Französische Zustände

Vorrede zur Vorrede

Wie ich vernehme, ist die Vorrede zu den »Französischen Zuständen« in einer so verstümmelten Gestalt erschienen, daß mir wohl die Pflicht obliegt, sie in ihrer ursprünglichen Ganzheit herauszugeben. Indem ich nun hier einen besonderen Abdruck davon liefere, bitte ich mir keineswegs die Absicht beizumessen, als wollte ich die jetzigen Machthaber in Deutschland ganz besonders reizen oder gar beleidigen. Ich habe vielmehr meine Ausdrücke, soviel es die Wahrheit erlaubte, zu mäßigen gesucht. Ich war deshalb nicht wenig verwundert, als ich merkte, daß man jene Vorrede in Deutschland noch immer für zu herbe gehalten. Lieber Gott! was soll das erst geben, wenn ich mal dem freien Herzen erlaube, in entfesselter Rede sich ganz frei auszusprechen! Und es kann dazu kommen. Die widerwärtigen Nachrichten, die täglich über den Rhein zu uns herüberseufzen, dürften mich wohl dazu bewegen. Vergebens sucht ihr die Freunde des Vaterlands und ihre Grundsätze in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, indem ihr diese als »französische Revolutionslehren« und jene als »französische Partei in Deutschland« verschreit; denn ihr spekuliert immer auf alles, was schlecht im deutschen Volke ist, auf Nationalhaß, religiösen und politischen Aberglauben und Dummheit überhaupt. Aber ihr wißt nicht, daß auch Deutschland nicht mehr durch die alten Kniffe getäuscht werden kann, daß sogar die Deutschen gemerkt, wie der Nationalhaß nur ein Mittel ist, eine Nation durch die andere zu knechten, und wie es überhaupt in Europa keine Nationen mehr gibt, sondern nur zwei Parteien, wovon die eine, Aristokratie genannt, sich durch Geburt bevorrechtet dünkt und alle Herrlichkeiten der bürgerlichen Gesellschaft usurpiert, während die andere, Demokratie genannt, ihre unveräußerlichen Menschenrechte vindiziert und jedes Geburtsprivilegium abgeschafft haben will, im Namen der Vernunft. Wahrlich, ihr solltet uns die himmlische Partei nennen, nicht die französische; denn jene Erklärung der Menschenrechte, worauf unsere ganze Staatswissenschaft basiert ist, stammt nicht aus Frankreich, wo sie freilich am glorreichsten proklamiert worden, nicht einmal aus Amerika, woher sie Lafayette geholt hat, sondern sie stammt aus dem Himmel, dem ewigen Vaterland der Vernunft.

Wie muß euch doch das Wort »Vernunft« fatal sein! Gewiß ebenso fatal wie den Erbfeinden derselben, den Pfaffen, deren Reich sie ebenfalls ein Ende macht und die in der gemeinschaftlichen Not sich mit euch verbündet.

Der Ausdruck »französische Partei in Deutschland« schwebt mir heute vorherrschend im Sinn, weil er mir diesen Morgen in dem neuesten Hefte des »Edinburgh Review« besonders auffiel. Es war bei Gelegenheit einer Charakteristik der Gedichte des Herrn Uhland, des guten Kindes, und der meinigen, des bösen Kindes, das als ein Häuptling »der französischen Partei in Deutschland« dargestellt wird. Wie ich merke, ist dergleichen nur ein Echo deutscher Zeitschriften, die ich leider hier nicht sehe. Kann ich sie aber jetzt nicht besonders würdigen, geschieht es ein andermal zum allgemeinen Besten. Seit zehn Jahren ein beständiger Gegenstand der Tageskritik, die entweder pro oder contra, aber immer mit Leidenschaft, meine Schriften besprochen, darf man mir wohl eine hinlängliche Indifferenz in betreff gedruckter Urteile über mich zutrauen; wenn ich daher, was ich bisher nie getan habe, solche Besprechungen jetzt manchmal erwähnen werde, so wird man hoffentlich wohl einsehen, daß nicht die persönlichen Empfindlichkeiten des Schriftstellers, sondern die allgemeinen Interessen des Bürgers das Wort hervorrufen. Leider sind jetzt, wie gesagt, außer den politischen Blättern sehr wenig deutsche Tageserzeugnisse in Paris sichtbar. Ich vermisse sie ungern, in jeder Hinsicht. Wahrlich, in dieser grandiosen Stadt, wo alle Tage ein Stück Weltgeschichte tragiert wird, wäre es pikant, sich manchmal gegensätzlich mit unserer heimischen Misere zu beschäftigen. Ein junger Mann hat mir jüngst geschrieben, daß er voriges Jahr einige Schmähungen gegen mich drucken lassen, welches ich ihm nicht übelnehmen möchte, da ihn meine antinationale Gesinnung in Leidenschaft gesetzt und er im patriotischen Zorne seiner Worte nicht mächtig war; dieser junge Mann hätte auch so artig sein sollen, mir ein Exemplärchen seines Opus mitzuschicken. Er scheint zu der böotischen Partei in Deutschland zu gehören, deren Unmut gegen »die französische Partei« sehr verzeihlich ist; ich verzeihe ihm von Herzen. Es wäre mir aber wirklich lieb gewesen, wenn er mir das Opus selbst geschickt hätte. Da lob ich mir die sodomitische Partei in Deutschland, die mir ihre Schmähartikel immer selbst zuschickt, und manchmal sogar hübsch abgeschrieben und was am löblichsten ist, immer postfrei. Diese Leute hätten aber nicht nötig, so viele Vorsichtsmaßregeln zu nehmen, damit ihre Anonymität bewahrt bleibe. Trotz der verstellten Schreibweise erkenne ich doch immer die namenlosen Verfasser dieser namenlosen Niederträchtigkeiten, ich kenne diese Leute am Stil – »Cognosco stilum curiae romanae!« rief der edle Geschichtschreiber des tridentinischen Konziliums, als der feige Dolch des Meuchelmörders ihn von hinten traf.

Außer der sodomitischen und böotischen ist aber auch die abderitische Partei in Deutschland gegen mich aufgebracht. Es sind da nicht bloß meine französischen Prinzipien, was die meisten derselben gegen mich anreizt. Da gibt’s zuweilen noch edlere Gründe. Z.B. ein Häuptling der abderitischen Partei, der seit vielen Jahren unaufhörlich in Schimpf und Ernst gegen mich loszieht, ist nur ein Champion seiner Gattin, die sich von mir beleidigt glaubt und mir den Untergang geschworen hat. Solcher Todeshaß schmerzt mich sehr, denn die Dame ist sehr liebenswürdig. Sie hat sehr viele Ähnlichkeit mit der Mediceischen Venus, sie ist nämlich ebenfalls sehr alt, hat ebenfalls keine Zähne; ihr Kinn, wenn sie sich rasiert hat, ist ebenso glatt wie das Kinn jener marmornen Göttin; auch geht sie fast ebenso nackt wie diese, und zwar um zu zeigen, daß ihre Haut nicht ganz gelb sei, sondern hie und da auch einige weiße Flecken habe. Vergebens habe ich dieser liebenswürdigen Dame die versöhnlichsten Artigkeiten gesagt, z.B. daß ich sie beneide, weil sie sich nur zweimal die Woche zu rasieren braucht, während ich diese Operation alle Tage erdulden muß, daß ich sie für die tugendhafteste von allen Frauen halte, die keine Zähne haben, daß ich ihr Herz zu besitzen wünsche, und zwar in einer goldenen Kapsel – vergebens, hier half keine Begütigung! Die Unversöhnliche haßt mich zu sehr, und wie einst Isabella von Kastilien das Gelübde tat, nicht eher ihr Hemd zu wechseln, als bis Granada gefallen sei, so hat jene Dame ebenfalls geschworen, nicht eher ein reines Hemd anzuziehen, als bis ich, ihr Feind, zu Boden liege. Nun setzt sie alle Skribler gegen mich in Bewegung, namentlich ihren armen Gatten, den wahrlich das isabellenfarbige Hemd seiner Ehehälfte nicht wenig inkommodiert, besonders im Sommer, wo die Holde dadurch noch anmutiger als gewöhnlich duftet – so daß er manchmal, wie wahnsinnig, aus dem Bette springt und nach dem Schreibtische stürzt und mich schnell zugrunde schreiben will.

Das Brockhausische »Konversationsblatt« enthält im Sommer weit mehr Schmähartikel gegen mich als im Winter.

Verzeih, lieber Leser, daß diese Zeilen dem Ernste der Zeit nicht ganz angemessen sind. Aber meine Feinde sind gar zu lächerlich! Ich sage Feinde, ich gebe ihnen aus Courtoisie diesen Titel, obgleich sie meistens nur meine Verleumder sind. Es sind kleine Leute, deren Haß nicht einmal bis an meine Waden reicht. Mit stumpfen Zähnen nagen sie an meinen Stiefeln. Das bellt sich müd da unten.

Mißlicher ist es, wenn die Freunde mich verkennen. Das dürfte mich verstimmen, und wirklich, es verstimmt mich. Ich will es aber nicht verhehlen, ich will es selber zur öffentlichen Kunde bringen, daß auch von seiten der himmlischen Partei mein guter Leumund angegriffen worden. Diese hat jedoch Phantasie, und ihre Insinuationen sind nicht so platt prosaisch wie die der böotischen, sodomitischen und abderitischen Partei. Oder gehörte nicht eine große Phantasie dazu, daß man mich in jüngster Zeit der antiliberalsten Tendenzen bezichtigte und der Sache der Freiheit abtrünnig glaubte? Eine gedruckte Äußerung über diese angeschuldete Abtrünnigkeit fand ich dieser Tage in einem Buche, betitelt: »Briefe eines Narren an eine Närrin«. Ob des vielen Guten und Geistreichen, das darin entfalten ist, ob der edlen Gesinnung des Verfassers überhaupt, verzeih ich diesem gern die mich betreffenden bösen Äußerungen; ich weiß, von welcher Himmelsgegend ihm dergleichen zugeblasen worden, ich weiß, woher der Wind pfiff. Da gibt es nämlich unter unseren jakobinischen Enragés, die seit den Juliustagen so laut geworden, einige Nachahmer jener Polemik, die ich während der Restaurationsperiode mit fester Rücksichtslosigkeit und zugleich mit besonnener Selbstsicherung geführt habe. Jene aber haben ihre Sache sehr schlecht gemacht, und statt die persönlichen Bedrängnisse, die ihnen daraus entstanden, nur ihrer eigenen Ungeschicklichkeit beizumessen, fiel ihr Unmut auf den Schreiber dieser Blätter, den sie unbeschädigt sahen. Es ging ihnen wie dem Affen, der zugesehen hatte, wie sich ein Mensch rasierte. Als dieser nun das Zimmer verließ, kam der Affe und nahm das Barbierzeug wieder aus der Schublade hervor und seifte sich ein und schnitt sich dann die Kehle ab. Ich weiß nicht, inwieweit jene deutschen Jakobiner sich die Kehle abgeschnitten; aber ich sehe, daß sie stark bluten. Auf mich schelten sie jetzt. »Seht«, rufen sie, »wir haben uns ehrlich eingeseift und bluten für die gute Sache, der Heine meint es aber nicht ehrlich mit dem Barbieren, ihm fehlt der wahre Ernst beim Gebrauche des Messers, er schneidet sich nie, er wischt sich ruhig die Seife ab und pfeift sorglos dabei und lacht über die blutigen Wunden der Kehlabschneider, die es ehrlich meinen.«

Gebt euch zufrieden; ich habe mich diesmal geschnitten.

Paris, Ende November 1832

Heinrich Heine

Vorrede

»Diejenigen, welche lesen können, werden in diesem Buche von selbst merken, daß die größten Gebrechen desselben nicht meiner Schuld beigemessen werden dürfen, und diejenigen, welche nicht lesen können, werden gar nichts merken.« Mit diesen einfachen Vernunftschlüssen, die der alte Scarron seinem »Komischen Romane« voransetzt, kann ich auch diese ernsteren Blätter bevorworten.

Ich gebe hier eine Reihe Artikel und Tagesberichte, die ich, nach dem Begehr des Augenblicks, in stürmischen Verhältnissen aller Art, zu leicht erratbaren Zwecken, unter noch leichter erratbaren Beschränkungen, für die Augsburger »Allgemeine Zeitung« geschrieben habe. Diese anonymen, flüchtigen Blätter soll ich nun unter meinem Namen als festes Buch herausgeben, damit kein anderer, wie ich bedroht worden bin, sie nach eigener Laune zusammenstellt und nach Willkür umgestaltet oder gar jene fremden Erzeugnisse hineinwischt, die man mir irrtümlich zuschreibt.

Ich benutze diese Gelegenheit, um aufs bestimmteste zu erklären, daß ich seit zwei Jahren in keinem politischen Journal Deutschlands, außer der »Allgemeinen Zeitung«, eine Zeile drucken lassen. Letztere, die ihre weltberühmte Autorität so sehr verdient und die man wohl die »Allgemeine Zeitung« von Europa nennen dürfte, schien mir eben wegen ihres Ansehens und ihres unerhört großen Absatzes das geeignete Blatt für Berichterstattungen, die nur das Verständnis der Gegenwart beabsichtigen. Wenn wir es dahin bringen, daß die große Menge die Gegenwart versteht, so lassen die Völker sich nicht mehr von den Lohnschreibern der Aristokratie zu Haß und Krieg verhetzen, das große Völkerbündnis, die Heilige Allianz der Nationen, kommt zustande, wir brauchen aus wechselseitigem Mißtrauen keine stehenden Heere von vielen hunderttausend Mördern mehr zu füttern, wir benutzen zum Pflug ihre Schwerter und Rosse, und wir erlangen Friede und Wohlstand und Freiheit. Dieser Wirksamkeit bleibt mein Leben gewidmet; es ist mein Amt. Der Haß meiner Feinde darf als Bürgschaft gelten, daß ich dieses Amt bisher recht treu und ehrlich verwaltet. Ich werde mich jenes Hasses immer würdig zeigen. Meine Feinde werden mich nie verkennen, wenn auch die Freunde im Taumel der aufgeregten Leidenschaften meine besonnene Ruhe für Lauheit halten möchten. Jetzt freilich, in dieser Zeit, werden sie mich weniger verkennen als damals, wo sie am Ziel ihrer Wünsche zu stehen glaubten und Siegeshoffnung alle Segel ihrer Gedanken schwellte; an ihrer Torheit nahm ich keinen Teil, aber ich werde immer teilnehmen an ihrem Unglück. Ich werde nicht in die Heimat zurückkehren, solange noch ein einziger jener edlen Flüchtlinge, die vor allzu großer Begeisterung keiner Vernunft Gehör geben konnten, in der Fremde, im Elend, weilen muß. Ich würde lieber bei dem ärmsten Franzosen um eine Kruste Brot betteln, als daß ich Dienst nehmen möchte bei jenen vornehmen Gönnern im deutschen Vaterlande, die jede Mäßigung der Kraft für Feigheit halten oder gar für präludierenden Übergang zum Servilismus und die unsere beste Tugend, den Glauben an die ehrliche Gesinnung des Gegners, für plebejische Erbdummheit ansehen. Ich werde mich nie schämen, betrogen worden zu sein von jenen, die uns so schöne Hoffnungen ins Herz lächelten: »Wie alles aufs friedlichste zugestanden werden sollte, wie wir hübsch gemäßigt bleiben müßten, damit die Zugeständnisse nicht erzwungen und dadurch ungedeihlich würden, wie sie wohl selbst einsähen, daß man die Freiheit uns nicht ohne Gefahr länger vorenthalten könne – – –« Ja, wir sind wieder Düpes geworden, und wir müssen eingestehen, daß die Lüge wieder einen großen Triumph erfochten und neue Lorbeeren eingeerntet. In der Tat, wir sind die Besiegten, und seit die heroische Überlistung auch offiziell beurkundet worden, seit der Promulgation der deplorabelen Bundestagsbeschlüsse vom 28. Junius, erkrankt uns das Herz in der Brust vor Kummer und Zorn.

