Vorreden

Vorrede zur zweiten Auflage

Diese neue Ausgabe des »Buchs der Lieder« kann ich dem überrheinischen Publikum nicht zuschicken, ohne sie mit freundlichen Grüßen in ehrlichster Prosa zu begleiten. Ich weiß nicht, welches wunderliche Gefühl mich davon abhält, dergleichen Vorworte, wie es bei Gedichtesammlungen üblich ist, in schönen Rhythmen zu versifizieren. Seit einiger Zeit sträubt sich etwas in mir gegen alle gebundene Rede, und wie ich höre, regt sich bei manchen Zeitgenossen eine ähnliche Abneigung. Es will mich bedünken, als sei in schönen Versen allzuviel gelogen worden und die Wahrheit scheue sich, in metrischen Gewanden zu erscheinen.

Nicht ohne Befangenheit übergebe ich der Lesewelt den erneueten Abdruck dieses Buches. Es hat mir die größte Überwindung gekostet, ich habe fast ein ganzes Jahr gezaudert, ehe ich mich zur flüchtigen Durchsicht desselben entschließen konnte. Bei seinem Anblick erwachte in mir all jenes Unbehagen, das mir einst vor zehn Jahren, bei der ersten Publikation, die Seele beklemmte. Verstehen wird diese Empfindung nur der Dichter oder Dichterling, der seine ersten Gedichte gedruckt sah. Erste Gedichte! Sie müssen auf nachlässigen, verblichenen Blättern geschrieben sein, dazwischen, hie und da, müssen welke Blumen liegen, oder eine blonde Locke, oder ein verfärbtes Stückchen Band, und an mancher Stelle muß noch die Spur einer Träne sichtbar sein… Erste Gedichte aber, die gedruckt sind, grell schwarz gedruckt auf entsetzlich glattem Papier, diese haben ihren süßesten, jungfräulichsten Reiz verloren und erregen bei dem Verfasser einen schauerlichen Mißmut.

Ja, es sind nun zehn Jahre, seitdem diese Gedichte zuerst erschienen, und ich gebe sie wie damals in chronologischer Folge, und ganz voran ziehen wieder Lieder, die in jenen früheren Jahren gedichtet worden, als die ersten Küsse der deutschen Muse in meiner Seele brannten. Ach! die Küsse dieser guten Dirne verloren seitdem sehr viel von ihrer Glut und Frische! Bei so langjährigem Verhältnis mußte die Inbrunst der Flitterwochen allmählich verrauchen; aber die Zärtlichkeit wurde manchmal um so herzlicher, besonders in schlechten Tagen, und da bewährte sie mir ihre ganze Liebe und Treue, die deutsche Muse! Sie tröstete mich in heimischen Drangsalen, folgte mir ins Exil, erheiterte mich in bösen Stunden des Verzagens, ließ mich nie im Stich, sogar in Geldnot wußte sie mir zu helfen, die deutsche Muse, die gute Dirne!

Ebensowenig wie an der Zeitfolge, änderte ich an den Gedichten selbst. Nur hie und da, in der ersten Abteilung, wurden einige Verse verbessert. Der Raumersparnis wegen habe ich die Dedikationen der ersten Auflage weggelassen. Doch kann ich nicht umhin, zu erwähnen, daß das »Lyrische Intermezzo« einem Buche entlehnt ist, welches unter dem Titel »Tragödien« im Jahr 1823 erschien und meinem Oheim Salomon Heine zugeeignet worden. Die hohe Achtung, die ich diesem großartigen Manne zollte, sowie auch meine Dankbarkeit für die Liebe, die er mir bewiesen, wollte ich durch jene Widmung beurkunden. »Die Heimkehr«, welche zuerst in den »Reisebildern« erschien, ist der seligen Friederike Varnhagen von Ense gewidmet, und ich darf mich rühmen, der erste gewesen zu sein, der diese große Frau mit öffentlicher Huldigung verehrte. Es war eine große Tat von August Varnhagen, daß er, alles kleinliche Bedenken abweisend, jene Briefe veröffentlichte, worin sich Rahel mit ihrer ganzen Persönlichkeit offenbart. Dieses Buch kam zur rechten Zeit, wo es eben am besten wirken, stärken und trösten konnte. Das Buch kam zur trostbedürftig rechten Zeit. Es ist, als ob die Rahel wußte, welche postume Sendung ihr beschieden war. Sie glaubte freilich, es würde besser werden, und wartete; doch als des Wartens kein Ende nahm, schüttelte sie ungeduldig den Kopf, sah Varnhagen an und starb schnell – um desto schneller auferstehn zu können. Sie mahnt mich an die Sage jener anderen Rahel, die aus dem Grabe hervorstieg und an der Landstraße stand und weinte, als ihre Kinder in die Gefangenschaft zogen.

Ich kann ihrer nicht ohne Wehmut gedenken, der liebreichen Freundin, die mir immer die unermüdlichste Teilnahme widmete und sich oft nicht wenig für mich ängstigte, in jener Zeit meiner jugendlichen Übermüten, in jener Zeit, als die Flamme der Wahrheit mich mehr erhitzte als erleuchtete…

Diese Zeit ist vorbei! Ich bin jetzt mehr erleuchtet als erhitzt. Solche kühle Erleuchtung kommt aber immer zu spät bei den Menschen. Ich sehe jetzt im klarsten Lichte die Steine, über welche ich gestolpert. Ich hätte ihnen so leicht ausweichen können, ohne darum einen unrechten Weg zu wandeln. Jetzt weiß ich auch, daß man in der Welt sich mit allem befassen kann, wenn man nur die dazu nötigen Handschuhe anzieht. Und dann sollten wir nur das tun, was tunlich ist und wozu wir am meisten Geschick haben, im Leben wie in der Kunst. Ach! zu den unseligsten Mißgriffen des Menschen gehört, daß er den Wert der Geschenke, die ihm die Natur am bequemsten entgegenträgt, kindisch verkennt und dagegen die Güter, die ihm am schwersten zugänglich sind, für die kostbarsten ansieht. Den Edelstein, der im Schoße der Erde festgewachsen, die Perle, die in den Untiefen des Meeres verborgen, hält der Mensch für die besten Schätze; er würde sie geringachten, wenn die Natur sie gleich Kieseln und Muscheln zu seinen Füßen legte. Gegen unsere Vorzüge sind wir gleichgültig; über unsere Gebrechen suchen wir uns so lange zu täuschen, bis wir sie endlich für Vortrefflichkeiten halten. Als ich einst, nach einem Konzerte von Paganini, diesem Meister mit leidenschaftlichen Lobsprüchen über sein Violinspiel entgegentrat, unterbrach er mich mit den Worten: »Aber wie gefielen Ihnen heute meine Komplimente, meine Verbeugungen?«

Bescheidenen Sinnes und um Nachsicht bittend, übergebe ich dem Publikum das »Buch der Lieder«; für die Schwäche dieser Gedichte mögen vielleicht meine politischen, theologischen und philosophischen Schriften einigen Ersatz bieten.

Bemerken muß ich jedoch, daß meine poetischen, ebensogut wie meine politischen, theologischen und philosophischen Schriften, einem und demselben Gedanken entsprossen sind und daß man die einen nicht verdammen darf, ohne den andern allen Beifall zu entziehen. Zugleich erlaube ich mir auch die Bemerkung, daß das Gerücht, als hätte jener Gedanken eine bedenkliche Umwandlung in meiner Seele erlitten, auf Angaben beruht, die ich ebenso verachten wie bedauern muß. Nur gewissen bornierten Geistern konnte die Milderung meiner Rede, oder gar mein erzwungenes Schweigen, als ein Abfall von mir selber erscheinen. Sie mißdeuteten meine Mäßigung, und das war um so liebloser, da ich doch nie ihre Überwut mißdeutet habe. Höchstens dürfte man mich einer Ermüdung beschuldigen. Aber ich habe ein Recht, müde zu sein… Und dann muß jeder dem Gesetze der Zeit gehorchen, er mag wollen oder nicht…

»Und scheint die Sonne noch so schön,

Am Ende muß sie untergehn!«

Die Melodie dieser Verse summt mir schon den ganzen Morgen im Kopfe und klingt vielleicht wider aus allem, was ich soeben geschrieben. In einem Stücke von Raimund, dem wackeren Komiker, der sich unlängst aus Melancholie totgeschossen, erschienen Jugend und Alter als allegorische Personen, und das Lied, welches die Jugend singt, wenn sie von dem Helden Abschied nimmt, beginnt mit den erwähnten Versen. Vor vielen Jahren, in München, sah ich dieses Stück, ich glaube, es heißt »Der Bauer als Millionär«. Sobald die Jugend abgeht, sieht man, wie die Person des Helden, der allein auf der Szene zurückbleibt, eine sonderbare Veränderung erleidet. Sein braunes Haar wird allmählich grau und endlich schneeweiß; sein Rücken krümmt sich, seine Knie schlottern; an die Stelle des vorigen Ungestüms tritt eine weinerliche Weichheit… das Alter erscheint.

Naht diese winterliche Gestalt auch schon dem Verfasser dieser Blätter? Gewahrst du schon, teurer Leser, eine ähnliche Umwandlung an dem Schriftsteller, der immer jugendlich, fast allzu jugendlich in der Literatur sich bewegte? Es ist ein betrübender Anblick, wenn ein Schriftsteller vor unseren Augen, angesichts des ganzen Publikums, allmählich alt wird. Wir haben’s gesehen, nicht bei Wolfgang Goethe, dem ewigen Jüngling, aber bei August Wilhelm von Schlegel, dem bejahrten Gecken; wir haben’s gesehen, nicht bei Adelbert Chamisso, der mit jedem Jahre sich blütenreicher verjüngt, aber wir sahen es bei Herrn Ludwig Tieck, dem ehemaligen romantischen Strohmian, der jetzt ein alter räudiger Muntsche geworden… Oh, ihr Götter! ich bitte euch nicht, mir die Jugend zu lassen, aber laßt mir die Tugenden der Jugend, den uneigennützigen Groll, die uneigennützige Träne! Laßt mich nicht ein alter Polterer werden, der aus Neid die jüngeren Geister ankläfft, oder ein matter Jammermensch, der über die gute alte Zeit beständig flennt… Laßt mich ein Greis werden, der die Jugend liebt und trotz der Alterschwäche noch immer teilnimmt an ihren Spielen und Gefahren! Mag immerhin meine Stimme zittern und beben, wenn nur der Sinn meiner Worte unerschrocken und frisch bleibt!

