14

Man sollte sie alle pfählen

Mein Herz geriet schmerzhaft ins Stottern, als Beast Kraft in meinen Blutkreislauf schickte. Sie sprang in meine Augen, und sofort wurde das tiefblaue Halbdunkel des Himmels heller, als wäre in meinen Kopf ein Blitz gefahren. Dumpfes Grollen kam aus meiner Kehle. Ich wirbelte herum und rannte nach Hause.

Schnell wie Beast durchquerte ich den Garten und sprang hoch, packte den Mauerrand mit einer Hand und zog mich hoch und herum. Die Flip-Flops hatte ich in der Eile verloren. Beim Sprung über die Mauer entdeckte ich eine Leiter, die an der Backsteinwand lehnte. Sie hatte eben noch nicht da gestanden. Ich knurrte.

Und witterte Vamp. Und Hexen. Die Spuren überlagerten sich in einer Spirale und zogen sich von Katie’s Ladies bis hierher. Sofort verstand ich, wie sie uns in die Falle gelockt hatten. Erst hatten sie sich Bliss geholt, dann auf dem Weg neben dem Haus gewartet, verborgen unter dem Zauber, der mich davon abhielt, das ganze Grundstück abzusuchen, und als ich dann im Haus war, waren sie einfach über die Mauer geklettert. Und hatten angegriffen.

Auf der anderen Seite der Mauer nahm ich sofort eine Verteidigungshaltung an. Keine Sirene heulte, weil irgendetwas versucht hatte, die Banne zu durchbrechen. Hatte Molly die Schutzbanne um das Haus gar nicht aktiviert? Hatte sie es vergessen, nachdem ich das Haus verlassen hatte ohne mich zu vergewissern, dass sie in Sicherheit war?

Der volle, frische Geruch von Blut traf mich. Mollys Blut. Ich/wir schrien.

Ich rannte über die Veranda. Magie prickelte heiß auf meiner Haut. Die Banne sind immer noch aktiv. Aber sie rochen verbrannt, zerfetzt. Jemand hatte bei der Küchentür ein Loch in sie geschossen. Die flatternden Ränder rochen nach versengter Erde und Ozon.

Drinnen war der Blutgeruch stärker. Blutige Fußabdrücke zogen sich über den Fußboden. Schnell wie Beast folgte ich ihnen. Am Fuß der Treppe lag Molly in einer sich ausbreitenden Blutlache. Aus vielen Wunden blutend. Ihre Augen riesig vor Entsetzen. Ihre Lippen bewegten sich. »Meine Kinder. Er hat meine Kinder mitgenommen.«

Ich weiß nicht mehr genau, was ich als Nächstes tat. Ich weiß, ich wählte den Notruf. Ich sehe noch meine Hände, wie sie saubere Handtücher aus der gefalteten Wäsche ziehen. Wie ich versuche, sie mit Streifen aus zerrissenen Laken um ihre Brust zu binden. Ich erinnere mich, wie Beast in mir vibrierte und dass ich mit allen Kräften versuchte, mich zu wandeln. Ich erinnere mich, dass Tränen von meiner Nase und meinen Wangen tropften. Dass ich die Telefonistin der Notrufzentrale angeschrien habe, Molly sei schwer verletzt und die Kinder seien entführt worden.

Ich weiß noch, dass die Sanitäter den Bann an der Haustür auslösten. Und dass ich sie an die Seitentür schickte, während der Bann weiterheulte. Und ich erinnere mich genau, wie ich Mollys von Blut glitschige Hand gehalten habe, als sie sich gegen die Sanitäter wehrte, die sie versorgen wollten. Und an die Angst in ihrem Blick, als sie in meine Augen sah.

Ich erinnere mich, dass ich wusste, dass Mol sterben würde. Ich wusste es. Roch es. Wie ich vor Trauer und Angst schrie. Bei Leo anrief. Um Hilfe bat. Bettelte. Aber Leo war nicht zu Hause. Ich erinnere mich, dass Bruiser versprach, Bethany ins Krankenhaus zu bringen. An den zögernden Ton in seiner Stimme; er wusste, er durfte mir eigentlich nicht helfen.