Armes, unglückliches Vaterland! welche Schande steht dir bevor, wenn du sie erträgst, diese Schmach! welche Schmerzen, wenn du sie nicht erträgst!

Nie ist ein Volk von seinen Machthabern grausamer verhöhnt worden. Nicht bloß, daß jene Bundestagsordonnanzen voraussetzen, wir ließen uns alles gefallen: man möchte uns dabei noch einreden, es geschehe uns ja eigentlich gar kein Leid oder Unrecht. Wenn ihr aber auch mit Zuversicht auf knechtische Unterwürfigkeit rechnen durftet, so hattet ihr doch kein Recht, uns für Dummköpfe zu halten. Eine Handvoll Junker, die nichts gelernt haben als ein bißchen Roßtäuscherei, Volteschlagen, Becherspiel oder sonstig plumpe Schelmenkünste, womit man höchstens nur Bauern auf Jahrmärkten übertölpeln kann: diese wähnen damit ein ganzes Volk betören zu können, und zwar ein Volk, welches das Pulver erfunden hat und die Buchdruckerei und die »Kritik der reinen Vernunft«. Diese unverdiente Beleidigung, daß ihr uns für noch dümmer gehalten, als ihr selber seid, und euch einbildet, uns täuschen zu können, das ist die schlimmere Beleidigung, die ihr uns zugefügt in Gegenwart der umstehenden Völker.

Ich will nicht die konstitutionellen deutschen Fürsten anklagen; ich kenne ihre Nöten, ich weiß, sie schmachten in den Ketten ihrer kleinen Kamarillen und sind nicht zurechnungsfähig. Dann sind sie auch durch Zwang aller Art von Östreich und Preußen embauchiert worden. Wir wollen sie nicht schmähen, wir wollen sie bedauern. Früh oder spät ernten sie die bitteren Früchte der bösen Saat. Die Toren, sie sind noch eifersüchtig aufeinander, und während jedes klare Auge einsieht, daß sie am Ende von Östreich und Preußen mediatisiert werden, ist all ihr Sinnen und Trachten nur darauf gerichtet, wie man dem Nachbar ein Stück seines Ländchens abgewinnt. Wahrlich, sie gleichen jenen Dieben, die, während man sie nach der Hängstätte führt, sich noch untereinander die Taschen bestehlen.

Wir können ob der Großtaten des Bundestags nur die beiden absoluten Mächte Östreich und Preußen unbedingt anklagen. Wie weit sie gemeinschaftlich unsere Erkenntlichkeit in Anspruch nehmen, kann ich nicht bestimmen. Nur will es mich bedünken, als habe Östreich wieder das Gehässige jener Großtaten auf die Schulter seines weisen Bundesgenossen zu wälzen gewußt.

In der Tat, wir können gegen Östreich kämpfen, und todeskühn kämpfen, mit dem Schwert in der Hand; aber wir fühlen in tiefster Brust, daß wir nicht berechtigt sind, mit Scheltworten diese Macht zu schmähen. Östreich war immer ein offner, ehrlicher Feind, der nie seinen Ankampf gegen den Liberalismus geleugnet oder auf eine kurze Zeit eingestellt hätte. Metternich hat nie mit der Göttin der Freiheit geliebäugelt, er hat nie in der Angst des Herzens den Demagogen gespielt, er hat nie Arndts Lieder gesungen und dabei Weißbier getrunken, er hat nie auf der Hasenheide geturnt, er hat nie pietistisch gefrömmelt, er hat nie mit den Festungsarrestanten geweint, geweint, während er sie an der Kette festhielt; – man wußte immer, wie man mit ihm dran war, man wußte, daß man sich vor ihm zu hüten hatte, und man hütete sich vor ihm. Er war immer ein sicherer Mann, der uns weder durch gnädige Blicke täuschte noch durch Privatmalicen empörte. Man wußte, daß er weder aus Liebe noch aus kleinlichem Hasse, sondern großartig im Geiste eines Systems handelte, welchem Östreich seit drei Jahrhunderten treu geblieben. Es ist dasselbe System, für welches Östreich gegen die Reformation gestritten; es ist dasselbe System, wofür es mit der Revolution in den Kampf getreten. Für dieses System fochten nicht bloß die Männer, sondern auch die Töchter vom Hause Habsburg. Für die Erhaltung dieses Systems hatte Marie Antoinette in den Tuilerien zum kühnsten Kampfe die Waffen ergriffen; für die Erhaltung dieses Systems hatte Maria Luisa, die als erklärte Regentin für Mann und Kind streiten sollte, in denselben Tuilerien den Kampf unterlassen und die Waffen niedergelegt. Kaiser Franz hat für die Erhaltung dieses Systems den teuersten Gefühlen entsagt und unsägliches Herzleid erduldet, eben jetzt trägt er Trauer um den geliebten blühenden Enkel, den er jenem Systeme geopfert, dieser neue Kummer hat tief gebeugt das greise Haupt, welches einst die deutsche Kaiserkrone getragen – dieser arme Kaiser ist noch immer der wahre Repräsentant des unglücklichen Deutschlands!

Von Preußen dürfen wir in einem anderen Tone sprechen. Hier hemmt uns wenigstens keine Pietät ob der Heiligkeit eines deutschen Kaiserhaupts. Mögen immerhin die gelehrten Knechte an der Spree von einem großen Imperator des Borussenreichs träumen und die Hegemonie und Schirmherrlichkeit Preußens proklamieren. Aber bis jetzt ist es den langen Fingern von Hohenzollern noch nicht gelungen, die Krone Karls des Großen zu erfassen und zu dem Raub so vieler polnischer und sächsischer Kleinodien in den Sack zu stecken. Noch hängt die Krone Karls des Großen viel zu hoch, und ich zweifle sehr, ob sie je herabsinkt auf das witzige Haupt jenes goldgespornten Prinzen, dem seine Barone schon jetzt als dem künftigen Restaurator des Rittertums ihre Huldigungen darbringen. Ich glaube vielmehr, Se. Königl. Hoheit wird statt eines Nachfolgers Karls des Großen nur ein Nachfolger Karls X. und Karls von Braunschweig.

Es ist wahr, noch vor kurzem haben viele Freunde des Vaterlandes die Vergrößerung Preußens gewünscht und in seinen Königen die Oberherren eines vereinigten Deutschlands zu sehen gehofft, und man hat die Vaterlandsliebe zu ködern gewußt, und es gab einen preußischen Liberalismus, und die Freunde der Freiheit blickten schon vertrauungsvoll nach den Linden von Berlin. Was mich betrifft, ich habe mich nie zu solchem Vertrauen verstehen wollen. Ich betrachtete vielmehr mit Besorgnis diesen preußischen Adler, und während andere rühmten, wie kühn er in die Sonne schaue, war ich desto aufmerksamer auf seine Krallen. Ich traute nicht diesem Preußen, diesem langen frömmelnden Kamaschenheld mit dem weiten Magen und mit dem großen Maule und mit dem Korporalstock, den er erst in Weihwasser taucht, ehe er damit zuschlägt. Mir mißfiel dieses philosophisch christliche Soldatentum, dieses Gemengsel von Weißbier, Lüge und Sand. Widerwärtig, tief widerwärtig war mir dieses Preußen, dieses steife, heuchlerische, scheinheilige Preußen, dieser Tartuffe unter den Staaten.

Endlich, als Warschau fiel, fiel auch der weiche fromme Mantel, worin sich Preußen so schön zu drapieren gewußt, und selbst der Blödsichtigste erblickte die eiserne Rüstung des Despotismus, die darunter verborgen war. Diese heilsame Enttäuschung verdankt Deutschland dem Unglück der Polen.

Die Polen! Das Blut zittert mir in den Adern, wenn ich das Wort niederschreibe, wenn ich daran denke, wie Preußen gegen diese edelsten Kinder des Unglücks gehandelt hat, wie feige, wie gemein, wie meuchlerisch. Der Geschichtschreiber wird vor innerem Abscheu keine Worte finden können, wenn er etwa erzählen soll, was sich zu Fischau begeben hat; jene unehrlichen Heldentaten wird vielmehr der Scharfrichter beschreiben müssen – – – ich höre das rote Eisen schon zischen auf Preußens magerem Rücken.

Unlängst las ich in der »Allg. Zeitung«, daß der Geh. Regierungsrat Friedrich von Raumer, welcher sich unlängst die Renommee eines königl. preuß. Revolutionärs erworben, indem er als Mitglied der Zensurkommission gegen deren allzu unterdrückungssüchtige Strenge sich aufgelehnt, jetzt den Auftrag erhalten hat, das Verfahren der preußischen Regierung gegen Polen zu rechtfertigen. Die Schrift ist vollendet, und der Verfasser hat bereits seine 200 Taler preußisch Kurant dafür in Empfang genommen. Indessen, wie ich höre, ist sie nach der Meinung der uckermärk’schen Kamarilla noch immer nicht servil genug geschrieben. – So geringfügig auch dieses kleine Begebnis aussieht, so ist es eben groß genug, den Geist der Gewalthaber und ihrer Untergebenen zu charakterisieren. Ich kenne zufällig den armen Friedrich von Raumer, ich habe ihn zuweilen in seinem blaugrauen Röckchen und graublauen Militärmützchen unter den Linden spazieren sehen; ich sah ihn mal auf dem Katheder, als er den Tod Ludwigs XVI. vortrug und dabei einige königl. preuß. Amtstränen vergoß; dann habe ich in einem Damenalmanach seine »Geschichte der Hohenstaufen« gelesen; ich kenne ebenfalls seine »Briefe aus Paris«, worin er der Madame Crelinger und ihrem Gatten über die hiesige Politik und das hiesige Theater seine Ansichten mitteilt. Es ist durchaus ein friedlebiger Mann, der ruhig Queue macht. Von allen mittelmäßigen Schriftstellern ist er noch der beste, und dabei ist er nicht ganz ohne Salz, und er hat eine gewisse äußere Gelehrsamkeit und gleicht daher einem alten trockenen Hering, der mit gelehrter Makulatur umwickelt ist. Ich wiederhole, es ist das friedlebigste Geschöpf, das sich immer ruhig von seinen Vorgesetzten die Säcke aufladen ließ und gehorsam damit zur Amtsmühle trabte und nur hie und da stillstand, wo Musik gemacht wurde. Wie schnöde muß sich nun eine Regierung in ihrer Unterdrückungslust gezeigt haben, wenn sogar ein Friedrich von Raumer die Geduld verlor und rappelköpfisch wurde und nicht weitertraben wollte und sogar in menschlicher Sprache zu sprechen begann! Hat er vielleicht den Engel mit dem Schwerte gesehen, der im Wege steht und den die Bileame von Berlin, die Verblendeten, noch nicht sehen? Ach! sie gaben dem armen Geschöpfe die wohlgemeintesten Tritte und stacheln es mit ihren goldenen Sporen und haben es schon zum dritten Male geschlagen. Das Volk der Borussen aber – und daraus kann man seinen Zustand ermessen – pries seinen Friedrich von Raumer als einen Ajax der Freiheit.

Dieser königl. preuß. Revolutionär wird nun dazu benutzt, eine Apologie des Verfahrens gegen Polen zu schreiben und das Berliner Kabinett in der öffentlichen Meinung wieder ehrlich zu machen.

Dieses Preußen! wie es versteht, seine Leute zu gebrauchen! Es weiß sogar von seinen Revolutionären Vorteil zu ziehen. Zu seinen Staatskomödien bedarf es Komparsen von jeder Farbe. Es weiß sogar trikolor gestreifte Zebras zu benutzen. So hat es in den letzten Jahren seine wütendsten Demagogen dazu gebraucht, überall herumzupredigen, daß ganz Deutschland preußisch werden müsse. Hegel mußte die Knechtschaft, das Bestehende, als vernünftig rechtfertigen. Schleiermacher mußte gegen die Freiheit protestieren und christliche Ergebung in den Willen der Obrigkeit empfehlen. Empörend und verrucht ist diese Benutzung von Philosophen und Theologen, durch deren Einfluß man auf das gemeine Volk wirken will und die man zwingt, durch Verrat an Vernunft und Gott sich öffentlich zu entehren. Wie manch schöner Name, wie manch hübsches Talent wird da zugrunde gerichtet für die nichtswürdigsten Zwecke. Wie schön war der Name Arndts, ehe er, auf höheren Geheiß, jenes schäbige Büchlein geschrieben, worin er wie ein Hund wedelt und hündisch, wie ein wendischer Hund, die Sonne des Julius anbellt. Stägemann, ein Name besten Klanges, wie tief ist er gesunken, seit er Russenlieder gedichtet! Mag es ihm die Muse verzeihen, die einst mit heiligem Kuß zu besseren Liedern seine Lippen geweiht hat. Was soll ich von Schleiermacher sagen, dem Ritter des roten Adlerordens dritter Klasse! Er war einst ein besserer Ritter und war selbst ein Adler und gehörte zur ersten Klasse. Aber nicht bloß die Großen, sondern auch die Kleinen werden ruiniert. Da ist der arme Ranke, den die preußische Regierung einige Zeit auf ihre Kosten reisen lassen, ein hübsches Talent, kleine historische Figürchen auszuschnitzeln und pittoresk nebeneinanderzukleben, eine gute Seele, gemütlich wie Hammelfleisch mit Teltower Rübchen, ein unschuldiger Mensch, den ich, wenn ich mal heurate, zu meinem Hausfreunde wähle und der gewiß auch liberal – dieser mußte jüngst in der Staatszeitung eine Apologie der Bundestagsbeschlüsse drucken lassen. Andere Stipendiaten, die ich nicht nennen will, haben Ähnliches tun müssen und sind doch ganz liberale Leute.

