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Ich bin keine Beute!

Ich studierte unsere Gastgeberin, Bettina, Blutmeisterin des Rousseau-Clans. Rousseau war eine schöne Frau gemischter, vor allem wohl afrikanischer und europäischer Herkunft, die, wie ich wusste, als Sklavin in dieses Land gekommen war. Vielleicht war dieses Lagerhaus, in dem sie heute als Gastgeberin auftrat, eine ihrer Stationen gewesen. Das schien mir die Art von Ironie zu sein, die einem Vamp gefallen könnte.

Es hieß, dass Bettina ihren Meister so zufriedengestellt hatte, dass dieser sie später gewandelt, freigelassen und zu seiner rechten Hand gemacht hatte. Als er 1915 starb Mist, hatte Bruiser nicht gesagt, in diesem Jahr hätte der Krieg begonnen? –, war Bettina an die Spitze des Clans getreten. Natürlich hatte ich auch andere Geschichten gehört, aber in den Hokuspokus-Akten hatte ich nichts gefunden, das irgendeine von ihnen bestätigt hätte.

Mit Absätzen war Bettina einszweiundsechzig oder einsdreiundsechzig groß, hatte mehr Kurven und Dekolleté als ein Playboy-Bunny und war die personifizierte Verführung. Auch bei mir hatte sie es einmal versucht, doch das kam für mich nicht infrage. Die Blutmeisterin des Rousseau-Clans nahm Bruisers Hand, als wollte sie sie schütteln, zog ihn dann aber an sich. »George«, sagte sie und presste ihre Wange an seine, und selbst in diesem einen Wort war ihr bezaubernder Akzent zu hören.

»Schöne Frau«, murmelte er und presste seine Wange links und rechts an ihre wie es in der Alten Welt üblich war.

Bettina wandte sich an mich. »Unsere mutige Jägerin«, sagte sie.

Als ich ihr meine Hand hinhielt, ergriff Bettina auch die andere und trat näher, viel zu weit in meinen persönlichen Raum hinein, sodass nur noch ihre Hände und meine als Puffer zwischen unseren Körpern waren. Anders als die meisten Vamps, die nur sehr wenig Parfum auflegten, war Bettina von einer schweren Wolke umgeben. Beast machte einen Schritt zurück, und ich hielt die Luft an. Doch als sie aufsah, gab es keine Möglichkeit, ihrem Blick auszuweichen.

Ihre dunklen, schimmernden Augen wirkten wie ein Sog. Vamppheromone, Jagdpheromone, Mist, Verführungspheromone stiegen auf. Trotz des künstlichen Dufts aus der Flasche konnte ich sie riechen. Sie beugte sich näher vor zu mir, sodass unsere Hände zwischen uns gefangen waren und leicht an unsere Brüste drückten, und ihr Mund in Höhe meines tiefen Ausschnitts war. Bäh. Bettina beugte sich näher und zog mich zu sich herunter, um ihre Wange leicht an meine zu drücken, so wie sie es bei Bruiser getan hatte. Oder wie zu einem Blutkuss.

Ich bin keine Beute!, sagte Beast warnend. Ich spannte mich an. Doch Beast wollte mich nicht zurückweichen lassen. Sie zeigte Zähne und Krallen. Flutete meinen Körper mit Adrenalin. Machte sich bereit anzugreifen.

Aber Bettina versuchte weder mich zu beißen, noch machte sie die Sache mit den Wangen sie roch an mir. Als sei ich etwas zu essen. Ich hielt meine beiden Ichs still und kämpfte gegen die Wut und das Gefühl der Kränkung an. Bettina stieß den Atem aus, kalte, tote Luft, die über die Vorderseite meines Kleides wehte, und trat einen Schritt zurück. Sie sagte: »Die Rogue-Jägerin ist heute Abend willkommen als Gast des Blutdieners Pellissier und als eine, die dem Blutmeister der Stadt gehört. Eine Ehre für mein Heim.«

Die dem Blutmeister gehört? Ich wurde feuerrot. Offenbar wies Leos Blutgeruch mich als seinen Besitz aus. Doch ich hatte so eine dumpfe Ahnung, dass es dumm und gefährlich gewesen wäre, auf diesen Status zu verzichten. Würden andere Anspruch auf mich erheben, wenn ich verkündete, ich sei frei? Entging mir hier etwas? Vielleicht tat ich Bruiser unrecht, wenn ich böse auf ihn war. Oder sollte ich ihn noch ein wenig leiden lassen, um es ihm heimzuzahlen?

