Origny-Sainte-Benoîte: Die Tischgesellschaft

Obwohl wir zu spät zum Abendessen kamen, lud uns die Tischgesellschaft zu einem Glas Sekt ein. »So sind wir in Frankreich«, sagte einer. »Jene, die an unserem Tisch sitzen, sind unsere Freunde.« Und die anderen applaudierten.

Insgesamt waren sie zu dritt, ein seltsames Trio, um gemeinsam den Sonntagabend zu verbringen.

Zwei von ihnen waren Gäste wie wir, beides Männer aus dem Norden. Einer mit roten Wangen, in bester körperlicher Verfassung, mit üppigem schwarzem Haar und Bart, der unerschrockene Jäger aus Frankreich, der bei der Jagd nichts für zu klein hielt, nicht einmal eine Lerche oder eine Elritze, um durch den Fang seine Kühnheit unter Beweis zu stellen. Wenn so ein großer, gesunder Mann, dessen Haar wie Samsons wuchert und dessen Arterien eimerweise rotes Blut befördern, mit seinen nichtigen Heldentaten prahlt, erzeugt das dasselbe Gefühl von Unausgewogenheit in der Welt wie ein Dampfhammer, der als Nussknacker verwendet wird. Der andere war ein stiller, zurückhaltender Mensch, blond und lymphatisch und traurig, der ein wenig wie ein Däne aussah: »Tristes têtes de Danois!«, wie Gaston Lafenestre zu sagen pflegte.

Ich darf diesen Namen nicht überspringen, ohne ein Wort über den besten aller lieben Kerle zu verlieren, der nun zu Staub zerfallen ist. Wir werden Gaston nie wieder in seinem Jagdkostüm sehen – er war für jedermann Gaston, nicht aus Mangel an Respekt, sondern aus Zuneigung – und auch nie wieder erleben, wie er die Echos von Fontainebleau mit seinem Jagdhorn weckt. Nie wieder wird sein Lächeln zwischen den verschiedenen Spezies kunstschaffender Menschen Frieden stiften und den Engländer dazu bringen, sich in Frankreich zu Hause zu fühlen. Nie wieder werden die Schafe, deren Herzen nicht unschuldiger waren als das seine, für seinen fleißigen Bleistift unbewusst Modell stehen. Er starb zu jung, genau in dem Moment, als er begann, frische Knospen hervorzubringen und selbst zu etwas zu erblühen, was seines Wesens wert war; und doch wird niemand, der ihn kannte, glauben, er habe vergebens gelebt. Noch nie habe ich jemanden so wenig gekannt und gleichzeitig so gerngehabt; und ich halte es für einen guten Prüfstein für andere, inwieweit sie gelernt haben, ihn zu verstehen und zu schätzen. Er war wirklich eine Bereicherung, als er unter uns weilte; er hatte ein frisches Lachen, es tat gut, ihn zu sehen; wie traurig er auch insgeheim gewesen sein mag, seine Züge waren stets kühn und heiter, er ertrug die schlimmsten Schicksalsschläge wie Frühlingsregen. Doch nun sitzt seine Mutter allein am Rand der Wälder von Fontainebleau, wo er in seiner harten und entbehrungsreichen Jugend Pilze sammelte.

Viele seiner Bilder fanden ihren Weg über den Ärmelkanal, abgesehen von denen, die gestohlen wurden, als ein gemeiner Yankee ihn mit zwei englischen Pennys in der Tasche und vielleicht zweimal so viel englischen Vokabeln allein in London zurückließ. Falls jemand, der diese Zeilen liest, ein Landschaftsgemälde mit Schafen im Stil von Jacque besitzt, das die Signatur dieses wunderbaren Menschen trägt, dann sei ihm gesagt, dass einer der liebenswürdigsten und tapfersten Männer dazu beigetragen hat, seine Wohnung zu schmücken. Vielleicht gibt es bessere Bilder in der National Gallery, doch seit Menschengedenken hatte kein Maler ein besseres Herz. Die Psalmen lehren uns, dass der Tod eines Heiligen vom Herrn der Menschheit wertgehalten werde. Er sollte auch wirklich wertgeschätzt werden, denn es erfordert einen hohen Preis, wenn eine Mutter durch einen Schicksalsschlag ihres Sohnes beraubt wird und der Friedensstifter und Friedenswächter einer ganzen Gesellschaft mit Caesar und den zwölf Aposteln ins Grab gelegt wird.

Etwas fehlt zwischen den Eichen von Fontainebleau, und wenn in Barbizon der Nachtisch serviert wird, blicken die Leute zur Tür nach einer Gestalt, die verschwunden ist.

