Aus der Harzreise

1824

Prolog

Schwarze Röcke, seidne Strümpfe,

Weiße, höfliche Manschetten,

Sanfte Reden, Embrassieren –

Ach, wenn sie nur Herzen hätten!

Herzen in der Brust, und Liebe,

Warme Liebe in dem Herzen –

Ach, mich tötet ihr Gesinge

Von erlognen Liebesschmerzen.

Auf die Berge will ich steigen,

Wo die frommen Hütten stehen,

Wo die Brust sich frei erschließet,

Und die freien Lüfte wehen.

Auf die Berge will ich steigen,

Wo die dunkeln Tannen ragen,

Bäche rauschen, Vögel singen,

Und die stolzen Wolken jagen.

Lebet wohl, ihr glatten Säle!

Glatte Herren, glatte Frauen!

Auf die Berge will ich steigen,

Lachend auf euch niederschauen.

Bergidylle

1.

Auf dem Berge steht die Hütte,

Wo der alte Bergmann wohnt;

Dorten rauscht die grüne Tanne,

Und erglänzt der goldne Mond.

In der Hütte steht ein Lehnstuhl,

Ausgeschnitzelt wunderlich,

Der darauf sitzt, der ist glücklich,

Und der Glückliche bin ich!

Auf dem Schemel sitzt die Kleine,

Stützt den Arm auf meinen Schoß;

Äuglein wie zwei blaue Sterne,

Mündlein wie die Purpurros’.

Und die lieben, blauen Sterne

Schaun mich an so himmelgroß;

Und sie legt den Lilienfinger

Schalkhaft auf die Purpurros’.

Nein, es sieht uns nicht die Mutter,

Denn sie spinnt mit großem Fleiß,

Und der Vater spielt die Zither,

Und er singt die alte Weis’.

Und die Kleine flüstert leise,

Leise, mit gedämpftem Laut;

Manches wichtige Geheimnis

Hat sie mir schon anvertraut.

»Aber seit die Muhme tot ist,

Können wir ja nicht mehr gehn

Nach dem Schützenhof zu Goslar,

Dorten ist es gar zu schön.

Hier dagegen ist es einsam,

Auf der kalten Bergeshöh’,

Und des Winters sind wir gänzlich

Wie begraben in dem Schnee.

Und ich bin ein banges Mädchen,

Und ich fürcht mich wie ein Kind

Vor den bösen Bergesgeistern,

Die des Nachts geschäftig sind.«

Plötzlich schweigt die liebe Kleine,

Wie vom eignen Wort erschreckt,

Und sie hat mit beiden Händchen

Ihre Äugelein bedeckt.

Lauter rauscht die Tanne draußen,

Und das Spinnrad schnurrt und brummt,

Und die Zither klingt dazwischen,

Und die alte Weise summt:

»Fürcht dich nicht, du liebes Kindchen,

Vor der bösen Geister Macht;

Tag und Nacht, du liebes Kindchen,

Halten Englein bei dir Wacht!«

2.

Tannenbaum, mit grünen Fingern,

Pocht ans niedre Fensterlein,

Und der Mond, der stille Lauscher,

Wirft sein goldnes Licht herein.

Vater, Mutter schnarchen leise

In dem nahen Schlafgemach;

Doch wir beide, selig schwatzend,

Halten uns einander wach.

»Daß du gar zu oft gebetet,

Das zu glauben wird mir schwer,

Jenes Zucken deiner Lippen

Kommt wohl nicht vom Beten her.

Jenes böse, kalte Zucken,

Das erschreckt mich jedesmal,

Doch die dunkle Angst beschwichtigt

Deiner Augen frommer Strahl.

Auch bezweifl’ ich, daß du glaubest,

Was so rechter Glauben heißt –

Glaubst wohl nicht an Gott den Vater,

An den Sohn und Heil’gen Geist?«

»Ach, mein Kindchen, schon als Knabe,

Als ich saß auf Mutters Schoß,

Glaubte ich an Gott den Vater,

Der da waltet gut und groß;

Der die schöne Erd’ erschaffen,

Und die schönen Menschen drauf,

Der den Sonnen, Monden, Sternen

Vorgezeichnet ihren Lauf.

Als ich größer wurde, Kindchen,

Noch viel mehr begriff ich schon,

Ich begriff, und ward vernünftig,

Und ich glaub auch an den Sohn;

An den lieben Sohn, der liebend

Uns die Liebe offenbart,

Und zum Lohne, wie gebräuchlich,

Von dem Volk gekreuzigt ward.

Jetzo, da ich ausgewachsen,

Viel gelesen, viel gereist,

Schwillt mein Herz, und ganz von Herzen

Glaub ich an den Heil’gen Geist.

Dieser tat die größten Wunder,

Und viel größre tut er noch;

Er zerbrach die Zwingherrnburgen,

Und zerbrach des Knechtes Joch.

Alte Todeswunden heilt er,

Und erneut das alte Recht:

Alle Menschen, gleichgeboren,

Sind ein adliges Geschlecht.

Er verscheucht die bösen Nebel

Und das dunkle Hirngespinst,

Das uns Lieb’ und Lust verleidet,

Tag und Nacht uns angegrinst.

Tausend Ritter, wohlgewappnet,

Hat der Heil’ge Geist erwählt,

Seinen Willen zu erfüllen,

Und er hat sie mutbeseelt.

Ihre teuern Schwerter blitzen,

Ihre guten Banner wehn!

Ei, du möchtest wohl, mein Kindchen,

Solche stolze Ritter sehn?

Nun, so schau mich an, mein Kindchen,

Küsse mich und schaue dreist;

Denn ich selber bin ein solcher

Ritter von dem Heil’gen Geist.«

3.

Still versteckt der Mond sich draußen

Hinterm grünen Tannenbaum,

Und im Zimmer unsre Lampe

Flackert matt und leuchtet kaum.

Aber meine blauen Sterne

Strahlen auf in hellerm Licht,

Und es glühn die Purpurröslein,

Und das liebe Mädchen spricht:

»Kleines Völkchen, Wichtelmännchen,

Stehlen unser Brot und Speck,

Abends liegt es noch im Kasten,

Und des Morgens ist es weg.

Kleines Völkchen, unsre Sahne

Nascht es von der Milch, und läßt

Unbedeckt die Schüssel stehen,

Und die Katze säuft den Rest.

Und die Katz’ ist eine Hexe,

Denn sie schleicht, bei Nacht und Sturm,

Drüben nach dem Geisterberge,

Nach dem altverfallnen Turm.

Dort hat einst ein Schloß gestanden,

Voller Lust und Waffenglanz;

Blanke Ritter, Fraun und Knappen

Schwangen sich im Fackeltanz.

Da verwünschte Schloß und Leute

Eine böse Zauberin,

Nur die Trümmer blieben stehen,

Und die Eulen nisten drin.

Doch die sel’ge Muhme sagte:

Wenn man spricht das rechte Wort,

Nächtlich zu der rechten Stunde,

Drüben an dem rechten Ort:

So verwandeln sich die Trümmer

Wieder in ein helles Schloß,

Und es tanzen wieder lustig

Ritter, Fraun und Knappentroß;

Und wer jenes Wort gesprochen,

Dem gehören Schloß und Leut’,

Pauken und Trompeten huld’gen

Seiner jungen Herrlichkeit.«

Also blühen Märchenbilder

Aus des Mundes Röselein,

Und die Augen gießen drüber

Ihren blauen Sternenschein.

