1
Ruhelechzend

Laß bluten deine Wunden, laß

Die Tränen fließen unaufhaltsam –

Geheime Wollust schwelgt im Schmerz,

Und Weinen ist ein süßer Balsam.

Verwundet dich nicht fremde Hand,

So mußt du selber dich verletzen;

Auch danke hübsch dem lieben Gott,

Wenn Zähren deine Wangen netzen.

Des Tages Lärm verhallt, es steigt

Die Nacht herab mit langen Flören.

In ihrem Schoße wird kein Schelm,

Kein Tölpel deine Ruhe stören.

Hier bist du sicher vor Musik,

Vor des Pianofortes Folter,

Und vor der großen Oper Pracht

Und schrecklichem Bravourgepolter.

Hier wirst du nicht verfolgt, geplagt

Vom eitlen Virtuosenpacke

Und vom Genie Giacomos

Und seiner Weltberühmtheitsclaque.

O Grab, du bist das Paradies

Für pöbelscheue, zarte Ohren –

Der Tod ist gut, doch besser wär’s,

Die Mutter hätt uns nie geboren.

2
Im Mai

Die Freunde, die ich geküßt und geliebt,

Die haben das Schlimmste an mir verübt.

Mein Herze bricht; doch droben die Sonne,

Lachend begrüßt sie den Monat der Wonne.

Es blüht der Lenz. Im grünen Wald

Der lustige Vogelgesang erschallt,

Und Mädchen und Blumen, sie lächeln jungfräulich –

O schöne Welt, du bist abscheulich!

Da lob ich mir den Orkus fast;

Dort kränkt uns nirgends ein schnöder Kontrast;

Für leidende Herzen ist es viel besser

Dort unten am stygischen Nachtgewässer.

Sein melancholisches Geräusch,

Der Stymphaliden ödes Gekreisch,

Der Furien Singsang, so schrill und grell,

Dazwischen des Zerberus Gebell –

Das paßt verdrießlich zu Unglück und Qual –

Im Schattenreich, dem traurigen Tal,

In Proserpinens verdammten Domänen,

Ist alles im Einklang mit unseren Tränen.

Hier oben aber, wie grausamlich

Sonne und Rosen stechen sie mich!

Mich höhnt der Himmel, der bläulich und mailich –

O schöne Welt, du bist abscheulich!

3
Leib und Seele

Die arme Seele spricht zum Leibe:

»Ich laß nicht ab von dir, ich bleibe

Bei dir – ich will mit dir versinken

In Tod und Nacht, Vernichtung trinken!

Du warst ja stets mein zweites Ich,

Das liebevoll umschlungen mich,

Als wie ein Festkleid von Satin,

Gefüttert weich mit Hermelin –

Weh mir! jetzt soll ich gleichsam nackt,

Ganz ohne Körper, ganz abstrakt,

Hinlungern als ein sel’ges Nichts

Dort oben in dem Reich des Lichts,

In jenen kalten Himmelshallen,

Wo schweigend die Ewigkeiten wallen

Und mich angähnen – sie klappern dabei

Langweilig mit ihren Pantoffeln von Blei.

Oh, das ist grauenhaft; o bleib,

Bleib bei mir, du geliebter Leib!«

Der Leib zur armen Seele spricht:

»O tröste dich und gräm dich nicht!

Ertragen müssen wir in Frieden,

Was uns vom Schicksal ward beschieden.

Ich war der Lampe Docht, ich muß

Verbrennen, du, der Spiritus,

Wirst droben auserlesen sein,

Zu leuchten als ein Sternelein

Vom reinsten Glanz – Ich bin nur Plunder,

Materie nur, wie morscher Zunder,

Zusammensinkend, und ich werde,

Was ich gewesen, eitel Erde.

Nun lebe wohl und tröste dich!

Vielleicht auch amüsiert man sich

Im Himmel besser, als du meinst.

Siehst du den großen Bären einst

(Nicht Meyer-Bär) im Sternensaal,

Grüß ihn von mir vieltausendmal!«

4
Rote Pantoffeln

Gar böse Katze, so alt und grau,

Sie sagte, sie sei eine Schusterfrau;

Auch stand vor ihrem Fenster ein Lädchen,

Worin Pantoffeln für junge Mädchen,

Pantöffelchen von Maroquin,

Von Saffian und von Satin,

Von Samt, mit goldnen Borden garniert

Und buntgeblümten Bändern verziert.

Am lieblichsten dort zu schauen war

Ein scharlachrotes Pantöffelchenpaar;

Es hat mit seiner Farbenpracht

Gar manchem Dirnchen ins Herz gelacht.

Eine junge weiße Edelmaus,

Die ging vorbei dem Schusterhaus,

Kehrt’ wieder um, dann blieb sie stehn,

Tät nochmals durch das Fenster sehn –

Sprach endlich: »Ich grüß Euch, Frau Kitze, Frau Katze,

Gar schöne rote Pantöffelchen hat Sie;

Sind sie nicht teuer, ich kauf sie Euch ab,

Sagt mir, wieviel ich zu zahlen hab.«

Die Katze rief: »Mein Jüngferlein,

Ich bitte gehorsamst, treten Sie ein,

Geruhen Sie, mein Haus zu beehren

Mit Dero Gegenwart; es verkehren

Mit mir die allerschönsten Madel

Und Herzoginnen, der höchste Adel –

Die Töffelchen will ich wohlfeil lassen –

Doch laßt uns sehn, ob sie Euch passen –

Ach, treten Sie ein und nehmen Sie Platz –«

So flötet die boshaft listige Katz’,

Und das weiße, unerfahrene Ding

In die Mördergrub’, in die Falle ging –

Auf eine Bank setzt sich die Maus

Und streckt ihr kleines Beinchen aus,

Um anzuprobieren die roten Schuhe –

Sie war ein Bild von Unschuld und Ruhe –

Da packt sie plötzlich die böse Katze

Und würgt sie mit der grimmigen Tatze,

Und beißt ihr ab das arme Köpfchen,

Und spricht: »Mein liebes, weißes Geschöpfchen,

Mein Mäuschen, du bist mausetot!

Jedoch die Pantöffelchen scharlachrot,

Die will ich stellen auf deine Gruft;

Und wenn die Weltposaune ruft

Zum Jüngsten Tanz, o weiße Maus,

Aus deinem Grab steigst du heraus,

Ganz wie die andern, und sodann

Ziehst du die roten Pantöffelchen an.«

Moral

Ihr weißen Mäuschen, nehmt euch in acht,

Laßt euch nicht ködern von weltlicher Pracht!

Ich rat euch, lieber barfuß zu laufen,

Als bei der Katze Pantoffeln zu kaufen.

5
Babylonische Sorgen

Mich ruft der Tod – Ich wollt’, o Süße,

Daß ich dich in einem Wald verließe,

In einem jener Tannenforsten,

Wo Wölfe heulen, Geier horsten

Und schrecklich grunzt die wilde Sau,

Des blonden Ebers Ehefrau.

Mich ruft der Tod – Es wär noch besser,

Müßt ich auf hohem Seegewässer

Verlassen dich, mein Weib, mein Kind,

Wenngleich der tolle Nordpolwind

Dort peitscht die Wellen, und aus den Tiefen

Die Ungetüme, die dort schliefen,

Haifisch’ und Krokodile, kommen

Mit offnem Rachen emporgeschwommen –

Glaub mir, mein Kind, mein Weib, Mathilde,

Nicht so gefährlich ist das wilde,

Erzürnte Meer und der trotzige Wald

Als unser jetziger Aufenthalt!

Wie schrecklich auch der Wolf und der Geier,

Haifische und sonstige Meerungeheuer:

Viel grimmere, schlimmere Bestien enthält

Paris, die leuchtende Hauptstadt der Welt,

Das singende, springende, schöne Paris,

Die Hölle der Engel, der Teufel Paradies –

Daß ich dich hier verlassen soll,

Das macht mich verrückt, das macht mich toll!

Mit spöttischem Sumsen mein Bett umschwirrn

Die schwarzen Fliegen; auf Nas’ und Stirn

Setzen sie sich – fatales Gelichter!

Etwelche haben wie Menschengesichter,

Auch Elefantenrüssel daran,

Wie Gott Ganesa in Hindostan. – –

In meinem Hirne rumort es und knackt,

Ich glaube, da wird ein Koffer gepackt,

Und mein Verstand reist ab – o wehe! –

Noch früher, als ich selber gehe.

6
Das Sklavenschiff

1

Der Superkargo Mynheer van Koek

Sitzt rechnend in seiner Kajüte;

Er kalkuliert der Ladung Betrag

Und die probabeln Profite.