Ich erinnere mich, dass ich die Fotos nahm, die ich gerade von Molly und den Kindern gemacht hatte. Um sie den Cops zu geben. Damit sie den AMBER-Alarm auslösen konnten. Dass ich zusammen mit den Polizeibeamten auf die Straße rannte, um die Spur der Hexen und Vamps zu verfolgen, die in mein Heim eingebrochen waren. Die die Kinder entführt hatten. Die Spur endete in einer schwindenden Dieselwolke und einem Bombenzauber, der mich zu Boden warf. Ich weiß noch, wie es mich auf die Straße setzte und dass meine Handflächen von dem Sturz bluteten. Dass ich hinten auf den Rettungswagen aufsprang.

Aber in meinem Kopf war alles durcheinandergeraten, es war, als würden sich Dutzende von Ton-Ausschnitten überlagern, als wäre man in einem fremden Land, mit einer Sprache, die keinen Sinn ergibt, in einer Umgebung, die einem fremd ist. Ich konnte Molly, meine einzige Freundin, nicht retten. Ich wusste nicht, wo ihre Kinder waren. Bliss war verschwunden. Ich weinte und war nutzlos. Nutzlos. Während Beast schrie und an meinem Geist kratzte, versuchte, mich zum Wandeln zu zwingen.

Das Tulane University Hospital war das einzige Krankenhaus in New Orleans mit Fachleuten für Paranormales, Ärzte, die wussten, wie man übernatürliche Wesen behandelte. Molly wurde auf eine Bahre gehoben und in die Notaufnahme gefahren. Damit ich mit hineindurfte, gab ich mich als ihre Schwester aus, dann aber musste ich sie allein lassen, um Papiere zu unterschreiben und die Fragen der Cops zu beantworten, zwei Uniformierte und einer in Zivilkleidung, auf dessen Namensschild A. Ferguson stand.

Fergusons Fragen waren Fragen der Sorte, die Cops Verdächtigen stellen. Ich verstand das Misstrauen der Beamten, schließlich war ich über und über mit Blut bedeckt, doch wir durften keine Zeit verlieren. Und mit Beast so nah an der Oberfläche würde ich nicht die richtigen Worte finden.

Ich rief Big Evan in Brasilien an und hinterließ ihm eine Nachricht auf der Mailbox. Anschließend Mollys große Schwester in Asheville. Ich schaffte es, Rick anzurufen. Und Jodi Richoux. Und den Troll.

Ich riss mich so weit zusammen, dass ich den Cops zwischen den einzelnen Anrufen Bericht erstatten konnte, dann gab ich das Telefon an Rick weiter, um die Fragen des Arztes zu beantworten und mit der Chirurgin zu sprechen, die auch eine Erdhexe war. Während ich mit Antworten, Fragen und Informationen jonglierte, kämpfte ich darum, nicht die Beherrschung zu verlieren. Bis Bruiser und Bethany in die Notaufnahme spaziert kamen.

Mit einem Schlag hörte alles auf. Das ständige fürchterliche Getöse, das an diesem Ort herrschte. Die unaufhörliche Bewegung. Die allgegenwärtige Hektik. Es hörte auf. Alle blieben auf der Stelle stehen, drehten sich, um besser sehen zu können und starrten. Auf einmal konnte ich Luft holen. Ein Gefühl von eisiger Erwartung durchströmte mich Bethanys schamanische Essenz, die Kraft, die mich geheilt hat. Die Härchen auf meiner Haut stellten sich auf, als ich die Macht spürte, die die Vampirin umgab, eine Macht, die nach Erde und Ozon roch, wie ein Blitzgewitter im Dschungel. Leise setzte Beast sich auf die Hinterbeine.

Bruiser war im Eingang stehen geblieben, die Glastür zur Rampe hinter ihm stand offen, Bethanys Hand lag in seiner Armbeuge. Er trug Jeans und ein Hemd mit offenem Kragen, Bethany ein langes, dunkelrotes traditionelles Stammesgewand, um den Kopf einen orangefarbenen Turban und über einer Schulter einen orangefarbenen Schal. An ihren Ohren baumelten goldene Ringe, und um den Hals lag eine schwere Goldkette. Ihre Füße waren nackt. Und ihre Fangzähne waren voll ausgefahren.