Sie lächelte gestern so sonderbar, halb mitleidig, halb boßhaft, die schöne Freundin, als sie mit ihren rosigen Fingern meine Locken glättete… Nicht wahr, du hast auf meinem Haupte einige weiße Haare bemerkt?

»Und scheint die Sonne noch so schön,

Am Ende muß sie untergehn.«

Geschrieben zu Paris im Frühjahr 1837

Heinrich Heine

Vorrede zur dritten Auflage

Das ist der alte Märchenwald!

Es duftet die Lindenblüte!

Der wunderbare Morgenglanz

Bezaubert mein Gemüte.

Ich ging fürbaß, und wie ich ging,

Erklang es in der Höhe.

Das ist die Nachtigall, sie singt

Von Lieb’ und Liebeswehe.

Sie singt von Lieb’ und Liebesweh,

Von Tränen und von Lachen,

Sie jubelt so traurig, sie schluchzet so froh,

Vergessene Träume erwachen. –

Ich ging fürbaß, und wie ich ging,

Da sah ich vor mir liegen

Auf freiem Platz ein großes Schloß,

Die Giebel hoch aufstiegen.

Verschlossene Fenster, überall

Ein Schweigen und ein Trauern;

Es schien, als wohne der stille Tod

In diesen öden Mauern.

Dort vor dem Tor lag eine Sphinx,

Ein Zwitter von Schrecken und Lüsten,

Der Leib und die Tatzen wie ein Löw’,

Ein Weib an Haupt und Brüsten.

Ein schönes Weib! Der weiße Blick,

Er sprach von wildem Begehren;

Die stummen Lippen wölbten sich

Und lächelten stilles Gewähren.

Die Nachtigall, sie sang so süß –

Ich konnt nicht widerstehen –

Und als ich küßte das holde Gesicht,

Da war’s um mich geschehen.

Lebendig ward das Marmorbild,

Der Stein begann zu ächzen –

Sie trank meiner Küsse lodernde Glut

Mit Dürsten und mit Lechzen.

Sie trank mir fast den Odem aus –

Und endlich, wollustheischend,

Umschlang sie mich, meinen armen Leib

Mit den Löwentatzen zerfleischend.

Entzückende Marter und wonniges Weh!

Der Schmerz wie die Lust unermeßlich!

Derweilen des Mundes Kuß mich beglückt,

Verwunden die Tatzen mich gräßlich.

Die Nachtigall sang: »O schöne Sphinx!

O Liebe! was soll es bedeuten,

Daß du vermischest mit Todesqual

All deine Seligkeiten?

O schöne Sphinx! O löse mir

Das Rätsel, das wunderbare!

Ich hab darüber nachgedacht

Schon manche tausend Jahre.«

Das hätte ich alles sehr gut in guter Prosa sagen können… Wenn man aber die alten Gedichte wieder durchliest, um ihnen, behufs eines erneueten Abdrucks, einige Nachfeile zu erteilen, dann überschleicht einen unversehens die klingelnde Gewohnheit des Reims und Silbenfalls, und siehe! es sind Verse, womit ich die dritte Auflage des »Buchs der Lieder« eröffne. O Phöbus Apollo! sind diese Verse schlecht, so wirst du mir gern verzeihen… Denn du bist ein allwissender Gott, und du weißt sehr gut, warum ich mich seit so vielen Jahren nicht mehr vorzugsweise mit Maß und Gleichklang der Wörter beschäftigen konnte… Du weißt, warum die Flamme, die einst in brillanten Feuerwerkspielen die Welt ergötzte, plötzlich zu weit ernsteren Bränden verwendet werden mußte… Du weißt, warum sie jetzt in schweigender Glut mein Herz verzehrt… Du verstehst mich, großer schöner Gott, der du ebenfalls die goldene Leier zuweilen vertauschtest mit dem starken Bogen und den tödlichen Pfeilen… Erinnerst du dich auch noch des Marsyas, den du lebendig geschunden? Es ist schon lange her, und ein ähnliches Beispiel tät wieder not… Du lächelst, o mein ewiger Vater!

Geschrieben zu Paris, den 20. Februar 1839

Heinrich Heine

Junge Leiden

Entstanden 1817–1821, Erstdruck 1822


Traumbilder


1.

Mir träumte einst von wildem Liebesglühn,

Von hübschen Locken, Myrten und Resede,

Von süßen Lippen und von bittrer Rede,

Von düstrer Lieder düstern Melodien.

Verblichen und verweht sind längst die Träume,

Verweht ist gar mein liebstes Traumgebild’!

Geblieben ist mir nur, was glutenwild

Ich einst gegossen hab in weiche Reime.

Du bliebst, verwaistes Lied! Verweh jetzt auch,

Und such das Traumbild, das mir längst entschwunden,

Und grüß es mir, wenn du es aufgefunden –

Dem luft’gen Schatten send ich luft’gen Hauch.


2.

Ein Traum, gar seltsam schauerlich,

Ergötzte und erschreckte mich.

Noch schwebt mir vor manch grausig Bild,

Und in dem Herzen wogt es wild.

Das war ein Garten, wunderschön,

Da wollt ich lustig mich ergehn;

Viel schöne Blumen sahn mich an,

Ich hatte meine Freude dran.

Es zwitscherten die Vögelein

Viel muntre Liebesmelodei’n;

Die Sonne rot, von Gold umstrahlt,

Die Blumen lustig bunt bemalt.

Viel Balsamduft aus Kräutern rinnt,

Die Lüfte wehen lieb und lind;

Und alles schimmert, alles lacht,

Und zeigt mir freundlich seine Pracht.

Inmitten in dem Blumenland

Ein klarer Marmorbrunnen stand;

Da schaut ich eine schöne Maid,

Die emsig wusch ein weißes Kleid.

Die Wänglein süß, die Äuglein mild,

Ein blondgelocktes Heil’genbild;

Und wie ich schau, die Maid ich fand

So fremd und doch so wohlbekannt.

Die schöne Maid, die sputet sich,

Sie summt ein Lied gar wunderlich:

»Rinne, rinne Wässerlein,

Wasche mir das Linnen rein!«

Ich ging und nahete mich ihr,

Und flüsterte: »O sage mir,

Du wunderschöne, süße Maid,

Für wen ist dieses weiße Kleid?«

Da sprach sie schnell: »Sei bald bereit,

Ich wasche dir dein Totenkleid!«

Und als sie dies gesprochen kaum,

Zerfloß das ganze Bild, wie Schaum. –

Und fortgezaubert stand ich bald

In einem düstern, wilden Wald.

Die Bäume ragten himmelan;

Ich stand erstaunt und sann und sann.

Und horch! welch dumpfer Widerhall!

Wie ferner Äxtenschläge Schall;

Ich eil durch Busch und Wildnis fort,

Und komm an einen freien Ort.

Inmitten in dem grünen Raum,

Da stand ein großer Eichenbaum;

Und sieh! mein Mägdlein wundersam

Haut mit dem Beil den Eichenstamm.

Und Schlag auf Schlag, und sonder Weil’,

Summt sie ein Lied und schwingt das Beil:

»Eisen blink, Eisen blank,

Zimmre hurtig Eichenschrank!«

Ich ging und nahete mich ihr,

Und flüsterte: »O sage mir,

Du wundersüßes Mägdelein,

Wem zimmerst du den Eichenschrein?«

Da sprach sie schnell: »Die Zeit ist karg,

Ich zimmre deinen Totensarg!«

Und als sie dies gesprochen kaum,

Zerfloß das ganze Bild, wie Schaum. –

Es lag so bleich, es lag so weit

Ringsum nur kahle, kahle Heid’;

Ich wußte nicht, wie mir geschah,

Und heimlich schaudernd stand ich da.

Und nun ich eben fürder schweif,

Gewahr ich einen weißen Streif;

Ich eilt drauf zu, und eilt und stand,

Und sieh! die schöne Maid ich fand.

Auf weiter Heid’ stand weiße Maid,

Grub tief die Erd’ mit Grabescheit.

Kaum wagt ich noch sie anzuschaun,

Sie war so schön und doch ein Grau’n.

Die schöne Maid, die sputet sich,

Sie summt ein Lied gar wunderlich:

»Spaten, Spaten, scharf und breit,

Schaufle Grube tief und weit!«

Ich ging und nahete mich ihr,

Und flüsterte: »O sage mir,

Du wunderschöne, süße Maid,

Was diese Grube hier bedeut’t?«

Da sprach sie schnell: »Sei still, ich hab

Geschaufelt dir ein kühles Grab.«

Und als so sprach die schöne Maid,

Da öffnet sich die Grube weit;

Und als ich in die Grube schaut,

Ein kalter Schauer mich durchgraut;

Und in die dunkle Grabesnacht

Stürzt ich hinein – und bin erwacht.


3.

Im nächt’gen Traum hab ich mich selbst geschaut,

In schwarzem Galafrack und seidner Weste,

Manschetten an der Hand, als ging’s zum Feste,

Und vor mir stand mein Liebchen, süß und traut.

Ich beugte mich und sagte: »Sind Sie Braut?

Ei! ei! so gratulier ich, meine Beste!«

Doch fast die Kehle mir zusammenpreßte

Der langgezogne, vornehm kalte Laut.

Und bittre Tränen plötzlich sich ergossen

Aus Liebchens Augen, und in Tränenwogen

Ist mir das holde Bildnis fast zerflossen.

O süße Augen, fromme Liebessterne,

Obschon ihr mir im Wachen oft gelogen,

Und auch im Traum, glaub ich euch dennoch gerne!


4.

Im Traum sah ich ein Männchen klein und putzig,

Das ging auf Stelzen, Schritte ellenweit,

Trug weiße Wäsche und ein feines Kleid,

Inwendig aber war es grob und schmutzig.

Inwendig war es jämmerlich, nichtsnutzig,

Jedoch von außen voller Würdigkeit;

Von der Courage sprach es lang und breit,

Und tat sogar recht trutzig und recht stutzig.

»Und weißt du, wer das ist? Komm her und schau!«

So sprach der Traumgott, und er zeigt’ mir schlau

Die Bilderflut in eines Spiegels Rahmen.

Vor einem Altar stand das Männchen da,

Mein Lieb daneben, beide sprachen: »Ja!«

Und tausend Teufel riefen lachend: »Amen!«


5.

Was treibt und tobt mein tolles Blut?

Was flammt mein Herz in wilder Glut?

Es kocht mein Blut und schäumt und gärt,

Und grimme Glut mein Herz verzehrt.

