William Ratcliff

Tragödie

1823

Vorrede

Das Wintermärchen, welches »Deutschland« betitelt und in den frühern Ausgaben dieses Bandes enthalten, habe ich der gegenwärtigen Ausgabe entzogen, sintemalen dasselbe seitdem vielfach im Einzeldruck erschienen ist und ich ihm überdies in der Sammlung meiner poetischen Werke eine andere Stelle zugedacht. Die entstandene Lücke benutze ich, um hier die kleine Tragödie »William Ratcliff« mitzuteilen, die vor etwa neunundzwanzig Jahren unter dem Titel: »Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo« zu Berlin bei Dümmler herauskam. Das »Lyrische Intermezzo« wurde seitdem in einer größern Sammlung meiner Gedichte aufgenommen und gelangte zur außerordentlichsten Popularität. Der »William Ratcliff« wurde jedoch nur wenig bekannt; in der Tat, der Name seines Verlegers war Dümmler. Dieser Tragödie oder dramatisierten Ballade gewähre ich mit gutem Fug jetzt einen Platz in der Sammlung meiner Gedichte, weil sie als eine bedeutsame Urkunde zu den Prozeßakten meines Dichterlebens gehört. Sie resümiert nämlich meine poetische Sturm-und-Drang-Periode, die sich in den »Jungen Leiden« des »Buchs der Lieder« sehr unvollständig und dunkel kundgibt. Der junge Autor, der hier mit schwerer, unbeholfener Zunge nur träumerische Naturlaute lallt, spricht dort, im »Ratcliff«, eine wache, mündige Sprache und sagt unverhohlen sein letztes Wort. Dieses Wort wurde seitdem ein Losungswort, bei dessen Ruf die fahlen Gesichter des Elends wie Purpur aufflammen und die rotbäckigen Söhne des Glücks zu Kalk erbleichen. Am Herde des ehrlichen Tom im »Ratcliff« brodelt schon die große Suppenfrage, worin jetzt tausend verdorbene Köche herumlöffeln und die täglich schäumender überkocht. Ein wunderliches Sonntagskind ist der Poet; er sieht die Eichenwälder, welche noch in der Eichel schlummern, und er hält Zwiesprache mit den Geschlechtern, die noch nicht geboren sind. Sie wispern ihm ihre Geheimnisse, und er plaudert sie aus auf öffentlichem Markt. Aber seine Stimme verhallt im lauten Getöse der Tagesleidenschaften; wenige hören ihn, keiner versteht ihn. Friedrich Schlegel nannte den Geschichtschreiber einen Propheten, der rückwärts schaue in die Vergangenheit; – man könnte mit größerem Fug von dem Dichter sagen, daß er ein Geschichtschreiber sei, dessen Auge hinausblicke in die Zukunft.

Ich schrieb den »William Ratcliff« zu Berlin unter den Linden, in den letzten drei Tagen des Januars 1821, als das Sonnenlicht mit einem gewissen lauwarmen Wohlwollen die schneebedeckten Dächer und die traurig entlaubten Bäume beglänzte. Ich schrieb in einem Zuge und ohne Brouillon. Während dem Schreiben war es mir, als hörte ich über meinem Haupte ein Rauschen, wie der Flügelschlag eines Vogels. Als ich meinen Freunden, den jungen Berliner Dichtern, davon erzählte, sahen sie sich einander an mit einer sonderbaren Miene und versicherten mir einstimmig, daß ihnen nie dergleichen beim Dichten passiert sei.

Paris, 24. November 1851

Heinrich Heine

Personen.

Mac-Gregor, schottischer Laird.

Maria, seine Tochter.

Graf Douglas, ihr Bräutigam.

William Ratcliff.

Lesley, sein Freund.

Margarete, Marias Amme.

Tom, Wirt einer Diebesherberge.

Willie, sein Söhnchen.

Robin,

Dick,

Bill,

John,

Taddie, , Räuber und Gauner.

Räuber, Bediente, Hochzeitsgäste.

Die Handlung geht vor in der neuesten Zeit, im nördlichen Schottland.

Zimmer in Mac-Gregors Schloß

Margarete (kauert bewegungslos in einer Ecke).

Mac-Gregor. Maria. Douglas.

MAC-GREGOR er legt Douglas’ und Marias Hände ineinander.

Ihr seid jetzt Mann und Weib. Wie eure Hände

Vereinigt sind, so sollen auch die Herzen,

In Leid und Freud, vereinigt sein auf immer.

Zwei mächt’ge Sakramente, das der Kirche

Und das der Liebe, haben euch verbunden;

Ein Doppelsegen ruht auf euren Häuptern;

Und auch den Vatersegen leg ich drauf.

Er legt segnend seine Hände auf beider Haupt.

DOUGLAS.

Mit Stolz, Mylord, nenn ich Euch heute: Vater.

MAC-GREGOR.

Mit noch weit größerm Stolz nenn ich Euch: Sohn.

Sie umarmen sich.

MARGARETE singt im abgebrochenen Wahnsinntone.

»Was ist von Blut dein Schwert so rot?

Edward, Edward?«

DOUGLAS erschrocken auffahrend und nach Margarete schauend.

Um Gott, Mylord, welch gläsern geller Laut?

Es fängt zu singen an, das stumme Bild –

MAC-GREGOR mit erzwungenem Lächeln.

Stört Euch nicht dran. Es ist die tolle Margarete,

Gehört zum Schloß. Sie leidet an der Starrsucht,

Seit Jahr und Tag. Mit stieren Augen liegt sie

Gekauert, manch unheimlich lange Stunde;

Und dann und wann, wie’n Stein, der sprechen kann,

Bewegungslos, quäkt sie ein altes Lied –

DOUGLAS.

Warum behaltet Ihr im Schloß solch Schrecknis?

MAC-GREGOR leise zu ihm.

Still, still. Sie hört jedwedes Wort; – schon lange

Hätt ich sie fortgeschafft – doch darf ich nicht.

MARIA.

Laßt ruhn die arme, gute Margarete.

Erzählt mir lieber etwas Neues, Douglas.

Wie sieht’s in London aus? Bei uns in Schottland

Erfährt man nichts.

DOUGLAS.

Noch ist’s das alte Treiben.

Man rennt, und fährt, und jagt, Straß’ auf, Straß’ ab.

Man schläft des Tags, und macht zum Tag die Nacht.

Vauxhall und Routs und Picknicks drängen sich;

Und Drurylane und Coventgarden locken.

Die Oper rauscht. Pfundnoten wechselt man

Für Musiknoten ein. »God save the King«

Wird mitgebrüllt. Die Patrioten liegen

In dunkeln Schenken und politisieren,

Und subskribieren, wetten, fluchen, gähnen,

Und saufen auf das Wohl des Vaterlands.

Roastbeef und Pudding dampft, der Porter schäumt,

Und sein Rezept schreibt lächelnd der Quacksalber.

Die Taschendiebe drängen. Gauner quälen

Mit ihrer Höflichkeit. Der Bettler quält

Mit seinem Jammeranblick und Gewimmer.

Vor allem quält die unbequeme Tracht,

Der enge Wespenrock, das steife Halsband,

Und gar der babylonisch hohe Turmhut.

MAC-GREGOR.

Da lob ich mir mein Plaid und meine Mütze.

Ihr tatet gut, daß Ihr die Narrenkleider

Vom Leib geworfen habt. Ein Douglas muß

Im Äußern auch ein Schotte sein, und heute

Lacht mir das Herz im Leib, wenn ich Euch schaue,

Euch alle, in der lieben Schottentracht.

MARIA.

Erzählt mir was von Eurer Reise, Douglas.

DOUGLAS.

Zu Wagen fuhr ich bis an Schottlands Grenze.