»Der Gummi ist gut, der Pfeffer ist gut,

Dreihundert Säcke und Fässer;

Ich habe Goldstaub und Elfenbein –

Die schwarze Ware ist besser.

Sechshundert Neger tauschte ich ein

Spottwohlfeil am Senegalflusse.

Das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stramm,

Wie Eisen vom besten Gusse.

Ich hab zum Tausche Branntewein,

Glasperlen und Stahlzeug gegeben;

Gewinne daran achthundert Prozent,

Bleibt mir die Hälfte am Leben.

Bleiben mir Neger dreihundert nur

Im Hafen von Rio-Janeiro,

Zahlt dort mir hundert Dukaten per Stück

Das Haus Gonzales Perreiro.«

Da plötzlich wird Mynheer van Koek

Aus seinen Gedanken gerissen;

Der Schiffschirurgius tritt herein,

Der Doktor van der Smissen.

Das ist eine klapperdürre Figur,

Die Nase voll roter Warzen –

»Nun, Wasserfeldscherer«, ruft van Koek,

»Wie geht’s meinen lieben Schwarzen?«

Der Doktor dankt der Nachfrage und spricht:

»Ich bin zu melden gekommen,

Daß heute nacht die Sterblichkeit

Bedeutend zugenommen.

Im Durchschnitt starben täglich zwei,

Doch heute starben sieben,

Vier Männer, drei Frauen – Ich hab den Verlust

Sogleich in die Kladde geschrieben.

Ich inspizierte die Leichen genau;

Denn diese Schelme stellen

Sich manchmal tot, damit man sie

Hinabwirft in die Wellen.

Ich nahm den Toten die Eisen ab;

Und wie ich gewöhnlich tue,

Ich ließ die Leichen werfen ins Meer

Des Morgens in der Fruhe.

Es schossen alsbald hervor aus der Flut

Haifische, ganze Heere,

Sie lieben so sehr das Negerfleisch;

Das sind meine Pensionäre.

Sie folgten unseres Schiffes Spur,

Seit wir verlassen die Küste;

Die Bestien wittern den Leichengeruch

Mit schnupperndem Fraßgelüste.

Es ist possierlich anzusehn,

Wie sie nach den Toten schnappen!

Die faßt den Kopf, die faßt das Bein,

Die andern schlucken die Lappen.

Ist alles verschlungen, dann tummeln sie sich

Vergnügt um des Schiffes Planken

Und glotzen mich an, als wollten sie

Sich für das Frühstück bedanken.«

Doch seufzend fällt ihm in die Red’

Van Koek: »Wie kann ich lindern

Das Übel? wie kann ich die Progression

Der Sterblichkeit verhindern?«

Der Doktor erwidert: »Durch eigne Schuld

Sind viele Schwarze gestorben;

Ihr schlechter Odem hat die Luft

Im Schiffsraum so sehr verdorben.

Auch starben viele durch Melancholie,

Dieweil sie sich tödlich langweilen;

Durch etwas Luft, Musik und Tanz

Läßt sich die Krankheit heilen.«

Da ruft van Koek: »Ein guter Rat!

Mein teurer Wasserfeldscherer

Ist klug wie Aristoteles,

Des Alexanders Lehrer.

Der Präsident der Sozietät

Der Tulpenveredlung im Delfte

Ist sehr gescheit, doch hat er nicht

Von Eurem Verstande die Hälfte.

Musik! Musik! Die Schwarzen soll’n

Hier auf dem Verdecke tanzen.

Und wer sich beim Hopsen nicht amüsiert,

Den soll die Peitsche kuranzen.«

2

Hoch aus dem blauen Himmelszelt

Viel tausend Sterne schauen,

Sehnsüchtig glänzend, groß und klug,

Wie Augen von schönen Frauen.

Sie blicken hinunter in das Meer,

Das weithin überzogen

Mit phosphorstrahlendem Purpurduft;

Wollüstig girren die Wogen.

Kein Segel flattert am Sklavenschiff,

Es liegt wie abgetakelt;

Doch schimmern Laternen auf dem Verdeck,

Wo Tanzmusik spektakelt.

Die Fiedel streicht der Steuermann,

Der Koch, der spielt die Flöte,

Ein Schiffsjung’ schlägt die Trommel dazu,

Der Doktor bläst die Trompete.

Wohl hundert Neger, Männer und Fraun,

Sie jauchzen und hopsen und kreisen

Wie toll herum; bei jedem Sprung

Taktmäßig klirren die Eisen.

Sie stampfen den Boden mit tobender Lust,

Und manche schwarze Schöne

Umschlingt wollüstig den nackten Genoß –

Dazwischen ächzende Töne.

Der Büttel ist Maître des plaisirs,

Und hat mit Peitschenhieben

Die lässigen Tänzer stimuliert,

Zum Frohsinn angetrieben.

Und Dideldumdei und Schnedderedeng!

Der Lärm lockt aus den Tiefen

Die Ungetüme der Wasserwelt,

Die dort blödsinnig schliefen.

Schlaftrunken kommen geschwommen heran

Haifische, viele hundert;

Sie glotzen nach dem Schiff hinauf,

Sie sind verdutzt, verwundert.

Sie merken, daß die Frühstückstund’

Noch nicht gekommen, und gähnen,

Aufsperrend den Rachen; die Kiefer sind

Bepflanzt mit Sägezähnen.

Und Dideldumdei und Schnedderedeng –

Es nehmen kein Ende die Tänze.

Die Haifische beißen vor Ungeduld

Sich selber in die Schwänze.

Ich glaube, sie lieben nicht die Musik,

Wie viele von ihrem Gelichter.

»Trau keiner Bestie, die nicht liebt

Musik!« sagt Albions großer Dichter.

Und Schnedderedeng und Dideldumdei –

Die Tänze nehmen kein Ende.

Am Fockmast steht Mynheer van Koek

Und faltet betend die Hände:

»Um Christi willen verschone, o Herr,

Das Leben der schwarzen Sünder!

Erzürnten sie dich, so weißt du ja,

Sie sind so dumm wie die Rinder.

Verschone ihr Leben um Christi will’n,

Der für uns alle gestorben!

Denn bleiben mir nicht dreihundert Stück,

So ist mein Geschäft verdorben.«

7
Affrontenburg

Die Zeit verfließt, jedoch des Schloß,

Das alte Schloß mit Turm und Zinne

Und seinem blöden Menschenvolk,

Es kommt mir nimmer aus dem Sinne.

Ich sehe stets die Wetterfahn’,

Die auf dem Dach sich rasselnd drehte.

Ein jeder blickte scheu hinauf,

Bevor er nur den Mund auftäte.

Wer sprechen wollt, erforschte erst

Den Wind, aus Furcht, es möchte plötzlich

Der alte Brummbär Boreas

Anschnauben ihn nicht sehr ergötzlich.

Die Klügsten freilich schwiegen ganz –

Denn ach, es gab an jenem Orte

Ein Echo, das im Widerklatsch

Boshaft verfälschte alle Worte.

Inmitten im Schloßgarten stand

Ein sphinxgezierter Marmorbronnen,

Der immer trocken war, obgleich

Gar manche Träne dort geronnen.

Vermaledeiter Garten! Ach,

Da gab es nirgends eine Stätte,

Wo nicht mein Herz gekränket ward,

Wo nicht mein Aug’ geweinet hätte.

Da gab’s wahrhaftig keinen Baum,

Worunter nicht Beleidigungen

Mir zugefüget worden sind

Von feinen und von groben Zungen.

Die Kröte, die im Gras gelauscht,

Hat alles mitgeteilt der Ratte,

Die ihrer Muhme Viper gleich

Erzählt, was sie vernommen hatte.

Die hat’s gesagt dem Schwager Frosch –

Und solcherweis’ erfahren konnte

Die ganze schmutz’ge Sippschaft stracks

Die mir erwiesenen Affronte.

Des Gartens Rosen waren schön,

Und lieblich lockten ihre Düfte;

Doch früh hinwelkend starben sie

An einem sonderbaren Gifte.

Zu Tod ist auch erkrankt seitdem

Die Nachtigall, der edle Sprosser,

Der jenen Rosen sang sein Lied; –

Ich glaub, vom selben Gift genoß er.

Vermaledeiter Garten! Ja,

Es war, als ob ein Fluch drauf laste;

Manchmal am hellen, lichten Tag

Mich dort Gespensterfurcht erfaßte.

Mich grinste an der grüne Spuk,

Er schien mich grausam zu verhöhnen,

Und aus den Taxusbüschen drang

Alsbald ein Ächzen, Röcheln, Stöhnen.

Am Ende der Allee erhob

Sich die Terrasse, wo die Wellen

Der Nordsee, zu der Zeit der Flut,

Tief unten am Gestein zerschellen.