Das Blut ist toll und gärt und schäumt,

Weil ich den bösen Traum geträumt;

Es kam der finstre Sohn der Nacht,

Und hat mich keuchend fortgebracht.

Er bracht mich in ein helles Haus,

Wo Harfenklang und Saus und Braus,

Und Fackelglanz und Kerzenschein;

Ich kam zum Saal, ich trat hinein.

Das war ein lustig Hochzeitfest;

Zu Tafel saßen froh die Gäst’.

Und wie ich nach dem Brautpaar schaut –

O weh! mein Liebchen war die Braut.

Das war mein Liebchen wunnesam,

Ein fremder Mann war Bräutigam;

Dicht hinterm Ehrenstuhl der Braut,

Da blieb ich stehn, gab keinen Laut.

Es rauscht Musik – gar still stand ich;

Der Freudenlärm betrübte mich.

Die Braut, sie blickt so hochbeglückt,

Der Bräut’gam ihre Hände drückt.

Der Bräut’gam füllt den Becher sein,

Und trinkt daraus, und reicht gar fein

Der Braut ihn hin; sie lächelt Dank –

O weh! mein rotes Blut sie trank.

Die Braut ein hübsches Äpflein nahm,

Und reicht es hin dem Bräutigam.

Der nahm sein Messer, schnitt hinein –

O weh! das war das Herze mein.

Sie äugeln süß, sie äugeln lang,

Der Bräut’gam kühn die Braut umschlang,

Und küßt sie auf die Wangen rot –

O weh! mich küßt der kalte Tod.

Wie Blei lag meine Zung’ im Mund,

Daß ich kein Wörtlein sprechen kunnt.

Da rauscht es auf, der Tanz begann;

Das schmucke Brautpaar tanzt voran.

Und wie ich stand so leichenstumm,

Die Tänzer schweben flink herum; –

Ein leises Wort der Bräut’gam spricht,

Die Braut wird rot, doch zürnt sie nicht. – –


6.

Im süßen Traum, bei stiller Nacht,

Da kam zu mir, mit Zaubermacht,

Mit Zaubermacht, die Liebste mein,

Sie kam zu mir ins Kämmerlein.

Ich schau sie an, das holde Bild!

Ich schau sie an, sie lächelt mild,

Und lächelt, bis das Herz mir schwoll,

Und stürmisch kühn das Wort entquoll:

»Nimm hin, nimm alles, was ich hab,

Mein Liebstes tret ich gern dir ab,

Dürft ich dafür dein Buhle sein,

Von Mitternacht bis Hahnenschrein.«

Da staunt’ mich an gar seltsamlich,

So lieb, so weh und inniglich,

Und sprach zu mir die schöne Maid:

»Oh, gib mir deine Seligkeit!«

»Mein Leben süß, mein junges Blut,

Gäb ich, mit Freud’ und wohlgemut,

Für dich, o Mädchen, engelgleich –

Doch nimmermehr das Himmelreich.«

Wohl braust hervor mein rasches Wort,

Doch blühet schöner immerfort,

Und immer spricht die schöne Maid:

»Oh, gib mir deine Seligkeit!«

Dumpf dröhnt dies Wort mir ins Gehör,

Und schleudert mir ein Glutenmeer

Wohl in der Seele tiefsten Raum;

Ich atme schwer, ich atme kaum. –

Das waren weiße Engelein,

Umglänzt von goldnem Glorienschein;

Nun aber stürmte wild herauf

Ein gräulich schwarzer Koboldhauf’.

Die rangen mit den Engelein,

Und drängten fort die Engelein;

Und endlich auch die schwarze Schar

In Nebelduft zerronnen war. –

Ich aber wollt in Lust vergehn,

Ich hielt im Arm mein Liebchen schön;

Sie schmiegt sich an mich wie ein Reh,

Doch weint sie auch mit bitterm Weh.

Feins Liebchen weint; ich weiß warum,

Und küß ihr Rosenmündlein stumm. –

»O still, feins Lieb, die Tränenflut,

Ergib dich meiner Liebesglut!

Ergib dich meiner Liebesglut –«

Da plötzlich starrt zu Eis mein Blut;

Laut bebet auf der Erde Grund,

Und öffnet gähnend sich ein Schlund.

Und aus dem schwarzen Schlunde steigt

Die schwarze Schar; – feins Lieb erbleicht!

Aus meinen Armen schwand feins Lieb;

Ich ganz alleine stehenblieb.

Da tanzt im Kreise wunderbar,

Um mich herum, die schwarze Schar,

Und drängt heran, erfaßt mich bald,

und gellend Hohngelächter schallt.

Und immer enger wird der Kreis,

Und immer summt die Schauerweis’:

»Du gabest hin die Seligkeit,

Gehörst uns nun in Ewigkeit!«


7.

Nun hast du das Kaufgeld, nun zögerst du doch?

Blutfinstrer Gesell, was zögerst du noch?

Schon sitze ich harrend im Kämmerlein traut,

Und Mitternacht naht schon – es fehlt nur die Braut.

Viel schauernde Lüftchen vom Kirchhofe wehn; –

Ihr Lüftchen! habt ihr mein Bräutchen gesehn?

Viel blasse Larven gestalten sich da,

Umknicksen mich grinsend und nicken: O ja!

Pack aus, was bringst du für Botschafterei,

Du schwarzer Schlingel in Feuerlivrei?

»Die gnädige Herrschaft meldet sich an,

Gleich kommt sie gefahren im Drachengespann.«

Du lieb grau Männchen, was ist dein Begehr?

Mein toter Magister, was treibt dich her?

Er schaut mich mit schweigend trübseligem Blick,

Und schüttelt das Haupt, und wandelt zurück.

Was winselt und wedelt der zott’ge Gesell?

Was glimmert schwarz Katers Auge so hell?

Was heulen die Weiber mit fliegendem Haar?

Was lullt mir Frau Amme mein Wiegenlied gar?

Frau Amme, bleib heut mit dem Singsang zu Haus,

Das Eiapopeia ist lange schon aus;

Ich feire ja heute mein Hochzeitsfest –

Da schau mal, dort kommen schon zierliche Gäst’.

Da schau mal! Ihr Herren, das nenn ich galant!

Ihr tragt, statt der Hüte, die Köpf’ in der Hand!

Ihr Zappelbeinleutchen im Galgenornat,

Der Wind ist still, was kommt ihr so spat?

Da kommt auch alt Besenstielmütterchen schon,

Ach, segne mich, Mütterchen, bin ja dein Sohn.

Da zittert der Mund im weißen Gesicht:

»In Ewigkeit, Amen!« das Mütterchen spricht.

Zwölf winddürre Musiker schlendern herein;

Blind Fiedelweib holpert wohl hintendrein.

Da schleppt der Hanswurst, in buntscheckiger Jack’,

Den Totengräber huckepack.

Es tanzen zwölf Klosterjungfrauen herein;

Die schielende Kupplerin führet den Reihn.

Es folgen zwölf lüsterne Pfäffelein schon,

Und pfeifen ein Schandlied im Kirchenton.

Herr Trödler, o schrei dir nicht blau das Gesicht,

Im Fegfeuer nützt mir dein Pelzröckel nicht;

Dort heizet man gratis jahraus, jahrein,

Statt mit Holz, mit Fürsten- und Bettlergebein.

Die Blumenmädchen sind bucklicht und krumm,

Und purzeln kopfüber im Zimmer herum.

Ihr Eulengesichter mit Heuschreckenbein,

Hei! Laßt mir das Rippengeklapper nur sein!

Die sämtliche Höll’ ist los fürwahr,

Und lärmet und schwärmet in wachsender Schar.

Sogar der Verdammniswalzer erschallt –

Still, still! nun kommt mein feins Liebchen auch bald.

Gesindel, sei still, oder trolle dich fort!

Ich höre kaum selber mein leibliches Wort –

Ei, rasselt nicht eben ein Wagen vor?

Frau Köchin! wo bist du? Schnell öffne das Tor! –

Willkommen, feins Liebchen, wie geht’s dir, mein Schatz?

Willkommen, Herr Pastor, ach, nehmen Sie Platz!

Herr Pastor mit Pferdefuß und Schwanz,

Ich bin Eu’r Ehrwürden Diensteigener ganz!

Lieb Bräutchen, was stehst du so stumm und bleich?

Der Herr Pastor schreitet zur Trauung sogleich;

Wohl zahl ich ihm teure, blutteure Gebühr,

Doch dich zu besitzen, gilt’s Kinderspiel mir.

Knie nieder, süß Bräutchen, knie hin mir zur Seit’! –

Da kniet sie, da sinkt sie – o selige Freud’!

Sie sinkt mir ans Herz, an die schwellende Brust,

Ich halt sie umschlungen mit schauernder Lust.

Die Goldlockenwellen umspielen uns beid’:

An mein Herze pocht das Herze der Maid.

Sie pochen wohl beide vor Lust und vor Weh,

Und schweben hinauf in die Himmelshöh’.

Die Herzlein schwimmen im Freudensee,

Dort oben in Gottes heil’ger Höh’;

Doch auf den Häuptern, wie Grausen und Brand,

Da hat die Hölle gelegt die Hand.

Das ist der finstre Sohn der Nacht,

Der hier den segnenden Priester macht;

Er murmelt die Formel aus blutigem Buch,

Sein Beten ist Lästern, sein Segnen ist Fluch.

Und es krächzet und zischet und heulet toll,

Wie Wogengebrause, wie Donnergeroll; –

Da blitzet auf einmal ein bläuliches Licht –

»In Ewigkeit, Amen!« das Mütterchen spricht.


8.

Ich kam von meiner Herrin Haus

Und wandelt in Wahnsinn und Mitternachtsgraus.

Und wie ich am Kirchhof vorübergehn will,

Da winken die Gräber ernst und still.

Da winkt’s von des Spielmanns Leichenstein;

Da war der flimmernde Mondesschein.

Da lispelt’s: »Lieb Bruder, ich komme gleich!«

Da steigt’s aus dem Grabe nebelbleich.

Der Spielmann war’s, der entstiegen jetzt,

Und hoch auf den Leichenstein sich setzt.

In die Saiten der Zither greift er schnell,

Und singt dabei recht hohl und grell:

»Ei! kennt ihr noch das alte Lied,

Das einst so wild die Brust durchglüht,

Ihr Saiten dumpf und trübe?