Das ging mir viel zu langsam. In Old-Jedburgh

Nahm ich ein Pferd. Ich gab dem Tier die Spor’n.

Mich selber aber spornte Liebessehnsucht.

Ich dachte nur an Euch, Marie, und pfeilschnell,

Durch Busch und Berg und Feld, trug mich mein Roß.

Im Wald bei Invernes wär mir’s bald schlecht

Bekommen, daß ich in Gedanken ritt.

Piff! Paff! erweckten mich aus meinen Träumen

Die Kugeln, die mir um die Ohren pfiffen.

Drei Straßenräuber stürzten auf mich ein.

Ein Kampf begann. Es regneten die Hiebe.

Ich wehrte mich der Haut; doch unterliegen

Hätt ich wohl müssen –

O weh! Marie erbleicht,

Und wankt, und sinkt –

Margarete springt hastig auf und hält die in Ohnmacht fallende Maria in ihren Armen.

MARGARETE.

O weh! mein rotes Püppchen

Ist kreideblaß, und kalt wie Stein. O weh!

Halb singend, halb sprechend und Maria streichelnd.

»Püppchen klein, Püppchen mein,

Schließe auf die Äugelein!

Püppchen fein, du mußt sein

Nicht so kalt wie Marmelstein.

Rosenschein will ich streun

Auf die weißen Wängelein.« –

MAC-GREGOR.

Halt ein, verrücktes Weib, mit Wahnsinnsprüchen

Betörst du ihr noch mehr das kranke Haupt –

MARGARETE mit dem Finger drohend.

Du? du? willst schelten? Wasch dir erst die Hände,

Die roten Hände; du befleckst mit Blut

Klein Püppchens weißes Hochzeitkleid. Geh fort.

Ich rat dir gut.

MAC-GREGOR ängstlich.

Die tolle Alte faselt! –

MARGARETE singend.

»Püppchen klein, Püppchen mein,

Schließe auf die Äugelein!«

MARIA sie erwacht aus ihrer Ohnmacht und lehnt sich an Margarete.

Erzählt nur weiter, wie es ging. Ich höre.

DOUGLAS.

Es tut mir leid – was ich erzählt – doch hört:

Ein andrer Reiter sprengte rasch herbei,

Fiel jenen Räubern plötzlich in den Rücken,

Und hieb drauflos mit Kraft. Ich selbst bekam

Jetzt neuen Mut und freies Spiel. Wir schlugen

Die Hunde in die Flucht. Ich wollte danken

Dem edlen Retter. Aber dieser rief:

»Ich habe keine Zeit«, und jagte weiter.

MARIA lächelnd.

Ach, Gott sei Dank! Ihr habt mich sehr geängstigt.

Jetzt bin ich wieder wohl. Margarete, führ mich.

Freundinnen warten meiner in dem Saal.

MARGARETE ängstlich zu Mac-Gregor.

Du, sei nicht bös. Die arme Margarete ist

Nicht immer toll.

MAC-GREGOR.

Geht nur, wir folgen gleich.

Maria und Margarete gehen ab.

Mac-Gregor. Douglas.

DOUGLAS.

Ich staune, ist Marie so krankhaft reizbar?

Sie ist so ängstlich heute; sie erbleicht

Und zittert bei dem leisesten Geräusch –

MAC-GREGOR.

Douglas! ich will und darf’s Euch nicht verhehlen,

Was heut so sehr Mariens Seele ängstigt.

Verzeiht, daß ich’s Euch früher nicht eröffnet.

Tollkühn ist Euer Mut, und die Gefahr,

Die ich mit Klugheit von Euch abgewendet,

Hättet Ihr selber rastlos aufgesucht;

Fort hätt es Euch getrieben, ihn zu zücht’gen,

Den Frevler, der Mariens Ruhe störte.

DOUGLAS.

Wer darf Mariens Ruh’ gefährden, sprecht?

MAC-GREGOR.

Hört ruhig an die traurige Geschichte.

Sechs Jahre sind es jetzt, da kehrte ein

Bei uns ins Schloß ein fahrender Student

Aus Edinburgh, mit Namen William Ratcliff.

Den Vater hatt ich einst gekannt, recht gut,

Recht gut, recht gut, er hieß Sir Edward Ratcliff.

Gastfreundlich nahm ich also auf den Sohn,

Und gab ihm Speis’ und Obdach, vierzehn Tage.

Er sah Marie, und sah ihr in die Augen,

Und sah dort viel zu tief, begann zu seufzen,

Zu schmachten und zu ächzen – bis Maria

Ihm rund erklärte: daß er lästig sei.

Die Liebe packt’ er in den Korb und ging. –

Zwei Jahre drauf kam Philipp Macdonald,

Der Earl von Ais, warb um Mariens Hand,

Und warb mit gutem Glück, und nach sechs Monden

Stand am Altare, hochzeitlich geschmückt,

Die holde Braut – der Bräut’gam aber fehlte.

Wir suchten überall, in allen Zimmern,

Im Hof, im Stall, im Garten – Ach! da fand man

Am Schwarzenstein den Leichnam Macdonalds.

DOUGLAS.

Wer war der Mörder?

MAC-GREGOR.

Lange war vergeblich

All unser Forschen – da gestand Maria,

Daß sie den Mörder kenne, und erzählte:

In jener Nacht, die auf den Mordtag folgte,

Sei William Ratcliff in ihr Schlafgemach

Plötzlich getreten, habe lachend ihr

Die Hand gezeigt, noch rot vom Blut des Bräut’gams,

Und habe Macdonalds Verlobungsring

Ihr dargereicht mit zierlicher Verbeugung.

DOUGLAS.

Verruchtheit! Welcher Hohn! Was tatet Ihr?

MAC-GREGOR.

Ich ließ den Leichnam Macdonalds beisetzen

In seines eignen Schlosses Ahnengruft,

Und an der Stätte, wo der Mord geschah,

Pflanzt ich ein Kreuz, zum ewigen Gedächtnis.

Den Mörder Ratcliff suchte ich vergebens.

Man hatte ihn zuletzt gesehn in London,

Wo er, nach seiner Mutter Tod, sein Erbteil

In Saus und Braus verpraßte, und nachher

Von Spiel und Borg, und gar, wie ein’ge sagen,

Vom ritterlichen Straßenraube lebte.

Verstrichen waren seit der Zeit zwei Jahre,

Und Mord und Mörder waren fast vergessen,

Da kam hierher in unser Schloß Lord Duncan,

Hielt bei mir an um meiner Tochter Hand.

Ich will’gte ein, und mir gelang es auch,

Marias Jawort einem Mann zu schaffen,

Der aus dem Stamm der Schottenkön’ge sproßt.

Doch wehe uns! Bald stand am Hochaltar,

Festlich geschmückt, die heimlich bange Braut –

Und Duncan lag am Schwarzenstein erschlagen!

DOUGLAS.

Entsetzlich!

MAC-GREGOR.

»Auf! Steigt auf zu Roß!« rief ich

Den Knechten, und wir jagten und wir suchten,

In Busch und Feld, in Wäldern und in Klüften,

Drei Tage lang, jedoch umsonst, wir fanden

Die Spur des Mörders nirgends.

Ach! und dennoch,

Dieselbe Nacht von jenem Schreckenstag

Schlich William Ratcliff in Mariens Kammer,

Verhöhnte sie, und gab ihr zierlich grüßend

Des Bräutigams Verlobungsring zurück.

DOUGLAS.

Bei Gott! der Mensch ist kühn! den möcht ich treffen.

MAC-GREGOR.

Er war’s gewiß, den Ihr schon habt getroffen

Im Wald bei Invernes. Nur wundr’ ich mich,

Daß keiner meiner Späher ihn gesehn; –

Denn, Graf, ich hab dafür gesorgt, daß ich

Nicht Euren Namen auch zu setzen brauche –

Auf das Gedächtniskreuz am Schwarzenstein.