Der dritte unserer Kameraden in Origny war kein Geringerer als der Mann der Gastwirtin. Er war kein richtiger Wirt, weil er tagsüber in einer Fabrik arbeitete und abends sein eigenes Haus als Gast betrat: ein Mann, durch ständige Aufregung bis auf Haut und Knochen abgemagert, größtenteils kahl, mit scharfen Zügen und flinken, glänzenden Augen. Als er am Sonntag ein ziemlich armseliges Abenteuer auf der Entenjagd schilderte, zerbrach er einen Teller in tausend Stücke. Wann immer er eine Bemerkung machte, ließ er seinen Blick mit vorgerecktem Kinn und einem Funken grünen Lichts in beiden Augen um den Tisch kreisen und suchte nach Bestätigung. Seine Frau erschien hin und wieder in der Tür, von wo aus sie das Abendessen überwachte, und rief: »Henri, du vergisst dich« oder »Henri, du kannst doch reden, ohne so einen Krach zu machen«. Tatsächlich war es genau das, was der ehrliche Bursche nicht konnte. Bei der belanglosesten Angelegenheit leuchteten seine Augen auf, seine Faust hämmerte auf den Tisch, und seine Stimme rollte wie launisches Donnergrollen. Ich bin noch nie solch einem Knallfrosch begegnet; ich glaube, er war vom Teufel besessen. Er hatte zwei Lieblingsausdrücke: »Das ist logisch« oder »unlogisch«, je nachdem, und diesen anderen, den er mit einem gewissen Übermut zum Besten gab wie jemand, der zu Beginn einer langen und klangvollen Geschichte ein Banner entfaltet: »Ich bin ein Proletarier, verstehen Sie.« Ja, wir verstanden es sehr wohl. Gott behüte, dass ich ihn je in den Straßen von Paris mit einem Gewehr herumfuchteln sehe! Dies wäre für das gemeine Volk kein glücklicher Augenblick.

Mir kam es vor, als ob diese beiden Phrasen das Gute und das Schlechte seiner Klasse und in gewissem Sinne auch seines Landes ausgezeichnet repräsentierten. Es zeugt von Stärke, wenn jemand sagt, wer er ist, und sich dessen nicht schämt, auch wenn es nicht unbedingt geschmackvoll ist, diese Bemerkung zu oft an einem Abend zu wiederholen. Bei einem Herzog würde ich das natürlich nicht bewundern, doch so, wie es heute steht, ist es bei einem Arbeiter ein ehrenwerter Charakterzug. Andererseits kündet es keineswegs von Stärke, wenn man sich auf die Logik verlässt, insbesondere auf die persönliche Logik, denn diese ist im Allgemeinen trügerisch. Wir wissen nie, wo wir enden werden, wenn wir erst einmal begonnen haben, Worten oder Professoren zu folgen. Jeder Mensch hat in seinem Herzen einen aufrechten Wissensschatz, der vertrauenswürdiger ist als jeder Vernunftschluss; die Augen und die Zuneigung und der Appetit wissen ein oder zwei Dinge, die niemals in einem Streitgespräch geklärt worden sind. Philosophien gibt es so reichlich wie Brombeeren im Wald, und wie Faustschläge können sie gerecht nach allen Seiten ausgeteilt werden. Lehrmeinungen entstehen und vergehen nicht durch Beweise, sie sind nur deshalb logisch, weil sie scharfsinnig formuliert sind. Ein fähiger Disputant verteidigt seine gerechte Sache nicht weniger als ein fähiger General. Doch Frankreich ist völlig besessen davon, ein oder zwei großen Worten nachzulaufen; es wird einige Zeit vergehen, bis sie merken, dass es nur Worte sind, wie groß sie auch sein mögen; wenn das erledigt ist, werden sie ihre Logik vielleicht weniger amüsant finden.

Die Konversation wurde mit Einzelheiten über die heutige Jagd eröffnet. Wenn sämtliche Sportsmänner eines Dorfes dasselbe Recht haben, auf Gemeinland zu jagen, insofern sie bestimmte Quoten beachten, dann ergeben sich zwangsläufig viele Fragen der Etikette und des Vorrechts.

»Also hier«, rief der Gastwirt, einen Teller schwingend, »hier ist ein Rübenfeld. Gut. Hier also bin ich. Ich geh also weiter, nicht wahr? Eh bien! Sacristi«, und die lauter werdende Bemerkung wird zu einem Donnerhall aus Flüchen, der Sprecher blickt, um Mitgefühl heischend, in die Runde, und alle nicken um des Friedens willen mit dem Kopf.

Der rotwangige Nordmann erzählte ein paar eigene Geschichten über seine Großtaten als Ordnungshüter: Eine bemerkenswerte handelte von einem Marquis.

»Marquis, sagte ich, wenn Sie noch einen Schritt weitergehen, dann schieße ich auf Sie. Sie haben eine Gemeinheit begangen, Marquis.«

Woraufhin der Marquis anscheinend an seine Mütze tippte und sich zurückzog.

Der Wirt applaudierte lautstark. »Gut gemacht«, sagte er. »Er hat getan, was er konnte. Er hat zugegeben, dass er im Unrecht war.« Und dann folgte ein Fluch dem anderen. Unser proletarischer Gastgeber hatte auch keine Vorliebe für Marquis, doch er besaß ein Gespür für Gerechtigkeit.