Dort schaut man weit hinaus ins Meer.

Dort stand ich oft in wilden Träumen.

Brandung war auch in meiner Brust –

Das war ein Tosen, Rasen, Schäumen –

Ein Schäumen, Rasen, Tosen war’s,

Ohnmächtig gleichfalls wie die Wogen,

Die kläglich brach der harte Fels,

Wie stolz sie auch herangezogen.

Mit Neid sah ich die Schiffe ziehn

Vorüber nach beglückten Landen –

Doch mich hielt das verdammte Schloß

Gefesselt in verfluchten Banden.

8
Zum Lazarus

1

Laß die heil’gen Parabolen,

Laß die frommen Hypothesen –

Suche die verdammten Fragen

Ohne Umschweif uns zu lösen.

Warum schleppt sich blutend, elend,

Unter Kreuzlast der Gerechte,

Während glücklich als ein Sieger

Trabt auf hohem Roß der Schlechte?

Woran liegt die Schuld? Ist etwa

Unser Herr nicht ganz allmächtig?

Oder treibt er selbst den Unfug?

Ach, das wäre niederträchtig.

Also fragen wir beständig,

Bis man uns mit einer Handvoll

Erde endlich stopft die Mäuler –

Aber ist das eine Antwort?

2

Es hatte mein Haupt die schwarze Frau

Zärtlich ans Herz geschlossen;

Ach! meine Haare wurden grau,

Wo ihre Tränen geflossen.

Sie küßte mich lahm, sie küßte mich krank,

Sie küßte mir blind die Augen;

Das Mark aus meinem Rückgrat trank

Ihr Mund mit wildem Saugen.

Mein Leib ist jetzt ein Leichnam, worin

Der Geist ist eingekerkert –

Manchmal wird ihm unwirsch zu Sinn,

Er tobt und rast und berserkert.

Ohnmächtige Flüche! Dein schlimmster Fluch

Wird keine Fliege töten.

Ertrage die Schickung, und versuch,

Gelinde zu flennen, zu beten.

3

Wie langsam kriechet sie dahin,

Die Zeit, die schauderhafte Schnecke!

Ich aber, ganz bewegungslos

Blieb ich hier auf demselben Flecke.

In meine dunkle Zelle dringt

Kein Sonnenstrahl, kein Hoffnungsschimmer,

Ich weiß, nur mit der Kirchhofsgruft

Vertausch ich dies fatale Zimmer.

Vielleicht bin ich gestorben längst;

Es sind vielleicht nur Spukgestalten

Die Phantasien, die des Nachts

Im Hirn den bunten Umzug halten.

Es mögen wohl Gespenster sein,

Altheidnisch göttlichen Gelichters;

Sie wählen gern zum Tummelplatz

Den Schädel eines toten Dichters. –

Die schaurig süßen Orgia,

Das nächtlich tolle Geistertreiben,

Sucht des Poeten Leichenhand

Manchmal am Morgen aufzuschreiben.

4

Einst sah ich viele Blumen blühen

An meinem Weg; jedoch zu faul,

Mich pflückend nieder zu bemühen,

Ritt ich vorbei auf stolzem Gaul.

Jetzt, wo ich todessiech und elend,

Jetzt, wo geschaufelt schon die Gruft,

Oft im Gedächtnis höhnend, quälend,

Spukt der verschmähten Blumen Duft.

Besonders eine feuergelbe

Viole brennt mir stets im Hirn.

Wie reut es mich, daß ich dieselbe

Nicht einst genoß, die tolle Dirn’.

Mein Trost ist: Lethes Wasser haben

Noch jetzt verloren nicht die Macht,

Das dumme Menschenherz zu laben

Mit des Vergessens süßer Nacht.

5

Ich sah sie lachen, sah sie lächeln,

Ich sah sie ganz zugrunde gehn;

Ich hört ihr Weinen und ihr Röcheln,

Und habe ruhig zugesehn.

Leidtragend folgt ich ihren Särgen,

Und bis zum Kirchhof ging ich mit;

Hernach, ich will es nicht verbergen,

Speist ich zu Mittag mit App’tit.

Doch jetzt auf einmal mit Betrübnis

Denk ich der längstverstorbnen Schar;

Wie lodernd plötzliche Verliebnis

Stürmt’s auf im Herzen wunderbar!

Besonders sind es Julchens Tränen,

Die im Gedächtnis rinnen mir;

Die Wehmut wird zu wildem Sehnen,

Und Tag und Nacht ruf ich nach ihr! – –

Oft kommt zu mir die tote Blume

Im Fiebertraum; alsdann zumut’

Ist mir, als böte sie postume

Gewährung meiner Liebesglut.

O zärtliches Phantom, umschließe

Mich fest und fester, deinen Mund,

Drück ihn auf meinen Mund – versüße

Die Bitternis der letzten Stund’!

6

Du warst ein blondes Jungfräulein, so artig,

So niedlich und so kühl – vergebens harrt ich

Der Stunde, wo dein Herze sich erschlösse

Und sich daraus Begeisterung ergösse –

Begeisterung für jene hohen Dinge,

Die zwar Verstand und Prosa achten g’ringe,

Für die jedoch die Edlen, Schönen, Guten

Auf dieser Erde schwärmen, leiden, bluten.

Am Strand des Rheins, wo Rebenhügel ragen,

Ergingen wir uns einst in Sommertagen.

Die Sonne lachte; aus den liebevollen

Kelchen der Blumen Wohlgerüche quollen.

Die Purpurnelken und die Rosen sandten

Uns rote Küsse, die wie Flammen brannten.

Im kümmerlichsten Gänseblümchen schien

Ein ideales Leben aufzublühn.

Du aber gingest ruhig neben mir,

Im weißen Atlaskleid, voll Zucht und Zier,

Als wie ein Mädchenbild gemalt von Netscher;

Ein Herzchen im Korsett wie’n kleiner Gletscher.

7

Vom Schöppenstuhle der Vernunft

Bist du vollständig freigesprochen;

Das Urteil sagt: »Die Kleine hat

Durch Tun und Reden nichts verbrochen.«

Ja, stumm und tatlos standest du,

Als mich verzehrten tolle Flammen –

Du schürtest nicht, du sprachst kein Wort,

Und doch muß dich mein Herz verdammen.

In meinen Träumen jede Nacht

Klagt eine Stimme, die bezichtet

Des bösen Willens dich und sagt,

Du habest mich zugrund’ gerichtet.

Sie bringt Beweis und Zeugnis bei,

Sie schleppt ein Bündel von Urkunden;

Jedoch am Morgen, mit dem Traum,

Ist auch die Klägerin verschwunden.

Sie hat in meines Herzens Grund

Mit ihren Akten sich geflüchtet –

Nur eins bleibt im Gedächtnis mir,

Das ist: ich bin zugrund’ gerichtet.

8

Ein Wetterstrahl, beleuchtend plötzlich

Des Abgrunds Nacht, war mir dein Brief;

Er zeigte blendend hell, wie tief

Mein Unglück ist, wie tief entsetzlich.

Selbst dich ergreift ein Mitgefühl!

Dich, die in meines Lebens Wildnis

So schweigsam standest, wie ein Bildnis,

Das marmorschön und marmorkühl.

O Gott, wie muß ich elend sein!

Denn sie sogar beginnt zu sprechen,

Aus ihrem Auge Tränen brechen,

Der Stein sogar erbarmt sich mein!

Erschüttert hat mich, was ich sah!

Auch du erbarm dich mein und spende

Die Ruhe mir, o Gott, und ende

Die schreckliche Tragödia.

9

Die Gestalt der wahren Sphinx

Weicht nicht ab von der des Weibes;

Faselei ist jener Zusatz

Des betatzten Löwenleibes.

Todesdunkel ist das Rätsel

Dieser wahren Sphinx. Es hatte

Kein so schweres zu erraten

Frau Jokastens Sohn und Gatte.

Doch zum Glücke kennt sein eignes

Rätsel nicht das Frauenzimmer;

Spräch es aus das Lösungswort,

Fiele diese Welt in Trümmer.

10

Es sitzen am Kreuzweg drei Frauen,

Sie grinsen und spinnen,

Sie seufzen und sinnen;

Sie sind gar häßlich anzuschauen.

Die erste trägt den Rocken,

Sie dreht die Fäden,

Befeuchtet jeden;

Deshalb ist die Hängelippe so trocken.

Die zweite läßt tanzen die Spindel;

Das wirbelt im Kreise,

In drolliger Weise;

Die Augen der Alten sind rot wie Zindel.

Es hält die dritte Parze

In Händen die Schere,

Sie summt Miserere;

Die Nase ist spitz, drauf sitzt eine Warze.

