Einleitung zum »Don Quixote«

»Leben und Taten des scharfsinnigen Junkers Don Quixote von der Mancha, beschrieben von Miguel Cervantes de Saavedra, war das erste Buch, das ich gelesen habe, nachdem ich schon in ein verständiges Kindesalter getreten und des Buchstabenwesens einigermaßen kundig war. Ich erinnere mich noch ganz genau jener kleinen Zeit, wo ich mich eines frühen Morgens von Hause wegstahl und nach dem Hofgarten eilte, um dort ungestört den ›Don Quixote‹ zu lesen. Es war ein schöner Maitag, lauschend im stillen Morgenlichte lag der blühende Frühling und ließ sich loben von der Nachtigall, seiner süßen Schmeichlerin, und diese sang ihr Loblied so karessierend weich, so schmelzend enthusiastisch, daß die verschämtesten Knospen aufsprangen und die lüsternen Gräser und die duftigen Sonnenstrahlen sich hastiger küßten und Bäume und Blumen schauerten vor eitel Entzücken. Ich aber setzte mich auf eine alte moosige Steinbank in der sogenannten Seufzerallee, unfern des Wasserfalls, und ergötzte mein kleines Herz an den großen Abenteuern des kühnen Ritters. In meiner kindischen Ehrlichkeit nahm ich alles für baren Ernst; so lächerlich auch dem armen Helden von dem Geschicke mitgespielt wurde, so meinte ich doch, das müsse so sein, das gehöre nun mal zum Heldentum, das Ausgelachtwerden ebensogut wie die Wunden des Leibes, und jenes verdroß mich ebensosehr, wie ich diese in meiner Seele mitfühlte. – Ich war ein Kind und kannte nicht die Ironie, die Gott in die Welt hineingeschaffen und die der große Dichter in seiner gedruckten Kleinwelt nachgeahmt hatte, und ich konnte die bittersten Tränen vergießen, wenn der edle Ritter für all seinen Edelmut nur Undank und Prügel genoß. Da ich, noch ungeübt im Lesen, jedes Wort laut aussprach, so konnten Vögel und Bäume, Bach und Blume alles mit anhören, und da solche unschuldige Naturwesen, ebenso wie die Kinder, von der Weltironie nichts wissen, so hielten sie gleichfalls alles für baren Ernst und weinten mit mir über die Leiden des armen Ritters; sogar eine alte ausgediente Eiche schluchzte, und der Wasserfall schüttelte heftiger seinen weißen Bart und schien zu schelten auf die Schlechtigkeit der Welt. Wir fühlten, daß der Heldensinn des Ritters darum nicht mindere Bewunderung verdient, wenn ihm der Löwe ohne Kampflust den Rücken kehrte, und daß seine Taten um so preisenswerter, je schwächer und ausgedörrter sein Leib, je morscher die Rüstung, die ihn schützte, und je armseliger der Klepper, der ihn trug. Wir verachteten den niedrigen Pöbel, der, geschmückt mit buntseidenen Mänteln, vornehmen Redensarten und Herzogstiteln, einen Mann verhöhnte, der ihm an Geisteskraft und Edelsinn so weit überlegen war. Dulcineas Ritter stieg immer höher in meiner Achtung und gewann immer mehr meine Liebe, je länger ich in dem wundersamen Buche las, was in demselben Garten täglich geschah, so daß ich schon im Herbste das Ende der Geschichte erreichte – und nie werde ich den Tag vergessen, wo ich von dem kummervollen Zweikampfe las, worin der Ritter so schmählich unterliegen mußte!

Es war ein trüber Tag, häßliche Nebelwolken zogen den grauen Himmel entlang, die gelben Blätter fielen schmerzlich von den Bäumen, schwere Tränentropfen hingen an den letzten Blumen, die gar traurig welk die sterbenden Köpfchen senkten, die Nachtigallen waren längst verschollen, von allen Seiten starrte mich an das Bild der Vergänglichkeit – und mein Herz wollte schier brechen, als ich las, wie der edle Ritter betäubt und zermalmt am Boden lag und, ohne das Visier zu heben, als wenn er aus dem Grabe gesprochen hätte, mit schwacher, kranker Stimme zu dem Sieger hinaufrief: ›Dulcinea ist das schönste Weib der Welt und ich der unglücklichste Ritter auf Erden, aber es ziemt sich nicht, daß meine Schwäche diese Wahrheit verleugne – stoßt zu mit der Lanze, Ritter!‹

Ach, dieser leuchtende Ritter vom silbernen Monde, der den mutigsten und edelsten Mann der Welt besiegte, war ein verkappter Barbier!«

Es sind nun acht Jahre, daß ich, für den vierten Teil der »Reisebilder«, diese Zeilen geschrieben, worin ich den Eindruck schilderte, den die Lektüre des »Don Quixote« vor weit längerer Zeit in meinem Geiste hervorbrachte. Lieber Himmel, wie doch die Jahre schnell dahinschwinden! Es ist mir, als habe ich erst gestern in der Seufzerallee des Düsseldorfer Hofgartens das Buch zu Ende gelesen und mein Herz sei noch erschüttert von Bewunderung für die Taten und Leiden des großen Ritters. Ist mein Herz die ganze Zeit über stabil geblieben, oder ist es, nach einem wunderbaren Kreislauf, zu den Gefühlen der Kindheit zurückgekehrt? Das letztere mag wohl der Fall sein: denn ich erinnere mich, daß ich in jedem Lustrum meines Lebens den »Don Quixote« mit abwechselnd verschiedenartigen Empfindungen gelesen habe. Als ich ins Jünglingsalter emporblühete und mit unerfahrenen Händen in die Rosenbüsche des Lebens hineingriff und auf die höchsten Felsen klomm, um der Sonne näher zu sein, und des Nachts von nichts träumte als von Adlern und reinen Jungfrauen, da war mir der »Don Quixote« ein sehr unerquickliches Buch, und lag es in meinem Wege, so schob ich es unwillig zur Seite. Späterhin, als ich zum Manne heranreifte, versöhnte ich mich schon einigermaßen mit Dulcineas unglücklichem Kämpen, und ich fing schon an, über ihn zu lachen. »Der Kerl ist ein Narr«, sagte ich. Doch, sonderbarerweise, auf allen meinen Lebensfahrten verfolgten mich die Schattenbilder des dürren Ritters und seines fetten Knappen, namentlich wenn ich an einen bedenklichen Scheideweg gelangte. So erinnere ich mich, als ich nach Frankreich reiste und eines Morgens im Wagen aus einem fieberhaften Halbschlummer erwachte, sah ich im Frühnebel zwei wohlbekannte Gestalten neben mir einherreiten, und die eine, an meiner rechten Seite, war Don Quixote von der Mancha auf seiner abstrakten Rosinante, und die andere, zu meiner Linken, war Sancho Pansa auf seinem positiven Grauchen. Wir hatten eben die französische Grenze erreicht. Der edle Manchaner beugte ehrfurchtsvoll das Haupt vor der dreifarbigen Fahne, die uns vom hohen Grenzpfahl entgegenflatterte, der gute Sancho grüßte mit etwas kühlerem Kopfnicken die ersten französischen Gendarmen, die unfern zum Vorschein kamen; endlich aber jagten beide Freunde mir voran, ich verlor sie aus dem Gesichte, und nur noch zuweilen hörte ich Rosinantes begeistertes Gewieher und die bejahenden Töne des Esels.

Ich war damals der Meinung, die Lächerlichkeit des Donquixotismus bestehe darin, daß der edle Ritter eine längst abgelebte Vergangenheit ins Leben zurückrufen wollte und seine armen Glieder, namentlich sein Rücken, mit den Tatsachen der Gegenwart in schmerzliche Reibungen gerieten. Ach, ich habe seitdem erfahren, daß es eine ebenso undankbare Tollheit ist, wenn man die Zukunft allzu frühzeitig in die Gegenwart einführen will und bei solchem Ankampf gegen die schweren Interessen des Tages nur einen sehr mageren Klepper, eine sehr morsche Rüstung und einen ebenso gebrechlichen Körper besitzt! Wie über jenen, so auch über diesen Donquixotismus schüttelt der Weise sein vernünftiges Haupt. – Aber Dulcinea von Toboso ist dennoch das schönste Weib der Welt; obgleich ich elend zu Boden liege, nehme ich dennoch diese Behauptung nimmermehr zurück, ich kann nicht anders – stoßt zu mit euren Lanzen, ihr silberne Mondritter, ihr verkappte Barbiergesellen!

Welcher Grundgedanke leitete den großen Cervantes, als er sein großes Buch schrieb? Beabsichtigte er nur den Ruin der Ritterromane, deren Lektüre zu seiner Zeit in Spanien so stark grassierte, daß geistliche und weltliche Verordnungen dagegen unmächtig waren? Oder wollte er alle Erscheinungen der menschlichen Begeisterung überhaupt und zunächst das Heldentum der Schwertführer ins Lächerliche ziehen? Offenbar bezweckte er nur eine Satire gegen die erwähnten Romane, die er, durch Beleuchtung ihrer Absurditäten, dem allgemeinen Gespötte und also dem Untergange überliefern wollte. Dieses gelang ihm auch aufs glänzendste: denn was weder die Ermahnungen der Kanzel noch die Drohungen der Kanzelei bewerkstelligen konnten, das erwirkte ein armer Schriftsteller mit seiner Feder: er richtete die Ritterromane so gründlich zugrunde, daß bald nach dem Erscheinen des »Don Quixote« der Geschmack für jene Bücher in ganz Spanien erlosch und auch keins derselben mehr gedruckt ward. Aber die Feder des Genius ist immer größer als er selber, sie reicht immer weit hinaus über seine zeitlichen Absichten, und ohne daß er sich dessen klar bewußt wurde, schrieb Cervantes die größte Satire gegen die menschliche Begeisterung. Nimmermehr ahnte er dieses, er selber, der Held, welcher den größten Teil seines Lebens in ritterlichen Kämpfen zugebracht hatte und im späten Alter sich noch oft darüber freute, daß er in der Schlacht bei Lepanto mitgefochten, obgleich er diesen Ruhm mit dem Verluste seiner linken Hand bezahlt hatte.

Über Person und Lebensverhältnisse des Dichters, der den »Don Quixote« geschrieben, weiß der Biograph nur weniges zu melden. Wir verlieren nicht viel durch solchen Mangel an Notizen, die gewöhnlich bei den Frau Basen der Nachbarschaft aufgegabelt werden. Diese sehen ja nur die Hülle; wir aber sehen den Mann selbst, seine wahre, treue, unverleumdete Gestalt.

Er war ein schöner, kräftiger Mann, Don Miguel Cervantes de Saavedra. Seine Stirn war hoch, und sein Herz war weit. Wundersam war die Zauberkraft seines Auges. Wie es Leute gibt, welche durch die Erde schauen und die darin begrabenen Schätze oder Leichen sehen können, so drang das Auge des großen Dichters durch die Brust der Menschen, und er sah deutlich, was dort vergraben. Den Guten war sein Blick ein Sonnenstrahl, der ihr Inneres freudig erhellte; den Bösen war sein Blick ein Schwert, das ihre Gefühle grausam zerschnitt. Sein Blick drang forschend in die Seele eines Menschen und sprach mit ihr, und wenn sie nicht antworten wollte, folterte er sie, und die Seele lag blutend auf der Folter, während vielleicht ihre leibliche Hülle sich herablassend vornehm gebärdete. Was Wunder, daß ihm dadurch sehr viele Leute abhold wurden und ihn auf seiner irdischen Laufbahn nur saumselig beförderten! Auch gelangte er niemals zu Rang und Wohlstand, und von all seinen mühseligen Pilgerfahrten brachte er keine Perlen, sondern nur leere Muscheln nach Hause. Man sagt, er habe den Wert des Geldes nicht zu schätzen gewußt; aber ich versichere euch, er wußte den Wert des Geldes sehr zu schätzen, sobald er keins mehr hatte. Nie aber schätzte er es so hoch wie seine Ehre. Er hatte Schulden, und in einer von ihm verfaßten Charte, die Apollo den Dichtern oktroyiert, bestimmt der erste Paragraph: wenn ein Dichter versichert, kein Geld zu haben, so solle man ihm aufs Wort glauben und keinen Eid von ihm verlangen. Er liebte Musik, Blumen und Weiber. Doch auch in der Liebe für letztere ging es ihm manchmal herzlich schlecht, namentlich als er noch jung war. Konnte das Bewußtsein künftiger Größe ihn genugsam trösten in seiner Jugend, wenn schnippische Rosen ihn mit ihren Dornen verletzten? – Einst an einem hellen Sommernachmittag ging er, ein junger Fant, am Tajo spazieren mit einer sechzehnjährigen Schönen, die sich beständig über seine Zärtlichkeit mokierte. Die Sonne war noch nicht untergegangen, sie glühte noch in ihrer goldigsten Pracht; aber oben am Himmel stand schon der Mond, winzig und blaß, wie ein weißes Wölkchen. »Siehst du«, sprach der junge Dichter zu seiner Geliebten, »siehst du dort oben jene kleine bleiche Scheibe? Der Fluß hier neben uns, worin sie sich abspiegelt, scheint nur aus Mitleiden ihr ärmliches Abbild auf seinen stolzen Fluten zu tragen, und die gekräuselten Wellen werfen es zuweilen spottend ans Ufer. Aber laß nur den alten Tag verdämmern! Sobald die Dunkelheit anbricht, erglüht droben jene blasse Scheibe immer herrlicher und herrlicher, der ganze Fluß wird überstrahlt von ihrem Lichte, und die Wellen, die vorhin so wegwerfend übermütig, erschauern jetzt bei dem Anblick dieses glänzenden Gestirns und schwellen ihm entgegen mit Wollust.«

In den Werken der Dichter muß man ihre Geschichte suchen, und hier findet man ihre geheimsten Bekenntnisse. Überall, mehr noch in seinen Dramen als im »Don Quixote«, sehen wir, was ich bereits erwähnt habe, daß Cervantes lange Zeit Soldat war. In der Tat, das römische Wort: »Leben heißt Krieg führen!« findet auf ihn seine doppelte Anwendung. Als gemeiner Soldat kämpfte er in den meisten jener wilden Waffenspiele, die König Philipp II. zur Ehre Gottes und seiner eigenen Lust in allen Landen aufführte. Dieser Umstand, daß Cervantes dem größten Kämpen des Katholizismus seine ganze Jugend gewidmet, daß er für die katholischen Interessen persönlich gekämpft, läßt vermuten, daß diese Interessen ihm auch teuer am Herzen lagen, und widerlegt wird dadurch jene vielverbreitete Meinung, daß nur die Furcht vor der Inquisition ihn abgehalten habe, die protestantischen Zeitgedanken im »Don Quixote« zu besprechen. Nein, Cervantes war ein getreuer Sohn der römischen Kirche, und nicht bloß blutete sein Leib im ritterlichen Kampfe für ihre gebenedeite Fahne, sondern er litt für sie auch mit seiner ganzen Seele das peinlichste Märtyrtum während seiner langjährigen Gefangenschaft unter den Ungläubigen.

Dem Zufall verdanken wir mehr Details über das Treiben des Cervantes zu Algier, und hier erkennen wir in dem großen Dichter einen ebenso großen Helden. Die Gefangenschaftsgeschichte widerspricht aufs glänzendste der melodischen Lüge jenes glatten Lebemannes, der dem Augustus und allen deutschen Schulfüchsen weisgemacht hat, er sei ein Dichter, und Dichter seien feige. Nein, der wahre Dichter ist auch ein wahrer Held, und in seiner Brust wohnt die Geduld, die, wie der Spanier sagt, ein zweiter Mut ist. Es gibt kein erhabeneres Schauspiel als den Anblick jenes edeln Kastilianers, der dem Dei zu Algier als Sklave dient, beständig auf Befreiung sinnt, seine kühnen Plane unermüdlich vorbereitet, allen Gefahren ruhig entgegenblickt und, wenn das Unternehmen scheitert, lieber Tod und Folter ertrüge, als daß er nur mit einer Silbe die Mitschuldigen verriete. Der blutgierige Herr seines Leibes wird entwaffnet von soviel Großmut und Tugend, der Tiger schont den gefesselten Löwen und zittert vor dem schrecklichen Einarm, den er doch mit einem Wort in den Tod schicken könnte. Unter dem Namen »der Einarm« ist Cervantes in ganz Algier bekannt, und der Dei gesteht, daß er ruhig schlafen könne und der Ruhe seiner Stadt, seiner Armee und seiner Sklaven versichert sei, wenn er nur den einhändigen Spanier in festem Gewahrsam wisse.

Ich habe erwähnt, daß Cervantes beständig gemeiner Soldat war; aber da er sogar in so untergeordneter Stellung sich auszeichnen und namentlich seinem großen Feldherrn, Don Juan d’Austria, bemerkbar machen konnte, so erhielt er, als er aus Italien nach Spanien zurückkehren wollte, die rühmlichsten Zeugnisbriefe für den König, dem seine Beförderung darin nachdrücklich empfohlen ward. Als nun die algierischen Korsaren, die ihn auf dem Mittelländischen Meere gefangennahmen, diese Briefe sahen, hielten sie ihn für eine Person von äußerst bedeutendem Stande und forderten deshalb ein so erhöhetes Lösegeld, daß seine Familie, trotz aller Mühen und Opfer, ihn nicht loszukaufen vermochte und der arme Dichter dadurch desto länger und qualsamer in der Gefangenschaft gehalten wurde. So ward sogar die Anerkennung seiner Vortrefflichkeit für ihn nur eine neue Quelle des Unglücks, und so, bis ans Ende seiner Tage, spottete seiner jenes grausame Weib, die Göttin Fortuna, die es dem Genius nie verzeiht, daß er auch ohne ihre Gönnerschaft zu Ruhm und Ehre gelangen kann.

Aber ist das Unglück des Genius immer nur das Werk eines blinden Zufalls, oder entspringt es als Notwendigkeit aus seiner innern Natur und der Natur seiner Umgebung? Tritt seine Seele in Kampf mit der Wirklichkeit, oder beginnt die rohe Wirklichkeit einen ungleichen Kampf mit seiner edeln Seele?

Die Gesellschaft ist eine Republik. Wenn der einzelne emporstrebt, drängt ihn die Gesamtheit zurück durch Ridiküle und Verlästerung. Keiner soll tugendhafter und geistreicher sein als die übrigen. Wer aber durch die unbeugsame Gewalt des Genius hinausragt über das banale Gemeindemaß, diesen trifft der Ostrazismus der Gesellschaft, sie verfolgt ihn mit so gnadenloser Verspottung und Verleumdung, daß er sich endlich zurückziehen muß in die Einsamkeit seiner Gedanken.

Ja, die Gesellschaft ist ihrem Wesen nach republikanisch. Jede Fürstlichkeit ist ihr verhaßt, die geistige ebensosehr wie die materielle. Letztere stützt nicht selten auch die erstere mehr, als man gewöhnlich ahnt. Gelangten wir doch selber zu dieser Einsicht bald nach der Juliusrevolution, als der Geist des Republikanismus in allen gesellschaftlichen Verhältnissen sich kundgab. Der Lorbeer eines großen Dichters war unsern Republikanern ebenso verhaßt wie der Purpur eines großen Königs. Auch die geistigen Unterschiede der Menschen wollten sie vertilgen, und indem sie alle Gedanken, die auf dem Territorium des Staates entsprossen, als bürgerliches Gemeingut betrachteten, blieb ihnen nichts mehr übrig, als auch die Gleichheit des Stils zu dekretieren. Und in der Tat, ein guter Stil wurde als etwas Aristokratisches verschrien, und vielfach hörten wir die Behauptung: »Der echte Demokrat schreibt, wie das Volk, herzlich schlicht und schlecht.« Den meisten Männern der Bewegung gelang dieses sehr leicht; aber nicht jedem ist es gegeben, schlecht zu schreiben, zumal wenn man sich zuvor das Schönschreiben angewöhnt hatte, und da hieß es gleich: »Das ist ein Aristokrat, ein Liebhaber der Form, ein Freund der Kunst, ein Feind des Volks.« Sie meinten es gewiß ehrlich wie der heilige Hieronymus, der seinen guten Stil für eine Sünde hielt und sich weidlich dafür geißelte.

