Auf dem Willebroek-Kanal

Am nächsten Morgen, als wir auf dem Willebroek-Kanal losfuhren, begann es heftig und frostig zu regnen. Das Kanalwasser hatte etwa die Temperatur von trinkbarem Tee, und unter diesem kalten Schauer war die Oberfläche mit Dampf überzogen. Die heitere Aufbruchstimmung und die leichte Bewegung der Boote bei jedem Ruderschlag trugen uns durch dieses Ungemach, solange es andauerte; als sich die Wolken verzogen und die Sonne wieder zum Vorschein kam, erhoben sich unsere Seelen über das Maß an guter Laune, das Daheimgebliebene erleben können. Eine stramme Brise rauschte und raschelte durch die Baumreihen, die den Kanal säumten. Blättermassen flatterten wirbelnd zwischen Licht und Schatten hin und her. Für Auge und Ohr schien es Segelwetter zu sein, doch unten zwischen den Ufern erreichte uns der Wind nur in schwachen und sporadischen Brisen. Es war kaum genug, um die Kanus zu manövrieren. Wir kamen nur schleppend und alles andere als zufriedenstellend voran. Ein Witzbold mit Segelerfahrung grüßte uns vom Treidelpfad aus mit den Worten: »C’est vite, mais c’est long.«

Auf dem Kanal herrschte reger Verkehr. Ab und an trafen oder überholten wir eine lange Kette von Booten mit großen grünen Ruderpinnen, hohen Hecks, Fenstern auf beiden Seiten des Steuerruders, in denen vielleicht eine Tasse oder eine Blumenvase stand, mit einem Beiboot im Schlepptau, einer Frau, die sich um das Abendessen kümmerte, und einer Kinderschar. Diese Kähne waren hintereinander vertäut, bis zu fünfundzwanzig oder dreißig in einem Zug, der durch einen Dampfer von seltsamer Bauart angeführt und gezogen wurde. Er hatte weder Schaufelrad noch Schraube, sondern lenkte durch einen Apparat, der sich dem Verständnis des technischen Laien entzog, eine kleine helle Kette, die am Grund des Kanals lag, über den Bug und ließ sie übers Heck wieder zurück ins Wasser, um sich so Glied für Glied mitsamt seinem ganzen Gefolge aus Lastkähnen voranzuziehen. Bis man des Rätsels Lösung gefunden hatte, haftete dem Vorankommen dieser Züge etwas Düsteres und Unheilvolles an, sie glitten sanft über das Wasser, und nichts markierte ihre Wege als eine kleine Welle, die im Kielwasser verebbte.

Unter all den Geschöpfen der Handelsunternehmen bietet ein Kanalboot bei weitem den herrlichsten Anblick. Es kann seine Segel setzen, und dann sieht man es hoch über den Baumwipfeln und der Windmühle, auf dem Aquädukt, durch grüne Kornfelder dahingleiten: das malerischste aller amphibischen Kreaturen. Das Pferd trottet auf dem Treidelpfad vor sich hin, als gäbe es auf der Welt keine Arbeitszwänge, und der träumende Mann an der Ruderpinne sieht den ganzen Tag lang demselben Turm am Horizont entgegen. Es ist unbegreiflich, wie Dinge bei diesem Tempo ihr Ziel erreichen, und wenn man beobachtet, wie die Kähne an der Schleuse auf die Abfertigung warten, erhält man eine schöne Lektion, wie unbeschwert die Welt erlebt werden könnte. An Bord gibt es wohl zahlreiche zufriedene Seelen, denn solch ein Leben bedeutet gleichzeitig reisen und zu Hause bleiben.

Der Schornsteinrauch kündet vom Abendessen, während man weiterzieht; die Kanalufer entrollen gemächlich ihre Landschaft vor nachdenklichen Augen; der Lastkahn treibt vorbei an großen Wäldern und durch große Städte mit ihren öffentlichen Gebäuden und nächtlichen Straßenlaternen; und für den Kahnführer in seinem dahingleitenden Heim, der sozusagen im Schlafwaggon reist, ist es fast, als lausche er der Geschichte eines anderen oder durchblättere ein Bilderbuch, das ihn nicht weiter interessiert. Er kann seinen Nachmittagsspaziergang in einem fremden Land am Kanalufer machen und dann zum Essen an seinen eigenen Herd zurückkehren.

In solch einem Leben gibt es zu wenig Bewegung, um ein hohes Maß an Gesundheit zu erreichen, aber ein hohes Maß an Gesundheit ist nur für ungesunde Leute notwendig. Der Faulpelz, der nie krank oder gesund ist, hat ein ruhiges Leben und stirbt umso leichter.

Viel lieber wäre ich ein Kahnführer, als eine der Stellungen auf Erden zu besetzen, die Büroarbeit erfordern. Meiner Meinung nach gibt es nicht viele Berufe, in denen ein Mann für regelmäßige Mahlzeiten weniger Freiheit aufgibt. Der Kahnführer ist an Bord eines Schiffes – er ist der Herr seines eigenen Schiffs – er kann anlegen, wo immer er will – niemand kann ihn zwingen, in einer eiskalten Nacht vor der Küste zu kreuzen, wenn die Segel so hart wie Eisen sind; soweit ich es beurteilen kann, steht für ihn die Zeit fast immer still, außer wenn er wieder mal zu Bett geht oder sich am Mittagstisch niederlässt. Man kann kaum begreifen, warum ein Kahnführer je sterben sollte.