Oh, ich kenne sie, diese Jesuiten des Nordens! Wer nur jemals aus Not oder Leichtsinn das mindeste von ihnen angenommen hat, ist ihnen auf immer verfallen. Wie die Hölle Proserpinen nicht losgibt, weil sie den Kern eines Granatapfels dort genossen, so geben jene Jesuiten keinen Menschen los, der nur das mindeste von ihnen genossen hat, und sei es auch nur einen einzigen Kern des goldenen Apfels oder, um prosaisch zu sprechen, einen einzigen Louisdor; – kaum erlauben sie ihm, wie die Hölle der Proserpine, die eine Hälfte des Jahrs in oberweltlichem Lichte zuzubringen; – in solcher Periode erscheinen diese Leute wie Lichtmenschen, und sie nehmen Platz unter uns andern Olympiern und sprechen und schreiben ambrosisch liberal; doch zur gehörigen Zeit findet man sie wieder im höllischen Dunkel, im Reiche des Obskurantismus, und sie schreiben preußische Apologien, Erklärungen gegen den »Messager«, Zensurgesetzentwürfe oder gar eine Rechtfertigung der Bundestagsbeschlüsse.

Letztere, die Bundestagsbeschlüsse, kann ich nicht unbesprochen lassen. Ich werde ihre amtlichen Verteidiger nicht zu widerlegen noch viel weniger, wie vielfach geschehen, ihre Illegalität zu erweisen suchen. Da ich wohl weiß, von welchen Leuten die Urkunde, worauf sich jene Beschlüsse berufen, verfertigt worden ist, so zweifle ich keineswegs, daß diese Urkunde, nämlich die Wiener Bundesakte, zu jedem despotischen Gelüste die legalsten Befugnisse enthält. Bis jetzt hat man von jenem Meisterwerk der edlen Junkerschaft wenig Gebrauch gemacht, und sein Inhalt konnte dem Volke gleichgültig sein. Nun es aber ins rechte Tageslicht gestellt wird, dieses Meisterstück, nun die eigentlichen Schönheiten des Werks, die geheimen Springfedern, die verborgenen Ringe, woran jede Kette befestigt werden kann, die Fußangeln, die versteckten Halseisen, Daumschrauben, kurz, nun die ganze künstliche, durchtriebene Arbeit allgemein sichtbar wird: jetzt sieht jeder, daß das deutsche Volk, als es für seine Fürsten Gut und Blut geopfert und den versprochenen Lohn der Dankbarkeit empfangen sollte, aufs heilloseste getäuscht worden, daß man ein freches Gaukelspiel mit uns getrieben, daß man statt der zugelobten Magna Charta der Freiheit uns nur eine verbriefte Knechtschaft ausgefertigt hat.

Kraft meiner akademischen Befugnis als Doktor beider Rechte erkläre ich feierlichst, daß eine solche von ungetreuen Mandatarien ausgefertigte Urkunde null und nichtig ist; kraft meiner Pflicht als Bürger protestiere ich gegen alle Folgerungen, welche die Bundestagsbeschlüsse vom 28. Juni aus dieser nichtigen Urkunde geschöpft haben; kraft meiner Machtvollkommenheit als öffentlicher Sprecher erhebe ich gegen die Verfertiger dieser Urkunde meine Anklage und klage sie an des gemißbrauchten Volksvertrauens, ich klage sie an der beleidigten Volksmajestät, ich klage sie an des Hochverrats am deutschen Volke, ich klage sie an!

Armes Volk der Deutschen! Damals, während ihr euch ausruhtet von dem Kampfe für eure Fürsten und die Brüder begrubet, die in diesem Kampfe gefallen, und euch einander die treuen Wunden verbandet und lächelnd euer Blut noch rinnen saht aus der vollen Brust, die so voll Freude und Vertrauen war, so voll Freude wegen der Rettung der geliebten Fürsten, so voll Vertrauen auf die menschlich heiligsten Gefühle der Dankbarkeit: damals, dort unten zu Wien, in den alten Werkstätten der Aristokratie, schmiedete man die Bundesakte!

Sonderbar! Eben der Fürst, der seinem Volke am meisten Dank schuldig war, der deshalb seinem Volke eine repräsentative Verfassung, eine volkstümliche Konstitution, wie andere freie Völker sie besitzen, in jener Zeit der Not versprochen hat, schwarz auf weiß versprochen und mit den bestimmtesten Worten versprochen hat: dieser Fürst hat jetzt jene anderen deutschen Fürsten, die sich verpflichtet gehalten, ihren Untertanen eine freie Verfassung zu erteilen, ebenfalls zu Wortbruch und Treulosigkeit zu verführen gewußt, und er stützt sich jetzt auf die Wiener Bundesakte, um die kaum emporgeblühten deutschen Konstitutionen zu vernichten, er, welcher, ohne zu erröten, das Wort »Konstitution« nicht einmal aussprechen dürfte!

Ich rede von Sr. Majestät Friedrich Wilhelm, dritten des Namens, König von Preußen.

Monarchisch gesinnt, wie ich es immer war und wohl auch immer bleibe, widerstrebt es meinen Grundsätzen und Gefühlen, daß ich die Person der Fürsten selber einer allzu herben Rüge unterwürfe. Es liegt vielmehr in meinen Neigungen, sie ob ihrer guten Eigenschaften zu rühmen. Ich rühme daher gern die persönlichen Tugenden des Monarchen, dessen Regierungssystem oder vielmehr dessen Kabinett ich eben so unumwunden besprochen. Ich bestätige mit Vergnügen, daß Friedrich Wilhelm III. als Mensch die hohe Verehrung und Liebe verdient, die ihm der größte Teil des preußischen Volkes so reichlich spendet. Er ist gut und tapfer. Er hat sich standhaft im Unglück und, was viel seltener ist, milde im Glück gezeigt. Er ist von keuschem Herzen, rührend bescheidenem Wesen, bürgerlicher Prunklosigkeit, häuslich guten Sitten, ein zärtlicher Vater, besonders zärtlich für die schöne Zarewna, welcher Zärtlichkeit wir vielleicht die Cholera und ein noch größeres Übel, womit erst unsere Nachkommen kämpfen werden, schönstens verdanken. Außerdem ist der König von Preußen ein sehr religiöser Mann, er hält streng auf Religion, er ist ein guter Christ, er hängt fest am evangelischen Bekenntnisse, er hat selbst eine Liturgie geschrieben, er glaubt an die Symbole – ach! ich wollte, er glaubte an den Jupiter, den Vater der Götter, der den Meineid rächt, und er gäbe uns endlich die versprochene Konstitution.

Oder ist das Wort eines Königs nicht so heilig wie ein Eid?

Von allen Tugenden Friedrich Wilhelms rühmt man jedoch am meisten seine Gerechtigkeitsliebe. Man erzählt davon die rührendsten Geschichten. Noch jüngst hat er 11227 Taler 13 gute Groschen aus seiner Privatkasse geopfert, um den Rechtsansprüchen eines Kyritzer Bürgers zu genügen. Man erzählt, der Sohn des Müllers von Sanssouci habe aus Geldnot die berühmte Windmühle verkaufen wollen, worüber sein Vater mit Friedrich dem Großen prozessiert hat. Der jetzige König ließ aber dem benötigten Mann eine große Geldsumme vorstrecken, damit die berühmte Windmühle in dem alten Zustande stehenbleibe, als ein Denkmal preußischer Gerechtigkeitsliebe. Das ist alles sehr hübsch und löblich – aber wo bleibt die versprochene Konstitution, worauf das preußische Volk nach göttlichem und weltlichem Rechte die eigentümlichsten Ansprüche machen kann? Solange der König von Preußen diese heiligste »Obligatio« nicht erfüllt, solange er die wohlverdiente, freie Verfassung seinem Volke vorenthält, kann ich ihn nicht gerecht nennen, und sehe ich die Windmühle von Sanssouci, so denke ich nicht an preußische Gerechtigkeitsliebe, sondern an preußischen Wind.

Ich weiß sehr gut, die literarischen Lohnlakaien behaupten, der König von Preußen habe jene Konstitution nur der eigenen Laune halber versprochen, ein Versprechen, welches ganz unabhängig von den Zeitumständen gewesen sei. Die Toren! ohne Gemüt, wie sie sind, fühlen sie nicht, daß die Menschen, wenn man ihnen vorenthält, was man ihnen von Rechts wegen schuldig ist, weit weniger beleidigt werden, als wenn man ihnen das versagt, was man ihnen aus bloßer Liebe versprochen hat; denn in solchem Falle wird auch unsere Eitelkeit gekränkt, indem wir sehen, daß wir demjenigen, der uns aus freiem Willen etwas versprach, nicht mehr soviel wert sind.

Oder war es wirklich nur eigne Laune, ganz unabhängig von den Zeitumständen, was den König von Preußen einst bewogen hätte, seinem Volke eine freie Konstitution zu versprechen? Er hatte also auch nicht einmal damals die Absicht, dankbar zu sein? Und er hatte doch soviel Grund dazu, denn nie befand sich ein Fürst in einer kläglicheren Lage als die, worin der König von Preußen nach der Schlacht bei Jena geraten war und woraus ihn sein Volk gerettet. Standen ihm damals nicht die Tröstungen der Religion zu Gebote, er mußte verzweifeln ob der Insolenz, womit der Kaiser Napoleon ihn behandelte. Aber, wie gesagt, er fand Trost im Christentum, welches wahrlich die beste Religion ist nach einer verlorenen Schlacht. Ihn stärkte das Beispiel seines Heilandes; auch er konnte damals sagen: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt!«, und er vergab seinen Feinden, welche mit viermalhunderttausend Mann ganz Preußen besetzt hielten. Wäre Napoleon damals nicht mit weit wichtigeren Dingen beschäftigt gewesen, als daß er an Se. Majestät Friedrich Wilhelm III. allzuviel denken konnte, er hätte diesen gewiß gänzlich in Ruhestand gesetzt. Späterhin, als alle Könige von Europa sich gegen den Napoleon zusammenrotteten und der Mann des Volkes in dieser Fürsten-Emeute unterlag und der preußische Esel dem sterbenden Löwen die letzten Fußtritte gab: da bereute er zu spät die Unterlassungssünde. Wenn er in seinem hölzernen Käfig zu St. Helena auf und ab ging und es ihm in den Sinn kam, daß er den Papst kajoliert und vergessen hatte, Preußen zu zertreten: dann knirschte er mit den Zähnen, und wenn ihm dann eine Ratte in den Weg lief, dann zertrat er die arme Ratte.

Napoleon ist jetzt tot und liegt wohlverschlossen in seinem bleiernen Sarg unter dem Sand von Longwood, auf der Insel Sankt Helena. Rund herum ist Meer. Den braucht ihr also nicht mehr zu fürchten. Auch die letzten drei Götter, die noch im Himmel übriggeblieben, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, braucht ihr nicht zu fürchten, denn ihr steht gut mit ihrer heiligen Dienerschaft. Ihr braucht euch nicht zu fürchten, denn ihr seid mächtig und weise. Ihr habt Gold und Flinten, und was feil ist, könnt ihr kaufen, und was sterblich ist, könnt ihr töten. Eurer Weisheit kann man ebensowenig widerstehen. Jeder von euch ist ein Salomo, und es ist schade, daß die Königin von Saba, die schöne Frau, nicht mehr lebt; ihr hättet sie bis aufs Hemd enträtselt. Dann habt ihr auch eiserne Töpfe, worin ihr diejenigen einsperren könnt, die euch etwas zu raten aufgeben, wovon ihr nichts wissen wollt, und ihr könnt sie versiegeln und ins Meer der Vergessenheit versenken; alles wie König Salomo. Gleich diesem versteht ihr auch die Sprache der Vögel. Ihr wißt alles, was im Lande gezwitschert und gepfiffen wird, und mißfällt euch der Gesang eines Vogels, so habt ihr eine große Schere, womit ihr ihm den Schnabel zurechtschneidet, und wie ich höre, wollt ihr euch eine noch größere Schere anschaffen für die, welche über zwanzig Bogen singen. Dabei habt ihr die klügsten Vögel in eurem Dienste, alle Edelfalken, alle Raben, nämlich die schwarzen, alle Pfauen, alle Eulen. Auch lebt noch der alte Simurgh, und er ist euer Großwesir, und er ist der gescheuteste Vogel der Welt. Er will das Reich wieder ganz so herstellen, wie es unter den präadamitischen Sultanen bestanden, und er legt deshalb unermüdlich Eier, Tag und Nacht, und in Frankfurt werden sie ausgebrütet. Hut-Hut, der akkreditierte Wiedehopf, läuft unterdessen über den märk’schen Sand, mit den pfiffigsten Depeschen im Schnabel. Ihr braucht euch nicht zu fürchten.

Nur vor einem möchte ich euch warnen, nämlich vor dem »Moniteur« von 1793. Das ist ein Höllenzwang, den ihr nicht an die Kette legen könnt, und es sind Beschwörungsworte darin, die viel mächtiger sind als Gold und Flinten, Worte, womit man die Toten aus den Gräbern ruft und die Lebenden in den Tod schickt, Worte, womit man die Zwerge zu Riesen macht und die Riesen zerschmettert, Worte, die eure ganze Macht zerschneiden, wie das Fallbeil einen Königshals.

Ich will euch die Wahrheit gestehen. Es gibt Leute, die Mut genug besitzen, jene Worte auszusprechen, und die sich nicht gefürchtet hätten vor den grauenhaftesten Geistererscheinungen; aber sie wußten eben nicht das rechte Wort im Buche zu finden und hätten es auch mit ihren dicken Lippen nicht aussprechen können; sie sind keine Hexenmeister. Andere, die, vertraut mit der geheimnisvollen Wünschelrute, das rechte Wort wohl aufzufinden wüßten und auch mit zauberkundiger Zunge es auszusprechen vermöchten: diese waren zagen Herzens und fürchteten sich vor den Geistern, die sie beschwören sollten; – denn ach! wir wissen nicht das Sprüchlein, womit man die Geister wieder zähmt, wenn der Spuk allzu toll wird; wir wissen nicht, wie man die begeisterten Besenstiele wieder in ihre hölzerne Ruhe zurückbannt, wenn sie mit allzuviel rotem Wasser das Haus überschwemmen; wir wissen nicht, wie man das Feuer wieder bespricht, wenn es allzu rasend umherleckt; wir fürchteten uns.