O spute dich und zerschneide

Den Faden, den bösen,

Und laß mich genesen

Von diesem schrecklichen Lebensleide!

11

Mich locken nicht die Himmelsauen

Im Paradies, im sel’gen Land;

Dort find ich keine schönre Frauen,

Als ich bereits auf Erden fand.

Kein Engel mit den feinsten Schwingen

Könnt mir ersetzen dort mein Weib;

Auf Wolken sitzend Psalmen singen,

Wär auch nicht just mein Zeitvertreib.

O Herr! ich glaub, es wär das beste,

Du ließest mich in dieser Welt;

Heil nur zuvor mein Leibgebreste,

Und sorge auch für etwas Geld.

Ich weiß, es ist voll Sünd’ und Laster

Die Welt; jedoch ich bin einmal

Gewöhnt, auf diesem Erdpechpflaster

Zu schlendern durch das Jammertal.

Genieren wird das Weltgetreibe

Mich nie, denn selten geh ich aus;

In Schlafrock und Pantoffeln bleibe

Ich gern bei meiner Frau zu Haus.

Laß mich bei ihr! Hör ich sie schwätzen,

Trinkt meine Seele die Musik

Der holden Stimme mit Ergötzen.

So treu und ehrlich ist ihr Blick!

Gesundheit nur und Geldzulage

Verlang ich, Herr! O laß mich froh

Hinleben noch viel schöne Tage

Bei meiner Frau im statu quo!

9
Die Libelle

Es tanzt die schöne Libelle

Wohl auf des Baches Welle;

Sie tanzt daher, sie tanzt dahin,

Die schimmernde, flimmernde Gauklerin.

Gar mancher junge Käfertor

Bewundert ihr Kleid von blauem Flor,

Bewundert des Leibchens Emaille

Und auch die schlanke Taille.

Gar mancher junge Käfertor

Sein bißchen Käferverstand verlor;

Die Buhlen sumsen von Lieb’ und Treu,

Versprechen Holland und Brabant dabei.

Die schöne Libelle lacht und spricht:

»Holland und Brabant brauch ich nicht,

Doch sputet euch, ihr Freier,

Und holt mir ein Fünkchen Feuer.

Die Köchin kam in Wochen,

Muß selbst mein Süpplein kochen;

Die Kohlen des Herdes erloschen sind –

Holt mir ein Fünkchen Feuer geschwind.«

Kaum hat die Falsche gesprochen das Wort,

Die Käfer flatterten eilig fort.

Sie suchen Feuer, und lassen bald

Weit hinter sich den Heimatwald.

Sie sehen Kerzenlicht, ich glaube

In einer erleuchteten Gartenlaube;

Und die Verliebten, mit blindem Mut

Stürzen sie sich in die Kerzenglut.

Knisternd verzehrten die Flammen der Kerzen

Die Käfer und ihre liebenden Herzen;

Die einen büßten das Leben ein,

Die andern nur die Flügelein.

O wehe dem Käfer, welchem verbrannt

Die Flügel sind! Im fremden Land

Muß er wie ein Wurm am Boden kriechen,

Mit feuchten Insekten, die häßlich riechen.

»Die schlechte Gesellschaft«, hört man ihn klagen,

»Ist im Exil die schlimmste der Plagen.

Wir müssen verkehren mit einer Schar

Von Ungeziefer, von Wanzen sogar,

Die uns behandeln als Kameraden,

Weil wir im selben Schmutze waten –

Drob klagte schon der Schüler Virgils,

Der Dichter der Hölle und des Exils.

Ich denke mit Gram an die bessere Zeit,

Wo ich mit beflügelter Herrlichkeit

Im Heimatäther gegaukelt,

Auf Sonnenblumen geschaukelt,

Aus Rosenkelchen Nahrung sog

Und vornehm war, und Umgang pflog

Mit Schmetterlingen von adligem Sinn,

Und mit der Zikade, der Künstlerin –

Jetzt sind meine armen Flügel verbrannt;

Ich kann nicht zurück ins Vaterland,

Ich bin ein Wurm, und ich verrecke

Und ich verfaule im fremden Drecke.

Oh, daß ich nie gesehen hätt

Die Wasserfliege, die blaue Kokett’

Mit ihrer feinen Taille –

Die schöne, falsche Kanaille!«

10
Himmelfahrt

Der Leib lag auf der Totenbahr’,

Jedoch die arme Seele war,

Entrissen irdischem Getümmel,

Schon auf dem Wege nach dem Himmel.

Dort klopft’ sie an die hohe Pforte,

Und seufzte tief und sprach die Worte:

»Sankt Peter, komm und schließe auf!

Ich bin so müde vom Lebenslauf –

Ausruhen möcht ich auf seidnen Pfühlen

Im Himmelreich, ich möchte spielen

Mit lieben Englein Blindekuh

Und endlich genießen Glück und Ruh’!«

Man hört Pantoffelgeschlappe jetzund,

Auch klirrt es wie ein Schlüsselbund,

Und aus einem Gitterfenster am Tor

Sankt Peters Antlitz schaut hervor.

Er spricht: »Es kommen die Vagabunde,

Zigeuner, Polacken und Lumpenhunde,

Die Tagediebe, die Hottentotten –

Sie kommen einzeln und in Rotten,

Und wollen in den Himmel hinein

Und Engel werden und selig sein.

Holla! Holla! Für Galgengesichter

Von eurer Art, für solches Gelichter

Sind nicht erbaut die himmlischen Hallen –

Ihr seid dem leidigen Satan verfallen.

Fort, fort von hier! und trollt euch schnelle

Zum schwarzen Pfuhle der ewigen Hölle –«

So brummt der Alte, doch kann er nicht

Im Polterton verharren, er spricht

Gutmütig am Ende die tröstenden Worte:

»Du arme Seele, zu jener Sorte

Halunken scheinst du nicht zu gehören –

Nu! Nu! Ich will deinen Wunsch gewähren,

Weil heute mein Geburtstag just

Und mich erweicht barmherzige Lust –

Nenn mir daher die Stadt und das Reich,

Woher du bist; sag mir zugleich,

Ob du vermählt warst? – Eh’liches Dulden

Sühnt oft des Menschen ärgste Schulden;

Ein Eh’mann braucht nicht in der Hölle zu schmoren,

Ihn läßt man nicht warten vor Himmelstoren.«

Die Seele antwortet: »Ich bin aus Preußen,

Die Vaterstadt ist Berlin geheißen.

Dort rieselt die Spree, und in ihr Bette

Pflegen zu wässern die jungen Kadette;

Sie fließt gemütlich über, wenn’s regent –

Berlin ist auch eine schöne Gegend!

Dort bin ich Privatdozent gewesen,

Und hab über Philosophie gelesen –

Mit einem Stiftsfräulein war ich vermählt,

Doch hat sie oft entsetzlich krakeelt,

Besonders wenn im Haus kein Brot –

Drauf bin ich gestorben und bin jetzt tot.«

Sankt Peter rief: »O weh! o weh!

Die Philosophie ist ein schlechtes Metier.

Wahrhaftig, ich begreife nie,

Warum man treibt Philosophie.

Sie ist langweilig und bringt nichts ein,

Und gottlos ist sie obendrein;

Da lebt man nur in Hunger und Zweifel,

Und endlich wird man geholt vom Teufel.

Gejammert hat wohl deine Xantuppe

Oft über die magre Wassersuppe,

Woraus niemals ein Auge von Fett

Sie tröstend angelächelt hätt –

Nun, sei getrost, du arme Seele!

Ich habe zwar die strengsten Befehle,

Jedweden, der sich je im Leben

Mit Philosophie hat abgegeben,

Zumalen mit der gottlos deutschen,

Ich soll ihn schimpflich von hinnen peitschen –

Doch mein Geburtstag, wie gesagt,

Ist eben heut, und fortgejagt

Sollst du nicht werden, ich schließe dir auf

Das Himmelstor, und jetzo lauf

Geschwind herein –

Jetzt bist du geborgen!

Den ganzen Tag, vom frühen Morgen

Bis abends spät, kannst du spazieren

Im Himmel herum und träumend flanieren

Auf edelsteingepflasterten Gassen.

Doch wisse, hier darfst du dich nie befassen

Mit Philosophie; du würdest mich

Kompromittieren fürchterlich –

Hörst du die Engel singen, so schneide

Ein schiefes Gesicht verklärter Freude –

Hat aber gar ein Erzengel gesungen,

Sei gänzlich von Begeistrung durchdrungen,

Und sag ihm, daß die Malibran

Niemals besessen solchen Sopran –

Auch applaudiere immer die Stimm’

Der Cherubim und der Seraphim,

Vergleiche sie mit Signor Rubini,

Mit Mario und Tamburini –

Gib ihnen den Titel von Exzellenzen

Und knickre nicht mit Reverenzen.

