Neuer Frühling

Erstdruck 1831.

~

Prolog

1. Unterm weißen Baume sitzend

2. In dem Walde sprießt und grünt es

3. Die schönen Augen der Frühlingsnacht

4. Ich lieb eine Blume, doch weiß ich nicht welche;

5. Gekommen ist der Maie

6. Leise zieht durch mein Gemüt

7. Der Schmetterling ist in die Rose verliebt

8. Es erklingen alle Bäume

9. »Im Anfang war die Nachtigall

10. Es hat die warme Frühlingsnacht

11. Es drängt die Not, es läuten die Glocken

12. Ach, ich sehne mich nach Tränen

13. Die blauen Frühlingsaugen

14. Wenn du mir vorüberwandelst

15. Die schlanke Wasserlilie

16. Wenn du gute Augen hast

17. Was treibt dich umher in der Frühlingsnacht?

18. Mit deinen blauen Augen

19. Wieder ist das Herz bezwungen

20. Die Rose duftet – doch ob sie empfindet

21. Weil ich dich liebe, muß ich fliehend

22. Ich wandle unter Blumen

23. Wie des Mondes Abbild zittert

24. Es haben unsre Herzen

25. Sag mir, wer einst die Uhren erfund

26. Wie die Nelken duftig atmen!

27. Hab ich nicht dieselben Träume

28. Küsse, die man stiehlt im Dunkeln

29. Es war ein alter König

30. In meiner Erinnrung erblühen

31. »Mondscheintrunkne Lindenblüten

32. Durch den Wald, im Mondenscheine

33. Morgens send ich dir die Veilchen

34. Der Brief, den du geschrieben

35. Sorge nie, daß ich verrate

36. Wie die Tage macht der Frühling

37. Sterne mit den goldnen Füßchen

38. Ernst ist der Frühling, seine Träume

39. Schon wieder bin ich fortgerissen

40. Die holden Wünsche blühen

41. Wie ein Greisenantlitz droben

42. Verdroßnen Sinn im kalten Herzen hegend

43. Spätherbstnebel, kalte Träume

44. Himmel grau und wochentäglich!

~

Prolog

In Gemäldegalerien

Siehst du oft das Bild des Manns,

Der zum Kampfe wollte ziehen,

Wohlbewehrt mit Schild und Lanz’.

Doch ihn necken Amoretten,

Rauben Lanze ihm und Schwert,

Binden ihn mit Blumenketten,

Wie er auch sich mürrisch wehrt.

So, in holden Hindernissen,

Wind ich mich in Lust und Leid,

Während andre kämpfen müssen

In dem großen Kampf der Zeit.

1.

Unterm weißen Baume sitzend,

Hörst du fern die Winde schrillen,

Siehst, wie oben stumme Wolken

Sich in Nebeldecken hüllen;

Siehst, wie unten ausgestorben

Wald und Flur, wie kahl geschoren; –

Um dich Winter, in dir Winter,

Und dein Herz ist eingefroren.

Plötzlich fallen auf dich nieder

Weiße Flocken, und verdrossen

Meinst du schon, mit Schneegestöber

Hab der Baum dich übergossen.

Doch es ist kein Schneegestöber,

Merkst es bald mit freud’gem Schrecken;

Duft’ge Frühlingsblüten sind es,

Die dich necken und bedecken.

Welch ein schauersüßer Zauber!

Winter wandelt sich in Maie,

Schnee verwandelt sich in Blüten,

Und dein Herz, es liebt aufs neue.

2.

In dem Walde sprießt und grünt es

Fast jungfräulich lustbeklommen;

Doch die Sonne lacht herunter:

Junger Frühling, sei willkommen!

Nachtigall! auch dich schon hör ich,

Wie du flötest seligtrübe,

Schluchzend langgezogne Töne,

Und dein Lied ist lauter Liebel

3.

Die schönen Augen der Frühlingsnacht,

Sie schauen so tröstend nieder:

Hat dich die Liebe so kleinlich gemacht,

Die Liebe, sie hebt dich wieder.