Als Bettina zurücktrat, nahm ich an, ich sei entlassen, doch sie lächelte und drückte meine Hand. Dabei kamen ihre Grübchen zum Vorschein. Wie gruselig. »Ich bat die Rogue-Jägerin, bei mir vorzusprechen, wenn diese unangenehme Angelegenheit mit dem alten Rogue, der Jagd auf die meinen machte, geregelt wäre.« Sie hielt meinen Blick fest, bevor sie stockend weitersprach, so als wähle sie ihre Worte mit Bedacht. »Und doch sind Sie nicht gekommen, obwohl Sie ihn besiegt haben. Ich bin enttäuscht. Sie werden das doch noch nachholen?«

Ich hatte das Gefühl, als wolle sie mir etwas mitteilen, aber ich hatte keine Ahnung, was es sein mochte. Als hätte sie es gespürt, lockerte sie ihren Griff, und ihr Ton wurde wieder geziert verführerisch.

»Ich würde Sie immer noch gern näher kennenlernen, erfahren, wer Sie sind, was Sie sind. Falls Sie Leos je überdrüssig werden und es Sie nach einer neuen Anstellung verlangt, wenn ihr aktueller Vertrag erfüllt ist, wenden Sie sich an mich. Ich bin sicher, wir werden eine Einigung erzielen.«

Eine Einigung, die ihr Bett und ihr Dinner betraf. Als ihr Blutsaugerspielzeug. Niemals. Doch bevor ich das klarstellen konnte, trat sie zurück und ließ meine Hände los. Bruiser nahm meinen Arm, und wir gingen weiter. »Sieh mal einer an«, murmelte Bruiser. »Leo hat ja vorausgesagt, dass du wie ein Dessert auf die Anwesenden wirken würdest.«

Beast ist nichts zu essen! »Sie ist ziemlich seltsam«, murmelte ich zurück.

»Also, was bist du?«, fragte er. »Warum riechst du so lecker für sie?«

»Ein Blutmahl mit Killerbeinen?«, sagte ich, in der Hoffnung, ihn damit ablenken zu können.

»Ja, aber Leo sagt, du riechst nach Sex, Blut, Gewalt und Herausforderung. Was für einen Vampir gleichbedeutend mit einem Dessert auf Killerbeinen ist.«

»Hmmm.« Darauf würde ich sicher nichts erwidern. Wieder strich ich über mein Haar und hielt, die Hände vor meinem Gesicht, inne. Unter dem üppigen Geruch von Bettinas Parfum witterte ich eine Spur des Schöpfers der Rogues, die von ihrer Handfläche stammen musste. Ich blickte zurück zu Bettina. Sie hatte seine Hand geschüttelt. Wenn es ein Er war. Ja. Ich war mir sicher. Und das bedeutete, dass er hier war. Ich fuhr zu Bettina herum. Sie blickte mich an. Und neigte den Kopf, als wollte sie etwas bestätigen, aber was? Ich witterte. Schwere Düfte, die sich vermischten, überlagert von dem Geruch des Gaslichts und des Rauchs. Den Schöpfer roch ich nicht.

Ich suchte die Halle des Lagerhauses mit meinen Blicken ab und atmete die Duftmischung ein. Der vordere Teil des Gebäudes bestand aus einer riesigen offenen Fläche mit ein Meter dicken alten Backsteinwänden, einem Schieferboden und viereinhalb Meter hohen und achtzig Zentimeter dicken Backsteinsäulen, die das zweite Geschoss stützten. Beleuchtet wurde diese Fläche durch Gasflammen, die in der künstlichen Brise der Klimaanlage flackerten. Was immer sein Zweck in der Vergangenheit gewesen war, heute diente das Erdgeschoss der Unterhaltung. Zur Rechten befand sich ein Bereich mit einem langen Tisch, an dem locker hundert Personen Platz hatten, der aber heute zur Seite geschoben worden war. Zahlreiche Stühle standen entlang der Wände. Ich konnte niemanden erkennen, der zu dem schwachen Geruch an meiner Hand gepasst hätte.

Doch es duftete nach Fleisch und Gewürzen. Fressen!, dachte Beast. »Später«, murmelte ich wie zu mir selbst. Bruiser sah in meine Richtung, aber ich tat, als würde ich es nicht bemerken. Vor dem Tisch drängten sich die menschlichen Gäste und luden sich geräucherten Lachs, Rippchen, etwas, das aussah wie ein Lutscher, aber nach Lamm roch, Kebab, Garnelen, frittierte Meeresfrüchte in mundgerechten Stücken und Boudin, eine Spezialität aus Louisiana, auf ihre Teller. Es gab auch Gemüse und eine große Auswahl an Brot und Käse, doch das war nichts für mich.

