Zeitgedichte

Überwiegend entstanden 1841-1844.

1.
Doktrin

Schlage die Trommel und fürchte dich nicht,

Und küsse die Marketenderin!

Das ist die ganze Wissenschaft,

Das ist der Bücher tiefster Sinn.

Trommle die Leute aus dem Schlaf,

Trommle Reveille mit Jugendkraft,

Marschiere trommelnd immer voran,

Das ist die ganze Wissenschaft.

Das ist die Hegelsche Philosophie,

Das ist der Bücher tiefster Sinn!

Ich hab sie begriffen, weil ich gescheit,

Und weil ich ein guter Tambour bin.

2.
Adam der Erste

Du schicktest mit dem Flammenschwert

Den himmlischen Gendarmen,

Und jagtest mich aus dem Paradies,

Ganz ohne Recht und Erbarmen!

Ich ziehe fort mit meiner Frau

Nach andren Erdenländern;

Doch daß ich genossen des Wissens Frucht,

Das kannst du nicht mehr ändern.

Du kannst nicht ändern, daß ich weiß,

Wie sehr du klein und nichtig,

Und machst du dich auch noch so sehr

Durch Tod und Donnern wichtig.

O Gott! wie erbärmlich ist doch dies

Consilium abeundi!

Das nenne ich einen Magnifikus

Der Welt, ein lumen mundi!

Vermissen werde ich nimmermehr

Die paradiesischen Räume;

Das war kein wahres Paradies –

Es gab dort verbotene Bäume.

Ich will mein volles Freiheitsrecht!

Find ich die g’ringste Beschränknis,

Verwandelt sich mir das Paradies

In Hölle und Gefängnis.

3.
Warnung

Solche Bücher läßt du drucken!

Teurer Freund, du bist verloren!

Willst du Geld und Ehre haben,

Mußt du dich gehörig ducken.

Nimmer hätt ich dir geraten,

So zu sprechen vor dem Volke,

So zu sprechen von den Pfaffen

Und von hohen Potentaten!

Teurer Freund, du bist verloren!

Fürsten haben lange Arme,

Pfaffen haben lange Zungen,

Und das Volk hat lange Ohren!

4.
An einen ehemaligen Goetheaner

1832

Hast du wirklich dich erhoben

Aus dem müßig kalten Dunstkreis,

Womit einst der kluge Kunstgreis

Dich von Weimar aus umwoben?

G’nügt dir nicht mehr die Bekanntschaft

Seiner Klärchen, seiner Gretchen?

Fliehst du Serlos keusche Mädchen

Und Ottiliens Wahlverwandtschaft?

Nur Germanien willst du dienen,

Und mit Mignon ist’s vorbei heut,

Und du strebst nach größrer Freiheit,

Als du fandest bei Philinen?

Für des Volkes Oberhoheit

Lünebürgertümlich kämpfst du,

Und mit kühnen Worten dämpfst du

Der Despoten Bundesroheit!

In der Fern’ hör ich mit Freude,

Wie man voll von deinem Lob ist,

Und wie du der Mirabeau bist

Von der Lüneburger Heide!

5.
Geheimnis

Wir seufzen nicht, das Aug’ ist trocken,

Wir lächeln oft, wir lachen gar!

In keinem Blick, in keiner Miene,

Wird das Geheimnis offenbar.

Mit seinen stummen Qualen liegt es

In unsrer Seele blut’gem Grund;

Wird es auch laut im wilden Herzen,

Krampfhaft verschlossen bleibt der Mund.

Frag du den Säugling in der Wiege,

Frag du die Toten in dem Grab,

Vielleicht daß diese dir entdecken,

Was ich dir stets verschwiegen hab.

6.
Bei des Nachtwächters Ankunft zu Paris

»Nachtwächter mit langen Fortschrittsbeinen,

Du kommst so verstört einhergerannt!

Wie geht es daheim den lieben Meinen,

Ist schon befreit das Vaterland?«

»Vortrefflich geht es, der stille Segen,

Er wuchert im sittlich gehüteten Haus,

Und ruhig und sicher, auf friedlichen Wegen,

Entwickelt sich Deutschland von innen heraus.

Nicht oberflächlich wie Frankreich blüht es,

Wo Freiheit das äußere Leben bewegt;

Nur in der Tiefe des Gemütes

Ein deutscher Mann die Freiheit trägt.

Der Dom zu Köllen wird vollendet,

Den Hohenzollern verdanken wir das;

Habsburg hat auch dazu gespendet,

Ein Wittelsbach schickt Fensterglas.