Die Sänger, im Himmel wie auf Erden,

Sie wollen alle geschmeichelt werden –

Der Weltkapellenmeister hier oben,

Er selbst sogar, hört gerne loben

Gleichfalls seine Werke, er hört es gern

Wenn man lobsinget Gott dem Herrn

Und seinem Preis und Ruhm ein Psalm

Erklingt im dicksten Weihrauchqualm.

Vergiß mich nicht. Wenn dir die Pracht

Des Himmels einmal Langweile macht,

So komm zu mir; dann spielen wir Karten.

Ich kenne Spiele von allen Arten,

Vom Landsknecht bis zum König Pharo.

Wir trinken auch – Doch apropos!

Begegnet dir von ungefähr

Der liebe Gott, und fragt dich: woher

Du seiest? so sage nicht: aus Berlin,

Sag lieber: aus München, oder aus Wien.«

11
Die Wahlverlobten

Du weinst und siehst mich an, und meinst,

Daß du ob meinem Elend weinst –

Du weißt nicht, Weib! dir selber gilt

Die Trän’, die deinem Aug’ entquillt.

Oh, sage mir, ob nicht vielleicht

Zuweilen dein Gemüt beschleicht

Die Ahnung, die dir offenbart,

Daß Schicksalswille uns gepaart?

Vereinigt, war uns Glück hienieden,

Getrennt, nur Untergang beschieden.

Im großen Buche stand geschrieben,

Wir sollten uns einander lieben.

Dein Platz, er sollt an meiner Brust sein,

Hier wär erwacht dein Selbstbewußtsein;

Ich hätt dich aus dem Pflanzentume

Erlöst, emporgeküßt, o Blume,

Empor zu mir, zum höchsten Leben –

Ich hätt dir eine Seel’ gegeben.

Jetzt, wo gelöst die Rätsel sind,

Der Sand im Stundenglas verrinnt –

O weine nicht, es mußte sein –

Ich scheide, und du welkst allein;

Du welkst, bevor du noch geblüht,

Erlöschest, eh’ du noch geglüht;

Du stirbst, dich hat der Tod erfaßt,

Bevor du noch gelebet hast.

Ich weiß es jetzt. Bei Gott! du bist es,

Die ich geliebt. Wie bitter ist es,

Wenn im Momente des Erkennens

Die Stunde schlägt des ew’gen Trennens!

Der Willkomm ist zu gleicher Zeit

Ein Lebewohl! Wir scheiden heut

Auf immerdar. Kein Wiedersehn

Gibt es für uns in Himmelshöhn.

Die Schönheit ist dem Staub verfallen,

Du wirst zerstieben, wirst verhallen.

Viel anders ist es mit Poeten;

Die kann der Tod nicht gänzlich töten.

Uns trifft nicht weltliche Vernichtung,

Wir leben fort im Land der Dichtung,

In Avalun, dem Feenreiche –

Leb wohl auf ewig, schöne Leiche!

12
Der Philanthrop

Das waren zwei liebe Geschwister,

Die Schwester war arm, der Bruder war reich.

Zum Reichen sprach die Arme:

»Gib mir ein Stückchen Brot.«

Zur Armen sprach der Reiche:

»Laß mich nur heut in Ruh’.

Heut geb ich mein jährliches Gastmahl

Den Herren vom großen Rat.

Der eine liebt Schildkrötensuppe,

Der andre Ananas,

Der dritte ißt gern Fasanen

Mit Trüffeln von Périgord.

Der vierte speist nur Seefisch,

Der fünfte verzehrt auch Lachs,

Der sechste, der frißt alles,

Und trinkt noch mehr dazu.«

Die arme, arme Schwester

Ging hungrig wieder nach Haus;

Sie warf sich auf den Strohsack

Und seufzte tief und starb.

Wir müssen alle sterben!

Des Todes Sense trifft

Am End’ den reichen Bruder,

Wie er die Schwester traf.

Und als der reiche Bruder

Sein Stündlein kommen sah,

Da schickt’ er zum Notare

Und macht’ sein Testament.

Beträchtliche Legate

Bekam die Geistlichkeit,

Die Schulanstalten, das große

Museum für Zoologie.

Mit edlen Summen bedachte

Der große Testator zumal

Die Judenbekehrungsgesellschaft

Und das Taubstummeninstitut.

Er schenkte eine Glocke

Dem neuen Sankt-Stephans-Turm;

Die wiegt fünfhundert Zentner

Und ist vom besten Metall.

Das ist eine große Glocke

Und läutet spat und früh;

Sie läutet zum Lob und Ruhme

Des unvergeßlichen Manns.

Sie meldet mit eherner Zunge,

Wieviel er Gutes getan

Der Stadt und seinen Mitbürgern

Von jeglicher Konfession.

Du großer Wohltäter der Menschheit!

Wie im Leben, soll auch im Tod

Jedwede deiner Wohltaten

Verkünden die große Glock’!

Das Leichenbegängnis wurde

Gefeiert mit Prunk und Pracht;

Es strömte herbei die Menge

Und staunte ehrfurchtsvoll.

Auf einem schwarzen Wagen,

Der gleich einem Baldachin

Mit schwarzen Straußfederbüscheln

Gezieret, ruhte der Sarg.

Der strotzte von Silberblechen

Und Silberstickerei’n;

Es machte auf schwarzem Grunde

Das Silber den schönsten Effekt.

Den Wagen zogen sechs Rosse,

In schwarzen Decken vermummt;

Die fielen gleich Trauermänteln

Bis zu den Hufen hinab.

Dicht hinter dem Sarge gingen

Bediente in schwarzer Livree,

Schneeweiße Schnupftücher haltend

Vor dem kummerroten Gesicht.

Sämtliche Honoratioren

Der Stadt, ein langer Zug

Von schwarzen Paradekutschen,

Wackelte hintennach.

In diesem Leichenzuge,

Versteht sich, befanden sich auch

Die Herren vom hohen Rate,

Doch waren sie nicht komplett.

Es fehlte jener, der gerne

Fasanen mit Trüffeln aß;

War kurz vorher gestorben

An einer Indigestion.

13
Die Launen der Verliebten

Eine wahre Geschichte, nach älteren Dokumenten wiedererzählt und aufs neue in schöne deutsche Reime gebracht

Der Käfer saß auf dem Zaun, betrübt;

Er hat sich in eine Fliege verliebt.

»Du bist, o Fliege meiner Seele,

Die Gattin, die ich auserwähle.

Heirate mich und sei mir hold!

Ich hab einen Bauch von eitel Gold.

Mein Rücken ist eine wahre Pracht;

Da flammt der Rubin, da glänzt der Smaragd.«

»O daß ich eine Närrin wär!

Ein’n Käfer nehm ich nimmermehr.

Mich lockt nicht Gold, Rubin und Smaragd;

Ich weiß, daß Reichtum nicht glücklich macht.

Nach Idealen schwärmt mein Sinn,

Weil ich eine stolze Fliege bin.« –

Der Käfer flog fort mit großem Grämen;

Die Fliege ging, ein Bad zu nehmen.

»Wo ist denn meine Magd, die Biene,

Daß sie beim Waschen mich bediene;

Daß sie mir streichle die feine Haut,

Denn ich bin eines Käfers Braut.

Wahrhaftig, ich mach eine große Partie;

Viel schöneren Käfer gab es nie.

Sein Rücken ist eine wahre Pracht;

Da flammt der Rubin, da glänzt der Smaragd.

Sein Bauch ist gülden, hat noble Züge;

Vor Neid wird bersten gar manche Schmeißfliege.

Spute dich, Bienchen, und frisier mich,

Und schnüre die Taille und parfümier mich;

Reib mich mit Rosenessenzen, und gieße

Lavendelöl auf meine Füße,

Damit ich gar nicht stinken tu,

Wenn ich in des Bräut’gams Armen ruh.

Schon flirren heran die blauen Libellen,

Und huldigen mir als Ehrenmamsellen.

Sie winden mir in den Jungfernkranz

Die weiße Blüte der Pomeranz’.

Viel Musikanten sind eingeladen,

Auch Sängerinnen, vornehme Zikaden.

Rohrdommel und Horniß, Bremse und Hummel,

Sie sollen trompeten und schlagen die Trummel;

Sie sollen aufspielen zum Hochzeitfest –

Schon kommen die buntbeflügelten Gäst’,

Schon kommt die Familie, geputzt und munter;

Gemeine Insekten sind viele darunter.

Heuschrecken und Wespen, Muhmen und Basen,

Sie kommen heran – die Trompeten blasen.

Der Pastor Maulwurf im schwarzen Ornat,

Da kommt er gleichfalls – es ist schon spat.

