Die Oise hinunter: Kirchenräume

Wir erreichten unsere erste Station auf der Fahrt von Compiègne nach Pont-Sainte-Maxence. Ich zog am nächsten Morgen kurz nach sechs Uhr los. Die Luft war schneidend mit einem Hauch von Frost. Ein paar Frauen zankten sich um einen freien Platz auf dem Markt; der Lärm ihrer Verhandlungen klang dünn und quenglig wie das Gezwitscher von Spatzen an einem Wintermorgen. Die wenigen Passanten bliesen in die Hände und hüpften in ihren Holzschuhen auf und ab, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Die Straßen waren voll eisiger Schatten, obwohl die Schornsteine im goldenen Sonnenlicht rauchten. Wenn man in dieser Jahreszeit früh genug aufwacht, kann man im Dezember aufstehen und im Juni frühstücken.

Ich fand den Weg zur Kirche; an einer Kirche gibt es immer etwas Interessantes zu entdecken, ob lebende Kirchgänger oder Grabmäler der Toten; man findet dort den größten Ernst und die billigste Täuschung, selbst wenn sie nicht geschichtsträchtig ist, befördert sie gewiss ein wenig zeitgenössischen Tratsch zutage. In der Kirche war es etwas weniger kalt als draußen, aber es sah kälter aus. Das weiße Mittelschiff wirkte geradezu arktisch, und die Protzigkeit des kontinentalen Altars schien in der Einsamkeit und der düsteren Atmosphäre noch verlorener als sonst. Zwei Priester saßen in der Kanzel, lasen und warteten auf reumütige Sünder; unten im Kirchenschiff war eine betagte Frau in ihre Gebete vertieft. Es erstaunte mich, dass sie ihren Rosenkranz beten konnte, während gesunde junge Menschen in die Hände hauchten und die Arme vor der Brust kreuzten; und obwohl es mich beunruhigte, deprimierte mich die Art ihrer Andacht noch deutlich mehr. Sie ging von Stuhl zu Stuhl, von Altar zu Altar und umrundete dabei die Kirche. Jedem Schrein widmete sie die gleiche Anzahl Rosenkranzperlen und gleich viel Zeit. Wie ein umsichtiger Kapitalist mit einer etwas zynischen Meinung über die kommerziellen Aussichten wollte sie ihre Bittgebete breitgefächert auf verschiedene himmlische Sicherheiten setzen. Sie wollte nicht das Risiko eingehen, auf einen einzigen Fürsprecher zu vertrauen. In der ganzen Schar der Engel und Heiligen konnte sich niemand rühmen, ihr bevorzugter Verteidiger beim Jüngsten Gericht zu sein! Ich konnte darin nur einen langweiligen, durchsichtigen Hokuspokus erkennen, der auf unbewusstem Unglauben beruht.

Die alte Frau war die dürrste, die ich je gesehen habe, nicht mehr als Haut und Knochen, auf eigenartige Weise unförmig. Ihre Augen, die mich fragend anblickten, waren gefühllos. Je nachdem was man unter Sehkraft versteht, hätte man sie blind nennen können. Vielleicht hatte sie einst geliebt, vielleicht Kinder geboren, ihnen die Brust gegeben und sie mit Kosenamen gerufen. Doch das alles war längst vergangen und hatte sie weder glücklicher noch klüger gemacht; das Beste, was sie mit ihren Morgenstunden anzufangen wusste, war, in diese kalte Kirche zu kommen und um ein Plätzchen im Himmel zu feilschen. Ich konnte nicht ohne einen Kloß im Hals auf die Straße und in die frische Morgenluft entkommen. Morgen? Aber wie überdrüssig würde er ihr vor dem Abend sein! Und wenn sie nicht schlafen konnte, was dann? Ein Glück, dass nicht viele von uns ihr Leben von siebzig Jahren öffentlich vor einem Gericht rechtfertigen müssen; ein Glück, dass so viele rechtzeitig, sozusagen in der Blüte ihrer Jahre, den Löffel abgeben und anderswo heimlich für ihre Torheiten büßen. Ansonsten könnten wir zwischen kranken Kindern und unzufriedenen alten Leuten jede Freude am Leben verlieren.

Ich musste an jenem Tag beim Paddeln zerebrale Gesundheitspflege betreiben: Die alte Kirchgängerin lag mir schwer im Magen. Doch bald war ich im siebten Himmel der Benommenheit und wusste nichts mehr, außer dass jemand das Kanu paddelte, während ich seine Ruderschläge zählte und Hunderte vergaß. Manchmal fürchtete ich, dass ich mich der Hunderte wieder erinnern könnte, was aus dem Vergnügen eine Plage gemacht hätte. Doch die Furcht war nur Einbildung, wurde durch Magie aus meinen Gedanken vertrieben, und ich wusste über meine einzige Tätigkeit nicht mehr als der Mann im Mond.