Ebensowenig wie antikatholische finden wir auch antiabsolutistische Klänge im »Don Quixote«. Kritiker, welche dergleichen darin wittern, sind offenbar im Irrtum. Cervantes war der Sohn einer Schule, welche den unbedingten Gehorsam für den Oberherrn sogar poetisch idealisiert hatte. Und dieser Oberherr war König von Spanien zu einer Zeit, wo die Majestät desselben die ganze Welt überstrahlte. Der gemeine Soldat fühlte sich im Lichtstrahl jener Majestät und opferte gern seine individuelle Freiheit für solche Befriedigung des kastilianischen Nationalstolzes.

Die politische Größe Spaniens zu jener Zeit mochte nicht wenig das Gemüt seiner Schriftsteller erhöhen und erweitern. Auch im Geiste eines spanischen Dichters ging die Sonne nicht unter, wie im Reiche Karls V. Die wilden Kämpfe mit den Morisken waren beendigt, und wie nach einem Gewitter die Blumen am stärksten duften, so erblüht die Poesie immer am herrlichsten nach einem Bürgerkrieg. Dieselbe Erscheinung sehen wir in England zur Zeit der Elisabeth, und gleichzeitig mit Spanien entsprang dort eine Dichterschule, die zu merkwürdigen Vergleichungen auffordert. Dort sehen wir Shakespeare, hier Cervantes als die Blüte der Schule.

Wie die spanischen Dichter unter den drei Philippen, so haben auch die englischen unter der Elisabeth eine gewisse Familienähnlichkeit, und weder Shakespeare noch Cervantes können auf Originalität in unserem Sinne Anspruch machen. Sie unterscheiden sich von ihren Zeitgenossen keineswegs durch besonderes Fühlen und Denken oder besondere Darstellungsart, sondern nur durch bedeutendere Tiefe, Innigkeit, Zärte und Kraft; ihre Dichtungen sind mehr durchdrungen und umflossen vom Äther der Poesie.

Aber beide Dichter sind nicht bloß die Blüte ihrer Zeit, sondern sie waren auch die Wurzel der Zukunft. Wie Shakespeare durch den Einfluß seiner Werke, namentlich auf Deutschland und das heutige Frankreich, als der Stifter der späteren dramatischen Kunst zu betrachten ist, so müssen wir im Cervantes den Stifter des modernen Romans verehren. Hierüber erlaube ich mir einige flüchtige Bemerkungen.

Der ältere Roman, der sogenannte Ritterroman, entsprang aus der Poesie des Mittelalters; er war zuerst eine prosaische Bearbeitung jener epischen Gedichte, deren Helden zum Sagenkreise Karls des Großen und des heiligen Grals gehörten; immer bestand der Stoff aus ritterlichen Abenteuern. Es war der Roman des Adels, und die Personen, die darin agierten, waren entweder fabelhafte Phantasiegebilde oder Reiter mit goldenen Sporen; nirgends eine Spur von Volk. Diese Ritterromane, die in der absurdesten Weise ausarteten, stürzte Cervantes durch seinen »Don Quixote«. Aber indem er eine Satire schrieb, die den älteren Roman zugrunde richtete, lieferte er selber wieder das Vorbild zu einer neuen Dichtungsart, die wir den modernen Roman nennen. So pflegen immer große Poeten zu verfahren: sie begründen zugleich etwas Neues, indem sie das Alte zerstören; sie negieren nie, ohne etwas zu bejahen. Cervantes stiftete den modernen Roman, indem er in den Ritterroman die getreue Schilderung der niederen Klassen einführte, indem er ihm das Volksleben beimischte. Die Neigung, das Treiben des gemeinsten Pöbels, des verworfensten Lumpenpacks zu beschreiben, gehört nicht bloß dem Cervantes, sondern der ganzen literarischen Zeitgenossenschaft, und sie findet sich wie bei den Poeten so auch bei den Malern des damaligen Spanien; ein Murillo, der dem Himmel die heiligsten Farben stahl, womit er seine schönen Madonnen malte, konterfeite mit derselben Liebe auch die schmutzigsten Erscheinungen dieser Erde. Es war vielleicht die Begeisterung für die Kunst selber, wenn diese edeln Spanier manchmal an der treuen Abbildung eines Betteljungen, der sich laust, dasselbe Vergnügen empfanden wie an der Darstellung der hochgebenedeiten Jungfrau. Oder es war der Reiz des Kontrastes, welcher eben die vornehmsten Edelleute, einen geschniegelten Hofmann wie Quevedo oder einen mächtigen Minister wie Mendoza, antrieb, ihre zerlumpten Bettler- und Gaunerromane zu schreiben; sie wollten sich vielleicht aus der Eintönigkeit ihrer Standesumgebung durch die Phantasie in eine entgegengesetzte Lebenssphäre versetzen, wie wir dasselbe Bedürfnis bei manchen deutschen Schriftstellern finden, die ihre Romane nur mit Schilderungen der vornehmen Welt füllen und ihre Helden immer zu Grafen und Baronen machen. Bei Cervantes finden wir noch nicht diese einseitige Richtung, das Unedle ganz abgesondert darzustellen; er vermischt nur das Ideale mit dem Gemeinen, das eine dient dem andern zur Abschattung oder zur Beleuchtung, und das adeltümliche Element ist darin noch ebenso mächtig wie das volkstümliche. Dieses adeltümliche, chevalereske, aristokratische Element verschwindet aber ganz in dem Roman der Engländer, die den Cervantes zuerst nachgeahmt und ihn bis auf den heutigen Tag immer als Vorbild vor Augen haben. Es sind prosaische Naturen, diese englischen Romandichter seit Richardsons Regierung, der prüde Geist ihrer Zeit widerstrebt sogar aller kernigen Schilderung des gemeinen Volkslebens, und wir sehen jenseit des Kanals jene bürgerlichen Romane entstehen, worin das nüchterne Kleinleben der Bourgeoisie sich abspiegelt. Diese klägliche Lektüre überwässerte das englische Publikum bis auf die letzte Zeit, wo der große Schotte auftrat, der im Roman eine Revolution oder eigentlich eine Restauration bewirkte. Wie nämlich Cervantes das demokratische Element in den Roman hineinbrachte, als darin nur das einseitig rittertümliche herrschend war, so brachte Walter Scott in den Roman wieder das aristokratische Element zurück, als dieses gänzlich darin erloschen war und nur prosaische Spießbürgerlichkeit dort ihr Wesen trieb. Durch ein entgegengesetztes Verfahren hat Walter Scott dem Roman jenes schöne Ebenmaß wiedergegeben, welches wir im »Don Quixote« des Cervantes bewundern.

Ich glaube, in dieser Beziehung ist das Verdienst des zweiten großen Dichters Englands noch nie anerkannt worden. Seine toryschen Neigungen, seine Vorliebe für die Vergangenheit waren heilsam für die Literatur, für jene Meisterwerke seines Genius, die überall sowohl Anklang als Nachahmung fanden und die aschgrauen Schemen des bürgerlichen Romans in die dunkleren Winkel der Leihbibliotheken verdrängten. Es ist ein Irrtum, wenn man Walter Scott nicht als den wahren Begründer des sogenannten historischen Romans ansehen will und letztern von deutschen Anregungen herleitet. Man verkennt, daß das Charakteristische der historischen Romane eben in der Harmonie des aristokratischen und demokratischen Elements besteht; daß Walter Scott diese Harmonie, welche während der Alleinherrschaft des demokratischen Elements gestört war, durch die Wiedereinsetzung des aristokratischen Elements aufs schönste herstellte, statt daß unsere deutschen Romantiker das demokratische Element in ihren Romanen gänzlich verleugneten und wieder in das aberwitzige Gleise des Ritterromans, der vor Cervantes blühte, zurückkehrten. Unser de la Motte Fouqué ist nichts als ein Nachzügler jener Dichter, die den »Amadis von Gallien« und ähnliche Abenteuerlichkeiten zur Welt gebracht, und ich bewundere nicht bloß das Talent, sondern auch den Mut, womit der edle Freiherr zweihundert Jahre nach dem Erscheinen des »Don Quixote« seine Ritterbücher geschrieben hat. Es war eine sonderbare Periode in Deutschland, als letztere erschienen und das Publikum daran Gefallen fand. Was bedeutete in der Literatur diese Vorliebe für das Rittertum und die Bilder der alten Feudalzeit? Ich glaube, das deutsche Volk wollte auf immer Abschied nehmen von dem Mittelalter; aber gerührt, wie wir es leicht sind, nahmen wir Abschied mit einem Kusse. Wir drückten zum letzten Male unsere Lippen auf die alten Leichensteine. Mancher von uns freilich gebärdete sich dabei höchst närrisch. Ludwig Tieck, der kleine Junge der Schule, grub die toten Voreltern aus dem Grabe heraus, schaukelte ihren Sarg, als wär es eine Wiege, und mit aberwitzig kindischem Lallen sang er dabei: »Schlaf, Großväterchen, schlafe!«

Ich habe Walter Scott den zweiten großen Dichter Englands und seine Romane Meisterwerke genannt. Aber nur seinem Genius wollte ich das höchste Lob erteilen. Seine Romane selbst kann ich dem großen Roman des Cervantes keineswegs gleichstellen. Dieser übertrifft ihn an epischem Geist. Cervantes war, wie ich schon erwähnt habe, ein katholischer Dichter, und dieser Eigenschaft verdankt er vielleicht jene große epische Seelenruhe, die, wie ein Kristallhimmel, seine bunten Dichtungen überwölbt: nirgends eine Spalte des Zweifels. Dazu kömmt noch die Ruhe des spanischen Nationalcharakters. Walter Scott aber gehört einer Kirche, welche selbst die göttlichen Dinge einer scharfen Diskussion unterwirft; als Advokat und Schotte ist er gewöhnt an Handlung und Diskussion, und wie in seinem Geiste und Leben, so ist auch in seinen Romanen das Dramatische vorherrschend. Seine Werke können daher nimmermehr als reine Muster jener Dichtungsart, die wir Roman nennen, betrachtet werden. Den Spaniern gebührt der Ruhm, den besten Roman hervorgebracht zu haben, wie man den Engländern den Ruhm zusprechen muß, daß sie im Drama das Höchste geleistet.

Und den Deutschen, welche Palme bleibt ihnen übrig? Nun, wir sind die besten Liederdichter dieser Erde. Kein Volk besitzt so schöne Lieder wie die Deutschen. Jetzt haben die Völker allzu viele politische Geschäfte; wenn aber diese einmal abgetan sind, wollen wir Deutsche, Briten, Spanier, Franzosen, Italiener, wir wollen alle hinausgehen in den grünen Wald und singen, und die Nachtigall soll Schiedsrichterin sein. Ich bin überzeugt, bei diesem Wettgesange wird das Lied von Wolfgang Goethe den Preis gewinnen.

Cervantes, Shakespeare und Goethe bilden das Dichtertriumvirat, das in den drei Gattungen poetischer Darstellung, im Epischen, Dramatischen und Lyrischen, das Höchste hervorgebracht. Vielleicht ist der Schreiber dieser Blätter besonders befugt, unsern großen Landsmann als den vollendetsten Liederdichter zu preisen. Goethe steht in der Mitte zwischen den beiden Ausartungen des Liedes, jenen zwei Schulen, wovon die eine leider mit meinem eigenen Namen, die andere mit dem Namen Schwabens bezeichnet wird. Beide freilich haben ihre Verdienste: sie förderten indirekterweise das Gedeihen der deutschen Poesie. Die erstere bewirkte eine heilsame Reaktion gegen den einseitigen Idealismus im deutschen Liede, sie führte den Geist zurück zur starken Realität und entwurzelte jenen sentimentalen Petrarchismus, der uns immer als eine lyrische Donquichotterie erschienen ist. Die schwäbische Schule wirkte ebenfalls indirekt zum Heile der deutschen Poesie. Wenn in Norddeutschland kräftig gesunde Dichtungen zum Vorschein kommen konnten, so verdankt man dieses vielleicht der schwäbischen Schule, die alle kränkliche, bleichsüchtige, fromm gemütliche Feuchtigkeiten der deutschen Muse an sich zog. Stuttgart war gleichsam die Fontanelle der deutschen Muse.

Indem ich die höchsten Leistungen im Drama, im Roman und im Liede dem erwähnten großen Triumvirate zuschreibe, bin ich weit davon entfernt, an dem poetischen Werte anderer großen Dichter zu mäkeln. Nichts ist törichter als die Frage, welcher Dichter größer sei als der andere. Flamme ist Flamme, und ihr Gewicht läßt sich nicht bestimmen nach Pfund und Unze. Nur platter Krämersinn kommt mit seiner schäbigen Käsewaage und will den Genius wiegen. Nicht bloß die Alten, sondern auch manche Neuere haben Dichtungen geliefert, worin die Flamme der Poesie ebenso prachtvoll lodert wie in den Meisterwerken von Shakespeare, Cervantes und Goethe. Jedoch diese Namen halten zusammen wie durch ein geheimes Band. Es strahlt ein verwandter Geist aus ihren Schöpfungen; es weht darin eine ewige Milde, wie der Atem Gottes; es blüht darin die Bescheidenheit der Natur. Wie an Shakespeare erinnert Goethe auch beständig an Cervantes, und diesem ähnelt er bis in die Einzelnheiten des Stils, in jener behaglichen Prosa, die von der süßesten und harmlosesten Ironie gefärbt ist. Cervantes und Goethe gleichen sich sogar in ihren Untugenden: in der Weitschweifigkeit der Rede, in jenen langen Perioden, die wir zuweilen bei ihnen finden und die einem Aufzug königlicher Equipagen vergleichbar. Nicht selten sitzt nur ein einziger Gedanke in so einer breitausgedehnten Periode, die wie eine große vergoldete Hofkutsche mit sechs panaschierten Pferden gravitätisch dahinfährt. Aber dieser einzige Gedanke ist immer etwas Hohes, wo nicht gar der Souverän.

Über den Geist des Cervantes und den Einfluß seines Buches habe ich nur mit wenigen Andeutungen reden können. Über den eigentlichen Kunstwert seines Romans kann ich mich hier noch weniger verbreiten, indem Erörterungen zur Sprache kämen, die allzuweit ins Gebiet der Ästhetik hinabführen würden. Ich darf hier auf die Form seines Romans und die zwei Figuren, die den Mittelpunkt desselben bilden, nur im allgemeinen aufmerksam machen. Die Form ist nämlich die der Reisebeschreibung, wie solches von jeher die natürlichste Form für diese Dichtungsart. Ich erinnere hier nur an den »Goldenen Esel« des Apulejus, den ersten Roman des Altertums. Der Einförmigkeit dieser Form haben die späteren Dichter durch das, was wir heute die Fabel des Romans nennen, abzuhelfen gesucht. Aber wegen Armut an Erfindung haben jetzt die meisten Romanschreiber ihre Fabeln voneinander geborgt, wenigstens haben die einen mit wenig Modifikationen immer die Fabeln der andern benutzt, und durch die dadurch entstehende Wiederkehr derselben Charaktere, Situationen und Verwicklungen ward dem Publikum am Ende die Romanlektüre einigermaßen verleidet. Um sich vor der Langweiligkeit abgedroschener Romanfabeln zu retten, flüchtete man sich für einige Zeit in die uralte, ursprüngliche Form der Reisebeschreibung. Diese wird aber wieder ganz verdrängt, sobald ein Originaldichter mit neuen, frischen Romanfabeln auftritt. In der Literatur wie in der Politik bewegt sich alles nach dem Gesetz der Aktion und Reaktion.

Was nun jene zwei Gestalten betrifft, die sich Don Quixote und Sancho Pansa nennen, sich beständig parodieren und doch so wunderbar ergänzen, daß sie den eigentlichen Helden des Romans bilden, so zeugen sie im gleichen Maße von dem Kunstsinn wie von der Geistestiefe des Dichters. Wenn andere Schriftsteller, in deren Roman der Held nur als einzelne Person durch die Welt zieht, zu Monologen, Briefen oder Tagebüchern ihre Zuflucht nehmen müssen, um die Gedanken und Empfindungen des Helden kundzugeben, so kann Cervantes überall einen natürlichen Dialog hervortreten lassen; und indem die eine Figur immer die Rede der andern parodiert, tritt die Intention des Dichters um so sichtbarer hervor. Vielfach nachgeahmt ward seitdem die Doppelfigur, die dem Roman des Cervantes eine so kunstvolle Natürlichkeit verleiht und aus deren Charakter, wie aus einem einzigen Kern, der ganze Roman mit all seinem wilden Laubwerk, seinen duftigen Blüten, strahlenden Früchten und Affen und Wundervögeln, die sich auf den Zweigen wiegen, gleich einem indischen Riesenbaum sich entfaltet.

Aber es wäre ungerecht, hier alles auf Rechnung sklavischer Nachahmung zu setzen; sie lag so nahe, die Einführung solcher zwei Figuren wie Don Quixote und Sancho Pansa, wovon die eine, die poetische, auf Abenteuer zieht und die andere, halb aus Anhänglichkeit, halb aus Eigennutz, hinterdreinläuft durch Sonnenschein und Regen, wie wir selber sie oft im Leben begegnet haben. Um dieses Paar, unter den verschiedenartigsten Vermummungen, überall wiederzuerkennen, in der Kunst wie im Leben, muß man freilich nur das Wesentliche, die geistige Signatur, nicht das Zufällige ihrer äußern Erscheinung ins Auge fassen. Der Beispiele könnte ich unzählige anführen. Finden wir Don Quixote und Sancho Pansa nicht ebensogut in den Gestalten Don Juans und Leporellos wie etwa in der Person Lord Byrons und seines Bedienten Fletcher? Erkennen wir dieselben zwei Typen und ihr Wechselverhältnis nicht in der Gestalt des Ritters von Waldsee und seines Kaspar Larifari ebensogut wie in der Gestalt von so manchem Schriftsteller und seinem Buchhändler, welcher letztere die Narrheiten seines Autors wohl einsieht, aber dennoch, um reellen Vorteil daraus zu ziehen, ihn getreusam auf allen seinen idealen Irrfahrten begleitet? Und der Herr Verleger Sancho, wenn er auch manchmal nur Püffe bei diesem Geschäfte gewinnt, bleibt doch immer fett, während der edle Ritter täglich immer mehr und mehr abmagert.

Aber nicht bloß unter Männern, sondern auch unter Frauenzimmern habe ich öfters die Typen Don Quixotes und seines Schildknappen wiedergefunden. Namentlich erinnere ich mich einer schönen Engländerin, einer schwärmerischen Blondine, die mit ihrer Freundin aus einer Londoner Mädchenpension entsprungen war und die ganze Welt durchziehen wollte, um ein so edles Männerherz zu suchen, wie sie es in sanften Mondscheinnächten geträumt hatte. Die Freundin, eine untersetzte Brünette, hoffte bei dieser Gelegenheit, wenn auch nicht etwas ganz apartes Ideale, doch wenigstens einen Mann von gutem Aussehen zu erbeuten. Ich sehe sie noch mit ihren liebesüchtigen blauen Augen, die schlanke Gestalt, wie sie am Strande von Brighton weit über das flutende Meer nach der französischen Küste hinüberschmachtete… Ihre Freundin knackte unterdessen Haselnüsse, freute sich des süßen Kerns und warf die Schalen ins Wasser.