Ihre goldnen Haare wickelt

Mir die Kleine um die Händ’,

Gibt den Fingern hübsche Namen,

Lacht und küßt, und schweigt am End’.

Und im stillen Zimmer alles

Blickt mich an so wohlvertraut;

Tisch und Schrank, mir ist, als hätt ich

Sie schon früher mal geschaut.

Freundlich ernsthaft schwatzt die Wanduhr,

Und die Zither, hörbar kaum,

Fängt von selber an zu klingen,

Und ich sitze wie im Traum.

Jetzo ist die rechte Stunde,

Und es ist der rechte Ort;

Ja, ich glaube, von den Lippen

Gleitet mir das rechte Wort.

»Siehst du, Kindchen, wie schon dämmert

Und erbebt die Mitternacht!

Bach und Tannen brausen lauter,

Und der alte Berg erwacht.

Zitherklang und Zwergenlieder

Tönen aus des Berges Spalt,

Und es sprießet, wie’n toller Frühling,

Draus hervor ein Blumenwald; –

Blumen, kühne Wunderblumen,

Blätter, breit und fabelhaft,

Duftig bunt und hastig regsam,

Wie gedrängt von Leidenschaft.

Rosen, wild wie rote Flammen,

Sprühn aus dem Gewühl hervor;

Lilien, wie kristallne Pfeiler,

Schießen himmelhoch empor.

Und die Sterne, groß wie Sonnen,

Schaun herab mit Sehnsuchtglut;

In der Lilien Riesenkelche

Strömet ihre Strahlenflut.

Doch wir selber, süßes Kindchen,

Sind verwandelt noch viel mehr;

Fackelglanz und Gold und Seide

Schimmern lustig um uns her.

Du, du wurdest zur Prinzessin,

Diese Hütte ward zum Schloß,

Und da jubeln und da tanzen

Ritter, Fraun und Knappentroß,

Aber ich, ich hab erworben

Dich und alles, Schloß und Leut’;

Pauken und Trompeten huld’gen

Meiner jungen Herrlichkeit!«

Der Hirtenknabe

König ist der Hirtenknabe,

Grüner Hügel ist sein Thron;

Über seinem Haupt die Sonne

Ist die große, goldne Kron’.

Ihm zu Füßen liegen Schafe,

Weiche Schmeichler, rotbekreuzt;

Kavaliere sind die Kälber,

Und sie wandeln stolzgespreizt.

Hofschauspieler sind die Böcklein;

Und die Vögel und die Küh’,

Mit den Flöten, mit den Glöcklein,

Sind die Kammermusici.

Und das klingt und singt so lieblich,

Und so lieblich rauschen drein

Wasserfall und Tannenbäume,

Und der König schlummert ein.

Unterdessen muß regieren

Der Minister, jener Hund,

Dessen knurriges Gebelle

Widerhallet in der Rund’.

Schläfrig lallt der junge König:

»Das Regieren ist so schwer;

Ach, ich wollt, daß ich zu Hause

Schon bei meiner Kön’gin wär!

In den Armen meiner Kön’gin

Ruht mein Königshaupt so weich,

Und in ihren schönen Augen

Liegt mein unermeßlich Reich!«

Auf dem Brocken

Heller wird es schon im Osten

Durch der Sonne kleines Glimmen,

Weit und breit die Bergesgipfel

In dem Nebelmeere schwimmen.

Hätt ich Siebenmeilenstiefel,

Lief’ ich, mit der Hast des Windes,

Über jene Bergesgipfel,

Nach dem Haus des lieben Kindes.

Von dem Bettchen, wo sie schlummert,

Zög ich leise die Gardinen,

Leise küßt’ ich ihre Stirne,

Leise ihres Munds Rubinen.

Und noch leiser wollt ich flüstern

In die kleinen Lilienohren:

»Denk im Traum, daß wir uns lieben,

Und daß wir uns nie verloren.«

Die Ilse

Ich bin die Prinzessin Ilse,

Und wohne im Ilsenstein;

Komm mit nach meinem Schlosse,

Wir wollen selig sein.

Dein Haupt will ich benetzen

Mit meiner klaren Well’,

Du sollst deine Schmerzen vergessen,

Du sorgenkranker Gesell!

In meinen weißen Armen,

An meiner weißen Brust,

Da sollst du liegen und träumen

Von alter Märchenlust.

Ich will dich küssen und herzen,

Wie ich geherzt und geküßt

Den lieben Kaiser Heinrich,

Der nun gestorben ist.

Es bleiben tot die Toten,

Und nur der Lebendige lebt;

Und ich bin schön und blühend,

Mein lachendes Herze bebt.

Komm in mein Schloß herunter,

In mein kristallenes Schloß.

Dort tanzen die Fräulein und Ritter,

Es jubelt der Knappentroß.

Es rauschen die seidenen Schleppen,

Es klirren die Eisenspor’n,

Die Zwerge trompeten und pauken,

Und fiedeln und blasen das Horn.

Doch dich soll mein Arm umschlingen,

Wie er Kaiser Heinrich umschlang; –

Ich hielt ihm zu die Ohren,

Wenn die Trompet’ erklang.

Die Nordsee

1825–1826

Erster Zyklus

1.
Krönung

Ihr Lieder! Ihr meine guten Lieder!

Auf, auf! und wappnet euch!

Laßt die Trompeten klingen,

Und hebt mir auf den Schild

Dies junge Mädchen,

Das jetzt mein ganzes Herz

Beherrschen soll, als Königin.

Heil dir! du junge Königin!

Von der Sonne droben

Reiß ich das strahlend rote Gold,

Und webe draus ein Diadem

Für dein geweihtes Haupt.

Von der flatternd blauseidnen Himmelsdecke,

Worin die Nachtdiamanten blitzen,

Schneid ich ein kostbar Stück,

Und häng es dir, als Krönungsmantel,

Um deine königliche Schulter.

Ich gebe dir einen Hofstaat

Von steifgeputzten Sonetten,

Stolzen Terzinen und höflichen Stanzen;

Als Läufer diene dir mein Witz,

Als Hofnarr meine Phantasie,

Als Herold, die lachende Träne im Wappen,

Diene dir mein Humor.

Aber ich selber, Königin,

Ich knie vor dir nieder,

Und huld’gend, auf rotem Sammetkissen,

Überreiche ich dir

Das bißchen Verstand,

Das mir, aus Mitleid, noch gelassen hat

Deine Vorgängerin im Reich.

2.
Abenddämmerung

Am blassen Meeresstrande

Saß ich gedankenbekümmert und einsam.

Die Sonne neigte sich tiefer, und warf

Glührote Streifen auf das Wasser,

Und die weißen, weiten Wellen,

Von der Flut gedrängt,

Schäumten und rauschten näher und näher –

Ein seltsam Geräusch, ein Flüstern und Pfeifen,

Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sausen,

Dazwischen ein wiegendliedheimliches Singen –

Mir war als hört’ ich verschollne Sagen,

Uralte, liebliche Märchen,

Die ich einst, als Knabe,

Von Nachbarskindern vernahm,

Wenn wir am Sommerabend,

Auf den Treppensteinen der Haustür,

Zum stillen Erzählen niederkauerten,

Mit kleinen, horchenden Herzen

Und neugierklugen Augen; –

Während die großen Mädchen,

Neben duftenden Blumentöpfen,

Gegenüber am Fenster saßen,

Rosengesichter,

Lächelnd und mondbeglänzt.

