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Scharf auf einen Dreier

Wir schleppten uns in einer Reihe aus dem Wald, ein kleines Grüppchen blutverschmierter Menschen und ich. Angelina hatte ich huckepack genommen. Ihre Fersen schlugen gegen meine Hüften. Den schlafenden Little Evan trug Derek auf dem Arm. Einer der Soldaten, dessen Namen ich nicht kannte, hatte sich Bliss quer über die Schultern gelegt. Die anderen trugen Hicklin.

Mit unbewegten Gesichtern hatten die Soldaten die rasenden Teenager und die anderen Beteiligten enthauptet. Angelina schmollte, weil ich sie dabei nicht hatte zusehen lassen. Die Köpfe lagen nun auf einem Haufen in der Mitte des Pentagramms, damit Derek und sein Team die Prämien dafür kassieren konnten alle, bis auf die des Glatzkopfes, Bettinas und Adriannas. Den Glatzkopf würde ich mitnehmen, um zu beweisen, dass ich meinen Auftrag zur Zufriedenheit erledigt hatte und mein Honorar einstreichen konnte. Bettina hatten wir dort gelassen und die Fesseln nicht abgenommen, sie war zu ausgehungert und musste erst Blut bekommen, vorzugsweise von einem ihrer eigenen Diener, bevor sie freigelassen werden konnte. Und Adriannas Kopf saß zwar noch auf ihren Schultern, doch sie lag mit ihrem mit mehreren Pflöcken durchstochenen Herz auch noch dort, das Gesicht dem Mond zugewandt. Ich hoffte, dass Leo noch etwas über den geplanten Putsch aus ihr herausbekommen konnte. Wer wusste schon, was ein Meister der Stadt aus einem toten Hirn noch alles herausholen konnte?

Der blutrote Edelstein und der Splitter aus dem Blutkreuz waren sicher in meinen Taschen verwahrt. Doch es flößte mir ein mulmiges Gefühl ein, den Stein so nah bei mir zu wissen, der immer noch dunkelrot und warm war.

»Da ist Mama!«, schrie mir Angie ins Ohr, und ihr ganzer Körper zitterte.

Ich zuckte leicht zusammen, denn mein Trommelfell war noch empfindlich vom Todesgeheul der Vamps und dem Gewehrfeuer. »Ja. Und dein Daddy und Tante Evangelina.«

Molly und Evan kamen auf uns zugerannt. Molly schloss Angelina, Evan seinen Sohn in die Arme. Sie ließen sich sofort im Schutz der Dunkelheit auf den Boden nieder, und ich konnte sehen, wie sie ihre magischen Energien zu einem Schutz- und Heilzauber für die Kinder mischten. Evangelina übernahm es, den Soldaten zu sagen, wo sie ihre Last ablegen sollten. Nachdem Bliss auf den Rücksitz eines Mietwagens verfrachtet worden war, gab Evangelina jedem der Männer ein Heilamulett, widmete sich dann aber mit harter, entschlossener Miene ganz der Hexe. Die Energien, die sie in das ausgelaugte Mädchen pumpte, waren in der Nachtluft deutlich zu sehen.

Ich stand da, mit leeren Armen, und wusste nicht, was ich als Nächstes tun sollte, offenbar brannten die Reliquien nicht nur Löcher in meine Kleidung sondern auch in mein Hirn.

Ein schwerer schwarzer Hummer kam auf uns zugerollt, gefolgt von zwei Zivilfahrzeugen der Polizei. Es war Leo, und er hatte Jodi und ihre Leute mitgebracht. Keine Ahnung, wer oder was ihn alarmiert hatte. Vielleicht Derek, vielleicht die ungeheure Menge an Energie, die wir freigesetzt hatten, oder der Tod so vieler Vamps gleichzeitig. Was auch immer es gewesen war, meine Schultern zogen sich zusammen. Wie immer fühlte ich mich einer Auseinandersetzung mit Leo nicht gewachsen. Und war mir nicht sicher, ob ich es je würde sein können.

Als das gepanzerte Fahrzeug und seine Nachhut abbremsten, um anzuhalten, nahmen die Soldaten nebeneinander Aufstellung und warteten. Mit schlangenartiger Anmut stieg Leo vom Beifahrersitz des hochgelegten Wagens. Der Wind fuhr unter die Jacke seines Businessanzugs und klappte sie auf, sodass das Seidenfutter im Mondlicht glänzte. Seine Augen waren die eines Menschen und so klar, wie ich sie schon lange nicht mehr gesehen hatte. Ein Windstoß blies ihm das schwarze Haar aus dem Gesicht.