Jedoch weder in den Meisterwerken anderer Künstler noch in der Natur selber finden wir die erwähnten beiden Typen in ihrem Wechselverhältnisse so genau ausgeführt wie bei Cervantes. Jeder Zug im Charakter und der Erscheinung des einen entspricht hier einem entgegengesetzten und doch verwandten Zuge bei dem andern. Hier hat jede Einzelnheit eine parodistische Bedeutung. Ja, sogar zwischen Rosinanten und Sanchos Grauchen herrscht derselbe ironische Parallelismus wie zwischen dem Knappen und seinem Ritter, und auch die beiden Tiere sind gewissermaßen die symbolischen Träger derselben Ideen. Wie in ihrer Denkungsart, so offenbaren Herr und Diener auch in ihrer Sprache die merkwürdigsten Gegensätze, und hier kann ich nicht umhin, der Schwierigkeiten zu erwähnen, welche der Übersetzer zu überwinden hatte, der die hausbackene, knorrige, niedrige Sprechart des guten Sancho ins Deutsche übertrug. Durch seine gehackte, nicht selten unsaubere Sprichwörtlichkeit mahnt der gute Sancho ganz an den Narren des Königs Salomon, an Markulf, der ebenfalls einem pathetischen Idealismus gegenüber das Erfahrungswissen des gemeinen Volkes in kurzen Sprüchen vorträgt. Don Quixote hingegen redet die Sprache der Bildung, des höheren Standes, und auch in der Grandezza des wohlgeründeten Periodenbaues repräsentiert er den vornehmen Hidalgo. Zuweilen ist dieser Periodenbau allzuweit ausgesponnen, und die Sprache des Ritters gleicht einer stolzen Hofdame in aufgebauschtem Seidenkleid mit langer rauschender Schleppe. Aber die Grazien, als Pagen verkleidet, tragen lächelnd einen Zipfel dieser Schleppe: die langen Perioden schließen mit den anmutigsten Wendungen.

Den Charakter der Sprache Don Quixotes und Sancho Pansas resümieren wir in den Worten: der erstere, wenn er redet, scheint immer auf seinem hohen Pferde zu sitzen, der andere spricht, als säße er auf seinem niedrigen Esel.

Mir bliebe noch übrig, von den Illustrationen zu sprechen, womit die Verlagshandlung diese neue Übersetzung des »Don Quixote«, die ich hier bevorworte, ausgeschmückt hat. Diese Ausgabe ist das erste der schönen Literatur angehörige Buch, das in Deutschland auf diese Weise verziert ans Licht tritt. In England und namentlich in Frankreich sind dergleichen Illustrationen an der Tagesordnung und finden einen fast enthusiastischen Beifall. Deutsche Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit wird aber gewiß die Frage aufwerfen: Sind den Interessen wahrer Kunst dergleichen Illustrationen förderlich? Ich glaube nicht. Zwar zeigen sie, wie die geistreich und leicht schaffende Hand eines Malers die Gestalten des Dichters auffaßt und wiedergibt; sie bieten auch für die etwaige Ermüdung durch die Lektüre eine angenehme Unterbrechung; aber sie sind ein Zeichen mehr, wie die Kunst, herabgezerrt von dem Piedestale ihrer Selbständigkeit, zur Dienerin des Luxus entwürdigt wird. Und dann ist hier für den Künstler nicht bloß die Gelegenheit und Verführung, sondern sogar die Verpflichtung, seinen Gegenstand nur flüchtig zu berühren, ihn beileibe nicht zu erschöpfen. Die Holzschnitte in alten Büchern dienten anderen Zwecken und können mit diesen Illustrationen nicht verglichen werden.

Die Illustrationen der vorliegenden Ausgabe sind, nach Zeichnungen von Tony Johannot, von den ersten Holzschneidern Englands und Frankreichs geschnitten. Sie sind, wie es schon Tony Johannots Name verbürgt, ebenso elegant als charakteristisch aufgefaßt und gezeichnet; trotz der Flüchtigkeit der Behandlung sieht man, wie der Künstler in den Geist des Dichters eingedrungen ist. Sehr geistreich und phantastisch sind die Initialen und Culs de lampe erfunden, und gewiß mit tiefsinnig poetischer Intention hat der Künstler zu den Verzierungen meistens moreske Dessins gewählt. Sehen wir ja doch die Erinnerung an die heitere Maurenzeit wie einen schönen fernen Hintergrund überall im »Don Quixote« hervorschwimmen. Tony Johannot, einer der vortrefflichsten und bedeutendsten Künstler in Paris, ist ein Deutscher von Geburt.

Auffallend ist es, daß ein Buch, welches so reich an pittoreskem Stoff wie der »Don Quixote«, noch keinen Maler gefunden hat, der daraus Sujets zu einer Reihe selbständiger Kunstwerke entnommen hätte. Ist der Geist des Buches etwa zu leicht und phantastisch, als daß nicht unter der Hand des Künstlers der bunte Farbenstaub entflöhe? Ich glaube nicht. Denn der »Don Quixote«, so leicht und phantastisch er ist, fußt auf derber, irdischer Wirklichkeit, wie das ja sein mußte, um ihn zu einem Volksbuche zu machen. Ist es etwa, weil hinter den Gestalten, die uns der Dichter vorführt, tiefere Ideen liegen, die der bildende Künstler nicht wiedergeben kann, so daß er nur die äußere Erscheinung, wie saillant sie auch vielleicht sei, nicht aber den tieferen Sinn festhalten und reproduzieren könnte? Das ist wahrscheinlich der Grund. – Versucht haben sich übrigens viele Künstler an Zeichnungen zum »Don Quixote«. Was ich von englischen, spanischen und früheren französischen Arbeiten dieser Art gesehen habe, war abscheulich. Was deutsche Künstler betrifft, so muß ich hier an unseren großen Daniel Chodowiecki erinnern. Er hat eine Reihe Darstellungen zum »Don Quixote« gezeichnet, die, von Berger in Chodowieckis Sinn radiert, die Bertuchsche Übersetzung begleiteten. Es sind vortreffliche Sachen darunter. Der falsche theatralisch-konventionelle Begriff, den der Künstler, wie seine übrigen Zeitgenossen, vom spanischen Kostüme hatte, hat ihm sehr geschadet. Man sieht aber überall, daß Chodowiecki den »Don Quixote« vollkommen verstanden hat. Das hat mich grade bei diesem Künstler gefreut und war mir um seinetwillen wie des Cervantes wegen lieb. Denn es ist mir immer angenehm, wenn zwei meiner Freunde sich lieben, wie es mich auch stets freut, wenn zwei meiner Feinde aufeinander losschlagen. Chodowieckis Zeit, als Periode einer sich erst bildenden Literatur, die der Begeisterung noch bedurfte und Satire ablehnen mußte, war dem Verständnis des »Don Quixote« eben nicht günstig, und da zeugt es denn für Cervantes, daß seine Gestalten damals dennoch verstanden wurden und Anklang fanden, wie es für Chodowiecki zeugt, daß er Gestalten wie Don Quixote und Sancho Pansa begriff, er, welcher mehr als vielleicht je ein anderer Künstler das Kind seiner Zeit war, in ihr wurzelte, nur ihr angehörte, von ihr getragen, verstanden und anerkannt wurde.

Von neuesten Darstellungen zum »Don Quixote« erwähne ich mit Vergnügen einige Skizzen von Decamps, dem originellsten aller lebenden französischen Maler. – Aber nur ein Deutscher kann den »Don Quixote« ganz verstehen, und das fühlte ich dieser Tage in erfreutester Seele, als ich an den Fenstern eines Bilderladens auf dem Boulevard Montmartre ein Blatt sah, welches den edeln Manchaner in seinem Studierzimmer darstellt und nach Adolf Schrödter, einem großen Meister, gezeichnet ist

Geschrieben zu Paris, im Karneval 1837

Heinrich Heine

Über den Denunzianten

Eine Vorrede zum dritten Teile des »Salons«

Ich habe diesem Buche einige sehr unerfreuliche Bemerkungen voranzuschicken und viel mehr über das, was es nicht enthält, als über den Inhalt selbst mich auszusprechen. Was letzteren betrifft, so steht zu berichten, daß ich von den »Florentinischen Nächten« die Fortsetzung, worin mancherlei Tagesinteressen ihr Echo fanden, nicht mitteilen konnte. Die »Elementargeister« sind nur die deutsche Bearbeitung eines Kapitels aus meinem Buche »De l’Allemagne«; alles, was ins Gebiet der Politik und der Staatsreligion hinüberspielte, ward gewissenhaft ausgemerzt, und nichts blieb übrig als eine Reihe harmloser Märchen, die, gleich den Novellen des »Decamerone«, dazu dienen könnten, jene pestilenzielle Wirklichkeit, die uns dermalen umgibt, für einige Stunden zu vergessen. Das Gedicht, welches am Schlusse des Buches, habe ich selber verfaßt, und ich denke, es wird meinen Feinden viel Vergnügen machen; ich habe kein besseres geben können. Die Zeit der Gedichte ist überhaupt bei mir zu Ende, ich kann wahrhaftig kein gutes Gedicht mehr zutage fördern, und die Kleindichter in Schwaben, statt mir zu grollen, sollten sie mich vielmehr brüderlichst in ihre Schule aufnehmen… Das wird auch wohl das Ende des Spaßes sein, daß ich in der schwäbischen Dichterschule, mit Fallhütchen auf dem Kopf, neben den andern auf das kleine Bänkchen zu sitzen komme und das schöne Wetter besinge, die Frühlingssonne, die Maienwonne, die Gelbveiglein und die Quetschenbäume. Ich hatte längst eingesehen, daß es mit den Versen nicht mehr recht vorwärtsging, und deshalb verlegte ich mich auf gute Prosa. Da man aber in der Prosa nicht ausreicht mit dem schönen Wetter, Frühlingssonne, Maienwonne, Geldveiglein und Quetschenbäumen, so mußte ich auch für die neue Form einen neuen Stoff suchen; dadurch geriet ich auf die unglückliche Idee, mich mit Ideen zu beschäftigen, und ich dachte nach über die innere Bedeutung der Erscheinungen, über die letzten Gründe der Dinge, über die Bestimmung des Menschengeschlechts, über die Mittel, wie man die Leute besser und glücklicher machen kann, usw. Die Begeisterung, die ich von Natur für diese Stoffe empfand, erleichterte mir ihre Behandlung, und ich konnte bald in einer äußerst schönen, vortrefflichen Prosa meine Gedanken darstellen… Aber ach! als ich es endlich im Schreiben soweit gebracht hatte, da ward mir das Schreiben selber verboten. Ihr kennt den Bundestagsbeschluß vom Dezember 1835, wodurch meine ganze Schriftstellerei mit dem Interdikte belegt ward. Ich weinte wie ein Kind! Ich hatte mir soviel Mühe gegeben mit der deutschen Sprache, mit dem Akkusativ und Dativ, ich wußte die Worte so schön aneinanderzureihen, wie Perl’ an Perl’, ich fand schon Vergnügen an dieser Beschäftigung, sie verkürzte mir die langen Winterabende des Exils, ja, wenn ich deutsch schrieb, so konnte ich mir einbilden, ich sei in der Heimat, bei der Mutter… Und nun ward mir das Schreiben verboten! Ich war sehr weich gestimmt, als ich an den Bundestag jene Bittschrift schrieb, die ihr ebenfalls kennt und die von manchem unter euch als gar zu untertänig getadelt worden. Meine Konsulenten, deren Responsa ich bei diesem Ereignisse einholte, waren alle der Meinung, ich müsse ein groß Spektakel erheben, große Memoiren anfertigen, darin beweisen, »daß hier ein Eingriff in Eigentumsrechte stattfände, daß man mir nur durch richterlichen Urteilsspruch die Ausbeutung meiner Besitztümer, meiner schriftstellerischen Fähigkeiten, untersagen könne, daß der Bundestag kein Gerichtshof und zu richterlichen Erkenntnissen nicht befugt sei, daß ich protestieren, künftigen Schadenersatz verlangen, kurz, Spektakel machen müsse«. Zu dergleichen fühlte ich mich aber keineswegs aufgelegt, ich hege die größte Abneigung gegen alle deklamatorische Rechthaberei, und ich kannte zu gut den Grund der Dinge, um durch die Dinge selbst aufgebracht zu sein. Ich wußte im Herzen, daß es durchaus nicht darauf abgesehen war, durch jenes Interdikt mich persönlich zu kränken; ich wußte, daß der Bundestag, nur die Beruhigung Deutschlands beabsichtigend, aus bester Vorsorge für das Gesamtwohl, gegen den einzelnen mit Härte verfuhr; ich wußte, daß es der schnödesten Angeberei gelungen war, einige Mitglieder der erlauchten Versammlung, handlende Staatsmänner, die sich mit der Lektüre meiner neueren Schriften gewiß wenig beschäftigen konnten, über den Inhalt derselben irrezuleiten und ihnen glauben zu machen, ich sei das Haupt einer Schule, welche sich zum Sturze aller bürgerlichen und moralischen Institutionen verschworen habe… Und in diesem Bewußtsein schrieb ich nicht eine Protestation, sondern eine Bittschrift an den Bundestag, worin ich, weit entfernt, seine oberrichtlichen Befugnisse in Abrede zu stellen, den betrübsamen Beschluß als ein Kontumazialurteil betrachtete und, auf alten Präzedenzien fußend, demütigst bat, mich gegen die im Beschlusse angeführten Beschuldigungen vor den Schranken der erlauchten Versammlung verteidigen zu dürfen. Von der Gefährdung meiner pekuniären Interessen tat ich keine Erwähnung. Eine gewisse Scham hielt mich davon ab. Nichtsdestoweniger haben viele edle Menschen in Deutschland, wie ich aus manchen errötenden Stellen ihrer Trostbriefe ersah, aufs tiefste gefühlt, was ich verschwieg. Und in der Tat, wenn es schon hinlänglich betrübsam ist, daß ich, ein Dichter Deutschlands, fern vom Vaterlande, im Exile leben muß, so wird es gewiß jeden fühlenden Menschen doppelt schmerzen, daß ich jetzt noch obendrein meines literarischen Vermögens beraubt werde, meines geringen Poetenvermögens, das mich in der Fremde wenigstens gegen physisches Elend schützen konnte.

Ich sage dieses mit Kummer, aber nicht mit Unmut. Denn wen sollte ich anklagen? Nicht die Fürsten; denn, ein Anhänger des monarchischen Prinzips, ein Bekenner der Heiligkeit des Königtums, wie ich mich seit der Juliusrevolution, trotz dem bedenklichsten Gebrülle meiner Umgebung, gezeigt habe, möchte ich wahrlich nicht mit meinen besonderen Beklagnissen dem verwerflichen Jakobinismus einigen Vorschub leisten. Auch nicht die Räte der Fürsten kann ich anklagen; denn, wie ich aus den sichersten Quellen erfahren, haben viele der höchsten Staatsmänner den exzeptionellen Zustand, worin man mich versetzt, mit würdiger Teilnahme bedauert und baldigste Abhülfe versprochen; ja, ich weiß es, nur wegen der Langsamkeit des Geschäftgangs ist die Abhülfe noch nicht gesetzlich an den Tag getreten, und vielleicht, während ich diese Zeilen schreibe, wird dergleichen in Deutschland zu meinen Gunsten promulgiert. Selbst entschiedenste Gegner unter den deutschen Staatsmännern haben mir wissen lassen, daß die Strenge des erwähnten Bundestagsbeschlusses nicht den ganzen Schriftsteller treffen sollte, sondern nur den politischen und religiösen Teil desselben, der poetische Teil desselben dürfe sich unverhindert aussprechen, in Gedichten, Dramen, Novellen, in jenen schönen Spielen der Phantasie, für welche ich soviel Genie besitze… Ich könnte fast auf den Gedanken geraten, man wolle mir einen Dienst leisten und mich zwingen, meine Talente nicht für undankbare Themata zu vergeuden… In der Tat, sie waren sehr undankbar, haben mir nichts als Verdruß und Verfolgung zugezogen… Gottlob! ich werde mit Gendarmen auf den besseren Weg geleitet, und bald werde ich bei euch sein, ihr Kinder der schwäbischen Schule, und wenn ich nicht auf der Reise den Schnupfen bekomme, so sollt ihr euch freuen, wie fein meine Stimme, wenn ich mit euch das schöne Wetter besinge, die Frühlingssonne, die Maienwonne, die Gelbveiglein, die Quetschenbäume.

Dieses Buch diene schon als Beweis meines Fortschreitens nach hinten. Auch hoffe ich, die Herausgabe desselben wird weder oben noch unten zu meinem Nachteile mißdeutet werden. Das Manuskript war zum größten Teile schon seit einem Jahre in den Händen meines Buchhändlers, ich hatte schon seit anderthalb Jahr mit demselben über die Herausgabe stipuliert, und es war mir nicht möglich, diese zu unterlassen.

Ich werde zu einer andern Zeit mich ausführlicher über diesen Umstand aussprechen; er steht nämlich in einiger Verbindung mit jenen Gegenständen, die meine Feder nicht berühren soll. Dieselbe Rücksicht verhindert mich, mit klaren Worten das Gespinste von Verleumdungen zu beleuchten, womit es einer in den Annalen deutscher Literatur unerhörten Angeberei gelungen ist, meine Meinungen als staatsgefährlich zu denunzieren und das erwähnte Interdikt gegen mich zu veranlassen. Wie und in welcher Weise dieses geschehen, ist notorisch, auch ist der Denunziant, der literarische Mouchard, schon längst der öffentlichen Verachtung verfallen; es ist purer Luxus, wenn, nach so vielen edlen Stimmen des Unwillens, auch ich noch hinzutrete, um über das klägliche Haupt des Herrn Wolfgang Menzel in Stuttgart die Ehrlosigkeit, die Infamia, auszusprechen. Nie hat deutsche Jugend einen ärmeren Sünder mit witzigeren Ruten gestrichen und mit glühenderem Hohne gebrandmarkt! Er dauert mich wahrlich, der Unglückliche, dem die Natur ein kleines Talent und Cotta ein großes Blatt anvertraut hatten und der beides so schmutzig, so miserabel mißbrauchte!

Ich lasse es dahingestellt sein, ob es das Talent oder das Blatt war, wodurch die Stimme des Herrn Menzel so weitreichend gewesen, daß seine Denunziation so betrübsam wirken konnte, daß beschäftigte Staatsmänner, die eher Literaturblätter als Bücher lesen, ihm aufs Wort glaubten. Soviel weiß ich, sein Wort mußte um so lauter erschallen, je ängstlichere Stille damals in Deutschland herrschte… Die Stimmführer der Bewegungspartei hielten sich in einem klugen Schweigen versteckt oder saßen in wohlvergittertem Gewahrsam und harrten ihres Urteils, vielleicht des Todesurteils… Höchstens hörte man manchmal das Schluchzen einer Mutter, deren Kind in Frankfurt die Konstablerwache mit dem Bajonette eingenommen hatte und nicht mehr hinauskonnte, ein Staatsverbrechen, welches gewiß ebenso unbesonnen wie strafwürdig war und den feinöhrigsten Argwohn der Regierungen überall rechtfertigte… Herr Menzel hatte sehr gut seine Zeit gewählt zur Denunziation jener großen Verschwörung, die, unter dem Namen »das Junge Deutschland«, gegen Thron und Altar gerichtet ist und in dem Schreiber dieser Blätter ihr gefährlichstes Oberhaupt verehrt.