3.
Sonnenuntergang

Die glühend rote Sonne steigt

Hinab ins weitaufschauernde,

Silbergraue Weltenmeer;

Luftgebilde, rosig angehaucht,

Wallen ihr nach; und gegenüber,

Aus herbstlich dämmernden Wolkenschleiern,

Ein traurig todblasses Antlitz,

Bricht hervor der Mond,

Und hinter ihm, Lichtfünkchen,

Nebelweit, schimmern die Sterne.

Einst am Himmel glänzten,

Eh’lich vereint,

Luna, die Göttin, und Sol, der Gott,

Und es wimmelten um sie her die Sterne,

Die kleinen, unschuldigen Kinder.

Doch böse Zungen zischelten Zwiespalt,

Und es trennte sich feindlich

Das hohe, leuchtende Eh’paar.

Jetzt am Tage, in einsamer Pracht,

Ergeht sich dort oben der Sonnengott,

Ob seiner Herrlichkeit

Angebetet und vielbesungen

Von stolzen, glückgehärteten Menschen.

Aber des Nachts,

Am Himmel, wandelt Luna,

Die arme Mutter,

Mit ihren verwaisten Sternenkindern,

Und sie glänzt in stiller Wehmut,

Und liebende Mädchen und sanfte Dichter

Weihen ihr Tränen und Lieder.

Die weiche Luna! Weiblich gesinnt,

Liebt sie noch immer den schönen Gemahl.

Gegen Abend, zitternd und bleich,

Lauscht sie hervor aus leichtem Gewölk,

Und schaut nach dem Scheidenden, schmerzlich,

Und möchte ihm ängstlich rufen: »Komm!

Komm! die Kinder verlangen nach dir –«

Aber der trotzige Sonnengott,

Bei dem Anblick der Gattin erglüht er

In doppeltem Purpur,

Vor Zorn und Schmerz,

Und unerbittlich eilt er hinab

In sein flutenkaltes Witwerbett.

*

Böse, zischelnde Zungen

Brachten also Schmerz und Verderben

Selbst über ewige Götter.

Und die armen Götter, oben am Himmel

Wandeln sie, qualvoll,

Trostlos unendliche Bahnen,

Und können nicht sterben,

Und schleppen mit sich

Ihr strahlendes Elend.

Ich aber, der Mensch,

Der niedriggepflanzte, der todbeglückte,

Ich klage nicht länger.

4.
Die Nacht am Strande

Sternlos und kalt ist die Nacht,

Es gärt das Meer;

Und über dem Meer, platt auf dem Bauch,

Liegt der ungestaltete Nordwind,

Und heimlich, mit ächzend gedämpfter Stimme,

Wie’n störriger Griesgram, der gut gelaunt wird,

Schwatzt er ins Wasser hinein,

Und erzählt viel tolle Geschichten,

Riesenmärchen, totschlaglaunig,

Uralte Sagen aus Norweg,

Und dazwischen, weitschallend, lacht er und heult er

Beschwörungslieder der Edda,

Auch Runensprüche,

So dunkeltrotzig und zaubergewaltig,

Daß die weißen Meerkinder

Hoch aufspringen und jauchzen,

Übermutberauscht.

Derweilen, am flachen Gestade,

Über den flutbefeuchteten Sand,

Schreitet ein Fremdling, mit einem Herzen,

Das wilder noch als Wind und Wellen.

Wo er hintritt,

Sprühen Funken und knistern die Muscheln;

Und er hüllt sich fest in den grauen Mantel,

Und schreitet rasch durch die wehende Nacht; –

Sicher geleitet vom kleinen Lichte,

Das lockend und lieblich schimmert

Aus einsamer Fischerhütte.

Vater und Bruder sind auf der See,

Und mutterseelenallein blieb dort

In der Hütte die Fischertochter,

Die wunderschöne Fischertochter.

Am Herde sitzt sie,

Und horcht auf des Wasserkessels

Ahnungssüßes, heimliches Summen,

Und schüttet knisterndes Reisig ins Feuer,

Und bläst hinein,

Daß die flackernd roten Lichter

Zauberlieblich widerstrahlen

Auf das blühende Antlitz,

Auf die zarte, weiße Schulter,

Die rührend hervorlauscht

Aus dem groben, grauen Hemde,

Und auf die kleine, sorgsame Hand,

Die das Unterröckchen fester bindet

Um die feine Hüfte.

Aber plötzlich, die Tür springt auf,

Und es tritt herein der nächtige Fremdling;

Liebesicher ruht sein Auge

Auf dem weißen, schlanken Mädchen,

Das schauernd vor ihm steht,

Gleich einer erschrockenen Lilie;

Und er wirft den Mantel zur Erde,

Und lacht und spricht:

»Siehst du, mein Kind, ich halte Wort,

Und ich komme, und mit mir kommt

Die alte Zeit, wo die Götter des Himmels

Niederstiegen zu Töchtern der Menschen,

Und die Töchter der Menschen umarmten

Und mit ihnen zeugten

Zeptertragende Königsgeschlechter

Und Helden, Wunder der Welt.

Doch staune, mein Kind, nicht länger

Ob meiner Göttlichkeit,

Und, ich bitte dich, koche mir Tee mit Rum;

Denn draußen war’s kalt,

Und bei solcher Nachtluft

Frieren auch wir, wir ewigen Götter,

Und kriegen wir leicht den göttlichsten Schnupfen

Und einen unsterblichen Husten.«

5.
Poseidon

Die Sonnenlichter spielten

Über das weithinrollende Meer;

Fern auf der Reede glänzte das Schiff,

Das mich zur Heimat tragen sollte;

Aber es fehlte an gutem Fahrwind.

Und ich saß noch ruhig auf weißer Düne,

Am einsamen Strand,

Und ich las das Lied vom Odysseus,

Das alte, das ewig junge Lied,

Aus dessen meerdurchrauschten Blättern

Mir freudig entgegenstieg

Der Atem der Götter,

Und der leuchtende Menschenfrühling,

Und der blühende Himmel von Hellas.

Mein edles Herz begleitete treulich

Den Sohn des Laertes, in Irrfahrt und Drangsal,

Setzte sich mit ihm, seelenbekümmert,

An gastliche Herde,

Wo Königinnen Purpur spinnen,

Und half ihm lügen und glücklich entrinnen

Aus Riesenhöhlen und Nymphenarmen,

Folgte ihm nach in kimmerische Nacht,

Und in Sturm und Schiffbruch,

Und duldete mit ihm unsägliches Elend.

Seufzend sprach ich: »Du böser Poseidon,

Dein Zorn ist furchtbar,

Und mir selber bangt

Od der eignen Heimkehr.«

Kaum sprach ich die Worte,

Da schäumte das Meer,

Und aus den weißen Wellen stieg

Das schilfbekränzte Haupt des Meergotts,

Und höhnisch rief er:

»Fürchte dich nicht, Poetlein!

Ich will nicht im g’ringsten gefährden

Dein armes Schiffchen,

Und nicht dein liebes Leben beängst’gen

Mit allzu bedenklichem Schaukeln.

Denn du, Poetlein, hast nie mich erzürnt,

Du hast kein einziges Türmchen verletzt

An Priamos’ heiliger Feste,

Kein einziges Härchen hast du versengt

Am Aug’ meines Sohns Polyphemos,

Und dich hat niemals ratend beschützt

Die Göttin der Klugheit, Pallas Athene.«

Also rief Poseidon

Und tauchte zurück ins Meer;

Und über den groben Seemannswitz

Lachten unter dem Wasser

Amphitrite, das plumpe Fischweib,

Und die dummen Töchter des Nereus.