Die Engel, die nennen es Himmelsfreud’,

Die Teufel, die nennen es Höllenleid,

Die Menschen, die nennen es: Liebe!«

Kaum tönte des letzten Wortes Schall,

Da taten sich auf die Gräber all;

Viel Luftgestalten dringen hervor,

Umschweben den Spielmann und schrillen im Chor:

»Liebe! Liebe! deine Macht

Hat uns hier zu Bett gebracht

Und die Augen zugemacht –

Ei, was rufst du in der Nacht?«

So heult es verworren, und ächzet und girrt,

Und brauset und sauset, und krächzet und klirrt;

Und der tolle Schwarm den Spielmann umschweift,

Und der Spielmann wild in die Saiten greift:

»Bravo! bravo! immer toll!

Seid willkommen!

Habt vernommen,

Daß mein Zauberwort erscholl!

Liegt man doch jahraus, jahrein,

Mäuschenstill im Kämmerlein;

Laßt uns heute lustig sein!

Mit Vergunst –

Seht erst zu, sind wir allein? –

Narren waren wir im Leben,

Und mit toller Wut ergeben

Einer tollen Liebesbrunst.

Kurzweil kann uns heut nicht fehlen,

Jeder soll hier treu erzählen,

Was ihn weiland hergebracht,

Wie gehetzt,

Wie zerfetzt

Ihn die tolle Liebesjagd.«

Da hüpft aus dem Kreise, so leicht wie der Wind,

Ein mageres Wesen, das summend beginnt:

»Ich war ein Schneidergeselle

Mit Nadel und mit Scher’;

Ich war so flink und schnelle

Mit Nadel und mit Scher’;

Da kam die Meisterstochter

Mit Nadel und mit Scher’;

Und hat mir ins Herz gestochen

Mit Nadel und mit Scher’.«

Da lachten die Geister im lustigen Chor;

Ein Zweiter trat still und ernst hervor:

»Den Rinaldo Rinaldini,

Schinderhanno, Orlandini,

Und besonders Carlo Moor

Nahm ich mir als Muster vor.

Auch verliebt – mit Ehr’ zu melden –

Hab ich mich, wie jene Helden,

Und das schönste Frauenbild

Spukte mir im Kopfe wild.

Und ich seufzte auch und girrte;

Und wenn Liebe mich verwirrte,

Steckt ich meine Finger rasch

In des Herren Nachbars Tasch’.

Doch der Gassenvogt mir grollte,

Daß ich Sehnsuchtstränen wollte

Tocknen mit dem Taschentuch,

Das mein Nachbar bei sich trug.

Und nach frommer Häschersitte

Nahm man still mich in die Mitte,

Und das Zuchthaus, heilig groß,

Schloß mir auf den Mutterschoß.

Schwelgend süß in Liebessinnen,

Saß ich dort beim Wollespinnen,

Bis Rinaldos Schatten kam

Und die Seele mit sich nahm.«

Da lachten die Geister im lustigen Chor;

Geschminkt und geputzt trat ein Dritter hervor:

»Ich war ein König der Bretter

Und spielte das Liebhaberfach,

Ich brüllte manch wildes: Ihr Götter!

Ich seufzte manch zärtliches: Ach!

Den Mortimer spielt ich am besten,

Maria war immer so schön!

Doch trotz der natürlichsten Gesten,

Sie wollte mich nimmer verstehn. –

Einst, als ich verzweifelnd am Ende:

›Maria, du Heilige!‹ rief,

Da nahm ich den Dolch behende –

Und stach mich ein bißchen zu tief.«

Da lachten die Geister im lustigen Chor;

Im weißen Flausch trat ein Vierter hervor:

»Vom Katheder schwatzte herab der Professor.

Er schwatzte, und ich schlief gut dabei ein;

Doch hätt mir’s behagt noch tausendmal besser

Bei seinem holdseligen Töchterlein.

Sie hatt mir oft zärtlich am Fenster genicket,

Die Blume der Blumen, mein Lebenslicht!

Doch die Blume der Blumen ward endlich gepflücket

Vom dürren Philister, dem reichen Wicht.

Da flucht ich den Weibern und reichen Halunken,

Und mischte mir Teufelskraut in den Wein,

Und hab mit dem Tode Smollis getrunken –

Der sprach: ›Fiduzit, ich heiße Freund Hein!‹«

Da lachten die Geister im lustigen Chor;

Einen Strick um den Hals, trat ein Fünfter hervor:

»Es prunkte und prahlte der Graf beim Wein

Mit dem Töchterchen sein und dem Edelgestein.

Was schert mich, du Gräflein, dein Edelgestein?

Mir mundet weit besser dein Töchterlein.

Sie lagen wohl beid’ unter Riegel und Schloß,

Und der Graf besold’te viel Dienertroß.

Was scheren mich Diener und Riegel und Schloß? –

Ich stieg getrost auf die Leiterspross’.

An Liebchens Fensterlein klettr’ ich getrost.

Da hör ich es unten fluchen erbost:

›Fein sachte, mein Bübchen, muß auch dabei sein,

Ich liebe ja auch das Edelgestein.‹

So spöttelt der Graf und erfaßt mich gar,

Und jauchzend umringt mich die Dienerschar.

›Zum Teufel, Gesindel! ich bin ja kein Dieb;

Ich wollte nur stehlen mein trautes Lieb!‹

Da half kein Gerede, da half kein Rat,

Da machte man hurtig die Stricke parat;

Wie die Sonne kam, da wundert’ sie sich,

Am hellen Galgen fand sie mich.«

Da lachten die Geister im lustigen Chor;

Den Kopf in der Hand, trat ein Sechster hervor:

»Zum Weidwerk trieb mich Liebesharm;

Ich schlich umher, die Büchs’ im Arm.

Da schnarret’s hohl vom Baum herab,

Der Rabe rief: ›Kopf – ab! Kopf – ab!‹

Oh, spürt’ ich doch ein Täubchen aus,

Ich brächt es meinem Lieb nach Haus!

So dacht ich, und in Busch und Strauch

Späht ringsumher mein Jägeraug’.

Was koset dort? was schnäbelt fein?

Zwei Turteltäubchen mögen’s sein.

Ich schleich herbei – den Hahn gespannt –

Sieh da! mein eignes Lieb ich fand.

Das war mein Täubchen, meine Braut,

Ein fremder Mann umarmt sie traut –

Nun, alter Schütze, treffe gut!

Da lag der fremde Mann im Blut.

Bald drauf ein Zug mit Henkersfron –

Ich selbst dabei als Hauptperson –

Den Wald durchzog. Vom Baum herab

Der Rabe rief: ›Kopf – ab! Kopf – ab!‹«

Da lachten die Geister im lustigen Chor;

Da trat der Spielmann selber hervor:

»Ich hab mal ein Liedchen gesungen,

Das schöne Lied ist aus;

Wenn das Herz im Leibe zersprungen,

Dann gehen die Lieder nach Haus!«

Und das tolle Gelächter sich doppelt erhebt,

Und die bleiche Schar im Kreise schwebt.

Da scholl vom Kirchturm »Eins« herab,

Da stürzten die Geister sich heulend ins Grab.


9.

Ich lag und schlief, und schlief recht mild,

Verscheucht war Gram und Leid;

Da kam zu mir ein Traumgebild’,

Die allerschönste Maid.

Sie war wie Marmelstein so bleich,

Und heimlich wunderbar;

Im Auge schwamm es perlengleich,

Gar seltsam wallt’ ihr Haar.

Und leise, leise sich bewegt

Die marmorblasse Maid,

Und an mein Herz sich niederlegt

Die marmorblasse Maid.

Wie bebt und pocht vor Weh und Lust

Mein Herz, und brennet heiß!

Nicht bebt, nicht pocht der Schönen Brust,

Die ist so kalt wie Eis.

»Nicht bebt, nicht pocht wohl meine Brust,

Die ist wie Eis so kalt;

Doch kenn auch ich der Liebe Lust,

Der Liebe Allgewalt.

Mir blüht kein Rot auf Mund und Wang’,

Mein Herz duchströmt kein Blut;

Doch sträube dich nicht schaudernd bang,

Ich bin dir hold und gut.«

Und wilder noch umschlang sie mich,

Und tat mir fast ein Leid;

Da kräht der Hahn – und stumm entwich

Die marmorblasse Maid.


10.

Da hab ich viel blasse Leichen

Beschworen mit Wortesmacht;

Die wollen nun nicht mehr weichen

Zurück in die alte Nacht.

Das zähmende Sprüchlein vom Meister

Vergaß ich vor Schauer und Graus;

Nun ziehn die eignen Geister

Mich selber ins neblichte Haus.

Laßt ab, ihr finstern Dämonen!

Laßt ab, und drängt mich nicht!

Noch manche Freude mag wohnen

Hier oben im Rosenlicht.

Ich muß ja immer streben

Nach der Blume wunderhold;

Was bedeutet’ mein ganzes Leben,

Wenn ich sie nicht lieben sollt?

Ich möcht sie nur einmal umfangen

Und pressen ans glühende Herz!

Nur einmal auf Lippen und Wangen

Küssen den seligsten Schmerz!

Nur einmal aus ihrem Munde

Möcht ich hören ein liebendes Wort –

Alsdann wollt ich folgen zur Stunde

Euch, Geister, zum finsteren Ort.

Die Geister haben’s vernommen,

Und nicken schauerlich.

Feins Liebchen, nun bin ich gekommen;

Feins Liebchen, liebst du mich?

Lieder

1.

Morgens steh ich auf und frage:

Kommt feins Liebchen heut?

Abends sink ich hin und klage:

Aus blieb sie auch heut.

In der Nacht mit meinem Kummer

Lieg ich schlaflos, wach;

Träumend, wie im halben Schlummer,

Wandle ich bei Tag.

2.

Es treibt mich hin, es treibt mich her!

Noch wenige Stunden, dann soll ich sie schauen,

Sie selber, die schönste der schönen Jungfrauen; –

Du treues Herz, was pochst du so schwer!

Die Stunden sind aber ein faules Volk!

Schleppen sich behaglich träge,

Schleichen gähnend ihre Wege; –

Tummle dich, du faules Volk!

Tobende Eile mich treibend erfaßt!

Aber wohl niemals liebten die Horen; –

Heimlich im grausamen Bunde verschworen,

Spotten sie tückisch der Liebenden Hast.

3.

Ich wandelte unter den Bäumen

Mit meinem Gram allein;

Da kam das alte Träumen,

Und schlich mir ins Herz hinein.

Wer hat euch dies Wörtlein gelehret,

Ihr Vöglein in luftiger Höh’?

Schweigt still! wenn mein Herz es höret,

Dann tut es noch einmal so weh.