Auf halbem Weg zwischen Willebroek und Vilvoorde, auf einem schönen Kanalabschnitt, der der Allee zu einem Herrenhaus glich, gingen wir zum Essen an Land. Es gab zwei Eier, einen Laib Brot und eine Flasche Wein an Bord der Arethusa und zwei Eier sowie einen Ätna-Spirituskocher an Bord der Cigarette. Der Kapitän des letztgenannten Boots zerbrach eines der Eier beim Entladen, doch stellte er hocherfreut fest, dass man es noch à la papier kochen könnte, und warf es mitsamt seiner Hülle aus flämischem Zeitungspapier in den Kocher. Wir landeten in einem Augenblick schönen Wetters, doch keine zwei Minuten später frischte der Wind zu halber Sturmstärke auf, und der Regen begann uns auf die Schultern zu prasseln. Wir setzten uns so nah wie möglich an den Kocher. Der Spiritus brannte in voller Pracht. Alle ein bis zwei Minuten fing das Gras Feuer und musste ausgetreten werden, und es dauerte nicht lange, bis unsere Gesellschaft etliche verbrannte Finger vorzuweisen hatte. Doch der Ertrag der Kochbemühungen stand in keinem Verhältnis zu all dem Aufwand, und als wir nach zwei Runden auf dem Feuer aufgaben, war das eine Ei wenig mehr als lauwarm, während das Ei à la papier ein kaltes und schmutziges fricassée aus Druckerschwärze und zerbrochenen Eierschalen darstellte. Zur Abwechslung versuchten wir, zwei weitere Eier zu braten, indem wir sie dicht über die Flammen hielten, und hatten damit größeren Erfolg. Dann entkorkten wir die Weinflasche und setzten uns in einen Graben mit unseren Kanuschürzen auf den Knien. Es regnete heftig. Verdruss, wenn er wirklich verdrießlich ist und nicht auf widerliche Weise vorgibt, das Gegenteil zu sein, ist eine enorm spaßige Angelegenheit, und Leute, die an der frischen Luft ordentlich durchweicht und abgestumpft werden, sind stets zum Lachen aufgelegt. Aus dieser Perspektive kann sogar eine Portion Ei à la papier dem Vergnügen als eine Art Hilfsmittel dienen. Doch laden solche Scherze, auch wenn sie recht gut ankommen, nicht zur Wiederholung ein, und von diesem Moment an blieb der Spirituskocher, ganz Gentleman, im Transportkasten der Cigarette.

Es ist fast unnötig, zu erwähnen, dass der Wind, als wir die Mahlzeit beendet hatten, an Bord gingen und die Segel setzten, ganz plötzlich nachließ. Den Rest der Strecke nach Vilvoorde breiteten wir weiterhin unsere Leinwand vor einer ungünstigen Brise aus, und mit einer gelegentlichen Böe und gelegentlichen Paddelschlägen trieben wir zwischen den friedlichen Bäumen von einer Schleuse zur nächsten.

Es war eine schöne, grüne, üppige Landschaft, genauer, eine grüne Wasserstraße, die sich von Dorf zu Dorf zog. Alles machte einen gesetzten Eindruck, wie in Orten, die seit langem bewohnt sind. Kinder mit kurzgeschorenem Haar spuckten von den Brücken, unter denen wir durchfuhren, mit einer wahrlich zurückhaltenden Feinfühligkeit auf uns herab. Doch die Fischer, die sich auf ihre Schwimmer konzentrierten, waren noch zurückhaltender und ließen uns, ohne uns eines einzigen Blickes zu würdigen, vorbeiziehen. Sie hockten auf Sterlingblöcken und Strebepfeilern und den Uferhängen, ihrer sanftmütigen Beschäftigung zugewandt. Sie waren so gleichgültig, als gehörten sie zur unbelebten Natur. Sie bewegten sich nicht mehr als Angler auf einem alten holländischen Stich. Die Blätter raschelten, das Wasser wogte, doch sie blieben auf ihren Plätzen, als wären sie vom Staat gegründete Kirchen. Man hätte jeden ihrer unschuldigen Köpfe aufbohren können, nur um zu entdecken, dass sich unter ihren Schädeldecken nicht viel mehr als aufgerollte Angelschnüre befanden. Ich halte nicht viel von euren strammen Kollegen in Kautschukhosen, die sich mit einer Lachsangel in der Hand gegen Bergflüsse stemmen, doch jenen Menschenschlag, der tagaus, tagein seine brotlose Kunst an stillen, einsamen Gewässern betreibt, liebe ich sehr.

An der letzten Schleuse, direkt hinter Vilvoorde, gab es eine Wärterin, die verständliches Französisch sprach und uns erklärte, wir seien immer noch ein paar Meilen von Brüssel entfernt. Genau hier begann es wieder zu regnen. Die Tropfen fielen in geraden, parallelen Linien, und von der Oberfläche des Kanals spritzte eine unendliche Vielzahl kleiner Kristallfontänen auf. In der Umgebung waren keine Betten frei. Uns blieb nichts anderes übrig, als die Segel einzuholen und uns im Regen dem regelmäßigen Paddeln zu widmen. Die schönen Landhäuser mit Uhren und langen Reihen von Fenstern samt Fensterläden und die prächtigen alten Bäume, die in Gruppen und Alleen beisammenstanden, wirkten im Regen üppig und düster und verstärkten die Dunkelheit an den Kanalufern. Ich meine, von einigen Stichen denselben Effekt zu kennen: fruchtbare Landschaften, menschenleer und von vorüberziehenden Sturmwolken überhangen. Die ganze Zeit wurden wir von einem abgedeckten schäbigen Karren eskortiert, der den Treidelpfad entlangklapperte und in fast gleichbleibendem Abstand in unserem Kielwasser folgte.