6.
Erklärung

Herangedämmert kam der Abend,

Wilder toste die Flut,

Und ich saß am Strand, und schaute zu

Dem weißen Tanz der Wellen,

Und meine Brust schwoll auf wie das Meer,

Und sehnend ergriff mich ein tiefes Heimweh

Nach dir, du holdes Bild,

Das überall mich umschwebt,

Und überall mich ruft,

Überall, überall,

Im Sausen des Windes, im Brausen des Meers,

Und im Seufzen der eigenen Brust.

Mit leichtem Rohr schrieb ich in den Sand:

»Agnes, ich liebe dich!«

Doch böse Wellen ergossen sich

Über das süße Bekenntnis,

Und löschten es aus.

Zerbrechliches Rohr, zerstiebender Sand,

Zerfließende Wellen, euch trau ich nicht mehr!

Der Himmel wird dunkler, mein Herz wird wilder,

Und mit starker Hand, aus Norwegs Wäldern,

Reiß ich die höchste Tanne,

Und tauche sie ein

In des Ätnas glühenden Schlund, und mit solcher

Feuergetränkten Riesenfeder

Schreib ich an die dunkle Himmelsdecke:

»Agnes, ich liebe dich!«

Jedwede Nacht lodert alsdann

Dort oben die ewige Flammenschrift,

Und alle nachwachsende Enkelgeschlechter

Lesen jauchzend die Himmelsworte:

»Agnes, ich liebe dich!«

7.
Nachts in der Kajüte

Das Meer hat seine Perlen,

Der Himmel hat seine Sterne,

Aber mein Herz, mein Herz,

Mein Herz hat seine Liebe.

Groß ist das Meer und der Himmel,

Doch größer ist mein Herz,

Und schöner als Perlen und Sterne

Leuchtet und strahlt meine Liebe.

Du kleines, junges Mädchen,

Komm an mein großes Herz;

Mein Herz und das Meer und der Himmel

Vergehn vor lauter Liebe.

*

An die blaue Himmelsdecke,

Wo die schönen Sterne blinken,

Möcht ich pressen meine Lippen,

Pressen wild und stürmisch weinen.

Jene Sterne sind die Augen

Meiner Liebsten, tausendfältig

Schimmern sie und grüßen freundlich

Aus der blauen Himmelsdecke.

Nach der blauen Himmelsdecke,

Nach den Augen der Geliebten,

Heb ich andachtsvoll die Arme,

Und ich bitte und ich flehe:

»Holde Augen, Gnadenlichter,

Oh, beseligt meine Seele,

Laßt mich sterben und erwerben

Euch und euren ganzen Himmel!«

*

Aus den Himmelsaugen droben

Fallen zitternd goldne Funken

Durch die Nacht, und meine Seele

Dehnt sich liebeweit und weiter.

Oh, ihr Himmelsaugen droben!

Weint euch aus in meine Seele,

Daß von lichten Sternentränen

Überfließet meine Seele.

*

Eingewiegt von Meereswellen

Und von träumenden Gedanken,

Lieg ich still in der Kajüte,

In dem dunkeln Winkelbette.

Durch die offne Luke schau ich

Droben hoch die hellen Sterne,

Die geliebten, süßen Augen

Meiner süßen Vielgeliebten.

Die geliebten, süßen Augen

Wachen über meinem Haupte,

Und sie blinken und sie winken

Aus der blauen Himmelsdecke.

Nach der blauen Himmelsdecke

Schau ich selig lange Stunden,

Bis ein weißer Nebelschleier

Mir verhüllt die lieben Augen.

*

An die bretterne Schiffswand,

Wo mein träumendes Haupt liegt,

Branden die Wellen, die wilden Wellen;

Sie rauschen und murmeln

Mir heimlich ins Ohr:

»Betörter Geselle!

Dein Arm ist kurz, und der Himmel ist weit,

Und die Sterne droben sind festgenagelt

Mit goldnen Nägeln –

Vergebliches Sehnen, vergebliches Seufzen,

Das beste wäre, du schliefest ein.«

*

Es träumte mir von einer weiten Heide,

Weit überdeckt von stillem, weißem Schnee,

Und unterm weißen Schnee lag ich begraben

Und schlief den einsam kalten Todesschlaf.

Doch droben aus dem dunkeln Himmel schauten

Herunter auf mein Grab die Sternenaugen,

Die süßen Augen! und sie glänzten sieghaft

Und ruhig heiter, aber voller Liebe.

8.
Sturm

Es wütet der Sturm,

Und er peitscht die Wellen,

Und die Well’n, wutschäumend und bäumend,

Türmen sich auf, und es wogen lebendig

Die weißen Wasserberge,

Und das Schifflein erklimmt sie,

Hastig mühsam,

Und plötzlich stürzt es hinab

In schwarze, weitgähnende Flutabgründe –

O Meer!

Mutter der Schönheit, der Schaumentstiegenen!

Großmutter der Liebe! schone meiner!

Schon flattert, leichenwitternd,

Die weiße, gespenstische Möwe,

Und wetzt an dem Mastbaum den Schnabel,

Und lechzt, voll Fraßbegier, nach dem Herzen,

Das vom Ruhm deiner Tochter ertönt,

Und das dein Enkel, der kleine Schalk,

Zum Spielzeug erwählt.

Vergebens mein Bitten und Flehn!

Mein Rufen verhallt im tosenden Sturm,

Im Schlachtlärm der Winde.

Es braust und pfeift und prasselt und heult,

Wie ein Tollhaus von Tönen!

Und zwischendurch hör ich vernehmbar

Lockende Harfenlaute,

Sehnsuchtwilden Gesang,

Seelenschmelzend und seelenzerreißend,

Und ich erkenne die Stimme.

Fern an schottischer Felsenküste,

Wo das graue Schlößlein hinausragt

Über die brandende See,

Dort, am hochgewölbten Fenster,

Steht eine schöne, kranke Frau,

Zartdurchsichtig und marmorblaß,

Und sie spielt die Harfe und singt,

Und der Wind durchwühlt ihre langen Locken,

Und trägt ihr dunkles Lied

Über das weite, stürmende Meer.

9.
Meeresstille

Meeresstille! Ihre Strahlen

Wirft die Sonne auf das Wasser,

Und im wogenden Geschmeide

Zieht das Schiff die grünen Furchen.

Bei dem Steuer liegt der Bootsmann

Auf dem Bauch, und schnarchet leise.

Bei dem Mastbaum, segelflickend,

Kauert der beteerte Schiffsjung’.

Hinterm Schmutze seiner Wangen

Sprüht es rot, wehmütig zuckt es

Um das breite Maul, und schmerzlich

Schaun die großen, schönen Augen.

Denn der Kapitän steht vor ihm,

Tobt und flucht und schilt ihn: »Spitzbub’!

Spitzbub’! einen Hering hast du

Aus der Tonne mir gestohlen!«

Meeresstille! Aus den Wellen

Taucht hervor ein kluges Fischlein,

Wärmt das Köpfchen in der Sonne,

Plätschert lustig mit dem Schwänzchen.

Doch die Möwe, aus den Lüften,

Schießt herunter auf das Fischlein,

Und den raschen Raub im Schnabel,

Schwingt sie sich hinauf ins Blaue.

