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Ich mag Feuer. Darf ich mitspielen?

Der Blitz schlug ein, als Molly, die Kinder und ich gerade zu Mittag aßen. Nur ein paar Meter vom Haus entfernt fuhr er in den Boden, warf gleißend helles Licht durch die Fenster und ließ den Boden unter uns erbeben. Ich packte den Tisch, hob den Blick und sah, wie Molly mit ihren Sinnen prüfte, ob der Blitz ihre Schutzbanne beschädigt hatte. Sie hatte sie deaktiviert, weil Blitze und Banne sich nicht vertragen, aber auch ein ruhender Bann kann außer Kraft gesetzt werden. Sie warf mir einen Blick zu, der mich beruhigen sollte, aber ich spürte, dass sie besorgt war. Ohne die Banne war das Haus, in dem ich wohnte, solange ich für den Vampirrat von New Orleans arbeitete, ungeschützt.

Molly eine mächtige Erdhexe und meine beste Freundin und ich kennen die heftigen Sommerstürme in den Bergen der Appalachen, doch gegen dieses Unwetter waren sie nichts. Hurrikan Ada, der gerade über New Orleans herfiel, war ein Sturm der Kategorie zwei mit sintflutartigen Regenfällen, wenngleich er nicht die Kraft und Wucht von Katrina oder Rita hatte und auch nicht so viel Schaden anrichtete. Doch das menschliche Gedächtnis ist kurz, und die meisten Einheimischen hatten sich dafür entschieden, zu bleiben, darauf hoffend, dass die neuen Dämme halten würden, und auf die dank der Großzügigkeit von Vater Staat verbesserte städtische Infrastruktur vertrauend. Allein die heftigen Blitze und die beiden Tornados mitten über dem städtischen Elektrizitätsnetz hatten alle überrascht. Ein Stromausfall war die Folge. Für einen Moment flaute der Wind ab, dann schlug er gegen das Haus wie eine gigantische Faust, dass die Wände bebten, und der Regen trommelte mit neuer Kraft gegen die Fenster.

Ohne Klimaanlage wurde es langsam schwül hier drinnen, doch der Wasserboiler und der Herd wurden glücklicherweise mit Gas betrieben. Und da auch das Wasserreservoir der Stadt keinen Schaden genommen hatte, aßen die Kinder nun Sandwiches und heiße Dosensuppe und Mol und ich Prime Rib mein Stück riesig und so blutig, dass es noch Muh machen konnte, Mols kleiner und medium gebraten. Ich hatte sogar einen Spinatsalat gemacht, um die gesundheitsbewusste Molly zufriedenzustellen.

Windböen drückten gegen die Vorderseite des Hauses, und es wurde ziemlich laut, als die alten Wände aufstöhnten. Ich hatte noch nie einen Hurrikan miterlebt und war ziemlich beeindruckt, auch wenn es sich nur um Kategorie zwei handelte. Wie eine Sturmflut Stufe drei oder vier aussehen mochte, wagte ich mir gar nicht vorzustellen. Kein Wunder, dass die Schutzbanne der Hexen gegen Katrina und Rita nichts hatten ausrichten können, als sie die Golfküste verwüstet hatten.

Nachdem ich den letzten Bissen meines Steaks hinuntergeschluckt und ein Spinatblatt gegessen hatte, machte ich einen Rundgang, um nach eventuellen Schäden zu sehen. Das alte Haus mitten im French Quarter gehörte mir zwar nicht ich hatte es nur gemietet, solange ich hier beruflich zu tun hatte , aber ich hätte es gern so makellos hinterlassen, wie ich es übernommen hatte. Auch wenn meine Arbeitsgeber, die Vamps, es mir weiß Gott nicht einfach machten.

Ich suchte die über drei Meter fünfzig hohen Decken in beiden Geschossen nach undichten Stellen ab und vergewisserte mich, dass die Handtücher an den Türen den hereingewehten Regen aufsaugten und die Fenster alle fest geschlossen waren. So weit, so gut keine Risse, keine Schäden. Ich hob schnuppernd die Nase in die feuchte Luft, um festzustellen, ob nicht doch ein Blitz das Haus getroffen hatte. Kein Rauch, nur der strenge Geruch von Ozon. Knapp vorbei.

Auf der Seitenveranda im Erdgeschoss stand meine alte, restaurierte Harley, die ich Mischa nenne und die ein Einzelstück ist, sicher unter einer schweren Plane, die ich zu ihrem Schutz gekauft hatte. Die Granitfelsen hinten im Garten, die meine Vermieterin, die Vampirin Katie Fonteneau, extra für mich hatte liefern lassen, glänzten vom Regen. Sie würden meinen Aufenthalt hier wohl nicht überstehen. Schon jetzt hatten die Steine Risse und Spalten, und einer war nur noch ein Häuflein aus scharfen Splittern, seit ich einmal Masse gegen Stein getauscht hatte, um mich in ein Tier zu wandeln, dessen genetische Struktur und Größe stark von meiner abwichen. Ein gefährliches Unterfangen. Bei dem die Steine jedes Mal in Mitleidenschaft gezogen wurden. Und das nicht zu knapp.

Die Lampen flackerten, als es für einen kurzen Augenblick wieder Strom gab. Der Brunnen im Garten hinter dem Haus gurgelte und spuckte Wasser in die Luft und über die feucht glänzende Skulptur eines Vamps in seiner Mitte. Dann flackerte der Strom erneut, bevor er ganz ausfiel und der Vamp noch einen letzten Strahl in die Höhe schickte.

Ich ging von Fenster zu Fenster und sah zu, wie der Wind durch die subtropische Vegetation und über die Granitsteine fegte. Ich fand meinen Steingarten, der vermutlich der einzige im ganzen French Quarter war, wunderschön, selbst in seinem jetzigen Zustand.

»Du gehst die ganze Zeit auf und ab.«

Ich sah Molly an, dann hinunter auf meine Füße.