Verlaßt euch aber nicht auf Ohnmacht und Furcht von unserer Seite. Der verhüllte Mann der Zeit, der ebenso kühnen Herzens wie kundiger Zunge ist und der das große Beschwörungswort weiß und es auch auszusprechen vermag, er steht vielleicht schon in eurer Nähe. Vielleicht ist er in knechtischer Livree oder gar in Harlekinstracht vermummt, und ihr ahnet nicht, daß es euer Verderber ist, welcher euch untertänig die Stiefel auszieht oder durch seine Schnurren euer Zwerchfell erschüttert. Graut euch nicht manchmal, wenn euch die servilen Gestalten mit fast ironischer Demut umwedeln und euch plötzlich in den Sinn kommt: das ist vielleicht eine List, dieser Elende, der sich so blödsinnig absolutistisch, so viehisch gehorsam gebärdet, der ist vielleicht ein geheimer Brutus? Habt ihr nicht nachts zuweilen Träume, die euch vor den kleinsten, windigsten Würmern warnen, die ihr des Tags zufällig kriechen gesehen? Ängstigt euch nicht! Ich scherze nur, ihr seid ganz sicher. Unsere dummen Teufel von Servilen verstellen sich durchaus nicht. Sogar der Jarcke ist nicht gefährlich. Seid auch außer Sorge in betreff der kleinen Narren, die euch zuweilen mit bedenklichen Späßen umgaukeln. Der große Narr schützt euch vor den kleinen. Der große Narr ist ein sehr großer Narr, riesengroß, und er nennt sich deutsches Volk.

Oh, das ist ein sehr großer Narr! Seine buntscheckige Jacke besteht aus sechsunddreißig Flicken. An seiner Kappe hängen statt der Schellen lauter zentnerschwere Kirchenglocken, und in der Hand trägt er eine ungeheure Pritsche von Eisen. Seine Brust aber ist voll Schmerzen. Nur will er an diese Schmerzen nicht denken, und er reißt deshalb um so lustigere Possen, und er lacht manchmal, um nicht zu weinen. Treten ihm seine Schmerzen allzu brennend in den Sinn, dann schüttelt er wie toll den Kopf und betäubt sich selber mit dem christlich frommen Glockengeläute seiner Kappe. Kommt ein guter Freund zu ihm, der teilnehmend über seine Schmerzen mit ihm reden will oder gar ihm ein Hausmittelchen dagegen anrät, dann wird er rein wütend und schlägt nach ihm mit der eisernen Pritsche. Er ist überhaupt wütend gegen jeden, der es gut mit ihm meint. Er ist der schlimmste Feind seiner Freunde und der beste Freund seiner Feinde. Oh! der große Narr wird euch immer treu und unterwürfig bleiben, mit seinen Riesenspäßchen wird er immer eure Junkerlein ergötzen, er wird täglich zu ihrem Vergnügen seine alten Kunststücke machen und unzählige Lasten auf der Nase balancieren und viele hunderttausend Soldaten auf seinem Bauche herumtrampeln lassen. Aber habt ihr gar keine Furcht, daß dem Narren mal all die Lasten zu schwer werden und daß er eure Soldaten von sich abschüttelt und euch selber aus Überspaß mit dem kleinen Finger den Kopf eindrückt, so daß euer Hirn bis an die Sterne spritzt?

Fürchtet euch nicht, ich scherze nur. Der große Narr bleibt euch untertänigst gehorsam, und wollen euch die kleinen Narren ein Leid zufügen, der große schlägt sie tot.

Geschrieben zu Paris, den 18. Oktober 1832

Heinrich Heine

Vive la France! quand même –

Artikel I

Paris, 28. Dezember 1831

Die erblichen Pairs haben jetzt ihre last speeches gehalten und waren gescheit genug, sich selber für tot zu erklären, um nicht vom Volke umgebracht zu werden. Dieser Bewegungsgrund ist ihnen von Casimir Périer ganz besonders ans Herz gelegt worden. Von solcher Seite ist also kein Vorwand zu Emeuten mehr vorhanden. Der Zustand des niedern Volks von Paris ist indessen, wie man sagt, so trostlos, daß bei dem geringsten Anlasse, der von außen her gegeben würde, eine mehr als sonst bedrohliche Emeute stattfinden kann. Ich glaube aber dennoch nicht, daß wir solchen Ausbrüchen so nahe sind, wie man in diesem Augenblicke behauptet. Nicht als ob ich die Regierung für gar zu mächtig hielte oder die Gegenparteien für gar zu kraftlos, im Gegenteil, die Regierung bekundet ihre Schwäche bei jeder Gelegenheit; namentlich geschah dies zur Zeit der Lyoner Unruhen, und was die Gegenparteien betrifft, so sind sie hinreichend erbittert und dürften obendrein bei Tausenden, die vor Elend sterben, die tollkühnste Unterstützung finden; – aber es ist jetzt kaltes, neblichtes Winterwetter.

»Sie werden heute abend nicht kommen, denn es regnet«, sagte Petion, nachdem er das Fenster geöffnet und wieder ruhig geschlossen, während seine Freunde, die Girondisten, von dem Volke, welches die Bergpartei verhetzte, einen Überfall erwarteten. Man erzählt diese Anekdote in den Revolutionsgeschichten, um Petions Phlegma zu zeigen. Aber seit ich mit eigenen Augen die Natur der Pariser Volksaufstände studiert, sehe ich ein, wie sehr man jene Worte mißverstand. Zu guten Emeuten gehört wirklich gutes Wetter, behaglicher Sonnenschein, ein angenehm warmer Tag, und daher gerieten sie im Junius, Juli und August immer am besten. Es darf dann auch nicht regnen, denn die Pariser fürchten nichts mehr als den Regen, und dieser verscheucht die Hunderttausende von Männern, Weibern und Kindern, die meistens geputzt und lachend nach den Walstätten ziehen und durch ihre Anzahl den Mut der Agitatoren heben. Auch darf die Luft nicht neblicht sein, sonst kann man ja die großen Plakate, die das Gouvernement an die Straßenecken anschlägt, nicht lesen; und doch muß diese Lektüre dazu dienen, die Menschenmassen nach bestimmten Orten zusammenzuziehen, wo sie sich am besten drängen, stoßen und tumultuarisch aufregen können. Guizot, ein fast deutscher Pedant, hat, als er Konrektor von Frankreich war, auf solchen Plakaten auch all sein philosophisch-historisches Wissen auskramen wollen, und man versichert, daß eben weil die Volkshaufen mit dieser Lektüre nicht so leicht fertig werden konnten und sich daher an den Straßenecken um so drängender vermehrten, sei die Emeute so bedenklich geworden, daß der arme Doktrinär, ein Opfer seiner eigenen Gelehrsamkeit, sein Amt niederlegen mußte. Was aber vielleicht die Hauptsache ist, bei kaltem Wetter können im Palais Royal keine Zeitungen gelesen werden, und doch ist es hier, wo unter den hübschen Bäumen sich die eifrigsten Politiker versammeln, die Blätter vorlesen, in wütenden Gruppen debattieren und ihre Inspirationen nach allen Richtungen verbreiten.

Es hat sich jetzt gezeigt, wie sehr man dem vorigen Orleans, dem Philipp Egalité, unrecht tat, als man ihn der Oberleitung der meisten Volksaufstände beschuldigte, weil man damals entdeckt hatte, daß das Palais Royal, wo er wohnte, der Mittelpunkt derselben sei. In diesem Jahre zeigte sich das Palais Royal noch immer als ein solcher Mittelpunkt; es war noch immer der Versammlungsort aller unruhigen Köpfe; es war noch immer das Hauptquartier der Unzufriedenen, und doch hatte sein jetziger Eigentümer dergleichen Volk gewiß nicht berufen und besoldet. Der Geist der Revolution wollte das Palais Royal nicht verlassen, obgleich sein Eigentümer König geworden, und dieser war deshalb gezwungen, seine alte Wohnung aufzugeben. Man sprach von besonderen Besorgnissen, die jene Wohnungsveränderung veranlaßt hätten, namentlich sprach man von der Furcht vor einer französischen Pulververschwörung. Freilich, da von einem Teile des Palastes, den oben der König bewohnte, das Rez-de-chaussée für Butiken vermietet ist, so wäre es leicht gewesen, die Pulverfässer dorthin zu bringen und Se. Majestät mit aller Bequemlichkeit in die Luft zu sprengen. Andere meinten, es sei nicht anständig gewesen, daß Ludwig Philipp oben regierte, während unten Hr. Chevet seine Würste verkaufe. Letzteres ist aber doch ein ebenso honettes Geschäft, und ein Bürgerkönig hätte darum just nicht auszuziehen gebraucht, zumal Ludwig Philipp, der sich noch voriges Jahr über alles feudalistische und cäsartümliche Herkommen und Kostümwesen mokiert und gegen einige junge Republikaner geäußert hatte, die goldene Krone sei zu kalt im Winter und zu heiß im Sommer, ein Zepter sei zu stumpf, um es als Waffe, und zu kurz, um es als Stütze zu gebrauchen, und ein runder Filzhut und ein guter Regenschirm sei in jetziger Zeit viel nützlicher.

Ich weiß nicht, ob Ludwig Philipp sich dieser Äußerungen noch zu besinnen weiß, denn es ist schon lange her, seit er das letztemal mit rundem Hut und Regenschirm durch die Straßen von Paris wanderte und mit raffinierter Treuherzigkeit die Rolle eines biedern, schlichten Hausvaters spielte. Er drückte damals jedem Spezereihändler und Handwerker die Hand und trug dazu, wie man sagt, einen besondern schmutzigen Handschuh, den er jedesmal wieder auszog und mit einem reineren Glacéhandschuh vertauschte, wenn er in seine höhere Region, zu seinen alten Edelleuten, Bankierministern, Intriganten und amarantroten Lakaien, wieder hinaufstieg. Als ich ihn das letztemal sah, wandelte er auf und nieder zwischen den goldenen Türmchen, Marmorvasen und Blumen auf dem Dache der Galerie Orleans. Er trug einen schwarzen Rock, und auf seinem breiten Gesichte spazierte eine Sorglosigkeit, worüber wir fast ein Grauen empfinden, wenn wir die schwindelnde Stellung des Mannes bedenken. Man sagt jedoch, sein Gemüt sei gar nicht so sorglos wie sein Gesicht.

Es ist gewiß tadelnswert, daß man das Gesicht des Königs zum Gegenstande der meisten Witzeleien erwählt und daß er in allen Karikaturläden als Zielscheibe des Spottes ausgehängt ist. Wollen die Gerichte diesem Frevel Einhalt tun, dann wird gewöhnlich das Übel noch vermehrt. So sahen wir jüngst, wie aus einem Prozesse der Art sich ein anderer entspann, wobei der König nur noch desto mehr kompromittiert wurde. Nämlich Philipon, der Herausgeber eines Karikaturjournals, verteidigte sich folgendermaßen: Wolle man in irgendeiner Karikaturfratze eine Ähnlichkeit mit dem Gesichte des Königs finden, so fände man diese auch, sobald man nur wolle, in jedem beliebigen, noch so heterogenen Bildnisse, so daß am Ende niemand vor einer Anklage beleidigter Majestät sichergestellt sei. Um den Vordersatz zu beweisen, zeichnete er auf ein Stück Papier mehrere Karikaturengesichter, wovon das erste dem Könige frappant glich, das zweite aber dem ersten glich, ohne daß jene königliche Ähnlichkeit allzu bemerkbar blieb, in solcher Weise glich wieder das dritte dem zweiten und das vierte dem dritten Gesicht, dergestalt aber, daß jenes vierte Gesicht ganz wie eine Birne aussah und dennoch eine leise, jedoch desto spaßhaftere Ähnlichkeit mit den Zügen des geliebten Monarchen darbot. Da nun Philipon trotzdem von der Jury verurteilt wurde, druckte er in seinem Journale seine Verteidigungsrede, und zu den Beweisstücken gab er lithographiert das Blatt mit den vier Karikaturgesichtern. Wegen dieser Lithographie, die unter dem Namen »Die Birne« bekannt ist, wurde der geistreiche Künstler nun wieder verklagt, und die ergötzlichsten Verwicklungen erwartet man von diesem Prozesse. Ich glaube, Ludwig Philipp ist kein unedler Mann, der auch gewiß nicht das Schlechte will und der nur den Fehler hat, sein eigenstes Lebensprinzip zu verkennen. Dadurch kann er zugrunde gehen. »Denn«, wie Sallust tiefsinnig ausspricht, »die Regierungen können sich nur durch dasjenige erhalten, wodurch sie entstanden sind«, so z.B., daß eine Regierung, die durch Gewalt gestiftet worden, sich auch nur durch Gewalt erhält, nicht durch List, und so umgekehrt. Ludwig Philipp hat vergessen, daß seine Regierung durch das Prinzip der Volkssouveränetät entstanden ist, und in trübseligster Verblendung möchte er sie jetzt durch eine Quasilegitimität, durch Verbindung mit absoluten Fürsten und durch Fortsetzung der Restaurationsperiode zu erhalten suchen. Dadurch geschieht es, daß jetzt die Geister der Revolution ihm grollen und unter allen Gestalten ihn befehden. Diese Fehde ist jedenfalls noch gerechter als die Fehde gegen die vorige Regierung, welche dem Volke nichts verdankte und sich ihm gleich anfangs offen feindlich entgegensetzte. Ludwig Philipp, der dem Volke und den Pflastersteinen des Julius seine Krone verdankte, ist ein Undankbarer, dessen Abfall um so verdrießlicher, da man täglich mehr und mehr die Einsicht gewinnt, daß man sich gröblich täuschen lassen. Ja, täglich geschehen offenbare Rückschritte, und wie man die Pflastersteine, die man in den Juliustagen als Waffe gebrauchte und die an einigen Orten noch seitdem aufgehäuft lagen, jetzt wieder ruhig einsetzt, damit keine äußere Spur der Revolution übrigbleibe: so wird auch jetzt das Volk wieder an seine vorige Stelle, wie Pflastersteine, in die Erde zurückgestampft und, nach wie vor, mit Füßen getreten.

Ich habe vergessen, oben zu erwähnen: unter den Beweggründen, die dem Könige zugeschrieben worden, als er das Palais Royal verließ und die Tuilerien bezog, gehörte das Gerücht, daß er die Krone nur zum Scheine angenommen, daß er im Herzen seinem legitimen Herrn, Karl X., ergeben geblieben, daß er dessen Rückkehr vorbereite und deshalb auch nicht die Tuilerien beziehe. Die Karlisten hatten dieses Gerücht ausgeheckt, und es war absurd genug, um beim Volke Eingang zu finden. Nun, diesem Gerüchte ist durch die Tat widersprochen, der Sohn Egalités ist endlich als Sieger eingezogen durch die Triumphpforte des Carrousels und spaziert jetzt mit seinem sorglosen Gesichte und mit Hut und Regenschirm durch die weltgeschichtlichen Gemächer der Tuilerien. Man sagt, die Königin habe sich sehr gesträubt, dieses »Haus des Unglücks« zu bewohnen. Vom Könige will man wissen, er habe dort in der ersten Nacht nicht so gut wie gewöhnlich schlafen können und sei von allerlei Visionen heimgesucht worden; z.B. Marie Antoinette habe er mit zornsprühenden Nüstern, wie einst am 10. August, umherrennen sehen; dann habe er das hämische Gelächter jenes roten Männleins gehört, das sogar manchmal hinter Napoleons Rücken vernehmlich lachte, wem dieser eben seine stolzesten Befehle im Audienzsaale erteilte; endlich aber sei St. Denis zu ihm gekommen und habe ihn im Namen Ludwigs XVI. auf Guillotinen herausgefordert. St. Denis ist, wie männiglich weiß, der Schutzpatron der Könige von Frankreich, bekanntlich ein Heiliger, der mit seinem eigenen Kopfe in der Hand dargestellt wird.