Sonderbar! Und immer ist es die Religion und immer die Moral und immer der Patriotismus, womit alle schlechten Subjekte ihre Angriffe beschönigen! Sie greifen uns an, nicht aus schäbigen Privatinteressen, nicht aus Schriftstellerneid, nicht aus angebornem Knechtsinn, sondern um den lieben Gott, um die guten Sitten und das Vaterland zu retten. Herr Menzel, welcher jahrelang, während er mit Herrn Gutzkow befreundet war, mit kummervollem Stillschweigen zugesehen, wie die Religion in Lebensgefahr schwebte, gelangt plötzlich zur Erkenntnis, daß das Christentum rettungslos verloren sei, wenn er nicht schleunigst das Schwert ergreift und dem Gutzkow von hinten ins Herz stößt. Um das Christentum selber zu retten, muß er freilich ein bißchen unchristlich handeln; doch die Engel im Himmel und die Frommen auf der Erde werden ihm die kleinen Verleumdungen und sonstigen Hausmittelchen, die der Zweck heiligt, gern zugute halten.

Wenn einst das Christentum wirklich zugrunde ginge (vor welchem Unglück uns die ewigen Götter bewahren wollen!), so würden es wahrlich nicht seine Gegner sein, denen man die Schuld davon zuschreiben müßte. Auf jeden Fall hat sich unser Herr und Heiland, Jesus Christus, nicht bei Herrn Menzel und dessen bayrischen Kreuzbrüdern zu bedanken, wenn seine Kirche auf ihrem Felsen stehenbleibt! Und ist Herr Menzel wirklich ein guter Christ, ein besserer Christ als Gutzkow und das sonstige Junge Deutschland? Glaubt er alles, was in der Bibel steht? Hat er immer die Lehren des Bergpredigers strenge befolgt? Hat er immer seinen Feinden verziehen, nämlich allen denen, die in der Literatur eine glänzendere Rolle spielten als er? Hat Herr Menzel seine linke Wange sanftmütig hingehalten, als ihm der Buchhändler Franckh auf die rechte Wange eine Ohrfeige oder, schwäbisch zu sprechen, eine Maulschelle gegeben? Hat Herr Menzel Witwen und Waisen immer gut rezensiert? War er jemals ehrlich, war sein Wort immer »Ja« oder »Nein«? Wahrlich nein, nächst einer geladenen Pistole hat Herr Menzel nie etwas mehr gescheut als die Ehrlichkeit der Rede, er war immer ein zweideutiger Duckmäuser, halb Hase, halb Wetterfahne, grob und windig zu gleicher Zeit, wie ein Polizeidiener. Hätte er in jenen ersten Jahrhunderten gelebt, wo ein Christ mit seinem Blute Zeugnis geben mußte für die Wahrheit des Evangeliums, da wäre er wahrlich nicht als Verteidiger desselben aufgetreten, sondern vielmehr als der Ankläger derer, die sich zum Christentume bekannten und die man damals des Atheismus und der Immoralität beschuldigte. Wohnte Herr Menzel in Peking statt in Stuttgart, so schriebe er jetzt vielleicht lange delatorische Artikel gegen »das junge China«, welches, wie aus den jüngsten Dekreten der chinesischen Regierung hervorgeht, eine Rotte von Bösewichtern zu sein scheint, die durch Schrift und Wort das Christentum verbreiten und deshalb von den Mandarinen des himmlischen Reiches für die gefährlichsten Feinde der bürgerlichen Ordnung und der Moral erklärt werden.

Ja, nächst der Religion ist es die Moral, für deren Untergang Herr Menzel zittert. Ist er vielleicht wirklich so tugendhaft, der unerbittliche Sittenwart von Stuttgart? Eine gewisse physische Moralität will ich Herrn Menzel keinesweges absprechen. Es ist schwer, in Stuttgart nicht moralisch zu sein. In Paris ist es schon leichter, das weiß Gott! Es ist eine eigne Sache mit dem Laster. Die Tugend kann jeder allein üben, er hat niemand dazu nötig als sich selber; zu dem Laster aber gehören immer zwei. Auch wird Herr Menzel von seinem Äußern aufs glänzendste unterstützt, wenn er das Laster fliehen will. Ich habe eine zu vorteilhafte Meinung von dem guten Geschmacke des Lasters, als daß ich glauben dürfte, es würde jemals einem Menzel nachlaufen. Der arme Goethe war nicht so glücklich begabt, und es war ihm nicht vergönnt, immer tugendhaft zu bleiben. Die schwäbische Schule sollte ihrem nächsten Musenalmanach das Bildnis des Herrn Menzel voransetzen; es wäre sehr belehrsam. Das Publikum würde gleich bemerken: er sieht gar nicht aus wie Goethe. Und mit noch größerer Verwunderung würde man bemerken: dieser Held des Deutschtums, dieser Vorkämpe des Germanismus, sieht gar nicht aus wie ein Deutscher, sondern wie ein Mongole… jeder Backenknochen ein Kalmuck!

Dieses ist nun freilich verdrießlich für einen Mann, der beständig auf Nationalität pocht, gegen alles Fremdländische unaufhörlich loszieht und unter lauter Teutomanen lebt, die ihn nur als einen nützlichen Verbündeten, jedoch keineswegs als einen reinen Stammgenossen betrachten. Wir aber sind keine altdeutsche Rassenmäkler, wir betrachten die ganze Menschheit als eine große Familie, deren Mitglieder ihren Wert nicht durch Hautfarbe und Knochenbau, sondern durch die Triebe ihrer Seele, durch ihre Handlungen offenbaren. Ich würde gern, wenn es Herrn Menzel Vergnügen machte, ihm zugestehen, daß er ein makelloser Abkömmling Teuts, wo nicht gar ein legitimer Enkel Hermanns und Thusneldens sei, wenn nur sein Inneres, sein Charakter, seine Handlungen eine solche Annahme rechtfertigen könnten; aber diese widersprechen seinem Germanentume noch weit bedenklicher als sein Gesicht.

Die erste Tugend der Germanen ist eine gewisse Treue, eine gewisse schwerfällige, aber rührend großmütige Treue. Der Deutsche schlägt sich selbst für die schlechteste Sache, wenn er einmal Handgeld empfangen oder auch nur im Rausche seinen Beistand versprochen; er schlägt sich alsdann mit seufzendem Herzen, aber er schlägt sich; wie auch die bessere Überzeugung in seiner Brust murre, er kann sich doch nicht entschließen, die Fahne zu verlassen, und er verläßt sie am allerwenigsten, wenn seine Partei in Gefahr oder vielleicht gar von feindlicher Übermacht umzingelt ist… Daß er alsdann zu den Gegnern überliefe, ist weder dem deutschen Charakter angemessen noch dem Charakter irgendeines anderen Volkes… Aber in diesem Falle noch gar als Denunziant zu agieren, das kann nur ein Schurke.

Und auch eine gewisse Scham liegt im Wesen der Germanen; gegen den Schwächeren oder Wehrlosen wird er nimmermehr das Schwert ziehen, und den Feind, der gebunden und geknebelt zu Boden liegt, wird er nicht antasten, bis derselbe seiner Bande entledigt und wieder auf freien Füßen steht. Herr Menzel aber schwang seinen Flamberg am liebsten gegen Weiber, er hat sie zu Dutzenden niedergesäbelt, die deutschen Schriftstellerinnen, arme Wesen, die, um Brot für ihre Kinder zu erwerben, zur Feder gegriffen und der rohen öffentlichen Verspottung nichts als heimliche Tränen entgegensetzen konnten! Er hat gewiß uns Männern einen wichtigen Dienst geleistet, indem er uns von der Konkurrenz der weiblichen Schriftsteller befreite, er hat vielleicht auch der Literatur dadurch genützt, aber ich möchte in einem solchen Feldzuge meine Sporen nimmermehr erworben haben. Auch gegen Herrn Gutzkow, und wäre Gutzkow ein Vatermörder gewesen, hätte ich nicht meine Philippika donnern mögen, während er im Kerker lag oder gar vor Gericht stand. Und ich bin weit davon entfernt, auf alle germanischen Tugenden Anspruch zu machen, vielleicht am wenigsten auf eine gewisse Ehrlichkeit, die ebenfalls als ein besonderes Kennzeichen des Germanentums zu betrachten ist. Ich habe manchem Toren ins Gesicht gesagt, er sei ein Weiser, aber ich tat es aus Höflichkeit. Ich habe manchen Verständigen einen Esel gescholten, aber ich tat es aus Haß. Niemals habe ich mich der Zweideutigkeit beflissen, ängstlich die Ereignisse abwartend, in der Politik wie im Privatleben, und gar niemals lag meinen Worten ein erbärmlicher Eigennutz zum Grunde. Von der Menzelschen Politik in der Politik darf ich hier nicht reden, wegen der Politik. Übrigens ist das öffentliche Leben des Herrn Menzel sattsam bekannt, und jeder weiß, daß sein Betragen als württembergischer Deputierter ebenso heuchlerisch wie lächerlich. Über sein Privatschelmenleben kann ich, schon wegen Mangel an Raum, ebenfalls nicht reden. Auch seiner literarischen Gaunerstreiche will ich hier nicht erwähnen; es wäre zu langweilig, wenn ich ausführlich zeigen müßte, wie Herr Menzel, der ehrliche Mann, von den Autoren, die er kritisiert, ganz andere Dinge zitiert, als in ihren Büchern stehn, wie er statt der Originalworte lauter sinnverfälschende Synonyme liefert usw. Nur die kleine humoristische Anekdote, wie nämlich Herr Menzel dem alten Baron Cotta seine »Deutsche Literatur« zum Verlag anbot, kann ich, des Spaßes wegen, nicht unerwähnt lassen. Das Manuskript dieses Buches enthielt am Schlusse die großartigsten Lobsprüche auf Cotta, die jedoch keineswegs denselben verleiteten, das geforderte Honorar dafür zu bewilligen. Es schmeichelte aber immerhin den seligen Baron, sich mal recht tüchtig gelobt zu sehen, und als bald darauf das Buch bei Gebrüder Franckh herauskam, sprach er freudig zu seinem Sohne: »Georg, lies das Buch, darin wird mein Verdienst anerkannt, darin werde ich mal nach Gebühr gelobt!« Georg aber fand, daß in dem Buche alle Lobsprüche ausgestrichen und im Gegenteil die derbsten Seitenhiebe auf seinen Vater eingeschaltet worden. Der Alte war zum Küssen liebenswürdig, wenn er diese Anekdote erzählte.

Und noch eine Tugend gibt es bei den Germanen, die wir bei Herren Menzel vermissen: die Tapferkeit. Herr Menzel ist feige. Ich sage dieses beileibe nicht, um ihn als Mensch herabzuwürdigen: man kann ein guter Bürger sein und doch den Tabaksrauch mehr lieben als den Pulverdampf und gegen bleierne Kugeln eine größere Abneigung empfinden als gegen schwäbische Mehlklöße; denn letztere können zwar schwer im Magen lasten, sind aber lange nicht so unverdaulich. Auch ist Morden eine Sünde, und gar das Duell! wird es nicht aufs bestimmteste verboten durch die Religion, durch die Moral und durch die Philosophie? Aber will man beständig mit deutscher Nationalität bramarbasieren, will man für einen Helden des Deutschtums gelten, so muß man tapfer sein, so muß man sich schlagen, sobald ein beleidigter Ehrenmann Genugtuung fordert, so muß man mit dem Leben einstehen für das Wort, das man gesprochen. Das tapferste Volk sind die Deutschen. Auch andere Völker schlagen sich gut, aber ihre Schlachtlust wird immer unterstützt durch allerlei Nebengründe. Der Franzose schlägt sich gut, wenn sehr viele Zuschauer dabei sind oder irgendeine seiner Lieblingsmarotten, z.B. Freiheit und Gleichheit, Ruhm und dgl. m., auf dem Spiele steht. Die Russen haben sich gegen die Franzosen sehr gut geschlagen, weil ihre Generäle ihnen versicherten, daß diejenigen unter ihnen, welche auf deutschem oder französischem Boden fielen, unverzüglich hinten in Rußland wieder auferstünden; und um nur geschwind wieder nach Hause zu kommen, nach Juchtenheim, stürzten sie sich mutig in die französischen Bajonette; es ist nicht wahr, daß damals bloß der Stock und der Branntewein sie begeistert habe. Die Deutschen aber sind tapfer ohne Nebengedanken, sie schlagen sich, um sich zu schlagen, wie sie trinken, um zu trinken. Der deutsche Soldat wird weder durch Eitelkeit noch durch Ruhmsucht, noch durch Unkenntnis der Gefahr in die Schlacht getrieben, er stellt sich ruhig in Reih und Glied und tut seine Pflicht; kalt, unerschrocken, zuverlässig. Ich spreche hier von der rohen Masse, nicht von der Elite der Nation, die auf den Universitäten, jenen hohen Schulen der Ehre, wenn auch selten in der Wissenschaft, doch desto öfter in den Gefühlen der Manneswürde die feinste Ausbildung erlangt hat. Ich habe fast sieben Jahre, studierenshalber, auf deutschen Universitäten zugebracht, und deutsche Schlaglust wurde für mich ein so gewöhnliches Schauspiel, daß ich an Feigheit kaum mehr glaubte. Diese Schlaglust fand ich besonders bei meinen speziellen Landsleuten, den Westfalen, die, von Herzen die gutmütigsten Kinder, aber bei vorfallenden Mißverständnissen den langen Wortwechsel nicht liebend, gewöhnlich geneigt sind, den Streit auf einem natürlichen, sozusagen freundschaftlichen Wege, nämlich durch die Entscheidung des Schwertes, schleunigst zu beendigen. Deshalb haben die Westfalen auf den Universitäten die meisten Duelle. Herr Menzel aber ist kein Westfale, ist kein Deutscher, Herr Menzel ist eine Memme. Als er mit den frechsten Worten die bürgerliche Ehre des Herrn Gutzkow angetastet, die persönlichsten Verleumdungen gegen denselben losgegeifert und der Beleidigte, nach Sitte und Brauch deutscher Jugend, die geziemende Genugtuung forderte, da griff der germanische Held zu der kläglichen Ausflucht, daß dem Herrn Gutzkow ja die Feder zu Gebote stünde, daß er ja ebenfalls gegen ihn drucken lassen könne, was ihm beliebe, daß er ihm nicht im stillen Wald mit materiellen Waffen, sondern öffentlich, auf dem Streitplatze der Journalistik, mit geistigen Waffen, die geforderte Genugtuung geben werde… Und der germanische Held zog es vor, in seinem Klatschblatte wie ein altes Weib zu keifen, statt auf der Walstätte der Ehre wie ein Mann sich zu schlagen.

Es ist betrübsam, es ist jammervoll, aber dennoch wahr, Herr Menzel ist feige. Ich sage es mit Wehmut, aber es ist für höhere Interessen notwendig, daß ich es öffentlich ausspreche: Herr Menzel ist feige. Ich bin davon überzeugt. Will Herr Menzel mich vom Gegenteile überzeugen, so will ich ihm gerne auf halbem Wege entgegenkommen. Oder wird er auch mir anbieten, mittelst der Druckerpresse, durch Journale und Broschüren, mich gegen die Insinuationen zu verteidigen, die er seiner ersten Denunziation zum Grunde gelegt, die er seitdem noch fortgesetzt und die er jetzt gewiß noch verdoppeln wird? Diese Ausflucht konnte damals gegen Herrn Gutzkow angewendet werden; denn damals war das bekannte Dekret des Bundestags noch nicht erschienen, und Herr Gutzkow ward auch seitdem von der Schwere desselben nicht so sehr niedergehalten wie ich. Auch waren in der Polemik desselben, da er Privatverleumdungen, Angriffe auf die Person, abzuwehren hatte, die Persönlichkeiten vorherrschend. Ich aber hätte mehr die Verleumdung meines Geistes, meiner Gefühl- und Denkweise zu besprechen, und ich könnte mich nicht verteidigen, ohne meine Ansichten von Religion und Moral unumwunden darzustellen; nur durch positive Bekenntnisse kann ich mich von den angeschuldigten Negationen, Atheismus und Immoralität, vollständigst reinigen. Und ihr wißt, wie beschränkt das Feld ist, das jetzt meine Feder beackern darf.

Wie gesagt, Herr Menzel hat mich nicht persönlich angegriffen, und ich habe wahrlich gegen ihn keinen persönlichen Groll. Wir waren sogar ehemals gute Freunde, und er hat mich oft genug wissen lassen, wie sehr er mich liebe. Er hat mir nie vorgeworfen, daß ich ein schlechter Dichter sei, und auch ich habe ihn gelobt. Ich hatte meine Freude an ihm, und ich lobte ihn in einem Journale, welches dieses Lob nicht lange überlebte. Ich war damals ein kleiner Junge, und mein größter Spaß bestand darin, daß ich Flöhe unter ein Mikroskop setzte und die Größe derselben den Leuten demonstrierte. Herr Menzel hingegen setzte damals den Goethe unter ein Verkleinerungsglas, und das machte mir ebenfalls ein kindisches Vergnügen. Die Späße des Herrn Menzel mißfielen mir nicht; er war damals witzig, und ohne just einen Hauptgedanken zu haben, eine Synthese, konnte er seine Einfälle sehr pfiffig kombinieren und gruppieren, daß es manchmal aussah, als habe er keine losen Streckverse, sondern ein Buch geschrieben. Er hatte auch einige wirkliche Verdienste um die deutsche Literatur; er stand vom Morgen bis Abend im Kote, mit dem Besen in der Hand, und fegte den Unrat, der sich in der deutschen Literatur angesammelt hatte. Durch dieses unreinliche Tagwerk aber ist er selber so schmierig und anrüchig geworden, daß man am Ende seine Nähe nicht mehr ertragen konnte; wie man den Latrinenfeger zur Türe hinausweist, wenn sein Geschäft vollbracht, so wird Herr Menzel jetzt selber zur Literatur hinausgewiesen. Zum Unglück für ihn hat das mistduftige Geschäft so völlig seine Zeit verschlungen, daß er unterdessen gar nichts Neues gelernt hat. Was soll er jetzt beginnen? Sein früheres Wissen war kaum hinreichend für den literarischen Hausbedarf; seine Unwissenheit war immer eine Zielscheibe der Mokerie für seine näheren Bekannten; nur seine Frau hatte eine große Meinung von seiner Gelehrsamkeit. Auch imponierte er ihr nicht wenig! Der Mangel an Kenntnissen und das Bedürfnis, diesen Mangel zu verbergen, hat vielleicht die meisten Irrtümer oder Schelmereien des Herrn Menzel hervorgebracht. Hätte er Griechisch verstanden, so würde es ihm nie in den Sinn gekommen sein, gegen Goethe aufzutreten. Zum Unglück war auch das Lateinische nicht seine Sache, und er mußte sich mehr ans Germanische halten, und täglich stieg seine Neigung für die Dichter des deutschen Mittelalters, für die edle Turnkunst und für Jakob Böhm, dessen deutscher Stil sehr schwer zu verstehen ist und den er auch in wissenschaftlicher Form herausgeben wollte.

Ich sage dieses nur, um die Keime und Ursprünge seiner Teutomanie nachzuweisen, nicht um ihn zu kränken; wie ich denn überhaupt, was ich wiederholen muß, nicht aus Groll oder Böswilligkeit ihn bespreche. Sind meine Worte hart, so ist es nicht meine Schuld. Es gilt, dem Publikum zu zeigen, welche Bewandtnis es hat mit jenem bramarbasierenden Helden der Nationalität, jenem Wächter des Deutschtums, der beständig auf die Franzosen schimpft und uns arme Schriftsteller des Jungen Deutschlands für lauter Franzosen und Juden erklärt hat. Für Juden, das hätte nichts zu bedeuten; wir suchen nicht die Allianz des gemeinen Pöbels, und der Höhergebildete weiß wohl, daß Leute, die man als Gegner des Deismus anklagte, keine Sympathie für die Synagoge hegen konnten; man wendet sich nicht an die überwelken Reize der Mutter, wenn einem die alternde Tochter nicht mehr behagt. Daß man uns aber als die Feinde Deutschlands, die das Vaterland an Frankreich verrieten, darstellen wollte, das war wieder ein ebenso feiges wie hinterlistiges Bubenstück.