10.
Seegespenst

Ich aber lag am Rande des Schiffes,

Und schaute, träumenden Auges,

Hinab in das spiegelklare Wasser,

Und schaute tiefer und tiefer –

Bis tief, im Meeresgrunde,

Anfangs wie dämmernde Nebel,

Jedoch allmählich farbenbestimmter,

Kirchenkuppel und Türme sich zeigten,

Und endlich, sonnenklar, eine ganze Stadt,

Altertümlich niederländisch,

Und menschenbelebt.

Bedächtige Männer, schwarzbemäntelt,

Mit weißen Halskrausen und Ehrenketten

Und langen Degen und langen Gesichtern,

Schreiten, über den wimmelnden Marktplatz,

Nach dem treppenhohen Rathaus,

Wo steinerne Kaiserbilder

Wacht halten mit Zepter und Schwert.

Unferne, vor langen Häuserreihn,

Wo spiegelblanke Fenster

Und pyramidisch beschnittene Linden,

Wandeln seidenrauschende Jungfern,

Schlanke Leibchen, die Blumengesichter

Sittsam umschlossen von schwarzen Mützchen

Und hervorquellendem Goldhaar.

Bunte Gesellen, in spanischer Tracht,

Stolzieren vorüber und nicken.

Bejahrte Frauen,

In braunen, verschollnen Gewändern,

Gesangbuch und Rosenkranz in der Hand,

Eilen, trippelnden Schritts,

Nach dem großen Dome,

Getrieben von Glockengeläute

Und rauschendem Orgelton.

Mich selbst ergreift des fernen Klangs

Geheimnisvoller Schauer!

Unendliches Sehnen, tiefe Wehmut

Beschleicht mein Herz,

Mein kaum geheiltes Herz; –

Mir ist, als würden seine Wunden

Von lieben Lippen aufgeküßt,

Und täten wieder bluten –

Heiße, rote Tropfen,

Die lang und langsam niederfall’n

Auf ein altes Haus, dort unten

In der tiefen Meerstadt,

Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,

Das melancholisch menschenleer ist,

Nur daß am untern Fenster

Ein Mädchen sitzt,

Den Kopf auf den Arm gestützt,

Wie ein armes, vergessenes Kind –

Und ich kenne dich, armes, vergessenes Kind!

So tief, meertief also

Verstecktest du dich vor mir,

Aus kindischer Laune,

Und konntest nicht mehr herauf,

Und saßest fremd unter fremden Leuten,

Jahrhundertelang,

Derweilen ich, die Seele voll Gram,

Auf der ganzen Erde dich suchte,

Und immer dich suchte,

Du Immergeliebte,

Du Längstverlorene,

Du Endlichgefundene –

Ich hab dich gefunden und schaue wieder

Dein süßes Gesicht,

Die klugen, treuen Augen,

Das liebe Lächeln –

Und nimmer will ich dich wieder verlassen,

Und ich komme hinab zu dir,

Und mit ausgebreiteten Armen

Stürz ich hinab an dein Herz –

Aber zur rechten Zeit noch

Ergriff mich beim Fuß der Kapitän,

Und zog mich vom Schiffsrand,

Und rief, ärgerlich lachend:

»Doktor, sind Sie des Teufels?«

11.
Reinigung

Bleib du in deiner Meerestiefe,

Wahnsinniger Traum,

Der du einst so manche Nacht

Mein Herz mit falschem Glück gequält hast,

Und jetzt, als Seegespenst,

Sogar am hellen Tag mich bedrohest –

Bleib du dort unten, in Ewigkeit,

Und ich werfe noch zu dir hinab

All meine Schmerzen und Sünden,

Und die Schellenkappe der Torheit,

Die so lange mein Haupt umklingelt,

Und die kalte, gleißende Schlangenhaut

Der Heuchelei,

Die mir so lang die Seele umwunden,

Die kranke Seele,

Die gottverleugnende, engelverleugnende,

Unselige Seele –

Hoiho! Hoiho! Da kommt der Wind!

Die Segel auf! Sie flattern und schwell’n!

Über die stillverderbliche Fläche

Eilet das Schiff,

Und es jauchzt die befreite Seele.

12.
Frieden

Hoch am Himmel stand die Sonne,

Von weißen Wolken umwogt,

Das Meer war still,

Und sinnend lag ich am Steuer des Schiffes,

Träumerisch sinnend – und, halb im Wachen

Und halb im Schlummer, schaute ich Christus,

Den Heiland der Welt.

Im wallend weißen Gewande

Wandelt’ er riesengroß

Über Land und Meer;

Es ragte sein Haupt in den Himmel,

Die Hände streckte er segnend

Über Land und Meer;

Und als ein Herz in der Brust

Trug er die Sonne,

Die rote, flammende Sonne,

Und das rote, flammende Sonnenherz

Goß seine Gnadenstrahlen

Und sein holdes, liebseliges Licht,

Erleuchtend und wärmend,

Über Land und Meer.

Glockenklänge zogen feierlich

Hin und her, zogen wie Schwäne,

An Rosenbändern, das gleitende Schiff,

Und zogen es spielend ans grüne Ufer,

Wo Menschen wohnen, in hochgetürmter,

Ragender Stadt.

O Friedenswunder! Wie still die Stadt!

Es ruhte das dumpfe Geräusch

Der schwatzenden, schwülen Gewerbe,

Und durch die reinen, hallenden Straßen

Wandelten Menschen, weißgekleidete,

Palmzweigtragende,

Und wo sich zwei begegneten,

Sahn sie sich an, verständnisinnig,

Und schauernd, in Liebe und süßer Entsagung,

Küßten sie sich auf die Stirne,

Und schauten hinauf

Nach des Heilands Sonnenherzen,

Das freudig versöhnend sein rotes Blut

Hinunterstrahlte,

Und dreimalselig sprachen sie:

»Gelobt sei Jesu Christ!«

Zweiter Zyklus

1.
Meergruß

Thalatta! Thalatta!

Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer!

Sei mir gegrüßt zehntausendmal,

Aus jauchzendem Herzen,

Wie einst dich begrüßten

Zehntausend Griechenherzen,

Unglückbekämpfende, heimatverlangende,

Weltberühmte Griechenherzen.

Es wogten die Fluten,

Sie wogten und brausten,

Die Sonne goß eilig herunter

Die spielenden Rosenlichter,

Die aufgescheuchten Möwenzüge

Flatterten fort, lautschreiend,

Es stampften die Rosse, es klirrten die Schilde,

Und weithin erscholl es, wie Siegesruf:

Thalatta! Thalatta!

Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer!

Wie Sprache der Heimat rauscht mir dein Wasser,

Wie Träume der Kindheit seh ich es flimmern

Auf deinem wogenden Wellengebiet,

Und alte Erinnrung erzählt mir aufs neue

Von all dem lieben, herrlichen Spielzeug,

Von all den blinkenden Weihnachtsgaben,

Von all den roten Korallenbäumen,

Goldfischchen, Perlen und bunten Muscheln,

Die du geheimnisvoll bewahrst,

Dort unten im klaren Kristallhaus.

Oh! wie hab ich geschmachtet in öder Fremde!

Gleich einer welken Blume!

In des Botanikers blecherner Kapsel,

Lag mir das Herz in der Brust.

Mir ist, als saß ich winterlange,

Ein Kranker, in dunkler Krankenstube,

Und nun verlaß ich sie plötzlich,

Und blendend strahlt mir entgegen

Der smaragdene Frühling, der sonnengeweckte,

Und es rauschen die weißen Blütenbäume,

Und die jungen Blumen schauen mich an,

Mit bunten, duftenden Augen,

Und es duftet und summt, und atmet und lacht,

Und im blauen Himmel singen die Vöglein –

Thalatta! Thalatta!