»Du musst dich wandeln. Seit Wochen bist du nur in Menschengestalt. Die Kinder und ich werden schon nicht in die unheilvollen Hände böser Vampire fallen, wenn du dir mal einen Abend freinimmst.« Sie zog die Beine auf das Sofa und legte die Arme um die Knie. Ihr langes rotes Haar war von der Feuchtigkeit kraus, was sie hasste. Angelina rannte zu ihr und warf sich auf das Lederkissen, aus dem mit einem zischenden Laut die Luft wich. Molly rollte ihre Tochter herum, Little Evan im Auge haltend, der seinen Ball unter einem Stuhl gefunden hatte und sich nach ihm bückte, den Po in die Luft gestreckt. »Ich aktiviere meine Schutzbanne. Dann sind wir sicher.«

»Wird Tante Jane heute Abend zur großen Katze? Kann ich zugucken? Bitte, bitte, bitte!«, bettelte Angie. Obwohl sie erst sechs war, bildete sich ihre magische Gabe schon heraus eine starke Gabe, wie sich herausgestellt hatte.

»Nein. Dabei möchte Tante Jane allein sein. Und außerdem reden wir nicht darüber, hast du das vergessen?«

Angie senkte die Stimme zu einem Flüstern und legte den kleinen Zeigefinger an die Lippen. »Das ist ein Geheimnis. Psssst.« Und dann kicherte sie, ein Laut, der mich immer zum Lächeln brachte.

»Leo ist nicht er selbst«, sagte ich. »Nicht, seitdem ich dieses Ding, das sich als Leos Sohn ausgegeben hatte, getötet habe. Er trauert noch, und man hat mir gesagt, dass Trauer Vampire zu nicht zu Rogues macht, aber doch labil werden lässt. Ich traue ihm nicht.« Trotzdem hatte Molly recht. Es war schon zu lange her, seit ich mich das letzte Mal gewandelt hatte. Ich spürte, wie Beasts Fell beharrlich unter meiner Haut rieb. Ich brauchte eine Nacht für mich.

Beast passt auf die Welpen auf, höre ich Beast denken. Ich bin stark. Und schnell. Und habe tödliche Krallen. Ich brachte sie mit einem beruhigenden Gedanken zum Schweigen.

»Leo wird nichts gegen dich unternehmen, solange du für den Rat den Schöpfer der jungen Rogues suchst.« Mol sah zu mir hoch und lachte. »Natürlich sieht die Sache anders aus, wenn du deinen Auftrag erledigt hast.«

»Danke. Jetzt fühle ich mich sehr viel besser.«

»Geh heute Nacht jagen«, sagte Molly. »Geh laufen. Lauf zum Haus der Cherokee-Schamanin und schwitz es heraus. Das hast du ihr schon lange versprochen.« Sie senkte den Blick und kämmte mit gespreizten Fingern durch Angies Locken. Im Sonnenlicht schimmerten darin honigblonde und rötliche Strähnchen, doch im düsteren Licht des Unwetters hatte es seine Leuchtkraft verloren. Unter der Hand ihrer Mutter kam Angie langsam zur Ruhe. Sie lächelte und schloss die Augen. Es war Zeit für den Mittagsschlaf, und gegen den Schlafzauber, mit dem Molly ihre Älteste gerade belegte, konnte auch ein Sturm nichts ausrichten. »Du würdest vielleicht Neues über deine Vergangenheit erfahren«, fügte sie hinzu. »Über Skinwalker.«

»Ja, wie zum Beispiel, dass sie alle wahnsinnige Killer waren und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch ich durchdrehe.« Es sollte witzig klingen, aber ich roch den scharfen Geruch der Sorge in meinen Worten.

»Du bist weder eine Killerin, noch bist du wahnsinnig. Du bist die beste Freundin der Welt.« Als sie zu mir aufsah, lag ein Ausdruck vollkommenen Vertrauens auf ihrem Gesicht. »Ich würde dir jederzeit mein eigenes und das Leben meiner Kinder anvertrauen, Jane.«

Mir ging das Herz auf. Als Kind hatte ich nie eine beste Freundin gehabt, aber dann hatte ich Glück und lernte Molly kennen. Mit offenen Armen nahm sie mich in ihre Familie auf und stellte mich, ohne auch nur zu zögern, ihren Schwestern, ihrem Hexen-Coven, vor. Ihr Mann, Big Evan, war allerdings weniger begeistert von mir, doch im Moment war er weit weg, in Brasilien. Das war auch der Grund, warum Molly für mehrere Wochen bei mir zu Besuch war, trotz der Tatsache, dass Leo Pellissier, Blutmeister des Pellissier-Clans, Blutmeister der Stadt und Vorsitzender des Vampirrates alles andere als gut auf mich zu sprechen war. »Ich werde darüber nachdenken, ob ich mich wandle«, log ich.

Ich suchte Evan mit meinen Augen und fand ihn schlafend unter dem Stuhl, den Ball in den pummeligen Händen. Ich hob ihn hoch, Molly nahm Angelina auf die Arme, und wir trugen die beiden nach oben in ihr Zimmer. Da alle Banne wegen des Sturms deaktiviert waren, konnte ich ungehindert eintreten, legte den Kleinen auf sein Bett und den Ball in seine Arme. Ich war nicht sehr mütterlich veranlagt, aber Mollys Kinder hatte ich in mein Herz geschlossen.

Beast, deren Mutterinstinkte sich sehr von meinen menschlichen unterschieden, meldete sich laut und heftig zu Wort. Schütze Welpen.

»Ich weiß«, sagte ich so leise, dass Molly mich nicht hören konnte. Lauter sagte ich: »Karten? Oder ein Nickerchen?«

Molly gähnte. »Ich mache ein Nickerchen. Dann bis später, in ungefähr einer Stunde, Tiger.«

Ich nickte, und während draußen der Sturm weiterzog und es langsam Abend wurde, wanderte ich wieder grübelnd im Haus auf und ab. Außer dem, was Aggie One Feather mir beigebracht hatte, wusste ich nicht viel über meine Herkunft oder meine Vergangenheit. Dabei wusste sie nicht einmal, was ich wirklich bin: ein Skinwalker. Der einzige andere Skinwalker, den ich je gekannt habe, war jetzt tot, und zwar durch meine Hand. Er hatte Leo Pellissiers Sohn Immanuel ermordet und seinen Platz angenommen, möglicherweise schon Jahrzehnte, bevor seine dunkle Seite übermächtig wurde und er sich über Menschen und Vamps hermachte und sie fraß. Den Grund dafür kannte ich nicht. Meine Befürchtung war, dass Wahnsinn in der Natur der Skinwalker lag. Dass ich das Wesen, das als Immanuel herumspaziert war, aus dem Verkehr gezogen hatte, hatte mich in die missliche Lage gebracht, auf Leo Pellissiers persönlicher Hassliste zu stehen.