Es sind vielleicht einige ehrliche Franzosenhasser unter dieser Meute, die uns ob unserer Sympathie für Frankreich so erbärmlich verkennen und so aberwitzig anklagen. Andere sind alte Rüden, die noch immer bellen wie Anno 1813 und deren Gekläffe eben von unserem Fortschritte zeugt. »Der Hund bellt, die Karawane marschiert«, sagt der Beduine. Sie bellen weniger aus Bosheit denn aus Gewohnheit, wie der alte räudige Hofhund, der ebenfalls jeden Fremden wütend anbelfert, gleichviel ob dieser Böses oder Gutes im Sinne führt. Die arme Bestie benutzt vielleicht diese Gelegenheit, um an ihrer Kette zu zerren und damit bedrohlich zu klirren, ohne daß es ihr der Hausherr übelnehmen darf. Die meisten aber unter jenen Franzosenhassern sind Schelme, die sich diesen Haß absichtlich angelogen, ungetreue, schamlose, unehrliche, feige Schelme, die, entblößt von allen Tugenden des deutschen Volkes, sich mit den Fehlern desselben bekleiden, um sich den Anschein des Patriotismus zu geben und in diesem Gewande die wahren Freunde des Vaterlandes gefahrlos schmähen zu dürfen. Es ist ein doppelt falsches Spiel. Die Erinnerungen der Napoleonischen Kaiserzeit sind noch nicht ganz erloschen in unserer Heimat, man hat es dort noch nicht ganz vergessen, wie derb unsere Männer und wie zärtlich unsere Weiber von den Franzosen behandelt worden, und bei der großen Menge ist der Franzosenhaß noch immer gleichbedeutend mit Vaterlandsliebe: durch ein geschicktes Ausbeuten dieses Hasses hat man also wenigstens den Pöbel auf seiner Seite, wenn man gegen junge Schriftsteller zu Felde zieht, die eine Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland zu vermitteln suchen. Freilich, dieser Haß war einst staatsnützlich, als es galt, die Fremdherrschaft zurückzudrängen; jetzt aber ist die Gefahr nicht im Westen, Frankreich bedroht nicht mehr unsere Selbständigkeit, die Franzosen von heute sind nicht mehr die Franzosen von gestern, sogar ihr Charakter ist verändert, an die Stelle der leichtsinnigen Eroberungslust trat ein schwermütiger, beinah deutscher Ernst, sie verbrüdern sich mit uns im Reiche des Geistes, während im Reiche der Materie ihre Interessen mit den unsrigen sich täglich inniger verzweigen: Frankreich ist jetzt unser natürlicher Bundesgenosse. Wer dieses nicht einsieht, ist ein Dummkopf, wer dieses einsieht und dagegen handelt, ist ein Verräter.

Aber was hatte ein Herr Menzel zu verlieren bei dem Untergange Deutschlands? Ein geliebtes Vaterland? Wo ein Stock ist, da ist des Sklaven Vaterland. Seinen unsterblichen Ruhm? Dieser erlischt in derselben Stunde, wo der Kontrakt abläuft, der ihm die Redaktion des Stuttgarter »Literaturblattes« zusichert. Ja, will der Baron Cotta eine kleine Geldsumme als stipulierte Entschädigung springen lassen, so hat die Menzelsche Unsterblichkeit schon heute ein Ende. Oder hätte er etwas für seine Person zu fürchten? Lieber Himmel! wenn die mongolischen Horden nach Stuttgart kommen, läßt Herr Menzel sich aus der Theatergarderobe ein Amorkostüm holen, bewaffnet sich mit Pfeil und Bogen, und die Baschkiren, sobald sie nur sein Gesicht sehen, rufen freudig: »Das ist unser geliebter Bruder!«

Ich habe gesagt, daß bei unseren Teutomanen der affichierte Franzosenhaß ein doppelt falsches Spiel ist. Sie bezwecken dadurch zunächst eine Popularität, die sehr wohlfeil zu erwerben ist, da man dabei weder Verlust des Amtes noch der Freiheit zu befürchten hat. Das Losdonnern gegen heimische Gewalten ist schon weit bedenklicher. Aber um für Volkstribunen zu gelten, müssen unsere Teutomanen manchmal ein freiheitliches Wort gegen die deutschen Regierungen riskieren, und in der frechen Zagheit ihres Herzens bilden sie sich ein, die Regierungen würden ihnen gern gelegentlich ein bißchen Demagogismus verzeihen, wenn sie dafür desto unablässiger den Franzosenhaß predigten. Sie ahnen nicht, daß unsere Fürsten jetzt Frankreich nicht mehr fürchten, des Nationalhasses nicht mehr als Verteidigungsmittel bedürfen und den König der Franzosen als die sicherste Stütze des monarchischen Prinzips betrachten.

Wer je seine Tage im Exil verbracht hat, die feuchtkalten Tage und schwarzen langen Nächte, wer die harten Treppen der Fremde jemals auf- und abgestiegen, der wird begreifen, weshalb ich die Verdächtigung in betreff des Patriotismus mit wortreicherem Unwillen von mir abweise als alle andern Verleumdungen, die seit vielen Jahren in so reichlicher Fülle gegen mich zum Vorschein gekommen und die ich mit Geduld und Stolz ertrage. Ich sage mit Stolz: denn ich konnte dadurch auf den hochmütigen Gedanken geraten, daß ich zu der Schar jener Auserwählten des Ruhmes gehörte, deren Andenken im Menschengeschlechte fortlebt und die überall neben den geheiligten Lichtspuren ihrer Fußstapfen auch die langen, kotigen Schatten der Verleumdung auf Erden zurücklassen.

Auch gegen die Beschuldigung des Atheismus und der Immoralität möchte ich nicht mich, sondern meine Schriften verteidigen. Aber dieses ist nicht ausführbar, ohne daß es mir gestattet wäre, von der Höhe einer Synthese meine Ansichten über Religion und Moral zu entwickeln. Hoffentlich wird mir dieses, wie ich bereits erwähnt habe, bald gestattet sein. Bis dahin erlaube ich mir nur eine Bemerkung zu meinen Gunsten. Die zwei Bücher, die eigentlich als Corpora delicti wider mich zeugen sollten und worin man die strafbaren Tendenzen finden will, deren man mich bezüchtigt, sind nicht gedruckt, wie ich sie geschrieben habe, und sind von fremder Hand so verstümmelt worden, daß ich zu einer andern Zeit, wo keine Mißdeutung zu befürchten gewesen wäre, ihre Autorschaft abgelehnt hätte. Ich spreche nämlich vom zweiten Teile des »Salon« und von der »Romantischen Schule«. Durch die großen, unzähligen Ausscheidungen, die darin stattfanden, ist die ursprüngliche Tendenz beider Bücher ganz verlorengegangen, und eine ganz verschiedene Tendenz ließ sich später hineinlegen. Worin jene ursprüngliche Tendenz bestand, sage ich nicht; aber soviel darf ich behaupten, daß es keine unpatriotische war. Namentlich im zweiten Teile des »Salon« enthielten die ausgeschiedenen Stellen eine glänzendere Anerkennung deutscher Volksgröße, als jemals der forcierte Patriotismus unserer Teutomanen zu Markte gebracht hat; in der französischen Ausgabe, im Buche »De l’Allemagne«, findet jeder die Bestätigung des Gesagten. Die französische Ausgabe der inkulpierten Bücher wird auch jeden überzeugen, daß die Tendenzen derselben nicht im Gebiete der Religion und der Moral lagen. Ja, manche Zungen beschuldigen mich der Indifferenz in betreff aller Religion- und Moralsysteme und glauben, daß mir jede Doktrin willkommen sei, wenn sie sich nur geeignet zeige, das Völkerglück Europas zu befördern oder wenigstens bei der Erkämpfung desselben als Waffe zu dienen. Man tut mir aber unrecht. Ich würde nie mit der Lüge für die Wahrheit kämpfen.

Was ist Wahrheit? »Holt mir das Waschbecken«, würde Pontius Pilatus sagen.

Ich habe diese Vorblätter in einer sonderbaren Stimmung geschrieben. Ich dachte während dem Schreiben mehr an Deutschland als an das deutsche Publikum, meine Gedanken schwebten um liebere Gegenstände, als die sind, womit sich meine Feder soeben beschäftigte… ja, ich verlor am Ende ganz und gar die Schreiblust, trat ans Fenster und betrachtete die weißen Wolken, die eben, wie ein Leichenzug, am nächtlichen Himmel dahinziehen. Eine dieser melancholischen Wolken scheint mir so bekannt und reizt mich unaufhörlich zum Nachsinnen, wann und wo ich dergleichen Luftbildung schon früher einmal gesehen. Ich glaube endlich, es war in Norddeutschland, vor sechs Jahren, kurz nach der Juliusrevolution, an jenem schmerzlichen Abend, wo ich auf immer Abschied nahm von dem treuesten Waffenbruder, von dem uneigennützigsten Freunde der Menschheit. Wohl kannte er das trübe Verhängnis, dem jeder von uns entgegenging. Als er mir zum letzten Male die Hand drückte, hub er die Augen gen Himmel, betrachtete lange jene Wolke, deren kummervolles Ebenbild mich jetzt so trübe stimmt, und wehmütigen Tones sprach er: »Nur die schlechten und die ordinären Naturen finden ihren Gewinn bei einer Revolution. Schlimmsten Falles, wenn sie etwa mißglückt, wissen sie doch immer noch zeitig den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Aber möge die Revolution gelingen oder scheitern, Männer von großem Herzen werden immer ihre Opfer sein.«

Denen, die da leiden im Vaterlande, meinen Gruß.

Geschrieben zu Paris, den 24. Januar 1837

Heinrich Heine

Der Schwabenspiegel

Vorbemerkung

Die hier mitgeteilten Blätter wurden im Beginn des Frühlings, als Nachrede zum zweiten Teil des »Buchs der Lieder« und mit der Bitte um schleunigsten Abdruck, nach Deutschland gesendet. Ich dachte nun, das Buch sei dort längst erschienen, als mir vor ein paar Wochen mein Verleger meldete, in einem süddeutschen Staate, wo er das Manuskript zur Zensur gegeben, habe man ihn während der ganzen Zeit mit dem Imprimatur hingehalten, und er schlüge mir vor, die Nachrede als besonderen Artikel in einer periodischen Publikation vorweg abdrucken zu lassen. Indem ich sie also in solcher Weise dem verehrungswürdigen Leser mitteile, glaube ich, daß er, ohne große Anstrengung seines Scharfsinns, erraten wird, warum ich seit zweiundeinhalb Jahren so vielen Schlichen und Ränken begegne, wenn ich jene Denunziatoren besprechen will, die ihrerseits, ganz ohne alle Zensur- und Redaktionsbeschränkung, den größten Teil der deutschen Pressen mißbrauchen dürfen.

Paris, im Spätherbst 1838

Nach Brauch und Sitte deutscher Dichterschaft sollte ich meiner Gedichtsammlung, die den Titel »Buch der Lieder« führt und jüngst in erneutem Abdruck erschienen ist, auch die nachfolgenden Blätter einverleiben. Aber es wollte mich bedünken, als klänge in dem »Buch der Lieder« ein Grundton, der durch Beimischung späterer Erzeugnisse seine schöne Reinheit einbüßen möchte. Diese späteren Produktionen übergebe ich daher dem Publikum als besonderen Nachtrag, und indem ich bescheidentlich fühle, daß an dem Grundton dieser zweiten Sammlung wenig zu stören ist, füge ich ein dramatisches Gedicht hinzu, welches, in einer frühesten Periode entstanden, zu einer Reihe von Dichtungen gehört, die seitdem, durch betrübsames Mißgeschick, unwiederbringlich verlorengegangen sind. Dieses dramatische Gedicht (»Ratcliff«) kann vielleicht in der Sammlung meiner poetischen Werke eine Lakune füllen und Zeugnis geben von Gefühlen, die in jenen verlorenen Dichtungen flammten oder wenigstens knisterten.

Etwas Ähnliches möchte ich in Beziehung auf das »Lied vom Tannhäuser« andeuten. Es gehört einer Periode meines Lebens, wovon ich ebenfalls wenige schriftliche Urkunden dem Publikum mitteilen kann oder vielmehr mitteilen darf.

Der Einfall, dieses Buch mit einem Konterfei meines Antlitzes zu schmücken, ist nicht von mir ausgegangen. Das Porträt des Verfassers vor den Büchern erinnert mich unwillkürlich an Genua, wo vor dem Narrenhospital die Bildsäule des Stifters aufgestellt ist. Es war mein Verleger, welcher auf die Idee geraten ist, dem Nachtrag zum »Buch der Lieder«, diesem gedruckten Narrenhause, worin meine verrückten Gedanken eingesperrt sind, mein Bildnis voranzukleben. Mein Freund Julius Campe ist ein Schalk und wollte gewiß den lieben Kleinen von der schwäbischen Dichterschule, die sich gegen mein Gesicht verschworen haben, einen Schabernack spielen… Wenn sie jetzt an meinen Liedern klauben und knuspern und die Tränen zählen, die darin vorkommen, so können sie nicht umhin, manchmal meine Züge zu betrachten. Aber warum grollt ihr mir so unversöhnbar, ihr guten Leutchen? Warum zieht ihr gegen mich los in weitschweifigen Artikeln, woran ich mich zu Tode langweilen könnte? Was habt ihr gegen mein Gesicht? Beiläufig will ich hier bemerken, daß das Porträt im »Musenalmanach« gar nicht getroffen ist. Das Bild, welches ihr heute schaut, ist weit besser, besonders der Oberteil des Gesichtes; der untere Teil ist viel zu schmächtig. Ich bin nämlich seit einiger Zeit sehr dick und wohlbeleibt geworden, und ich fürchte, ich werde bald wie ein Bürgermeister aussehn; – ach, die schwäbische Schule macht mir soviel Kummer!

Ich sehe, wie der geneigte Leser mit verwunderten Augen um Erklärung bittet, was ich unter dem Namen »schwäbische Schule« eigentlich verstehe. Was ist das, die schwäbische Schule? Es ist noch nicht lange her, daß ich selber an mehre reisende Schwaben diese Frage richtete und um Auskunft bat. Sie wollten lange nicht mit der Sprache heraus und lächelten sehr sonderbar, etwa wie die Apotheker lächeln, wenn frühmorgens am ersten April eine leichtgläubige Magd zu ihnen in den Laden kömmt und für zwei Kreuzer Mückenhonig verlangt. In meiner Einfalt glaubte ich anfangs, unter dem Namen schwäbische Schule verstünde man jenen blühenden Wald großer Männer, der dem Boden Schwabens entsprossen, jene Rieseneichen, die bis in den Mittelpunkt der Erde wurzeln und deren Wipfel hinaufragt bis an die Sterne… Und ich frug: »Nicht wahr, Schiller gehört dazu, der wilde Schöpfer, der die ›Räuber‹ schuf? …« – »Nein«, lautete die Antwort, »mit dem haben wir nichts zu schaffen, solche Räuberdichter gehören nicht zur schwäbischen Schule; bei uns geht’s hübsch ordentlich zu, und der Schiller hat auch früh aus dem Land hinaus müssen.« – »Gehört denn Schelling zur schwäbischen Schule, Schelling, der irrende Weltweise, der König Artus der Philosophie, welcher vergeblich das absolute Montsalwatsch aufsucht und verschmachten muß in der mystischen Wildnis?« – »Wir verstehen das nicht«, antwortete man mir, »aber soviel können wir Ihnen versichern, der Schelling gehört nicht zur schwäbischen Schule.« – »Gehört Hegel dazu, der Geistesweltumsegler, der unerschrocken vorgedrungen bis zum Nordpol des Gedankens, wo einem das Gehirn einfriert im abstrakten Eis?…« – »Den kennen wir gar nicht.« – »Gehört denn David Strauß dazu, der David mit der tödlichen Schleuder?…« – »Gott bewahre uns vor dem, den haben wir sogar exkommuniziert, und wollte der sich in die schwäbische Schule aufnehmen lassen, so bekäme er gewiß lauter schwarze Kugeln.«

»Aber um des Himmels willen« – rief ich aus, nachdem ich fast alle große Namen Schwabens aufgezählt hatte und bis auf alte Zeiten zurückgegangen war, bis auf Kepler, den großen Stern, der den ganzen Himmel verstanden, ja, bis auf die Hohenstaufen, die so herrlich auf Erden leuchteten, irdische Sonnen im deutschen Kaisermantel –, »wer gehört denn eigentlich zur schwäbischen Schule?«

»Wohlan«, antwortete man mir, »wir wollen Ihnen die Wahrheit sagen: die Renommeen, die Sie eben aufgezählt, sind viel mehr europäisch als schwäbisch, sie sind gleichsam ausgewandert und haben sich dem Auslande aufgedrungen, statt daß die Renommeen der schwäbischen Schule jenen Kosmopolitismus verachten und hübsch patriotisch und gemütlich zu Hause bleiben bei den Gelbveiglein und Metzelsuppen des teuren Schwabenlandes.« – Und nun kam ich endlich dahinter, von welcher bescheidenen Größe jene Berühmtheiten sind, die sich seitdem als schwäbische Schule aufgetan, in demselben Gedankenkreise umherhüpfen, sich mit denselben Gefühlen schmücken und auch Pfeifenquäste von derselben Farbe tragen.

Der Bedeutendste von ihnen ist der evangelische Pastor Gustav Schwab. Er ist ein Hering in Vergleichung mit den anderen, die nur Sardellen sind; versteht sich, Sardellen ohne Salz. Er hat einige schöne Lieder gedichtet, auch etwelche hübsche Balladen; freilich, mit einem Schiller, mit einem großen Walfisch, muß man ihn nicht vergleichen. Nach ihm kommt der Doktor Justinus Kerner, welcher Geister und vergiftete Blutwürste sieht und einmal dem Publikum aufs ernsthafteste erzählt hat, daß ein Paar Schuhe, ganz allein, ohne menschliche Hülfe, langsam durch das Zimmer gegangen sind, bis zum Bette der Seherin von Prevorst. Das fehlt noch, daß man seine Stiefel des Abends festbinden muß, damit sie einem nicht des Nachts trapp! trapp! vors Bett kommen und mit lederner Gespensterstimme die Gedichte des Herrn Justinus Kerner vordeklamieren! Letztere sind nicht ganz und gar schlecht, der Mann ist überhaupt nicht ohne Verdienst, und von ihm möchte ich dasselbe sagen, was Napoleon von Murat gesagt hat, nämlich: »Er ist ein großer Narr, aber der beste General der Kavallerie.« Ich sehe schon, wie sämtliche Insassen von Weinsberg über dieses Urteil den Kopf schütteln und mit Befremden mir entgegnen: »Unser teurer Landsmann, Herr Justinus, ist freilich ein großer Narr, aber keineswegs der beste General der Kavallerie!« Nun, wie ihr wollt, ich will euch gern einräumen, daß er kein vorzüglicher Kavalleriegeneral ist.