Du tapferes Rückzugherz!

Wie oft, wie bitteroft

Bedrängten dich des Nordens Barbarinnen!

Aus großen, siegenden Augen

Schossen sie brennende Pfeile;

Mit krummgeschliffenen Worten

Drohten sie mir die Brust zu spalten;

Mit Keilschriftbilletts zerschlugen sie mir

Das arme, betäubte Gehirn –

Vergebens hielt ich den Schild entgegen,

Die Pfeile zischten, die Hiebe krachten,

Und von des Nordens Barbarinnen

Ward ich gedrängt bis ans Meer –

Und frei aufatmend begrüß ich das Meer,

Das liebe, rettende Meer –

Thalatta! Thalatta!

2.
Gewitter

Dumpf liegt auf dem Meer das Gewitter,

Und durch die schwarze Wolkenwand

Zuckt der zackige Wetterstrahl,

Rasch aufleuchtend und rasch verschwindend,

Wie ein Witz aus dem Haupte Kronions.

Über das wüste, wogende Wasser

Weithin rollen die Donner

Und springen die weißen Wellenrosse,

Die Boreas selber gezeugt

Mit des Erichthons reizenden Stuten,

Und es flattert ängstlich das Seegevögel,

Wie Schattenleichen am Styx,

Die Charon abwies vom nächtlichen Kahn.

Armes, lustiges Schifflein,

Das dort dahintanzt den schlimmsten Tanz!

Äolus schickt ihm die flinksten Gesellen,

Die wild aufspielen zum fröhlichen Reigen;

Der eine pfeift, der andre bläst,

Der dritte streicht den dumpfen Brummbaß –

Und der schwankende Seemann steht am Steuer

Und schaut beständig nach der Bussole,

Der zitternden Seele des Schiffes,

Und hebt die Hände flehend zum Himmel:

»O rette mich, Kastor, reisiger Held,

Und du, Kämpfer der Faust, Polydeukes!«

3.
Der Schiffbrüchige

Hoffnung und Liebe! Alles zertrümmert!

Und ich selber, gleich einer Leiche,

Die grollend ausgeworfen das Meer,

Lieg ich am Strande,

Am öden, kahlen Strande.

Vor mir woget die Wasserwüste,

Hinter mir liegt nur Kummer und Elend,

Und über mich hin ziehen die Wolken,

Die formlos grauen Töchter der Luft,

Die aus dem Meer, in Nebeleimern,

Das Wasser schöpfen,

Und es mühsam schleppen und schleppen,

Und es wieder verschütten ins Meer,

Ein trübes, langweil’ges Geschäft,

Und nutzlos, wie mein eignes Leben.

Die Wogen murmeln, die Möwen schrillen,

Alte Erinnrungen wehen mich an,

Vergessene Träume, erloschene Bilder,

Qualvoll süße, tauchen hervor.

Es lebt ein Weib im Norden,

Ein schönes Weib, königlich schön.

Die schlanke Zypressengestalt

Umschließt ein lüstern weißes Gewand;

Die dunkle Lockenfülle,

Wie eine selige Nacht,

Von dem flechtengekrönten Haupt sich ergießend,

Ringelt sich träumerisch süß

Um das süße, blasse Antlitz;

Und aus dem süßen, blassen Antlitz,

Groß und gewaltig, strahlt ein Auge,

Wie eine schwarze Sonne.

Oh, du schwarze Sonne, wie oft,

Entzückend oft, trank ich aus dir

Die wilden Begeistrungsflammen,

Und stand und taumelte, feuerberauscht –

Dann schwebte ein taubenmildes Lächeln

Um die hochgeschürzten, stolzen Lippen,

Und die hochgeschürzten, stolzen Lippen

Hauchten Worte, süß wie Mondlicht,

Und zart wie der Duft der Rose –

Und meine Seele erhob sich

Und flog, wie ein Aar, hinauf in den Himmel!

Schweigt, ihr Wogen und Möwen!

Vorüber ist alles, Glück und Hoffnung,

Hoffnung und Liebe! Ich liege am Boden.

Ein öder, schiffbrüchiger Mann,

Und drücke mein glühendes Antlitz

In den feuchten Sand.

4.
Untergang der Sonne

Die schöne Sonne

Ist ruhig hinabgestiegen ins Meer;

Die wogenden Wasser sind schon gefärbt

Von der dunkeln Nacht,

Nur noch die Abendröte

Überstreut sie mit goldnen Lichtern;

Und die rauschende Flutgewalt

Drängt ans Ufer die weißen Wellen,

Die lustig und hastig hüpfen,

Wie wollige Lämmerherden,

Die abends der singende Hirtenjunge

Nach Hause treibt.

»Wie schön ist die Sonne!«

So sprach nach langem Schweigen der Freund,

Der mit mir am Strande wandelte,

Und scherzend halb und halb wehmütig,

Versichert’ er mir: die Sonne sei

Eine schöne Frau, die den alten Meergott

Aus Konvenienz geheiratet;

Des Tages über wandle sie freudig

Am hohen Himmel, purpurgeputzt

Und diamantenblitzend,

Und allgeliebt und allbewundert

Von allen Weltkreaturen,

Und alle Weltkreaturen erfreuend

Mit ihres Blickes Licht und Wärme;

Aber des Abends, trostlos gezwungen,

Kehre sie wieder zurück

In das nasse Haus, in die öden Arme

Des greisen Gemahls.

»Glaub mir’s« – setzte hinzu der Freund,

Und lachte und seufzte und lachte wieder –

»Die führen dort unten die zärtlichste Ehe!

Entweder sie schlafen oder sie zanken sich,

Daß hochaufbraust hier oben das Meer,

Und der Schiffer im Wellengeräusch es hört,

Wie der Alte sein Weib ausschilt:

›Runde Metze des Weltalls!

Strahlenbuhlende!

Den ganzen Tag glühst du für andre,

Und nachts, für mich, bist du frostig und müde!‹

Nach solcher Gardinenpredigt,

Versteht sich! bricht dann aus in Tränen

Die stolze Sonne und klagt ihr Elend,

Und klagt so jammerlang, daß der Meergott

Plötzlich verzweiflungsvoll aus dem Bett springt,

Und schnell nach der Meeresfläche heraufschwimmt,

Um Luft und Besinnung zu schöpfen.

So sah ich ihn selbst, verflossene Nacht,

Bis an die Brust dem Meer enttauchen.

Er trug eine Jacke von gelbem Flanell,

Und eine lilienweiße Schlafmütz’,

Und ein abgewelktes Gesicht.«

5.
Der Gesang der Okeaniden

Abendlich blasser wird es am Meer,

Und einsam, mit seiner einsamen Seele,

Sitze dort ein Mann auf dem kahlen Strand,

Und schaut, todkalten Blickes, hinauf

Nach der weiten, todkalten Himmelswölbung,

Und schaut auf das weite, wogende Meer –

Und über das weite, wogende Meer,

Lüftesegler, ziehn seine Seufzer,

Und kehren zurück, trübselig,

Und hatten verschlossen gefunden das Herz,

Worin sie ankern wollten –

Und er stöhnt so laut, daß die weißen Möwen,

Aufgescheucht aus den sandigen Nestern,

Ihn herdenweis umflattern,

Und er spricht zu ihnen die lachenden Worte:

»Schwarzbeinigte Vögel,

Mit weißen Flügeln meerüberflatternde,

Mit krummen Schnäbeln seewassersaufende,

Und tranigtes Robbenfleisch fressende,

Eu’r Leben ist bitter wie eure Nahrung!

