6

Lieber würde ich erschossen, erstochen

oder aufgefressen werden

Ich schnappte mir den Laptop, stakste ins Badezimmer und schloss die Tür. Nachdem ich Kerzen angezündet hatte, um in dem dunklen Raum sehen zu können, ließ ich mich auf dem Toilettensitz nieder und dachte nach. Was hatte ich mir da bloß eingebrockt? Mist. Ich suchte im Internet nach Mondkalendern. Noch zwei Tage bis Vollmond. Eine Welle der Erleichterung überkam mich. Ich war sicher.

Paaren, verlangte Beast.

»Nein«, sagte ich. »Nicht mit Bruiser.«

Beast schickte einen Schub sexueller Energie durch mein Hirn, und auf einmal sah ich vor meinem geistigen Auge Rick vor mir, nackt, auf einem Bett ausgestreckt wie ein Dessert. Auf seiner Brust waren Narben von Krallen, blass auf seiner goldenen Haut, und seine Tattoos schimmerten beinahe ein Puma und ein Luchs auf einer Schulter und große, blutige Katzenkrallen auf der anderen. »Mit ihm auch nicht«, murmelte ich.

Dank unserer Erdgasversorgung konnte ich eine lange heiße Dusche nehmen, wusch mir die Haare und tat all die netten Dinge, die eine Frau vor einer Party so tat. Dann folgte eine lange kalte Dusche, während der ich mit Beast über mein Sexleben stritt. Die Auseinandersetzung endete unentschieden, und als ich das Badezimmer verließ, dessen Wände immer noch mit Dampf beschlagen waren, weil der Ventilator nicht funktionierte, sah ich schon präsentabler aus: Die Nägel gemacht, Beine und Achselhöhlen rasiert, die Haut mit gut riechender Creme eingerieben und die Augenbrauen gezupft. Schon beim nächsten Wandel wäre alles wieder dahin, deswegen machte ich mir nur selten die Mühe. Aber wenn, dann war es ein richtig gutes Gefühl. Während ich mich schön machte, wehte der Duft langsam gegarter Steaks unter der Tür herein, und mein Magen knurrte vor Hunger.

Ich flocht mein hüftlanges Haar und warf den nassen Zopf auf den Rücken. Nachdem ich in Jeans und T-Shirt geschlüpft war, wanderte ich durch das Haus. Ein Männerlachen ließ mich in der Eingangshalle innehalten. Bruiser? Nein. Rick LaFleur. Und Angelina.

Molly war oben, ich hörte, wie sie in Babysprache murmelte, und fragte mich, warum sie Rick mit Angelina allein gelassen hatte. Dann roch ich eine schmutzige Windel, und ich wusste, was passiert war.

Ich bewegte mich so leise, wie es typisch für meine Art ist, und blieb vor der offenen Küchentür stehen. Rick hielt den Kopf abgewandt, sodass er mich nicht sehen konnte, und ich nahm mir Zeit, ihn zu mustern. Seit seiner Verletzung war er nicht mehr hier gewesen. Er war zwar noch blass, sah aber gut aus, wie er jetzt so in der Küche saß, eine von Angelinas Puppen im Arm. Angelina stand gegen die Lehne seines Stuhls gelehnt.

»Und ich habe eine mit roten Haaren, Martha, und eine mit blonden, das ist Rachael, sie trägt ein langes Kleid wie eine Prinzessin, und dann noch zwei braunhaarige Puppen, Sally und Mary, aber Ka Nvsita ist meine Lieblingspuppe, weil Tante Jane sie mir geschenkt hat, und weil sie schwarzes Haar wie Tante Jane hat und Indianerin ist.«

»Außerdem sieht sie Tante Jane ein bisschen ähnlich«, sagte Rick.

»Hm-hm. Die echte Tante Jane ist Tscherki, und ihre Haut ist brauner, aber sie hat Narben und gelbe Augen, und Ka Nvsita nicht. Ich werde den Weihnachtsmann diesen Winter um noch eine Tscherki-Puppe bitten, aber eigentlich gibt es den Weihnachtsmann gar nicht. Wusstest du das?«, flüsterte sie, von der Puppe zu dem Cop sehend. »Das ist ein Geheimnis. Ich weiß viele Geheimnisse.«

»Welche zum Beispiel?«, fragte Rick, und er richtete den Blick hinunter auf das kleine Mädchen.