Die Glocken läuten, bim-bam, bim-bam –

Wo bleibt mein liebster Bräutigam?« – –

Bim-bam, bim-bam, klingt Glockengeläute,

Der Bräutigam aber flog fort ins Weite.

Die Glocken läuten, bim-bam, bim-bam –

»Wo bleibt mein liebster Bräutigam?«

Der Bräutigam hat unterdessen

Auf einem fernen Misthaufen gesessen.

Dort blieb er sitzen sieben Jahr’,

Bis daß die Braut verfaulet war.

14
Mimi

»Bin kein sittsam Bürgerkätzchen,

Nicht im frommen Stübchen spinn ich.

Auf dem Dach, in freier Luft,

Eine freie Katze bin ich.

Wenn ich sommernächtlich schwärme,

Auf dem Dache, in der Kühle,

Schnurrt und knurrt in mir Musik,

Und ich singe, was ich fühle.«

Also spricht sie. Aus dem Busen

Wilde Brautgesänge quellen,

Und der Wohllaut lockt herbei

Alle Katerjunggesellen.

Alle Katerjunggesellen,

Schnurrend, knurrend, alle kommen,

Mit Mimi zu musizieren,

Liebelechzend, lustentglommen.

Das sind keine Virtuosen,

Die entweiht jemals für Lohngunst

Die Musik, sie blieben stets

Die Apostel heil’ger Tonkunst.

Brauchen keine Instrumente,

Sie sind selber Bratsch’ und Flöte;

Eine Pauke ist ihr Bauch,

Ihre Nasen sind Trompeten.

Sie erheben ihre Stimmen

Zum Konzert gemeinsam jetzo;

Das sind Fugen, wie von Bach

Oder Guido von Arezzo.

Das sind tolle Symphonien,

Wie Kapricen von Beethoven

Oder Berlioz, der wird

Schnurrend, knurrend übertroffen.

Wunderbare Macht der Töne!

Zauberklänge sondergleichen!

Sie erschüttern selbst den Himmel,

Und die Sterne dort erbleichen.

Wenn sie hört die Zauberklänge,

Wenn sie hört die Wundertöne,

So verhüllt ihr Angesicht

Mit dem Wolkenflor Selene.

Nur das Lästermaul, die alte

Primadonna Philomele

Rümpft die Nase, schnupft und schmäht

Mimis Singen – kalte Seele!

Doch gleichviel! Das musizieret,

Trotz dem Neide der Signora,

Bis am Horizont erscheint

Rosig lächelnd Fee Aurora.

15
Guter Rat

Laß dein Grämen und dein Schämen!

Werbe keck und fordre laut,

Und man wird sich dir bequemen,

Und du führest heim die Braut.

Wirf dein Geld den Musikanten,

Denn die Fiedel macht das Fest;

Küsse deine Schwiegertanten,

Denkst du gleich: ›Hol’ euch die Pest!‹

Rede gut von einem Fürsten,

Und nicht schlecht von einer Frau;

Knickre nicht mit deinen Würsten,

Wenn du schlachtest eine Sau.

Ist die Kirche dir verhaßt, Tor,

Desto öfter geh hinein;

Zieh den Hut ab vor dem Pastor,

Schick ihm auch ein Fläschchen Wein.

Fühlst du irgendwo ein Jücken,

Kratze dich als Ehrenmann;

Wenn dich deine Schuhe drücken,

Nun, so zieh Pantoffeln an.

Hat versalzen dir die Suppe

Deine Frau, bezähm die Wut,

Sag ihr lächelnd: »Süße Puppe,

Alles, was du kochst, ist gut.«

Trägt nach einem Schal Verlangen

Deine Frau, so kauf ihr zwei;

Kauf ihr Spitzen, goldne Spangen

Und Juwelen noch dabei.

Wirst du diesen Rat erproben,

Dann, mein Freund! genießest du

Einst das Himmelreich dort oben,

Und du hast auf Erden Ruh’.

16
Erinnerung an Hammonia

Waisenkinder, zwei und zwei,

Wallen fromm und froh vorbei,

Tragen alle blaue Röckchen,

Haben alle rote Bäckchen –

Oh, die hübschen Waisenkinder!

Jeder sieht sie an gerührt,

Und die Büchse klingeliert;

Von geheimen Vaterhänden

Fließen ihnen reiche Spenden –

Oh, die hübschen Waisenkinder!

Frauen, die gefühlvoll sind,

Küssen manchem armen Kind

Sein Rotznäschen und sein Schnütchen,

Schenken ihm ein Zuckerdütchen –

Oh, die hübschen Waisenkinder!

Schmuhlchen wirft verschämten Blicks

Einen Taler in die Büchs’ –

Denn er hat ein Herz – und heiter

Schleppt er seinen Zwerchsack weiter.

Oh, die hübschen Waisenkinder!

Einen goldnen Louisdor

Gibt ein frommer Herr; zuvor

Guckt er in die Himmelshöhe,

Ob der liebe Gott ihn sähe?

Oh, die hübschen Waisenkinder!

Litzenbrüder, Arbeitsleut’,

Hausknecht’, Küper feiern heut;

Werden manche Flasche leeren

Auf das Wohlsein dieser Gören –

Oh, die hübschen Waisenkinder!

Schutzgöttin Hammonia

Folgt dem Zug inkognita,

Stolz bewegt sie die enormen

Massen ihrer hintern Formen –

Oh, die hübschen Waisenkinder!

Vor dem Tor, auf grünem Feld,

Rauscht Musik im hohen Zelt,

Das bewimpelt und beflittert;

Dorten werden abgefüttert

Diese hübschen Waisenkinder.

Sitzen dort in langer Reih’,

Schmausen gütlich süßen Brei,

Torten, Kuchen, leckre Speischen,

Und sie knuspern wie die Mäuschen,

Diese hübschen Waisenkinder.

Leider kommt mir in den Sinn

Jetzt ein Waisenhaus, worin

Kein so fröhliches Gastieren;

Gar elendig lamentieren

Dort Millionen Waisenkinder.

Die Montur ist nicht egal,

Manchem fehlt das Mittagsmahl;

Keiner geht dort mit dem andern,

Einsam, kummervoll dort wandern

Viel Millionen Waisenkinder.

17
Schnapphahn und Schnapphenne

Derweilen auf dem Lotterbette

Mich Lauras Arm umschlang – der Fuchs,

Ihr Herr Gemahl, aus meiner Buchs’

Stibitzt er mir die Bankbillette.

Da steh ich nun mit leeren Taschen!

War Lauras Kuß gleichfalls nur Lug?

Ach! Was ist Wahrheit? Also frug

Pilat und tät die Händ’ sich waschen.

Die böse Welt, die so verdorben,

Verlaß ich bald, die böse Welt.

Ich merke: hat der Mensch kein Geld,

So ist der Mensch schon halb gestorben.

Nach euch, ihr ehrlich reinen Seelen,

Die ihr bewohnt das Reich des Lichts,

Sehnt sich mein Herz. Dort braucht ihr nichts,

Und braucht deshalb auch nicht zu stehlen.

18
Jung-Katerverein für Poesiemusik

Der philharmonische Katerverein

War auf dem Dache versammelt

Heut nacht – doch nicht aus Sinnenbrunst;

Da ward nicht gebuhlt und gerammelt.

Es paßt kein Sommernachthochzeitstraum,

Es passen nicht Lieder der Minne

Zur Winterjahrzeit, zu Frost und Schnee;

Gefroren war jede Rinne.

Auch hat überhaupt ein neuer Geist

Der Katzenschaf sich bemeistert;

Die Jugend zumal, der Jung – Kater ist

Für höheren Ernst begeistert.

Die alte frivole Generation

Verröchelt; ein neues Bestreben,

Ein Katzenfrühling der Poesie

Regt sich in Kunst und Leben.

Der philharmonische Katerverein,

Er kehrt zur primitiven

Kunstlosen Tonkunst jetzt zurück,

Zum schnauzenwüchsig Naiven.

Er will die Poesiemusik,

Rouladen ohne Triller,

Die Instrumental- und Vokalpoesie,

Die keine Musik ist, will er.

Er will die Herrschaft des Genies,

Das freilich manchmal stümpert,

Doch in der Kunst oft unbewußt

Die höchste Staffel erklimpert.

Er huldigt dem Genie, das sich

Nicht von der Natur entfernt hat,

Sich nicht mit Gelehrsamkeit brüsten will

Und wirklich auch nichts gelernt hat.

Dies ist das Programm des Katervereins,

Und voll von diesem Streben

Hat er sein erstes Winterkonzert

Heut nacht auf dem Dache gegeben.

Doch schrecklich war die Exekution

Der großen Idee, der pompösen –

Häng dich, mein teurer Berlioz,

Daß du nicht dabeigewesen!