Der junge Polizist neben mir zog seine Waffe, aber bevor er zu einem Schuss ansetzen konnte, hob sein Partner beruhigend die Hand und sah mich an. Er war ein Mensch, knapp einsachtzig groß, Ende vierzig und nach den Streifen an seiner Jacke zu urteilen, Sergeant. Sein Partner sah jung aus, war noch feucht hinter den Ohren. Und der Typ in Zivilkleidung, Ferguson, war Mitte fünfzig. Erfahren. Schlau. Er blickte von Bethany zu mir und zählte eins und eins zusammen. Seine Augen verdunkelten sich.

»Das Opfer. Sie ist eine Hexe, nicht wahr?«, sagte der Detective. Ich nickte, und Fergusons Mund verzog sich zu einem leicht höhnischen Grinsen. Der Geruch von Angst und Hass drang ihm aus allen Poren. Er war Hexenhasser, wollte es aber nicht zugeben. Oder vielleicht doch. Seine Stimme wurde leiser. »Und Sie fanden nicht, es wäre wichtig genug, uns darüber in Kenntnis zu setzen? Dass wir hier unsere Zeit mit unwichtigem Hexenscheiß verschwenden?«

»Kinder sind nicht unwichtig«, grollte ich. Er machte einen Schritt zurück. Der jüngere Cop kämpfte mit seinem Partner, weil er nach seiner Waffe greifen wollte. Sein Blick schoss von Bethany in der Tür zu der ihm näheren Bedrohung, mir. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, um nicht wie mit Krallen nach ihnen zu schlagen. »Wollen Sie mir sagen, Sie hätten keinen AMBER-Alarm ausgelöst, wenn Sie gewusst hätten, dass die Mutter der beiden entführten Kinder eine Hexe ist? Dass Sie das Risiko eingegangen wären, zu warten?«

»Hexenkinder«, zischte Ferguson, »um die sollten sich normale Menschen nicht kümmern müssen. Und die da «, er deutete mit dem Kinn auf Bethany, die immer noch in der offenen Tür stand, »man sollte sie alle pfählen.«

Im Bruchteil einer Sekunde hatte Bethany den Raum durchquert und den Detective in die Arme geschlossen. Es sah aus wie die Umarmung einer Liebenden, sinnlich, besitzergreifend, eine Hand auf seinem Rücken, die andere hielt seinen Kopf. Ihre Fangzähne lagen an seinem Hals. Er wehrte sich nur einen Herzschlag lang und erschlaffte dann. Schweiß kühlte meine Haut, und ich schauderte in der kalten, trockenen Krankenhausluft. Noch nie hatte ich gesehen, wie ein Vamp einen Menschen gewaltsam nahm. Durch Hypnose, ja, aber dazu war Augenkontakt nötig. Und Zeit, um den Menschen unter Kontrolle zu bringen. Das hier war schnell gegangen. Es war unheimlich. Und illegal. Und tödlich.

Bethanys Zunge kam zwischen den spitzen Eckzähnen hervor, und sie leckte über Fergusons Hals. Dann atmete sie seine Witterung ein und schloss die Augen, als sei sie in sexueller Ekstase. Der Detective in ihren Armen stöhnte, er war erregt, total high. Glücklich seufzend schob er einen Arm um die Frau, die ihn so unerbittlich umfangen hielt, und schmiegte sich an sie.

Als könne sie ihn nicht hören, zischte der junge Cop: »Wir müssen sie aufhalten, Sarge. Sie bringt ihn um.«

Schnell sah ich hinüber zu dem älteren Cop. »Wahrscheinlich nicht. Aber wenn Sie ihren Partner nicht unter Kontrolle haben, kommt er hier nicht lebend raus.« Ich hörte ein kurzes Gerangel, während ich mich wieder Bethany zuwandte.

