Von Antwerpen nach Boom

In den Docks von Antwerpen erregten wir großes Aufsehen. Ein Schauermann und ein Trupp Hafenarbeiter hoben die beiden Kanus an und liefen mit ihnen zur Helling. Eine Kinderschar rannte jubelnd hinterher. Die Cigarette sauste mit einem Platschen voran und wirbelte eine kleine Bugwelle auf. Die Arethusa folgte im nächsten Augenblick. Ein Dampfer kam uns entgegen, Männer am Schaufelradkasten riefen grobe Warnungen, der Schauermann und seine Arbeiter brüllten vom Kai. Doch mit ein, zwei Ruderschlägen brachten wir die Kanus in die Mitte der Schelde, und alle Dampfer und Schauermänner und andere Nichtigkeiten an den Ufern blieben zurück.

Die Sonne strahlte, die Flut setzte ein – vier lustige Meilen die Stunde. Der Wind blies gleichmäßig, mit gelegentlichen Sturmböen. Ich meinerseits hatte noch nie zuvor in einem Kanu unter Segeln gesessen, und mein erster Versuch inmitten dieses großen Flusses war nicht ganz frei von Befürchtungen. Was würde geschehen, wenn der Wind zum ersten Mal meine kleine Leinwand erfasste? Ich denke, es war eine ähnlich große Herausforderung, wie sich in andere unbekannte Regionen vorzuwagen, etwa ein erstes Buch zu veröffentlichen oder zu heiraten. Doch meine Zweifel hielten nicht lange an, und Sie werden nicht überrascht sein zu erfahren, dass ich nach fünf Minuten meine Segelleine festgemacht hatte.

Zugegeben, ich selbst war ein wenig verblüfft über diesen Erfolg. Natürlich hatte ich als Teil einer Mannschaft schon oft die Schot eines Segelboots befestigt, aber in solch einem kleinen und wackligen Ding wie einem Kanu und bei diesen stürmischen Böen war ich nicht darauf vorbereitet, dass ich demselben Prinzip folgen konnte, und dies inspirierte mich zu einigen geringschätzigen Gedanken über unsere Achtung vor dem Leben. Es ist sicher einfacher zu rauchen, wenn die Schot festgemacht ist; doch ich habe noch nie eine gemütliche Pfeife Tabak gegen ein offenkundiges Risiko abgewogen und mich dann ernsthaft für die gemütliche Pfeife entschieden. Es ist sprichwörtlich bekannt, dass wir uns selbst nicht kennen, bis wir auf die Probe gestellt werden. Die Erkenntnis, dass wir oft tapferer und besser sind, als wir dachten, ist allerdings weniger verbreitet, obwohl um einiges tröstlicher. Ich glaube, jeder macht diese Erfahrung: Doch die Befürchtung, diesem Anspruch in Zukunft nicht gerecht werden zu können, hindert die Menschheit daran, diese fröhliche Botschaft hinauszuposaunen. Ich wünschte ehrlich, denn mir wäre viel Kummer erspart geblieben, jemand hätte mir in meiner Jugend Lebensmut eingetrichtert, mir gesagt, dass Gefahren, aus der Ferne besehen, am unheilvollsten erscheinen, dass das Gute in der Seele eines Menschen keine Unterdrückung duldet und ihn in der Stunde der Not selten oder niemals im Stich lässt. Doch in der Literatur sind wir alle gern bereit, die sentimentale Flöte zu spielen, und niemand von uns will an der Spitze des Zuges marschieren, um die wilden Trommeln zu schlagen.

Auf dem Fluss war es angenehm. Ein oder zwei Lastkähne, beladen mit Heu, fuhren an uns vorbei. Schilf und Weiden säumten die Ufer, und Rinder und graue, ehrwürdige Pferde kamen und senkten ihre sanften Häupter über den Damm. Hier und da zeigte sich ein freundliches Dorf samt lärmender Werft zwischen den Bäumen, hier und da auf einer Wiese eine Villa. Der Wind leistete uns auf der Schelde und dann auf der Rupel gute Dienste, und wir segelten recht sorglos dahin, als wir die ersten Ziegelfabriken von Boom erblickten, die sich weit über das rechte Flussufer erstreckten. Das linke Ufer war noch grün und ländlich, Baumreihen zogen sich den Weg entlang, und gelegentlich gab es ein paar Stufen, die einer Fähre als Ankerplatz dienten, wo zuweilen eine Frau, die Ellbogen auf den Knien, dasaß oder ein alter Herr mit Stock und Silberrandbrille. Doch Boom und seine Ziegelfabriken wurden von Minute zu Minute verrauchter und schäbiger, bis eine Kirche mit Turmuhr und eine Holzbrücke über dem Fluss die Stadtmitte anzeigten.