Ich aber, der Glückliche, koste nur Süßes!

Ich koste den süßen Duft der Rose,

Der mondscheingefütterten Nachtigallbraut,

Ich koste noch süßeres Zuckerbackwerk,

Gefüllt mit geschlagener Sahne;

Und das Allersüßeste kost ich,

Süße Liebe und süßes Geliebtsein.

Sie liebt mich! sie liebt mich! die holde Jungfrau!

Jetzt steht sie daheim, am Erker des Hauses,

Und schaut in die Dämmrung hinaus, auf die Landstraß’,

Und horcht und sehnt sich nach mir – wahrhaftig!

Vergebens späht sie umher und sie seufzet,

Und seufzend steigt sie hinab in den Garten,

Und wandelt in Duft und Mondschein,

Und spricht mit den Blumen, erzählet ihnen,

Wie ich, der Geliebte, so lieblich bin

Und so liebenswürdig – wahrhaftig!

Nachher im Bette, im Schlafe, im Traum,

Umgaukelt sie selig mein teures Bild,

Sogar des Morgens, beim Frühstück,

Auf dem glänzenden Butterbrote,

Sieht sie mein lächelndes Antlitz,

Und sie frißt es auf vor Liebe – wahrhaftig!«

Also prahlt er und prahlt er,

Und zwischendrein schrillen die Möwen,

Wie kaltes, ironisches Kichern.

Die Dämmrungsnebel steigen herauf;

Aus violettem Gewölk, unheimlich,

Schaut hervor der grasgelbe Mond;

Hochaufrauschen die Meereswogen,

Und tief aus hochaufrauschendem Meer,

Wehmütig wie flüsternder Windzug,

Tönt der Gesang der Okeaniden,

Der schönen, mitleidigen Wasserfraun,

Vor allen vernehmbar die liebliche Stimme

Der silberfüßigen Peleus-Gattin,

Und sie seufzen und singen:

»O Tor, du Tor, du prahlender Tor!

Du kummergequälter!

Dahingemordet sind all deine Hoffnungen,

Die tändelnden Kinder des Herzens,

Und, ach! dein Herz, Nioben gleich,

Versteinert vor Gram!

In deinem Haupte wird’s Nacht,

Und es zucken hindurch die Blitze des Wahnsinns,

Und du prahlst vor Schmerzen!

O Tor, du Tor, du prahlender Tor!

Halsstarrig bist du wie dein Ahnherr,

Der hohe Titane, der himmlisches Feuer

Den Göttern stahl und den Menschen gab,

Und geiergequälet, felsengefesselt,

Olymp-auf trotzte und trotzte und stöhnte,

Daß wir es hörten im tiefen Meer,

Und zu ihm kamen mit Trostgesang.

O Tor, du Tor, du prahlender Tor!

Du aber bist ohnmächtiger noch,

Und es wäre vernünftig, du ehrtest die Götter,

Und trügest geduldig die Last des Elends,

Und trügest geduldig so lange, so lange,

Bis Atlas selbst die Geduld verliert,

Und die schwere Welt von den Schultern abwirft

In die ewige Nacht.«

So scholl der Gesang der Okeaniden,

Der schönen, mitleidigen Wasserfraun,

Bis lautere Wogen ihn überrauschten –

Hinter die Wolken zog sich der Mond,

Es gähnte die Nacht,

Und ich saß noch lange im Dunkeln und weinte.

6.
Die Götter Griechenlands

Vollblühender Mond! In deinem Licht,

Wie fließendes Gold, erglänzt das Meer;

Wie Tagesklarheit, doch dämmrig verzaubert,

Liegt’s über der weiten Strandesfläche;

Und am hellblaun, sternlosen Himmel

Schweben die weißen Wolken,

Wie kolossale Götterbilder

Von leuchtendem Marmor.

Nein, nimmermehr, das sind keine Wolken!

Das sind sie selber, die Götter von Hellas,

Die einst so freudig die Welt beherrschten,

Doch jetzt, verdrängt und verstorben,

Als ungeheure Gespenster dahinziehn

Am mitternächtlichen Himmel.

Staunend, und seltsam geblendet, betracht ich

Das luftige Pantheon,

Die feierlich stummen, grau’nhaft bewegten

Riesengestalten.

Der dort ist Kronion, der Himmelskönig,

Schneeweiß sind die Locken des Haupts,

Die berühmten, olymposerschütternden Locken.

Er hält in der Hand den erloschenen Blitz,

In seinem Antlitz liegt Unglück und Gram,

Und doch noch immer der alte Stolz.

Das waren bessere Zeiten, o Zeus,

Als du dich himmlisch ergötztest

An Knaben und Nymphen und Hekatomben;

Doch auch die Götter regieren nicht ewig,

Die jungen verdrängen die alten,

Wie du einst selber den greisen Vater

Und deine Titanen-Öhme verdrängt hast,

Jupiter Parricida!

Auch dich erkenn ich, stolze Juno!

Trotz all deiner eifersüchtigen Angst

Hat doch eine andre das Zepter gewonnen.

Und du bist nicht mehr die Himmelskön’gin,

Und dein großes Aug’ ist erstarrt,

Und deine Lilienarme sind kraftlos,

Und nimmermehr trifft deine Rache

Die gottbefruchtete Jungfrau

Und den wundertätigen Gottessohn.

Auch dich erkenn ich, Pallas Athene!

Mit Schild und Weisheit konntest du nicht

Abwehren das Götterverderben?

Auch dich erkenn ich, auch dich, Aphrodite,

Einst die goldene! jetzt die silberne!

Zwar schmückt dich noch immer des Gürtels Liebreiz,

Doch graut mir heimlich vor deiner Schönheit,

Und wollt mich beglücken dein gütiger Leib,

Wie andere Helden, ich stürbe vor Angst –

Als Leichengöttin erscheinst du mir,

Venus Libitina!

Nicht mehr mit Liebe blickt nach dir,

Dort, der schreckliche Ares.

Es schaut so traurig Phöbos Apollo,

Der Jüngling. Es schweigt seine Lei’r,

Die so freudig erklungen beim Göttermahl.

Noch trauriger schaut Hephaistos,

Und wahrlich! der Hinkende! nimmermehr

Fällt er Heben ins Amt,

Und schenkt geschäftig, in der Versammlung,

Den lieblichen Nektar – Und längst ist erloschen

Das unauslöschliche Göttergelächter.

Ich hab euch niemals geliebt, ihr Götter!

Denn widerwärtig sind mir die Griechen,

Und gar die Römer sind mir verhaßt.

Doch heil’ges Erbarmen und schauriges Mitleid

Durchströmt mein Herz,

Wenn ich euch jetzt da droben schaue,

Verlassene Götter,

Tote, nachtwandelnde Schatten,

Nebelschwache, die der Wind verscheucht –

Und wenn ich bedenke, wie feig und windig

Die Götter sind, die euch besiegten,

Die neuen, herrschenden, tristen Götter,

Die schadenfrohen im Schafspelz der Demut –

Oh, da faßt mich ein düsterer Groll,

Und brechen möcht ich die neuen Tempel,

Und kämpfen für euch, ihr alten Götter,

Für euch und eu’r gutes ambrosisches Recht,

Und vor euren hohen Altären,

Den wiedergebauten, den opferdampfenden,

Möcht ich selber knien und beten,

Und flehend die Arme erheben –

Denn immerhin, ihr alten Götter,

Habt ihr’s auch eh’mals, in Kämpfen der Menschen,

Stets mit der Partei der Sieger gehalten,

So ist doch der Mensch großmüt’ger als ihr,

Und in Götterkämpfen halt ich es jetzt

Mit der Partei der besiegten Götter.