»Es kam ein Jungfräulein gegangen,

Die sang es immerfort,

Da haben wir Vöglein gefangen

Das hübsche, goldne Wort.«

Das sollt ihr mir nicht mehr erzählen,

Ihr Vöglein wunderschlau;

Ihr wollt meinen Kummer mir stehlen,

Ich aber niemanden trau.

4.

Lieb Liebchen, leg’s Händchen aufs Herze mein; –

Ach, hörst du, wie’s pochet im Kämmerlein?

Da hauset ein Zimmermann schlimm und arg,

Der zimmert mir einen Totensarg.

Es hämmert und klopfet bei Tag und bei Nacht.

Es hat mich schon längst um den Schlaf gebracht.

Ach, sputet Euch, Meister Zimmermann,

Damit ich balde schlafen kann!

5.

Schöne Wiege meiner Leiden,

Schönes Grabmal meiner Ruh’,

Schöne Stadt, wir müssen scheiden –

Lebe wohl! ruf ich dir zu.

Lebe wohl, du heil’ge Schwelle,

Wo da wandelt Liebchen traut;

Lebe wohl, du heil’ge Stelle,

Wo ich sie zuerst geschaut.

Hätt ich dich doch nie gesehen,

Schöne Herzenskönigin!

Nimmer wär es dann geschehen,

Daß ich jetzt so elend bin.

Nie wollt ich dein Herze rühren,

Liebe hab ich nie erfleht;

Nur ein stilles Leben führen

Wollt ich, wo dein Odem weht.

Doch du drängst mich selbst von hinnen,

Bittre Worte spricht dein Mund;

Wahnsinn wühlt in meinen Sinnen,

Und mein Herz ist krank und wund.

Und die Glieder matt und träge

Schlepp ich fort am Wanderstab,

Bis mein müdes Haupt ich lege

Ferne in ein kühles Grab.

6.

Warte, warte, wilder Schiffsmann,

Gleich folg ich zum Hafen dir;

Von zwei Jungfraun nehm ich Abschied,

Von Europa und von ihr.

Blutquell, rinn aus meinen Augen,

Blutquell, brich aus meinem Leib,

Daß ich mit dem heißen Blute

Meine Schmerzen niederschreib.

Ei, mein Lieb, warum just heute

Schauderst du, mein Blut zu sehn?

Sahst mich bleich und herzeblutend

Lange Jahre vor dir stehn!

Kennst du noch das alte Liedchen

Von der Schlang’ im Paradies,

Die durch schlimme Apfelgabe

Unsern Ahn ins Elend stieß?

Alles Unheil brachten Äpfel!

Eva bracht damit den Tod,

Eris brachte Trojas Flammen,

Du brachtst beides, Flamm’ und Tod.

7.

Berg’ und Burgen schaun herunter

In den spiegelhellen Rhein,

Und mein Schiffchen segelt munter,

Rings umglänzt von Sonnenschein.

Ruhig seh ich zu dem Spiele

Goldner Wellen, kraus bewegt;

Still erwachen die Gefühle,

Die ich tief im Busen hegt.

Freundlich grüßend und verheißend

Lockt hinab des Stromes Pracht;

Doch ich kenn ihn, oben gleißend,

Birgt sein Innres Tod und Nacht.

Oben Lust, im Busen Tücken,

Strom, du bist der Liebsten Bild!

Die kann auch so freundlich nicken,

Lächelt auch so fromm und mild.

8.

Anfangs wollt ich fast verzagen,

Und ich glaubt, ich trüg es nie;

Und ich hab es doch getragen –

Aber fragt mich nur nicht, wie?

9.

Mit Rosen, Zypressen und Flittergold

Möcht ich verzieren, lieblich und hold,

Dies Buch wie einen Totenschrein,

Und sargen meine Lieder hinein.

O könnt ich die Liebe sargen hinzu!

Am Grabe der Liebe wächst Blümlein der Ruh’,

Da blüht es hervor, da pflückt man es ab –

Doch mir blüht’s nur, wenn ich selber im Grab.

Hier sind nun die Lieder, die einst so wild,

Wie ein Lavastrom, der dem Ätna entquillt,

Hervorgestürzt aus dem tiefsten Gemüt,

Und rings viel blitzende Funken versprüht!

Nun liegen sie stumm und Toten gleich,

Nun starren sie kalt und nebelbleich.

Doch aufs neu die alte Glut sie belebt,

Wenn der Liebe Geist einst über sie schwebt.

Und es wird mir im Herzen viel Ahnung laut:

Der Liebe Geist einst über sie taut;

Einst kommt dies Buch in deine Hand,

Du süßes Lieb im fernen Land.

Dann löst sich des Liedes Zauberbann,

Die blassen Buchstaben schaun dich an,

Sie schauen dir flehend ins schöne Aug’,

Und flüstern mit Wehmut und Liebeshauch.

Romanzen

1.
Der Traurige

Allen tut es weh im Herzen,

Die den bleichen Knaben sehn,

Dem die Leiden, dem die Schmerzen

Aufs Gesicht geschrieben stehn.

Mitleidvolle Lüfte fächeln

Kühlung seiner heißen Stirn;

Labung möcht ins Herz ihm lächeln

Manche sonst so spröde Dirn’.

Aus dem wilden Lärm der Städter

Flüchtet er sich nach dem Wald.

Lustig rauschen dort die Blätter,

Lust’ger Vogelsang erschallt.

Doch der Sang verstummet balde,

Traurig rauschet Baum und Blatt,

Wenn der Traurige dem Walde

Langsam sich genähert hat.

2.
Die Bergstimme

Ein Reiter durch das Bergtal zieht,

Im traurig stillen Trab:

»Ach! zieh ich jetzt wohl in Liebchens Arm,

Oder zieh ich ins dunkle Grab?«

Die Bergstimm’ Antwort gab:

»Ins dunkle Grab!«

Und weiter reitet der Reitersmann,

Und seufzet schwer dazu:

»So zieh ich denn hin ins Grab so früh –

Wohlan, im Grab ist Ruh’!«

Die Stimme sprach dazu:

»Im Grab ist Ruh’!«

Dem Reitersmann eine Träne rollt

Von der Wange kummervoll:

»Und ist nur im Grabe die Ruhe für mich –

So ist mir im Grabe wohl.«

Die Stimm’ erwidert hohl:

»Im Grabe wohl!«

3.
Zwei Brüder

Oben auf der Bergesspitze

Liegt das Schloß in Nacht gehüllt,

Doch im Tale leuchten Blitze,

Helle Schwerter klirren wild.

Das sind Brüder, die dort fechten

Grimmen Zweikampf, wutentbrannt.

Sprich, warum die Brüder rechten

Mit dem Schwerte in der Hand?

Gräfin Lauras Augenfunken

Zündeten den Brüderstreit.

Beide glühen liebestrunken

Für die adlig holde Maid.

Welchem aber von den beiden

Wendet sich ihr Herze zu?

Kein Ergrübeln kann’s entscheiden –

Schwert heraus, entscheide du!

Und sie fechten kühn verwegen,

Hieb’ auf Hiebe niederkracht’s.

Hütet euch, ihr wilden Degen,

Böses Blendwerk schleicht des Nachts.

Wehe! Wehe! blut’ge Brüder!

Wehe! Wehe! blut’ges Tal!

Beide Kämpfer stürzen nieder,

Einer in des andern Stahl. –

Viel Jahrhunderte verwehen,

Viel Geschlechter deckt das Grab;

Traurig von des Berges Höhen

Schaut das öde Schloß herab.

Aber nachts, im Talesgrunde,

Wandelt’s heimlich, wunderbar;

Wenn da kommt die zwölfte Stunde,

Kämpfet dort das Brüderpaar.

4.
Der arme Peter

1.

Der Hans und die Grete tanzen herum,

Und jauchzen vor lauter Freude.

Der Peter steht so still und stumm,

Und ist so blaß wie Kreide.

Der Hans und die Grete sind Bräut’gam und Braut,

Und blitzen im Hochzeitgeschmeide.

Der arme Peter die Nägel kaut

Und geht im Werkeltagskleide.

Der Peter spricht leise vor sich her,

Und schaut betrübet auf beide:

»Ach! wenn ich nicht gar zu vernünftig wär,

Ich täte mir was zuleide.«

2.

»In meiner Brust, da sitzt ein Weh,

Das will die Brust zersprengen;

Und wo ich steh, und wo ich geh,

Will’s mich von hinnen drängen.

Es treibt mich nach der Liebsten Näh’,

Als könnt’s die Grete heilen;

Doch wenn ich der ins Auge seh,

Muß ich von hinnen eilen.

Ich steig hinauf des Berges Höh’,

Dort ist man doch alleine;

Und wenn ich still dort oben steh,

Dann steh ich still und weine.«

3.

Der arme Peter wankt vorbei,

Gar langsam, leichenblaß und scheu.

Es bleiben fast, wenn sie ihn sehn,

Die Leute auf der Straße stehn.

Die Mädchen flüstern sich ins Ohr:

»Der stieg wohl aus dem Grab hervor.«

Ach nein, ihr lieben Jungfräulein,

Der legt sich erst ins Grab hinein.

Er hat verloren seinen Schatz,

Drum ist das Grab der beste Platz,

Wo er am besten liegen mag,

Und schlafen bis zum Jüngsten Tag.

5.
Lied des Gefangenen

Als meine Großmutter die Liese behext,

Da wollten die Leut’ sie verbrennen.

Schon hatte der Amtmann viel Dinte verkleckst,

Doch wollte sie nicht bekennen.

Und als man sie in den Kessel schob,

Da schrie sie Mord und Wehe;

Und als sich der schwarze Qualm erhob,

Da flog sie als Rab’ in die Höhe.

Mein schwarzes, gefiedertes Großmütterlein!

O komm mich im Turme besuchen!

Komm, fliege geschwind durchs Gitter herein,

Und bringe mir Käse und Kuchen.

Mein schwarzes, gefiedertes Großmütterlein!

O möchtest du nur sorgen,

Daß die Muhme nicht auspickt die Augen mein,

Wenn ich luftig schwebe morgen.

6.
Die Grenadiere

Nach Frankreich zogen zwei Grenadier’,

Die waren in Rußland gefangen.

Und als sie kamen ins deutsche Quartier,

Sie ließen die Köpfe hangen.

Da hörten sie beide die traurige Mär:

Daß Frankreich verlorengegangen,

Besiegt und zerschlagen das große Heer –

Und der Kaiser, der Kaiser gefangen.

Da weinten zusammen die Grenadier’

Wohl ob der kläglichen Kunde.