Er geht ab.

DOUGLAS allein.

Aus Klugheit hat’s Mac-Gregor mir verschwiegen

Bis nach der Trauung. Oh, das ist ein Fuchs!

Doch messen möcht ich mich mit jenem Trotzkopf,

Der finster grollend stets Marien ängstigt.

Mir soll er nicht den Ring vom Finger ziehen,

Denn wo mein Finger ist, ist auch die Hand.

Ich liebe nicht Marien, und ich bin

Auch nicht geliebt von ihr. Die Konvenienz

Hat unsern heut’gen Ehebund geschlossen.

Doch herzlich gut bin ich dem sanften Mädchen.

Ich möcht von Dornen ihre Pfade säubern –

Lesley, im Mantel gehüllt und sich vorsichtig umsehend, tritt herein.

Douglas. Lesley.

LESLEY.

Seid Ihr Graf Douglas?

DOUGLAS.

Ja, ich bin’s, was wollt Ihr?

LESLEY er gibt ihm einen Brief.

So ist an Euch dies niedliche Billett.

DOUGLAS er hat den Brief gelesen.

Ja, ja! Sagt ihm, ich komm. Am Schwarzenstein!

Beide gehn ab.

Diebesherberge

Im Hintergrunde liegen schlafende Menschen. Ein Heiligenbild hängt an der Wand. Die Wanduhr pickt. Abenddämmerung. William Ratcliff sitzt brütend in einer Ecke des Zimmers. In der andern Ecke sitzt Tom, der Wirt, und hält sein Söhnchen Willie zwischen den Knien.

TOM leise.

Willie, kannst du das Vaterunser sagen?

WILLIE lachend und laut.

Wie’n Donnerwetter.

TOM.

Sprich nur nicht so laut,

Du weckst mir ja die müden Leute auf.

WILLIE.

Nun, soll’s jetzt losgehn?

TOM.

Ja, doch nicht zu rasch.

WILLIE schnell.

»Vater unser im Himmel, dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel. Gib uns unser täglich Brot immerdar. Und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben allen, die uns schuldig sind. Und führe uns nicht – Stottert. – führe uns nicht – führe uns nicht –«

TOM.

Siehst du? du stotterst. »Führe uns nicht in Versuchung«; Fang wieder an von vorn.

WILLIE sieht immer nach William Ratcliff und spricht ängstlich und unsicher.

»Vater unser im Himmel, dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel. Gib uns unser täglich Brot immerdar. Und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben allen, die uns schuldig sind. Und führe uns nicht – Stottert. – führe uns nicht – führe uns nicht –«

TOM ärgerlich.

»In Versuchung!«

WILLIE weinend.

Lieber Vater, sonst ging mir’s

Vom Maul wie Wasser. Aber der dort sitzt –

Er zeigt auf William Ratcliff.

Der sieht mich immer an mit schlimmen Augen.

TOM.

Heut abend, Willie, kriegst du keine Fische, – –

Drohend.

Und stiehlst du sie mir wieder aus dem Kasten –

WILLIE weinend und im Vaterunsertone.

»Führe uns nicht in Versuchung!«

RATCLIFF.

Laßt nur den Buben gehn. Auch ich hab nie

Im Kopf behalten können diese Stelle. –

Schmerzlich. –

»Führe uns nicht in Versuchung!«

TOM.

Auch tät mir’s leid, wenn einst der Bube würde

Wie Ihr und diese dort. –

Zeigt nach den Schlafenden. –

Jetzt geh nur, Willie.

WILLIE abgehend und weinerlich vor sich hinmurmelnd.

»Führe uns nicht in Versuchung!«

Die Vorigen ohne Willie.

RATCLIFF lächelnd.

Wie meint Ihr das?

TOM.

Fromm, christlich soll er werden;

Kein solcher Galgenstrick wie ich, sein Vater.

RATCLIFF spöttisch.

Ihr seid so schlimm noch nicht.

TOM.

Jetzt freilich bin ich

Ein zahmes Tier, und zapfe Bier, ein Wirt.

Und weil mein Häuschen hübsch versteckt im Wald liegt,

Beherberg ich nur große Herrn wie Ihr,

Die gerne das Inkognito behaupten,

Am Tage schlafen und des Abends ausgehn.

Ich gebe Tagsquartier statt Nachtquartier.

Ja, einst mondsüchtelte ich auch und schwärmte

Macht eine Fingerbewegung.

In fremde Häuser und in fremde Taschen.

Doch nie hab ich’s so toll gemacht wie diese.

Er zeigt nach den Schlafenden.

Seht diesen Fuchskopf. Das ist ein Genie!

Der hat ein angeborenes Gelüste

Nach fremden Taschentüchern. Stiehlt wie’n Rabe.

Ei, seht, wie er im Schlafe hastig fingert!

Er stiehlt sogar im Traum. Seht nur, er schmunzelt.

Der Lange dort, mit magern Heuschreckbeinen,

War einst ein Schneider; mauste anfangs Läppchen,

Bald aber Lappen, endlich Stücke Tuch.

Mit Not ist er dem Hängen einst entronnen;

Seitdem hat er das Zucken in den Beinen.

Seht, wie er zappelt! Oh, ich wett, er träumt

Von einer Leiter, wie der Vater Jakob.

Doch seht mal dort den alten, dicken Robin,

Wie er so ruhig liegt und schnarcht, und ach!

Der hat schon zehn Mordtaten auf der Seele.

Ja, wenn er noch katholisch wär, wie wir,

Und absolvieren könnt! Er ist ein Ketzer,

Und nach dem Hängen muß er dort noch brennen.

RATCLIFF er ist immer unruhig im Zimmer auf und ab gegangen und sieht beständig nach der Uhr.

Glaubt’s nicht, der alte Robin wird nicht brennen.

Dort oben gibt es eine andre Jury

Als hier in Großbritannien. Robin ist

Ein Mann; und einen Mann ergreift der Zorn,

Wenn er betrachtet, wie die Pfennigseelen,

Die Buben, oft im Überflusse schwelgen,

In Samt und Seide schimmern, Austern schlürfen,

Sich in Champagner baden, in dem Bette

Des Doktor Graham ihre Kurzweil treiben,

In goldnen Wagen durch die Straßen rasseln,

Und stolz herabsehn auf den Hungerleider,

Der, mit dem letzten Hemde unterm Arm,

Langsam und seufzend nach dem Leihhaus wandert.

Bitter lachend.

O seht mir doch die klugen, satten Leute,

Wie sie mit einem Walle von Gesetzen

Sich wohlverwahret gegen allen Andrang

Der schreiend überläst’gen Hungerleider!

Weh dem, der diesen Wall durchbricht!

Bereit sind Richter, Henker, Stricke, Galgen –

Je nun! manchmal gibt’s Leut’, die das nicht scheun.

TOM.

So dacht ich auch, und teilte ein die Menschen

In zwei Nationen, die sich wild bekriegen;

Nämlich in Satte und in Hungerleider.

Weil ich zu letzterer Partei gehörte,

So mußt ich mit den Satten oft mich balgen.

Doch hab ich eingesehn, der Kampf ist ungleich,

Und zieh allmählich mich zurück vom Handwerk.

Ich bin es müd’: unstet herumzustreichen,

Niemand ins Aug’ zu schaun, das Licht zu fliehn,

An jedem Galgen, im Vorbeigehn, ängstlich

Hinaufzuschaun, ob ich nicht selbst dran hänge,

Und nur zu träumen von Botany-Bay,

Vom Zuchthaus und vom ew’gen Wollespinnen.

Wahrhaftig, das ist nur ein Hundeleben!