*

Also sprach ich, und sichtbar erröteten

Droben die blassen Wolkengestalten,

Und schauten mich an wie Sterbende,

Schmerzenverklärt, und schwanden plötzlich.

Der Mond verbarg sich eben

Hinter Gewölk, das dunkler heranzog;

Hochaufrauschte das Meer,

Und siegreich traten hervor am Himmel

Die ewigen Sterne.

7.
Fragen

Am Meer, am wüsten, nächtlichen Meer

Steht ein Jüngling-Mann,

Die Brust voll Wehmut, das Haupt voll Zweifel,

Und mit düstern Lippen fragt er die Wogen:

»O löst mir das Rätsel des Lebens,

Das qualvoll uralte Rätsel,

Worüber schon manche Häupter gegrübelt,

Häupter in Hieroglyphenmützen,

Häupter in Turban und schwarzem Barett,

Perückenhäupter und tausend andre

Arme, schwitzende Menschenhäupter –

Sagt mir, was bedeutet der Mensch?

Woher ist er kommen? Wo geht er hin?

Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?«

Es murmeln die Wogen ihr ew’ges Gemurmel,

Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken,

Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt,

Und ein Narr wartet auf Antwort.

8.
Der Phönix

Es kommt ein Vogel geflogen aus Westen,

Er fliegt gen Osten,

Nach der östlichen Gartenheimat,

Wo Spezereien duften und wachsen,

Und Palmen rauschen und Brunnen kühlen –

Und fliegend singt der Wundervogel:

»Sie liebt ihn! sie liebt ihn!

Sie trägt sein Bildnis im kleinen Herzen,

Und trägt es süß und heimlich verborgen,

Und weiß es selbst nicht!

Aber im Traume steht er vor ihr,

Sie bittet und weint und küßt seine Hände,

Und ruft seinen Namen,

Und rufend erwacht sie und liegt erschrocken,

Und reibt sich verwundert die schönen Augen –

Sie liebt ihn, sie liebt ihn!«

*

An den Mastbaum gelehnt, auf dem hohen Verdeck,

Stand ich und hört ich des Vogels Gesang.

Wie schwarzgrüne Rosse mit silbernen Mähnen,

Sprangen die weißgekräuselten Wellen;

Wie Schwanenzüge schifften vorüber,

Mit schimmernden Segeln, die Helgolander,

Die kecken Nomaden der Nordsee;

Über mir, in dem ewigen Blau,

Flatterte weißes Gewölk

Und prangte die ewige Sonne,

Die Rose des Himmels, die feuerblühende,

Die freudvoll im Meer sich bespiegelte; –

Und Himmel und Meer und mein eigenes Herz

Ertönten im Nachhall:

»Sie liebt ihn! sie liebt ihn!«

9.
Im Hafen

Glücklich der Mann, der den Hafen erreicht hat,

Und hinter sich ließ das Meer und die Stürme,

Und jetzo warm und ruhig sitzt

Im guten Ratskeller zu Bremen.

Wie doch die Welt so traulich und lieblich

Im Römerglas sich widerspiegelt,

Und wie der wogende Mikrokosmus

Sonnig hinabfließt ins durstige Herz!

Alles erblick ich im Glas,

Alte und neue Völkergeschichte,

Türken und Griechen, Hegel und Gans,

Zitronenwälder und Wachtparaden,

Berlin und Schilda und Tunis und Hamburg,

Vor allem aber das Bild der Geliebten,

Das Engelköpfchen auf Rheinweingoldgrund.

Oh, wie schön! wie schön bist du, Geliebte!

Du bist wie eine Rose!

Nicht wie die Rose von Schiras,

Die hafisbesungene Nachtigallbraut;

Nicht wie die Rose von Saron,

Die heiligrote, prophetengefeierte; –

Du bist wie die Ros’ im Ratskeller zu Bremen!

Das ist die Rose der Rosen,

Je älter sie wird, je lieblicher blüht sie,

Und ihr himmlischer Duft, er hat mich beseligt,

Er hat mich begeistert, er hat mich berauscht,

Und hielt mich nicht fest, am Schopfe fest,

Der Ratskellermeister von Bremen,

Ich wäre gepurzelt!

Der brave Mann! wir saßen beisammen

Und tranken wie Brüder,

Wir sprachen von hohen, heimlichen Dingen,

Wir seufzten und sanken uns in die Arme,

Und er hat mich bekehrt zum Glauben der Liebe –

Ich trank auf das Wohl meiner bittersten Feinde,

Und allen schlechten Poeten vergab ich,

Wie einst mir selber vergeben soll werden –

Ich weinte vor Andacht, und endlich

Erschlossen sich mir die Pforten des Heils,

Wo die zwölf Apostel, die heil’gen Stückfässer,

Schweigend pred’gen, und doch so verständlich

Für alle Völker.

Das sind Männer!

Unscheinbar von außen, in hölzernen Röcklein,

Sind sie von innen schöner und leuchtender

Denn all die stolzen Leviten des Tempels

Und des Herodes Trabanten und Höflinge,

Die goldgeschmückten, die purpurgekleideten –

Hab ich doch immer gesagt,

Nicht unter ganz gemeinen Leuten,

Nein, in der allerbesten Gesellschaft

Lebte beständig der König des Himmels!

Halleluja! Wie lieblich umwehen mich

Die Palmen von Beth-El!

Wie duften die Myrrhen von Hebron!

Wie rauscht der Jordan und taumelt vor Freude! –

Auch meine unsterbliche Seele taumelt,

Und ich taumle mit ihr, und taumelnd

Bringt mich die Treppe hinauf, ans Tagslicht,

Der brave Ratskellermeister von Bremen.

Du braver Ratskellermeister von Bremen!

Siehst du, auf den Dächern der Häuser sitzen

Die Engel und sind betrunken und singen;

Die glühende Sonne dort oben

Ist nur eine rote, betrunkene Nase,

Die Nase des Weltgeists;

Und um die rote Weltgeistnase

Dreht sich die ganze betrunkene Welt.

10.
Epilog

Wie auf dem Felde die Weizenhalmen,

So wachsen und wogen im Menschengeist

Die Gedanken.

Aber die zarten Gedanken der Liebe

Sind wie lustig dazwischenblühende,

Rot’ und blaue Blumen.

Rot’ und blaue Blumen!

Der mürrische Schnitter verwirft euch als nutzlos,

Hölzerne Flegel zerdreschen euch höhnend,

Sogar der hablose Wanderer,

Den eu’r Anblick ergötzt und erquickt,

Schüttelt das Haupt,

Und nennt euch schönes Unkraut.

Aber die ländliche Jungfrau,

Die Kränzewinderin,

Verehrt euch und pflückt euch,

Und schmückt mit euch die schönen Locken,

Und also geziert, eilt sie zum Tanzplatz,

Wo Pfeifen und Geigen lieblich ertönen,

Oder zur stillen Buche,

Wo die Stimme des Liebsten noch lieblicher tönt

Als Pfeifen und Geigen.

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