Ich bin Jane Yellowrock, reisende Rogue-Jägerin, heimlicher Skinwalker und gelegentlicher Bodyguard. Ich weiß, wie man kämpft, kann auf mich selbst aufpassen und weiß mit der stattlichen Anzahl von Waffen umzugehen, die momentan in meinem Schlafzimmer weggeschlossen waren, damit die Kinder sie nicht in die Hände bekamen. Menschen oder Hexen oder Vampire zu verstehen und Geselligkeit im Allgemeinen waren nicht meine Stärken, aber dieser Auftrag in New Orleans gab mir Gelegenheit, viel über all das zu erfahren. Und über mich selbst.

Mein Vertrag war vom Rat verlängert worden, damit ich den Meistervamp fand und tötete endgültig , der seine Geschöpfe frei herumlaufen ließ, so verwildert, wie sie kurz nach dem Wandel waren, denn neugeborene Vampire brauchten Jahre, bevor sie »geheilt« waren. Ohne Verstand und mit einem hemmungslosen Verlangen nach Blut wurden diese jungen Rogues von ihrem Schöpfer auf die Bevölkerung losgelassen wie wahnsinnige Killermaschinen.

Erst vor ein paar Wochen hatte ich zwei von ihnen zur Strecke gebracht. Als der Rat mich dann bat, das Übel bei der Wurzel zu packen, musste ich nicht lange überlegen und unterschrieb auf der gestrichelten Linie. Und obwohl Beast sich zurück nach hohen Bergen, rauschenden Flüssen und tiefen Tälern sehnte, begann ich mich in dieser Stadt, die zum Feiern wie geschaffen war, wohlzufühlen.

Hier, wo Vamps und andere übernatürliche Wesen seit Jahrhunderten ansässig waren, würde ich vielleicht sogar einen anderen Skinwalker wie mich finden. Zwar dämmerte mir mittlerweile, dass die Wahrscheinlichkeit gering war, wenn nicht einmal der Älteste der hiesigen Vampire je so etwas wie mich gerochen hatte, doch ich gab die Hoffnung nicht auf.

Ich füllte gerade den Wasserkessel, um Tee zu machen, als ich erstarrte und tief einatmete. Es roch falsch.

Zwischen zwei Stürmen ist die Luft in New Orleans schwer und feucht, sie drückt die Gerüche auf den Boden hinunter, sodass sie länger nachwirken, aber als der Himmel aufgeklart war, war die Luft frisch und salzig gewesen. Bis jetzt.

Ich schloss die Augen, blähte die Nasenflügel und nahm einen scharfen, beißenden Geruch wahr. Den durchdringenden Vampgeruch. Von mehr als einem. Über dem Vampgeruch lag der Gestank von Benzin. Und von Rauch.

Beast sprang auf. Feuer!

Mein Herz schlug schneller, und meine Atmung beschleunigte sich. Ich hob den Blick. Vor dem Küchenfenster flackerte Licht. Blitzschnell erfasste ich die Situation. Aus Angst vor Blitzen hatte Molly die Banne noch nicht wieder aktiviert. Leo Pellissier war hinter mir her. Der Hurrikan hatte den Strom ausfallen lassen, das Telefonnetz und in den meisten Teilen der Stadt auch die Mobilfunkmaste. Ich konnte keine Hilfe herbeirufen.

Mist.

Durch die durchscheinenden Gardinen sah ich, wie Flammen hinter dem geschliffenen Fensterglas glitzerten und funkelten. Mit der Schnelligkeit meiner Art sprintete ich zur Seitentür, von der aus ich den Garten hinter und neben dem Haus überblicken konnte. Hinter mir krachte ein Stuhl zu Boden. Ich zog mir eine Kette mit einem Silberkreuz über den Kopf und zwei Pflöcke aus meinem Haar. Riss die Tür auf. Rannte auf die überdachte Veranda. Im Laufen flog mein Haar nach vorn, behinderte mich, und ich warf den Kopf zurück, um wieder freie Sicht zu haben. Ich zählte vier Fackeln, in weiten Abständen. Angst überkam mich. Ich hätte die Schusswaffen mitnehmen sollen.

Auf der nassen Veranda kam ich schlitternd zum Stehen. In meinem Garten standen Vampire. Reglos wie Tote so wie es ihre Art ist. Wartend. Fackeln in der Hand. Die Zeit verging langsamer, wurde dick und zähflüssig, die Nacht gewann an Vielfalt und Tiefe. Mit allen Sinnen gleichzeitig nahm ich die Szene auf.

Ich sah vier Vamps, die Fangzähne ausgefahren, im Angriffsmodus. Zu ihren Füßen befanden sich zwanzig Behälter, an denen Warnzeichen prangten. Die Windböen trugen mir die Witterung von weiteren, nicht sichtbaren Vamps zu. Ein Vamp öffnete einen der Behälter. Der Geruch von Benzin verbreitete sich.

Der ruhelose Wind hatte noch immer Adas Kraft, doch jetzt, da der Sturm weitergezogen war, schien es, als habe er sein Ziel verloren. Dunkle Wolken zogen schnell über den Himmel. Es nieselte immer noch; die Tropfen zischten, als sie auf die Flammen trafen. Das Geräusch ging mir durch Mark und Bein. Abgesehen davon waren die Stille und das Dämmerlicht des frühen Abends vollkommen. Keine Autos, keine Musik, überhaupt keine menschlichen Geräusche.