Auf grüner Linde sitzt und singt

Die süße Philomele;

Wie mir das Lied zur Seele dringt,

So dehnt sich wieder die Seele.

4.

Ich lieb eine Blume, doch weiß ich nicht welche;

Das macht mir Schmerz.

Ich schau in alle Blumenkelche,

Und such ein Herz.

Es duften die Blumen im Abendscheine,

Die Nachtigall schlägt.

Ich such ein Herz, so schön wie das meine,

So schön bewegt.

Die Nachtigall schlägt, und ich verstehe

Den süßen Gesang;

Uns beiden ist so bang und wehe,

So weh und bang.

5.

Gekommen ist der Maie,

Die Blumen und Bäume blühn,

Und durch die Himmelsbläue

Die rosigen Wolken ziehn.

Die Nachtigallen singen

Herab aus der laubigen Höh’,

Die weißen Lämmer springen

Im weichen grünen Klee.

Ich kann nicht singen und springen,

Ich liege krank im Gras;

Ich höre fernes Klingen,

Mir träumt, ich weiß nicht was.

6.

Leise zieht durch mein Gemüt

Liebliches Geläute.

Klinge, kleines Frühlingslied.

Kling hinaus ins Weite.

Kling hinaus, bis an das Haus,

Wo die Blumen sprießen.

Wenn du eine Rose schaust,

Sag, ich laß sie grüßen.

7.

Der Schmetterling ist in die Rose verliebt,

Umflattert sie tausendmal,

Ihn selber aber, goldig zart,

Umflattert der liebende Sonnenstrahl.

Jedoch, in wen ist die Rose verliebt?

Das wüßt ich gar zu gern.

Ist es die singende Nachtigall?

Ist es der schweigende Abendstern?

Ich weiß nicht, in wen die Rose verliebt;

Ich aber lieb euch all’:

Rose, Schmetterling, Sonnenstrahl,

Abendstern und Nachtigall.

8.

Es erklingen alle Bäume,

Und es singen alle Nester –

Wer ist der Kapellenmeister

In dem grünen Waldorchester?

Ist es dort der graue Kiebitz,

Der beständig nickt so wichtig?

Oder der Pedant, der dorten

Immer kuckuckt, zeitmaßrichtig?

Ist es jener Storch, der ernsthaft,

Und als ob er dirigieret’,

Mit dem langen Streckbein klappert,

Während alles musizieret?

Nein, in meinem eignen Herzen

Sitzt des Walds Kapellenmeister,

Und ich fühl, wie er den Takt schlägt,

Und ich glaube, Amor heißt er.

9.

»Im Anfang war die Nachtigall

Und sang das Wort: Züküht! Züküht!

Und wie sie sang, sproß überall

Grüngras, Violen, Apfelblüt’.

Sie biß sich in die Brust, da floß

Ihr rotes Blut, und aus dem Blut

Ein schöner Rosenbaum entsproß;

Dem singt sie ihre Liebesglut.

Uns Vögel all’ in diesem Wald

Versöhnt das Blut aus jener Wund’;

Doch wenn das Rosenlied verhallt,

Geht auch der ganze Wald zugrund’.«

So spricht zu seinem Spätzelein

Im Eichennest der alte Spatz;

Die Spätzin piepet manchmal drein,

Sie hockt auf ihrem Ehrenplatz.

Sie ist ein häuslich gutes Weib

Und brütet brav und schmollet nicht;

Der Alte gibt zum Zeitvertreib

Den Kindern Glaubensunterricht.

10.

Es hat die warme Frühlingsnacht

Die Blumen hervorgetrieben,

Und nimmt mein Herz sich nicht in acht,

So wird es sich wieder verlieben.

Doch welche von den Blumen all’n

Wird mir das Herz umgarnen?

Es wollen die singenden Nachtigall’n

Mich vor der Lilie warnen.

11.

Es drängt die Not, es läuten die Glocken,

Und ach! ich hab den Kopf verloren!

Der Frühling und zwei schöne Augen,

Sie haben sich wider mein Herz verschworen.

