7

Es markiert mich mit seinem Duft

Molly öffnete die Tür, bevor es klopfte, und ließ Bruiser mit einem gemurmelten: »Treten Sie ein, George«, herein. Der Nachtwind trug seinen sauberen, frischen und leichten Zitrusduft ins Haus.

Das letzte Mal, als Bruiser mich zu einer Party abgeholt hatte, hatte ich kein Publikum gehabt. Ich blickte an mir hinunter, fein gemacht wie ich war, und fühlte mich auf einmal schrecklich befangen. Ich wurde rot und holte Luft, um meine Verlegenheit zu verbergen. Dort, wo ich jetzt hinging, lief man besser nicht rot an. Oder war sexuell erregt. Die Finger am Oberschenkelhalfter, atmete ich tief ein und aus, um mich wieder zu fangen, und langsam kehrte meine Selbstsicherheit zurück. Ein schmaler Vampkiller, ein Silbermesser, ein Kreuz und mehrere Pflöcke. Plötzlich war meine Unruhe wie weggeblasen. Ich wandte mich zur Tür.

Bruiser trug Smoking. Ich hatte ihn schon einmal im Smoking gesehen, mir damals aber nicht die Zeit genommen, ihn mir richtig anzusehen. Die maßgeschneiderte Hose saß wie angegossen und legte sich um die Wölbung seines Hinterns wie zwei erfreute Hände. Die Jacke saß auf seinen breiten Schultern und schmiegte sich an seinen Oberkörper, als genösse sie seine Berührung und wollte ihn nie mehr loslassen. Leo Pellissiers Blutdiener sah aus wie ein Sexgott. Mein Unterleib spannte sich an und wurde heiß.

Bruiser begrüßte Rick freundlich und geschäftsmäßig. Falls er neugierig war, ließ er es sich nicht anmerken. Dann sah er mich in der Tür. Für einen Menschen war es zu dunkel, um mich zu sehen, doch sein Blick wanderte vom Boden hoch über das Kleid bis zu meinen Brüsten und dann zu meinem Gesicht. »Jane Yellowrock. Sie sehen bezaubernd aus.«

Ich trat ein und wusste nicht, wohin mit meinen Händen. Deshalb stand ich einfach da und kämpfte gegen die Gesichtsröte an, während gleich zwei Männer mich anstarrten. Molly reichte mir eine winzige schwarze Handtasche an einer kurzen Kordelschlaufe und sagte: »Von der Schneiderin. Da drin sind dein Personalausweis und hundert Dollar. Versuch zurück zu sein, bevor du dich in einen Kürbis verwandelst.«

»Miss Jane«, sagte Bruiser und hielt mir die Tür zum Fond auf. Ich trat in die feuchte Nachtluft hinaus und stieg in die kühle Limousine mit ihren Ledersitzen.

In dem großen Lincoln hätten sechs Passagiere auf zwei Bänken Platz gefunden, aber wie schon das letzte Mal, als Bruiser mich zu einer Vampparty gebracht hatte, waren wir allein, und die undurchsichtige Scheibe, die den hinteren Teil vom Fahrerraum trennte, war hochgefahren. Er glitt neben mich und rutschte näher, bis sein Oberschenkel meinen berührte.

Der Wagen fuhr los, die dunkle Straße entlang. Durch die schwere Panzerung lag er sehr tief, wie ein aufgemotzter Tank. Ich fragte mich, ob in der Karosserie Waffen eingebaut waren, wie bei James Bond oder Batman, doch vermutlich würde ich darauf keine ehrliche Antwort bekommen. Ich hörte, wie Ricks japanische Maschine ansprang und blickte gerade rechtzeitig zurück, um zu sehen, wie er davonraste und sich die Schutzbanne mit einem eindrucksvollen bläulichen Glitzern um das Haus schlossen.