Die Konstitution, die Freiheitsgesetze,

Sie sind uns versprochen, wir haben das Wort,

Und Königsworte, das sind Schätze,

Wie tief im Rhein der Niblungshort.

Der freie Rhein, der Brutus der Flüsse,

Er wird uns nimmermehr geraubt!

Die Holländer binden ihm die Füße,

Die Schwyzer halten fest sein Haupt.

Auch eine Flotte will Gott uns bescheren,

Die patriotische Überkraft

Wird lustig rudern auf deutschen Galeeren;

Die Festungsstrafe wird abgeschafft.

Es blüht der Lenz, es platzen die Schoten,

Wir atmen frei in der freien Natur!

Und wird uns der ganze Verlag verboten,

So schwindet am Ende von selbst die Zensur.«

7.
Der Tambourmajor

Das ist der alte Tambourmajor,

Wie ist er jetzt herunter!

Zur Kaiserzeit stand er in Flor,

Da war er glücklich und munter.

Er balancierte den großen Stock,

Mit lachendem Gesichte;

Die silbernen Tressen auf seinem Rock,

Die glänzten im Sonnenlichte.

Wenn er mit Trommelwirbelschall

Einzog in Städten und Städtchen,

Da schlug das Herz im Widerhall

Den Weibern und den Mädchen.

Er kam und sah und siegte leicht

Wohl über alle Schönen;

Sein schwarzer Schnurrbart wurde feucht

Von deutschen Frauentränen.

Wir mußten es dulden! In jedem Land,

Wo die fremden Eroberer kamen,

Der Kaiser die Herren überwand,

Der Tambourmajor die Damen.

Wir haben lange getragen das Leid,

Geduldig wie deutsche Eichen,

Bis endlich die hohe Obrigkeit

Uns gab das Befreiungszeichen.

Wie in der Kampfbahn der Auerochs

Erhuben wir unsere Hörner,

Entledigten uns des fränkischen Jochs

Und sangen die Lieder von Körner.

Entsetzliche Verse! sie klangen ins Ohr

Gar schauderhaft den Tyrannen!

Der Kaiser und der Tambourmajor,

Sie flohen erschrocken von dannen.

Sie ernteten beide den Sündenlohn

Und nahmen ein schlechtes Ende.

Es fiel der Kaiser Napoleon

Den Briten in die Hände.

Wohl auf der Insel Sankt Helena,

Sie marterten ihn gar schändlich;

Am Magenkrebse starb er da

Nach langen Leiden endlich.

Der Tambourmajor, er ward entsetzt

Gleichfalls von seiner Stelle.

Um nicht zu verhungern, dient er jetzt

Als Hausknecht in unserm Hotele.

Er heizt den Ofen, er fegt den Topf,

Muß Holz und Wasser schleppen.

Mit seinem wackelnd greisen Kopf

Keucht er herauf die Treppen.

Wenn mich der Fritz besucht, so kann

Er nicht den Spaß sich versagen,

Den drollig schlotternd langen Mann

Zu nergeln und zu plagen.

»Laß ab mit Spöttelei’n, o Fritz!

Es ziemt Germanias Söhnen

Wohl nimmermehr, mit schlechtem Witz

Gefallene Größe zu höhnen.

Du solltest mit Pietät, mich deucht,

Behandeln solche Leute;

Der Alte ist dein Vater vielleicht

Von mütterlicher Seite.«

8.
Entartung

Hat die Natur sich auch verschlechtert,

Und nimmt sie Menschenfehler an?

Mich dünkt, die Pflanzen und die Tiere,

Sie lügen jetzt wie jedermann.

Ich glaub nicht an der Lilie Keuschheit,

Es buhlt mit ihr der bunte Geck,

Der Schmetterling; er küßt und flattert

Am End’ mit ihrer Unschuld weg.

Von der Bescheidenheit der Veilchen

Halt ich nicht viel. Die kleine Blum’,

Mit den koketten Düften lockt sie,

Und heimlich dürstet sie nach Ruhm.

Ich zweifle auch, ob sie empfindet,

Die Nachtigall, das, was sie singt;

Sie übertreibt und schluchzt und trillert

Nur aus Routine, wie mich dünkt.

Die Wahrheit schwindet von der Erde,

Auch mit der Treu’ ist es vorbei.

Die Hunde wedeln noch und stinken

Wie sonst, doch sind sie nicht mehr treu.