»Namen und so. Und wie man Haferbrei macht. Und wie man einen Ba «

»Typisch Cop, einem Kind persönliche Fragen zu stellen, es ohne die Anwesenheit der Eltern zu grillen und dabei ganz unschuldig zu klingen«, sagte ich.

Rick sah hoch. Obwohl er ertappt worden war, versuchte er nicht einmal, beschämt zu wirken. »Na, so was«, sagte er und klang ganz und gar nicht zerknirscht. Sein Blick wanderte langsam und gemächlich von meinen Füßen zu dem Goldnugget, der über meinem T-Shirt baumelte, und dann weiter zu meinem Gesicht. »Aber kein Grund neidisch zu sein. Ihre Geheimnisse würde ich auch gern hören. Alle.«

Ich war nicht ganz sicher, ob er flirtete; gut möglich, dass es nur Cop-Humor war, aber er sah mich so vielsagend an, dass es durchaus mehr sein konnte. Frischfleisch, dachte Beast. Ich lachte über ihre Bemerkung, und Rick dachte, ich würde über seine lachen. Angie lachte mit uns, ohne zu verstehen, warum, und tapste aus dem Zimmer.

»Warum sind Sie hier, Rick?« Ich verschränkte die Arme und lehnte mich gegen den Türrahmen.

»Bei mir zu Hause gibt es keinen Strom. Kein Fernsehen. Die Batterien in meinem iPod sind leer. Kein Licht. Keine Elektrizität für den Herd. Ich wusste, dass Sie mit Gas kochen. Deswegen habe ich ein frühes Abendessen mitgebracht.« Er lächelte langsam und zeigte blendend weiße Zähne. »Steak, das in meinem Kühlschrank schlecht wurde. Mit frischem Salat vom Markt und Blumen« er zeigte auf einen sonderbaren Strauß aus Gänseblümchen und Sonnenblumen in einer Milchkanne »und gebackene Kartoffeln, die ich von Mario’s geholt habe.« Er zeigte auf einen Thermobehälter neben dem Kühlschrank. »Molly hat die Steaks bereits gewürzt, in Folie gewickelt und in den Ofen getan, zu Ihrem Dörrfleisch.« Die letzten beiden Worte sprach er mit offensichtlichem Abscheu aus. Anscheinend mochte Rick Trockenfleisch nicht besonders.

»Wie heimelig«, sagte ich und unterdrückte ein Grinsen.

»Hübsche Zehen«, erwiderte er.

Ich sah hinunter und tippte die Zehen in einer fächernden Bewegung auf den Boden. Die Nägel waren mit einem blutroten Lack mit Goldschimmer lackiert. Meine Fingernägel waren klar lackiert und kurz gefeilt. Mein Magen knurrte. Es sah so aus, als hätten wir Gesellschaft beim Dinner.

»Ich dachte, wir könnten einen Tag ausmachen, um an unseren Bikes zu arbeiten«, sagte er. »Das letzte Mal, als ich Ihres gehört habe, klang es ein wenig unrund.«

»Sie fahren einen Reiskocher. Ich fahre eine Harley. Verschiedene Werkzeuge metrisch versus Zoll.«

»Manchmal kann es sehr viel Spaß machen, mit verschiedenen Werkzeugen zu arbeiten.«

Okay. Das war jetzt eindeutig zweideutig. Ich grinste ihn an und schüttelte den Kopf. Für eine Frau, die schon ein paar Jahre lang vom Markt war, bekam ich sehr viel Aufmerksamkeit. Zu schade, dass es entweder ein Cop, ein Blutdiener oder ein wütender Vamp war. Ich konnte von Glück sagen, wenn ich mit dem Leben davonkam. »Es passt mir besser am Ende der Woche. Heute Abend muss ich mich für eine Party aufbrezeln. Ich schätze, das Öl unter den Fingernägeln würde nicht zu meinem Kleid passen.«

»Eine Party?«

»Ja. Unten im Warehouse District, im Old Nunnery?« Ich machte eine Frage daraus, als ob ich nicht wüsste, wo der Warehouse District war oder was das für ein Etablissement war, aber weder das eine noch das andere klang, als müsste ich mich dafür schick anziehen. »Der Rousseau-Clan gibt sie.«

Ricks Brauen hoben sich eine Winzigkeit. »Ach ja?« Als ich nickte, sagte er: »Brauchen Sie einen Begleiter? Oder vielleicht Unterstützung?«

»Ich habe schon jemanden, der mich begleitet«, sagte ich. »Aber danke.«

»Na gut. Halten Sie meine Handynummer bereit. Rufen Sie mich an, falls Sie Hilfe brauchen. Ich würde Sie gern eingehender dazu befragen.«