Wir fuhren durch die tiefschwarze Nacht und die unbeleuchtete Stadt. Das letzte Mal, als er mich zu einer Abendveranstaltung begleitete, hatte George den Stadtführer gespielt und mich auf die Sehenswürdigkeiten aufmerksam gemacht und mir ein wenig über ihre Geschichte erzählt. Heute jedoch lehnte er sich zurück, verschränkte die Hände vor dem Bauch und musterte mich, wobei er auffallend lange bei dem Schlitz im Kleid verharrte, der bis hoch zum Oberschenkel freie Sicht auf mein Bein gewährte. Als er genug gesehen hatte, hob er den Blick zu meinem Dekolleté und der goldenen Halskette. Und sicher interessierte ihn dabei weniger das Goldnugget. Mein Busen war zwar nicht gerade üppig, aber das Kleid drückte das, was ich hatte, sehr vorteilhaft nach oben.

Er starrte mich ganz unverhohlen an. Ich zog die Augenbrauen hoch. Obwohl er die Augen nicht hob, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Sein Blick wanderte wieder tiefer. »Sie haben fantastische Beine«, sagte er.

»Und sie haben einen sehr hübschen Hintern.« Die Worte entschlüpften mir einfach, und ich schluckte schnell, um nicht noch mehr zu sagen. Vorsichtig, dachte ich. Beast hechelte amüsiert und knetete meinen Geist mit den Krallen, erst mit einer Tatze, dann mit der anderen. Es war sehr schmerzhaft, genau wie es ihre Absicht war.

Bruiser schmunzelte und sah mir endlich in die Augen. »Sie sind eine wandelnde Werbung für Blutspender«, sagte er unverblümt. »Alle männlichen Vamps und die Hälfte aller weiblichen wird von Ihnen kosten wollen.«

Beast erstarrte. Beast ist keine Beute. Ich machte schmale Augen, aber Bruiser redete weiter.

»Solange Sie in meiner Nähe bleiben, kann ich Sie beschützen, aber wenn Sie auf eigene Faust losziehen, kann ich für nichts garantieren. Es ist noch nicht zu spät, Ihre Meinung zu ändern.« Ich erwiderte nichts. Er seufzte leise. »Natürlich gibt es noch andere Methoden, um für Ihre Sicherheit zu sorgen.«

»Methoden?«

Bruiser löste die Hände und griff in die Brusttasche seiner Jacke. Er zog ein weißes Tüchlein heraus und reichte es mir. Meine Nasenlöcher blähten sich. Vamp!, warnte Beast und wich zurück.

Der pfeffrige Geruch von frischem Vampblut entströmte dem Tuch. Ich sog die Luft zwischen den Lippen ein. Leos Blut, daran bestand kein Zweifel, vermischt mit Bruisers Witterung. Ich zählte zwei und zwei zusammen und machte ein böses Gesicht. »Was? Er hat Ihnen heute Abend einen Schluck gegönnt, den Sie dann auf das Taschentuch gespuckt haben? Wie nett von Ihnen. Gangbang auf Blutsaugerart.«

Bruiser seufzte. »Damit sind Sie sicher.«

»Und es markiert mich mit seinem Duft als sein Eigentum. Und als Ihres. Nein, danke.«

Bruiser seufzte erneut und legte das Taschentuch neben sich auf das Lederpolster. Und warf sich quer über den Sitz. Auf mich. Über mich. Sein Körper lag auf meinem. Ich rutschte herunter und landete unsanft auf dem Boden.

Einen seltsamen, zeitversetzten Moment lang dachte ich: Er greift an. Er markiert mich, ob ich es will oder nicht.

Beast fauchte. Die Zeit wurde noch langsamer, bekam die Konsistenz von geschmolzenem Wachs.

Er landete auf mir, die Hände zu beiden Seiten meines Kopfes. Sein Mund nur Zentimeter entfernt. Intim, nah, sein Körper heiß an meinem. Seine Augen loderten wie braune Flammen, sein Blick hielt meinen fest. Ich konnte seine Wut riechen.

Und etwas änderte sich, plötzlich war die Luft zwischen uns geladen. Aus Wut wurde Verlangen. Und er drückte mich nieder. Einen langen Augenblick lang tat er gar nichts. Dann war sein Mund auf meinem. Und die Zeit blieb stehen.

Verblüfft atmete ich ein, die Luft aus seiner Lunge. Heißer Mund, grobe Lippen. Er packte mich beim Nacken. Hielt mich fest. Zog mich an sich.

Beast übernahm die Kontrolle. Legte meine Hände um seinen Nacken und küsste ihn zurück. Guter Partner. Stark. Schnell.