9.
Heinrich

Auf dem Schloßhof zu Canossa

Steht der deutsche Kaiser Heinrich,

Barfuß und im Büßerhemde,

Und die Nacht ist kalt und regnicht.

Droben aus dem Fenster lugen

Zwo Gestalten, und der Mondschein

Überflimmert Gregors Kahlkopf

Und die Brüste der Mathildis.

Heinrich, mit den blassen Lippen,

Murmelt fromme Paternoster;

Doch im tiefen Kaiserherzen

Heimlich knirscht er, heimlich spricht er:

»Fern in meinen deutschen Landen

Heben sich die starken Berge,

Und im stillen Bergesschachte

Wächst das Eisen für die Streitaxt.

Fern in meinen deutschen Landen

Heben sich die Eichenwälder,

Und im Stamm der höchsten Eiche

Wächst der Holzstiel für die Streitaxt.

Du, mein liebes treues Deutschland,

Du wirst auch den Mann gebären,

Der die Schlange meiner Qualen

Niederschmettert mit der Streitaxt.«

10.
Lebensfahrt

Ein Lachen und Singen! Es blitzen und gaukeln

Die Sonnenlichter. Die Wellen schaukeln

Den lustigen Kahn. Ich saß darin

Mit lieben Freunden und leichtem Sinn.

Der Kahn zerbrach in eitel Trümmer,

Die Freunde waren schlechte Schwimmer,

Sie gingen unter, im Vaterland;

Mich warf der Sturm an den Seinestrand.

Ich hab ein neues Schiff bestiegen,

Mit neuen Genossen; es wogen und wiegen

Die fremden Fluten mich hin und her –

Wie fern die Heimat! mein Herz wie schwer!

Und das ist wieder ein Singen und Lachen –

Es pfeift der Wind, die Planken krachen –

Am Himmel erlischt der letzte Stern –

Wie schwer mein Herz! die Heimat wie fern!

11.
Das neue israelitische Hospital zu Hamburg

Ein Hospital für arme, kranke Juden,

Für Menschenkinder, welche dreifach elend,

Behaftet mit den bösen drei Gebresten,

Mit Armut, Körperschmerz und Judentume!

Das schlimmste von den dreien ist das letzte,

Das tausendjährige Familienübel,

Die aus dem Niltal mitgeschleppte Plage,

Der altägyptisch ungesunde Glauben.

Unheilbar tiefes Leid! Dagegen helfen

Nicht Dampfbad, Dusche, nicht die Apparate

Der Chirurgie, noch all die Arzeneien,

Die dieses Haus den siechen Gästen bietet.

Wird einst die Zeit, die ew’ge Göttin, tilgen

Das dunkle Weh, das sich vererbt vom Vater

Herunter auf den Sohn – wird einst der Enkel

Genesen und vernünftig sein und glücklich?

Ich weiß es nicht! Doch mittlerweile wollen

Wir preisen jenes Herz, das klug und liebreich

Zu lindern suchte, was der Lindrung fähig,

Zeitlichen Balsam träufelnd in die Wunden.

Der teure Mann! Er baute hier ein Obdach

Für Leiden, welche heilbar durch die Künste

Des Arztes (oder auch des Todes!), sorgte

Für Polster, Labetrank, Wartung und Pflege –

Ein Mann der Tat, tat er, was eben tunlich;

Für gute Werke gab er hin den Taglohn

Am Abend seines Lebens, menschenfreundlich,

Durch Wohltun sich erholend von der Arbeit.

Er gab mit reicher Hand – doch reichre Spende

Entrollte manchmal seinem Aug’, die Träne,

Die kostbar schöne Träne, die er weinte

Ob der unheilbar großen Brüderkrankheit.

12.
Georg Herwegh

Mein Deutschland trank sich einen Zopf,

Und du, du glaubtest den Toasten!

Du glaubtest jedem Pfeifenkopf

Und seinen schwarzrotgoldnen Quasten.

Doch als der holde Rausch entwich,

Mein teurer Freund, du warst betroffen –

Das Volk wie katzenjämmerlich,

Das eben noch so schön besoffen!

Ein schimpfender Bedientenschwarm,

Und faule Äpfel statt der Kränze –

An jeder Seite ein Gendarm,

Erreichtest endlich du die Grenze.