Man wird durch Busch und Feld gehetzt wie’n Wild,

In jedem Baume sieht man einen Häscher,

Und sitzt man auch in still verborgner Kammer,

Erschrickt man, wenn die Tür sich öffnet –

Lesley tritt hastig ein. Ratcliff stürzt ihm entgegen. Tom fährt erschrocken zurück mit dem Ausruf »Jesus«.

LESLEY.

Er kömmt! Er kömmt!

RATCLIFF.

Er kömmt? Wohlan, so gilt’s.

TOM ängstlich.

Wer kömmt? Seit ein’ger Zeit bin ich so schreckhaft –

LESLEY zu Tom.

Beruh’ge dich, und laß uns jetzt allein.

TOM mit pfiffiger Miene.

Ha! ich versteh. Ihr habt jetzt was zu teilen.

Er geht ab.

Die Vorigen ohne Tom.

RATCLIFF.

Er kömmt? So will ich gehn.

Er greift nach Hut und Degen.

LESLEY hält ihn zurück.

Ho! ho! so geht’s nicht.

Erst muß es dunkler sein. Man paßt dir auf.

Mac-Gregors Knechte lauern. Wie du aussiehst,

Weiß jedes Kind; man hat dich gut beschrieben.

Wahrhaftig, sag mir mal, was soll der Spaß?

Du suchst Gefahr, Gefahr, die dir nicht nützt.

Geh mit zurück nach London; bist dort sicher.

Du solltest meiden diese schlimme Gegend.

Man weiß es, daß du Macdonald und Duncan

So abgemurkst.

RATCLIFF mit trotziger Würde.

Nicht abgemurkst. Im Zweikampf

Fiel Macdonald und Duncan. Ehrlich focht ich;

Und auch mit Douglas will ich ehrlich fechten.

LESLEY.

Erleichtre dir’s. Verstehst ja Italienisch.

Macht eine Banditenbewegung.

Doch sprich, wo trat dir Douglas in den Weg?

Was tat er dir? Woher dein Groll, dein Haß?

RATCLIFF.

Ich sah ihn nie; ich sprach ihn nie; er tat

Mir niemals was zuleid’; ich haß ihn nicht.

LESLEY.

Und doch willst du sein Lebenslicht auslöschen?

Bist du verrückt? Bin ich verrückt? daß ich

Behilflich bin zu solchem Tollhausstreich!

RATCLIFF.

Weh dir, wenn du begriffest solche Dinge!

Weh deinem Hirnfuttral, es müßte bersten,

Und Wahnsinn würde gucken aus den Ritzen!

Wie eine Eierschale würde bersten

Dein armer Kopf, und war er so geräumig

Als wie die Kuppel der Sankt-Paulus-Kirche.

LESLEY fühlt sich ironisch ängstlich den Kopf.

Du machst mich bang; o schweige lieber still!

RATCLIFF.

Glaub nicht, ich sei ein weicher Mondscheinheld,

Ein Bilderjäger, der vom eignen Windhund,

Von Phantasie durch Nacht und Höll’ gehetzt wird,

Ein magenkrank schwindsüchtelnder Poet,

Der mit den Sternen Unzucht treibt, der Leibschmerz

Vor Rührung kriegt, wenn Nachtigallen trillern,

Der sich aus Seufzern eine Leiter baut,

Und endlich mit dem Strick verschlungner Reime

Sich aufhängt an der Säule seines Ruhms.

LESLEY.

Das könnt ich selbst im Notfall wohl beschwören.

RATCLIFF.

Und doch gesteh ich – spaßhaft mag dir’s klingen –,

Es gibt entsetzlich seltsame Gewalten,

Die mich beherrschen; dunkle Mächte gibt’s,

Die meinen Willen lenken, die mich treiben

Zu jeder Tat, die meinen Arm regieren,

Und die schon in der Kindheit mich umschauert.

Als Knabe schon, wenn ich alleine spielte,

Gewahrt ich oft zwei neblichte Gestalten,

Die weit ausstreckten ihre Nebelarme,

Sehnsüchtig sich in Lieb’ umfangen wollten,

Und doch nicht konnten, und sich schmerzlich ansahn!

Wie luftig und verschwimmend sie auch schienen,

Bemerkt ich dennoch auf dem einen Antlitz

Die stolzverzerrten Züge eines Mannes,

Und auf dem andern milde Frauenschönheit.

Oft sah ich auch im Traum die beiden Bilder,

Und schaute dann noch deutlicher die Züge:

Mit Wehmut sah mich an der Nebelmann,

Mit Liebe sah mich an das Nebelweib. –

Doch als ich auf die hohe Schule kam,

Zu Edinburgh, sah ich die Bilder seltner,

Und in dem Strudel des Studentenlebens

Verschwammen meine bleichen Traumgesichte.

Da brachte mich auf einer Ferienreise

Zufall hierher und nach Mac-Gregors Schloß.

Maria sah ich dort! Mein Herz durchzuckte

Ein rascher Blitz bei ihrem ersten Anblick.

Es waren ja des Nebelweibes Züge,

Die schönen, stillen, liebefrommen Züge,

Die mich so oft im Traume angelächelt!

Nur war Mariens Wange nicht so bleich,

Nur war Mariens Auge nicht so starr.

Die Wange blühte und das Auge blitzte;

Der Himmel hatte allen Liebeszauber

Auf dieses holde Bild herabgegossen;

Die Hochgebenedeite selber war

Gewiß nicht schöner als die Namensschwester;

Und von der Liebe Sehnsuchtweh ergriffen,

Streckt ich die Arme aus, sie zu umfangen –

Pause.

Ich weiß nicht, wie es kam: im nahen Spiegel

Sah ich mich selbst – Ich war der Nebelmann,

Der nach dem Nebelweib die Arme ausgestreckt!

War’s eitel Traum? War’s Phantasientrug?

Maria sah mich an so mild, so freundlich,

So liebend, so verheißend! Aug’ in Auge

Und Seel’ in Seele tauchten wir. O Gott!

Das dunkle Urgeheimnis meines Lebens

War plötzlich mir erschlossen, und verständlich

War mir der Sang der Vögel, und die Sprache

Der Blumen, und der Liebesgruß der Sterne,

Der Hauch des Zephirs und des Baches Murmeln,

Und meiner eignen Brust geheimes Seufzen!

Wie Kinder jauchzten wir, und spielten wir.

Wir suchten uns, und fanden uns im Garten.

Sie gab mir Blumen, Myrten, Locken, Küsse;

Die Küsse gab ich doppelt ihr zurück.

Und endlich sank ich hin vor ihr aufs Knie,

Und bat: »O sprich, Maria, liebst du mich?«

Versinkt in Träumerei.

LESLEY.

Da hätt ich dich doch sehen mögen, Ratcliff,

Die starken Fäuste bittend fromm gefaltet,

Das funkelnd wilde Aug’ sehnsüchtig schmachtend,

Und zärtlich sanft die Stimm’, die auf der Landstraß’

Dem reichen Lord so schrecklich ins Gehör schallt.

RATCLIFF wild ausbrechend.

Verfluchte Schlang’! Mit seltsam scheuen Blicken

Und Widerwillen fast sah sie mich an,

Und höhnisch knicksend sprach sie frostig: »Nein!«

Noch hör ich’s lachen unter mir: Nein! nein!

Noch hör ich’s seufzen über mir: Nein! nein!

Und klirrend schlagen zu des Himmels Pforte!

LESLEY.

Das war ja ganz infam und niederträchtig.

RATCLIFF.

Mac-Gregors Schloß verließ ich, und ich reiste

Von dort nach London; im Gewühl der Hauptstadt

Dacht ich des Herzens Qual zu übertäuben.