Der eine sprach: »Wie weh wird mir,

Wie brennt meine alte Wunde!«

Der andre sprach: »Das Lied ist aus,

Auch ich möcht mit dir sterben,

Doch hab ich Weib und Kind zu Haus,

Die ohne mich verderben.«

»Was schert mich Weib, was schert mich Kind,

Ich trage weit beßres Verlangen;

Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind –

Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!

Gewähr mir, Bruder, eine Bitt’:

Wenn ich jetzt sterben werde,

So nimm meine Leiche nach Frankreich mit,

Begrab mich in Frankreichs Erde.

Das Ehrenkreuz am roten Band

Sollst du aufs Herz mir legen;

Die Flinte gib mir in die Hand,

Und gürt mir um den Degen.

So will ich liegen und horchen still,

Wie eine Schildwach’, im Grabe,

Bis einst ich höre Kanonengebrüll

Und wiehernder Rosse Getrabe.

Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,

Viel Schwerter klirren und blitzen;

Dann steig ich gewaffnet hervor aus dem Grab –

Den Kaiser, den Kaiser zu schützen!«

7.
Die Botschaft

Mein Knecht! steh auf und sattle schnell,

Und wirf dich auf dein Roß,

Und jage rasch durch Wald und Feld

Nach König Duncans Schloß.

Dort schleiche in den Stall, und wart,

Bis dich der Stallbub schaut.

Den forsch mir aus: »Sprich, welche ist

Von Duncans Töchtern Braut?«

Und spricht der Bub: »Die Braune ist’s«,

So bring mir schnell die Mär.

Doch spricht der Bub: »Die Blonde ist’s«,

So eilt das nicht so sehr.

Dann geh zum Meister Seiler hin,

Und kauf mir einen Strick,

Und reite langsam, sprich kein Wort,

Und bring mir den zurück.

8.
Die Heimführung

Ich geh nicht allein, mein feines Lieb,

Du mußt mit mir wandern

Nach der lieben, alten, schaurigen Klause,

In dem trüben, kalten, traurigen Hause,

Wo meine Mutter am Eingang kau’rt

Und auf des Sohnes Heimkehr lau’rt.

»Laß ab von mir, du finstrer Mann!

Wer hat dich gerufen?

Dein Odem glüht, deine Hand ist Eis,

Dein Auge sprüht, deine Wang’ ist weiß; –

Ich aber will mich lustig freun

An Rosenduft und Sonnenschein.«

Laß duften die Rosen, laß scheinen die Sonn’,

Mein süßes Liebchen!

Wirf um den weiten weißwallenden Schleier,

Und greif in die Saiten der schallenden Leier,

Und singe ein Hochzeitslied dabei;

Der Nachtwind pfeift die Melodei.

9.
Don Ramiro

»Doña Clara! Doña Clara!

Heißgeliebte langer Jahre!

Hast beschlossen mein Verderben,

Und beschlossen ohn’ Erbarmen.

Doña Clara! Doña Clara!

Ist doch süß die Lebensgabe!

Aber unten ist es grausig,

In dem dunkeln, kalten Grabe.

Doña Clara! Freu dich, morgen

Wird Fernando, am Altare,

Dich als Eh’gemahl begrüßen –

Wirst du mich zur Hochzeit laden?«

»Don Ramiro! Don Ramiro!

Deine Worte treffen bitter,

Bittrer als der Spruch der Sterne,

Die da spotten meines Willens.

Don Ramiro! Don Ramiro!

Rüttle ab den dumpfen Trübsinn;

Mädchen gibt es viel auf Erden,

Aber uns hat Gott geschieden.

Don Ramiro, der du mutig

Soviel Mohren überwunden,

Überwinde nun dich selber –

Komm auf meine Hochzeit morgen.«

»Doña Clara! Doña Clara!

Ja, ich schwör es, ja, ich komme!

Will mit dir den Reihen tanzen; –

Gute Nacht, ich komme morgen.«

»Gute Nacht!« – Das Fenster klirrte.

Seufzend stand Ramiro unten,

Stand noch lange wie versteinert;

Endlich schwand er fort im Dunkeln. –

Endlich auch, nach langem Ringen,

Muß die Nacht dem Tage weichen;

Wie ein bunter Blumengarten

Liegt Toledo ausgebreitet.

Prachtgebäude und Paläste

Schimmern hell im Glanz der Sonne;

Und der Kirchen hohe Kuppeln

Leuchten stattlich wie vergoldet.

Summend, wie ein Schwarm von Bienen,

Klingt der Glocken Festgeläute,

Lieblich steigen Betgesänge

Aus den frommen Gotteshäusern.

Aber dorten, siehe! siehe!

Dorten aus der Marktkapelle,

Im Gewimmel und Gewoge,

Strömt des Volkes bunte Menge.

Blanke Ritter, schmucke Frauen,

Hofgesinde, festlich blinkend,

Und die hellen Glocken läuten,

Und die Orgel rauscht dazwischen.

Doch, mit Ehrfurcht ausgewichen,

In des Volkes Mitte wandelt

Das geschmückte junge Eh’paar,

Doña Clara, Don Fernando.

Bis an Bräutigams Palasttor

Wälzet sich das Volksgewühle;

Dort beginnt die Hochzeitfeier,

Prunkhaft und nach alter Sitte.

Ritterspiel und frohe Tafel

Wechseln unter lautem Jubel;

Rauschend schnell entfliehn die Stunden,

Bis die Nacht herabgesunken.

Und zum Tanze sich versammeln

In dem Saal die Hochzeitgäste;

In dem Glanz der Lichter funkeln

Ihre bunten Prachtgewänder.

Auf erhobne Stühle ließen

Braut und Bräutigam sich nieder,

Doña Clara, Don Fernando.

Und sie tauschen süße Reden.

Und im Saale wogen heiter

Die geschmückten Menschenwellen,

Und die lauten Pauken wirbeln,

Und es schmettern die Drommeten.

»Doch warum, o schöne Herrin,

Sind gerichtet deine Blicke

Dorthin nach der Saalesecke?«

So verwundert sprach der Ritter.

»Siehst du denn nicht, Don Fernando,

Dort den Mann im schwarzen Mantel?«

Und der Ritter lächelt freundlich:

»Ach! das ist ja nur ein Schatten.«

Doch es nähert sich der Schatten,

Und es war ein Mann im Mantel;

Und Ramiro schnell erkennend,

Grüßt ihn Clara, glutbefangen.

Und der Tanz hat schon begonnen,

Munter drehen sich die Tänzer

In des Walzers wilden Kreisen,

Und der Boden dröhnt und bebet.

»Wahrlich gerne, Don Ramiro,

Will ich dir zum Tanze folgen,

Doch im nächtlich schwarzen Mantel

Hättest du nicht kommen sollen.«

Mit durchbohrend stieren Augen

Schaut Ramiro auf die Holde,

Sie umschlingend spricht er düster:

»Sprachest ja, ich sollte kommen!«

Und ins wirre Tanzgetümmel

Drängen sich die beiden Tänzer;

Und die lauten Pauken wirbeln,

Und es schmettern die Drommeten.

»Sind ja schneeweiß deine Wangen!«

Flüstert Clara, heimlich zitternd.

»Sprachest ja, ich sollte kommen!«

Schallet dumpf Ramiros Stimme.

Und im Saal die Kerzen blinzeln

Durch das flutende Gedränge;

Und die lauten Pauken wirbeln,

Und es schmettern die Drommeten.

»Sind ja eiskalt deine Hände!«

Flüstert Clara, schauerzuckend.

»Sprachest ja, ich sollte kommen!«

Und sie treiben fort im Strudel.

»Laß mich, laß mich! Don Ramiro!

Leichenduft ist ja dein Odem!«

Wiederum die dunklen Worte:

»Sprachest ja, ich sollte kommen!«

Und der Boden raucht und glühet,

Lustig tönet Geig’ und Bratsche;

Wie ein tolles Zauberweben

Schwindelt alles in dem Saale.

»Laß mich, laß mich! Don Ramiro!«

Wimmert’s immer im Gewoge.

Don Ramiro stets erwidert:

»Sprachest ja, ich sollte kommen!«

»Nun, so geh, in Gottes Namen!«

Clara rief’s mit fester Stimme,

Und dies Wort war kaum gesprochen,

Und verschwunden war Ramiro.

Clara starret, Tod im Antlitz,

Kaltumflirret, nachtumwoben;

Ohnmacht hat das lichte Bildnis

In ihr dunkles Reich gezogen.

Endlich weicht der Nebelschlummer,

Endlich schlägt sie auf die Wimper;

Aber Staunen will aufs neue

Ihre holden Augen schließen.

Denn derweil der Tanz begonnen,

War sie nicht vom Sitz gewichen,

Und sie sitzt noch bei dem Bräut’gam,

Und der Ritter sorgsam bittet:

»Sprich, was bleichet deine Wangen?

Warum wird dein Aug’ so dunkel? –«

»Und Ramiro? – –« stottert Clara,

Und Entsetzen lähmt die Zunge.

Doch mit tiefen, ernsten Falten

Furcht sich jetzt des Bräut’gams Stirne:

»Herrin, forsch nicht blut’ge Kunde –

Heute mittag starb Ramiro.«

10.
Belsazar

Die Mitternacht zog näher schon;

In stiller Ruh’ lag Babylon.

Nur oben in des Königs Schloß,

Da flackert’s, da lärmt des Königs Troß.

Dort oben in dem Königssaal

Belsazar hielt sein Königsmahl.

Die Knechte saßen in schimmernden Reihn,

Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.

Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht’;

So klang es dem störrigen Könige recht.

Des Königs Wangen leuchten Glut;

Im Wein erwuchs ihm kecker Mut.

Und blindlings reißt der Mut ihn fort;

Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.

Und er brüstet sich frech, und lästert wild;

Die Knechtenschar ihm Beifall brüllt.

Der König rief mit stolzem Blick;

Der Diener eilt und kehrt zurück.

Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt;

Das war aus dem Tempel Jehovas geraubt.

Und der König ergriff mit frevler Hand

Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand.

Und er leert ihn hastig bis auf den Grund,

Und rufet laut mit schäumendem Mund:

»Jehova! dir künd ich auf ewig Hohn –

Ich bin der König von Babylon!«

Doch kaum das grause Wort verklang,

Dem König ward’s heimlich im Busen bang.

Das gellende Lachen verstummte zumal;

Es wurde leichenstill im Saal.

Und sieh! und sieh! an weißer Wand

Da kam’s hervor wie Menschenhand;

Und schrieb, und schrieb an weißer Wand

Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.