Der Frühling und zwei schöne Augen

Verlocken mein Herz in neue Betörung!

Ich glaube, die Rosen und Nachtigallen

Sind tief verwickelt in dieser Verschwörung.

12.

Ach, ich sehne mich nach Tränen,

Liebestränen, schmerzenmild,

Und ich fürchte, dieses Sehnen

Wird am Ende noch erfüllt.

Ach, der Liebe süßes Elend

Und der Liebe bittre Lust

Schleicht sich wieder, himmlisch quälend,

In die kaum genesne Brust.

13.

Die blauen Frühlingsaugen

Schaun aus dem Gras hervor;

Das sind die lieben Veilchen,

Die ich zum Strauß erkor.

Ich pflücke sie und denke,

Und die Gedanken all,

Die mir im Herzen seufzen,

Singt laut die Nachtigall.

Ja, was ich denke, singt sie

Lautschmetternd, daß es schallt;

Mein zärtliches Geheimnis

Weiß schon der ganze Wald.

14.

Wenn du mir vorüberwandelst,

Und dein Kleid berührt mich nur,

Jubelt dir mein Herz, und stürmisch

Folgt es deiner schönen Spur.

Dann drehst du dich um, und schaust mich

Mit den großen Augen an,

Und mein Herz ist so erschrocken,

Daß es kaum dir folgen kann.

15.

Die schlanke Wasserlilie

Schaut träumend empor aus dem See;

Da grüßt der Mond herunter

Mit lichtem Liebesweh.

Verschämt senkt sie das Köpfchen

Wieder hinab zu den Well’n –

Da sieht sie zu ihren Füßen

Den armen blassen Gesell’n.

16.

Wenn du gute Augen hast,

Und du schaust in meine Lieder,

Siehst du eine junge Schöne

Drinnen wandeln auf und nieder.

Wenn du gute Ohren hast,

Kannst du gar die Stimme hören,

Und ihr Seufzen, Lachen, Singen

Wird dein armes Herz betören.

Denn sie wird, mit Blick und Wort,

Wie mich selber dich verwirren;

Ein verliebter Frühlingsträumer,

Wirst du durch die Wälder irren.

17.

Was treibt dich umher in der Frühlingsnacht?

Du hast die Blumen toll gemacht,

Die Veilchen, sie sind erschrocken!

Die Rosen, sie sind vor Scham so rot,

Die Lilien, sie sind so blaß wie der Tod,

Sie klagen und zagen und stocken!

Oh, lieber Mond, welch frommes Geschlecht

Sind doch die Blumen! Sie haben recht,

Ich habe Schlimmes verbrochen!

Doch konnt ich wissen, daß sie gelauscht,

Als ich, von glühender Liebe berauscht,

Mit den Sternen droben gesprochen?

18.

Mit deinen blauen Augen

Siehst du mich lieblich an,

Da wird mir so träumend zu Sinne,

Daß ich nicht sprechen kann.

An deine blauen Augen

Gedenk ich allerwärts; –

Ein Meer von blauen Gedanken

Ergießt sich über mein Herz.

19.

Wieder ist das Herz bezwungen,

Und der öde Groll verrauchet,

Wieder zärtliche Gefühle

Hat der Mai mir eingehauchet.

Spät und früh durcheil ich wieder

Die besuchtesten Alleen,

Unter jedem Strohhut such ich

Meine Schöne zu erspähen.

Wieder an dem grünen Flusse,

Wieder steh ich an der Brücke –

Ach, vielleicht fährt sie vorüber,

Und mich treffen ihre Blicke.

Im Geräusch des Wasserfalles

Hör ich wieder leises Klagen,

Und mein schönes Herz versteht es,

Was die weißen Wellen sagen.

Wieder in verschlungnen Gängen

Hab ich träumend mich verloren,

Und die Vögel in den Büschen

Spotten des verliebten Toren.

20.