Zur Linken war eine Art Wohnzimmer eingerichtet mit Sofas, Sesseln, Tischen und einem Kamin, der mit seinen Ausmaßen in ein Lagerhaus passte. Die riesigen brennenden Holzscheite darin sahen aus, als seien sie auf Maß zugeschnitten. Bruiser führte mich nach links, um dann stehen zu bleiben, halb verdeckt von einer der runden Säulen. Der Raum war mit französischen und spanischen Antiquitäten dekoriert und zahlreichen Vitrinen aus Wurzelholz, in denen Gemälde und andere unbezahlbare Kunstgegenstände ausgestellt waren. Die geschwungenen Polstermöbel waren mit Quasten, Troddeln, Volants und anderem Tand verziert vielleicht Art déco und Art nouveau, schick, wie aus einem alten SchwarzWeiß-Film. Doch in der gewaltigen Halle wirkten sie winzig klein.

Auf halbem Weg in den hinteren Teil des Lagerhauses bedeckten Teppiche den Schieferboden, und Vamps und Menschen saßen auf großen Kissen und plauderten und rauchten wie Bohemiens. Auch hier waren die Gerüche überwältigend: Pfeffer, Pergament, frische Minze und Kampfer, getrocknete Kräuter, leichte Parfums und ein Hauch von Schimmel, aber das konnte von dem alten Gemäuer stammen. Und ich roch frische Bisswunden. Beast mochte den Gestank nicht und fauchte.

In New Orleans gab es acht Clan-Familien. Die jeweiligen politischen und sozialen Gruppierungen zu durchschauen, war beinahe unmöglich, aber wenn ich als Rogue-Jägerin in ihr Revier eindringen wollte, musste ich es wissen. Pellissier, Laurent, Bouvier und St. Martin hatten sich zu einer politischen Allianz zusammengeschlossen, Mearkanis, Arceneau, Rousseau und Desmarais zu einer anderen. Die Clansitze der letzten vier befanden sich im Garden District. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten sie alle wie Pech und Schwefel zusammengehalten, doch heute Abend fanden sich die Vamps zu ungewöhnlichen Grüppchen zusammen die Bündnisse waren im Wechseln begriffen, das war nicht zu übersehen. Irgendetwas war in der Welt der blutsaugenden Räuber nicht in Ordnung.

Ich entdeckte Rafael Torrez, den kleinen, schwarzäugigen Meister des Mearkanis-Clans und Leos erklärten Feind, in angeregter Unterhaltung mit zwei mir unbekannten Vamps einem auffällig gekleideten Mann in rotem Anzug und einem Vamp mit einer Narbe im Gesicht. Die Wunde war frisch und heilte noch.

Ich hörte das Wort »Leo« aus einer kleinen Gruppe, die weiter entfernt stand. Und »Clan« und »endgültiger Tod«. Aus der Art, wie sich sein Körper anspannte, schloss ich, dass Bruiser es auch gehört hatte. Ich fragte: »Was bringt es ihnen, wenn Leo plötzlich stirbt oder im Krieg besiegt wird?«

»Ich bin mir nicht sicher.« Er kniff die Augen zusammen, als er sich suchend umsah. »Wenn Leo einen neuen Erben ernennt und seine politische Basis festigt, dann würde seine Macht bei seinem endgültigen Tod an seinen Nachfolger übergehen, der dann der Meister der Stadt würde. Natürlich müsste der neue Meister seine Position auch festigen. Aber wenn Leo damit wartet, einen Erben zu benennen, bis sich an den politischen Gruppierungen etwas ändert, bis es Krieg gibt und Vampire sterben, dann wird alles schwierig.«

Irgendetwas sagte mir, dass »schwierig« noch eine Untertreibung war. Ich zog ihn zu dem Tisch mit dem menschlichen Essen Essen für Menschen, nicht Menschen, um Vampire zu nähren. Auf einer Vampparty sollte man da schon genau sein. Die sexuelle Spannung zwischen Bruiser und mir und die Atmosphäre im Raum hatten mich hungrig gemacht. »Ich muss etwas essen, und anschließend mische ich mich unter die Leute«, sagte ich, »um herauszufinden, ob jemand hier ist, der nach dem Schöpfer der jungen Rogues-Frau riecht das Parfum trägt, von dem ich geredet habe«, ergänzte ich. Ich war noch nie eine gute Lügnerin gewesen.