Bedenklicher als alle Gespenster, die im Innern des Schlosses lauern mögen, sind die Torheiten, die sich bei seinen Außenwerken offenbaren. Ich rede von den famösen fossés des Tuileries. Diese waren lange Zeit ein Hauptgegenstand der Unterhaltung sowohl in Salons als in Carrefours, und noch immer liegen sie im Bereiche der bittersten und feindseligsten Besprechung. Als noch vor der Gartenfassade der Tuilerien die hohen Bretterwände standen, die den Augen des Publikums jene Arbeiten verhüllten, hörte man darüber die absurdesten Hypothesen. Die meisten meinten, der König wolle das Schloß befestigen, und zwar von der Gartenseite, wo einst am 10. August das Volk so leicht eindringen konnte. Es hieß sogar, der Pont Royal würde deshalb abgebrochen. Andere meinten, der König wolle nur eine lange Mauer aufrichten, um sich selbst die Aussicht nach der Place de la Concorde zu verdecken; dieses jedoch geschehe nicht aus kindischer Furcht, sondern aus Zartgefühl; denn sein Vater starb auf der Place de Grève, die Place de la Concorde aber war der Hinrichtungsplatz für die ältere Linie. Indessen, wie dem armen Ludwig Philipp so oft Unrecht geschieht, so auch hier. Als man jene mystischen Bretterwände vor dem Schlosse wieder niederriß, sah man weder Befestigungswerke noch Schutzmauern, weder Schanzgräben noch Bastionen, sondern eitel Dummheit und Blumen. Der König hatte nämlich, bausüchtig wie er ist, den Einfall gehabt, vor dem Schlosse einen kleinen Garten für sich und seine Familie von dem größern öffentlichen Garten abzuscheiden, diese Abscheidung war nur durch einen gewöhnlichen Graben und ein Drahtgitterwerk von einigen Fuß Höhe ausgeführt worden, und in den ausgestochenen Beeten standen schon Blumen, ebenso unschuldig wie jene Gartenidee des Königs selbst.

Casimir Périer soll aber über diese unschuldige Idee, die ohne sein Vorwissen ausgeführt worden, sehr ärgerlich gewesen sein. Denn jedenfalls veranlaßt sie den gerechten Unmut des Publikums über die Verunstaltung des ganzen Gartens, eines Meisterstücks von Le Nôtre, das eben durch sein großartiges Ensemble so sehr imponiert. Es ist gerade, als wollte man einige Szenen aus einer Racineschen Tragödie ausscheiden. Englische Gärten und romantische Dramen mag man immerhin ohne Schaden, oft sogar mit Vorteil verkürzen; Racines poetische Gärten aber mit ihren sublim langweiligen Einheiten, pathetischen Marmorgestalten, gemessenen Abgängen und sonstig strengem Zuschnitt, ebensowenig wie Le Nôtres grüne Tragödie, die mit der breiten Tuilerien-Exposition so großartig beginnt und mit der erhabenen Terrasse, wo man die Katastrophe des Concordeplatzes schaut, so großartig endigt, kann man nicht im mindesten verändern, ohne ihre Symmetrie, und also ihre eigentliche Schönheit, zu zerstören. Außerdem ist jener unzeitige Gartenbau noch wegen anderer Gründe dem König schädlich. Erstens kommt er dadurch um so öfter ins Gerede, was ihm doch jetzt nicht sonderlich nützlich ist; zweitens versammelt sich dadurch in seiner persönlichen Nähe beständig viel Gaffervolk, das allerlei bedenkliche Glossen macht, das vielleicht seinen Hunger durch Schaulust zu vergessen sucht, für jeden Fall aber lange müßige Hände hat. Da hört man bitter scharfe Bemerkungen und rote Witzeleien, die an die neunziger Jahre erinnern. An der einen Eingangsseite des neuen Gartens steht ein metallener Abguß des Messerschleifers, dessen Original in der Tribune zu Florenz zu sehen ist und über dessen Bedeutung verschiedene Meinungen herrschen. Hier aber, im Tuileriengarten, hörte ich über den Sinn dieses Bildes einige moderne Auslegungen, worüber manche Antiquare mitleidig lächeln und manche Aristokraten heimlich erzittern würden.

Gewiß, dieser Gartenbau ist eine kolossale Torheit und gibt den König den gehässigsten Anschuldigungen preis. Man kann ihn sogar als eine symbolische Handlung interpretieren. Ludwig Philipp zieht einen Graben zwischen sich und dem Volke, er trennt sich von demselben auch sichtbar. Oder hat er das Wesen des konstitutionellen Königtums so kleinmütig aufgefaßt und so kurzsinnig begriffen, daß er meint, wenn er dem Volke den größern Teil des Gartens überlasse, so dürfe er den kleinern Teil desto ausschließlicher als Privatgärtchen besitzen? Nein, das absolute Königtum mit seinem großartig egoistischen Ludwig XIV., der statt des L’état c’est moi auch sagen konnte Les tuileries c’est moi, erschiene alsdann viel herrlicher als die konstitutionelle Volkssouveränetät mit ihrem Ludwig Philipp I., der angstvoll sein Privatgärtchen abgrenzt und ein kümmerliches Chacun chez soi in Anspruch nimmt. Man sagt, daß der ganze Bau im Frühjahre vollendet werde. Alsdann wird auch das neue Königtum, das jetzt noch sowenig ausgebaut und noch so kalkfrisch ist, etwas fertiger aussehen. Seine gegenwärtige Erscheinung ist im höchsten Grade ungewöhnlich. In der Tat, wenn man jetzt die Tuilerien von der Gartenseite betrachtet und all jenes Graben und Umgraben, das Versetzen der Statuen, das Pflanzen der laublosen Bäume, den alten Steinschutt, die neuen Baumaterialien und all die Reparaturen sieht, wobei soviel gehämmert, geschrien, gelacht und getobt wird: dann glaubt man ein Sinnbild des neuen unvollendeten Königtums selbst vor Augen zu haben.

Artikel II

Paris, 19. Januar 1832

Der »Temps« bemerkt heute, daß die »Allgemeine Zeitung« jetzt Artikel liefere, die feindselig gegen die königliche Familie gerichtet seien, und daß die deutsche Zensur, die nicht die geringste Äußerung gegen absolute Könige erlaube, gegen einen Bürgerkönig nicht die mindeste Schonung ausübe. Der »Temps« ist doch die gescheiteste Zeitschrift der Welt! Mit wenigen milden Worten erreicht er seine Zwecke viel schneller als andere mit ihrer lautesten Polemik. Sein schlauer Wink ist hinreichend verstanden worden, und ich weiß wenigstens einen liberalen Schriftsteller, der es jetzt seiner Ehre nicht angemessen hält, unter Zensurerlaubnis gegen einen Bürgerkönig die feindliche Sprache zu führen, die man ihm gegen einen absoluten König nicht gestatten würde. Aber dafür tue uns Ludwig Philipp auch den einzigen Gefallen, ein Bürgerkönig zu bleiben. Eben weil er den absoluten Königen täglich ähnlicher wird, müssen wir ihm grollen. Er ist gewiß als Mensch ganz ehrenfest und ein achtungswerter Familienvater, zärtlicher Gatte und guter Ökonom; aber es ist verdrießlich, daß er alle Freiheitsbäume abschlagen läßt und sie ihres hübschen Laubwerks entkleidet, um daraus Stützbalken zu zimmern für das wackelnde Haus Orleans. Deshalb, nur deshalb zürnt ihm die liberale Presse, und die Geister der Wahrheit verschmähen sogar die Lüge nicht, um ihn damit zu befehden. Es ist traurig, bejammernswert, daß durch diese Taktik sogar die Familie des Königs leiden muß, die ebenso schuldlos wie liebenswürdig ist. Von dieser Seite wird die deutsche liberale Presse, minder geistreich, aber gemütvoller als ihre französische ältere Schwester, sich keine Grausamkeiten zuschulden kommen lassen. »Ihr solltet wenigstens mit dem Könige Mitleid haben!« rief jüngst das sanftlebende »Journal des débats«. – »Mitleid mit Ludwig Philipp!« entgegnete die »Tribune«, »dieser Mann verlangt fünfzehn Millionen und unser Mitleid! Hat er Mitleid gehabt mit Italien, mit Polen usw.?« – Ich sah diese Tage die unmündige Waise des Menotti, der in Modena gehenkt worden. Auch sah ich unlängst Señora Luisa de Torrijos, eine arme todblasse Dame, die schnell wieder nach Paris zurückgekehrt ist, als sie an der spanischen Grenze die Nachricht von der Hinrichtung ihres Gatten und seiner zweiundfünfzig Unglücksgefährten erfuhr. Ach, ich habe wirklich Mitleid mit Ludwig Philipp!

Die »Tribune«, das Organ der offen republikanischen Partei, ist unerbittlich gegen ihren königlichen Feind und predigt täglich die Republik. Der »National«, das rücksichtsloseste und unabhängigste Journal Frankreichs, hat unlängst auf eine befremdende Art in diesen Ton eingestimmt. Furchtbar, wie ein Echo aus den blutigsten Tagen der Konvention, klangen die Reden jener Häuptlinge der Société des amis du peuple, die vorige Woche vor den Assisen standen, angeklagt, »gegen die bestehende Regierung konspiriert zu haben, um dieselbe zu stürzen und eine Republik zu errichten«. Sie wurden von der Jury freigesprochen, weil sie bewiesen, daß sie keineswegs konspiriert, sondern ihre Gesinnungen im Angesichte des ganzen Publikums ausgesprochen hätten. »Ja, wir wünschen den Umsturz dieser schwachen Regierung, wir wollen eine Republik«, war der Refrain aller ihrer Reden vor Gericht.

Während auf der einen Seite die ernsthaften Republikaner das Schwert ziehen und mit Donnerworten grollen, blitzt und lacht »Figaro« und schwingt am wirksamsten seine leichte Geißel. Er ist unerschöpflich in Witzen über »die beste Republik«, ein Ausdruck, wodurch zugleich der arme Lafayette geneckt wird, weil er bekanntlich einst vor dem Hôtel de ville den Ludwig Philipp umarmt und ausgerufen: »Vous êtes la meilleure république!« Dieser Tage bemerkte »Figaro«, man verlange keine Republik, seit man die beste gesehen. Ebenso sanglant sagt er bei Gelegenheit der Debatten über die Zivilliste: »La meilleure république coûte quinze millions.«

Die Partei der Republikaner will dem Lafayette seinen Mißgriff in betreff des empfohlenen Königs nimmermehr verzeihen. Sie wirft ihm vor, daß er den Ludwig Philipp lange genug gekannt habe, um vorauswissen zu können, was von ihm zu erwarten sei. Lafayette ist jetzt krank, kummerkrank. Ach! das größte Herz beider Welten, wie schmerzlich muß es jene königliche Täuschung empfinden! Vergebens, in der ersten Zeit, mahnte Lafayette beständig an das Programme de l’hôtel de ville, an die republikanischen Institutionen, womit das Königtum umgeben werden sollte, und an ähnliche Versprechungen. Aber ihn überschrien jene doktrinären Schwätzer, die aus der englischen Geschichte von 1688 beweisen, daß man sich im Julius 1830 nur für die Aufrechterhaltung der Charte in Paris geschlagen und alle Aufopferungen und Kämpfe nur die Einsetzung der jüngern Linie der Bourbone an die Stelle der ältern bezweckt habe, ebenso wie einst in England mit der Einsetzung des Hauses Oranien an die Stelle der Stuarts alles abgetan war. Thiers, welcher zwar nicht wie die Doktrinäre denkt, aber jetzt im Sinne dieser Partei spricht, hat ihr in der letzten Zeit nicht geringen Vorschub geleistet. Dieser Indifferentist von der tiefsten Art, der so wunderbar maßzuhalten weiß in der Klarheit, Verständigkeit und Veranschaulichung seiner Schreibweise, dieser Goethe der Politik, ist gewiß in diesem Augenblicke der mächtigste Verfechter des Périerschen Systems, und wahrlich, mit seiner Broschüre gegen Chateaubriand vernichtete er fast jenen Don Quixote der Legitimität, der auf seiner geflügelten Rosinante so pathetisch saß, dessen Schwert mehr glänzend als scharf war und der nur mit kostbaren Perlen schoß, statt mit guten, eindringlichen Bleikugeln.

In ihrem Unmute über die klägliche Wendung der Ereignisse lassen sich viele Freiheitsenthusiasten sogar zur Verlästerung des Lafayette verleiten. Wie weit man in dieser Hinsicht sich vergehen kann, ergibt sich aus der Schrift des Belmontet, die ebenfalls gegen die bekannte Broschüre des Chateaubriand gerichtet ist und worin mit ehrenwerter Offenheit die Republik gepredigt wird. Ich würde die bittern Urteile, die in dieser Schrift über Lafayette vorkommen, hier ganz hersetzen, wären sie nicht einesteils gar zu gehässig und ständen sie nicht andernteils in Verbindung mit einer für diese Blätter unstatthaften Apologie der Republik. Ich verweise aber in dieser Hinsicht auf die Schrift selbst und namentlich auf einen Abschnitt derselben, der »Die Republik« überschrieben ist. Man sieht da, wie Menschen, die edelsten sogar, ungerecht werden durch das Unglück.

Den glänzenden Wahn von der Möglichkeit einer Republik in Frankreich will ich hier nicht bekämpfen. Royalist aus angeborner Neigung, werde ich es in Frankreich auch aus Überzeugung. Ich bin überzeugt, daß die Franzosen keine Republik, weder die Verfassung von Athen noch die von Sparta und am allerwenigsten die von Nordamerika, ertragen können. Die Athener waren die studierende Jugend der Menschheit, die Verfassung von Athen war eine Art akademischer Freiheit, und es wäre töricht, diese in unserer erwachsenen Zeit, in unserem greisen Europa wieder einführen zu wollen. Und gar wie ertrügen wir die Verfassung von Sparta, dieser großen, langweiligen Patriotismusfabrik, dieser Kaserne der republikanischen Tugend, dieser erhaben schlechten Gleichheitsküche, worin die schwarzen Suppen so schlecht gekocht wurden, daß attische Witzlinge behaupteten, die Lakedämonier seien deshalb Verächter des Lebens und todesmutige Helden in der Schlacht. Wie könnte solche Verfassung gedeihen im Foyer der Gourmands, im Vaterlande des Véry, der Véfour, des Carême! Dieser letztere würde sich gewiß, wie Vatel, in sein Schwert stürzen, als ein Brutus der Kochkunst, als der letzte Gastronome! Wahrlich, hätte Robespierre nur die spartanische Küche eingeführt, so wäre die Guillotine ganz überflüssig gewesen; denn die letzten Aristokraten wären alsdann vor Schrecken gestorben oder schleunigst emigriert. Armer Robespierre! du wolltest republikanische Strenge einführen in Paris, in einer Stadt, worin 150000 Putzmacherinnen und 150000 Perruquiers und Parfumeurs ihr lächelndes, frisierendes und duftendes Gewerbe treiben!