In Creil, wo wir zum Mittagessen haltmachten, ließen wir die Kanus in einer der schwimmenden Wäschereien zurück, die, da es Punkt zwölf war, von rothändigen und lautstarken Wäscherinnen überlaufen war; sie und ihre derben Scherze sind so gut wie alles, was mir von diesem Ort in Erinnerung blieb. Ich könnte in meinen Geschichtsbüchern nachschlagen, wenn Sie unbedingt mehr wissen wollen, und Ihnen ein oder zwei Daten nennen, hatte er doch im Krieg gegen England eine große Bedeutung. Lieber erwähne ich aber ein Mädcheninternat, das für uns von Interesse war, weil es sich um ein Mädcheninternat handelte und wir uns einbildeten, dass uns dergleichen ziemlich interessierte. Immerhin – dort waren Mädchen in einem Garten, hier waren wir auf dem Fluss, und es wurde, als wir vorüberfuhren, mehr als ein Taschentuch geschwenkt. Es verursachte einen ziemlichen Aufruhr in meinem Herzen, und doch – wie sehr hätten diese Mädchen und ich uns gegenseitig gelangweilt und verachtet, wenn wir einander auf einer Krocketparty vorgestellt worden wären! Aber diese Art liebe ich sehr: eine Kusshand zu werfen oder ein Taschentuch zu schwenken für Leute, die ich nie wiedersehen werde, mit der Möglichkeit zu spielen und einen Haken einzuschlagen, um die Phantasie daran zu hängen. Es gibt dem Reisenden einen Ruck, erinnert ihn daran, dass er nicht überall ein Reisender und seine Reise nicht mehr als eine Siesta am Wegesrand des wahren Lebenslaufes ist.

Der Innenraum der Kirche von Creil war ein schwer zu beschreibender Ort, gesprenkelt mit grellen Lichtern, die durch die Fenster fielen, und geziert von Medaillons des Leidenswegs. Doch da gab es eine Merkwürdigkeit in Gestalt einer Votivgabe, die mir große Freude machte: Ein naturgetreues Modell einer Kanalfähre hing von der Kuppel, mit einer schriftlichen Fürbitte, Gott möge die Saint Nicolas aus Creil in einen sicheren Hafen geleiten. Das Ding war hübsch gemacht und hätte einer Knabenschar am Flussufer großes Entzücken bereitet. Doch das, was mich amüsierte, war der Ernst der Gefahr, die heraufbeschworen wurde. Man kann das Modell eines seetüchtigen Schiffs aufhängen und begrüßen: eines, das die Wellen rund um den Globus pflügt und die Tropen oder die eisigen Pole anfährt, auf Gefahren trifft, die eine Kerze und eine Messe wirklich verdienen. Aber die Saint Nicolas aus Creil würde gute zehn Jahre lang von geduldigen Zugpferden durch einen unkrautbewachsenen Kanal geschleppt werden, während über ihr die Pappeln schwatzten und der Skipper an der Ruderpinne ein Liedchen pfiff; würde all ihre Aufgaben an grünen Orten im Binnenland erledigen und bei all ihren Kreuzfahrten nie den Kirchturm des Dorfes aus den Augen verlieren – falls man sich also etwas vorstellen kann, das ohne göttlichen Beistand auskommt, dann das! Aber vielleicht war der Skipper ein Spaßvogel oder vielleicht ein Prophet, der die Menschen durch diese absurde Gabe an den Ernst des Lebens erinnern wollte.

In Creil, genau wie in Noyon, schien der heilige Joseph dank seiner Pünktlichkeit ein beliebter Heiliger zu sein. Tag und Stunde können benannt werden, und dankbare Leute versäumen nicht, sie auf einer Votivtafel festzuhalten, für die Gebete, die pünktlich und ordentlich erhört worden sind. Wenn es um zeitliche Belange geht, ist der heilige Joseph der richtige Fürsprecher. Mir bereitete es ein gewisses Vergnügen, seine Beliebtheit in Frankreich zu beobachten, denn in der Religion meiner Heimat spielt der gute Mann nur eine unbedeutende Rolle. Doch konnte ich nicht umhin zu befürchten, dass man von ihm nicht nur große Genauigkeit verlangte, sondern auch große Dankbarkeit für die Votivtafel von ihm erwartete.