Ich reichte Bruiser einen Glasteller und schaufelte Räucherlachs auf meinen. Beast hechelte. Lieber roh, sagte sie und schickte mir eine Vision der Pranke eines Pumas, der eine gefleckte Forelle aus einem Fluss zieht. Ich hatte nicht gewusst, dass Beast fischte, aber vermutlich taten das alle Katzen gern, die Hauskatze in einem New Yorker Appartement in einem Aquarium und der Puma in einem kalten Bergfluss.

Bruiser betrachtete den Lachsberg auf meinem Teller und legte überrascht, belustigt und leicht herablassend den Kopf schief. Der Ausdruck auf seinem Gesicht ähnelte wieder auf unheimliche Weise dem Leos, und ich fragte mich, wie viele Jahrzehnte man mit einem Vamp zusammenleben musste, um seine Eigenarten zu übernehmen. Es konnte sehr verstörend sein. »Ich mag Fisch«, sagte ich abwehrend. »Und ich habe Hunger.«

»Natürlich«, murmelte er. Er gab mir eine gefaltete Serviette und vergoldetes Besteck und sagte »Fischbesteck.«

Die kurze, kräftige Gabel und das Buttermesser begutachtend, folgte ich ihm in den hinteren Teil des Lagerhauses. »Ach ja?« Ich drehte das schwere Besteck hin und her und verglich es im Stillen mit dem Zeug aus gepresstem Metall, das wir im Kinderheim benutzt hatten. Bruiser hielt mir ein Glas Weißwein hin. Überrascht blickte ich auf. Die hintere Hälfte des Old-Nunnery-Lagerhauses war früher offenbar in Büros unterteilt gewesen, die Trennwände waren oben offen, damit die Luft zirkulieren konnte. An dem ersten Arbeitsplatz war eine Bar aufgebaut. Schon nach einem Schluck wusste selbst ich, dass es gutes Zeug war. Für Vamps tat es kein Kartonwein. Ich trank ihn durstig und kostete dann den Lachs, und er zerging mir auf der Zunge. Nun, nicht wörtlich, aber ich musste nicht viel kauen.

Während ich aß den Fisch hinunterschlang, unter Bruisers leicht hochnäsigem Blick, den ich allerdings ignorierte , gingen wir einen kurzen, breiten Flur entlang. Eine Gruppe Vamps in Abendkleidung blieb stehen und trat zur Seite, als wollte sie uns vorbeilassen. Als wir auf gleicher Höhe waren, begannen zwei Vamps in fast, aber nicht ganz identischen roten Roben auf mich zuzugehen, und die anderen folgten ihnen wie auf ein Kommando. Dann fingen sie zur selben Zeit an zu schnüffeln.

Hinter ihnen, im Halbdunkel, stand Rafael Torrez. Er lächelte schwach, kam aber nicht näher. Er beobachtete den Vorgang nur, seine Haltung war erwartungsvoll. Mist.

Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich blieb stehen und drehte mich zu den mir am nächsten stehenden Vamps um, mit dem Rücken zur Wand. Ihre Augen wurden schwarz. Fangzähne fuhren aus. Beast wurde wütend, und ich schnüffelte ebenfalls, witterte. Für einen kurzen Moment standen wir uns gegenüber. Ich mit meinem halb gefüllten Teller. Die Hände voll. Adrenalin schoss durch meinen Körper, als ich in diesem einen Augenblick die Möglichkeiten, mich zu verteidigen, analysierte. Der Teller war aus Glas, konnte also leicht zerschlagen werden, und Vampire bluteten schnell. Die Pflöcke griffbereit in meinem Haar. Die Wand in meinem Rücken. Ich atmete aus, und meine Muskeln waren entspannt und bereit.

Die weiblichen Vamps in den scharlachroten Seidenroben musterten mich von Kopf bis Fuß, langsam, als wollten sie sich mich einprägen. Sicher nicht, weil sie wissen wollten, aus welchem Material mein Kleid war und wie viel es gekostet hatte. Einer der männlichen Vamps kam auf uns zu, mit langsamen, fließenden Bewegungen, ein anmutiges Gleiten, zu dem nur sehr alte Vampire fähig sind. Ein Raubtier, geschmeidig und gefährlich, trotz seines grün-rot karierten Kummerbundes und dem dazu passenden Einstecktüchlein, deren Farben so gar nicht zu den Fangzähnen passten.

Ich nahm den Teller fester in die Hand und machte mich bereit, ihn zur Ablenkung zu werfen oder zu zerschlagen, um etwas zum Zustechen zu haben. Oder meine Pflöcke aus dem Haar zu ziehen. Meine Hände kribbelten, sie wollten etwas tun, jetzt sofort. Bruiser trat an meine Seite. Legte besitzergreifend die Hand auf meinen Rücken. »Die Rogue-Jägerin«, sagte er wieder, als wäre es ein Titel. Die Vamps, sechs an der Zahl, stellten sich zu einem Halbkreis auf, schnitten uns den Weg ab. Alles wurde kalt und steril. Ich begriff, dass sie mich gesucht hatten.