Der König stieren Blicks da saß,

Mit schlotternden Knien und totenblaß.

Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,

Und saß gar still, gab keinen Laut.

Die Magier kamen, doch keiner verstand

Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.

Belsazar ward aber in selbiger Nacht

Von seinen Knechten umgebracht.

11.
Die Minnesänger

Zu dem Wettgesange schreiten

Minnesänger jetzt herbei;

Ei, das gibt ein seltsam Streiten,

Ein gar seltsames Turnei!

Phantasie, die schäumend wilde,

Ist des Minnesängers Pferd,

Und die Kunst dient ihm zum Schilde,

Und das Wort, das ist sein Schwert.

Hübsche Damen schauen munter

Vom beteppichten Balkon,

Doch die rechte ist nicht drunter

Mit der rechten Lorbeerkron’.

Andre Leute, wenn sie springen

In die Schranken, sind gesund;

Doch wir Minnesänger bringen

Dort schon mit die Todeswund’.

Und wem dort am besten dringet

Liederblut aus Herzensgrund,

Der ist Sieger, der erringet

Bestes Lob aus schönstem Mund.

12.
Die Fensterschau

Der bleiche Heinrich ging vorbei,

Schön Hedwig lag am Fenster.

Sie sprach halblaut: »Gott steh’ mir bei,

Der unten schaut bleich wie Gespenster!«

Der unten erhub sein Aug’ in die Höh’,

Hinschmachtend nach Hedewigs Fenster.

Schön Hedwig ergriff es wie Liebesweh,

Auch sie ward bleich wie Gespenster.

Schön Hedwig stand nun mit Liebesharm

Tagtäglich lauernd am Fenster.

Bald aber lag sie in Heinrichs Arm.

Allnächtlich zur Zeit der Gespenster.

13.
Der wunde Ritter

Ich weiß eine alte Kunde,

Die hallet dumpf und trüb:

Ein Ritter liegt liebeswunde,

Doch treulos ist sein Lieb.

Als treulos muß er verachten

Die eigne Herzliebste sein,

Als schimpflich muß er betrachten

Die eigne Liebespein.

Er möcht in die Schranken reiten

Und rufen die Ritter zum Streit:

»Der mag sich zum Kampfe bereiten,

Wer mein Lieb eines Makels zeiht!«

Da würden wohl alle schweigen,

Nur nicht sein eigener Schmerz;

Da müßt er die Lanze neigen

Wider’s eigne klagende Herz.

14.
Wasserfahrt

Ich stand gelehnet an den Mast,

Und zählte jede Welle.

»Ade! mein schönes Vaterland!

Mein Schiff, das segelt schnelle!«

Ich kam schön Liebchens Haus vorbei,

Die Fensterscheiben blinken;

Ich guck mir fast die Augen aus,

Doch will mir niemand winken.

Ihr Tränen, bleibt mir aus dem Aug’,

Daß ich nicht dunkel sehe.

Mein krankes Herze, brich mir nicht

Vor allzugroßem Wehe.

15.
Das Liedchen von der Reue

Herr Ulrich reitet im grünen Wald,

Die Blätter lustig rauschen.

Er sieht eine holde Mädchengestalt

Durch Baumeszweige lauschen.

Der Junker spricht: »Wohl kenne ich

Dies blühende, glühende Bildnis,

Verlockend stets umschwebt es mich

In Volksgewühl und Wildnis.

Zwei Röslein sind die Lippen dort,

Die lieblichen, die frischen;

Doch manches häßlich bittre Wort

Schleicht tückisch oft dazwischen.

Drum gleicht dies Mündlein gar genau

Den hübschen Rosenbüschen,

Wo gift’ge Schlangen wunderschlau

Im dunkeln Laube zischen.

Dort jenes Grübchen wunderlieb

In wunderlieben Wangen,

Das ist die Grube, worein mich trieb

Wahnsinniges Verlangen.

Dort seh ich ein schönes Lockenhaar

Vom schönsten Köpfchen hangen,

Das sind die Netze wunderbar,

Womit mich der Böse gefangen.

Und jenes blaue Auge dort,

So klar wie stille Welle,

Das hielt ich für des Himmels Pfort’,

Doch war’s die Pforte der Hölle.« –

Herr Ulrich reitet weiter im Wald,

Die Blätter rauschen schaurig.

Da sieht er von fern eine zweite Gestalt,

Die ist so bleich, so traurig.

Der Junker spricht: »O Mutter dort,

Die mich so mütterlich liebte,

Der ich mit bösem Tun und Wort

Das Leben bitterlich trübte!

Oh, könnt ich dir trocknen die Augen naß,

Mit der Glut von meinen Schmerzen!

Oh, könnt ich dir röten die Wangen blaß,

Mit dem Blut aus meinem Herzen!«

Und weiter reitet Herr Ulerich,

Im Wald beginnt es zu düstern,

Viel seltsame Stimmen regen sich,

Die Abendwinde flüstern.

Der Junker hört die Worte sein

Gar vielfach widerklingen.

Das taten die spöttischen Waldvöglein,

Die zwitschern laut und singen:

»Herr Ulrich singt ein hübsches Lied,

Das Liedchen von der Reue,

Und hat er zu Ende gesungen das Lied,

So singt er es wieder aufs neue.«

16.
An eine Sängerin

Als sie eine Romanze sang

Ich denke noch der Zaubervollen,

Wie sie zuerst mein Auge sah!

Wie ihre Töne lieblich klangen

Und heimlich süß ins Herze drangen,

Entrollten Tränen meinen Wangen –

Ich wußte nicht, wie mir geschah.

Ein Traum war über mich gekommen:

Mir war, als sei ich noch ein Kind,

Und säße still, beim Lämpchenscheine,

In Mutters frommem Kämmerleine,

Und läse Märchen wunderfeine,

Derweilen draußen Nacht und Wind.

Die Märchen fangen an zu leben,

Die Ritter steigen aus der Gruft;

Bei Ronzisvall, da gibt’s ein Streiten,

Da kommt Herr Roland herzureiten,

Viel kühne Degen ihn begleiten,

Auch leider Ganelon, der Schuft.

Durch den wird Roland schlimm gebettet,

Er schwimmt in Blut, und atmet kaum;

Kaum mochte fern sein Jagdhornzeichen

Das Ohr des großen Karls erreichen,

Da muß der Ritter schon erbleichen –

Und mit ihm stirbt zugleich mein Traum.

Das war ein laut verworrnes Schallen,

Das mich aus meinen Träumen rief.

Verklungen war jetzt die Legende,

Die Leute schlugen in die Hände,

Und riefen »Bravo!« ohne Ende;

Die Sängerin verneigt sich tief.

17.
Das Lied von den Dukaten

Meine güldenen Dukaten,

Sagt, wo seid ihr hingeraten?

Seid ihr bei den güldnen Fischlein,

Die im Bache froh und munter

Tauchen auf und tauchen unter?

Seid ihr bei den güldnen Blümlein,

Die auf lieblich grüner Aue

Funkeln hell im Morgentaue?

Seid ihr bei den güldnen Vöglein,

Die da schweifen glanzumwoben

In den blauen Lüften oben?

Seid ihr bei den güldnen Sternlein,

Die im leuchtenden Gewimmel

Lächeln jede Nacht am Himmel?

Ach! ihr güldenen Dukaten

Schwimmt nicht in des Baches Well’,

Funkelt nicht auf grüner Au,

Schwebet nicht in Lüften blau,

Lächelt nicht am Himmel hell –

Meine Manichäer, traun!

Halten euch in ihren Klaun.

18.
Gespräch auf der Paderborner Heide

Hörst du nicht die fernen Töne,

Wie von Brummbaß und von Geigen?

Dorten tanzt wohl manche Schöne

Den geflügelt leichten Reigen.

»Ei, mein Freund, das nenn ich irren,

Von den Geigen hör ich keine,

Nur die Ferklein hör ich quirren,

Grunzen nur hör ich die Schweine.«

Hörst du nicht das Waldhorn blasen?

Jäger sich des Weidwerks freuen,

Fromme Lämmer seh ich grasen,

Schäfer spielen auf Schalmeien.

»Ei, mein Freund, was du vernommen,

Ist kein Waldhorn, noch Schalmeie;

Nur den Sauhirt seh ich kommen,

Heimwärts treibt er seine Säue.«

Hörst du nicht das ferne Singen,

Wie von süßen Wettgesängen?

Englein schlagen mit den Schwingen

Lauten Beifall solchen Klängen.

»Ei, was dort so hübsch geklungen,

Ist kein Wettgesang, mein Lieber!

Singend treiben Gänsejungen

Ihre Gänselein vorüber.«

Hörst du nicht die Glocken läuten,

Wunderlieblich, wunderhelle?

Fromme Kirchengänger schreiten

Andachtsvoll zur Dorfkapelle.

»Ei, mein Freund, das sind die Schellen

Von den Ochsen, von den Kühen,

Die nach ihren dunkeln Ställen

Mit gesenktem Kopfe ziehen.«

Siehst du nicht den Schleier wehen?

Siehst du nicht das leise Nicken?

Dort seh ich die Liebste stehen,

Feuchte Wehmut in den Blicken.

»Ei, mein Freund, dort seh ich nicken

Nur das Waldweib, nur die Liese;

Blaß und hager an den Krücken

Hinkt sie weiter nach der Wiese.«

Nun, mein Freund, so magst du lachen

Über des Phantasten Frage!

Wirst du auch zur Täuschung machen,

Was ich fest im Busen trage?

19.
Lebensgruß

Stammbuchblatt

Eine große Landstraß’ ist unsere Erd’,

Wir Menschen sind Passagiere;

Man rennet und jaget, zu Fuß und zu Pferd,

Wie Läufer oder Kuriere.

Man fährt sich vorüber, man nicket, man grüßt

Mit dem Taschentuch aus der Karosse;

Man hätte sich gerne geherzt und geküßt,

Doch jagen von hinnen die Rosse.

Kaum trafen wir uns auf derselben Station,

Herzliebster Prinz Alexander,

Da bläst schon zur Abfahrt der Postillion,

Und bläst uns schon auseinander.

20.
Wahrhaftig

Wenn der Frühling kommt mit dem Sonnenschein,

Dann knospen und blühen die Blümlein auf;

Wenn der Mond beginnt seinen Strahlenlauf,

Dann schwimmen die Sternlein hintendrein;

Wenn der Sänger zwei süße Äuglein sieht,

Dann quellen ihm Lieder aus tiefem Gemüt; –

Doch Lieder und Sterne und Blümelein,

Und Äuglein und Mondglanz und Sonnenschein,

Wie sehr das Zeug auch gefällt,

So macht’s doch noch lang keine Welt.