Bruiser kam von der Fahrerseite und fand mich sofort in der Dunkelheit. Sein finsterer, aufmerksamer Blick musterte mich von oben bis unten und blieb schließlich an meinem Gesicht hängen, an meiner rechten Wange, wo der Edelstein mich berührt hatte. Irgendwie wusste ich, dass ich dort eine Narbe behalten würde, die selbst durch einen Wandel nicht verschwinden würde. Der Schmerz, den ich an der Stelle spürte, war ein kalter Schmerz, wie eine Erfrierung, durch die das Blut pocht. Bruiser trug eine Stoffhose und ein Hemd, dessen Ärmel aufgerollt waren, und seine Unterarme zeigten eine Pistole unter dem Arm. Als der Wind ihm in die Kleider blies, sah ich, dass er eine zweite um den Knöchel geschnallt hatte. In zwei Futteralen um seine Oberschenkel steckten Vampkiller. Er war gekommen, um zu kämpfen. Ein wenig spät.

Leo blieb bei Derek und seinen Leute stehen. Sie kamen in einem kleinen Kreis zusammen und begannen, sich leise zu unterhalten. Ich machte mir nicht die Mühe, zuzuhören. Den Blick weiter fest auf mich gerichtet, trat Bruiser zu mir, kam meinem persönlichen Bereich ein bisschen zu nah, so kurz nach einem Kampf. Das Schweigen zwischen uns war spürbar und fühlbar, so als würde etwas gesagt, das ich nicht hören konnte. Er hob die Hand, und seine Finger strichen sanft über meine rechte Wange und meinen Kiefer entlang, die Umrisse einer Wunde nachzeichnend, die viel größer war, als ich angenommen hatte.

Hinter ihm sah ich Jodi, Rick und Sloan aus dem Zivilfahrzeug auftauchen, doch ich achtete nicht darauf, wohin sie gingen, weil Bruiser meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Er roch nach getrockneten Kräutern, gemahlenem Pfeffer, Papyrus, Leo und Vampblut. Und leicht nach würzigem Aftershave. Seine Finger fühlten sich warm auf meiner kalten Haut an. Mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können. Bruiser sagte es an meiner Stelle. »Ich wäre gern hier gewesen.«

Ich verstand. Wäre gern. Konnte nicht. Er gehörte Leo. Ich brachte ein schiefes Lächeln zustande und versuchte einen Anflug von Enttäuschung abzutun. »Du musstest das tun, was Leo wollte. Anweisungen befolgen.«

»Ja.« Seine warme, trockene Hand umfasste mein Gesicht.

Am liebsten hätte ich meine verletzte Wange in seine Hand gelegt und geweint. Mein Fell an ihm gerieben, um ihn mit meinem Duft zu markieren. Doch ich würde weder das eine noch das andere tun. Ich schloss die Augen, als Sehnsucht mich erfasste, plötzlich und heftig und fordernd. Es war Vollmond. Daran lag es. Nur daran. »Du musstest Leos Anweisungen befolgen«, wiederholte ich, doch ich konnte nicht verhindern, dass Einsamkeit in meinen Worten mitschwang.

»Noch, Jane. Aber nicht für immer.«

Mein Herz tat einen Satz, und ich hob den Kopf. Beast, die nah an der Oberfläche war, spähte durch meine Augen. »Du bist sein Blutdiener. Das ist eine Verbindung für immer.«

»Nicht zwingend. Es gibt Optionen. An die Bedingungen geknüpft sind. Wenn du interessiert bist.«

Jetzt war mein Lächeln echt. Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, aber Beast genoss seine Nähe.

»Jane?« Ricks Stimme. An meiner Schulter. Ganz nah.

Ich trat zurück und entdeckte den Cop in der Dunkelheit. Er war bewaffnet und trug eine dunkelblaue Windjacke, auf der in dicken weißen Buchstaben POLICE stand. Da ich sowohl Leo als auch der Polizei einen offiziellen Bericht schuldete, konnte ich es genauso gut jetzt hinter mich bringen.