Ich war mein eigner Herr, denn meine Eltern

Verlor ich früh, noch eh’ ich sie gekannt hab.

Schlecht, schlecht gelang mir der Betäubungsplan.

Portwein, Champagner, alles wollt nicht fruchten;

Nach jedem Glase ward mein Herz betrübter.

Blondinen und Brünetten, keine konnt

Forttändeln und fortlächeln meinen Schmerz.

Sogar beim Pharo fand ich keine Ruh’.

Marias Aug’ schwamm auf dem grünen Tische;

Marias Hand bog mir die Parolis;

Und in dem Bild der eckigen Cœur-Dame

Sah ich Marias himmelschöne Züge!

Maria war’s, kein dünnes Kartenblatt;

Maria war’s, ich fühlte ihren Atem;

Sie winkte: ja! sie nickte: ja! – va banque! –

Zum Teufel war mein Geld, die Liebe blieb.

LESLEY lacht.

Ha! ha! da zogst du aus dem Stall dein Rößlein,

Schwangst dich hinauf, wie’s Schottlands Rittern ziemt,

Und wie die Ahnen lebtest du vom Stegreif.

Die Liebe ist dir jetzt gewiß vergangen;

Man wird schon nüchtern, wenn man oft des Nachts

Durch Wind und Wetter reitet, und beim Galgen

Vorbeikömmt, und dort gute Freunde sieht,

Die pendulartig mit den Beinen grüßen.

RATCLIFF.

Öl kam ins Feuer. Wilder nur entbrannte

In mir die wilde Sehnsucht nach Marien.

In England ward’s mir oft zu eng; nach Schottland

Zog’s mich mit unsichtbaren Eisenarmen.

Nur in Mariens Nähe schlaf ich ruhig,

Und atm’ ich frei, und ist mir nicht so ängstlich,

Und ist mir wohl – denn höre mein Geheimnis:

Geschworen hab ich bei dem Wort des Herrn,

Und bei der Macht des Himmels und der Hölle,

Und hab mit grausem Fluch den Schwur besiegelt –

»Von dieser Hand soll fallen der Vermeßne,

Der’s wagt, Marien bräutlich zu umfangen.«

Die Stimm’ in meiner Brust sprach diesen Schwur,

Und blindlings dien ich jener dunklen Macht,

Die mit mir kämpft, wenn ich Mariens Freiern

Am Schwarzenstein ein Rosenbett bereite.

LESLEY.

Jetzt erst versteh ich dich; doch bill’g ich nichts.

RATCLIFF.

Bill’g ich’s denn selbst? Nur jene Stimme hier,

Die fremde Stimm’, die sich hier eingenistet,

Sagt: ja; nur jene Bilder nicken Beifall,

Die ich im Traume seh –

Aufschreiend. –

Jesus Maria!

Dort! dort! siehst du? dort, dort! Die Nebelmenschen!

Es ist dunkel geworden. Man sieht zwei neblichte Gestalten über die Bühne schwanken und verschwinden. – Die im Hintergrunde liegenden

Räuber und Gauner, durch Ratcliffs Schrei aus dem Schlafe geweckt, springen auf mit dem Ausrufe.

Was gibt’s? Was gibt’s?

LESLEY.

Bist du des Teufels, Ratcliff?

Ich sehe nichts.

MEHRERE.

Was sieht er? Sieht er Häscher?

LESLEY.

Nein! just das Gegenteil, denn Geister sieht er.

Alle lachen.

ROBIN verdrießlich.

God damn! Man hat auch keine Ruh’ am Tag.

RATCLIFF.

Es dunkelt; ich will gehn.

LESLEY.

Ich gehe mit.

RATCLIFF.

Das leid ich nicht.

LESLEY.

Nur bis zum Schwarzenstein;

Vielleicht stehn Wachen dort.

RATCLIFF.

Die Angst treibt sie

Schon weg; dort ist es nicht geheu’r des Nachts.

LESLEY.

Lebt wohl, ihr Herrn!

RATCLIFF.

Lebt wohl!

ALLE.

Gott segne euch!

Ratcliff und Lesley gehn ab.

Die Vorigen ohne Ratcliff und Lesley.

ROBIN.

God damn! der ist besoffen oder toll.

DICK.

So war er immer, denn ich kenn ihn noch

Von London her. In Rascal-Tavern hab ich

Ihn oft gesehn. Er pflegte stundenlang

Mit krauser Stirn zu sitzen in der Ecke

Und immer still und stumm ins Licht zu starr’n.

Oft saß er zwischen uns vergnügt und lachend –

Nur lacht’ er gar zu hell – erzählte Späße –

Nur gar zu wilde Späße – und er war

Vergnügt und lachte – Oh, da zuckte plötzlich

Und gräßlich spöttisch seine Oberlippe,

Ein Ton des Schmerzes pfiff aus seiner Brust,

Und wütend sprang er auf: »Johann, mein Pferd!« –

Und ritt zum Teufel, und er kam nach ein’gen

Monaten erst zurück. Nach Schottland, sagt man,

Pflegt er alsdann zu reiten, Tag und Nacht.

ROBIN.

Oh, der ist krank.

DICK.

Was kümmert’s mich? Lebt wohl.

Geht ab.

BILL.

Es ist schon Zeit, daß man zur Arbeit geht.

Betend vor dem Heiligenbilde.

Beschütz mich in Gefahr und gib mir Segen!

Er und mehrere gehn ab.

ROBIN hält sich seine Faust vorm Gesicht.

Mein Schutzpatron, beschütz mich in Gefahr.

Geht ab.

Zwei Gauner bleiben schlafend liegen. Tom, der Wirt, schleicht herein und stiehlt ihnen das Geld aus der Tasche.

TOM mit schlauer Miene.

Sie dürfen mich nicht vor Gericht verklagen.

Er geht ab.

John und Taddie wachen auf.

JOHN gähnend.

Der Schlaf ist doch die köstlichste Erfindung!

TADDIE gähnend.

Komm, John, zum Frühstück.

JOHN.

Frühstück! Was gibt’s Neues?

TADDIE.

Gewiß hat man Freund Riffel heut gehängt.

JOHN.

Das Hängen ist die schlechteste Erfindung.

Trollen beide fort.

Wilde Gegend am Schwarzenstein. Nacht

Links abenteuerliche Felsenmassen und Baumstämme. Rechts ein Denkmal in der Form eines Kreuzes. Der Wind braust. Man sieht zwei weiße Nebelgestalten, die sehnsüchtig die Arme gegeneinander ausstrecken, sich nahen, immer wieder auseinanderfahren und endlich verschwinden. Ratcliff tritt auf.

RATCLIFF allein.

Hui, wie das pfeift! Die Hölle hat all ihre

Querpfeifer ausgesandt. Die spielen auf.

Der Mond hüllt sich in seinen weiten Plaid,

Und schüttelt nur ein sparsam Licht herab.

Ha! ha! meinthalb kann er sich ganz verhüllen.

Denn wie’s auch dunkel sei, die Schneelawine

Bedarf nicht der Laterne, um zu schaun,

Wohin sie rollen soll; es wird das Eisen

Den Weg zu dem Magnet von selber finden;

Und ohne Meilenzeiger findet Ratcliffs

Erprobtes Schwert den Weg zu Douglas’ Brust.

Ob auch das Gräflein kömmt? Ob nicht der Sturm,

Die Furcht vor Schnupfen, Husten und Erkältung

Es gar zurückhält? Und es denkt vielleicht:

Ich will’s auf m‫  o‫  r‫  g‫  e‫  n nacht verschieben.

Ha! ha! –

Und just um diese Nacht ist’s mir zu tun.