Sie schnüffelte an dem Detective wie Beast an einer frisch erlegten Beute, mit kurzen schnaubenden, dann wieder langen Zügen, und stöhnte leise, ein Laut, bei dem sich mir die Nackenhaare aufstellten. George bewegte sich auf sie zu, aber so, dass sie ihn schon von Weitem kommen sehen konnte. »Bethy, Liebes. Er ist keine Gefahr für dich. Er ist keine Nahrung.«

»Er würde zulassen, dass Kinder gestohlen werden«, sagte sie. Ihr Atem strich über den Hals ihrer Beute. »Er würde sie sterben lassen, so wie meine Babys gestorben sind.« Sie hob den Kopf, um Ferguson in die Augen zu sehen. »Sprich die Wahrheit, menschliche Kreatur. Du hast nicht nach vermissten Kindern gesucht, ja? Du würdest diese Kinder sterben lassen?«

Er seufzte und lächelte, berauscht von Vampirmacht. »Hexenkinder. Keine Menschen.«

Bethany sagte: »Manche würden mich eine Hexe nennen und sagen, ich sei verflucht. Du würdest meine Kinder sterben lassen?«

»Würd sie sterben lassen. Sind nicht normal.« Er kicherte leise. »Dich pfählen. Dich ausweiden. Dir den Kopf abschlagen.«

Bethany lächelte, blickte auf den Polizisten in ihren Armen, prüfte mit den Augen seinen Willen. Sein ganzer Körper erschauerte, als würde sie ihn schütteln. »Du wirst nicht länger die Verfluchten pfählen. Du wirst uns lieben. Uns begehren. Und wirst helfen, alle Kinder zu finden. Sprich zu uns, Mensch.«

Seine Lider flatterten. »Weeee werde helfen « Er leckte sich über die Lippen. »Immer.« Er hob die Hände und streichelte ihr Gesicht. »Bitte? Jetzt ? Bitte.«

»Gut.« Bethany tätschelte seine Wange. »So ist es gut.« Sie biss zu. Ihre Fangzähne schnitten so schnell in seine Halsschlagader, dass ich nicht sah, wie sie eindrangen. Ihre Lippen bildeten ein Siegel, als ihr Mund sich festsaugte. Ein einzelner Blutstropfen bildete sich an ihrem Mundwinkel. Fünf Sekunden später ließ sie ihn los, Ferguson glitt zu Boden, und seine Halswunden schlossen sich, bis nur noch ein verschmierter Blutfleck verriet, wo er gebissen worden war. »Der Mensch wird leben. Er wird nicht zulassen, dass noch mehr Kinder sterben.«

»Scheiße. Scheißescheißescheißescheiße«, sagte der jüngere Cop. »Sarge

»Halt den Mund, Micky. Halt den Mund und geh zurück zur Einheit. Unternimm nichts. Setz dich dort einfach ruhig an deinen Schreibtisch.«

Bethany sah mich an und legte den Kopf auf die Seite. »Man hat mich hierher gebracht, um einer Hexe zu helfen. Ich rieche sie. Sie stirbt.«

Der ältere Uniformierte öffnete eine Tür, Bethany schwebte hindurch und schloss die Tür wieder hinter sich. Der Sergeant schürzte die Lippen, unsicher, was er als Nächstes tun sollte. Er tippte den Detective auf dem Boden mit der Schuhspitze an. Ferguson rührte sich nicht. Der Cop grinste böse, als fände er, dass Ferguson bekommen hatte, was er verdiente.

Ich berührte ihn am Arm. »Danke. Und es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht gesagt habe, dass sie eine Hexe ist, aber wenn ich es getan hätte, hätten ein paar Cops möglicherweise auf die Bremse getreten und den Bericht für einige entscheidende, kritische Sekunden zurückgehalten. Deswegen habe ich es für mich behalten.«

»Wir sind nicht alle Arschlöcher«, sagte er. »Ich ärgere mich nur, dass ich jetzt den Bericht über den Vorfall schreiben muss.« Sein Funkgerät knackte. Er hörte sich ein paar Codeworte und Zahlen an und klappte sein Handy auf. »Tschuldigung.« Er entfernte sich. Ein Rettungssanitäter und eine Schwester waren mit einer Klappbahre erschienen und hoben Ferguson nun an, um ihn dann ohne besondere Fürsorge oder Vorsicht daraufzuhieven. Dann rollten sie ihn auf die Seite und ließen ihn stehen. Der Sani schnippte im Weggehen gegen die Nase des Cops. Offenbar teilten nicht alle seine Ansichten und Vorurteile.

»Du bist barfuß. Von Bethany bin ich das gewöhnt, aber nicht von dir.«

Bruiser stand mit hängenden Armen in einer Ecke und starrte auf meine schmutzigen, blutverkrusteten Füße.