Dort bleibst du stehn. Wehmut ergreift

Dich bei dem Anblick jener Pfähle,

Die wie das Zebra sind gestreift,

Und Seufzer dringen aus der Seele:

»Aranjuez, in deinem Sand,

Wie schnell die schönen Tage schwanden,

Wo ich vor König Philipp stand

Und seinen uckermärk’schen Granden.

Er hat mir Beifall zugenickt,

Als ich gespielt den Marquis Posa;

In Versen hab ich ihn entzückt,

Doch ihm gefiel nicht meine Prosa.«

13.
Die Tendenz

Deutscher Sänger! sing und preise

Deutsche Freiheit, daß dein Lied

Unsrer Seelen sich bemeistre

Und zu Taten uns begeistre,

In Marseillerhymnenweise.

Girre nicht mehr wie ein Werther,

Welcher nur für Lotten glüht –

Was die Glocke hat geschlagen,

Sollst du deinem Volke sagen,

Rede Dolche, rede Schwerter!

Sei nicht mehr die weiche Flöte,

Das idyllische Gemüt –

Sei des Vaterlands Posaune,

Sei Kanone, sei Kartaune,

Blase, schmettre, donnre, töte!

Blase, schmettre, donnre täglich,

Bis der letzte Dränger flieht –

Singe nur in dieser Richtung,

Aber halte deine Dichtung

Nur so allgemein als möglich.

14.
Das Kind

Den Frommen schenkt’s der Herr im Traum,

Weißt nicht, wie dir geschah!

Du kriegst ein Kind und merkst es kaum,

Jungfrau Germania.

Es windet sich ein Bübelein

Von deiner Nabelschnur,

Es wird ein hübscher Schütze sein,

Als wie der Gott Amour.

Trifft einst in höchster Luft den Aar,

Und flög er noch so stolz,

Den doppelköpfigen sogar

Erreicht sein guter Bolz.

Doch nicht wie jener blinde Heid’,

Nicht wie der Liebesgott,

Soll er sich ohne Hos’ und Kleid

Zeigen als Sansculott’.

Bei uns zu Land die Witterung,

Moral und Polizei

Gebieten streng, daß alt und jung

Leiblich bekleidet sei.

15.
Verheißung

Nicht mehr barfuß sollst du traben,

Deutsche Freiheit, durch die Sümpfe,

Endlich kommst du auf die Strümpfe,

Und auch Stiefeln sollst du haben!

Auf dem Haupte sollst du tragen

Eine warme Pudelmütze,

Daß sie dir die Ohren schütze

In den kalten Wintertagen.

Du bekommst sogar zu essen –

Eine große Zukunft naht dir! –

Laß dich nur vom welschen Satyr

Nicht verlocken zu Exzessen!

Werde nur nicht dreist und dreister!

Setz nicht den Respekt beiseiten

Vor den hohen Obrigkeiten

Und dem Herren Bürgermeister!

16.
Der Wechselbalg

Ein Kind mit großem Kürbiskopf,

Hellblondem Schnurrbart, greisem Zopf,

Mit spinnig langen, doch starken Ärmchen,

Mit Riesenmagen, doch kurzen Gedärmchen –

Ein Wechselbalg, den ein Korporal,

Anstatt des Säuglings, den er stahl,

Heimlich gelegt in unsre Wiege –

Die Mißgeburt, die mit der Lüge,

Mit seinem geliebten Windspiel vielleicht,

Der alte Sodomiter gezeugt –

Nicht brauch ich das Ungetüm zu nennen –

Ihr sollt es ersäufen oder verbrennen!

17.
Der Kaiser von China

Mein Vater war ein trockner Taps,

Ein nüchterner Duckmäuser,

Ich aber trinke meinen Schnaps

Und bin ein großer Kaiser.

Das ist ein Zaubertrank! Ich hab’s

Entdeckt in meinem Gemüte:

Sobald ich getrunken meinen Schnaps,

Steht China ganz in Blüte.

Das Reich der Mitte verwandelt sich dann

In einen Blumenanger,

Ich selber werde fast ein Mann,

Und meine Frau wird schwanger.

Allüberall ist Überfluß,

Und es gesunden die Kranken;

Mein Hofweltweiser Confusius

Bekömmt die klarsten Gedanken.

Der Pumpernickel des Soldats

Wird Mandelkuchen – O Freude!

Und alle Lumpen meines Staats

Spazieren in Samt und Seide.

Die Mandarinenritterschaft,

Die invaliden Köpfe,

Gewinnen wieder Jugendkraft

Und schütteln ihre Zöpfe.