Das war ein Charivari, als ob

Einen Kuhschwanzhopsaschleifer

Plötzlich aufspielten, branntweinberauscht,

Drei Dutzend Dudelsackpfeifer.

Das war ein Tauhu-Wauhu, als ob

In der Arche Noäh anfingen,

Sämtliche Tiere unisono

Die Sündflut zu besingen.

Oh, welch ein Krächzen und Heulen und Knurr’n,

Welch ein Miau’n und Gegröle!

Die alten Schornsteine stimmten ein

Und schnauften Kirchenchoräle.

Zumeist vernehmbar war eine Stimm’,

Die kreischend zugleich und matte

Wie einst die Stimme der Sontag war,

Als sie keine Stimme mehr hatte.

Das tolle Konzert! Ich glaube, es ward

Ein großes Tedeum gesungen,

Zur Feier des Siegs, den über Vernunft

Der frechste Wahnsinn errungen.

Vielleicht auch ward vom Katerverein

Die große Oper probieret,

Die Ungarns größer Pianist

Für Charenton komponieret.

Es hat bei Tagesanbruch erst

Der Sabbat ein Ende genommen;

Eine schwangere Köchin ist dadurch

Zu früh in die Wochen gekommen.

Die sinnebetörte Wöchnerin

Hat ganz das Gedächtnis verloren;

Sie weiß nicht mehr, wer der Vater ist

Des Kindes, das sie geboren.

»War es der Peter? War es der Paul?

Sag, Liese, wer ist der Vater?«

Die Liese lächelt verklärt und spricht:

»Oh, Liszt! du himmlischer Kater!«

19
Hans ohne Land

»Leb wohl, mein Weib«, sprach Hans ohne Land,

»Mich rufen hohe Zwecke;

Ein andres Weidwerk harret mein,

Ich schieße jetzt andre Böcke.

Ich laß dir mein Jagdhorn zurück, du kannst

Mit Tuten, wenn ich entfernet,

Die Zeit vertreiben; du hast ja zu Haus

Das Posthorn blasen gelernet.

Ich laß dir auch meinen Hund zurück,

Daß er die Burg behüte;

Mich selbst bewache mein deutsches Volk

Mit pudeltreuem Gemüte.

Sie bieten mir an die Kaiserkron’,

Die Liebe ist kaum zu begreifen;

Sie tragen mein Bild in ihrer Brust

Und auf den Tabakspfeifen.

Ihr Deutschen seid ein großes Volk,

So simpel und doch so begabet!

Man sieht euch wahrhaftig nicht an, daß ihr

Das Pulver erfunden habet.

Nicht Kaiser, Vater will ich euch sein,

Ich werde euch glücklich machen –

O schöner Gedanke! er macht mich so stolz,

Als wär ich die Mutter der Gracchen.

Nicht mit dem Verstand, nein, mit dem Gemüt

Will ich mein Volk regieren;

Ich bin kein Diplomatikus

Und kann nicht politisieren.

Ich bin ein Jäger, ein Mensch der Natur,

Im Walde aufgewachsen

Mit Gemsen und Schnepfen, mit Rehbock und Sau,

Ich mache nicht Worte, nicht Faxen.

Ich ködre durch keine Proklamation,

Durch keinen gedruckten Lockwisch;

Ich sage: Mein Volk, es fehlt der Lachs,

Begnüge dich heut mit dem Stockfisch.

Gefall ich dir nicht als Kaiser, so nimm

Den ersten besten Lausangel;

Ich habe zu essen auch ohne dich,

Ich litt in Tirol nicht Mangel.

So red ich; doch jetzt, mein Weib, leb wohl!

Ich kann nicht länger weilen;

Des Schwiegervaters Postillion

Erwartet mich schon mit den Gäulen.

Reich mir geschwind die Reisemütz’

Mit dem schwarzrotgoldnen Bande –

Bald siehst du mich mit dem Diadem

Im alten Kaisergewande.

Bald schaust du mich in dem Pluvial,

Dem Purpurtalar, dem schönen,

Den weiland dem Kaiser Otto geschenkt

Der Sultan der Sarazenen.

Darunter trag ich die Dalmatika,

Worin gestickt mit Juwelen

Ein Zug von fabelhaftem Getier,

Von Löwen und Kamelen.

Ich trage die Stola auf der Brust,

Die ist gezieret bedeutsam

Mit schwarzen Adlern im gelben Grund;

Die Tracht ist äußerst kleidsam.

Leb wohl! Die Nachwelt wird sagen, daß ich

Verdiente, die Krone zu tragen –

Wer weiß? Die Nachwelt wird vielleicht

Halt gar nichts von mir sagen.«

20
Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen

Wir, Bürgermeister und Senat,

Wir haben folgendes Mandat

Stadtväterlichst an alle Klassen

Der treuen Bürgerschaft erlassen.

»Ausländer, Fremde, sind es meist,

Die unter uns gesät den Geist

Der Rebellion. Dergleichen Sünder,

Gottlob! sind selten Landeskinder.

Auch Gottesleugner sind es meist;

Wer sich von seinem Gotte reißt,

Wird endlich auch abtrünnig werden

Von seinen irdischen Behörden.

Der Obrigkeit gehorchen, ist

Die erste Pflicht für Jud’ und Christ.

Es schließe jeder seine Bude,

Sobald es dunkelt, Christ und Jude.

Wo ihrer drei beisammenstehn,

Da soll man auseinandergehn.

Des Nachts soll niemand auf den Gassen

Sich ohne Leuchte sehen lassen.

Es liefre seine Waffen aus

Ein jeder in dem Gildenhaus;

Auch Munition von jeder Sorte

Wird deponiert am selben Orte.

Wer auf der Straße räsoniert,

Wird unverzüglich füsiliert;

Das Räsonieren durch Gebärden

Soll gleichfalls hart bestrafet werden.

Vertrauet eurem Magistrat,

Der fromm und liebend schützt den Staat

Durch huldreich hochwohlweises Walten;

Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.«

21
Die Audienz

Eine alte Fabel

»Ich laß nicht die Kindlein, wie Pharao,

Ersäufen im Nilstromwasser;

Ich bin auch kein Herodestyrann,

Kein Kinderabschlachtenlasser.

Ich will, wie einst mein Heiland tat,

Am Anblick der Kinder mich laben;

Laß zu mir kommen die Kindlein, zumal

Das große Kind aus Schwaben.«

So sprach der König; der Kämmerer lief,

Und kam zurück und brachte

Herein das große Schwabenkind,

Das seinen Diener machte.

Der König sprach: »Du bist wohl ein Schwab’?

Das ist just keine Schande.«

»Geraten!« erwidert der Schwab’, »ich bin

Geboren im Schwabenlande.«

»Stammst du von den Sieben Schwaben ab?«

Frug jener. »Ich tu abstammen

Nur von einem einz’gen«, erwidert der Schwab’,

»Doch nicht von allen zusammen.«

Der König frug ferner: »Sind dieses Jahr

Die Knödel in Schwaben geraten?«

»Ich danke der Nachfrag’«, antwortet der Schwab’,

»Sie sind sehr gut geraten.«

»Habt ihr noch große Männer?« frug

Der König. »Im Augenblicke

Fehlt es an großen«, erwidert der Schwab’,

»Wir haben jetzt nur dicke.«

»Hat Menzel«, frug weiter der König, »seitdem

Noch viel Maulschellen erhalten?«

»Ich danke der Nachfrag’«, erwidert der Schwab’,

»Er hat noch genug an den alten.«

Der König sprach: »Du bist nicht so dumm,

Als wie du aussiehst, mein Holder.«

»Das kommt«, erwidert der Schwab’, »weil mich

In der Wiege vertauscht die Kobolder.«

Der König sprach: »Es pflegt der Schwab’

Sein Vaterland zu lieben –

Nun sage mir, was hat dich fort

Aus deiner Heimat getrieben?«

Der Schwabe antwortet: »Tagtäglich gab’s

Nur Sauerkraut und Rüben;

Hätt meine Mutter Fleisch gekocht,

So wär ich dort geblieben.«

»Erbitte dir eine Gnade«, sprach

Der König. Da kniete nieder

Der Schwabe und rief: »O geben Sie, Sire,

Dem Volke die Freiheit wieder!

Der Mensch ist frei, es hat die Natur

Ihn nicht geboren zum Knechte –

O geben Sie, Sire, dem deutschen Volk

Zurück seine Menschenrechte!«

Der König stand erschüttert tief –

Es war eine schöne Szene; –

Mit seinem Rockärmel wischte sich

Der Schwab’ aus dem Auge die Träne.