Herr Karl Mayer, welcher auf Latein Carolus Magnus heißt, ist ein anderer Dichter der schwäbischen Schule, und man versichert, daß er den Geist und den Charakter derselben am treuesten offenbare; er ist eine matte Fliege und besingt Maikäfer. Er soll sehr berühmt sein in der ganzen Umgegend von Waiblingen, vor dessen Toren man ihm eine Statue setzen will, und zwar eine Statue von Holz und in Lebensgröße. Dieses hölzerne Ebenbild des Sängers soll alle Jahr mit Ölfarbe neu angestrichen werden, alle Jahr, im Frühling, wenn die Gelbveiglein düften und die Maikäfer summen. Auf dem Piedestal wird die Inschrift zu lesen sein: »Dieser Ort darf nicht verunreinigt werden!«

Ein ganz ausgezeichneter Dichter der schwäbischen Schule, versichert man mir, ist Herr *** – er sei erst kürzlich zum Bewußtsein, aber noch nicht zur Erscheinung gekommen; er habe nämlich seine Gedichte noch nicht drucken lassen. Man sagt mir, er besinge nicht bloß Maikäfer, sondern sogar Lerchen und Wachteln, was gewiß sehr löblich ist. Lerchen und Wachteln sind wahrhaftig wert, daß man sie besinge, nämlich wenn sie gebraten sind. Über den Charakter und respektiven Wert der ***schen Dichtungen kann ich, solange sie noch nicht zur äußeren Erscheinung gekommen sind, gar kein Urteil fällen, ebensowenig wie über die Meisterwerke so vieler anderen großen Unbekannten der schwäbischen Schule.

Die schwäbische Schule hat wohl gefühlt, daß es ihrem Ansehen nicht schaden würde, wenn sie neben ihren großen Unbekannten, die uns nur vermittels eines Hydrogasmikroskops sichtbar werden, auch einige kleine Bekannte, einige Renommeen, die nicht bloß in der umfriedeten Heimlichkeit schwäbischer Gauen, sondern auch im übrigen Deutschland einige Geltung erworben, zu den Ihrigen zählen könnte. Sie schrieben daher an den König Ludwig von Bayern, den gekrönten Sänger, welcher aber absagen ließ. Übrigens ließ er sie freundlich grüßen und schickte ihnen ein Prachtexemplar seiner Poesien mit Goldschnitt und Einband von rotem Maroquinpapier. Hierauf wandten sich die Schwaben an den Hofrat Winkler, welcher unter dem Namen Theodor Hell seinen Dichterruhm verbreitet hat; dieser aber antwortete, seine Stellung als Herausgeber der »Abendzeitung« erlaube ihm nicht, sich in die schwäbische Schule aufnehmen zu lassen, dazu komme, daß er selber eine sächsische Schule stiften wolle, wozu er bereits eine bedeutende Anzahl poetischer Landsleute engagiert habe. In ähnlicher Weise haben auch einige berühmte Oberlausitzer und Hinterpommern die Anträge der schwäbischen Schule abgewiesen.

In dieser Not begingen die Schwaben einen wahren Schwabenstreich, sie nahmen nämlich zu Mitgliedern ihrer schwäbischen Schule einen Ungar und einen Kaschuben. Ersterer, der Ungar, nennt sich Nikolaus Lenau und ist, seit der Juliusrevolution, durch seine liberalen Bestrebungen, auch durch den anpreisenden Eifer meines Freundes Laube, zu einer Renommee gekommen, die er bis zu einem gewissen Grade verdient. Die Ungarn haben jedenfalls viel dadurch verloren, daß ihr Landsmann Lenau unter die Schwaben gegangen ist; indessen, solange sie ihren Tokaier behalten, können sie sich über diesen Verlust trösten.

Die andere Akquisition der schwäbischen Schule ist minder brillant; sie besteht nämlich in der Person des gefeierten Wolfgang Menzel, welcher unter den Kaschuben das Licht erblickt, an den Marken Polens und Deutschlands, an jener Grenze, wo der germanische Flegel den slawischen Flegel versteht, wie der alte Voß sagen würde, der alte Johann Heinrich Voß, der ungeschlachte, aber ehrliche sächsische Bauer, der, wie in seiner Gesichtsbildung, so auch in seinem Gemüte, die Merkmale des Deutschtums trug. Daß dieses bei Herrn Wolfgang Menzel nicht der Fall ist, daß er weder dem Äußeren noch dem Inneren nach ein Deutscher ist, habe ich in der kleinen allerliebsten Schrift »Über den Denunzianten« gehörig bewiesen. Ich hätte, beiläufig gestanden, diese kleine Schrift nicht herausgegeben, wenn mir die Abhandlungen über denselben Gegenstand, die großen Bomben von Ludwig Börne und David Strauß, vorher zu Gesicht gekommen wären. Aber dieser kleinen Schrift, welche die Vorrede zum dritten Teile des »Salons« bilden sollte, ward von dem Zensor dieses Buches das Imprimatur verweigert – »aus Pietät gegen Wolfgang Menzel« –, und das arme Ding, obgleich in politischer und religiöser Beziehung zahm genug abgefaßt, mußte während sieben Monaten von einem Zensor zum andern wandern, bis es endlich notdürftig unter die Haube kam. Wenn du, geneigter Leser, das Büchlein in der Buchhandlung von Hoffmann und Campe zu Hamburg selber holst, so wird dir dort mein Freund Julius Campe bereitwillig erzählen, wie schwer es war, den »Denunzianten« in die Presse zu bringen, wie das Ansehen desselben durch gewisse Autoritäten geschützt werden sollte und wie endlich durch unableugbare Urkunden, durch ein Autograph des Denunzianten, das sich in den Händen von Theodor Mundt befindet, der Titel meiner Schrift aufs glänzendste gerechtfertigt wird. Was der Gefeierte dagegen vorgebracht hat, ist dir vielleicht bekannt, mein teurer Leser. Als ich ihm, Stück vor Stück, die Fetzen des falschen Patriotismus und der erlogenen Moral vom Leibe riß – da erhub er wieder ein ungeheures Geschrei: die Religion sei in Gefahr, die Pfeiler der Kirche brächen zusammen, Heinrich Heine richte das Christentum zugrunde! Ich habe herzlich lachen müssen, denn dieses Zetergeschrei erinnerte mich an einen andern armen Sünder, der auf dem Marktplatz zu Lübeck mit Staupenschlag und Brandmark abgestraft wurde und plötzlich, als das rote Eisen seinen Rücken berührte, ein entsetzliches Mordio erhob und beständig schrie: »Feuer! Feuer! Es brennt, es brennt, die Kirche steht in Flammen!« Die alten Weiber erschraken auch diesmal über solchen Feuerlärm, vernünftige Leute aber lachten und sprachen: »Der arme Schelm! nur sein eigner Rücken ist entzündet, die Kirche steht sicher auf ihrem alten Platze, auch hat dort die Polizei, aus Furcht vor Brandstiftung, noch einige Spritzen aufgestellt, und aus frommer Vorsorge darf jetzt in der Nähe der Religion nicht einmal eine Zigarre geraucht werden!« Wahrlich, das Christentum ward nie ängstlicher geschützt als eben jetzt.

Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, dem Gerüchte zu widersprechen, als habe Herr Wolfgang Menzel, auf Andrang seiner Kollegen, sich endlich entschlossen, jene Großmut zu benutzen, womit ich ihm gestattete, sich wenigstens von dem Vorwurf der persönlichen Feigheit zu reinigen. Ehrlich gestanden, ich war immer darauf gefaßt, daß mir Ort und Zeit anberaumt würde, wo der Ritter der Vaterlandsliebe, des Glaubens und der Tugend sich bewähren wolle in all seiner Mannhaftigkeit. Aber leider bis auf diese Stunde wartete ich vergebens, und die Witzlinge in deutschen Blättern mokierten sich obendrein über meine Leichtgläubigkeit. Spottvögel haben sich sogar den Spaß erlaubt, mir im Namen der unglücklichen Gattin des Denunzianten einen Brief zu schreiben, worin die arme Frau sich über die häuslichen Nöten, die sie seit dem Erscheinen meiner kleinen Schrift zu erdulden habe, schmerzlich beklagt. Jetzt sei gar kein Auskommen mehr mit ihrem Manne, der zu Hause zeigen wolle, daß er ein Held sei. Die geringste Anspielung auf Feigheit brächte ihn zur Wut. Eines Abends habe er das kleine Kind geprügelt, weil es »Häschen an der Wand« spielte. Jüngst sei er wie rasend aus der Ständekammer gekommen und habe wie ein Ajax getobt, weil dort alle Blicke auf ihn gerichtet gewesen, als die Gesetzfrage, »ob man jemanden ungestraft dem öffentlichen Gelächter preisgeben dürfe«, diskutiert wurde. Ein andermal habe er bitterlich geweint, als einer von den undankbaren Juden, die er emanzipieren wolle, ihm ins Gesicht gemauschelt: »Sie sind doch kein Patriot, Sie tun nichts fürs Volk, Sie sind nicht der Ätte, sondern die Memme des Vaterlandes.« Aber gar des Nachts beginne der rechte Jammer, und dann seufze er und wimmere und stöhne, daß sich ein Stein drob erbarmen könnte. Das sei nicht länger zum Aushalten, schloß der angebliche Brief der armen Frau, sie wolle lieber sterben als diesen Zustand länger ertragen, und um der Sache ein Ende zu machen, sei sie erbötig, statt ihres furchtsamen Gemahls sich selber mit mir zu schlagen. Gehorsame Dienerin.

Als ich diesen Brief las und in meiner Einfalt die offenbare Mystifikation nicht gleich merkte, rief ich mit Begeisterung: »Edles Weib! würdige Schwäbin! würdig deiner Mütter, die einst zu Weinsberg ihre Männer huckepack trugen!«

Die Weiber im Schwabenlande scheinen überhaupt mehr Energie zu besitzen als ihre Männer, die nicht selten nur auf Geheiß ihrer Ehehälften zum Schwerte greifen. Weiß ich doch eine schöne Schwäbin, die mir seit Jahren wütender als zwanzig Teufel den Krieg macht und mich mit unversöhnlicher Feindschaft verfolgt.

Ein Naturforscher hat ganz richtig die Bemerkung gemacht, daß im Sommer, besonders in den Hundstagen, weit mehr gegen mich geschrieben wird als im Winter.

Daß es nicht die altpoetische Vornehmigkeit ist, welche mich davon abhält, dergleichen Angriffe zu besprechen, habe ich bereits an einem anderen Orte erwähnt. Einesteils liegt mir ein gewisser Knebel im Munde, sobald ich mich gegen Anschuldigung von Immoralität oder irreligiöser Frivolität oder gar politischer Inkonsequenz, durch Erörterung der letzten Gründe von all meinem Tichten und Trachten, verteidigen wollte. Anderenteils befinde ich mich meinen Widersachern gegenüber in derselben Lage, die Freund Semilasso irgendwo in seiner afrikanischen Reisebeschreibung mit der richtigen Empfindung erwähnt. Er erzählt uns nämlich, daß, als er in einem Beduinenlager übernachtete, rings um sein Zelt eine große Menge Hunde unaufhörlich bellten und heulten und winselten, was ihn aber am Schlafen gar nicht gehindert habe; »wär es nur ein einziger Kläffer gewesen«, setzt er hinzu, »so hätte ich die ganze Nacht kein Auge zutun können.« Das ist es: weil der Kläffer so viele sind und weil der Mops den Spitz, dieser wieder den gemütlichen Dachs, letzterer das edle Windspiel oder die fromme Dogge überbellt und die schnöden Laute der verschiedenen Bestien im Gesamtgeheul verlorengehen, kann mir ein ganzer Hundelärm wenig anhaben.

Nein, Herr Gustav Pfizer ebensowenig wie die anderen hat mir jemals den Schlaf gekostet, und man darf es mir aufs Wort glauben, daß bei Erwähnung dieses Dichterlings auch nicht die mindeste Bitterkeit in meiner Seele waltet. Aber ich kann ihn, der Vollständigkeit wegen, nicht unerwähnt lassen; die schwäbische Schule zählt ihn nämlich zu den Ihrigen, was mir sonderbar genug dünkt, da er, im Gegensatze zu dieser Genossenschaft, mehr als reflektierende Fledermaus denn als gemütlicher Maikäfer umherflattert und viel mehr nach der Schillerschen Totengruft als nach Gelbveiglein riecht. Mir wurden mal seine Gedichte aus Stuttgart zugeschickt, und die freundlichen Begleitungszeilen veranlaßten mich, einen flüchtigen Blick hineinzuwerfen; ich fand sie herzlich schlecht. Dasselbe kann ich auch von seiner Prosa sagen; sie ist herzlich schlecht. Ich gestehe freilich, daß ich nichts anderes von ihm gelesen habe als eine Abhandlung, die er gegen mich geschrieben. Sie ist geistlos und unbeholfen und miserabel stilisiert; letzteres ist um so unverzeihlicher, da die ganze Schule die Materialien dazu kotisiert. Das Beste in der ganzen Abhandlung ist der wohlbekannte Kniff, womit man verstümmelte Sätze aus den heterogensten Schriften eines Autors zusammenstellt, um demselben jede beliebige Gesinnung oder Gesinnungslosigkeit aufzubürden. Freilich, der Kniff ist nicht neu, doch bleibt er immer probat, da von seiten des angefochtenen Autors keine Widerlegung möglich ist, wenn er nicht etwa ganze Folianten schreiben wollte, um zu beweisen, daß der eine von den angeführten Sätzen humoristisch gemeint, der andere zwar ernst gemeint sei, aber sich auf einen Vordersatz beziehe, der ihm eben seine richtige Bedeutung verleiht; daß ferner die aneinandergereihten Sätze nicht bloß aus ihrem logischen, sondern auch aus ihrem chronologischen Zusammenhang gerissen worden, um einige scheinbare Widersprüche hervorzuklauben; daß aber eben diese Widersprüche von der höchsten Konsequenz zeugen würden, wenn man Zeitfolge, Zeitumstände, Zeitbedingungen bedächte – ach! wenn man bedächte, wie die Strategie eines Autors, der für die Sache der europäischen Freiheit kämpft, wunderlich verwickelt ist, wie seine Taktik allen möglichen Veränderungen unterworfen, wie er heute etwas als äußerst wichtig verfechten muß, was ihm morgen ganz gleichgültig sein kann, wie er heute diesen Punkt, morgen einen andern zu beschützen oder anzugreifen hat, je nachdem es die Stellung der Gegenpartei, die wechselnden Allianzen, die Siege oder die Niederlagen des Tages erfordern!

Das einzige Neue und Eigentümliche, was ich in der obenerwähnten Abhandlung des Herrn Gustav Pfizer gefunden habe, war hie und da nicht bloß eine listige Verkehrung des Wortsinnes meiner Schriften, sondern sogar die Fälschung meiner Worte selbst – dieses ist neu, ist eigentümlich, wenigstens bis jetzt hat man in Deutschland noch nicht einen Autor mit verfälschten Worten zitiert. Doch Herr Gustav Pfizer scheint noch ein junger Anfänger zu sein, es juckt ihm zwar die Begabnis des Fälschens in den Fingern, doch merkt man an ihm noch eine gewisse Befangenheit in der Ausübung, und wenn er z.B. »Hostien« zitiert statt der gewöhnlichen »Oblaten« des Originaltextes oder mehrmals »göttlich« zitiert statt des ursprünglichen »vortrefflich« – so weiß er doch noch nicht recht, welchen Gebrauch er von solcher Fälschung machen kann. Er ist ein junger Anfänger. Aber sein Talent ist unleugbar, er hat es hinlänglich offenbart, die geziemendste Anerkennung darf ihm nicht verweigert werden, er verdient, daß ihm Wolfgang Menzel, mit der tapferen Hand, seinen schäbigsten Lorbeerkranz aufs Haupt drückt.

Indessen, ehrlich gestanden, ich rate ihm, sein Talent nicht bedeutender auszubilden. Es könnte ihn einst das Gelüste anwandeln, jenes edle Talent auch auf außerliterärische Gegenstände anzuwenden. Es gibt Länder, wo dergleichen mit einem Halsband von Hanf belohne wird. Ich sah zu Old Bailey in London jemanden hängen, der ein falsches Zitat unter einen Wechsel geschrieben hatte – und der arme Schelm mochte es wohl aus Hunger getan haben, nicht aus Büberei oder aus eitel Neid oder gar, um eine kleine Lobspende im Stuttgarter »Literaturblatt«, ein literärisches Trinkgeld, zu verdienen. Ich hatte deshalb Mitleid mit dem armen Schelm, bei dessen Exekution sehr viele Zögerungen vorfielen. Es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, daß das Hängen in England so schnell vonstatten gehe. Die Zubereitungen dauerten fast eine Viertelstunde. Ich ärgere mich noch heute, wenn ich daran denke, mit welcher Langsamkeit dem armen Menschen die Schlinge um den Hals gelegt und die weiße Nachtmütze über die Augen gezogen wurde. Neben ihm standen seine Freunde, vielleicht die Genossen der Schule, wozu er gehörte, und harrten des Augenblicks, wo sie ihm den Liebesdienst erweisen konnten; dieser Liebesdienst besteht darin, daß sie den gehenkten Freund, um seine zuckende Todesqual abzukürzen, so stark als möglich an den Beinen ziehen.

Ich habe von Herrn Gustav Pfizer geredet, weil ich ihn, bei Besprechung der schwäbischen Schule, nicht füglich übergehen konnte. Soviel darf ich versichern, daß ich in der Heiterkeit meines Herzens nicht den mindesten Unmut wider Herrn Pfizer empfinde. Im Gegenteil, sollte ich je imstande sein, ihm einen Liebesdienst zu erweisen, so werde ich ihn gewiß nicht lange zappeln lassen.

– – – Und nun laß uns ernsthaft reden, lieber Leser; was ich dir jetzt noch zu sagen habe, verträgt sich nicht mit dem scherzenden Tone, mit der leichtsinnig guten Laune, die mich beseelte, während ich diese Blätter schrieb. Es liegt mir drückend etwas im Sinne, was ich nicht mit ganz freier Zunge zu erörtern vermag und worüber dennoch das unzweideutigste Geständnis nötig wäre. Ich hege nämlich eine wahre Scheu, bei Gelegenheit – der schwäbischen Schule auch von Ludwig Uhland zu sprechen, von dem großen Dichter, den ich schier zu beleidigen fürchte, wenn ich seiner in so kläglicher Gesellschaft gedenke. Und dennoch, da die erwähnten Dichterlinge den Ludwig Uhland zu den Ihrigen zählen oder gar für ein Haupt ihrer Genossen ausgeben, so könnte man hier jedes Verschweigen seines Namens als eine Unredlichkeit betrachten. Weit entfernt, an seinem Werte zu mäkeln, möchte ich vielmehr die Verehrung, die ich seinen Dichtungen zolle, mit den volltönendsten Worten an den Tag geben. Es wird sich mir bald dazu eine passendere Gelegenheit bieten. Ich werde alsdann zur Genüge zeigen, daß sich in meiner früheren Beurteilung des trefflichen Sängers zwar einige grämliche Töne, einige zeitliche Verstimmungen einschleichen konnten, daß ich aber nie die Absicht hegte, an seinem inneren Werte, an seinem Talente selbst, eine Ungerechtigkeit zu begehen. Nur über die literärhistorischen Beziehungen, über die äußeren Verhältnisse seiner Muse, habe ich unumwunden eine Ansicht, die vielleicht seinen Freunden mißfällig, aber darum dennoch nicht minder wahr ist, aussprechen müssen. Als ich nämlich Ludwig Uhland im Zusammenhang mit der »Romantischen Schule« in dem Buche, welches ebendiesen Namen führt, flüchtig beurteilte, habe ich deutlich genug nachgewiesen, daß der vortreffliche Sänger nicht eine neue, eigentümliche Sangesart aufgebracht hat, sondern nur die Töne der romantischen Schule gelehrig nachsprach; daß, seitdem die Lieder seiner Schulgenossen verschollen sind, Uhlands Gedichtesammlung als das einzig überlebende lyrische Denkmal jener Töne der romantischen Schule zu betrachten ist; daß aber der Dichter selbst, ebensogut wie die ganze Schule, längst tot ist. Ebensogut wie Schlegel, Tieck, wie Fouqué ist auch Uhland längst verstorben und hat vor jenen edlen Leichen nur das größere Verdienst, daß er seinen Tod wohl begriffen und seit zwanzig Jahren nichts mehr geschrieben hat. Es ist wahrlich ein ebenso widerwärtiges wie lächerliches Schauspiel, wenn jetzt meine schwäbischen Dichterlinge den Uhland zu den Ihrigen zählen, wenn sie den großen Toten aus seinem Grabmal hervorholen, ihm ein Fallhütchen aufs Haupt stülpen und ihn in ihr niedriges Schulstübchen hereinzerren – oder wenn sie gar den erblichenen Helden, wohlgeharnischt, aufs hohe Pferd packen, wie einst die Spanier ihren Cid, und solchermaßen gegen die Ungläubigen, gegen die Verächter der schwäbischen Schule, losrennen lassen!

