannsstern,

Der Ackermann verdankt sein Brot der Sonne.«

 

Und wir alle müssen unsere Taschenuhren nach der Uhr des Schicksals stellen. Es gibt eine unbezähmbare und unaufhaltsame Flut, die den Menschen mitsamt seinen Träumen wie einen Strohhalm fortreißt und sich rasch in Zeit und Raum ergießt. Er ist voller solcher Biegungen, euer gewundener Fluss, die Oise; sie verweilt und kehrt wieder in freundliche Idyllen, doch wenn man genauer darüber nachdenkt, kehrt sie nie zurück. Denn auch wenn sie dasselbe Stück Grasland in derselben Stunde erneut besucht, wird sie in der Zwischenzeit einen weiten Bogen geschlagen haben; viele kleine Ströme werden sich mit ihr vereint haben, Wasser wird in der Sonne verdampft sein, obwohl es das gleiche Stück Land ist, wird es nie wieder dieselbe Oise sein. Und so, o Grazien von Origny, werde ich, selbst wenn das wankelmütige Geschick meines Lebens mich dorthin zurückführt, wo ihr am Ufer des Flusses auf den Ruf des Todes wartet, nicht derselbe sein, der auf den Straßen flaniert. Und werdet ihr dann nicht Ehefrauen und Mütter sein?

Eigentlich konnte man sich auf die Oise stets verlassen. In diesen höheren Regionen hatte sie es immer noch ungeheuer eilig, zum Meer zu gelangen. Sie floss so flink und fröhlich durch all die Windungen ihres Flussbetts, dass ich mir den Daumen zerrte, als ich gegen die Stromschnellen ankämpfte, und die ganze übrige Strecke mehr oder weniger mit einer Hand paddeln musste. Mancherorts wurde sie von Mühlen genutzt, und da sie immer noch ein kleiner Fluss war, lief sie streckenweise recht seicht dahin. Wir mussten unsere Beine aus den Booten hängen lassen und uns mit den Füßen von dem sandigen Grund abstoßen. Und doch bahnte sie sich ihren Weg zwischen den Pappeln und schuf ein grünes Tal in der Welt. Abgesehen von einer guten Frau und einem guten Buch und Tabak gibt es auf Erden nichts Liebenswürdigeres als einen Fluss. Ich vergab ihm den Anschlag auf mein Leben, der zum Teil auf die heftigen Himmelswinde zurückzuführen war, die den Baum umgestürzt hatten, zum Teil auf mein eigenes Fehlverhalten und nur zum dritten Teil auf den Fluss, der schließlich keine bösen Absichten verfolgt hatte, sondern damit beschäftigt gewesen war, zum Meer zu gelangen. Und das ist ein schwieriges Unterfangen, denn die Umwege, die er machen muss, kann man nicht zählen. Die Geographen scheinen den Versuch aufgegeben zu haben, ich habe keine Karte gefunden, die die unendlichen Windungen abbildet. Eine Tatsache ist wohl aussagekräftiger als jede Karte. Nachdem wir ein paar Stunden, drei, wenn ich mich nicht irre, in diesem gleichmäßigen halsbrecherischen Galopp an den Bäumen vorbeigeflitzt waren und ein Dorf erreichten, in dem wir fragten, wo wir uns befänden, waren wir nicht weiter als vier Kilometer (rund zweieinhalb Meilen) von Origny entfernt. Wenn es keine Ehrensache gewesen wäre (wie man in Schottland sagt), dann hätten wir gar nicht erst losfahren müssen.

Auf einer Wiese innerhalb eines Rechtecks aus Pappeln aßen wir zu Mittag. Die Blätter tanzten und raschelten im Wind um uns herum. Der Fluss eilte unterdessen weiter und schien unsere Saumseligkeit zu rügen. Das kümmerte uns wenig. Der Fluss wusste, wohin er wollte, wir nicht. Wenn wir ein schönes Quartier oder ein hübsches Plätzchen für eine Pfeife fanden, hatten wir es noch weniger eilig. Zu dieser Stunde schrien die Aktienhändler auf der Pariser Börse nach zwei oder drei Prozent, doch scherten sie uns ebenso wenig wie der dahingleitende Strom, und wir opferten den Göttern des Tabaks und der Verdauung schier endlose Minuten. Eile ist die Zuflucht der Ungläubigen. Wo ein Mann seinem eigenen Herzen und dem seiner Freunde vertrauen kann, ist morgen so gut wie heute. Und wenn er in der Zwischenzeit stirbt, was soll’s, dann stirbt er eben, und die Frage ist geklärt.

Im Laufe des Nachmittags mussten wir auf den Kanal ausweichen, denn dort, wo er den Fluss kreuzte, stand keine Brücke, sondern ein Düker. Wenn uns nicht ein aufgeregter Bursche vom Ufer aus gewarnt hätte, wären wir direkt in die Unterführung des Wasserlaufs hineingepaddelt, wonach wir wohl nie wieder gepaddelt wären. Wir trafen einen Mann, einen Gentleman, auf dem Treidelpfad, der an unserer Kreuzfahrt sehr interessiert war. Ich wurde Zeuge eines merkwürdigen Lügenanfalls, den der Kapitän der Cigarette erlitt. Weil sein Messer aus Norwegen stammte, erzählte er alle möglichen Abenteuer von jenem Land, in dem er nie gewesen war. Am Ende war er ziemlich fiebrig und schob es auf dämonische Besessenheit.

Moy (sprich Moÿ) war ein hübsches kleines Dorf rund um ein Château mit einem Burggraben. Die Luft duftete nach dem Hanf der umliegenden Felder. Im »Goldenen Schaf« wurden wir ausgezeichnet bewirtet. Deutsche Kanonenkugeln von der Belagerung La Fères, Nürnberger Holzfiguren, ein Goldfisch im Glas und alle Arten von Schnickschnack zierten den Raum. Der Wirtin, einer stämmigen, schlichten, kurzsichtigen, mütterlichen Person, fehlte nicht viel, und sie könnte als Genie der Kochkunst durchgehen. Sie wusste um ihre Vorzüge. Nachdem ein Gericht aufgetischt worden war, kam sie stets herbei und sah uns mit zusammengekniffenen blinzelnden Augen eine Weile beim Essen zu. »C’est bon, n’est-ce pas?«, pflegte sie zu sagen, und wenn sie eine angemessene Antwort erhalten hatte, verschwand sie wieder in der Küche. Das gewöhnliche französische Gericht, Rebhuhn mit Kohl, wurde im »Goldenen Schaf« in meinen Augen zu einer neuen Erfahrung, und so manche spätere Mahlzeit hat mich deswegen bitter enttäuscht. Schön war die Zeit im »Goldenen Schaf« in Moy.