Sonette

An A.W. v. Schlegel

Im Reifrockputz, mit Blumen reich verzieret,

Schönpflästerchen auf den geschminkten Wangen,

Mit Schnabelschuhn, mit Stickerein behangen,

Mit Turmfrisur, und wespengleich geschnüret:

So war die Aftermuse ausstaffieret,

Als sie einst kam, dich liebend zu umfangen.

Du bist ihr aber aus dem Weg gegangen,

Und irrtest fort, von dunklem Trieb geführet.

Da fandest du ein Schloß in alter Wildnis,

Und drinnen lag, wie’n holdes Marmorbildnis,

Die schönste Maid in Zauberschlaf versunken.

Doch wich der Zauber bald, bei deinem Gruße

Aufwachte lächelnd Deutschlands echte Muse,

Und sank in deine Arme liebestrunken.

An meine Mutter B. Heine, geborene v. Geldern

1.

Ich bin’s gewohnt, den Kopf recht hoch zu tragen,

Mein Sinn ist auch ein bißchen starr und zähe;

Wenn selbst der König mir ins Antlitz sähe,

Ich würde nicht die Augen niederschlagen.

Doch, liebe Mutter, offen will ich’s sagen:

Wie mächtig auch mein stolzer Mut sich blähe,

In deiner selig süßen, trauten Nähe

Ergreift mich oft ein demutvolles Zagen.

Ist es dein Geist, der heimlich mich bezwinget,

Dein hoher Geist, der alles kühn durchdringet,

Und blitzend sich zum Himmelslichte schwinget?

Quält mich Erinnerung, daß ich verübet

So manche Tat, die dir das Herz betrübet?

Das schöne Herz, das mich so sehr geliebet?

2.

Im tollen Wahn hatt ich dich einst verlassen,

Ich wollte gehn die ganze Welt zu Ende,

Und wollte sehn, ob ich die Liebe fände,

Um liebevoll die Liebe zu umfassen.

Die Liebe suchte ich auf allen Gassen,

Vor jeder Türe streckt ich aus die Hände,

Und bettelte um g’ringe Liebesspende –

Doch lachend gab man mir nur kaltes Hassen.

Und immer irrte ich nach Liebe, immer

Nach Liebe, doch die Liebe fand ich nimmer,

Und kehrte um nach Hause, krank und trübe.

Doch da bist du entgegen mir gekommen,

Und ach! was da in deinem Aug’ geschwommen,

Das war die süße, langgesuchte Liebe.

An H.S.

Wie ich dein Büchlein hastig aufgeschlagen,

Da grüßen mir entgegen viel vertraute,

Viel goldne Bilder, die ich weiland schaute

Im Knabentraum und in den Kindertagen

Ich sehe wieder stolz gen Himmel ragen

Den frommen Dom, den deutscher Glaube baute,

Ich hör der Glocken und der Orgel Laute,

Dazwischen klingt’s wie süße Liebesklagen.

Wohl seh ich auch, wie sie den Dom umklettern,

Die flinken Zwerglein, die sich dort erfrechen,

Das hübsche Blum- und Schnitzwerk abzubrechen.

Doch mag man immerhin die Eich’ entblättern

Und sie des grünen Schmuckes rings berauben –

Kommt neuer Lenz, wird sie sich neu belauben.

Ich beug mich nicht vor jenen hübschen Metzen,

Die schamlos prunken mit der eignen Schand’;

Ich zieh nicht mit, wenn sich der Pöbel spannt

Vor Siegeswagen seiner eiteln Götzen.

Ich weiß es wohl, die Eiche muß erliegen,

Derweil das Rohr am Bach, durch schwankes Biegen,

In Wind und Wetter stehnbleibt, nach wie vor.

Doch sprich, wie weit bringt’s wohl am End’ solch Rohr?

Welch Glück! als ein Spazierstock dient’s dem Stutzer,

Als Kleiderklopfer dient’s dem Stiefelputzer.

2.

Gib her die Larv’, ich will mich jetzt maskieren

In einen Lumpenkerl, damit Halunken,

Die prächtig in Charaktermasken prunken,

Nicht wähnen, ich sei einer von den Ihren.

Gib her gemeine Worte und Manieren,

Ich zeige mich in Pöbelart versunken,

Verleugne all die schönen Geistesfunken,

Womit jetzt fade Schlingel kokettieren.

So tanz ich auf dem großen Maskenballe,

Umschwärmt von deutschen Rittern, Mönchen, Kön’gen,

Von Harlekin gegrüßt, erkannt von wen’gen.

Mit ihrem Holzschwert prügeln sie mich alle.

Das ist der Spaß. Denn wollt ich mich entmummen,

So müßte all das Galgenpack verstummen.

3.

Ich lache ob den abgeschmackten Laffen,

Die mich anglotzen mit den Bocksgesichtern;

Ich lache ob den Füchsen, die so nüchtern

Und hämisch mich beschnüffeln und begaffen.

Ich lache ob den hochgelahrten Affen,

Die sich aufblähn zu stolzen Geistesrichtern;

Ich lache ob den feigen Bösewichtern,

Die mich bedrohn mit giftgetränkten Waffen.

Denn wenn des Glückes hübsche Siebensachen

Uns von des Schicksals Händen sind zerbrochen,

Und so zu unsern Füßen hingeschmissen;

Und wenn das Herz im Leibe ist zerrissen,

Zerrissen, und zerschnitten, und zerstochen –

Dann bleibt uns doch das schöne gelle Lachen.

4.

Im Hirn spukt mir ein Märchen wunderfein,

Und in dem Märchen klingt ein feines Lied,

Und in dem Liede lebt und webt und blüht

Ein wunderschönes zartes Mägdelein.

Und in dem Mägdlein wohnt ein Herzchen klein,

Doch in dem Herzchen keine Liebe glüht;

In dieses lieblos frostige Gemüt

Kam Hochmut nur und Übermut hinein.

Hörst du, wie mir im Kopf das Märchen klinget?

Und wie das Liedchen summet ernst und schaurig?

Und wie das Mägdlein kichert, leise, leise?

Ich fürchte nur, daß mir der Kopf zerspringet –

Und ach! da wär’s doch gar entsetzlich traurig,

Käm der Verstand mir aus dem alten Gleise.

5.

In stiller, wehmutweicher Abendstunde

Umklingen mich die längst verschollnen Lieder,

Und Tränen fließen von der Wange nieder,

Und Blut entquillt der alten Herzenswunde.

Und wie in eines Zauberspiegels Grunde

Seh ich das Bildnis meiner Liebsten wieder;

Sie sitzt am Arbeitstisch, im roten Mieder,

Und Stille herrscht in ihrer sel’gen Runde.

Doch plötzlich springt sie auf vom Stuhl und schneidet

Von ihrem Haupt die schönste aller Locken,

Und gibt sie mir – vor Freud’ bin ich erschrocken.

Mephisto hat die Freude mir verleidet.

Er spann ein festes Seil von jenen Haaren,

Und schleift mich dran herum seit vielen Jahren.

6.

»Als ich vor einem Jahr dich wiederblickte,

Küßtest du mich nicht in der Willkommstund’.«

So sprach ich, und der Liebsten roter Mund

Den schönsten Kuß auf meine Lippen drückte.

Und lächelnd süß ein Myrtenreis sie pflückte

Vom Myrtenstrauche, der am Fenster stund:

»Nimm hin und pflanz dies Reis in frischen Grund,

Und stell ein Glas darauf«, sprach sie und nickte. –

Schon lang ist’s her. Es starb das Reis im Topf.

Sie selbst hab ich seit Jahren nicht gesehn;

Doch brennt der Kuß mir immer noch im Kopf,

Und aus der Ferne trieb’s mich jüngst zum Ort,

Wo Liebchen wohnt. Vorm Hause blieb ich stehn

Die ganze Nacht, ging erst am Morgen fort.

7.

Hüt dich, mein Freund, vor grimmen Teufelsfratzen,

Doch schlimmer sind die sanften Engelsfrätzchen.

Ein solches bot mir einst ein süßes Schmätzchen,

Doch wie ich kam, da fühlt ich scharfe Tatzen.

Hüt dich, mein Freund, vor schwarzen, alten Katzen,

Doch schlimmer sind die weißen, jungen Kätzchen;

Ein solches macht ich einst zu meinem Schätzchen,

Doch tät mein Schätzchen mir das Herz zerkratzen.

O süßes Frätzchen, wundersüßes Mädchen!

Wie konnte mich dein klares Äuglein täuschen?

Wie konnt dein Pfötchen mir das Herz zerfleischen?

O meines Kätzchens wunderzartes Pfötchen!

Könnt ich dich an die glühenden Lippen pressen,

Und könnt mein Herz verbluten unterdessen!

8.

Du sahst mich oft im Kampf mit jenen Schlingeln,

Geschminkten Katzen und bebrillten Pudeln,

Die mir den blanken Namen gern besudeln,

Und mich so gerne ins Verderben züngeln.

Du sahest oft, wie mich Pedanten hudeln,

Wie Schellenkappenträger mich umklingeln,

Wie gift’ge Schlangen um mein Herz sich ringeln;

Du sahst mein Blut aus tausend Wunden sprudeln.

Du aber standest fest gleich einem Turme;

Ein Leuchtturm war dein Kopf mir in dem Sturme,

Dein treues Herz war mir ein guter Hafen.

Wohl wogt um jenen Hafen wilde Brandung,

Nur wen’ge Schiff’ erringen dort die Landung,

Doch ist man dort, so kann man sicher schlafen.

9.

Ich möchte weinen, doch ich kann es nicht;

Ich möcht mich rüstig in die Höhe heben,

Doch kann ich’s nicht; am Boden muß ich kleben,

Umkrächzt, umzischt von eklem Wurmgezücht.

Ich möchte gern mein heitres Lebenslicht,

Mein schönes Lieb, allüberall umschweben,

In ihrem selig süßen Hauche leben –

Doch kann ich’s nicht, mein krankes Herze bricht.

Aus dem gebrochnen Herzen fühl ich fließen

Mein heißes Blut, ich fühle mich ermatten,

Und vor den Augen wird’s mir trüb und trüber.

Und heimlich schauernd sehn ich mich hinüber

Nach jenem Nebelreich, wo stille Schatten

Mit weichen Armen liebend mich umschließen.

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