»Ich würde ungern eingehender dazu befragt werden. Aber vielleicht kann man mich überzeugen, ein bisschen mehr zu verraten.«

Just in diesem Moment kam Angie zurück und kletterte sofort auf Ricks Schoß. »Onkel Rick, warum willst du Tante Jane befragen?«

»Angie-Baby.« Rick benutzte einen von Angies Kosenamen. Wann hatte er gehört, wie wir sie so genannt hatten? »Weil ich ein neugieriger Cop bin, der neugierige Fragen über Dinge stellt, von denen die meisten Menschen glauben, dass sie mich nichts angehen.«

Angie ließ die Hände sinken und sah mich an. »Deswegen hat Onkel Ricky mich auch nach dir gefragt?«

Ich sah Rick an, der wenigstens den Anstand hatte, mich schief anzugrinsen und leicht mit den Schultern zu zucken. Mit der schwarzen Haarlocke, die ihm in die Stirn fiel, erinnerte er vage an Elvis. Mein Herz schlug schneller. Der Mann sah besser aus, als mir guttat.

»Ja, Angie, das ist der Grund«, sagte ich. Ich reichte Angelina ihre Puppe, hob sie hoch und trug sie zur Treppe. »Lauf schnell nach oben. Hilf deiner Mama mit Little Evan. Ich muss mit Ricky-Bo reden.«

»Ja, Tante Jane.«

Angies Füße tapsten die Treppe hoch. Als sie außer Hörweite war, drehte ich mich zu Rick um. Mit sanfter Stimme sagte ich: »Wenn Sie noch einmal mit meinem Patenkind reden, ohne dass ihre Mutter oder ich anwesend sind, werden Sie was erleben.«

Belustigt lehnte Rick sich zurück und legte den Arm in einer ausladenden Geste über die Lehne des Stuhls neben ihm. »Drohen Sie etwa einem Cop?« Seine schwarzen Augen glitzerten, und unbewusst führte er die linke Hand an die Brust, zu den Narben, die dort waren.

Ich hörte auf zu lächeln, versteckte mich nicht hinter gespielter Freundlichkeit. »Ganz genau. Das letzte Mal, als Sie eine Lektion brauchten, habe ich Sie mit einer Bewegung zu Boden gestreckt. Angie ist tabu, und das wissen Sie. Das war mies.«

Er nickte langsam. »Ja. Das war mies. Ich habe eine Gelegenheit genutzt, die sich mir zufällig geboten hat, das hätte ich nicht tun dürfen. Es tut mir leid. Ich werde es nicht wieder tun.«

Mit einer Entschuldigung hatte ich nicht gerechnet. Der Mann stieg in meinem Ansehen. Männer, die sich entschuldigen konnten und die dabei die richtigen Worte fanden waren rar. Der Umgang mit Menschen ist nicht meine Stärke, und auf eine Entschuldigung war ich emotional nicht vorbereitet gewesen, jetzt wusste ich nicht, wie ich damit umgehen sollte. »Okay«, sagte ich und klang sehr viel weniger freundlich als er. Stimmen und das Geräusch von Schritten, die die Treppe herunterkamen, deuteten darauf hin, dass unsere Unterhaltung bald zu Ende sein würde, Gott sei Dank.

Rick warf einen Blick zur Tür. »Also, wer ist denn heute Abend Ihr Begleiter?«, fragte er schnell.

»George Dumas.«

Ricks Augen weiteten sich in dem Moment, als Molly und die Kinder ins Zimmer kamen und unsere Plauderei endgültig beendeten. Doch an seinem Blick sah ich, dass er noch einmal darauf zurückkommen würde. Bald. Rick hatte ein berufliches Interesse an George. Und ich sollte mich fragen, warum.

Der Rest des Tages verging schnell, und ich stellte fest, dass ich mich amüsierte, auch wenn ich wusste, dass Rick nur blieb, um zu sehen, was passierte, wenn mein »Date« erschien. In dem unklimatisierten Haus wurde es schwülwarm, obwohl Molly die Fenster weit geöffnet hatte. Der Geruch von langsam gegartem Rindfleisch wurde stärker und strömte in den dunstigen Tag. Wir spielten Kinderbrettspiele und Karten mit Angie, bis sie von der Hitze erschöpft einschlief, und dann spielten wir Schwarze Katze bis zum Abendessen, das aus Steaks und gebackenen Kartoffeln bestand.