Für uns Protestanten ist das Narretei und außerdem nicht besonders wichtig. Ob die Dankbarkeit der Leute für die guten Gaben, die ihnen zuteil werden, klug durchdacht und gewissenhaft zum Ausdruck gebracht wird, ist letztlich zweitrangig, solange sie nur wirklich empfunden wird. Wahre Einfältigkeit besteht darin, nicht zu wissen, dass man eine gute Gabe empfangen hat, oder sich einzubilden beginnt, man habe sie sich selbst zu verdanken. Der Selfmademan ist letztlich der lustigste Schaumschläger! Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Erschaffen von Licht aus Finsternis und dem Anzünden einer Gaslampe in einem städtischen Hinterzimmer mit einer Schachtel Patentstreichhölzer. Was immer wir auch tun, uns wird stets etwas zu Händen gereicht, das nicht von uns selbst stammt, wenn es auch nur unsere Finger sind.

In der Kirche von Creil hing ein Plakat, das schlimmer war als Narretei. Die Gesellschaft des lebendigen Rosenkranzes (von der ich nie zuvor gehört hatte) war dafür verantwortlich. Die Gesellschaft wurde, laut der Werbebroschüre, am 17. Januar 1832 durch ein Breve von Papst Gregor XVI. gegründet. Glaubt man dem farbigen Basrelief, ging sie auf einen anderen Zeitpunkt zurück und auf die Jungfrau Maria, die dem heiligen Dominik einen Rosenkranz reicht, und das Jesuskind, das einen weiteren Rosenkranz der heiligen Katharina von Siena übergibt. Papst Gregor ist weniger eindrucksvoll, aber liegt näher. Ich konnte nicht genau feststellen, ob die Gesellschaft nur der Anbetung diente oder auch gute Taten verrichtete, zumindest war sie sehr gut organisiert: Für jede Woche des Monats waren die Namen von vierzehn verheirateten und unverheirateten Statthalterinnen eingetragen, mit einer weiteren für gewöhnlich verheirateten Frau an der Spitze als zélatrice: die Chorleiterin. Vollkommene und partielle Ablässe erfolgten durch die Ausübung der Pflichten der Gesellschaft. »Die partiellen Ablässe sind mit dem Beten des Rosenkranzes verknüpft.« Dem »Beten der notwendigen dizaine« folgte sogleich ein partieller Ablass. Wenn Leute dem himmlischen Königreich mit dem Sparbuch in der Hand dienen, hege ich stets die Befürchtung, dass sie ihre Mitmenschen mit demselben kommerziellen Eifer behandeln, was dieses Leben zu einer traurigen und schäbigen Angelegenheit machen würde.

Es gab noch eine weitere Klausel mit einer erfreulicheren Aussage. »All diese Ablässe«, besagte sie, »können Seelen im Fegefeuer gewidmet werden.« Um Himmels willen, ihr Damen von Creil, widmet sie alle unverzüglich den Seelen im Fegefeuer! Burns wollte für seine letzten Lieder keinen Lohn erhalten und seinem Land lieber aus reiner Liebe dienen. Macht es doch einfach so wie der Steuereintreiber, Mesdames, selbst wenn das die Seelen nicht vom Fegefeuer erlöst, würden die Seelen in Creil an der Oise jetzt oder nach dem Tod auch nicht schlechter dastehen.

Während ich diese Notizen übertrage, frage ich mich, ob ein waschechter Protestant wirklich in der Lage ist, diese Symbole zu verstehen und sie zu würdigen, wie es ihnen gebührt; ich komme immer wieder dahin, dass er es nicht ist. Sie können dem Gläubigen nicht so vollkommen hässlich und gemein erscheinen wie mir. Das ist für mich so offensichtlich wie ein Lehrsatz von Euklid. Denn diese Gläubigen sind weder schwach noch bösartig. Sie können ihre Tafel aufstellen und vom heiligen Joseph eine rasche Erledigung fordern, als ob er noch ein Dorfzimmermann wäre; sie können »die notwendige dizaine« beten und metaphorisch den Ablass einsacken, als hätten sie für den Himmel eine Arbeit erledigt; dann können sie hinausgehen und unerschrocken auf diesen wundervollen Fluss hinabsehen, der vorbeifließt, und ohne Verwirrung hinauf zu den stecknadelkopfgroßen Sternen, die selbst große Welten sind, voll fließender Flüsse, größer als die Oise. Es ist so offensichtlich wie ein Lehrsatz von Euklid, sage ich, dass mein protestantischer Verstand den Sinn der Sache nicht erfasst hat und dass in diesen Auswüchsen eine tiefere und größere religiöse Bedeutung liegt, als ich mir träumen lasse.

Ich frage mich, ob andere Leute mir gegenüber ebenso nachsichtig wären! So wie die Damen von Creil will ich sofort, nachdem ich meinen Rosenkranz der Toleranz gebetet habe, meinen Ablass erwarten.