Die amerikanische Lebensmonotonie, Farblosigkeit und Spießbürgerei wäre noch unerträglicher in der Heimat der Schaulust, der Eitelkeit, der Moden und Novitäten. Wahrlich, nirgends grassiert die Krankheit der Auszeichnungssucht so sehr wie in Frankreich. Vielleicht mit Ausnahme von August Wilhelm Schlegel gibt es keine Frau in Deutschland, die sich so gern durch ein buntes Bändchen auszeichnete wie die Franzosen; sogar die Juliushelden, die doch für Freiheit und Gleichheit gefochten, ließen sich hernach dafür mit einem blauen Bändchen dekorieren, um sich dadurch von dem übrigen Volke zu unterscheiden. Wenn ich aber deshalb das Gedeihen einer Republik in Frankreich bezweifele, so läßt sich darum doch nicht leugnen, daß alles zu einer Republik aboutiert, daß die republikanische Ehrfurcht für das Gesetz an die Stelle der royalistischen Personenverehrung getreten ist bei den Besseren und daß die Opposition ebenso, wie sie einst fünfzehn Jahre lang mit einem Könige Komödie gespielt, jetzt dieselbe Komödie mit dem Königtume selber fortsetzt und daß also die Republik wenigstens für kurze Zeit das Ende des Liedes sein könnte. Die Karlisten befördern solches, da sie es als eine notwendige Phase betrachten, um wieder zum absoluten Königtume der älteren Linie zu gelangen. Deshalb gebärden sie sich jetzt als die eifrigsten Republikaner, selbst Chateaubriand preist die Republik, nennt sich Republikaner aus Neigung, fraternisiert mit Marrast und läßt sich die Akkolade erteilen von Béranger. Die »Gazette«, die heuchlerische »Gazette de France«, schmachtet jetzt nach republikanischen Staatsformen, allgemeinem Votum, Primärversammlungen usw. Es ist spaßhaft, wie die verkappten Pfäffchen jetzt in der Sprache des Sansculottismus bramarbasieren, wie farousch sie mit der roten Jakobinermütze kokettieren, wie sie dennoch manchmal in Angst geraten, sie hätten etwa statt dessen aus Zerstreuung das rote Prälatenkäppchen aufgesetzt, wie sie dann die erborgte Bedeckung einen Augenblick vom Haupte nehmen und alle Welt die Tonsur bemerkt. Solche Leute glauben jetzt ebenfalls den Lafayette schmähen zu dürfen, und dieses dient ihnen dann als süße Erholung für den sauren Republikanismus, den Freiheitszwang, den sie sich auferlegen müssen.

Aber was auch die verblendeten Freunde und die heuchlerischen Feinde sagen mögen, Lafayette ist nächst Robespierre der reinste Charakter der französischen Revolution, und nächst Napoleon ist er ihr populärsten Held. Napoleon und Lafayette sind die beiden Namen, die jetzt in Frankreich am schönsten blühen. Freilich ihr Ruhm ist verschiedener Art; dieser kämpfte mehr für den Frieden als für den Sieg, und jener kämpfte mehr um den Lorbeer als um den Eichenkranz. Freilich, es wäre lächerlich, wenn man die Größe beider Helden messen wollte mit demselben Maßstabe und den einen hinstellen wollte auf das Postament des andern. Es wäre lächerlich, wenn man das Standbild des Lafayette auf die Vendômesäule setzen wollte, auf jene Säule, die aus den erbeuteten Kanonen so vieler Schlachten gegossen worden und deren Anblick, wie Barbier singt, keine französische Mutter ertragen kann. Auf diese eiserne Säule stellt den Napoleon, den eisernen Mann, hier wie im Leben fußend auf seinen Kanonenruhm und schauerlich isoliert emporragend in den Wolken, so daß jedem ehrgeizigen Soldaten, wenn er ihn dort oben, den Unerreichbaren, erblickt, das gedemütigte Herz geheilt wird von der eiteln Ruhmsucht und solchermaßen diese kolossale Metallsäule als ein Gewitterableiter des Heldentums den friedlichsten Nutzen stifte in Europa.

Lafayette gründete sich eine bessere Säule als die des Vendômeplatzes und ein besseres Standbild als von Metall oder Marmor. Wo gibt es Marmor so rein wie das Herz, wo gibt es Metall so fest wie die Treue des alten Lafayette? Freilich, er war immer einseitig, aber einseitig wie die Magnetnadel, die immer nach Norden zeigt, niemals zur Abwechslung einmal nach Süden oder Osten. So sagt Lafayette seit vierzig Jahren täglich dasselbe und zeigt beständig nach Nordamerika; er ist es, der die Revolution eröffnete mit der Erklärung der Menschenrechte; noch zu dieser Stunde beharrt er auf dieser Erklärung, ohne welche kein Heil zu erwarten sei – der einseitige Mann mit seiner einseitigen Himmelsgegend der Freiheit! Freilich! er ist kein Genie, wie Napoleon war, in dessen Haupte die Adler der Begeisterung horsteten, während in seinem Herzen die Schlangen des Kalküls sich ringelten; aber er hat sich doch nie von Adlern einschüchtern oder von Schlangen verführen lassen. Als Jüngling weise wie ein Greis, als Greis feurig wie ein Jüngling, ein Schützer des Volks gegen die List der Großen, ein Schützer der Großen gegen die Wut des Volkes, mitleidend und mitkämpfend, nie übermütig und nie verzagend, ebenmäßig streng und milde, so blieb Lafayette sich immer gleich; und so in seiner Einseitigkeit und Gleichmäßigkeit blieb er auch immer stehen auf demselben Platze, seit den Tagen Marie Antoinettens bis auf heutige Stunde; ein getreuer Eckart der Freiheit, steht er noch immer auf seinem Schwerte gestützt und warnend vor dem Eingange der Tuilerien, dem verführerischen Venusberge, dessen Zaubertöne so verlockend klingen und aus dessen süßen Netzen die armen Verstrickten sich niemals wieder losreißen können.

Es ist freilich wahr, daß dennoch der tote Napoleon noch mehr von den Franzosen geliebt wird als der lebende Lafayette. Vielleicht eben weil er tot ist, was wenigstens mir das liebste an Napoleon ist; denn lebte er noch, so müßte ich ihn ja bekämpfen helfen. Man hat außer Frankreich keinen Begriff davon, wie sehr noch das französische Volk an Napoleon hängt. Deshalb werden auch die Mißvergnügten, wenn sie einmal etwas Entscheidendes wagen, damit anfangen, daß sie den jungen Napoleon proklamieren, um sich der Sympathie der Massen zu versichern. »Napoleon« ist für die Franzosen ein Zauberwort, das sie elektrisiert und betäubt. Es schlafen tausend Kanonen in diesem Namen, ebenso wie in der Säule des Vendômeplatzes, und die Tuilerien werden zittern, wenn einmal diese Kanonen erwachen. Wie die Juden den Namen ihres Gottes nicht eitel aussprachen, so wird hier Napoleon selten bei seinem Namen genannt, und er heißt immer »der Mann, l’homme«. Aber sein Bild sieht man überall, in Kupferstich und Gips, in Metall und Holz und in allen Situationen. Auf allen Boulevards und Carrefours stehen Redner, die ihn preisen, den Mann, Volkssänger, die seine Taten besingen. Als ich gestern abend beim Nachhausegehen in ein einsam dunkles Gäßchen geriet, stand dort ein Kind von höchstens drei Jahren vor einem Talglichtchen, das in die Erde gesteckt war, und lallte ein Lied zum Ruhme des großen Kaisers. Als ich ihm einen Sou auf das ausgebreitete Taschentuch hinwarf, rutschte etwas neben mir, welches ebenfalls um einen Sou bat. Es war ein alter Soldat, der ebenfalls von dem Ruhme des großen Kaisers ein Liedchen singen konnte, denn dieser Ruhm hatte ihm beide Beine gekostet. Der arme Krüppel bat mich nicht im Namen Gottes, sondern mit gläubigster Innigkeit flehte er: »Au nom de Napoléon, donnez-moi un sou.« So dient dieser Name auch als das höchste Beschwörungswort des Volkes, Napoleon ist sein Gott, sein Kultus, seine Religion; und diese Religion wird am Ende langweilig wie jede andere. Dagegen wird Lafayette mehr als Mensch verehrt oder als Schutzengel. Auch er lebt in Bildern und Liedern, aber minder heroisch, und ehrlich gestanden, es hat sogar einen komischen Effekt auf mich gemacht, als ich voriges Jahr den 28. Julius im Gesange der Parisienne die Worte hörte: »Lafayette aux cheveux blancs«, während ich ihn selbst mit seiner braunen Perücke neben mir stehen sah. Es war auf dem Bastillenplatz, der Mann war auf seinem rechten Platze, und dennoch mußte ich heimlich lachen. Vielleicht eben solche komische Beimischung bringt ihn unseren Herzen menschlich näher. Seine Bonhomie wirkt sogar auf Kinder, und diese verstehen seine Größe vielleicht noch besser als die Großen. Hierüber weiß ich wieder eine kleine Bettelgeschichte zu erzählen, die aber den Charakter des Lafayetteschen Ruhms in seiner Unterscheidung von dem Napoleonschen bezeichnet. Als ich nämlich jüngst an einer Straßenecke vor dem Pantheon stillstand und, wie gewöhnlich, dieses schöne Gebäude betrachtend, in Nachdenken versank, bat mich ein kleiner Auvergniate um einen Sou, und ich gab ihm ein Zehnsoustück, um seiner nur gleich loszuwerden. Aber da näherte er sich mir desto zutraulicher mit den Worten: »Est-ce que vous connaissez le général Lafayette?«, und als ich diese wunderliche Frage bejahte, malte sich das stolzeste Vergnügen auf dem naiv-schmutzigen Gesichte des hübschen Buben, und mit drolligem Ernste sagte er: »Il est de mon pays.« Er glaubte gewiß, ein Mann, der ihm zehn Sous gegeben, müsse auch ein Verehrer von Lafayette sein, und da hielt er mich zugleich für würdig, sich mir als Landsmann desselben zu präsentieren.

So hegt auch das Landvolk die liebevollste Ehrfurcht gegen Lafayette, um so mehr, da er selbst die Landwirtschaft zu seiner Hauptbeschäftigung macht. Diese erhält ihm die Einfalt und Frische, die in beständigem Stadttreiben verlorengehen könnten. Hierin gleicht er auch jenen großen Republikanern der Vorzeit, die ebenfalls ihren eigenen Kohl bauten, in Zeiten der Not vom Pfluge zur Schlacht oder zur Tribüne eilten und nach erfochtenen Siegen wieder zu ihren ländlichen Arbeiten zurückkehrten. Auf dem Landsitze, wo Lafayette die mildere Jahreszeit zubringt, ist er gewöhnlich umringt von strebenden Jünglingen und schönen Mädchen, da herrscht Gastlichkeit der Tafel und des Herzens, da wird viel gelacht und getanzt, da ist der Hof des souveränen Volkes, da ist jeder hoffähig, der ein Sohn seiner Taten ist und keine Mesalliance geschlossen hat mit der Lüge, und da ist Lafayette der Zeremonienmeister.

Mehr aber noch als unter jeder andern Volksklasse herrscht die Verehrung Lafayettes unter dem eigentlichen Mittelstande, unter Gewerbsleuten und Kleinhändlern. Diese vergöttern ihn. Lafayette, der ordnungstiftende, ist der Abgott dieser Leute. Sie verehren ihn als eine Art Vorsehung zu Pferde, als einen bewaffneten Schutzpatron der öffentlichen Sicherheit, als einen Genius der Freiheit, der zugleich sorgt, daß beim Freiheitskampfe nichts gestohlen wird und jeder das liebe Seinige behält! Die große Armee der öffentlichen Ordnung, wie Casimir Périer die Nationalgarde genannt hat, die wohlgenährten Helden mit großen Bärenmützen, worin Krämerköpfe stecken, sind außer sich vor Entzücken, wenn sie von Lafayette sprechen, ihrem alten General, ihrem Friedens-Napoleon. Ja, er ist der Napoleon der petite bourgeoisie, jener braven, zahlungsfähigen Leute, jener Gevatter Schneider und Handschuhmacher, die zwar des Tages über zu sehr beschäftigt sind, um an Lafayette denken zu können, die ihn aber nachher, des Abends, mit verdoppeltem Enthusiasmus preisen, so daß man wohl behaupten kann, daß um elf Uhr, wenn die meisten Butiken geschlossen sind, der Ruhm des Lafayette seine höchste Blüte erreicht.

Ich habe oben das Wort »Zeremonienmeister« gebraucht. Es fällt mir ein, daß Wolfgang Menzel, in seiner geistreichen Frivolität, den Lafayette einen Zeremonienmeister der Freiheit genannt hat, als er einst dessen Triumphzug durch die Vereinigten Staaten und die Deputationen, Adressen und feierlichen Reden, die dabei zum Vorscheine kamen, im »Literaturblatte« besprach. Auch andere, minder witzige Leute hegen den Irrtum, der Lafayette sei nur ein alter Mann, der zur Schau hingestellt oder als Maschine gebraucht werde. Indessen, wenn diese Leute ihn nur ein einziges Mal auf der Rednerbühne sähen, so würden sie leicht erkennen, daß er nicht eine bloße Fahne ist, der man folgt oder wobei man schwört, sondern daß er selbst noch immer der Gonfaloniere ist, in dessen Händen das gute Banner, die Oriflamme der Völker. Lafayette ist vielleicht der bedeutendste Sprecher in der jetzigen Deputiertenkammer. Wenn er spricht, trifft er immer den Nagel auf den Kopf und seine vernagelten Feinde auf die Köpfe. Wenn es gilt, wenn eine der großen Fragen der Menschheit zur Sprache kommt, dann erhebt sich jedesmal der Lafayette, kampflustig wie ein Jüngling. Nur der Leib ist schwach und schlotternd, von Zeit und Zeitkämpfen zusammengebrochen, wie eine zerhackte und zerschlagene alte Eisenrüstung, und es ist rührend, wie er sich damit zur Tribüne schleppt und, wenn er diese, den alten Posten, erreicht hat, tief Atem schöpft und lächelt. Dieses Lächeln, der Vortrag und das ganze Wesen des Mannes, während er auf der Tribüne spricht, ist unbeschreibbar. Es liegt darin so viel Holdseligkeit und zugleich so viel feine Ironie, daß man wie von einer wunderbaren Neugier gefesselt wird, wie von einem süßen Rätsel. Man weiß nicht, sind das die feinen Manieren eines französischen Marquis, oder ist das die offene Gradheit eines amerikanischen Bürgers? Das Beste des alten Regimes, das Chevalereske, die Höflichkeit, der Takt, ist hier wunderbar verschmolzen mit dem Besten des neuen Bürgertums, der Gleichheitsliebe, der Prunklosigkeit und der Ehrlichkeit. Nichts ist interessanter, als wenn in einer Kammer von den ersten Zeiten der Revolution gesprochen wird und irgend jemand in doktrinärer Weise eine historische Tatsache aus ihrem wahren Zusammenhange reißt und zu seinem Räsonnement benutzt. Dann zerstört Lafayette mit wenigen Worten die irrtümlichen Folgerungen, indem er den wahren Sinn einer solchen Tatsache durch Anführung der dazu gehörigen Umstände illustriert oder berichtigt. Selbst Thiers muß in einem solchen Falle die Segel streichen, und der große Historiograph der Revolution beugt sich vor dem Ausspruch ihres großen lebenden Denkmals, ihres Generals Lafayette.