»Mir ist nichts passiert.« Um mich zu beruhigen, atmete ich einmal tief durch. »Aber ein Mensch ist tot, seinen Verletzungen durch Vamps und Hexen erlegen. Hicklin. Seinen vollen Namen kenne ich nicht.« Auf einmal fand ich es ganz furchtbar, dass ich den Vornamen des Mannes nicht wusste, der heute Nacht gestorben war, und ich spürte einen Kloß im Hals. Ich schluckte. »Wir haben ein Ritual unterbrochen, mit dem der Wahnsinn junger Rogues geheilt werden sollte. Der Lang-Angeketteten. Aber dabei sollten auch zwei Hexenkinder geopfert werden, und das konnte ich nicht zulassen. Außerdem war es Teil eines Plans, Leo zu töten und die Herrschaft über die Stadt zu übernehmen.«

Bruiser zuckte zusammen, so leicht, dass es mir entgangen wäre, wenn ich nicht darauf geachtet hätte. Ein Schutzinstinkt, den die regelmäßigen Schlucke Vampblut auslösten. Oder Liebe vielleicht. Wer wusste das schon?

»Bettina, Blutmeisterin des Rousseau-Clans, befindet sich noch an der Ritualstätte, gefesselt und ausgehungert, neben ihr ein Anam Chara mit Pflock durchs Herz, eine Frau, die an dem Putschversuch zweier Clans gegen Leo, um wieder zur Naturaleza zurückzukehren, beteiligt war. Vielleicht kann Leo noch etwas mit ihren Erinnerungen anfangen. Ihr Kopf ist nämlich noch dran. Einen vollständigen Bericht liefere ich euch später. Im Moment haben wir sieben tote Vamps, die alle auf irgendeine Weise an der Erschaffung von jungen Rogues beteiligt waren und damit unter meinen Vertrag mit dem Rat fallen. Zwei Hexenkinder und eine erwachsene Hexe konnten gerettet werden. Wenn wir die Hexe am Leben erhalten können.«

»Wo ist sie?«, fragte Bruiser. Ich zeigte auf den Leihwagen. Mit schnellen Schritten war er bei Leo und zog den Vamp mit sich zu Evangelina und Bliss.

Dann war ich allein mit Rick. Dem hübschen Jungen. Dem Charmeur. Dem Typ, wie ich ihn zuerst genannt hatte, der undercover gearbeitet hatte und jetzt wieder bei den Cops war. Ich sah ihn an. Er bewegte sich weder so geschmeidig und mühelos wie George Dumas, noch hatte er dessen Charisma. Aber er roch nach Mensch, nach billigem Aftershave, Leos teurem Kaffee und Gebäck, Waffenöl und Munition und leicht nach Pferden. Ich lächelte. Er lächelte vorsichtig zurück. »Seid ihr zusammen? Du und Dumas?«

»Ich glaube nicht. Er gehört Leo. Und ich teile nicht gern, vor allem nicht mit einem Vamp.«

»Ich habe Pferde, vier Hunde, eine Katze oder drei in meiner Scheune, meine Eltern wohnen in der Nähe, und ich habe viel zu viele Schwestern, die mir das Leben zur Hölle machen. Keine Frau, keine Freundin, keinen Vampmaster.«

Ich spürte, wie erst mein Bauch warm wurde und sich die Wärme dann weiter ausbreitete. »Ist das ein Angebot?« Ich hakte die Daumen in die Taschen meiner Lederhose und verlagerte mein Gewicht auf eine Hüfte. »Und wofür?«

»Für « Er hielt inne, seine Mundwinkel hoben sich und entblößten den schiefen Zahn im Unterkiefer. »Für alles, wonach dir ist. Wir könnten mit wildem Sex anfangen und sehen, was sich dann so ergibt.«

Hitze schoss durch meinen Körper, heftig und stark, als würde man den Motor eines Bikes hochjagen und mit den Asphalt radierenden Reifen durchstarten. »Ich brauche eine Dusche. Und ich habe das ganze Haus voller Gäste.«

Ricks Lächeln wurde tiefer. »Ich habe eine Dusche. Und einen Whirlpool mit Blick auf die Sterne. Ich wohne nämlich in einem Trailer. Das ist vielleicht nicht dein Niveau.«

»Lass dich nicht von dem schicken Haus täuschen. Das gehört Katie. Zu Hause wohne ich in einer kleinen möblierten Einzimmerwohnung bei Old Lady Pierson. Ich habe eine Dusche, aber keinen Whirlpool, und falls ich einen hätte, würde Old Lady Pierson sich sicher zu uns gesellen wollen.«