Kömmt er nicht her, so komme ich zu ihm

Ins Schloß. –

An sein Schwert schlagend. –

Der Schlüssel paßt für alle Zimmer;

Und diese Freunde –

Legt die Hand an die Pistolen im Gürtel. –

decken mir den Rücken.

Nimmt eine Pistole heraus und betrachtet sie.

Der sieht mich an so ehrlich; gerne möcht ich

Auf seinen Mund festdrücken meinen Mund,

Und drücken –

Ach, nach solchem Feuerkusse,

Da wär mir wohl, und wich’ mein wildes Weh!

Sinnend.

Vielleicht im selben Augenblick drückt Douglas

Gleichfalls den Mund fest auf Mariens Mund –

Ha! ha! das ist’s. Deshalb darf ich nicht sterben.

Ich müßt allnächtlich aus dem Grabe steigen,

Und als ohnmächt’ger Schatten knirschend zusehn:

Wie’n Gimpel, mit dem lüstern’ Mopsgesicht,

Beschnüffelt und begafft Mariens Reize.

Ich darf nicht sterben. Kam ich in den Himmel

Und schaute, durch den Ritz der Himmelsdecke,

Zufällig in Graf Douglas’ Schlafgemach –

Ich würde fluchen, daß den frommen Englein

Erblassen würden ihre roten Backen,

Und ängstlich in der Kehle steckenbliebe

Das lange, wässerige Halleluja.

Und bin ich mal verdammt zur ew’gen Hölle,

Wohlan, so will ich auch ein Teufel sein,

Und nicht ein jämmerlicher, armer Sünder.

Ratcliff. Douglas.

RATCLIFF.

Horch, horch, ich höre Tritte! –

Ruft laut. –

Holla! holla! –

Wer bist du, der sich dorten naht? Gib Antwort!

DOUGLAS.

Die Stimm’ ist mir bekannt. Es ist die Stimme

Des edlen Reiters, der mich jüngst gerettet

Aus Räuberklaun im Wald bei Invernes.

Nähert sich ihm.

Ja, ja, Ihr seid’s, jetzt könnt Ihr nicht entrinnen.

Ich muß Euch danken für die edle Tat.

RATCLIFF.

Oh, spart den Dank. Es war nur eine Grille,

Daß ich Euch half. D‫  r‫  e‫  i lagen über Euch.

Das war zuviel. Wär’s e‫  i‫  n‫  e‫  r nur gewesen,

Bei Gott! ich wäre still vorbeigeritten.

DOUGLAS.

Seid nicht so grämlich. Laßt uns Freunde werden.

RATCLIFF.

Wohlan, es sei. Doch als Beweis der Freundschaft

Müßt Ihr mir eine Bitte gleich gewähren.

DOUGLAS.

Sprecht nur. Mit Leib und Seel’ gehör ich Euch.

RATCLIFF.

Mein neuer Freund, verlaßt jetzt diesen Platz; –

Lachend. –

Es seie denn, daß Ihr Graf Douglas hießet.

DOUGLAS befremdet.

Bei Gott, so heiß ich.

RATCLIFF.

Was? Ihr heißt Graf Douglas?

Lachend.

Oh, das ist schlimm, so ist es ja schon aus

Mit unsrer hübschen, neugebacknen Freundschaft;

Denn wißt, Herr Graf, ich heiße – William Ratcliff.

DOUGLAS wild und das Schwert ziehend.

Du bist der Mörder Macdonalds und Duncans?

RATCLIFF zieht sein Schwert.

Ich bin’s, und um das Kleeblatt vollzumachen,

Hab ich auch Euch, Herr Graf, hierher beschieden.

DOUGLAS stürzt auf ihn ein.

Verruchter Mörder, wehr dich deiner Haut.

Gefecht.

RATCLIFF.

Ha! ha! ich schlag, so gut ich kann. Ha! ha!

DOUGLAS.

Lach nicht so gräßlich auf.

RATCLIFF lachend.

Ich lache nicht,

Das tun die bleichen Nebelmenschen dort –

DOUGLAS.

Lach, wie du willst. Ihr, Schatten Macdonalds

Und Duncans, steht mir bei!

RATCLIFF.

Teufel und Hölle!

Der tote Duncan fängt die Quarten auf.

Misch dich nicht ein, verfluchter toter Fechter!

DOUGLAS.

Ha! ha! der Hieb, der saß!

RATCLIFF.

Tod und Verrat!

Jetzt kommt der Macdonald noch obendrein –

Das ist zuviel – Drei gegen einen –

Er weicht zurück und stolpert über das Piedestal des Monuments.

Ha!

Fluch und Verdammnis! Ratcliff liegt am Boden –

Stoßt zu, stoßt zu! ich bin Eu’r größter Feind.

DOUGLAS kalt.

Ihr habt jetzund des Douglas Schwert erprobt.

Vielleicht verdankte ich Euch jüngst das Leben.

Jetzt sollt Ihr’s mir verdanken. Wir sind quitt.

Ich denk, Ihr kennt mich jetzt, und die Lektion

Hat Euch vielleicht das böse Herz gebessert.

Er geht stolz ab.

Ratcliff liegt regungslos am Fuße des Monuments. Der Wind heult wilder. Die zwei Nebelgestalten erscheinen, nahen sich mit ausgestreckten Armen, fahren wieder auseinander und verschwinden.

RATCLIFF er steht langsam und betäubt auf.

War’s eine Menschenstimme? War’s der Wind?

Ein wahnsinnschwangres Wort summt mir im Ohr.

War es ein toller Traum? Wo bin ich denn?

Was ist das für ein Kreuz, und was steht drauf?

Er liest die Inschrift des Monuments.

»Graf Duncan und Lord Macdonald sind hier

Von gottverfluchter Hand ermordet worden.«

Auffahrend.

Es ist kein Traum. Ich bin am Schwarzenstein,

Und bin besiegt, verspottet und verachtet!

Boshafte Winde kichern mir ins Ohr:

»Hier steht der Mann, der starke Riesengeist,

Der Großbritanniens Menschen und Gesetze

Verhöhnt, der trotzig mit dem Himmel rechtet –

Nun kann er’s nicht verhindern, daß Graf Douglas

Heut nacht in seines Liebchens Armen liegt,

Und lachend ihr erzählet, wie der Wurm,

Der William Ratcliff heißt, am Schwarzenstein

Sich krümmte, jämmerlich am Boden krümmte,

Und wie des Douglas Fuß ihn nicht zertreten,

Um sich nicht zu besudeln« –

In Wut ausbrechend. –

Oh, verfluchte,

Verdammte Hexen, lacht nicht so entsetzlich,

Reibt nicht verhöhnend eure Zeigefinger!

Ich werfe Felsen auf eu’r scheußlich Haupt,

Ich reiße Schottlands Tannenwälder aus,

Und geißle euch damit den gelben Rücken,

Und mit dem Fuß stampf ich das schwarze Gift

Aus euren dürren, gottverhaßten Leibern!

Nordwind, zerzause und zerreiß die Welt!

Brich, Himmelsdecke, und zermalme mich!

Erde, vernachte und verschlinge mich!

Halb wild, halb ängstlich, und in einen geheimnisvollen Ton übergehend.

Verdammter Doppelgänger, Nebelmensch,

Anglotze mich nicht mit den stieren Augen –

Mit deinen Augen saugst du aus mein Blut,

Erstarren machst du mich, Eiswasser gießt du

In meine glühnden Adern, machst mich selbst

Zum toten Nachtgespenst – du zeigst dorthin?

Mit langem Nebelarm zeigst du dorthin?

Soll ich? Marie? Die weiße Taube? Blut?

Soll ich? Holla, wer spricht? Das war kein Wind.

Maria soll ich mit mir nehmen? Nickst du?

Es sei, es sei, mein Wille ist von Eisen,

Und ist allmächt’ger noch als Gott und Teufel.