Die Rose duftet – doch ob sie empfindet

Das, was sie duftet, ob die Nachtigall

Selbst fühlt, was sich durch unsre Seele windet

Bei ihres Liedes süßem Widerhall; –

Ich weiß es nicht. Doch macht uns gar verdrießlich

Die Wahrheit oft! Und Ros’ und Nachtigall,

Erlögen sie auch das Gefühl, ersprießlich

Wär solche Lüge, wie in manchem Fall –

21.

Weil ich dich liebe, muß ich fliehend

Dein Antlitz meiden – zürne nicht.

Wie paßt dein Antlitz, schön und blühend,

Zu meinem traurigen Gesicht!

Weil ich dich liebe, wird so bläßlich,

So elend mager mein Gesicht –

Du fändest mich am Ende häßlich –

Ich will dich meiden – zürne nicht.

22.

Ich wandle unter Blumen

Und blühe selber mit;

Ich wandle wie im Traume,

Und schwanke bei jedem Schritt.

Oh, halt mich fest, Geliebte!

Vor Liebestrunkenheit

Fall ich dir sonst zu Füßen,

Und der Garten ist voller Leut’.

23.

Wie des Mondes Abbild zittert

In den wilden Meereswogen,

Und er selber still und sicher

Wandelt an dem Himmelsbogen:

Also wandelst du, Geliebte,

Still und sicher, und es zittert

Nur dein Abbild mir im Herzen,

Weil mein eignes Herz erschüttert.

24.

Es haben unsre Herzen

Geschlossen die heil’ge Allianz;

Sie lagen fest aneinander,

Und sie verstanden sich ganz.

Ach, nur die junge Rose,

Die deine Brust geschmückt,

Die arme Bundesgenossin,

Sie wurde fast zerdrückt.

25.

Sag mir, wer einst die Uhren erfund,

Die Zeitabteilung, Minute und Stund’?

Das war ein frierend trauriger Mann.

Er saß in der Winternacht und sann,

Und zählte der Mäuschen heimliches Quicken

Und des Holzwurms ebenmäßiges Picken.

Sag mir, wer einst das Küssen erfund?

Das war ein glühend glücklicher Mund;

Er küßte und dachte nichts dabei.

Es war im schönen Monat Mai,

Die Blumen sind aus der Erde gesprungen,

Die Sonne lachte, die Vögel sungen.

26.

Wie die Nelken duftig atmen!

Wie die Sterne, ein Gewimmel

Goldner Bienen, ängstlich schimmern

An dem veilchenblauen Himmel!

Aus dem Dunkel der Kastanien

Glänzt das Landhaus, weiß und lüstern,

Und ich hör die Glastür klirren

Und die liebe Stimme flüstern.

Holdes Zittern, süßes Beben,

Furchtsam zärtliches Umschlingen –

Und die jungen Rosen lauschen,

Und die Nachtigallen singen.

27.

Hab ich nicht dieselben Träume

Schon geträumt von diesem Glücke?

Waren’s nicht dieselben Bäume,

Blumen, Küsse, Liebesblicke?

Schien der Mond nicht durch die Blätter

Unsrer Laube hier am Bache?

Hielten nicht die Marmorgötter

Vor dem Eingang stille Wache?

Ach! ich weiß, wie sich verändern

Diese allzuholden Träume,

Wie mit kalten Schneegewändern

Sich umhüllen Herz und Bäume;

Wie wir selber dann erkühlen

Und uns fliehen und vergessen,

Wir, die jetzt so zärtlich fühlen,

Herz an Herz so zärtlich pressen.

28.

Küsse, die man stiehlt im Dunkeln

Und im Dunkeln wiedergibt,

Solche Küsse, wie besel’gen

Sie die Seele, wenn sie liebt!

Ahnend und erinnrungsüchtig

Denkt die Seele sich dabei

Manches von vergangnen Tagen,

Und von Zukunft mancherlei.

Doch das gar zu viele Denken

Ist bedenklich, wenn man küßt; –

Weine lieber, liebe Seele,

Weil das Weinen leichter ist.

29.