Bruisers Zunge fuhr über meine Lippen. Hitze durchströmte mich, glühend, brennend, meine Haut stand in Flammen. Die Spitzen meiner Brust zogen sich zusammen. Ich öffnete den Mund, drückte ihn fester auf seinen. Bog mich ihm entgegen. Hörte mein Stöhnen und war machtlos dagegen. Legte die Arme um ihn. Klammerte mich an ihn. Meine Nägel bohrten sich in seine Jacke. Er schob die Hüften zwischen meine Beine und presste sich an mich, hart und bereit. Geschwollen vor Verlangen.

Er stützte sich auf den Ellbogen und fuhr mit der Hand unter mein Kleid. Umfing meine Brust und streichelte die Knospe, bis sie sich fest und hart aufstellte.

»Ja«, flüsterte ich. »Jetzt.« Feucht vor Lust, hob ich mein Becken, drückte mich ihm entgegen.

Er schob den Träger des Kleides zur Seite, legte meine rechte Brust frei, fuhr mit der Zunge darüber. Nahm die schmerzende Spitze zwischen die Lippen und saugte so heftig daran, dass ich fast geschrien hätte.

Seine Hand glitt an mir herunter und über meinen Schenkel. Und hielt inne, als sie den Messergriff berührte. Er erstarrte, so vollkommen, als sei er ein Vamp. Langsam rückte er von mir ab. Sein Blick traf auf meinen. Er schob meinen Rock hoch und packte den Messergriff. Zog die Klinge mit einem leisen Zischen aus dem Futteral.

Unser Atem ging schwer und unregelmäßig. Ich hielt seinen Blick fest. Sah, wie seine Gedanken rasten, zu schnell, um sie lesen zu können.

Er hielt das Messer an meinen Hals. So nah an meiner Halsschlagader, dass mir keine Zeit bleiben würde zu reagieren, sollte er tatsächlich zustechen. Doch Beast war nicht besorgt. Sie beobachtete Bruiser durch meine Augen. Obwohl er nach Vamp roch, gefiel ihr, was sie sah.

Bruiser drehte das Messer um und legte es auf den Ledersitz. Als sich seine Hand wieder näherte, enthielt sie etwas Weißes. Bevor ich reagieren konnte, wischte er mit dem Tuch über meinen Hals und meine nackte Brust. Markierte mich. Mit dem Geruch eines anderen Partners. Ich fauchte wieder. Hielt seine Hand fest. Aber es war zu spät. Seine Augen funkelten zornig und belustigt zugleich. »Hurensohn«, flüsterte ich erbittert und drückte das Tuch von mir weg.

Er lachte leise, aber es klang nicht fröhlich, sondern kalt, hart und selbstironisch. »Eigentlich war Mama eine verarmte englische Lady.« Er warf das Tuch fort und drückte sich langsam vom Boden ab auf den Sitz, wobei er sich aus Versehen vielleicht war es auch Absicht zwischen meine Beine drückte und mich noch einmal daran erinnerte, was mir entgangen war. Er hielt mir die Hand hin, um mir aufzuhelfen.

Vor Verlegenheit hätte ich am liebsten sein Angebot ausgeschlagen. Doch das wäre kindisch gewesen und hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Daher zog ich mir das Kleid wieder über die Brust, ergriff seine Hand und ließ mir von ihm auf den Sitz helfen, dessen kaltes Leder ich durch den dünnen Stoff spürte. Ich strich den Rock über den Schenkeln glatt.

Bruiser nahm das Messer und streckte auffordernd die andere Hand aus und wartete. Ich hob den Rock wieder hoch und schnallte das Halfter ab. Sein Blick streichelte warm von meinen Knöcheln bis hoch zum Beginn des Schlitzes, nur wenige Zentimeter entfernt von der Stelle, wo er eben noch hatte sein wollen. Und wohin ich ihn hatte lassen wollen. Er starrte auf meine Beine und das dunkle V darüber. Ich öffnete die Beine weiter, und der Rock rutschte noch ein bisschen höher. Okay, ich war gemein, aber Beast gefiel es gar nicht, wenn man ihr den Weg verstellte oder ihr die Krallen stutzte. Und mir auch nicht. Ich legte das Halfter in seine Hand.