Er stürzt fort.

Mac-Gregors Schloß

Erleuchtetes Zimmer mit einem verhängten Kabinette in der Mitte. Man hört verhallende Tanzmusik und Mädchengekicher. Maria, festlich geschmückt, und Margarete treten eben herein.

MARIA.

Ach Gott! mir ist so ängstlich –

MARGARETE.

’s tut der Schnürleib.

Komm her, ich will dich ausziehn, liebes Püppchen.

Sie hilft Marien beim Auskleiden.

MARIA.

Das Herz ist mir beklommen.

MARGARETE.

Ei, mein Püppchen,

Graf Douglas ist ein hübscher Mann.

MARIA heiter lachend.

Das ist er!

Und lustig, und verträglich, und ein Mann!

MARGARETE.

Ist Püppchen auch verliebt?

MARIA.

Verliebt? verliebt?

Oh, das ist dumm. Man muß sich leiden können.

MARGARETE.

Man sprach nicht immer so. Als William Ratcliff –

MARIA hält ihr ängstlich den Mund zu.

Oh, bitte, bitte, bitte, sprich nicht aus

Den bösen Namen, es ist Nacht und spät –

MARGARETE.

Mein Püppchen war verliebt.

MARIA.

Ach nein! Im Anfang,

Da schien er lämmchensanft, und sein Gesicht,

Das schien mir so bekannt, und seine Stimme

Klang mir so weich, und auch sein Odem

Tat meiner Wange heimlich wohl, sein Auge,

Das schaute gar zu spaßhaft lieb und fromm –

Zusammenschauernd.

Doch plötzlich sah er aus wie ein Gespenst,

So blaß, so starr und wild verzerrt und blutig,

Und drohend grimm, als wollt er mich ermorden –

Er sah fast ähnlich jenem Nebelmann,

Der oft im Traum die Arme nach mir ausstreckt,

Und mich so lang entsetzlich zärtlich anschaut,

Bis daß ich selbst ein luft’ges Bildnis werde,

Und neblicht selbst ausbreite meine Arme.

MARGARETE.

Du bist doch just wie deine sel’ge Mutter;

Sie tat so bös, und doch wie eine Katz’

War sie verliebt in Ratcliff –

MARIA.

Wie, in Ratcliff?

MARGARETE.

In Edward Ratcliff, William Ratcliffs Vater –

Oh, deine Mutter war so hübsch, so hübsch!

Sie hieß Schön-Betty. Locken hatte sie

Wie pures Gold, und Händ’ wie Marmelstein,

Und Augen – Oh, die kannte Edward Ratcliff!

Der sah den ganzen Tag hinein, und hat

Sich fast die eignen Augen ausgeguckt –

Und singen konnt sie wie die Nachtigall;

Und wenn sie an dem Herde saß und sang:

Sie singt.

»Was ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?«

So blieb die Köchin stillstehn, und der Braten

Verbrannte jedesmal – Ach Gott! ich wollte,

Ich hätt ihr nie das böse Lied gelehrt. –

Sie weint.

MARIA.

Oh, liebe Margarete, o erzähl mir das.

MARGARETE.

Schön-Betty, deine Mutter, saß allein

Und sang: –

Sie singt.

»Wie ist von Blut dein Schwert so rot,

Edward? Edward?« –

Da sprang ins Zimmer plötzlich Edward Ratcliff,

Und sang im selben Tone trotzig weiter: –

Sie singt.

»Ich habe geschlagen mein Liebchen tot –

Mein Liebchen war so schön, oh!«

Da hat Schön-Betty sich so sehr entsetzt,

Daß sie den armen, wilden Edward nimmer

Wollt wiedersehn; und um ihn noch zu ärgern,

Heiratete sie deinen Vater. Edward Ratcliff,

Der wurde toll vor Wut, und um zu zeigen,

Daß er Schön-Betty leicht entbehren könne,

Nahm er zur Frau, ganz aus Verzweiflungstrotz,

Lord Campbels Jenny, und der William Ratcliff,

Das ist der Sohn aus dieser tollen Ehe.

MARIA.

Die arme Mutter!

MARGARETE.

Ei, Schön-Betty war

Ein eigensinnig Ding. Ein ganzes Jahr lang

Hat sie den Namen Ratcliff nie genannt.

Doch wie zum zweitenmal Oktober kam –

Ich glaub, es war just Ratcliffs Namenstag –,

Da frug sie, wie von ungefähr: »Margarete,

Hast du von Edward nichts gehört?« – »Oh«, sagt ich,

»Der hat die Jenny Campbel sich zur Frau

Genommen.« – »Campbels Jenny?« rief Schön-Betty,

Und wurde blaß und rot, und bitterlich

Fing sie zu weinen an – dich hielt ich just

Im Schoß, Marie, drei Monat’ warst du alt –

Und du fingst auch zu weinen an – und ich,

Um nur Schön-Bettys Tränen fortzuschwatzen,

Erzählte ihr: der Edward könne doch nicht

Ablassen von Schön-Betty, Tag und Nacht

Säh man ihn schleichen hier ums Schloß, man sähe,

Wie er die Arme nach Schön-Bettys Fenster

Sehnsüchtig ausstreckt. – »Oh, das wußt ich längst!«

Rief jetzt Schön-Betty lachend; hastig flog sie

Ans Fenster, streckte aus die Arm’ nach Edward –

Oh, das war schlimm, Mac-Gregor sah das just,

Dein eifersücht’ger Vater –

Hält erschrocken ein.

MARIA.

Nun, und da? Erzähl doch weiter.

MARGARETE.

Nun, und da ist’s aus.

MARIA.

Erzähl doch weiter.

MARGARETE ängstlich.

Nun, am andern Morgen

Lag, bei der alten Schloßmau’r, tot und blutig

Der Edward Ratcliff –

MARIA.

Und die arme Mutter?

MARGARETE.

Je nun, die starb, vor Schreck, drei Tage drauf.

MARIA.

O das ist gräßlich!

MARGARETE im kalten, höhnischen Wahnsinntone.

Hättest du erst selbst

Gesehn mit deinen kleinen Augen, Püppchen,

Wie an der Schloßmau’r Edward Ratcliff lag –

Hu, hu, das blut’ge Bild klebt mir im Kopf!

Und weil ich weiß, wer ihn erschlagen hat,

Und weil ich das niemanden sagen darf,

Und weil ich toll bin – hu! kann ich nicht schlafen,

Und überall seh ich den Edward Ratcliff,

Den bleichen, blutigen, mit seinen starren,

Dolchspitzen Augen, mit dem Zeigefinger

Gespenstisch aufgehoben, langsam schreitend –

William Ratcliff, bleich, verstört und blutig, tritt herein.

Die Vorigen.

MARGARETE wild aufschreiend.

Jesus Marie, der tote Edward Ratcliff!

Sie kauert nieder in einer Ecke des Zimmers und bleibt dort starr und regungslos sitzen.

MARIA aufschreiend.

Entsetzlicher! Bringst du mir Douglas’ Ring?

RATCLIFF bitter lachend.

Das Karussell, das Ringestechen, ist

Jetzt aus. Zwei Ringe stach ich, doch der dritte

Wollt sich nicht stechen lassen, und ich stürzte

Hinunter von dem Holzpferd.

MARIA plötzlich im vertraulich ängstlichen Tone.

William! William!

Du blutest ja. Komm her, ich will die Wunde

Verbinden. –

Sie zerreißt ihren weißen Hochzeitschleier. –

Gott! Wo bin ich? Böser William –

Nein, du bist Edward, ich, ich bin Schön-Betty –

Dein armer Kopf ist blutig, und der mein’ge

Ist so verwirrt – Ich weiß nicht, was ich tu –

Komm her; wenn du mich liebhast, kniee nieder –

Sie will ihm die Kopfwunde verbinden.