Das fehlt mir noch, daß ich auch im Gebiete der Kunst mit Toten zu kämpfen hätte! Leider muß ich es oft genug in anderen Gebieten, und ich versichere euch, bei allen Schmerzen meiner Seele, solcher Kampf ist der fatalste und verdrießlichste. Da ist keine glühende Ungeduld, die da hetzt Hieb auf Hieb, bis die Kämpfer wie trunken hinsinken und verbluten. Ach, die Toten ermüden uns mehr, als sie uns verwunden, und der Streit verwandelt sich am Ende in eine fechtende Langeweile. Kennst du die Geschichte von dem jungen Ritter, der in den Zauberwald zog? Sein Haar war goldig, auf seinem Helm wehten die kecken Federn, unter dem Gitter des Visiers glühten die roten Wangen, und unter dem blanken Harnisch pochte der frischeste Mut. In dem Walde aber flüsterten die Winde sehr sonderbar. Gar unheimlich schüttelten sich die Bäume, die manchmal, häßlich verwachsen, an menschliche Mißbildungen erinnerten. Aus dem Laubwerk guckte hie und da ein gespenstisch weißer Vogel, der fast verhöhnend kicherte und lachte. Allerlei Fabelgetier huschte schattenhaft durch die Büsche. Mitunter freilich zwitscherte auch mancher harmlose Zeisig und nickte aus den breitblättrigen Schlingpflanzen manch stille schöne Blume. Der junge Fant aber, immer weiter vordringend, rief endlich mit Übertrotz: »Wann erscheint denn der Kämpe, der mich besiegen kann?« Da kam, nicht eben rüstig, aber doch nicht allzu schlotterig, herangezogen ein langer, magerer Ritter mit geschlossenem Visier und stellte sich zum Kampfe. Sein Helmbusch war geknickt, sein Harnisch war eher verwittert als schlecht, sein Schwert war schartig, aber vom besten Stahl, und sein Arm war stark. Ich weiß nicht, wie lange die beiden miteinander fochten, doch es mag wohl geraume Zeit gedauert haben, denn die Blätter fielen unterdessen von den Bäumen, und diese standen lange kahl und frierend, und dann knospeten sie wieder aufs neue und grünten im Sonnenschein, und so wechselten die Jahrzeiten – ohne daß sie es merkten, die beiden Kämpfer, die beständig aufeinander loshieben, anfangs unbarmherzig wild, später minder heftig, dann sogar etwas phlegmatisch, bis sie endlich ganz und gar die Schwerter sinken ließen und erschöpft ihre Helmgitter aufschlossen – das gewährte einen betrübenden Anblick! Der eine Ritter, der herausgeforderte Kämpe, war ein Toter, und aus dem geöffneten Visier grinste ein fleischloser Schädel. Der andere Ritter, der als junger Fant in den Wald gezogen, trug jetzt ein verfallen fahles Greisenantlitz, und sein Haar war schneeweiß. – Von den hohen Bäumen herab, wie verhöhnend, kicherte und lachte das gespenstisch weiße Gevögel.

Geschrieben zu Paris, im Wonnemond 1838

Schriftstellernöten

Offener Brief des Dr. Heine an Herrn Julius Campe, Inhaber der Hoffmann und Campeschen Buchhandlung zu Hamburg

Mein liebster Campe!

Wenn Sie oder andere darauf gerechnet haben, daß mir der »Telegraph« des Herrn Gutzkow hier nicht zu Gesicht komme, irrten Sie sich. Dasselbe ist der Fall, wenn Sie sicher darauf bauten, daß ich auf die darin abgedruckte Erklärung in betreff des »Schwabenspiegels«, aus persönlichen Rücksichten, nichts erwidern würde. Enthielte jene Erklärung nur eine rohe Beleidigung, so würde ich gewiß schweigen, alter Freundschaft willen, auch aus angeborener Milde die aufbrausenden Mißlaunen des Gemütes gern entschuldigend, zumal in dieser schweren Zeit, wo soviel Widerwärtigkeiten wie auf den Schriftsteller, so auch auf den Buchhändler eindringen und einer dem andern, wenigstens der Vernünftigere dem Leidenschaftlichern, manche Unbill verzeihen sollte… Aber, liebster Freund, wenn ich auch, alle Empfindlichkeit besiegend, die rohe Beleidigung ruhig hinnähme, so ist doch Ihre Erklärung von der Art, daß sie allerlei bedenkliche Interpretationen zuläßt, die das Ansehen meines Wortes und also auch jene heiligen Interessen, denen mein Wort gewidmet ist, gefährden können. Nur als Abwehr jener Interpretationen schreibe ich Ihnen diesen offenen Brief.

Ich machte in der »Zeitung für die elegante Welt« dem Publikum die Anzeige, das bei Ihnen erschienene »Jahrbuch der Literatur« enthalte einen Aufsatz von mir, betitelt »Schwabenspiegel«, welcher im Interesse der darin besprochenen Personnagen, durch die heimlichen Umtriebe ihrer Wahlverwandten, dergestalt verstümmelt worden, daß ich die Autorschaft desselben nicht mehr vertreten könne. – Hierauf, liebster Campe, ließen Sie im »Telegraphen« des Herrn Gutzkow die Erklärung drucken, jene Verstümmelungen fielen lediglich der königlich sächsischen Zensur zur Last!, und Sie setzten hinzu die Worte: »Wir bemerken dieses deswegen, um den Gegnern Heinrich Heines deutlich zu machen, was sie unter der heimlichen Betriebsamkeit ihrer Wahlverwandten zu verstehen haben.«

Zunächst also widersprechen Sie mir, und zwar ganz apodiktisch, von oben herab, ohne Angabe irgendeines Beweises, der etwa Ihre Aussage bestätige. Ich könnte nun Ihrem kargen Nein ein ebenso kurzes Ja entgegensetzen, und es käme alsdann darauf an, wessen Wort in Deutschland den meisten Glauben fände. Aber, wie ich schon erwähnt habe, ich will zu der rohen Beleidigung kein Seitenstück liefern, ich will Sie nicht der Unwahrheit, sondern nur des Irrtums zeihen, und bei diesem betrübsamen Geschäfte stütze ich mich nicht auf meine individuelle Glaubwürdigkeit, sondern nur auf Tatsachen, die Sie selbst anerkannt, und auf die allerhöchste Autorität der Logik. Das Faktum der erwähnten Umtriebe steht daher nicht direkt in Frage; später, wenn die Einmischung mancher Personen weniger indiskret und meine Furcht vor einer gewissen roten Kreide weniger hemmend sein wird, werde ich auf jenes Faktum zurückkehren. Heute beschränke ich mich auf einige Erörterungen, wonach das Publikum selbst beurteilen möge, ob Sie, teurer Freund, hinlänglich berechtigt waren, meinen Worten in der erwähnten inoffiziosen Weise zu widersprechen.

Ich gestehe Ihnen, ich wollte kaum meinen Augen trauen, als mir im »Telegraphen« die besagte Erklärung zu Gesicht kam. Hätte ich nicht längst gewußt, unter welchen Einflüssen Sie stehen, wahrhaftig, die größten Besorgnisse für die Gesundheit Ihres Hauptes wären in mir aufgestiegen. Armer Freund! als Sie jene Erklärung schrieben oder unterschrieben, litten Sie jedenfalls an einer entsetzlichen Untreue des Gedächtnisses, Sie hatten ganz vergessen, was in Ihren jüngsten Briefen steht, und am allerwenigsten erinnerten Sie sich dessen, was Sie mir zu anderen Zeiten schrieben, wo ich ebenfalls über Verstümmelung meiner Schriften Klage führte. In der Tat, es war Ihre Schuld, wenn solche Klagen sich mehrmals wiederholten, wenn ich, getränkt von diesen Bitternissen, alle Lust und Freude an der leidigen Schriftstellerei einbüßte, wenn ich lieber mit verbissenen Lippen ganz schwieg, als daß ich mein gefälschtes Wort den schmählichsten Mißverständnissen bloßstellte. Das fing an mit den »Französischen Zuständen«. Milde und billigdenkend, wie ich bin, verzieh ich Ihnen gern die ungeheuren Verwüstungen in der Vorrede; Sie gestanden mir, daß Sie letztere, um großen Ungelegenheiten vorzubeugen, der Zensur überliefert, obgleich das Buch über zwanzig Druckbogen enthielt… Sie waren damals eben in den heiligen Ehestand getreten, hatten jetzt Frau und Kind, und ich konnte Sie nicht geradezu verdammen. Ich berücksichtigte auch bei meiner nächsten Publikation diese veränderte Lage des vermählten Verlegers, und den ersten Teil des »Salons« konnten Sie getrost ohne die Vorsichtsmaßregel der Zensur in Druck geben. Sie hatten mich sicher gemacht, und vertrauungsvoll schickte ich Ihnen den zweiten Teil des »Salons«, der ebenfalls über zwanzig Bogen stark und keiner Zensur unterworfen war; auch hatten Sie damals wieder so viel Keckes in die Welt hineingedruckt, z.B. Börnes Briefe, daß ich meinte, der Campe sei wieder der alte Campe… Aber ich verrechnete mich, eben weil Sie so viele ultraliberale Bücher und Büchlein verlegt hatten, glaubten Sie bedeutend einlenken zu müssen, und es war eben mein armer zweiter Band des »Salons«, den Sie sakrifizierten, den Sie auf den Altar der Zensur niederlegten, als Sühnopfer für Ihre Preßsünden. Das Buch wurde gehörig abgeschlachtet und dergestalt vermetzgert, daß seine ganze patriotische Bedeutung verlorenging, daß man eine gewisse theologische Polemik, die bittere Schale, für den eigentlichen Kern desselben halten konnte, daß dadurch zur Verkennung und zur Verleumdung meines Strebens vollauf Gelegenheit gegeben ward. In der Anzeige, die ich deshalb publizierte, mochte ich vielleicht zu weit gehen, indem ich das mir widerfahrene Mißgeschick Ihnen allein zur Last legte; aber ganz konnte ich Sie niemals von aller Schuld freisprechen. Wir brouillierten uns damals und versöhnten uns wieder, flickten das geborstene Zutrauen, und bald darauf sandte ich Ihnen »Die romantische Schule«, die Sie ebenfalls druckten… nachdem Sie dieselbe aus plötzlicher Angst, Gott weiß an welchem Orte, wieder zur Zensur geliefert und an Leib und Leben verstümmeln ließen! Diesmal brauchte ich mich etwas weniger zu ärgern, da unter dem Titel »Zur Geschichte der neuern schönen Literatur« in einer hier zu Paris erschienenen Ausgabe der unverstümmelte Text jenes Buches zum größten Teil enthalten und ich mich also vor boshaften Mißdeutungen einigermaßen geschützt glaubte. Auch war Ihre Furcht vor greller Verantwortlichkeit damals nicht ungegründet, eine gewisse Schwüle verkündigte das Gewitter, welches bald darauf, als Bundestagbeschluß gegen das Junge Deutschland, bei uns einschlug. Während es schon donnerte und gelinde blitzte, reichte ich Ihnen die versöhnliche Hand, zuckte die Achsel, unterwarf mich den regierenden Sternen, der fatalen Notwendigkeit, und beschloß, hinfüro nur leichte Phantasiespiele drucken zu lassen, die, aller politischen Beziehungen bar, überall die Zensur passieren würden…

Mit solcher Resignation schickte ich Ihnen den dritten Teil des »Salons«, welcher eine harmlose Märchensammlung und eine literarisch wilde, doch politisch sehr zahme Vorrede enthielt; das Buch erlangte wirklich das volle Imprimatur, bis auf die Vorrede, womit sich sonderbare Dinge zutrugen. Diese war nämlich gegen den Stuttgarter Denunzianten gerichtet, und derselbe, wie ich erst später erfuhr, genoß damals bei gewissen Behörden eines außerordentlichen Schutzes. Freilich, der Angeber muß vom Staate geschützt werden, wenn er auch der erbärmlichste Schuft ist; sonst ist keine Polizei möglich. Zum Unglück für meine arme Vorrede ward dem erwähnten Denunzianten noch außerdem, durch die heimlichen Umtriebe seiner Wahlverwandten, überall Vorschub geleistet. Er stand nicht allein; so wie seine Denunziationen nicht bloß öffentlicher Art waren, so hatte er auch eine Menge im Dunkel einherschleichender Gehülfen. Ja, jene Denunziationen waren nicht bloß öffentlicher Art, bestanden nicht bloß in gedruckten Artikeln; vielleicht erinnern Sie sich, daß Sie sich damals erboten, mir einen eigenhändigen Brief zu verschaffen, den Herr Wolfgang Menzel kurz vor dem Erscheinen der Bundestagsbeschlüsse an Theodor Mundt geschrieben und worin er blödsinnigerweise seine häscherlichen Schelmereien selber verriet.

Aber Sie vergessen alles, lieber Campe, Sie vergessen sogar, daß Sie selber, bei Gelegenheit der Vorrede zum dritten Teile des »Salons«, gegen die geheimen Umtriebe der Menzelschen Wahlverwandten mit aller Macht zu kämpfen hatten und dergleichen nur durch Gegenlist vereiteln konnten. Namentlich beklagten Sie sich damals über einen gewissen Dr. Adrian, Zensor in Gießen, wohin Sie das Buch zum Druck gegeben; auf ihn warfen Sie die Schuld, daß der Inhalt, der bis zum Erscheinen desselben ein Geheimnis bleiben sollte, schon gleich in Stuttgart bekannt wurde. In Ihrem Briefe vom 21. Oktober 1836 schrieben Sie mir:

»Gesagt habe ich Ihnen, daß Adrian Ihr Zensor in Gießen ist, derselbe, der ›Bilder aus England‹ schrieb. Dieser gab in den ›Phönix‹ eine Notiz, daß der ›Salon‹ III mit hessischer Zensur in Gießen gedruckt würde. Ich mittelte das aus und habe durch den Redakteur Duller den Beweis in Händen, daß er es mitteilte. Diese Notiz ging in andre Blätter über und könnte so die Konfiskation des Ganzen zur Folge haben. Die Absicht dieser Insinuation liegt nicht tief.«

In einem späteren Briefe klagten Sie, daß man Sie mit dem Imprimatur monatelang hinhalte – (in der Tat, es verflossen über neun Monate, ehe das Buch erschien) –, und Ihr Verdacht steigerte sich. Endlich, nachdem man Sie lange an der Nase herumgeführt, schrieben Sie mir folgendes in Ihrem Briefe vom 5. April 1837:

»Denken Sie, Adrian will das Imprimatur nicht für die Vorrede erteilen. Der Drucker hat an das Ministerium requiriert. Die Minister haben gelacht, aber so ein H……tt, der ›Skizzen aus England‹ schreibt, ist auf seinem Posten allmächtig, sein Rezensent Menzel gilt ihm mehr als Heine, er will also Pietät üben.«

Diese Erinnerungen mögen Ihnen einen ungefähren Begriff davon geben, was ich unter dem Ausdruck »die geheimen Umtriebe der Wahlverwandten« eigentlich verstehe. Eine präzise Definition ist hier unmöglich. Das sind Dinge, die weit eher gerochen als gesehen und betastet werden. Sie könnten mir ebensogut zumuten, den Wind mit fester Hand zu erfassen oder die Dunkelheit zu beleuchten… Es kann mir da wohl begegnen, daß, sowie ich mit der Laterne herankomme, die Schatten, die ich jedem zeigen wollte, spurlos verschwunden sind.

Polemische Arbeiten, wobei das Interesse des Augenblicks in Anspruch genommen wird, verlieren durch Verzögerung des Drucks den besten Teil ihres Wertes; nichtsdestoweniger dankte ich Ihnen, daß Sie unter dem Titel »Über den Denunzianten« die erwähnte Vorrede des dritten »Salon«-Teils als Broschüre unverstümmelt herausgaben. Ich schöpfte wieder neuen Glauben an Ihren Druckmut, ich ward wieder sicher. Nicht wenig mußte ich mich daher verwundern, als ich, bei Ihnen anfragend, wie es mit dem Druck des zweiten Bandes des »Buchs der Lieder« aussehe, die Antwort erhielt: Nicht so dumm, diesmal sei das Manuskript nicht nach Gießen zur Zensur geschickt worden, sondern nach Darmstadt, und von dort wäre noch keine Nachricht angelangt. Ich mußte herzlich lachen, daß der heldenmütige Verleger der Börneschen Schriften jetzt sogar meine harmlosen Liebeslieder zur Zensur gibt… Aber meine gute Laune schwand, als ich, der ich nichts von Geographie verstehe, mich bei einem ehemaligen deutschen Lohnkutscher näher erkundigte und den Bescheid empfing: Darmstadt und Gießen, das sei wie Speck und Schweinefleisch, da sei kein Unterschied, ein Torzettel aus Darmstadt gelte auch in Gießen, und der Gießener Gassenvogt sei ein leiblicher Vetter des Herrn Zollinspektors zu Darmstadt. Ich ward daher nicht sonderlich überrascht, als ich nach mehreren Monaten von Ihnen den Klagebrief erhielt, man habe wieder Sie an der Nase herumgeführt und das Imprimatur verweigert. Da ich zu diesem Buche eine Nachrede geschrieben, die, polemischen Inhalts, durch solche Druckverzögerung das Interesse der Aktualität schon ein bißchen eingebüßt hatte, gab ich gern Ihrem Vorschlage Gehör, diese Nachrede in einem »Jahrbuch der Literatur«, welches Sie im Oktober auszugeben versprachen, gleich abdrucken zu lassen. Leider besitze ich den hier erwähnten Brief nur zum Teil, da ich mich bei Empfang desselben in der Bretagne befand und eine Stelle des Briefes, welche Herrn D. betraf, ausschnitt und demselben nach Paris zuschickte; es befindet sich daher im Briefe eine Lücke, was mir sehr leid ist; denn ich möchte gern die Originalworte anführen, womit Sie mir den treuesten Abdruck meiner Nachrede versprachen und mir zugleich über Herrn Gutzkow ein sehr naives Geständnis machten. Der Brief ist vom 9. August 1838, und folgende Worte haben sich darin erhalten:

»Mit Gutzkow habe ich heute abend ein Unternehmen ausgeheckt, das für die Interessen der Literatur von Wichtigkeit sein wird; nämlich ein ›Jahrbuch der Literatur‹, das im Oktober dieses Jahrs ausgegeben werden soll und künftig alle Jahre folgen wird. Wir haben Journale, Monats- und Quartalschriften genug – Was diese sich erlauben, wissen die zur Fahne Gehörenden zur Gnüge. Das Jahrbuch soll in letzter Instanz entscheiden, die Akten mustern. Ihre Nachrede würde hierin ganz am richtigen Platze sich befinden. Gutzkow trug mir auf, das Ihnen zu sagen. Rosenkranz, Jung, König, Riedel, Daumer, Schücking, Dingelstedt etc. geben Beiträge. Die übersichtlichen Artikel von 1830 an gibt Gutzkow. Der sogenannten jungen Literatur wird Nutzen daraus werden. Wienbarg wird was geben. Ihren Aufsatz hätte Gutzkow dafür gar gern. Oder wollen Sie einen andern geben? Falls Sie den Nachtrag gedruckt wissen wollen…«

Bei diesen Worten beginnt die erwähnte Lücke. Ich erhielt zu gleicher Zeit Brief von Herren Gutzkow, worin er sich mir freundlich und liebevoll nahte, was er wahrlich guten Fuges tun konnte, da ich schon frühzeitig in meinen Schriften seinen Genius mit gehöriger Würdigung begrüße hatte und ich auch späterhin, in bedrängtester Zeit, als die Genossen ihn gleichsam im Wettlauf desavouierten, unumwunden meine Sympathie für ihn aussprach. Sie wissen, wie ich sein Vertrauen ehrte, und sehr gern überließ ich dem »Jahrbuch der Literatur« die erwähnte Nachrede, für welche Herr Gutzkow mir den Titel »Schwabenspiegel« vorschlug.