»Ich habe meine Flip-Flops verloren.« Ich legte die Hand an die Tür, hinter der Molly und Bethany verschwunden waren. »So schlimm hat es neulich nicht um sie gestanden. Bethany. Wird sie Molly etwas antun?«

»Bethany hat gute und schlechte Tage. Heute ist ein schlechter. Aber sie ist vor allem eine Heilerin. Deine Freundin wird wieder gesund werden.«

»Leo « Ich verstummte. Ich wusste nicht, wie ich es sagen sollte.

»Leo weiß nicht, dass wir hier sind. Er ist an Immanuels Grab. Aber ich schätze, er wird nicht erfreut sein, wenn ich es ihm sage, und dir einen Besuch abstatten.« Mehr sagte er nicht, sah mich nur an. Unter seinem festen Blick wurde mir bewusst, wie wenig angemessen ich bekleidet war. Shorts und T-Shirt. Kein BH, keine Schuhe. Blutverschmiert. Er selbst wirkte auch etwas mitgenommen, trotz der schicken Freizeitkleidung und des selbstbewussten Auftretens, das ihm zur zweiten Natur geworden war. Er war blass, hatte Ringe unter den Augen, Falten zogen sich durch sein Gesicht er sah schlechter aus als das letzte Mal, als ich ihn gesehen hatte. Vermutlich immer noch die Folgen von zu viel Blutverlust.

»Das ist nicht Immanuels Grab.«

Er zog die Brauen hoch. »Und? Halt ein paar Kreuze parat.«

Ich nickte und fühlte mich noch unwohler als zuvor. Na toll. Small Talk in einem Krankenhaus. Zwei Dinge, die ich hasste, auf einmal. Einen Moment später kam Bethany aus dem Zimmer und ging direkt zu Bruiser. Sie legte die Arme um ihn, und er zog sie an sich eine vertraute und zärtliche Bewegung, die Geste eines Geliebten. Etwas drehte sich in mir, ich spürte ein Unbehagen, über dessen Grund ich lieber nicht allzu lange nachdenken wollte.

»George. Mein wunderbarer Georgie.« Bethany fuhr ihm mit der Hand durchs Haar, und er lachte leise. »Bring mich jetzt nach Hause, ja?«

Er küsste ihre Finger, als sie sie an seine Lippen presste. »Hast du der kleinen Hexe geholfen, Bethy, Liebes?«

»Sie wird lebten leben«, korrigierte sie sich. »Sie wird leben. Ich habe ihr von meiner Essenz und meinem heiligen Blut gegeben. Bist du zufrieden mit mir?« Ihr Ton war ängstlich, wie der eines Kindes, das von einem Erwachsenen gelobt werden möchte.

Mein Unbehagen wuchs. Heiliges Blut. Herrje.

»Ja. Ich bin stolz auf dich.«

»Darf ich heute Abend wieder trinken? Ich bin hungrig.«

»Ich werde dafür sorgen, dass du dich satt trinken kannst. Du hast eine gute Tat vollbracht.«

»Ja«, sagte sie glücklich wie ein Kind. »Das habe ich.«

Bruiser sah mich an und nickte kurz. Ohne ein Wort des Abschieds führte er Bethany nach draußen. Ich blieb zurück und starrte mein Spiegelbild im Glas der Türen an, hinter denen schwarz die Nacht lag. Das wäre es also, was ich von ihm bekommen würde, falls ich dumm genug wäre, mich mit Bruiser einzulassen, ein wenig von seiner Zeit, doch nicht seine Loyalität. Die gehörte den Vamps. Gut zu wissen. Besser, ich vergaß es nicht. Trotzdem hinterließ dieses Wissen eine scheußliche Leere in mir.