Der König sprach endlich: »Ein schöner Traum! –

Leb wohl, und werde gescheiter;

Und da du ein Somnambülericht,

So geb ich dir zwei Begleiter,

Zwei sichre Gendarmen, die sollen dich

Bis an die Grenze führen –

Leb wohl! Ich muß zur Parade gehn,

Schon hör ich die Trommel rühren.«

So hat die rührende Audienz

Ein rührendes Ende genommen.

Doch ließ der König seitdem nicht mehr

Die Kindlein zu sich kommen.

22
Kobes I.

Im Jahre achtundvierzig hielt,

Zur Zeit der großen Erhitzung,

Das Parlament des deutschen Volks

Zu Frankfurt seine Sitzung.

Damals ließ auch auf dem Römer dort

Sich sehen die weiße Dame,

Das unheilkündende Gespenst;

Die Schaffnerin ist sein Name.

Man sagt, sie lasse sich jedesmal

Des Nachts auf dem Römer sehen,

Sooft einen großen Narrenstreich

Die lieben Deutschen begehen.

Dort sah ich sie selbst um jene Zeit

Durchwandeln die nächtliche Stille

Der öden Gemächer, wo aufgehäuft

Des Mittelalters Gerülle.

Die Lampe und ein Schlüsselbund

Hielt sie in den bleichen Händen;

Sie schloß die großen Truhen auf

Und die Schränke an den Wänden.

Da liegen die Kaiserinsignia,

Da liegt die Goldne Bulle,

Der Zepter, die Krone, der Apfel des Reichs

Und manche ähnliche Schrulle.

Da liegt das alte Kaiserornat,

Verblichen purpurner Plunder,

Die Garderobe des deutschen Reichs,

Verrostet, vermodert jetzunder.

Die Schaffnerin schüttelt wehmütig das Haupt

Bei diesem Anblick, doch plötzlich

Mit Widerwillen ruft sie aus:

»Das alles stinkt entsetzlich!

Das alles stinkt nach Mäusedreck,

Das ist verfault und verschimmelt,

Und in dem stolzen Lumpenkram

Das Ungeziefer wimmelt.

Wahrhaftig, auf diesem Hermelin,

Dem Krönungsmantel, dem alten,

Haben die Katzen des Römerquartiers

Ihr Wochenbett gehalten.

Da hilft kein Ausklopfen! Daß Gott sich erbarm’

Des künftigen Kaisers! Mit Flöhen

Wird ihn der Krönungsmantel gewiß

Auf Lebenszeit versehen.

Und wisset, wenn es den Kaiser juckt,

So müssen die Völker sich kratzen –

O Deutsche! Ich fürchte, die fürstlichen Flöh’,

Die kosten euch manchen Batzen.

Jedoch wozu noch Kaiser und Flöh’?

Verrostet ist und vermodert

Das alte Kostüm – Die neue Zeit

Auch neue Röcke fodert.

Mit Recht sprach auch der deutsche Poet

Zum Rotbart im Kyffhäuser:

›Betracht ich die Sache ganz genau,

So brauchen wir gar keinen Kaiser!‹

Doch wollt ihr durchaus ein Kaisertum,

Wollt ihr einen Kaiser küren,

Ihr lieben Deutschen! laßt euch nicht

Von Geist und Ruhm verführen.

Erwählet kein Patrizierkind,

Erwählet einen vom Plebse,

Erwählt nicht den Fuchs und nicht den Leu,

Erwählt den dümmsten der Schöpse.

Erwählt den Sohn Colonias,

Den dummen Kobes von Köllen;

Der ist in der Dummheit fast ein Genie,

Er wird sein Volk nicht prellen.

Ein Klotz ist immer der beste Monarch,

Das zeigt Äsop in der Fabel;

Er frißt uns armen Frösche nicht,

Wie der Storch mit dem langen Schnabel.

Seid sicher, der Kobes wird kein Tyrann,

Kein Nero, kein Holofernes;

Er hat kein grausam antikes Herz,

Er hat ein weiches, modernes.

Der Krämerstolz verschmähte dies Herz,

Doch an die Brust des Heloten

Der Werkstatt warf der Gekränkte sich

Und ward die Blume der Knoten.

Die Brüder der Handwerksburschenschaft

Erwählten zum Sprecher den Kobes;

Er teilte mit ihnen ihr letztes Stück Brot,

Sie waren voll seines Lobes.

Sie rühmten, daß er nie studiert

Auf Universitäten

Und Bücher schrieb aus sich selbst heraus,

Ganz ohne Fakultäten.

Ja, seine ganze Ignoranz

Hat er sich selbst erworben;

Nicht fremde Bildung und Wissenschaft

Hat je sein Gemüt verdorben.

Gleichfalls sein Geist, sein Denken blieb

Ganz frei vom Einfluß abstrakter

Philosophie – Er blieb Er selbst!

Der Kobes ist ein Charakter.

In seinem schönen Auge glänzt

Die Träne, die stereotype;

Und eine dicke Dummheit liegt

Beständig auf seiner Lippe.

Er schwätzt und flennt und flennt und schwätzt,

Worte mit langen Ohren!

Eine schwangere Frau, die ihn reden gehört,

Hat einen Esel geboren.

Mit Bücherschreiben und Stricken vertreibt

Er seine müßigen Stunden;

Es haben die Strümpfe, die er gestrickt,

Sehr großen Beifall gefunden.

Apoll und die Musen muntern ihn auf,

Sich ganz zu widmen dem Stricken –

Sie erschrecken, sooft sie in seiner Hand

Einen Gänsekiel erblicken.

Das Stricken mahnt an die alte Zeit

Der Funken. Auf ihren Wachtposten

Standen sie strickend – die Helden von Köln,

Sie ließen die Eisen nicht rosten.

Wird Kobes Kaiser, so ruft er gewiß

Die Funken wieder ins Leben.

Die tapfere Schar wird seinen Thron

Als Kaisergarde umgeben.

Wohl möcht ihn gelüsten, an ihrer Spitz’

In Frankreich einzudringen,

Elsaß, Burgund und Lothringerland

An Deutschland zurückzubringen.

Doch fürchtet nichts, er bleibt zu Haus;

Hier fesselt ihn friedliche Sendung,

Die Ausführung einer hohen Idee,

Des Kölner Doms Vollendung.

Ist aber der Dom zu Ende gebaut,

Dann wird sich der Kobes erbosen

Und mit dem Schwerte in der Hand

Zur Rechenschaft ziehn die Franzosen.

Er nimmt ihnen Elsaß und Lothringen ab,

Das sie dem Reiche entwendet,

Er zieht auch siegreich nach Burgund –

Sobald der Dom vollendet.

Ihr Deutsche! bleibt ihr bei eurem Sinn,

Wollt ihr durchaus einen Kaiser,

So sei es ein Karnevalskaiser von Köln,

Und Kobes der Erste heißt er!

Die Gecken des Kölner Faschingvereins,

Mit klingelnden Schellenkappen,

Die sollen seine Minister sein;

Er trage den Strickstrumpf im Wappen.

Der Drickes sei Kanzler, und nenne sich

Graf Drickes von Drickeshausen;

Die Staatsmätresse Marizzebill,

Die soll den Kaiser lausen.

In seiner guten, heil’gen Stadt Köln

Wird Kobes residieren –

Und hören die Kölner die frohe Mär,

Sie werden illuminieren.

Die Glocken, die eisernen Hunde der Luft,

Erheben ein Freudengebelle,

Und die Heil’gen Drei Kön’ge aus Morgenland

Erwachen in ihrer Kapelle.

Sie treten hervor mit dem Klappergebein,

Sie tänzeln vor Wonne und springen.

Halleluja und Kyrie

Eleison hör ich sie singen.« – –

So sprach das weiße Nachtgespenst,

Und lachte aus voller Kehle;

Das Echo scholl so schauerlich

Durch alle die hallenden Säle.

23
Epilog

Unser Grab erwärmt der Ruhm.

Torenworte! Narrentum!

Eine beßre Wärme gibt

Eine Kuhmagd, die verliebt

Uns mit dicken Lippen küßt

Und beträchtlich riecht nach Mist.

Gleichfalls eine beßre Wärme

Wärmt dem Menschen die Gedärme,

Wenn er Glühwein trinkt und Punsch

Oder Grog nach Herzenswunsch

In den niedrigsten Spelunken,

Unter Dieben und Halunken,

Die dem Galgen sind entlaufen,

Aber leben, atmen, schnaufen,

Und beneidenswerter sind

Als der Thetis großes Kind –

Der Pelide sprach mit Recht:

»Leben wie der ärmste Knecht

In der Oberwelt ist besser,

Als am stygischen Gewässer

Schattenführer sein, ein Heros,

Den besungen selbst Homeros.«

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