»Noch mehr Waffen?«, fragte er. Seine Stimme war rau vor Lust.

Bei seiner Frage hätte ich beinahe die Hand an mein Haar, zu den dort versteckten Werkzeugen geführt, doch das wäre dumm gewesen. »Ja«, sagte ich. »Killerbeine.«

Unsere Blicke trafen sich. Zu meiner Überraschung grinste er und entspannte sich. Er lehnte sich zu mir hinüber, schob den Arm hinter mich und zog mich näher zu sich, wobei seine Hand an meine Innenschenkel glitt. Ich legte beide Hände auf seine Schultern, die Lippen geöffnet. Meinen Blick festhaltend, ließ er seine Hand mein Bein hochgleiten, bis sie an Madame Melisendes Unterkleid kam. »Verdammt«, flüsterte er.

Ich lachte auf, woraufhin er mich küsste. Und ich erwiderte den Kuss. Ohne zu wissen, wohin es führte, denn dass es mir keine wie auch immer geartete sexuelle Befriedigung bringen würde, das war mittlerweile klar. Ich behielt recht. Doch als er sich von mir löste, tat er es mit sichtlichem Widerstreben. Sein Daumen strich leicht über meine gereizte Haut, und ich unterdrückte einen Schauder. »Killerbeine, hm? Ja, das stimmt wohl.« Er strich mit der Hand mein Bein hinunter und wieder hinauf, um dann, gerade als es vielversprechender wurde, innezuhalten. »Wenn das hier vorbei ist, nehme ich dich mit zu mir nach Hause und behalte dich eine Woche lang dort.«

Mir wurde warm, und ich errötete, und tief in meinem Inneren schnurrte Beast zufrieden. Ich war mir nicht sicher, was »das hier« war, aber ich nickte und sagte: »Zwei.«

Er bedachte mich mit einem heißen, dunklen Blick. Seine Stimme war ein tiefes Grollen. »Zwei.«

Ich saß da, seine Hand auf meinem Schenkel, und überlegte, was ich als Nächstes tun sollte. Das Schweigen dehnte sich. Es schien, als wartete er darauf, dass ich etwas sagte. In meiner Verzweiflung entschied ich mich auf gut Glück für ein Thema. »Warum hat Madame Melisende ihre Kunden verloren?«

Er hob einen Mundwinkel und schob mich vorsichtig von sich weg. Ich wusste nicht, ob es mir gefiel, mehr Platz zu haben, oder ob es mir missfiel. »Melisende hat sich im letzten Krieg der Vampire für die falsche Seite entschieden, daraufhin sind ihre reicheren Kunden woanders hingegangen.«

Mein Instinkt ließ mich aufhorchen. Leos Vasallen hatten von Krieg geredet, und er hatte auch auf der Liste der Anomalien gestanden. »Krieg der Vampire?« Auf einmal merkte ich, wie kalt es durch die Klimaanlage in der Limousine war, und ich bekam eine Gänsehaut. Ich zog das Kleid über die Beine.

Bruiser wandte den Blick von mir ab und sah aus dem Fenster. »Wir sind fast da. Jetzt ist keine Zeit mehr für eine Geschichtsstunde.« Er lenkte meinen Blick auf einen Eimer aus Messing oder vielleicht war es auch Gold , der an der Wand der Limousine befestigt war. Darin befand sich eine Flasche Champagner in Eis. In einer Halterung daneben waren Gläser. Beides sah ich erst jetzt. »Und auch für Champagner bleibt uns keine Zeit mehr, nachdem wir uns so lange amüsiert haben.«

»Warum hast du eingewilligt, mich zu dieser Party zu begleiten? Ich hätte gedacht, dafür müsste ich dir den Arm brechen.«

»Nicht mir den Arm verdrehen?«

»Nein.« Ich lächelte und sah ihn unter den Wimpern hervor an. »Brechen. Ganz bestimmt brechen.«

Bruiser lachte, doch dann nahm sein Gesicht ganz schnell wieder einen ernsten Ausdruck an. »Mein Meister möchte die Rogue-Jägerin um einen Gefallen bitten.«