Als ich nach Molly sah, schlief sie in einem abgedunkelten Zimmer unter einer warmen Decke. Ihre beiden Arme waren mit Tropfinfusionen verbunden. Eine Schwester, die gerade Daten auf einem Papierstreifen ausdruckte, hob den Blick, als ich eintrat. »Sie ist auf dem Wege der Besserung. Es muss ein gutes Gefühl sein, wenn sie kommen, wenn man sie braucht.«

Sie. Vamps. »Ja, das stimmt.« Ich nahm Mollys Hand. Trotz der warmen Decke fühlte sie sich kalt wie der Tod an. Ihr Gesicht war weißer als das Laken und voll mit getrocknetem Blut. Die Schwester nahm einen feuchten Lappen und wischte ihr das Gesicht ab. Der Lappen wurde scharlachrot. Auch das Laken war feucht von Blut, es war dünner, als sei es mit Wasser oder Infusionsflüssigkeit gemischt. Auf dem Boden lagen weitere Laken, die Schwestern hatten sie dort hingeworfen, um nicht in Mollys Blut auszurutschen. Beweise, dass der Kampf um ihr Leben heftig und verzweifelt gewesen war. Bis Bethany auf der Bildfläche erschienen war.

Ich verstand, warum manche Ärzte eine landesweite Vampirblutbank gefordert hatten, bis sich herausstellte, dass das, was Vamps zu Vamps machte, die Entnahme nicht überstand, sich sofort zersetzte. Gäbe es eine Möglichkeit, es haltbar zu machen und zu lagern, hätten auch hoffnungslose Fälle wie Molly eine Chance. Ich streichelte ihre Hand, ihre Haut war rau von getrocknetem Blut. »Wird sie lange schlafen?«

»Ich habe schon einmal erlebt, dass jemand von einem Vampir geheilt wurde. Der hat bis zum nächsten Morgen geschlafen. Und fast den ganzen nächsten Tag. Sie sollten nach Hause gehen, sich ein bisschen ausruhen. Lassen Sie ihre Nummer am Empfang, dann ruft man Sie an, wenn es etwas Neues gibt. Und jetzt haben sie bestimmt auch ein Zimmer für sie.«

Leise überließ ich Molly der Obhut der Schwester und befolgte ihren Rat und hinterließ meine Telefonnummer bei der Dame am Stationsempfang. Sie sah aus wie zwölf, frisch, sauber und fröhlich. Ihr pinkfarbener Kittel war mit kleinen Hasen bedruckt.

Dann ging ich nach Hause. Es gab nichts mehr für mich zu tun.

Ich stand auf der Stufe zur Veranda und nahm den Geruch, die Textur, den Geschmack des Hauses in mich auf. Blut. Magie. Angst. Cops, die jetzt fort waren. Das Loch in den Bannen, die um das Haus lagen, konnte ich sehen wie einen Riss in einem Hochzeitsschleier, denn die beschädigte Stelle flimmerte in dem silbergrauen Netz der Magie. Dort, wo das Loch war, bewegte sich träge das zerrissene Energienetz wie eine versengte Gardine im leisen Wind. Die Ränder des Loches schimmerten schwarz und rot, als wären sie immer noch heiß. Der Angriff roch nach Holzasche und qualmendem Abfall und fühlte sich an wie verfaultes Obst. Mollys Alarm war nicht losgegangen, die Magie hatte sich ohne einen Laut durch das Netz gebrannt. Was immer das Loch gerissen hatte, es war mächtig.

Ich ging ins Haus, auf nackten Füßen, die auf den Dielen kein Geräusch verursachten, und starrte auf die in der Dunkelheit schwarz aussehende Blutlache, in der meine Freundin gelegen hatte. Und brach in Tränen aus. Heiße, erstickte Tränen, die tief aus meiner Lunge hochdrängten und mir die Kehle zuschnürten. Mich am Treppengeländer festhaltend, ließ ich mich auf eine Stufe sinken. Heftiges, qualvolles Schluchzen schüttelte meinen Körper, als mich der Schmerz und die Schuld überkamen, so schneidend wie Beasts Krallen in meinem Geist.

Ich hatte meine einzige Freundin herkommen lassen, obwohl ich gegen Vampire kämpfte. Und selbst als ich wusste, dass Hexenkinder entführt wurden, hatte ich sie nicht fortgeschickt, in dem Glauben, dass ihre Banne und mein Beast sie zu schützen vermochten. Doch wie sehr ich mich geirrt hatte, hatte der Überfall auf mein Haus gezeigt.

Als ich schließlich aufhörte zu weinen, rappelte ich mich auf, ging nach draußen und zog mich nackt aus. Setzte mich auf die Steine. Ich musste die Kinder und Bliss finden. Ich erzwang den Wandel. Der Schmerz traf mich mit Wucht, brannte sich tief hinein, Strafe, Züchtigung, Geißelung. Weil ich nicht auf Angelina, Little Evan und Bliss aufgepasst hatte. Diesen drei galt mein letzter Gedanke, bevor das Grau mich holte.