Boom ist kein freundlicher Ort und hat nur eine bemerkenswerte Eigenschaft: Die Mehrheit seiner Bewohner ist persönlich der Meinung, Englisch sprechen zu können, was durch die tatsächlichen Verhältnisse nicht bestätigt wird. Unsere Gespräche waren folglich von einer gewissen Unklarheit. Was das Hôtel de la Navigation angeht, so glaube ich, dass es die traurigste Attraktion der Stadt ist. Es brüstet sich mit einem sandbestreuten Salon, die Bar mit Blick auf die Straße; einem zweiten sandbestreuten Salon, der noch dunkler und kälter ist, mit einem leeren Vogelkäfig und einem Spendenkästchen in den Farben der Trikolore als einziger Zierde, wo wir abwechselnd in Gesellschaft dreier wortkarger Ingenieursgehilfen und eines schweigsamen Handelsreisenden zu Abend aßen. Das Essen war, wie in Belgien üblich, von unbestimmbarer Natur. Tatsächlich habe ich bei diesem freundlichen Volk noch nichts entdecken können, was einer Mahlzeit nahe käme. Sie scheinen den ganzen Tag über amateurhaft mit Lebensmitteln herumzuspielen und darin herumzustochern: versuchsweise französisch, echt deutsch und irgendwie keines von beiden.

Der leere Vogelkäfig, ausgefegt und geschmückt und ohne die Spur des alten zwitschernden Günstlings, abgesehen von den beiden auseinandergebogenen Gitterstäben, zwischen denen sein Zuckerstückchen befestigt gewesen war, verbreitete eine Art heitere Friedhofsstimmung. Die Ingenieursgehilfen hatten uns nichts zu sagen, dem Handelsreisenden erst recht nicht, sondern unterhielten sich leise und einsilbig miteinander oder begafften uns durch schimmernde Brillengläser im Licht der Gaslampen. Denn obwohl sie gutaussehende Burschen waren, trugen sie alle (wie wir in Schottland sagen) Nasenknebel.

Im Hotel gab es ein englisches Zimmermädchen, das lange genug fern der Heimat gewesen war, um allerlei lustige ausländische Dialekte aufzuschnappen und alle möglichen eigenartigen Gebräuche, die man hier nicht im Einzelnen beschreiben muss. Sie sprach mit uns fließend in ihrem Jargon, fragte uns, wie es heutzutage in England zugehe, und verbesserte uns zuvorkommend, als wir versuchten zu antworten. Doch da wir uns mit einer Frau unterhielten, waren unsere Informationen vielleicht nicht so überflüssig, wie es den Anschein hatte. Das weibliche Geschlecht saugt gern Wissenswertes auf, ohne seine Überlegenheit dabei preiszugeben. Die Taktik ist klug und unter den gegebenen Umständen beinahe notwendig. Wenn ein Mann merkt, dass eine Frau ihn bewundert, sei es auch nur für seine Geographiekenntnisse, dann wird er sofort versuchen, auf dieser Bewunderung aufzubauen. Nur indem sie uns unentwegt vor den Kopf stoßen, können uns die Schönen im Zaum halten. Männer sind, wie Miss Howe oder Miss Harlowe sagen würde, »so aufdringlich«. Ich persönlich liebe Frauen mit Leib und Seele, und nach einem gut verheirateten Paar gibt es nichts Schöneres auf Erden als die Sage von der Göttin der Jagd. Für einen Mann ist es sinnlos, sich in die Wälder zurückzuziehen. Der heilige Antonius hat es vor langer Zeit versucht und dabei eine im Durchschnitt eher betrübliche Zeit erlebt. Doch einige Frauen haben etwas an sich, das die erbittertsten Asketen unter den Männern übertrifft – sie sind sich selbst genug und spazieren in hohen und kalten Gefilden, ohne jegliche Unterstützung eines hosentragenden Gefährten. Obwohl ich das Gegenteil eines enthaltsamen Menschen bin, bin ich den Frauen für dieses Ideal dankbarer, als ich es den meisten von ihnen oder eigentlich allen außer einer für einen spontanen Kuss wäre. Es gibt nichts Ermutigenderes als den Anblick von Selbstgenügsamkeit. Und wenn ich an die schlanken und hübschen Mädchen denke, die nachts zum Klang von Dianas Horn durch die Wälder laufen, sich zwischen den alten Eichen tummeln, ungebundene Wesen der Wälder und des Sternenlichts, unberührt von dem Trubel des hitzigen und verworrenen Männerlebens – dann merke ich, wie mein Herz bei dem Gedanken an dieses Ideal klopft, auch wenn es viele andere Ideale gibt, die ich bevorzuge. Wenn man im Leben scheitert, dann sollte man mit Anmut scheitern! Weint man seinem Verlust nicht nach, hat man nichts verloren. Und wo – hier verrät sich der Mann in mir –, wo wäre der Ruhm erfüllender Liebe, wenn es keine Verachtung gäbe, die man überwinden muss?