In der Kammer sitzt der Rednerbühne gegenüber ein steinalter Mann mit glänzenden Silberhaaren, die über seine schwarze Kleidung lang herabhängen, sein Leib ist von einer sehr breiten dreifarbigen Schärpe umwickelt, und das ist jener alte Messager, der schon im Anfang der Revolution ein solches Amt in der Kammer verwaltet und seitdem in dieser Stellung der ganzen Weltgeschichte beigewohnt hat, von der Zeit der ersten Nationalversammlung bis zum Justemilieu. Man sagt mir, er spreche noch oft von Robespierre, den er le bon Monsieur de Robespierre nenne. Während der Restaurationsperiode litt der alte Mann an der Kolik; aber seit er wieder die dreifarbige Schärpe um den Leib hat, befindet er sich wieder wohl. Nur an Schläfrigkeit leidet er in dieser langweiligen Justemilieu-Zeit. Sogar einmal, während Mauguin sprach, sah ich ihn einschlafen. Der Mann hat gewiß schon Bessere gehört als Mauguin, der doch einer der besten Redner der Opposition, und er findet ihn vielleicht gar nicht heftig, er, qui a beaucoup connu ce bon Monsieur de Robespierre. Aber wenn Lafayette spricht, dann erwacht der alte Messager aus seiner dämmernden Schläfrigkeit, er wird aufgemuntert wie ein alter Husarenschimmel, der eine Trompete hört, und es kommt über ihn wie süße Jugenderinnerung, und er nickt dann vergnügt mit dem silberweißen Kopfe.

Artikel III

Paris, 10. Februar

Den Verfasser des vorigen Artikels leitete ein richtiger Takt, als er, die Auszeichnungssucht rügend, die bei den Franzosen mehr als bei deutschen Frauen grassiert, unter den letztern einen deutschen Schriftsteller, der als Kunstkritiker und Übersetzer berühmt ist, ausnahmsweise erwähnte. Dieser Ausgenommene, welcher der deutschen Unruhen halber, die er selbst durch einige Almanachxenien veranlaßt, voriges Jahr hieher emigriert und seitdem von Sr. Majestät dem König Ludwig Philipp I. den Orden der Ehrenlegion erhielt, ist wegen seines rührigen Eifers nach Dekorationen von vielen Franzosen leider gar zu sehr bemerkt worden, als daß sie nicht durch Hindeutung auf ihn jeden überrheinischen Vorwurf der Eitelkeit entkräften könnten. Perfide, wie sie sind, haben sie diese Ordensverleihung nicht einmal in den französischen Journalen angezeigt; und da die Deutschen in ihrem Landsmanne sich selbst geehrt fühlen mußten und aus Bescheidenheit nicht gern davon sprachen, so ist dieses für beide Länder gleich wichtige Ereignis bis jetzt wenig bekannt worden. Solche Unterlassung und Verschweigung war für den neuen Ritter um so verdrießlicher, da man in seiner Gegenwart laut flüsterte, der neue Orden, wenn er ihn auch aus den Händen der Königin erhalten habe, sei durchaus ohne Geltung, solange solche Verleihung nicht im »Moniteur« angezeigt stehe. Der neue Ritter wünschte diesem Mißstande abgeholfen zu sehen, aber leider ergab sich jetzt ein noch bedenklicherer Einspruch, nämlich daß das Patent eines Ordens, den der König verleiht, ganz ohne Gültigkeit sei, solange solches nicht von einem Minister kontrasigniert worden. Unser Ritter hatte durch die Vermittlung der doktrinären Verwandten einer berühmten Dame, bei welcher er einst Kapaun im Korbe war, seinen Orden vom Könige erhalten, und man sagt, dieser habe in seinem ganzen Wesen eine frappante Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Erzieherin, der Frau v. Genlis, erkannt und letztere noch nach ihrem Tode in ihrem Ebenbilde ehren wollen. Die Minister aber, die beim Anblick des Ritters keine solche gemütliche Regungen verspüren und ihn irrtümlich für einen deutschen Liberalen halten, fürchten durch Kontrasignierung des Patents die absoluten Regierungen zu beleidigen. Indessen wird bald eine verständigende Ausgleichung erwartet, und um der Billigung der Kontinentalmächte ganz versichert zu sein, sind Unterhandlungen angeknüpft, die das Kabinett von St. James zu einer ähnlichen Ordensverleihung bewegen müssen, und Supplikant wird sich deshalb, mit einem Sr. Majestät dem König Wilhelm IV. dedizierten altindischen Epos, persönlich nach England begeben. Für die hiesigen Deutschen ist es jedoch ein betrübendes Schauspiel, ihren hochverehrten schwächlichen Landsmann, derlei Verzögernisse halber, von Pontius zu Pilatus rennen zu sehen, in Kot und Kälte und in bestürmender Ungeduld, die um so unbegreiflicher, da ihm doch alle Beispiele indischer Gelassenheit, der ganze »Ramayana« und der ganze »Mahabharata«, allertröstlichst zu Gebote stehen.

Die Art, wie die Franzosen die wichtigsten Gegenstände mit spöttelndem Leichtsinne behandeln, zeigt sich auch bei den Gesprächen über die letzten Konspirationen. Die, welche auf den Türmen von Notre-Dame tragiert wurde, scheint sich ganz als Polizeiintrige auszuweisen. Man äußerte scherzend, es seien Klassiker gewesen, die aus Haß gegen Victor Hugos romantischen Roman »Notre Dame de Paris« die Kirche selbst in Brand stecken wollten. Rabelais’ Witze über die Glocken derselben kamen wieder zum Vorschein. Auch das bekannte Wort: »Si on m’accuserait d’avoir volé les cloches de Notre-Dame, je commencerais par prendre la fuite« wurde scherzend variiert, als einige Karlisten infolge dieser Begebenheit die Flucht ergriffen. Die letzte Konspiration von der Nacht des zweiten Februars will man ebenfalls zum größten Teile den Machinationen der Polizei zuschreiben. Man sagt, sie habe sich in einer Restauration der Rue des Prouvaires eine splendide Verschwörung zu zweihundert Kuverts bestellt und einige blödsinnige Karlisten zu Gaste geladen, die natürlich die Zeche bezahlen mußten. Letztere hatten kein Geld dabei gespart, und in den Stiefeln eines arretierten Verschwornen fand man 27000 Francs. Mit dieser Summe hätte man schon etwas ausrichten können. In den »Memoiren« von Marmontel las ich einmal eine Äußerung von Chamfort, daß man mit tausend Louisdor schon einen ordentlichen Lärm in Paris anzetteln könne; und bei den letzten Emeuten ist mir diese Äußerung immer wieder ins Gedächtnis gekommen. Ich darf aus wichtigen Gründen nicht verschweigen, daß zu einer Revolution immer Geld notwendig ist. Selbst die herrliche Juliusrevolution ist nicht so ganz gratis aufgeführt worden, wie man wohl glaubt. Dieses Schauspiel für Götter hat dennoch einige Millionen gekostet, obgleich die eigentlichen Akteure, das Volk von Paris, in Heroismus und Uneigennützigkeit gewetteifert. Die Sachen geschehen nicht des Geldes wegen, aber es gehört Geld dazu, um sie in Gang zu bringen. Die törichten Karlisten meinen aber, sie gingen von selbst, wenn sie nur Geld in den Stiefeln haben. Die Republikaner sind gewiß bei den Vorgängen der Nacht vom zweiten Februar ganz unschuldig; denn wie mir jüngst einer derselben sagte: »Wenn du hörst, daß bei einer Verschwörung Geld verteilt worden, so kannst du darauf rechnen, daß kein Republikaner dabeigewesen.« In der Tat, diese Partei hat wenig Geld, da sie meistens aus ehrlichen und uneigennützigen Menschen besteht. Sie werden, wenn sie zur Macht gelangen, ihre Hände mit Blut beflecken, aber nicht mit Geld. Man weiß das und hegt daher weniger Scheu vor den Intriganten, denen mehr nach Geld als nach Blut gelüstet.

Jene Guillotinomanie, die wir bei den Republikanern finden, ist vielleicht durch die Schriftsteller und Redner veranlaßt worden, die zuerst das Wort »Schreckenssystem« gebraucht haben, um die Regierung, welche 1793 zur Rettung Frankreichs die äußersten Mittel aufbot, zu bezeichnen. Der Terrorismus, der sich damals entfaltete, war aber mehr eine Erscheinung als ein System, und der Schrecken war ebensosehr in den Gemütern der Gewalthaber als des Volkes. Es ist töricht, wenn man jetzt, zur Nacheiferung aufreizend, den Gesichtsabguß des Robespierre herumträgt. Töricht ist es, wenn man die Sprache von 1793 wieder heraufbeschwört, wie die Amis du peuple es tun, die dadurch, ohne es zu ahnen, ebenso retrograde handeln wie die eifrigsten Kämpen des alten Regimes. Wer die roten Blüten, die im Frühlinge von den Bäumen gefallen, nachher mit Wachs wieder anklebt, handelt ebenso töricht wie derjenige, welcher abgeschnittene welke Lilien in den Sand pflanzt. Republikaner und Karlisten sind Plagiarien der Vergangenheit, und wenn sie sich vereinigen, so mahnt das an die lächerlichsten Tollhausbündnisse, wo der gemeinsame Zwang oft die heterogensten Narren in ein freundschaftliches Verhältnis bringt, obgleich der eine, der sich selbst für den Jehova hält, den andern, der sich für den Jupiter ausgibt, im tiefsten Herzen verachtet. So sahen wir diese Woche Genoude und Thouret, den Redakteur der »Gazette« und den Redakteur der »Révolution«, als Verbündete vor den Assisen stehen, und als Chorus standen hinter ihnen Fitz-James mit seinen Karlisten und Cavaignac mit seinen Republikanern. Gibt es widerwärtigere Kontraste! Trotzdem daß ich dem Republikwesen sehr abhold bin, so schmerzt es mich doch in der Seele, wenn ich die Republikaner in einer so unwürdigen Gemeinschaft sehe. Nur auf demselben Schafotte dürften sie zusammentreffen mit jenen Freunden des Absolutismus und des Jesuitismus, aber nimmermehr vor denselben Assisen. Und wie lächerlich werden sie durch solche Bündnisse! Es gibt nichts Lächerlicheres, als daß die Journale unter den Verschwornen des zweiten Februars vier ehemalige Köche von Karl X. und vier Republikaner von der Gesellschaft der Amis du peuple zusammen erwähnten.

Ich glaube wirklich nicht, daß letztere in dieser dummen Geschichte verwickelt sind. Ich selbst befand mich denselben Abend zufällig in der Versammlung der Amis du peuple und glaube aus vielen Umständen schließen zu können, daß man eher an Gegenwehr als an Angriff dachte. Es waren dort über fünfzehnhundert Menschen in einem engen Saale, der wie ein Theater aussah, gehörig zusammengedrängt. Der Citoyen Blanqui, Sohn eines Konventionels, hielt eine lange Rede, voll von Spott gegen die Bourgeoisie, die Boutiquiers, die einen Louis Philippe, la boutique incarnée, zum Könige gewählt, und zwar in ihrem eigenen Interesse, nicht im Interesse des Volks, du peuple, qui n’était pas complice d’une si indigne usurpation. Es war eine Rede voll Geist, Redlichkeit und Grimm; doch der vorgetragenen Freiheit fehlte der freie Vortrag. Trotz aller republikanischen Strenge verleugnete sich doch nicht die alte Galanterie, und den Damen, den Citoyennes, wurden mit echt französischer Aufmerksamkeit die besten Plätze neben der Rednerbühne angewiesen. Die Versammlung roch ganz wie ein zerlesenes, klebrichtes Exemplar des »Moniteurs« von 1793. Sie bestand meistens aus sehr jungen und ganz alten Leuten. In der ersten Revolution war der Freiheitsenthusiasmus mehr bei den Männern von mittlerm Alter, in welchen der noch jugendliche Unwille über Pfaffentrug und Adelsinsolenz mit einer männlich klaren Einsicht zusammentraf; die jüngern Leute und die ganz alten waren Anhänger des verjährten Regimes, letztere, die silberhaarigen Greise, aus Gewohnheit, erstere, die Jeunesse dorée, aus Mißmut über die bürgerliche Prunklosigkeit der republikanischen Sitten. Jetzt ist es umgekehrt, die eigentlichen Freiheitsenthusiasten bestehen aus ganz jungen und ganz alten Leuten. Diese kennen noch aus eigener Erfahrung die Abscheulichkeiten des alten Regimes, und sie denken mit Entzücken zurück an die Zeiten der ersten Revolution, wo sie selber so kräftig gewesen und so groß. Jene, die Jugend, liebt diese Zeiten, weil sie überhaupt aufopferungssüchtig und heroisch gestimmt ist und nach großen Taten lechzt und den knickerigen Kleinmut und die krämerhafte Selbstsucht der jetzigen Gewalthaber verachtet. Die Männer mittlern Alters sind meistens ermüdet von dem harzelierenden Oppositionsgeschäfte während der Restauration oder verdorben durch die Kaiserzeit, deren rauschende Ruhmsucht und glänzendes Soldatentum alle bürgerliche Einfalt und Freiheitsliebe ertötete. Außerdem hat diese imperiale Heldenperiode gar vielen das Leben gekostet, die jetzt Männer wären, so daß überhaupt unter diesen letztern von manchen Jahrgängen nur wenige komplette Exemplare vorhanden sind.