Ich kämpfte gegen meine Angst an, wohl wissend, dass sie sie riechen konnten und dadurch nur noch mehr gereizt würden. Der Mut der Verzweiflung war jetzt meine beste Waffe, also hielt ich das Kreuz in die Höhe. Es leuchtete hell in meiner Hand, als das Silber auf die Anwesenheit der Vamps reagierte. Aber sie schreckten nicht zurück. Sie blieben, wo sie waren, und das bedeutete, dass es alte Vamps waren, jeder Einzelne von ihnen. Der Wind traf uns noch einmal wie eine Peitsche und flaute dann ab. Schatten und Fackellicht flackerten hart und schonungslos über ihre ungeachtet ihrer ursprünglichen Herkunft stets bleiche Haut. Worauf sie wohl warteten

Eine schwarze Silhouette trat aus den Schatten, geschmeidig und elegant. Leonard Pellissier. Im Abendanzug. Gekommen um mir einen Besuch abzustatten. Der mächtigste Vampir der Stadt hatte sich zum Töten fein gemacht. Beinahe hätte ich gekichert, konnte es aber gerade noch zurückhalten. Jetzt zu lachen, wäre nicht klug gewesen. Nein, nein, ganz und gar nicht klug.

Beast erhob sich, übernahm die Kontrolle über meine Reflexe, bereit, zuzuschlagen, zu kämpfen. Bereit, wieder ins Haus zu laufen, um meine Gäste zu retten. Wenn es mir gelänge. Welpen, murmelte Beast. Ihr Schutzinstinkt wollte die Oberhand, doch ich hielt sie zurück, ließ sie aber nahe an der Oberfläche. Ich brauchte ihre Stärke und ihre Schnelligkeit.

Im Obergeschoss knarrte eine Diele. Gott sei Dank, Molly hatte die Flammen gesehen. Sie würde Banne errichten, irgendeinen Schutzzauber wirken, vielleicht einen, der Vampirkörper verbrannte. Hoffentlich. Aber dazu würde sie Zeit brauchen. Vielleicht zu viel Zeit.

Leo trat vor die kleine Gruppe, die mein Haus umstand; sein Blick hielt meinen fest. Seine Fangzähne waren ausgefahren und glänzten hell im Licht des frühen Abends. Seine Pupillen waren riesig, das Weiße blutrot. In seinen schwarzen Augen spiegelten sich das Licht des Silberkreuzes und die tanzenden Flammen.

»Sie haben meinen Sohn getötet«, sagte er, den Blick fest auf mich gerichtet.

»Nein. Ich habe die Kreatur getötet, die in seinem Körper steckte.«

Seine Lippen zogen sich zurück, legten seine Zähne frei ein Ausdruck der Drohung. »Sie«, flüsterte er. Vamps müssen nicht oft atmen, aber jetzt holte er tief und langsam Luft. »Haben meinen Sohn.« Seine Wut wuchs. Ich konnte sie riechen, ihren starken, sauren Geruch. »Getötet!«, brüllte er in die Nacht.

Beast hob auch meine Lippen und zeigte meine menschlichen Zähne. Wandle dich, forderte sie.

Aber es war zu spät. Ich war hin und her gerissen zwischen ein Dutzend Reaktionen und Szenarien. Ich könnte angreifen, aber dann würden sie das Haus in Brand setzen. Ich könnte mich hineinflüchten, aber dann würden sie auch das Haus in Brand setzen. Ich könnte

»Hallo. Meine Name ist Angelina.«

Die Vampire im Flattern der Flammen erstarrten zu einer übernatürlichen Reglosigkeit. Langsam drehte Leo den Kopf und hob den Blick von mir zum Balkon im Obergeschoss.

»Ich mag Feuer. Darf ich mitspielen?«

Leo atmete ihre Witterung ein. Roch Kind und Hexe. Sein Körper spannte sich an. Hielt die Spannung.

Die Augen von Leos Geschöpfen zuckten zu ihrem Blutmeister, dann zu mir hinüber. Ich sah Unsicherheit, Sorge. Ganz offensichtlich hatten sie nicht damit gerechnet, heute Abend ein Kind töten zu müssen. Zwei Vamps zogen ihre Fangzähne mit einem leisen Schnappen ein. Der mit dem offenen Benzinbehälter betrachtete ihn, dann wanderte sein Blick vorsichtig und bedächtig zurück zu dem kleinen Mädchen. Seine Pupillen zogen sich zusammen, und er sah wieder Leo an. Wartete.

»Wie heißt du?«, fragte sie. Ihre Füße trappelten an den Rand des Balkons über meinem Kopf. »Seid ihr Tante Janes neue Freunde?«

»Angie, geh ins Haus.« Ich versuchte ruhig zu klingen, aber ohne Erfolg. Mein Herz hetzte wie ein Reh auf der Flucht. Wie ein Beutetier. Ich wusste, dass sie meine Furcht rochen.

Leo sog wieder die Luft ein, seine Brust hob und senkte sich, sein Atem zischte leise an seinen Fangzähnen entlang. Es stand alles auf Messers Schneide. Beides war möglich: Entweder er tötete die Mörderin seines Sohnes und die Hexen, die er jetzt in meinem Haus roch, oder er zog sich zurück und verschonte das Kind. Die Vampira Carta verbot das Töten von Kindern, auch wenn es sich um Hexen handelte. Wenn er eine Hexe tötete, würde er damit den fragilen Frieden zwischen den Arten gefährden. Aber er war außer sich vor Leid. Schon seit Tagen. Und Hexen waren die Erzfeinde der Vampire, auch wenn ich nicht wusste, warum.

»Seid ihr Vampire?«, fragte Angelina, die mich ausnahmsweise ignorierte.

Eine plötzliche Böe brachte die Fackeln zum Flackern und wehte den Duft des kleinen Mädchens vom Balkon herunter. Die schwüle Luft fing den Duft des Schaumbades und die Wärme ihrer Haut ein und trug sie hinunter auf die Erde, wo sie sich mit Vamppheromonen und Rauch vermischten. Die Vamps in Leos Begleitung traten einen Schritt zurück. »Mama sagt, ihr esst Menschen.«

Leo schluckte. »Wir essen keine Menschen«, sagte er, seine Stimme klang bemüht neutral mit einem Hauch seines kultivierten, förmlichen französischen Akzents. »Und du darfst nicht mit Feuer spielen. Das ist gefährlich. Wir kommen ein anderes Mal wieder«, sagte er.