Es war ein alter König,

Sein Herz war schwer, sein Haupt war grau;

Der arme alte König,

Er nahm eine junge Frau.

Es war ein schöner Page,

Blond war sein Haupt, leicht war sein Sinn;

Er trug die seidne Schleppe

Der jungen Königin.

Kennst du das alte Liedchen?

Es klingt so süß, es klingt so trüb!

Sie mußten beide sterben,

Sie hatten sich viel zu lieb.

30.

In meiner Erinnrung erblühen

Die Bilder, die längst verwittert –

Was ist in deiner Stimme,

Das mich so tief erschüttert?

Sag nicht, daß du mich liebst!

Ich weiß, das Schönste auf Erden,

Der Frühling und die Liebe,

Es muß zuschanden werden.

Sag nicht, daß du mich liebst!

Und küsse nur und schweige,

Und lächle, wenn ich dir morgen

Die welken Rosen zeige.

31.

»Mondscheintrunkne Lindenblüten,

Sie ergießen ihre Düfte,

Und von Nachtigallenliedern

Sind erfüllet Laub und Lüfte.

Lieblich läßt es sich, Geliebter,

Unter dieser Linde sitzen,

Wenn die goldnen Mondeslichter

Durch des Baumes Blätter blitzen.

Sieh dies Lindenblatt! du wirst es

Wie ein Herz gestaltet finden;

Darum sitzen die Verliebten

Auch am liebsten unter Linden.

Doch du lächelst; wie verloren

In entfernten Sehnsuchtträumen –

Sprich, Geliebter, welche Wünsche

Dir im lieben Herzen keimen?«

Ach, ich will es dir, Geliebte,

Gern bekennen, ach, ich möchte,

Daß ein kalter Nordwind plötzlich

Weißes Schneegestöber brächte;

Und daß wir, mit Pelz bedecket

Und im buntgeschmückten Schlitten,

Schellenklingelnd, peitschenknallend,

Über Fluß und Fluren glitten.

32.

Durch den Wald, im Mondenscheine,

Sah ich jüngst die Elfen reuten;

Ihre Hörner hört ich klingen,

Ihre Glöckchen hört ich läuten.

Ihre weißen Rößlein trugen

Güldnes Hirschgeweih und flogen

Rasch dahin, wie wilde Schwäne

Kam es durch die Luft gezogen.

Lächelnd nickte mir die Kön’gin,

Lächelnd, im Vorüberreuten.

Galt das meiner neuen Liebe,

Oder soll es Tod bedeuten?

33.

Morgens send ich dir die Veilchen,

Die ich früh im Wald gefunden,

Und des Abends bring ich Rosen,

Die ich brach in Dämmrungstunden.

Weißt du, was die hübschen Blumen

Dir Verblümtes sagen möchten?

Treu sein sollst du mir am Tage

Und mich lieben in den Nächten.

34.

Der Brief, den du geschrieben,

Er macht mich gar nicht bang;

Du willst mich nicht mehr lieben,

Aber dein Brief ist lang.

Zwölf Seiten, eng und zierlich!

Ein kleines Manuskript!

Man schreibt nicht so ausführlich,

Wenn man den Abschied gibt.

35.

Sorge nie, daß ich verrate

Meine Liebe vor der Welt,

Wenn mein Mund ob deiner Schönheit

Von Metaphern überquellt.

Unter einem Wald von Blumen

Liegt, in still verborgner Hut,

Jenes glühende Geheimnis,

Jene tief geheime Glut.

Sprühn einmal verdächt’ge Funken

Aus den Rosen – sorge nie!

Diese Welt glaubt nicht an Flammen,

Und sie nimmt’s für Poesie.

36.

Wie die Tage macht der Frühling

Auch die Nächte mir erklingen;

Als ein grünes Echo kann er

Bis in meine Träume dringen.

Nur noch märchensüßer flöten

Dann die Vögel, durch die Lüfte

Weht es sanfter, sehnsuchtwilder

Steigen auf die Veilchendüfte.