RATCLIFF stürzt zu ihren Füßen. Schmerzhaft zärtlich.

Neckt mich ein Traum? Ich liege vor Marien?

Liege zu ihren Füßen? Kleine Füße,

Seid ihr nicht Nebel, die der Wahnsinn bildet,

Und die zerrinnen, wenn ich sie umfasse?

MARIA beschwichtigend und ihm den Kopf mit dem Schleier verbindend.

Bleib ruhig. An den goldnen, hübschen Locken

Klebt Blut. Lieg still; du machst mich selber blutig.

Ja, wenn du still liegst, küß ich dich aufs Auge.

Sie küßt ihn.

RATCLIFF.

Mir ist die Nacht vom Auge fortgeküßt;

Die Sonne kann ich wieder sehn – Maria!

MARIA wie aus einem Traume aufgeschreckt.

Maria? Und du bist auch der William Ratcliff?

Hält sich die Augen zu.

O das ist gar zu traurig! –

Schaudernd. –

Fort! geh fort!

RATCLIFF springt auf und umschlingt sie.

Ich weiche nicht! Ich hab dich lieb, Maria,

Und du hast William lieb –

Vertraulich. –

Im Traum hast du’s

Mir oft gesagt. Weißt du, wir sehn uns ähnlich?

Schau in den Spiegel.

Er führt sie an einen Spiegel und zeigt nach beiden Spiegelbildern.

Deine Züge sind

Zwar schöner, edler, reiner als die mein’gen;

Doch sind sie ihnen ähnlich. Diese Lippen

Umzuckt derselbe Stolz, derselbe Trotz.

Hier sitzt der Leichtsinn ebenso wie dort.

Sprich mal ein Wörtchen!

MARIA sich sträubend.

Laß mich! laß mich!

RATCLIFF.

Hörst du?

Die Stimm’ klingt wie die mein’ge, nur weit sanfter.

Das tiefe Blau des Auges ist dasselbe;

Nur glänzender bei dir. Gib her die Hand.

Nimmt ihre Hand und vergleicht sie mit der seinigen.

Siehst du dieselben Linien? –

Erschrickt. –

Sieh mal her,

Die Lebenslinie ist so kurz wie hier –

MARIA.

O laß mich, William, und entflieh! entflieh! –

Nur schnell, sie kommen gleich –

RATCLIFF.

Ja, du hast recht,

Wir wollen fliehn. Komm, folge mir, mein Lieb.

Komm, folge mir. Gesattelt steht mein Roß,

Das schnellste in ganz Schottland.

Zieht sein Schwert hervor.

Hier, mein Schwert

Bahnt uns den Weg. Sieh mal, wie’s funkelt! Horch!

MARGARETE wahnsinnig singend.

»Was ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?

Ich habe geschlagen mein Liebchen tot –

Mein Liebchen war so schön, oh!«

RATCLIFF.

Wer sprach das blut’ge Wort? War’s dort die Eule,

Die sich ans Fenster klammert? War’s der Wind,

Der im Kamin pfeift? War’s die bleiche Hexe,

Die in der Ecke kauert? Ja, die war es;

Ihr Leib ist marmorstarr, doch aus der Brust

Schrillt ihr der heisre Sang. Ich soll mein Liebchen

Im höchsten Schmerz.

Totschlagen, singt sie – Oh, das muß ich ja –

MARIA.

Entsetzlich rollt dein Aug’, dein Odem brennt –

Dein Wahnsinn steckt mich an – verlaß mich! laß mich!

RATCLIFF.

O sträub dich nicht, mein Lieb. Der Tod ist ja

So süß. Ich nehm dich mit ins schöne Land,

Wovon wir oft geträumt. Komm mit, mein Lieb.

MARIA sich von ihm losreißend.

Entflieh! Entflieh! Denn trifft dich hier Graf Douglas –

RATCLIFF in Wut ausbrechend.

Verfluchter Name! Losungswort des Todes!

Kein Gott soll dich besitzen. Mir gehörst du –

Er will sie erstechen.

MARIA sich in das verhängte Kabinett flüchtend.

William! du willst mich morden –

RATCLIFF stürzt ihr nach ins Kabinett.

Mir gehörst du –

Mein ist Maria –

Man hört Marias Stimme.

MARIA.

William! Hülfe! William!

MARGARETE singt.

»Ich habe geschlagen mein Liebchen tot –

Mein Liebchen war so schön, oh!«

Die zwei Nebelmenschen erscheinen von entgegengesetzten Seiten, stellen sich an den Eingang des Kabinetts, strecken die Arme nacheinander aus und verschwinden bei Ratcliffs Hervortreten.

RATCLIFF das blutige Schwert in der Hand, stürzt aus dem Kabinette.

Halt! halt! entweich mir nicht, mein Doppelgänger!

Du bleiches Nachtgespenst, du hast’s getan.

An deiner Nebelhand klebt rotes Blut.

Komm, ficht mit mir, du hast Marie ermordet –

Mac-Gregor stürzt herein mit bloßem Schwerte.

Die Vorigen.

MAC-GREGOR.

Um Hülfe rief’s –

Erblickt Ratcliff. –

Dich treff ich hier, Verruchter,

Verhaßter Mörder, Störer meiner Ruh’ –

RATCLIFF wild auflachend.

Das bin ich, und auch du bist mir verhaßt,

Weiß nicht warum, doch bist du mir verhaßt,

Nach deinem Blute lechz ich –

Sie stürzen fechtend aufeinander ein.

MAC-GREGOR.

Bösewicht!

RATCLIFF.

Ha! ha! ha!

MARGARETE singt.

»Was ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?«

MAC-GREGOR stürzt nieder.

Verfluchtes Lied! –

Er stirbt.

RATCLIFF erschöpft.

Die gift’ge Schlang’ ist tot.

Nun ist mir’s leicht ums Herz. Den Vorgeschmack

Der Ruh’ genieß ich schon. Marie ist mein.

Mein Tagwerk ist vollbracht. Ich komm, Marie.

Er geht ins Kabinett; man hört inwendig seine Stimme.

Hier bin ich, süßes, weißes Lieb. Maria!

Es fällt ein Schuß im Kabinette.

Die zwei Nebelbilder erscheinen von beiden Seiten, stürzen sich hastig in die Arme, halten sich fest umschlungen und verschwinden. Man hört lautes Rufen und verworrene Stimmen.

Douglas, Gäste und Diener treten bestürzt herein.

Die Vorigen.

EIN DIENER.

Jesus Marie! hier liegt der edle Herr!

VIELE STIMMEN.

Mac-Gregor!

DOUGLAS.

Tot! tot ist der edle Laird.

Sucht nur den Mörder. Schließt des Schlosses Pforte.

MARGARETE richtet sich langsam in die Höhe, nähert sich der Leiche Mac-Gregors und spricht im wahnsinnigen Tone.

Ei! ei! so blutig und so bleich lag auch

Der tote Edward Ratcliff an der Schloßmau’r.

Der böse, zornige Mac-Gregor hatte

Den armen Edward Ratcliff totgeschlagen! –

Weinend. –

Ich hab es nicht getan, hab’s nur gewußt.

Und den –

Zeigt nach Mac-Gregors Leiche. –

hat William Ratcliff totgeschlagen –

Und auch der William hat jetzt Ruh’. Er schläft

Jetzt bei Marie – still! still! – weckt sie nicht auf –

Sie geht auf den Fußzehen nach dem Kabinette und hebt die Gardine desselben auf. Man sieht die Leichen von Maria und William Ratcliff.

ALLE.

Entsetzlich!

MARGARETE vergnügt lachend.

Sie sehn fast aus wie Edward und Schön-Betty!

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