Als er mich ansah, loderte sein Hass hell in seinen dunklen Augen. »Damit ist es nicht vorbei. Mein Sohn wird gerächt werden.«

»Ich habe Ihren Sohn schon gerächt«, sagte ich. »Ich habe seinen Mörder getötet. Ich habe seine Blutschuld bezahlt und Ihnen den Körper Ihres Feindes dagelassen.« Diese Worte hatte ich schon einmal gesagt das letzte Mal, als er in diesem Haus gewesen war, fast wahnsinnig vor Trauer. Damals hatten sie gewirkt. Ich hoffte sehr, dass es auch diesmal so sein würde.

Leo blinzelte. Das Feuer in seinen Augen begann zu flackern und dann zu erlöschen. Etwas anderes füllte die Leere, die Spur eines weicheren Gefühls Verwirrung, vielleicht Unsicherheit, vermischt mit Trauer. Er sah mir in die Augen und hielt meinen Blick mit dieser hypnotischen Kraft fest, wie sie nur die sehr Alten besitzen.

Und dann war er fort. Einfach verschwunden. Heftige Luftwirbel markierten seine Spur. Die Vamps starrten hoch zu dem Kind auf dem Balkon über mir.

»Komm ins Haus, Angie«, hörte ich Molly mit vor Angst rauer Stimme sagen. »Und du auch«, sagte sie zu mir, obwohl sie mich von ihrer Position aus gar nicht sehen konnte. Ich hörte Dielenbretter knarren, und die Verandatür schloss sich.

»Seinetwegen hätten wir fast ein Kind getötet«, sagte eine Vampirin.

»Er wusste es nicht«, sagte ein anderer und schloss den Benzinbehälter, den er geöffnet hatte.

»Er ist der Meister. Er hätte es wissen müssen«, sagte die Vampirin beharrlich. »Er hätte uns nicht hierherbringen dürfen.«

»Dolore«, sagte ein dritter Vamp, eine Vampirin. Ich kannte das Wort nicht, aber in ihrer Stimme lag eine leise Ehrfurcht, die ihm Wichtigkeit verlieh. »Wir müssen entscheiden.«

»Ich werde meinen Meister nicht in Ketten legen«, sagte der vierte Vamp. »Auf keinen Fall. Ich warne euch. Es wird Krieg geben.«

Die vier Vamps blickten von einem zum anderen. Dann wandten sie sich alle gemeinsam zu mir hin. Und starrten mich an. Ich hielt mein Kreuz in die Höhe und spürte das Gewicht ihres Blicks, das mich an Ort und Stelle festhielt.

»Wir werden die Vampira Carta befolgen«, sagte die Frau. »Das ist das Gesetz.«

Die Anspannung in dem kleinen Garten ließ schnell nach, als wäre ein Stöpsel gezogen worden, und der Druck und die Wut flössen ab. Die Vampire verschwanden, sehr viel langsamer als Leo, aber immer noch viel schneller als jeder Mensch. Die Windböen trugen ihre Witterung fort. Unten in der Straße hörte ich, wie ein Motor ansprang, ein gedämpftes Geräusch, wie ein kraftvolles Grollen. Scheinwerfer durchschnitten das dunstige Dämmerlicht, als der Wagen an meinem Haus vorbeikam, und verschwanden dann.

Ich drehte mich auf dem Absatz herum, ging nach drinnen und zog die Tür hinter mir zu. Ich lehnte mich dagegen, hörte, wie mein Herz in meinen Ohren rauschte, spürte einen unregelmäßigen Schmerz in der Brust und erinnerte mich dann wieder daran, wie man atmete. Schließlich ließ ich das Kreuz los, nahm mein Haar zusammen, drehte es hoch und steckte es mit den Pflöcken zu einem behelfsmäßigen Dutt fest. Meine Finger zitterten, als die Anspannung ein wenig nachließ.

Einen Moment später spürte ich, wie die Banne sich um das Haus schlossen, ihre Magie war wie ein leises Summen auf meiner Haut. Ich wusste, Molly würde sich Vorwürfe machen, dass sie sie nicht früher aktiviert hatte.

Der Angriff hatte mich unvorbereitet getroffen. Nie hätte ich gedacht, dass Leo eine solch gewaltsame Maßnahme in aller Öffentlichkeit ergreifen würde. Im Rückblick war das natürlich ziemlich dumm von mir gewesen.

Ich ging in mein Zimmer, um mich zu bewaffnen: die Messer kamen in ihre Schlaufen an meinen Jeans, die Futterale an Handgelenke und Oberschenkel, eine neue Handfeuerwaffe in das Schulterholster, nachdem ich sie überprüft hatte. Die Flinte legte ich über das Fußteil des Bettes. Nein, das war nicht zu viel des Guten, sondern nötig, um meine Angst zu lindern. Obwohl die Schutzbanne wieder aktiv und Molly und die Kinder in Sicherheit waren, konnte ich das Bild von Leo mit ausgefahrenen Zähnen und blutroten Augen nicht vergessen.

Richtig ausgestattet, hätte ich, wäre es eben zu einem Kampf gekommen, eine Chance gegen die Vamps gehabt. Na ja, überlebt hätte ich es vermutlich nicht, aber ich hätte ein paar von ihnen mitgenommen. Ich bin gut. Sehr gut sogar. Vermutlich die Beste in diesem Geschäft. Nur nicht gut genug, um es allein mit einer ganzen Blutfamilie Meistermonster mit langen Zähnen aufzunehmen. Die mir mit Feuer drohen. Mit immer noch zitternden Händen traf ich die Entscheidung, dass ich heute Nacht auf Rogue-Jagd gehen würde. Gewöhnlich trug ich dazu eine hautenge Mütze, doch dazu war es zu schwül. Stattdessen nutzte ich mein Haar als Waffenhalter und steckte Pflöcke, die aussahen wie Haarnadeln, hinein und nahm bewusst nur die mit Silberspitze. Die richteten mehr Schaden an. Mit jeder neuen Waffe fühlte ich mich besser, ruhiger, sicherer.