Sie können sich nun leicht eine Vorstellung davon machen, wie schmerzlich, widerwärtig schmerzlich mein Gemüt berührt wurde, als nach solchen Vorgängen Ende Dezember das »Jahrbuch der Literatur« mir zu Händen kam und ich meine arme Nachrede, die jetzt einen prätentiösen Titel trug, so gründlich verstümmelt fand, daß ich nicht nur um meine Genugtuung an den darin besprochenen Personnagen geprellt schien, sondern daß, durch Verfälschung der Beiwörter, Ausmerzung der Übergänge und sonstige Entstellung der Form, auch mein artistisches Ansehen bloßgestellt worden. Das hat wahrlich kein Zensor getan, denn auch nicht eine Silbe war in dem Aufsatz, die nach Politik oder Staatsreligion roch, und wenn ich ihn später in seiner ursprünglichen Gestalt abdrucke, wird jedem einleuchten, daß die schäbigen Finger, die hier ihr dunkles Werk vollbracht, zugleich die Spur ihrer Absichten zurückgelassen haben. Sie sind unschuldig daran, liebster Campe, ich bin davon überzeugt; denn als ich Ihnen über diesen Frevel gleich schrieb, antworteten Sie mir mit Verwunderung, und aus Ihrem Briefe vom 25. Dezember 1838 will ich nur die Worte anführen:

»– – Mir schien es auch, daß etwas fehlte; ich verlangte daher das Manuskript zur Vergleichung, wie Sie aus dem Fragmente des Briefes vom Faktor der Druckerei sehen. Zuvor schrieb mir P.(der Schriftsteller und Buchdruckereibesitzer), Ihr Aufsatz allein fände Anstand beim Zensor. Ich hatte befohlen, und meine Briefe an die Druckerei bezeugen es, wenn Sie sie sehen wollen, daß ich erklärte: wenn etwas gestrichen würde, worauf ich nicht gefaßt war, solle der Artikel wegbleiben.«

Eingeständlich hatten Sie also bestimmten Befehl gegeben, im Fall die Zensur an meinem Artikel streichen wolle, ihn lieber gar nicht zu drucken… Wie kommt es nun, daß der Artikel dennoch, trotz diesem Befehl, so entsetzlich zusammengestrichen und dennoch gedruckt wurde? Oder gibt es Befehle, die höher geachtet werden als die Ihrigen und denen Sie selbst nur blindlings gehorchen? Sie erregen jedenfalls die bedenklichsten Zweifel an Ihrer Selbständigkeit, wenn Sie die Verstümmelung meines Artikels lediglich der königlich sächsischen Zensur zur Last legen.

Nein, diesmal will ich mich nicht auf die Zensur verweisen lassen und am allerwenigsten auf die königlich sächsische Zensur, die mir eben damals, als Ihr »Jahrbuch« erschien, einen glänzenden Beweis ihrer Milde und Liberalität gegeben hat; weil nämlich jedes Buch, das im Auslande gedruckt worden, in Deutschland die Zensur passieren muß, ehe es in den deutschen Bundesstaaten verkauft werden darf, ließ ich »Shakespeares Mädchen und Frauen« in Leipzig zensieren, und siehe! in diesem Buche, welches doch manche politisch und theologisch anzügliche Stelle enthielt, hat die königlich sächsische Zensur kein einziges Wort gestrichen! Warum soll nun in Grimma dieselbe Zensurbehörde ein weit harmloseres Opus verstümmelt haben? Gewöhnlich kann man an kleineren Orten weit eher durch freundliche Vorstellungen der Zensurstrenge etwas abgewinnen, man gibt den unwichtigen Teil eines Buches preis, um das Bedeutendere zu retten, man vermittelt… Kurz, liebster Campe, alles, was Sie mir erwiderten, sprach mehr gegen Sie als für Sie; im Gegenteil, Sie selbst lieferten mir neue Gründe zum Argwohn; der angebliche Zensurbogen, den Sie gleichzeitig einschickten, war nichts weniger als ein mit Imprimatur versehener Zensurbogen; dabei suchten Sie mich auf allerlei fremde Fährten zu bringen, und z.B. in Ihrem Briefe vom 10. Januar schrieben Sie mir:

»– – Den Zensurbogen vom ›Schwabenspiegel‹ habe ich Ihnen vor acht Tagen gesandt, und werden Sie daraus die Überzeugung gewonnen haben, in welchem schändlichen Verdacht Sie Gutzkow und mich hielten! Leider ist es sündlich, wie der Zensor gehandelt hat, und man sieht, daß es reine Fraubasereien sind, die er in Schutz nimmt, z.B. für Theodor Hell! Der Zensor ist ein Dresdner. Früher war es Gehe, der ist jetzt in Paris – –«

Nein, liebster Campe, Theodor Hell ist unschuldig; auch stand in meinem Artikel kein einziges Wort, das nur im mindesten denselben verletzen konnte. Auch Gutzkow, auf den, ich weiß nicht warum, Sie mich so gern anrennen lassen möchten, ist unschuldig. Er ist unschuldig wie Sie. Wenn ich vielleicht in meinem Brief an Sie etwas unwirsch von Gutzkow sprach, so geschah es zunächst, weil ich übel gelaunt war, und dann auch, weil ich ihn auf keinen Fall von einer levissima culpa freisprechen konnte. Sie sagten mir nämlich in Ihrem Briefe, daß der Zensor in Gutzkows Aufsatz gar nichts gestrichen habe, und doch in Vergleichung mit letzterem, welcher politisch-philosophisch so viele Zeitinteressen diskutierte, war mein Aufsatz nur ein armer harmloser Schwabenspiegel. Aber Herr Gutzkow, welcher dafür sorgte, daß sein Aufsatz bei der Zensur keinen Schaden litt – warum übte er für meinen Aufsatz, den ich ihm gewissermaßen anvertraut hatte, nicht dieselbe Sorgfalt? Da Sie, liebster Campe, keine juristischen Bücher verlegen, so wollte ich Ihnen deutlich machen, was ich unter levissima culpa verstehe.

Wenn ich aber überhaupt gegen Herrn Gutzkow unmutig war, so haben Sie selbst, lieber Campe, durch eine gewisse kindliche Redseligkeit am meisten dazu beigetragen. Wer hat mich zuerst darauf aufmerksam gemacht, daß manche Schmähartikel, die ihr Material augenscheinlich aus Hamburg bezogen, ganz sicher aus der Feder jenes edlen Beurmann geflossen, der am Ende doch nichts anders ist als eine von den dienenden Seelen des Herrn Gutzkow? Warum in Ihrem Briefe vom 5. Februar 1839 stecken Sie mir, daß ein Herr Wihl keine Zeile schreibe, die nicht Gutzkow revidiert habe? Warum belasten Sie letztern mit der Verantwortlichkeit für alles, was jener schreibt? Und wenn jener, in einer Zeitschrift meinen »Schwabenspiegel« besprechend, die Schwaben und sogar das Menzelsche Heldentum gegen mich in Schutz nimmt, muß ich alsdann nicht über Gutzkow mißlaunig werden, der seinem Bedienten vielmehr Ordre geben sollte, meinen Aufsatz untertänigst zu respektieren, schon aus Gründen der Delikatesse? Und wer, liebster Campe, lieferte mir eine Charakteristik des besagten Herrn Wihl, dem Sie, wie aus Ihrem Brief vom 21. Junius 1838 hervorgeht, das Manuskript des »Schwabenspiegels«, ohne mein Vorwissen, anvertraut und wochenlang in Händen ließen? Wer schrieb mir in dem schon erwähnten Brief vom 25. Dezember 1838 die folgenden Worte:

»Wihl ist eine Klatsche. Vor vierzehn Tagen habe ich ihn gehörig in der Kur gehabt, weil der Mensch, der mit dem ganzen schreibenden Unrat hier frère et compagnie ist, sich erdreistete, mich in eine Klatscherei zu bringen, wo ich eine Figur spielen sollte, die sich am Gängelbande Gutzkows und Wihls leiten ließe! – Es war ein dicker Knäul – – – – Nach dieser Sage aber, ›daß ich vom’Telegraphen’ abhängig; – daß ich tun müsse, was Gutzkow wolle‹ – sprach ich mich gegen Gutzkow so ungefähr aus, daß ich vor vier Monaten ihn bei Gelegenheit seiner Klatscherei bei Wienbarg gebeten, den Wihl als Handlanger in seine Arbeiten, aber nicht in unsere Verhältnisse, Vorhaben und dergleichen blicken zu lassen; er könne das Maul nicht halten und würde uns kompromittieren und Plane, die mühevoll entworfen worden, dadurch zuschanden machen. Gutzkow habe – – – – – – – – Wihl ist der klebrigste und eitelste Mensch, den ich kenne. Wie oft habe ich ihn auf solcher Fährte ertappt und ausgelacht! Alle unsere erbärmliche Winkelblätter lobhudeln ihn auf eine ungeheure Weise. Er ist Dichter! – steht durch Gutzkow mit allen Reputationen in Verkehr, die unsere Mauer betreten – Gleichwohl verkehrt er in der Unterwelt; der Redakteur des Neuigkeitsträgers und aufwärts bis zum Runkel sind seine Gönner und – loben ihn. Dabei ist er ohne Menschen- und Weltkunde, sündigt aus Dummheit wie aus bösem Willen – – –«

Ich habe diese Stelle aus Ihrem Briefe in der besonderen Absicht zitiert, um Sie fühlen zu lassen, wie wenig Sie für die literarische Zuverlässigkeit einer Person stehen können, die das Manuskript meines Aufsatzes wochenlang in Händen hatte…

Wer aber hat meinen »Schwabenspiegel« verstümmelt im Interesse der Schwaben oder, um mich genauer auszudrücken, im Interesse einiger Redakteure Cottascher Zeitschriften? Wäre Sarras, Ihr zottiger Jagdgenosse, noch am Leben, auf ihn würde mein Verdacht fallen, denn er fuhr mir oft nach den Beinen, wenn ich in Ihren Laden kam, und bellte immer verdrießlich, wenn man ein Exemplar der »Reisebilder« verlangte. Aber Sarras, wie Sie mir längst anzeigten, ist krepiert, und Sie haben sich seitdem ganz andere Hunde angeschafft, die ich nicht persönlich kenne und die gewiß, was Sie bei Ihnen erschnüffelt, schnurstracks den Schwaben apportierten, um dafür ein Brosämchen des Lobes im »Morgenblatte« zu erschnappen!

Wüßten Sie, lieber Campe, wie freundlich mir in diesem Augenblick die Sonne aufs Papier scheint, wie heiter mein Gemüt, wie schön der Namenstag, der heute gefeiert werden soll, ach! Sie würden mich bedauern, daß ich die holden Morgenstunden mit obigen Erläuterungen vertrödeln mußte! Und doch waren sie nötig, da ich Ihnen kein verletzend kurzes Dementi geben wollte. Und schweigen konnte ich auf keinen Fall, worüber Sie sich vielleicht wundern, da ich doch auf die schnödesten Beschuldigungen in öffentlichen Blättern, auf dicke Broschüren voll bösen Leumunds, ja auf ganze Mistkarren voll Verleumdung mit keiner Silbe geantwortet habe. Aber mit einem Verleger ist es eine besondere Sache. Man traut sehr wenig den Behauptungen von Leuten, die dem Schriftsteller fernestehen, denen seine Türe verschlossen ist und die nur durch die Ritzen gucken; der Verleger hingegen wird gleichsam als unser intimer Hausfreund betrachtet, man denkt, er kenne ganz genau unsere Wirtschaft; er habe überall hinter die Gardine geschaut, und man leiht seinen Aussagen ein willigeres Gehör. Ich mußte daher, um Ihre Erklärung zu entkräften, weitläufig auseinandersetzen, wie wenig Sie berechtigt waren, wo von Verstümmelung meiner Schriften die Rede ist, mit Keckheit gegen mich aufzutreten; wie wenig Sie mit Bestimmtheit meinen Behauptungen widersprechen konnten; wie unsicher der Boden, auf dem Ihre Gründe umherschwanken; und wie endlich Ihre Glaubwürdigkeit da aufhört, wo der fremde Einfluß anfängt. Wäre es mir bloß darum zu tun gewesen, den letzteren zu konstatieren und zu beweisen, daß Ihre Erklärung nur ein Produkt der Unfreiheit sei, wahrlich, zu solcher Beweisführung brauchte ich keines anderen Aktenstücks als eben jener Erklärung selbst. Denn ich frage Sie: was ist der Zweck dieser Erklärung? Hegten Sie etwa die Besorgnis, daß man die Verstümmelung meines Aufsatzes Ihnen zuschreiben könnte? In diesem Falle war die erste Hälfte der Erklärung hinreichend, und es bedurfte nicht des Zusatzes: »Wir bemerken dieses deswegen, um den Gegnern Heinrich Heines deutlich zu machen, was sie unter der ›heimlichen Betriebsamkeit ihrer Wahlverwandten‹ zu verstehen haben.« Oder, lieber Campe, sind Sie von meinen Gegnern so hart bedrängt worden, daß Sie ihnen durch jenen Zusatz eine persönliche Genugtuung geben mußten? Das ist auch nicht der Fall, denn Sie sind ja der große Schütz; auch hätten Sie zuviel Mut, um sich eine Erklärung abdrohen zu lassen; und am allerwenigsten würden Sie sich vor Maikäfern fürchten und vor Wolfgang Menzel, dem Achilles! Oder schrieben Sie jene Erklärung aus geheimem Haß gegen mich, um mir in der öffentlichen Meinung zu schaden? Nein, wir sind die besten Freunde, und es wäre schändlich von mir, wenn ich Ihnen die Tücke zutraute, im Mantel der Freundschaft einen meuchlenden Dolch zu verbergen! Oder erzielten Sie durch jene Erklärung irgendeinen irdischen Vorteil, und, vielleicht mit blutendem Herzen, opferten Sie den Freund einem höheren, nämlich einem merkantilischen Interesse? Nein, das kann es auch nicht sein; aus jener Erklärung dürfte Ihnen vielmehr ein pekuniärer Schaden erblühen… Mein Grundsatz: »Je mehr wir den Menschen kosten, desto mehr lieben sie uns!« könnte mich nämlich auf den Gedanken führen, Ihre Freundschaftsgefühle indirekt zu steigern und für meine nächsten Werke das doppelte Honorar zu fordern.

Wenn also weder Delikatesse noch Furcht noch Haß noch Vorteil bei Ihrer Erklärung im Spiele sein konnte, so wird jene Erklärung nur erklärlich durch die geheimen Umtriebe jener schwäbischen Wahlverwandten, denen Sie, liebster Campe, unbewußt als Werkzeug dienen, und eben die Worte, womit Sie mir widersprachen, enthalten eine Bestätigung meiner Angaben.

Paris, den 3. April 1839

Heinrich Heine

Erklärung

Es ist mir leid, durch Hrn. Heine in Paris, der sich einen unerhörten Mißbrauch mit ihm anvertrauten Briefgeheimnissen in den neuesten Nummern der »Zeitung für die elegante Welt« erlaubt hat, zu folgender Erklärung aufgefordert zu werden. Herr Heine (dessen seit einigen Jahren verbleichter Ruhm von jeher weniger in dichterischer Größe und Charakterfestigkeit als in einer ihm ganz eigentümlichen Keckheit Nahrung gefunden hat) erweiset mir – ich möchte fast sagen – die Ehre, mich, Ludwig Wihl und Karl Gutzkow auf die gehässigste Weise anzutasten. Wie dieser den Neid des Herrn Heine auf seine seit dem Erscheinen des »Blasedow« immer fester im Herzen der Nation wurzelnde Stellung, den Neid auf das frische, lebenskräftige Gedeihen des »Telegraphen«, den Neid auf dichterische Entwickelungen, die der Protektion des Hrn. Heine in Paris nicht bedürfen, entlarvt hat, zeigen die neuesten Nummern jener trefflichen Zeitschrift. Ich für mein Teil würde jene Befleckung meiner Ehre, wie die gefeierten Namen Platen, Tieck, Schlegel, Schelling, Hegel und Ludwig Wihl, die Hr. Heine beschmutzte, mit derselben ruhigen Verachtung über mich ergehen lassen, könnte ich mich vor der Welt auch nur im entferntesten ähnlicher Taten, wie jene, rühmen. Ja, nicht einmal einem Ludwig Wihl darf ich mich gleichstellen; denn ich bin nur ein Hund im wirklichen Sinne des Worts, ich bin nämlich der geschmähte Nachfolger jenes Sarras, jenes ehrlichen, treuen, tugendhaften Pudels, der freilich Herrn Heines Immoralität verabscheute, aber keineswegs Gelegenheit gab, ihn des hämischen Anbellens zu beschuldigen. Hr. Heine entblödete sich in seinem offenen Briefe an meinen Herrn Julius Campe folgende Schandworte auszusprechen: »Wer aber hat meinen ›Schwabenspiegel‹ verstümmelt im Interesse der Schwaben oder, um mich genauer auszudrücken, im Interesse einiger Redakteure Cottascher Zeitschriften? Wäre Sarras, Ihr zottiger Jagdgenosse, noch am Leben, auf ihn würde mein Verdacht fallen, denn er fuhr mir oft nach den Beinen, wenn ich in Ihren Laden kam, und bellte immer verdrießlich, wenn man ein Exemplar der ›Reisebilder‹ verlangte. Aber Sarras, wie Sie mir längst anzeigten, ist krepiert, und Sie haben sich seitdem ganz andere Hunde angeschafft, die ich nicht persönlich kenne und die gewiß, was sie bei Ihnen erschnüffelt, schnurstracks den Schwaben apportierten, um dafür ein Brosämchen des Lobes im ›Morgenblatte‹ zu erschnappen!« – – Tief verachte ich einen Menschen, der selbst die Ruhe der Toten nicht schont, der mit frecher Hand die Gräber der Verstorbenen aufwühlt, der sich durch unerlaubte Mitteilung von Privatansichten entwürdigt – und obgleich ich nur ein Hund bin, ein ganz gemeiner Hund, so wage ich es dennoch, denjenigen Lügen zu strafen, der mich zu einem Handlanger der Zensur macht, der mich für fähig hält, aus Vorliebe für die bei mir allerdings unendlich höher als Hr. Heine stehenden schwäbischen Dichter in seinem Manuskripte auch nur eine Zeile zu entstellen. – Ich bitte Sie, diese Erklärung schleunigst abzudrucken, denn wenn Campe von der Leipziger Messe zurückkehrt, muß ich kuschen. Fußtritte krieg ich auf jeden Fall.

Hektor,

Jagdhund bei Hoffmann u. Campe

in Hamburg

Sämtliche Werke
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