Ich knurre, kaure auf zerbrochenem Fels. Schmerz schlägt Räuberklauen tief in meinen Pelz. Hungrige Zähne beißen und reißen. Jane war das. Als Strafe für etwas, das ein anderer getan hat. Dumm. Und menschlich. Strecke mich und spüre Schmerz, der sich durch mein Fleisch zieht wie die Krallen eines Feindes. Sie hat nichts zu fressen hingelegt. Grolle und fauche. Begnüge mich mit Wasser aus Brunnen. Es tröpfelt von der winzigen Steinvampirfrau oben drauf.

Jage, flüstert sie mir zu. Welpen.

Bauch zieht sich zusammen vor Hunger, wie in den Hungerzeiten. Ich knurre sie an, Jane an, aber dann denke ich an Angie. Evan. Bliss. Mag kleine Hexe. Muss Welpen beschützen. Ich springe vom Brunnen, bewege mich langsam, verbrannter Bann. Wittere. Rückenhaare stellen sich auf. Rieche viele Menschen mit Gewehren.

Cops, flüstert Jane. Notärzte. Sanitäter. Sind jetzt alle weg.

Haare legen sich wieder. Springe Stufen hoch, über Veranda, in Küche. Bleibe stehen. Rieche Hexen und Vampire böser Geruch, wie verfaultes Obst. Altes Blut, köstlich, Mollys Blut, da, wo sie sterbend gelegen hat. Ich grolle tief. Die Schamanenvampirin hat sie geheilt. Das weiß ich aus Janes Erinnerung. Musste nicht trauern.

Ich sauge Gerüche tief ein, durch offenes Maul, über Geruchsdrüsen. Es macht Schiiiiich, als die Luft über meine Zunge und die Duftsäckchen im Maul zieht. Suche mir die Bösen aus, um sie zu untersuchen, jeden Teil von ihnen kennenzulernen. Sie haben die jungen Rogues gemacht. Wusste es. Präge ihre Witterung in mein Gedächtnis, drei böse Vampirhexen. Zwei unbekannte Hexen und ein Mann, der beides ist, Vampir und Hexer.

Drei Vampirhexen?, denkt Jane. Bruiser sagt, Hexen werden selten gewandelt, weil sie länger im devoveo bleiben, manchmal sogar für immer. Ihre Gedanken wenden sich nach innen, denken über drei Feinde nach.

Beachte den Hunger nicht, gehe nach draußen, hüpfe hoch auf die Steine. Springe über Mauer. Lande auf der anderen Seite, mit leisen Pfoten. Beast ist gute Jägerin. Werde böse Vampire und Hexen finden. Und Bliss. Werde töten. Werde Welpen retten. Pflicht für Große Katze. Aufgabe von Mutter. Zu töten. Zu fressen. Sich an Feinden zu rächen.

Ich trotte auf die dunkle Straße. Keine Menschen draußen. Still. Viele Schatten, um sich zu verbergen. Ich rieche Angie. Laufe die Straße hinunter, lese Geschichten in Gerüchen. Vampire sind hier gelaufen, haben Bliss mitgezerrt. Die Welpen getragen. Die Hexen mit Magie bezwungen. Sie haben alle Angst gehabt. Ich grolle. Es riecht nach Blut, ganz in der Nähe. Viel Blut. Und nach verbranntem Papier, wie gewaltsame Magie.

Ich bleibe stehen. Wittere in engen Ort zwischen Häusern hinein. Drei Vampirhexen haben sich an zwei anderen Hexen genährt. Haben ihr Blut genommen und viel von ihrer Kraft. Starke Magie. Ich laufe auf die Straße, wittere an dem Asphalt. Duftspur von Welpen bricht ab. Wagen rollte weg. Nahm Welpen und böse Vampire mit.

Ich dachte, alle Vamps seien böse, flüsterte Jane tief in mir.

Diese sind schlimmer. Diese stinken nach Hexenblut und Hexenmagie, wie verwestes Fleisch und kleine Tiere.