Der Kessel auf dem Gasofen gab das leise, dampfige Pfeifen von sich, das das lautere, grellere ankündigte. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, seitdem ich ihn aufgestellt hatte. Die Hand an der Schranktür, hielt ich einen Moment inne, schloss die Augen und sagte halb betend: Danke. Das war knapp gewesen. Dann ging ich zurück in die Küche, stellte das Gas ab, goss das Wasser über die Teeblätter in der weißen Emaillekanne. Während ich auf den Dampf starrte, der aus dem winzigen Loch in der Tülle drang, wallte der Schock in mir auf wie der Dampf in dem Kessel.

Leo Pellissier war gekommen, um mein Haus niederzubrennen. Er hatte literweise Benzin mitgebracht, Fackeln und seine untoten Vasallen, damit sie das Abfackeln übernahmen. Ich hätte in diesem Feuer sterben sollen. Er hatte vorgehabt, die Fenster einzuschlagen, den Brennstoff hineinzugießen und das Haus niederzubrennen. Ich begann zu zittern und stellte den Kessel ab. Im Vieux Carré, dem French Quarter der Altstadt, war es beinahe nie kalt, aber der Hurrikan hatte kühle, nasse Luft vom Golf mitgebracht. Wenigstens redete ich mir ein, dass es daran lag. Unsicher zog ich meinen Lieblingsvampkiller, den mit dem Hirschhorngriff. Die versilberte Klinge glänzte blau im Licht der Sturmlampe. Ich steckte die Waffe zurück in ihr Futteral und vergewisserte mich, dass sie locker genug saß, um schnell gezogen werden zu können.

Der Tee würde mir helfen, mich zu beruhigen. Ich goss zwei Tassen heißen Chai ein, gab in jede Zucker und einen guten Schlag geschlagene Sahne und stellte sie auf ein Tablett, zusammen mit ein paar Keksen und der angezündeten Laterne. In deren Lichtkegel trug ich alles zur Treppe, an deren Pfosten eine weitere Sturmlampe flackerte. Die Lampe aus der Küche stellte ich auf dem Boden ab. Die Flammen warfen bernsteinfarbenes Licht in die Zimmer, ein Licht, das eine friedliche und sichere Atmosphäre verbreitete, ein heller Kontrapunkt zu der Katastrophe, die beinahe passiert wäre.

Vorsichtig stieg ich mit dem Tablett in den Händen die dunklen Stufen hinauf. Das Zimmer der Kinder lag über meinem, nach der Treppe sofort links. Heute brannte das Nachtlicht in Form eines Löwen nicht, und der Raum lag im Dunklen. Trotzdem knisterte das Zimmer förmlich vor magischen Energien und Hexenkraft. Zusätzlich zu den Alarmzaubern und Schutzbannen, die Eindringlinge von dem Haus fernhalten sollten, hatte Molly die Kinder mit Gesundheits- und Heilzaubern belegt.

Und im Garten gab es noch eine dritte Art von Bann, um den Steingarten herum. Molly nannte ihn die Dornenhecke. Im Moment ruhte er; der Auslöser, um ihn zu aktivieren, war mein Blut, wenn es auf den Boden traf. Ganz schön makaber, aber sie wollte sicher sein, dass auch dann noch für meinen Schutz gesorgt wäre, wenn sie wieder zu Hause in den Bergen war. In lebensbedrohlicher Gefahr wäre die Hecke quasi meine letzte Rückzugsmöglichkeit, damit ich mich auf den Steinen in Beasts Gestalt wandeln und meine Verletzungen heilen konnte. Beast war das einzige Tier, in das ich mich ohne Anstrengung wandeln konnte und ohne genetisches Material, das mir ein Muster lieferte. Sie war etwas, das nichts mit meiner Skinwalker-Magie zu tun hatte etwas, von dem ich annahm, dass es ein typischer Skinwalker nicht in sich trug. Beast war eine Seele, die in mir lebte, die Seele eines Pumas, in dessen Haut ich mich viel, viel zu lange versteckt hatte, und sie hatte ihre eigenen Ziele, Erinnerungen, Bedürfnisse und Geheimnisse. Es war nicht immer einfach, mit ihr zu leben, aber sie half, mich am Leben zu halten.

Der Bann in Angies und Little Evans Zimmer war so gewirkt, dass nicht einmal ich eintreten konnte, ohne den Alarm auszulösen. Aber ich konnte hineinsehen, um mich zu vergewissern, dass es den Kindern gut ging. Ich bin nicht der mütterliche Typ, deshalb war es ein seltsames Gefühl, Kinder um mich zu haben. Und noch befremdlicher war es für mich, den leidenschaftlichen und unbedingten Drang zu spüren, sie zu beschützen, wenn Beasts Mutterinstinkt, so grundverschieden von meinem eigenen, in mein menschliches Bewusstsein drang.

Dank meiner guten Nachtsicht konnte ich auch im Dämmerlicht des Zimmers gut sehen. Little Evan lag ausgestreckt auf seinem Bett, die Decke hatte er von sich geworfen, die Hände zu Fäusten geballt, die Arme ausgestreckt zu beiden Seiten. Seine Wangen blähten sich mit jedem Atemzug. Angelina hatte sich unter ihrer Decke zu einem Ball zusammengerollt, das Gesicht so engelhaft wie ihr Name. Beide schliefen tief und fest. Erstaunlich. Kinder.

»Sie werden sich nicht in Luft auflösen«, sagte eine leise Stimme hinter mir.

Ich lächelte kläglich und fragte mich, ob Molly nicht noch einen zusätzlichen Bann errichtet hatte, einen, den ich nicht bemerkt hatte und der sie informierte, sobald sich jemand der Tür der Kinder näherte. Vermutlich.