Die große Pagode, Symbol und Hort

Des Glaubens, ist fertig geworden;

Die letzten Juden taufen sich dort

Und kriegen den Drachenorden.

Es schwindet der Geist der Revolution,

Und es rufen die edelsten Mandschu:

»Wir wollen keine Konstitution,

Wir wollen den Stock, den Kantschu!«

Wohl haben die Schüler Äskulaps

Das Trinken mir widerraten,

Ich aber trinke meinen Schnaps

Zum Besten meiner Staaten.

Und noch einen Schnaps, und noch einen Schnaps!

Das schmeckt wie lauter Manna!

Mein Volk ist glücklich, hat’s auch den Raps,

Und jubelt: »Hosianna!«

18.
Kirchenrat Prometheus

Ritter Paulus, edler Räuber,

Mit gerunzelt düstren Stirnen

Schaun die Götter auf dich nieder,

Dich bedroht das höchste Zürnen,

Ob dem Raube, ob dem Diebstahl,

Den du im Olymp begangen –

Fürchte des Prometheus Schicksal,

Wenn dich Jovis Häscher fangen!

Freilich, jener stahl noch Schlimmres,

Stahl das Licht, die Flammenkräfte,

Um die Menschheit zu erleuchten –

Du, du stahlest Schellings Hefte,

Just das Gegenteil des Lichtes,

Finsternis, die man betastet,

Die man greifen kann wie jene,

Die Ägypten einst belastet.

19.
An den Nachtwächter

Bei späterer Gelegenheit

Verschlechtert sich nicht dein Herz und dein Stil,

So magst du treiben jedwedes Spiel;

Mein Freund, ich werde dich nie verkennen,

Und sollt ich dich auch Herr Hofrat nennen.

Sie machen jetzt ein großes Geschrei,

Von wegen deiner Verhofräterei,

Vom Seinestrand bis an der Elbe

Hört ich seit Monden immer dasselbe:

Die Fortschrittsbeine hätten sich

In Rückschrittsbeine verwandelt – Oh, sprich,

Reitest du wirklich auf schwäbischen Krebsen?

Äugelst du wirklich mit fürstlichen Kebsen?

Vielleicht bist du müde und sehnst dich nach Schlaf.

Du hast die Nacht hindurch so brav

Geblasen, jetzt hängst du das Horn an den Nagel,

Mag tuten, wer will, für den deutschen Janhagel!

Du legst dich zu Bette und schließest zu

Die Augen, doch läßt man dich nicht in Ruh’.

Vor deinem Fenster spotten die Schreier:

»Brutus, du schläfst? Wach auf, Befreier!«

Ach! so ein Schreier weiß nicht, warum

Der beste Nachtwächter wird endlich stumm,

Es ahndet nicht so ein junger Maulheld,

Warum der Mensch am End’ das Maul hält.

Du fragst mich, wie es uns hier ergeht?

Hier ist es still, kein Windchen weht,

Die Wetterfahnen sind sehr verlegen,

Sie wissen nicht, wohin sich bewegen…

20.
Zur Beruhigung

Wir schlafen ganz, wie Brutus schlief –

Doch jener erwachte und bohrte tief

In Cäsars Brust das kalte Messer!

Die Römer waren Tyrannenfresser.

Wir sind keine Römer, wir rauchen Tabak.

Ein jedes Volk hat seinen Geschmack,

Ein jedes Volk hat seine Größe;

In Schwaben kocht man die besten Klöße.

Wir sind Germanen, gemütlich und brav,

Wir schlafen gesunden Pflanzenschlaf,

Und wenn wir erwachen, pflegt uns zu dürsten,

Doch nicht nach dem Blute unserer Fürsten.

Wir sind so treu wie Eichenholz,

Auch Lindenholz, drauf sind wir stolz;

Im Land der Eichen und der Linden

Wird niemals sich ein Brutus finden.

Und wenn auch ein Brutus unter uns wär,

Den Cäsar fänd er nimmermehr,

Vergeblich würd er den Cäsar suchen;

Wir haben gute Pfefferkuchen.

Wir haben sechsunddreißig Herrn

(Ist nicht zuviel!), und einen Stern

Trägt jeder schützend auf seinem Herzen,

Und er braucht nicht zu fürchten die Iden des Märzen.

Wir nennen sie Väter, und Vaterland

Benennen wir dasjenige Land,

Das erbeigentümlich gehört den Fürsten;

Wir lieben auch Sauerkraut mit Würsten.