Angriff ist die beste Verteidigung, dachte ich. Tief drinnen in mir knurrte Beast.

Mit einer Drehbewegung warf ich den Teller auf den Boden. Er zerbrach vor ihren Füßen. Drei von ihnen sprangen zurück, weil sie sich erschreckt hatten oder weil sie nicht mit Lachs bespritzt werden wollten, denn dann würde jeder denken, sie seien untrainiert und würden leicht übersehen. Ich konzentrierte mich auf die Vamps, die stehen geblieben waren. Beast sprang in meine Augen, und ich knurrte, die Hände fuhren zu meinem Kopf. Um die Pflöcke zu packen.

»Jane. Nein«, sagte Bruiser leise und mit betont ausdrucksloser Stimme.

Ich hielt inne, die Finger in meinen Zöpfen. Mein Herz schlug laut und war völlig aus dem Takt geraten.

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich ein Schatten bewegte. Der Schatten war Rafael Torrez, Blutmeister der Mearkanis. Ohne meinen Blick abzuwenden, nahm ich die neue Bedrohung zur Kenntnis. Super. Und jetzt?

Rafe legte dem Karomann die Hand auf die Schulter. »Nein«, sagte er.

Der Karomann hielt inne. Seine Augen waren smaragdgrün, doch seine Pupillen so riesig, dass das Grüne fast nicht mehr zu sehen war. Sein Mund öffnete sich zu einem Knurren, als der neue Meister des Mearkanis-Clans sich neben ihn stellte und mich von oben bis unten musterte, ein leichtes Lächeln auf dem hübschen Gesicht. Dunkelhaarig, feingliedrig, bewegte er sich wie ein Fechter oder ein Tänzer und setzte die Füße präzise und ausbalanciert. »Nicht jetzt.«

Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, trat Rafael vor das kleine Grüppchen und betrachtete mich abschätzend, als wollte er mir ein Angebot machen. »George, Ihr Meister hält sich wirklich interessante Haustiere.«

Meine Augenbrauen erreichten meinen Haaransatz. »Haustiere?«, zischte ich.

Rafael lachte und nickte Bruiser zu. »George.«

»Sir«, sagte Bruiser in neutralem Ton.

Rafael drehte sich um und ging durch das Grüppchen der sechs Vamps hindurch. Sie drehten auf dem Absatz um, folgten ihm und ließen mich und Bruiser allein im Flur zurück.

»Das war ziemlich seltsam«, sagte ich.

»Ja. Mehr, als dir klar ist«, sagte Bruiser nachdenklich. »Die Mithraner, die dich angreifen wollten, stammen aus zwei verschiedenen Bündnissen. Ich glaube, das war ein Hinweis. Die beiden in den roten Kleidern Lanah und Hope gehören zu Adrianna aus dem St.-Martin-Clan, eine von Leos Verbündeten. Richtige Miststücke, aber eigentlich hätten sie dich beschützen müssen, weil du seine Duftmarke trägst. Hier geht irgendetwas vor, aber ich weiß nicht, was es ist.« Er sah mich an, die Lippen zu einem leichten Lächeln verzogen. »Mit dir wird es nie langweilig, Jane Yellowrock. Wie viele Pflöcke hast du im Haar?«

»Nicht einen«, sagte ich, womit ich gleichzeitig log und die Wahrheit sagte. Ich hatte mehr als einen, also war »nicht einen« die Wahrheit. Irgendwie. Wenn ich das nächste Mal in der Kirche war, würde ich ganz schön viele halbe Sünden, Beinahe-Sünden und Sünden, die ich gern begangen hätte, beichten müssen. Mein Schuldgefühl machte sich bemerkbar.

»Und Kreuze?«, fragte er trocken.

Weil ich nicht offen lügen wollte, sagte ich: »Ein ganz kleines, das du beinahe in der Limousine gefunden hättest.«

Bruisers Blick wanderte zu dem tiefen Ausschnitt meines Dekolletés, und seine Lippen zuckten. »Das ist dann ja sicher. Lass es dort.«

Ich sah hinunter auf die Scherben und den Lachs zu unseren Füßen. »Das tut mir leid.«

»Auf diese Weise haben wir gesehen, wer zurückgewichen ist.«

Ich lächelte. »Ja, nicht wahr?«