»Mist.« Ich zog das Wort in die Länge. Das konnte nichts Gutes bedeuten. »Einen Gefallen? Soweit ich weiß, will er von mir nur, dass ich so schnell wie möglich die Stadt verlasse. Er hat mir sogar gedroht, mich langsam zu rösten oder mich zu wandeln. Hat sich daran etwas geändert?«

»Ja. Na ja. Es gibt Gerüchte von einer Neuordnung der Clans. Mit einer solchen Neuordnung begann der letzte Krieg der Vampire. Leo möchte einen Krieg verhindern und bittet dich ich bitte dich um deine Hilfe. Bitte.«

Ich lachte schrill auf. »Eben noch wollte Leo mein Haus abfackeln und mich bei lebendigem Leib verbrennen.« Bruiser zuckte leicht zusammen. »Und jetzt will er, dass ich ihm helfe, die Machtbasis des Pellissier-Clans zu konsolidieren? Das soll wohl ein Scherz sein.«

»Leo ist nicht die gefährlichste Kreatur in dieser Stadt.« Seine Stimme war leise und überzeugt, sein Ton der eines Mannes, der sehr viel gesehen und überlebt hatte. »Seiner Macht ist es zu verdanken, dass so lange schon Frieden herrscht, zwischen Wesen, die nur wenige moralische Grundsätze haben und oftmals keinerlei Skrupel, Menschen zu töten. Seine Trauer ist sehr groß, er ist im Moment einfach nicht er selbst.« Bruisers Miene wurde eindringlich, sein Blick hielt meinen fest. »Ich weiß, dass dein Vertrag nicht vorsieht, interne Konflikte zwischen den Clans der Mithraner zu lösen, aber er verpflichtet dich, Menschenleben zu retten. Und sollte es Krieg geben, wird er nicht nur für Vampire Folgen haben.«

Ich schürzte die Lippen und sah ihn nicht an. »Ich habe den letzten Krieg 1915 erlebt. Es war fürchterlich«, sagte er leise. »Sie haben versucht, die Gewalttaten, so gut es ging, geheim zu halten, aber glaub mir, wenn man hinsehen wollte «

Ich blinzelte. Ich wusste, dass Blutdiener sehr lange lebten, trotzdem schockierte es mich jedes Mal aufs Neue, wenn ich es bestätigt bekam. Neunzehnhundertfünfzehn. Herrje. Dennoch Ich zog die Brauen zusammen und verschränkte die Arme, wohl wissend, dass ich dadurch abwehrend wirkte. Ich wollte Leo Pellissier nicht helfen. Auf keinen Fall. »Ich habe Leos Sohn nicht getötet«, sagte ich und hörte selbst, wie störrisch ich klang. »Sondern den Mörder seines Sohnes. Da war sein Sohn schon seit Jahrzehnten tot.«

»Das akzeptiere ich. Und auch Leo wird es irgendwann als Wahrheit akzeptieren. Bis dahin werde ich alles tun, was in meiner Macht steht, um ihn von dir fernzuhalten. Wirst du uns helfen? Um der Sicherheit der Stadt willen?«

Ich schüttelte den Kopf, aber nicht, um Nein zu sagen, sondern aus Resignation. »Was soll ich tun?«

»Sperr einfach auf der Party die Ohren auf, und wenn du etwas hörst, sag es mir.« Wieder verzog er das Gesicht zu diesem trockenen Lächeln, dieses Mal wirkte es zerknirscht. »Dank Leos Duft wirst du dich frei bewegen können, ohne dass dir Gefahr droht.« Als ich ihn mit einem wütenden Blick bedachte, hatte er immerhin den Anstand, entschuldigend zu grinsen. Plötzlich sah er sehr viel jünger aus. »Und weil du nicht ich bist, und weil du trotz Leos Duft wie Dessert riechst, werden sie vielleicht frei sprechen. Möglicherweise schnappst du dabei etwas auf, das diesen Krieg verhindern könnte.« Als ich nichts darauf erwiderte, bohrte er weiter. »Wenn es Krieg gibt, werden Menschen sterben, viele Menschen.«

Mist. Er setzte auf mein Mitgefühl für Menschen. Und es wirkte. Ich seufzte. »Ja, klar. Wenn ich etwas erfahre, sage ich es dir. Warum nicht?« Ich funkelte Bruiser böse an. »Aber du hältst diesen Blutsauger von meinem Haus fern.«

»Katies Haus«, sagte Bruiser sanft.