Vom Thema der Jagd wandte sich das Gespräch einem allgemeinen Vergleich zwischen Paris und der Provinz zu. Der Proletarier trommelte zum Lob von Paris wild auf den Tisch. »Was ist Paris? Paris ist die Sahne Frankreichs. Es gibt keine Pariser: Sie und ich und alle anderen sind die Pariser. In Paris liegen die Chancen für einen Mann, etwas aus sich zu machen, bei achtzig Prozent.« Und er zeichnete das lebhafte Bild eines Arbeiters in einem Schuppen, nicht größer als eine Hundehütte, der Artikel produziert, die in aller Welt verkauft werden. »Eh bien, quoi, c’est magnifique, ça!«, rief er.

Der traurige Nordmann warf ein Lob für das Landleben ein; er meinte, Paris sei schlecht für Männer und Frauen. »Centralisation«, sagte er …

Doch der Wirt sprang ihm sofort an die Gurgel. Es sei alles logisch, bewies er ihm, und alles fabelhaft. »Welch ein Spektakel! Welch ein Fest für das Auge!« Und die Teller tanzten unter einer Kanonade von Fausthieben auf dem Tisch.

Um Frieden zu stiften, machte ich eine lobende Bemerkung über die Meinungsfreiheit in Frankreich. Ich hätte in kein größeres Fettnäpfchen tappen können. Sofort herrschte Schweigen, und es gab bedeutungsschweres Kopfschütteln. Das Thema gefiel ihnen nicht, so viel war klar; sie gaben mir zu verstehen, dass der traurige Nordmann wegen seiner Ansichten zum Märtyrer geworden war. »Fragen Sie ihn mal«, sagten sie. »Fragen Sie ihn nur.«

»Ja, Sir«, sagte er auf seine ruhige Art, auf eine Frage antwortend, die ich gar nicht gestellt hatte, »ich fürchte, in Frankreich gibt es weniger Meinungsfreiheit, als Sie vielleicht denken.« Und mit diesen Worten senkte er den Blick und schien das Thema als beendet zu betrachten.

Unsere Neugier wurde dadurch heftig angestachelt. Wie oder warum oder wann war dieser lymphatische Handelsreisende zum Märtyrer geworden? Wir schlussfolgerten sofort, dass es sich um eine religiöse Angelegenheit handeln musste, und kramten unser Wissen über die Inquisition hervor, das wohl hauptsächlich auf Poes grauenerregende Geschichte und die Predigt in Tristram Shandy zurückging.

Am nächsten Morgen hatten wir Gelegenheit, der Frage auf den Grund zu gehen; als wir sehr früh aufstanden, um bei unserer Abfahrt eine mitfühlende Abordnung zu umgehen, stellten wir fest, dass der Held vor uns aufgestanden war. Er nahm sein Frühstück aus Weißwein und rohen Zwiebeln zu sich, wahrscheinlich um seinen Rang als Märtyrer aufrechtzuerhalten. Wir führten ein langes Gespräch und fanden trotz seiner Zurückhaltung heraus, was wir wissen wollten. Doch da gab es einen wirklich merkwürdigen Umstand. Zwei Schotten und ein Franzose scheinen in der Lage zu sein, eine geschlagene halbe Stunde zu diskutieren, während jede Nationalität die ganze Zeit über eine grundverschiedene Vorstellung von dem hat, worum es eigentlich geht. Erst ganz am Schluss entdeckten wir, dass seine Ketzerei eine politische gewesen war, und auch er bemerkte erst dann unseren Irrtum. Die Begriffe und der Eifer, mit denen er über seine politischen Überzeugungen sprach, passten unserer Ansicht nach zu religiösen Überzeugungen. Und vice versa.

Nichts könnte für beide Länder charakteristischer sein. Politik ist die Religion Frankreichs, wie Nanty Ewart es ausdrücken würde: »Eine verd- - -t schlechte Religion«, während wir daheim den größten Teil unserer Bitterkeit für kleine Meinungsverschiedenheiten über ein Kirchenliederbuch aufheben oder über ein hebräisches Wort, das keine der Parteien übersetzen kann. Und vielleicht steht das Missverständnis stellvertretend für viele andere, die sich nie aufklären lassen, nicht nur zwischen Menschen verschiedener Völker, sondern auch zwischen den Geschlechtern.

Was das Märtyrertum unseres Freundes angeht, war er ein Kommunist oder vielleicht auch nur ein Kommunarde, was etwas ganz anderes ist, und er hatte deswegen eine oder mehrere Stellen verloren. Ich glaube, dass auch ein Heiratsantrag von ihm zurückgewiesen worden war, oder es war nur seine sentimentale Art, über Geschäfte zu reden, die mich täuschte. Jedenfalls war er ein freundliches, sanftes Wesen, und ich hoffe, er hat mittlerweile eine bessere Arbeit gefunden und eine Frau geheiratet, die besser zu ihm passt.