»Ich wollte nur nach ihnen sehen«, sagte ich. Das Tablett in Händen drehte ich mich um und entdeckte Molly im Schatten des breiten Flurs. Ihr langes, dünnes Nachthemd flatterte im Luftzug, der durch die geöffneten Fenster drang, die roten Korkenzieherlocken hingen über ihrer Schulter. Sie sah aus, als sei sie dem neunzehnten Jahrhundert entsprungen, nur der iPod um ihren Hals störte das Bild. Ich stellte das Tablett auf einen kleinen gedrechselten Tisch im Flur und bot ihr eine Tasse Tee an. Molly durchquerte den Gang auf nackten Füßen und nahm ihn entgegen.

»Niemand kann rein«, sagte sie und nahm einen Schluck. »Nicht durch meinen Bann. Oder wenigstens nicht, ohne dass hier ein Feuerwerk losgeht. Du musst dich nicht mit Metzgermessern bewaffnet durch das Haus schleichen.«

Ich zog ein Messer und drehte es in der Hand. Die Klinge glitzerte im hellen Licht der Lampe. Die schmalen, tiefen Rillen in der Klinge wirkten wie reine Verzierung, doch sie machten die Waffe widerstandsfähig, flexibel, leicht und schön, und die Silberauflage der Klinge war Gift für Vampire. Ein Kunstwerk. Es war ein neues Messer. Es gefiel mir sehr. »Kein Metzgermesser. Das ist ein Vampkiller.«

»Es ist eine Kralle, nichts anderes«, sagte sie. Ihr ironischer Ton wurde trockener, schärfer. »Ich habe gezählt. Du trägst zehn Stück davon bei dir. Genauso viele wie Krallen an den Vorderpfoten von Beast sind.«

Ich zuckte die Achseln. Es stimmte, ich besaß zehn Messer. Als Skinwalker hatte ich eine Vorliebe für große Katzen Panther, Löwe, Leopard, aber vor allem für den Puma. Diese Gestalt anzunehmen, fiel Beast am leichtesten. Wenn ich je einen Psychoanalytiker für Skinwalker finden sollte, wird die Wahl meiner Waffen sicher eine wichtige Rolle in meiner Analyse spielen, falls er mich nach der Jung’schen oder Freud’schen Methode behandelt, da bin ich mir sicher.

»Gehst du etwa in Menschengestalt auf die Jagd?«, fragte sie mit bewusst neutraler Stimme. Als ich nickte, sagte sie ruhig: »Sei vorsichtig, Tiger. Er trauert immer noch. Als Beast kannst du dich vielleicht an ihm vorbeischleichen, falls er dir eine Falle gestellt hat, aber nicht als Jane.«

»Ich weiß«, sagte ich. »Aber ich habe einen Job zu erledigen. Und je eher das getan ist, desto besser.« Ich schob den Vampkiller in die Halterung zurück. »Ich wünschte immer noch, ihr würdet nach Hause fahren, du und die Kinder.«

Sie zögerte einen Moment, vermutlich musste sie an Leo Pellissier und seine Vampschläger denken. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nicht bevor Big Evan aus Brasilien zurück ist und der Handwerker das zusätzliche Zimmer fertig hat. Ein Haus ohne Wände kann ich nicht ordentlich mit Bannen schützen.« Bevor ich protestieren konnte, fuhr sie fort: »Hier ist es weniger gefährlich für uns als oben in den Bergen ohne Big Evan. Und du weißt, dass wir in letzter Zeit Probleme hatten. Hexen sind dort nicht gerade beliebt. Ich fahre in zwei Wochen nach Hause, so wie wir es geplant hatten. Außerdem «, ihr Ton war ironisch geworden, und sie nahm einen Schluck Tee, » – brauchst du uns jetzt. Angie ist der Grund, warum Leo das Haus nicht einfach mit dir drin abgefackelt hat. Er kommt erst wieder, wenn er sicher sein kann, dass er nur dich und nicht noch einen Haufen Kinder umbringt. Und ab jetzt werden die Banne nicht mehr deaktiviert.«

Ich zuckte nur ganz leicht zusammen. Sie hatte recht. »Okay«, sagte ich. »Ich bin vorsichtig.« Ich schloss meine Finger um die Tasse. Das warme Steingut hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. »Bis morgen früh dann. Nacht, Molly.«

»Nacht, Tiger.«

Wieder im Erdgeschoss, zog ich, an meinem Tee nippend, meinen versilberten Kettenkragen über die Kette mit dem Goldnugget, die ich nie ablegte, steckte noch ein paar Kreuze ein, band meine neuen Stahlkappenboots zu, schloss die Schnallen und schlüpfte in eine dicke Jeansjacke, die ich in einem Laden für Farmerbedarf erstanden hatte, als Ersatz für die Lederjacke, die ich in meinem letzten Kampf mit einem Vampir verloren hatte. Ich hatte bereits eine neue bestellt, aber bis sie geliefert wurde, musste es eben Jeansstoff tun. Ich warf mir die schwere Flinte über den Rücken und zupfte mein Haar zurecht, bis ich sicher sein konnte, dass ich nicht so leicht daran zu packen war. Wenn ein Gegner mich erst einmal daran erwischt hatte, war der Kampf vorbei. Vergewaltiger und Vamps mochten Opfer mit langen Haaren. Sie waren einfach außer Gefecht zu setzen. Natürlich hätte ich es abschneiden können, aber bisher hatte ich mich nie mit kurzem Haar gewandelt und wusste nicht, ob es den Prozess stören würde.

Als ich schließlich in voller Jagdmontur das Haus verließ, spürte ich, wie die Banne kühl auf meiner Haut knisterten, wie die Wunderkerzen von Mollys Kindern. Ich setzte mir den Helm auf, startete Mischa meine Bastard-Harley, eine Mischung aus mehreren Bikes und öffnete das Seitentor. Ich hängte das neue Vorhängeschloss wieder ein das die Vamps offenbar wenig beeindruckt hatte und fuhr auf die Straße. Notiz an mich: Herausfinden, wie hoch Vamps springen können. Backsteinwand und Tor höher machen.