Wenn unser Vater spazierengeht,

Ziehn wir den Hut mit Pietät;

Deutschland, die fromme Kinderstube,

Ist keine römische Mördergrube.

21.
Verkehrte Welt

Das ist ja die verkehrte Welt,

Wir gehen auf den Köpfen!

Die Jäger werden dutzendweis’

Erschossen von den Schnepfen.

Die Kälber braten jetzt den Koch,

Auf Menschen reiten die Gäule;

Für Lehrfreiheit und Rechte des Lichts

Kämpft die katholische Eule.

Der Häring wird ein Sansculott’,

Die Wahrheit sagt uns Bettine,

Und ein gestiefelter Kater bringt

Den Sophokles auf die Bühne.

Ein Affe läßt ein Pantheon

Erbauen für deutsche Helden.

Der Maßmann hat sich jüngst gekämmt,

Wie deutsche Blätter melden.

Germanische Bären glauben nicht mehr

Und werden Atheisten;

Jedoch die französischen Papagei’n,

Die werden gute Christen.

Im uckermärk’schen Moniteur,

Da hat man’s am tollsten getrieben:

Ein Toter hat dem Lebenden dort

Die schnödeste Grabschrift geschrieben.

Laßt uns nicht schwimmen gegen den Strom,

Ihr Brüder! Es hilft uns wenig!

Laßt uns besteigen den Templower Berg

Und rufen: »Es lebe der König!«

22.
Erleuchtung

Michel! fallen dir die Schuppen

Von den Augen? Merkst du itzt,

Daß man dir die besten Suppen

Vor dem Maule wegstibitzt?

Als Ersatz ward dir versprochen

Reinverklärte Himmelsfreud’

Droben, wo die Engel kochen

Ohne Fleisch die Seligkeit!

Michel! wird dein Glaube schwächer

Oder stärker dein App’tit?

Du ergreifst den Lebensbecher,

Und du singst ein Heidenlied!

Michel! fürchte nichts und labe

Schon hienieden deinen Wanst,

Später liegen wir im Grabe,

Wo du still verdauen kannst.

23.
Wartet nur

Weil ich so ganz vorzüglich blitze,

Glaubt ihr, daß ich nicht donnern könnt!

Ihr irrt euch sehr, denn ich besitze

Gleichfalls fürs Donnern ein Talent.

Es wird sich grausenhaft bewähren,

Wenn einst erscheint der rechte Tag;

Dann sollt ihr meine Stimme hören,

Das Donnerwort, den Wetterschlag.

Gar manche Eiche wird zersplittern

An jenem Tag der wilde Sturm,

Gar mancher Palast wird erzittern

Und stürzen mancher Kirchenturm!

24.
Nachtgedanken

Denk ich an Deutschland in der Nacht,

Dann bin ich um den Schlaf gebracht,

Ich kann nicht mehr die Augen schließen.

Und meine heißen Tränen fließen.

Die Jahre kommen und vergehn!

Seit ich die Mutter nicht gesehn,

Zwölf Jahre sind schon hingegangen;

Es wächst mein Sehnen und Verlangen.

Mein Sehnen und Verlangen wächst.

Die alte Frau hat mich behext,

Ich denke immer an die alte,

Die alte Frau, die Gott erhalte!

Die alte Frau hat mich so lieb,

Und in den Briefen, die sie schrieb,

Seh ich, wie ihre Hand gezittert,

Wie tief das Mutterherz erschüttert.

Die Mutter liegt mir stets im Sinn.

Zwölf lange Jahre flossen hin,

Zwölf lange Jahre sind verflossen,

Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen.

Deutschland hat ewigen Bestand,

Es ist ein kerngesundes Land;

Mit seinen Eichen, seinen Linden,

Werd ich es immer wiederfinden.

Nach Deutschland lechzt’ ich nicht so sehr,

Wenn nicht die Mutter dorten wär;

Das Vaterland wird nie verderben,

Jedoch die alte Frau kann sterben.

Seit ich das Land verlassen hab,

So viele sanken dort ins Grab,

Die ich geliebt – wenn ich sie zähle,

So will verbluten meine Seele.

Und zählen muß ich – Mit der Zahl

Schwillt immer höher meine Qual,

Mir ist, als wälzten sich die Leichen

Auf meine Brust – Gottlob! sie weichen!

Gottlob! durch meine Fenster bricht

Französisch heitres Tageslicht;

Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,

Und lächelt fort die deutschen Sorgen.

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