Ich schnaubte. »Na, jetzt hast du es mir aber gezeigt, was?«

Früher hatten im Warehouse District, wie sein Name schon sagt, Schiffskapitäne ihre Handelswaren abgeladen und frische Ladung für den nächsten Hafen aufgenommen und Kaufleute mit dem Lagern und Verkauf dieser Waren ihr Vermögen gemacht. Heute waren in den ehemaligen Lagerhäusern schicke, teure Appartments, Lofts, Restaurants und Galerien untergebracht.

Die Straße vor dem Old Nunnery war auf beiden Seiten mit Autos vollgeparkt. Die Fahrer, die darinnen im Dunkeln warteten oder daneben standen und in die Nacht starrten, sahen alle aus wie Ex-Soldaten, hatten einen Stöpsel im Ohr und waren durchtrainiert und muskulös. Und vermutlich hatten sie genug Waffen dabei, um den Krieg zu beginnen, von dem Bruiser gesprochen hatte. Wir fuhren durch die schmale Gasse zwischen den Fahrzeugen auf das alte Gebäude zu.

Ich lehnte mich zu dem getönten Fenster der Limousine vor und starrte hinaus. Das Nunnery war ein dreigeschossiger, ehemaliger Speicher aus Backstein mit Fenstern im spanischen Stil und einer umlaufenden Veranda im Erdgeschoss und breiten torartigen Öffnungen, die groß genug für einen Pferdewagen waren. Der Balkon im ersten Geschoss hatte ein schmiedeeisernes Schutzgitter, und der Garten war bepflanzt mit Magnolien, Palmen, blühenden Blumen und Sträuchern und ausladenden dicken Lebenseichen, die so alt waren, dass sie noch Jean Lafitte unter ihren Ästen hatten schlendern sehen. Das gesamte Anwesen war hell erleuchtet durch das Licht, das wie echte Flammen in den geschliffenen Glasfenstern flackerte; die Bilder dahinter schienen zu beben, was dem Ganzen einen surrealen Aspekt gab.

Draußen und drinnen drängten sich elegant gekleidete und frisierte Blutdiener, Blutsklaven und die Reichen und Blutsaugenden. Der Anblick erinnerte mich an einen wimmelnden Feuerameisenhügel gefährlich für jeden, der sich zu lange in seiner Nähe aufhielt, tödlich für einen Feind. Und allein mein Betreten des Gebäudes kam dem metaphorischen Stock gleich, der den Hügel aufwühlte. Meine Handflächen begannen zu schwitzen. »Das sieht mir nicht wie ein Konvent aus.«

»Das Nunnery ist nach Samuel Nunnery benannt, einem Geschäftsmann und Schiffseigner aus dem siebzehnten Jahrhundert. Dies war einer seiner Speicher.«

Der Wagen hielt am höchsten Punkt der kreisförmigen Einfahrt, und Bruiser ließ die Trennscheibe ein wenig herunter. »Von hier an übernehme ich, Simon.« Der Fahrer, dessen Silhouette sich durch das Licht von draußen vor dem dunkel getönten, schusssicheren Glas abzeichnete, grüßte leicht mit zwei Fingern. Mit fester Hand half Bruiser mir hinaus in die Schwüle. Ich nutzte den Augenblick, um mein Haar zu glätten, die Enden der Zöpfe neu zu stecken und nach den Waffen zu tasten. Doch trotz der Wrestling/Sex-Einlage auf dem Boden war alles noch an seinem Platz. Er schloss die Tür, legte meine Hand in seine Armbeuge und begann, zum Eingang zu gehen. Er beugte sich zu mir, legte die Lippen an mein Ohr und murmelte: »Seien Sie brav.«

Ich rückte meine kleine Handtasche an der Kordel zurecht und flüsterte aus dem Mundwinkel heraus. »Ich würde gern mit heiler Haut dort wieder rauskommen und mein Blut für mich behalten. Ich verspreche, nicht etwas wirklich Dummes zu tun.«

»Ich verspreche, nichts Dummes zu tun«, korrigierte er mich mit einem Glitzern in den Augen.