»Scharf auf einen Dreier?«

»Nur neugierig.«

»Dann also zu mir. Ich bringe dich zu deiner Maschine. Kannst du dann hinter mir herfahren?«

»Klar.«

Er berührte mich nicht. Drehte sich einfach um und ging voran, Jodi zuwinkend, als er an ihr vorbeiging. Ich folgte ihm und setzte mich auf den Beifahrersitz des Zivilfahrzeugs. Er kletterte auf den Fahrersitz und ließ den Motor an. Und fuhr langsam an den Wagen vorbei, die am Straßenrand parkten.

Auf dem Bürgersteig stand Bruiser und starrte uns nach. Er fing meinen Blick auf. Hielt ihn fest. In seinen Augen lag keine Frage, kein Vorwurf. Nur traurige Geduld und stille Kraft. Aber ich hatte meine Wahl getroffen. Ich wollte keinen Blutdiener, gleichgültig wie stark und sinnlich er war Nein. Keinen Blutdiener. Ich wollte einen Menschen. Ich wollte diesen Menschen. Und vor allem wollte ich nicht teilen. Das alles hatte er wohl in meinen Augen gelesen, denn im Rückspiegel sah ich, wie sein Blick uns folgte, als wir davonfuhren, und er den Mundwinkel hochzog.

Als die Nacht vorbei war, war ich müde und glücklich und zufrieden und machte mich in Ricks Bett breit. Sobald würde ich nicht nach Hause gehen. Die Familie Trueblood sollte ruhig noch ein wenig allein Wiedersehen feiern. Laut Bruiser, der mich kurz nach Sonnenaufgang auf dem Handy angerufen hatte, hatte Leo, nachdem er tatsächlich von Adrianna noch einiges hatte erfahren können, kein Blutbad unter den Vamps angerichtet, doch weit davon entfernt war er wohl nicht gewesen. Und der Rat zumindest die Mitglieder, die nach Leos Rachefeldzug noch übrig waren war in ziemlichem Aufruhr. Nicht, dass mich das gekümmert hätte. Der Blutmeister der Stadt war fest entschlossen, andere Saiten aufzuziehen, und sie mussten wohl oder übel mitmachen. Das bedeutete auch, dass der Kalte Krieg zwischen Vamps und Hexen der Vergangenheit angehörte und neue Bedingungen verhandelt wurden. Es blieb ihnen ja keine Wahl. Kinder zu töten selbst wenn es sich um Hexenkinder handelte , wurde laut Vampira Carta mit dem Tode bestraft. Leo würde das Gesetz respektieren und eine neue Säuberung durchführen. Und dieses Mal würde es keine Begnadigungen geben.

Mit Kopf und Schultern über dem Bettrand hängend, die Beine mit Ricks verschränkt, während seine Finger träge Kreise auf meinen Schenkel malten, lauschte ich Bruisers wortreicher Rede.

»Dir droht vermutlich noch eine Zeit lang Gefahr. Die Abtrünnigen, die Leo bisher nicht hat finden können, haben dir Blutrache geschworen.« Er klang besorgt. »Sei bitte vorsichtig.«

Ich lachte säuerlich. »Ich habe den Auftrag erledigt, für den der Rat mich engagiert hat, nebenbei noch einen Vampkrieg verhindert und die Hexen dazu gebracht, dass sie sich noch einmal auf die uralten Vertragsverhandlungen der Vamps einlassen. Alles in einer Nacht. Ich finde, das ist nicht schlecht. Sag ihnen, dass ich mein Honorar umgehend erwarte. Und ohne Abzug.« Ich nahm mir ein Beispiel an den Ortsansässigen und legte einfach auf.

»War das dein anderer Freund?«, fragte Rick.

Ein Schreck durchfuhr mich. Ich rollte mich wieder auf das Bett zurück und auf ihn und strich mir das Haar aus dem Gesicht. »Anderer Freund?«

»Wenn du mich so nennen willst.«

»Ich denke drüber nach. Aber wenn ich einen Freund hätte, dann nur einen.«

»Hmmm«, machte Rick nachdenklich, und es klang wie ein lautes, tiefes Schnurren. »Ich frage mich, ob er das wohl weiß.«