Auch die Rosen blühen röter,

Eine kindlich güldne Glorie

Tragen sie, wie Engelköpfchen

Auf Gemälden der Historie –

Und mir selbst ist dann, als würd ich

Eine Nachtigall und sänge

Diesen Rosen meine Liebe,

Träumend sing ich Wunderklänge –

Bis mich weckt das Licht der Sonne,

Oder auch das holde Lärmen

Jener andren Nachtigallen,

Die vor meinem Fenster schwärmen.

37.

Sterne mit den goldnen Füßchen

Wandeln droben bang und sacht,

Daß sie nicht die Erde wecken,

Die da schläft im Schoß der Nacht.

Horchend stehn die stummen Wälder,

Jedes Blatt ein grünes Ohr!

Und der Berg, wie träumend streckt er

Seinen Schattenarm hervor.

Doch was rief dort? In mein Herze

Dringt der Töne Widerhall.

War es der Geliebten Stimme,

Oder nur die Nachtigall?

38.

Ernst ist der Frühling, seine Träume

Sind traurig, jede Blume schaut

Von Schmerz bewegt, es bebt geheime

Wehmut im Nachtigallenlaut.

O lächle nicht, geliebte Schöne,

So freundlich heiter, lächle nicht!

Oh, weine lieber, eine Träne

Küß ich so gern dir vom Gesicht.

39.

Schon wieder bin ich fortgerissen

Vom Herzen, das ich innig liebe,

Schon wieder bin ich fortgerissen –

O wüßtest du, wie gern ich bliebe.

Der Wagen rollt, es dröhnt die Brücke,

Der Fluß darunter fließt so trübe;

Ich scheide wieder von dem Glücke,

Vom Herzen, das ich innig liebe.

Am Himmel jagen hin die Sterne,

Als flöhen sie vor meinem Schmerze –

Leb wohl, Geliebte! In der Ferne,

Wo ich auch bin, blüht dir mein Herze.

40.

Die holden Wünsche blühen,

Und welken wieder ab,

Und blühen und welken wieder –

So geht es bis ans Grab.

Das weiß ich, und das vertrübet

Mir alle Lieb’ und Lust;

Mein Herz ist so klug und witzig,

Und verblutet in meiner Brust.

41.

Wie ein Greisenantlitz droben

Ist der Himmel anzuschauen,

Roteinäugig und umwoben

Von dem Wolkenhaar, dem grauen.

Blickt er auf die Erde nieder,

Müssen welken Blum’ und Blüte,

Müssen welken Lieb’ und Lieder

In dem menschlichen Gemüte.

42.

Verdroßnen Sinn im kalten Herzen hegend,

Reis ich verdrießlich durch die kalte Welt,

Zu Ende geht der Herbst, ein Nebel hält

Feuchteingehüllt die abgestorbne Gegend.

Die Winde pfeifen, hin und her bewegend

Das rote Laub, das von den Bäumen fällt,

Es seufzt der Wald, es dampft das kahle Feld,

Nun kommt das Schlimmste noch, es regent.

43.

Spätherbstnebel, kalte Träume,

Überfloren Berg und Tal,

Sturm entblättert schon die Bäume,

Und sie schaun gespenstisch kahl.

Nur ein einz’ger, traurig schweigsam

Einz’ger Baum steht unentlaubt,

Feucht von Wehmutstränen gleichsam,

Schüttelt er sein grünes Haupt.

Ach, mein Herz gleicht dieser Wildnis,

Und der Baum, den ich dort schau

Sommergrün, das ist dein Bildnis,

Vielgeliebte, schöne Frau!

44.

Himmel grau und wochentäglich!

Auch die Stadt ist noch dieselbe!

Und noch immer blöd und kläglich

Spiegelt sie sich in der Elbe.

Lange Nasen, noch langweilig

Werden sie wie sonst geschneuzet,

Und das duckt sich noch scheinheilig,

Oder bläht sich, stolz gespreizet.

Schöner Süden! wie verehr ich

Deinen Himmel, deine Götter,

Seit ich diesen Menschenkehricht

Wiederseh, und dieses Wetter!

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