»Das hört man gern.« Er schmunzelte, als wir die fünf Stufen zu der mächtigen Tür hochgingen, und ich fügte hinzu: »Alten Knackern fällt korrekte Grammatik eben leichter.« Er räusperte sich, zupfte seine Jacke zurecht und drückte meinen Arm. Als ich an uns hinuntersah, stellte ich zufrieden fest, dass trotz unserer kleinen Balgerei auf dem Limousinenboden weder sein Smoking noch mein Kleid zerknittert war.

Außerdem entdeckte ich bei dieser Gelegenheit unter der Veranda vor dem Eingang lange, schmale, horizontale Fenster, die sich hinter niedrigen Büschen über die gesamte Länge des Gebäudes erstreckten die Scheiben waren dunkel, aber sauber. Vor jedem Fenster waren Gitter. Dieses Gebäude war eines der wenigen in diesem Teil der Welt, das ein Untergeschoss oder einen Keller hatte. Vielleicht für Kohlen. Oder vielleicht war es auch ein Kerker. Bei dem hiesigen Grundwasserspiegel waren die meisten solcher tief gelegenen Räume feucht und schimmelig. Wenn der Keller gut gepflegt und trocken war, dann war er wahrscheinlich mit einem Hexenzauber belegt, der ihn gegen Wasser schützte.

Hexen und Vamps. Die zusammenarbeiteten. Das konnte es eigentlich gar nicht geben. Die beiden Spezies hassten sich. Meine Neugier wurde immer größer. Wozu brauchte ein großes Lagerhaus einen Keller? Waren dort früher einmal Schmuggler eingesperrt worden? Oder, schlimmer noch, importierte Sklaven?

Hinter der Tür strömte kühle, trockene Luft aus den Lüftungsklappen über unsere Köpfe. Und der Geruch von Vamp traf mich wie eine Faust. Heiliger Strohsack, es mussten Hunderte von ihnen hier sein. Schnell begann ich, mich abzuschirmen, im Geiste Barrieren zu errichten, die ich kräftigte, indem ich Meditationstechniken anwendete, die Molly mir beigebracht hatte. Es funktionierte, aber nicht so gut, wie sie es gern gehabt hätte. Der Vampgestank war stark, aggressiv, wie nach einem Kampf. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Beast bleckte die Zähne und fauchte leise. Ich rief sie mit einem mentalen Befehl zurück. Beast betrat nicht gern das Revier eines anderen Raubtiers. Und es gefiel ihr gar nicht, wenn ich sie einsperrte, doch sie setzte sich und überließ mir die Alpha-Position. Fürs Erste.

Bruiser blieb stehen und zog zwei weiße Umschläge aus seiner Jackentasche, die er dem Sicherheitstyp überreichte, einem Schwarzen im Smoking mit einem Ohrhörer und einem winzigen Mikro, unter dessen Arm sich deutlich sichtbar eine Beule abzeichnete. Er war nicht stämmig und muskulös wie die anderen, sondern schmächtig und hatte sehr harte, sehr kalte Augen. Er musterte mich, prägte sich meine Gesichtszüge ein, kategorisierte mich und entschied, dass ich unbedeutend war. Ich hätte beleidigt sein können, aber dass er mich so einfach abtat, bedeutete andererseits eine größere Sicherheit für mich. »George Dumas und Gast«, sagte der Sicherheitstyp und machte ein Häkchen hinter den Namen auf einem Klemmbrett.

George nickte und sagte: »Jane Yellowrock, Rogue-Jägerin.« Ich sah, wie die Augen des Mannes in meine Richtung zuckten, und ich war mir ziemlich sicher, dass meine Kategorie von Date zu ›gefährlich‹ wurde. Ich seufzte. Jetzt würde mich die gesamte Wachmannschaft den ganzen Abend im Auge behalten.

»Bewaffnet?«, fragte ST.

»Das war sie«, sagte Bruiser gedehnt und erweckte den Eindruck, als habe er mich persönlich entwaffnet. Was er ja auch tatsächlich getan hatte. Ich runzelte die Stirn. ST sah mich noch einmal an und nickte. Wie würde er sich über das kleine Frauchen amüsieren. Ich warf Bruiser einen strafenden Blick zu, bevor ich hineinging und mich in die Schlange der Gäste einreihte, die die Gastgeberin begrüßen wollten.