Schicke Jane ein Bild von Maden, als ich an den Rand der Straße gehe, zu leerem Stück Land, wo Häuser verbrannt sind. Hexen sind hierhin gegangen. Aber ohne die Welpen. Ich rieche, wo Hexen gegangen sind, blutend. Auf der nächsten Straße haben sie Magie gemacht. Wagen ist gekommen. Sie sind weggefahren.

Hungrig. Nach Hause. Jetzt Janes Jagd. Ich gehe zurück zu Janes Bau und springe über Mauer, lande auf Steinen. Und wandle mich.

Als ich zu mir kam, lag ich nackt auf den Steinen und hatte fürchterliche Magenschmerzen vor Hunger. Ich betastete mein Gesicht, die schlaffe Haut, die hohlen Wangen. Sich zu wandeln, ohne vorher etwas gegessen zu haben, war weder mir noch Beast gegenüber fair gewesen. Und der Kalorienverlust hatte mittlerweile ein gefährliches Ausmaß erreicht. Ich nahm meine Kleider und schleppte mich ins Haus. Ich schüttete literweise Wasser in mich hinein. Meine Kehle war so trocken, dass jeder Schluck wehtat. Anschließend aß ich ein Pfund Trockenfleisch und öffnete eine Packung Cheerios, die ich mit saurer Milch löffelte. Dann tat mir der Bauch weh, weil ich so viel gegessen hatte.

Immer noch nackt, knipste ich das Licht an, holte einen Eimer, eine Sprühflasche mit Reinigungsmittel und eine Rolle Papierküchentücher und wischte Mollys Blut vom Boden auf. Der Reiniger brannte mir in der Nase und an den Händen. Ich ließ es brennen, der Schmerz war eine weitere Buße für mich.

Einsamkeit kannte ich nicht hatte ich nie gekannt doch jetzt war in meinem Inneren ein Loch, so leer, so tief, als wäre meine Seele eingebrochen wie ein Berg, der in sich zusammenfällt. Ein Gefühl von Getrenntsein, das vielleicht Einsamkeit war. Während ich arbeitete, tropften mir Tränen aus den Augen auf die nackten Dielen.

Als ich den Boden geputzt und die Rolle wieder weggeräumt hatte und das chemische Reinigungsmittel den Blutgeruch überlagerte, wischte ich mir das Gesicht trocken und rief zuerst Evan in Brasilien zurück, dann Mollys älteste Schwester Evangelina in Asheville.

Evan hatte bereits einen Flug in die Staaten gebucht. Ich musste einen sicheren Ort finden, wo ich ihn unterbringen konnte. Nicht hier bei mir zu Hause. Hier war es für niemanden mehr sicher. Der Meister der Stadt wollte Rache. Hexen waren eingebrochen, zusammen mit etwas, das Beast als Vamphexe beschrieben hatte. Erst glaubte ich, noch nie von einer solchen Kreatur gehört zu haben, doch dann erinnerte ich mich an das, was Bethany im Krankenhaus gesagt hatte dass sie eine Hexe und verflucht sei, das heißt eine Vampirin. Die sich doch beide eigentlich spinnefeind waren.

Auch Evangelina kam nach New Orleans, wie sie in hartem und bitterem Ton verkündete. Sie gab mir die Schuld. Dagegen konnte ich nichts sagen. Sie hatte recht. Es war meine Schuld. Ich rief im Krankenhaus an und erfuhr, dass Molly in ein Privatzimmer verlegt worden war. Die Dienst habende Krankenschwester teilte mir mit, dass sie schlief, alle Werte seien normal. Im dunklen Herzen meiner Zwillingsseelen flatterte Erleichterung auf wie Schmetterlingsflügel, hauchdünn und durchscheinend.

Dann stellte ich mich unter die brühend heiße Dusche und wusch mir das Blut ab. Mittlerweile war ich daran gewöhnt, scharlachrotes Wasser um meine Füße strudeln zu sehen.

Ich stand nackt, feucht und frierend im Schlafzimmer und starrte meine neuen Lederklamotten an, als die noch aktiven Banne um das Haus erbebten und zischten. Elektronisches Geheul setzte ein, Mollys Alarmton bei einem Angriff von etwas Magischem.

Die Haustür vibrierte unter einem heftigen Schlag, den ich selbst durch den Boden spürte. Dann roch ich Vamp.