Bei jung und alt aber im Saale der Amis du peuple herrschte der würdige Ernst, den man immer bei Menschen findet, die sich stark fühlen. Nur ihre Augen blitzten, und nur manchmal riefen sie: »C’est vrai! c’est vrai!«, wenn der Redner eine Tatsache erwähnte. Als der Citoyen Cavaignac in einer Rede, die ich nicht genau verstellen konnte, weil er in kurzen, nachlässig hervorgestoßenen Sätzen spricht, die Gerichtsverfolgungen erwähnte, denen die Schriftsteller noch immer ausgesetzt sind, da sah ich, daß mein Nachbar sich an mir festhielt vor innerer Bewegung und daß er sich die Lippen wund biß, um nicht mitzusprechen. Es war ein junger Brausekopf, mit Augen wie zornige Sterne, und er trug den niedrigen breitrandigen Hut von schwarzem Wachsleinen, der die Republikaner auszeichnet. »Aber nicht wahr«, sagte er endlich zu mir, »diese Schriftstellerverfolgung ist ja eine mittelbare Zensur? Man darf drucken, was man sagen darf, und man darf alles sagen. Marat behauptete, daß es eine Ungerechtigkeit sei, wenn ein Bürger wegen einer Meinung vor Gericht geladen wird, und daß man wegen einer Meinung nur dem Publikum Rechenschaft schuldig sei. (Toute citation devant un tribunal pour une opinion est une injustice; on ne peut citer, en ce cas, un citoyen que devant le public.) Alles, was man sagt, ist nur eine Meinung. Camille Desmoulins bemerkt ebenfalls mit Recht: sobald die Dezemvirn in die Gesetzsammlung, die sie aus Griechenland mitgebracht, auch ein Gesetz gegen die Verleumdung eingeschwärzt hatten, so entdeckte man gleich, daß sie die Absicht hegten, die Freiheit zu vernichten und ihr Dezemvirat permanent zu machen. Ebenfalls, sobald Octavius, vierhundert Jahre nachher, jenes Gesetz der Dezemvirn gegen Schriften und Reden wieder ins Leben rief und der Lex Julia Laesae Majestatis noch einen Artikel hinzufügte, konnte man sagen, daß die römische Freiheit ihren letzten Seufzer verhauchte.«

Ich habe diese Zitate hierhergesetzt, um anzudeuten, welche Autoren bei den Amis du peuple zitiert werden. Robespierres letzte Rede vom achten Thermidor ist ihr Evangelium. Komisch war es jedoch, daß diese Leute über Unterdrückung klagten, während man ihnen erlaubt, sich so offen gegen die Regierung zu verbinden und Dinge zu sagen, deren zehnter Teil hinlänglich wäre, um in Norddeutschland zu lebenslänglicher Untersuchung verurteilt zu werden. Denselben Abend hieß es jedoch, man würde dieser Ungebühr ein Ende machen und den Saal der Amis du peuple schließen. »Ich glaube, die Nationalgarde und die Linie werden uns heute zernieren«, bemerkte mein Nachbar, »haben Sie auch für diesen Fall Ihre Pistolen bei sich?« – »Ich will sie holen«, gab ich zur Antwort, verließ den Saal und fuhr nach einer Soiree im Faubourg St. Germain. Nichts als Lichter, Spiegel, Blumen, nackte Schultern, Zuckerwasser, gelbe Glacéhandschuh’ und Fadaisen. Außerdem lag eine so triumphierende Freude auf allen Gesichtern, als sei der Sieg des alten Regimes ganz entschieden, und während mir noch das »Vive la République« der Rue Grenelle in den Ohren nachdröhnte, mußte ich die bestimmte Versicherung anhören, daß die Rückkehr des Mirakelkindes mit der ganzen Mirakelsippschaft so gut wie gewiß sei. Ich kann nicht umhin, zu verraten, daß ich dort zwei Doktrinäre eine Anglaise tanzen sehen; sie tanzen nur Anglaisen. Eine Dame mit einem weißen Kleide, worin grüne Bienen, die wie Lilien aussahen, fragte mich, ob man des Beistandes der Deutschen und der Kosaken gewiß sei. »Wir werden es uns wieder zur höchsten Ehre anrechnen«, beteuerte ich, »für die Wiedereinsetzung der ältern Bourbone unser Gut und Blut zu opfern.« – »Wissen Sie auch«, fügte die Dame hinzu, »daß heute der Tag ist, wo Heinrich V. als Herzog von Bordeaux zuerst kommunizierte?« – »Welch ein wichtiger Tag für die Freunde des Throns und Altars«, erwiderte ich, »ein heiliger Tag, wert, von de Lamartine besungen zu werden!«

Die Nacht dieses schönen Tages sollte rot angestrichen werden im Kalender von Frankreich, und die Gerüchte darüber waren des folgenden Morgens das Gespräch von ganz Paris. Widersprüche der tollsten Art liefen herum, und noch jetzt liegt, wie schon oben angedeutet, ein geheimnisvoller Schleier über jener Verschwörungsgeschichte. Es hieß, man habe die ganze königliche Familie, mitsamt der großen Gesellschaft, die in den Tuilerien versammelt gewesen, ermorden wollen, man habe den Concierge des Louvres gewonnen, um durch die große Galerie desselben unmittelbar in den Tanzsaal der Tuilerien hineindringen zu können, ein Schuß sei dort gefallen, der dem Könige gegolten, ihn aber nicht getroffen, mehrere hundert Individuen seien arretiert worden usw. Den Nachmittag fand ich vor der Gartenseite der Tuilerien noch eine große Menge Menschen, die nach den Fenstern hinaufschauten, als wollten sie den Schuß sehen, der dort gefallen. Einer erzählte, Périer sei die vorige Nacht zu Pferde gestiegen und gleich nach der Rue des Prouvaires geritten, als dort die Verschwornen verhaftet und ein Polizeiagent getötet worden. Man habe den Pavillon Flore in Brand stecken und von außen den Pavillon Marsan angreifen wollen. Der König, hieß es, sei sehr betrübt. Die Weiber bedauerten ihn, die Männer schüttelten unwillig den Kopf. Die Franzosen verabscheuen allen nächtlichen Mord. In den stürmischen Revolutionszeiten wurden die schrecklichsten Taten offenkundig und bei Tageslicht ausgeführt. Was die Greuel der Bartholomäusnacht betrifft, so waren sie vielmehr von römisch-katholischen Priestern angestiftet.

Wie weit der Concierge des Louvres in der Verschwörung vom zweiten Februar verwickelt ist, habe ich noch nicht bestimmt erfahren können. Die einen sagen, er habe der Polizei gleich Anzeige gemacht, als man ihm Geld anbot, damit er die Schlüssel des Louvres ausliefere. Andere meinen, er habe sie wirklich ausgeliefert und sei jetzt eingezogen. Auf jeden Fall zeigt sich bei solchen Begebenheiten, wie die wichtigsten Posten in Paris ohne sonderliche Sicherheitsmaßregeln den unzulänglichsten Personen anvertraut sind. So war der Schatz selbst lange Zeit in den Händen eines Papierspekulanten, des Hrn. Keßner, den der Staat mit einer Eichenkrone dafür belohnen sollte, daß er nur sechs Millionen und nicht hundert Millionen auf der Börse verspielt hat. So hätte die Gemäldegalerie des Louvres, die mehr ein Eigentum der Menschheit als der Franzosen ist, der Schauplatz nächtlicher Frevel und dabei zugrunde gerichtet werden können. So ist das Medaillenkabinett eine Beute von Dieben geworden, die dessen Schätze gewiß nicht aus numismatischer Liebhaberei gestohlen haben, sondern um sie direkt in den Schmelztiegel wandern zu lassen. Welch ein Verlust für die Wissenschaften, da unter den gestohlenen Antiquitäten nicht bloß die seltensten Stücke, sondern vielleicht auch die einzigen Exemplare waren, die davon Übriggeblieben! Der Untergang dieser alten Münzen ist unersetzbar; denn die Alten können sich doch nicht noch einmal niedersetzen und neue fabrizieren. Aber es ist nicht bloß ein Verlust für die Wissenschaften, sondern durch den Untergang solcher kleinen Denkmäler von Gold und Silber verliert das Leben selbst den Ausdruck seiner Realität. Die alte Geschichte klänge wie ein Märchen, wären nicht die damaligen Geldstücke, das Realste jener Zeiten, übriggeblieben, um uns zu überzeugen, daß die alten Völker und Könige, wovon wir so Wunderbares lesen, wirklich existiert haben, daß sie keine müßigen Phantasiegebilde, keine Erfindungen der Dichter sind, wie manche Schriftsteller behaupten, die uns überreden möchten, die ganze Geschichte des Altertums, alle geschriebenen Urkunden desselben, seien im Mittelalter von den Mönchen geschmiedet worden. Gegen solche Behauptungen enthielt das hiesige Medaillenkabinett die klingendsten Gegenbeweise. Aber diese sind jetzt unwiederbringlich verloren, ein Teil der alten Weltgeschichte wurde eingesteckt und eingeschmolzen, und die mächtigsten Völker und Könige des Altertums sind jetzt nur Fabeln, an die man nicht zu glauben braucht.

Es ist ergötzlich, daß man die Fenster des Medaillenkabinetts jetzt mit eisernen Gitterstangen versieht, obgleich es gar nicht zu erwarten steht, daß die Diebe das Gestohlene wieder nächtlicherweile zurückbringen werden. Besagte eiserne Stangen werden rot angestrichen, welches sehr gut aussieht. Jeder Vorübergehende schaut hinauf und lacht. Monsieur Raoul Rochette, der Aufseher der gestohlenen Medaillen, le conservateur des exmédailles, soll sich wundern, daß die Diebe nicht ihn gestohlen, da er sich selbst immer für wichtiger als die Medaillen gehalten hat und letztere jedenfalls für unbenutzbar hielt, wenn man seiner mündlichen Erklärungen dabei entbehren würde. Er geht jetzt müßig herum und lächelt wie unsere Köchin, als die Katze ein Stück rohes Fleisch aus der Küche gestohlen; »sie weiß ja doch nicht, wie das Fleisch gekocht wird«, sagte unsere Köchin und lächelte.

Indessen, wie sehr auch jener Medaillendiebstahl ein Verlust für die alte Geschichte ist, so scheint der Keßnersche Kassendefekt die Geister doch noch mehr zu irritieren. Dieser ist wichtiger für die Tagsgeschichte. Während ich dieses schreibe, vernimmt man, daß er nicht sechs, sondern zehn Millionen betrage. Man glaubt, er werde sich am Ende sogar als eine Summe von zwölf Millionen ausweisen. Das schmälert freilich das Verdienst des Mannes, und ich kann ihm keine Eichenkrone mehr zuerkennen. Durch diesen Kassendefekt, wobei es an Ifflandschen Rührungsszenen nicht fehlte, gerät zunächst der Baron Louis in große Verlegenheit. Er wird wohl am Ende das Kautionnement, das von Keßner nicht gefordert worden, selbst bezahlen müssen. Er kann diesen Schaden leicht tragen; denn er ist enorm reich, zieht jährlich über 200000 Franken bare Revenuen und ist ein alter Abbé, der keine Familie hat. Périer ärgert sich mehr, als man glaubt, über diese Geschichte, da sie Geld, welches seine Force und seine Schwäche, betrifft; wie wenig Schonung ihm die Opposition bei dieser Gelegenheit angedeihen lassen, ist aus den Blättern bekannt. Diese referieren hinlänglich die Unwürdigkeiten, die in der Kammer vorfallen, und es bedarf ihrer hier keiner besondern Erwähnung. Wahrlich, die Opposition beträgt sich ebenso kläglich wie das Ministeritum und gewährt einen ebenso widerwärtigen Anblick.

Während aber Bedrängnisse und Nöten aller Art das Innere des Staates durchwühlen und die äußern Angelegenheiten seit den Ereignissen in Italien und Don Pedros Expedition bedenklich verwickelter werden; während alle Institutionen, selbst die königlich höchste, gefährdet sind; während der politische Wirrwarr alle Existenzen bedroht: ist Paris diesen Winter noch immer das alte Paris, die schöne Zauberstadt, die dem Jüngling so holdselig lächelt, den Mann so gewaltig begeistert und den Greis so sanft tröstet. »Hier kann man das Glück entbehren«, sagte einst Frau v. Staël, ein treffendes Wort, das aber in ihrem Munde seine Wirkung verlor, da sie sich lange Zeit nur deshalb unglücklich fühlte, weil sie nicht in Paris leben durfte, und la also Paris ihr Glück war. So liegt in dem Patriotismus der Franzosen größtenteils die Vorliebe für Paris, und wenn Danton nicht floh, »weil man das Vaterland nicht an den Schuhsohlen mitschleppen kann«, so hieß das wohl auch, daß man im Auslande die Herrlichkeiten des schönen Paris entbehren würde. Aber Paris ist eigentlich Frankreich; dieses ist nur die umliegende Gegend von Paris. Abgerechnet die schönen Landschaften und den liebenswürdigen Sinn des Volks im allgemeinen, so ist Frankreich ganz öde, auf jeden Fall ist es geistig öde, alles, was sich in der Provinz auszeichnet, wandert früh nach der Hauptstadt, dem Foyer alles Lichts und alles Glanzes. Frankreich sieht aus wie ein Garten, wo man alle schönsten Blumen gepflückt, um sie zu einem Strauße zu verbinden, und dieser Strauß heißt Paris. Es ist wahr, er duftet jetzt nicht mehr so gewaltig wie nach jenen Blütetagen des Julius, als die Völker von diesem Dufte betäubt wurden. Er ist jedoch noch immer schön genug, um bräutlich zu prangen an dem Busen Europas. Paris ist nicht bloß die Hauptstadt von Frankreich, sondern der ganzen zivilisierten Welt, und ist ein Sammelplatz ihrer geistigen Notabilitäten. Versammelt ist hier alles, was groß ist durch Liebe oder Haß, durch Fühlen oder Denken, durch Wissen oder Können, durch Glück oder Unglück, durch Zukunft oder Vergangenheit. Betrachtet man den Verein von berühmten oder ausgezeichneten Männern, die hier zusammentreffen, so hält man Paris für ein Pantheon der Lebenden. Eine neue Kunst, eine neue Religion, ein neues Leben wird hier geschaffen, und lustig tummeln sich hier die Schöpfer einer neuen Welt. Die Gewalthaber gebärden sich kleinlich, aber das Volk ist groß und fühlt seine schauerlich erhabene Bestimmung. Die Söhne wollen wetteifern mit den Vätern, die so ruhmvoll und heilig ins Grab gestiegen. Es dämmern gewaltige Taten, und unbekannte Götter wollen sich offenbaren. Und dabei lacht und tanzt man überall, überall blüht der leichte Scherz, die heiterste Mokerie, und da jetzt Karneval ist, so maskieren sich viele als Doktrinäre und schneiden possierlich-pedantische Gesichter und behaupten, sie hätten Furcht vor den Preußen.

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