Ich lenkte Mischa durch die Straßen in nördliche Richtung. In den meisten Teilen der Stadt waren die Straßenlampen dunkel, die wenigen Ampeln schwangen träge in ihren Halterungen. In den Ecken flatterte der durchgeweichte Müll. Wasser gurgelte von den Dächern in die Rinnsteine und an einigen tiefer gelegenen Stellen über den Asphalt. Beim Durchqueren hielt ich ein Auge auf den Bordstein gerichtet, um nicht mit Mischa in tieferes Wasser zu geraten. Ich wollte nicht, dass sie absoff.

Obwohl fast alles geschlossen war Bars, Restaurants, Läden und Klubs , parkten überall entlang der Straßen und auf den vielen kleinen Privatparkplätzen, die es im Quarter gab, Autos. Laternen, Lampen und Kerzen erleuchteten die Fenster. Auf den Balkonen saßen Menschen im Licht von Lampen an Tischen, und der Geruch von Essen wehte zu mir herüber. Blecherne Musik kam aus den offen stehenden Fenstern, und aus batteriebetriebenen Geräten auf den Simsen strömte eine leise Dissonanz unterschiedlichen Musikgeschmacks. Livemusik Gitarre, Saxofon und Trommel kam durch eine offene Bartür. Drinnen wurden die Tische mit Kerzen erleuchtet, im Hintergrund grollte ein Generator. Kleine Läden, die vierundzwanzig Stunden am Tag, und zwar sieben Tage die Woche, von den Touristen lebten, öffneten trotz des Stromausfalls. Immer mehr Generatoren begannen zu brummen. In einigen Straßen, in denen es wieder Strom gab, sah ich hier und da Neonlichter, die Essen, Alkohol und Unterhaltung bewarben. Ich verließ das Quarter, kam an der Kirche vorbei, die ich an den meisten Sonntagen besuchte heute nicht, daran war Ada schuld , und kam schnell in weniger schicke Stadtteile.

Ich war schon einmal in der New-Orleans-Version eines Ghettos gewesen, als ich zwei junge Rogues erlegt hatte, die sich an wahllos überfallenen Opfern genährt hatten, um sie anschließend zu töten. Es gab zwei Arten von weiblichen und männlichen Rogues: die sehr, sehr jungen und die sehr, sehr alten. Aber beide Arten waren völlig durchgeknallt, hungrig und tödlich. Doch jene jungen Rogues unterschieden sich in anderer Hinsicht von den alten. Vamps verbringen die ersten zehn Jahre ihres Lebens angekettet in einem Keller bildlich gesprochen, denn in Louisiana gibt es wegen des hohen Wasserspiegels nur wenige Keller , weil sie so wild und gefährlich sind. Ein guter Meister kümmert sich um seine Geschöpfe, bis sie vollständig geheilt sind ihren Verstand und ihre Erinnerungen wiedererlangt haben , oder er pfählt sie, falls sie in diesem Zustand verharren.

In meinem Vertrag stand, dass ich einen Vampir oder eine Vampirin, der oder die gegen die Gesetze und die Tradition der Vampire verstieß, finden und ausschalten sollte. Für jeden jungen Rogue, den ich pfählte oder köpfte, bekam ich ein Kopfgeld. Der Vampirrat stellte, falls nötig, ein Reinigungsteam, damit es die Leichen beseitigte und die Tatorte schrubbte. Der Rat sah es nämlich ungern, wenn die Polizei sich in seine Angelegenheiten mischte, deshalb sollte ich diese nur verständigen, wenn es nicht zu vermeiden war.

Da ich die Abkömmlinge dieses Meisters erst kürzlich getötet hatte einen jungen männlichen Vampir und seine noch jüngere Gefährtin –, konnte ich ihre Fährte nutzen, um ihr zu folgen, doch das bedeutete, dass ich, während ich jagte, sicheres Geleit durch das Ghetto benötigte. Was wiederum bedeutete, dass ich mit ein paar Männern sprechen musste. Gefährlichen Männern.

Schon das letzte Mal, als ich hier durchgekommen war, war es recht düster gewesen. Damals war ich für die Gegend overdressed und für die Vampirjagd underdressed gewesen. Jetzt war es noch viel dunkler; nur das Glitzern der Laternen, Taschenlampen und der Kerzen erhellte die Nacht, als ich mein Kommen mit Mischas gutturalem Grollen ankündigte.

Doch immerhin roch es besser als das letzte Mal. Der Hurrikan hatte den Geruch von Urin, Müll, gekochtem Kohl, Ratten, Kakerlaken und frittiertem Essen weggewaschen. Den Geruch von Armut und Essensmarken-Küche. Ich kam an einem über und über mit Graffiti beschmierten Schild vorbei, auf dem vielleicht einmal Iberville Housing zu lesen gewesen war.

Obwohl ich niemanden sah, spürte ich die Blicke, als ich mit entschlossener Miene und bis an die Zähne bewaffnet die Straßen entlangfuhr, als könne mich nichts schrecken. Das hätte mir im Zweifelsfall zwar nicht das Leben gerettet, doch vielleicht hätten die hiesigen Bewohner kurz nachgesehen, welcher Idiot sich nachts und allein in ihr Revier wagte. Als ich ziemlich sicher war, den richtigen Wohntrakt gefunden zu haben oder wenigstens in seiner Nähe zu sein, fuhr ich langsamer, hielt an und stellte den Motor ab. Mit weichen Knien und leicht zitternden Händen legte ich den Helm ab, schnallte ihn am Bike fest und nahm einen Vampkiller und die Flinte. Sie war zwar für die Vampjagd geladen, aber die handgefertigten Silberflechets waren auch für einen Menschen tödlich.

Laut rief ich in die Dunkelheit: »Ich suche Derek Lee, Ex-Marine, wenn ein Marine je ein Ex sein kann. Hatte zwei Einsätze in Afghanistan, einen im Irak.«

Meine Stimme echote in der Nacht. Aus einem Haus hinter mir hörte ich das unverwechselbare Tsch-Klack eines Repetiergewehres, das geladen wurde.