Die Lampen gingen ein Dutzend Mal an und aus, als die Stadtwerke versuchten, die Stromversorgung wieder herzustellen, aber als der Abend kam, erloschen sie. Und blieben auch aus. Wieder einmal. Wir behalfen uns mit Kerzen und Öllampen, aber langsam wurden unsere Vorräte knapp. Wenn wir nicht bald wieder Elektrizität hatten, würde ich mich auf das Motorrad schwingen und auf die Suche nach Öl und Kerzen machen müssen, vorausgesetzt es gab noch irgendwo Nachschub. Fünf Minuten, nachdem die Sonne hinter einer Wolkenbank, die Ada zurückgelassen hatte, untergegangen war, klingelte mein Handy. Die Nummer im Display war die Bruisers.

Rick sah zu, wie ich mit dem Handy auf die seitliche Veranda ging. Er hatte angeregt mit Molly über Achtzigerjahre-Bands geplaudert, aber jetzt versuchte er, mit halbem Ohr zu hören, was ich sagte.

Leise fragte ich: »Was ist, Bruiser?«

»Yellowrock. In einer halben Stunde kommt eine Frau mit einem Abendkleid. Ich hole Sie um zehn Uhr ab. Seien Sie dann fertig. Und unbewaffnet.«

»Sie sind ein solcher Charmeur.«

»Sie dagegen sind eine fürchterliche Nervensäge«, sagte er gleichmütig. Ich vergaß oft, dass Bruiser kein Amerikaner war, bis dann wieder sein leichter Akzent zu hören war oder er ein Wort oder eine Formulierung verwendete, die durch und durch britisch waren, und ich mich wieder daran erinnerte. Es machte Klick, als er auflegte, und leise schmunzelnd ging ich zurück in die Küche.

Ich sah Rick an. »Jetzt kommt der Teil für die Mädchen. Vielleicht sollten Sie lieber einen Abgang machen.«

»Ich habe Schwestern, und wenn es um Abendkleider geht, brauchen sie immer die Meinung eines Mannes. Ihr Frauen neigt zum Chichi. Weniger Rüschen und Blumen und Spitze und so, mehr Bein und Dekolleté das Wesentliche eben. Ich bleibe.«

Letzteres sagte er in einem Ton, der vermuten ließ, dass ich ihn wohl nur aus dem Haus bekam, wenn ich sehr unhöflich würde oder mehr Muskeln zeigte, als ich eigentlich haben dürfte. Ich zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen. Aber Rüschen? Sehe ich aus, wie der Typ Frau, die Rüschen trägt?«

Rick grinste nur. Den Rest der Zeit verbrachte ich damit, die Küche aufzuräumen und das Geschirr abzuwaschen. Rick nahm sich ein Handtuch und stellte alles dorthin, wo es gewesen war, was mir entweder etwas über seine Qualität als Cop sagte oder aber neue Fragen aufwarf entweder hatte er eine außergewöhnlich gute Beobachtungsgabe, oder aber er war schon einmal in meiner Küche gewesen.

Die Frau, die mir mein Kleid bringen sollte, erschien zweiunddreißig Minuten nach Bruisers Anruf mit einem Lieferwagen, klopfte einmal und herrisch und betrat, als ich die Tür öffnete, mit langen Schritten das Haus, als wollte sie mein ganzes Leben in die Hand nehmen.

»Madame Melisende«, sagte sie, als wäre der Name außerordentlich wichtig, steckte mir eine Visitenkarte in die Hand und sah sich im Erdgeschoss des Hauses um. »Das wird gehen«, sagte sie im Wohnzimmer. »Sie. Bringen Sie Lampen.« Und marschierte zurück in die Nacht, den Duft von zahlreichen Vamps hinterlassend. Was mir zu denken gab.

Molly sah mich an, grinste verstohlen und ging, um noch einige Sturmlampen zu holen und zu entzünden. Rick warf sich das feuchte Geschirrhandtuch über die Schulter, setzte sich in einen Ohrensessel, lehnte sich zurück und schlug erwartungsvoll die Beine übereinander, als erwarte er, prächtig unterhalten zu werden. Beim Anblick seines fast verschmitzten Gesichtsausdrucks sträubten sich mir die Nackenhaare. Rick und Molly schienen zu wissen, was jetzt kam.

Als Madame Melisende zurückkehrte, hatte sie eine klein gewachsene menschliche Assistentin mit Klemmbrett, Brille und strähnigem Haar im Schlepptau. Mausartig, so konnte man die Assistentin mit einem Wort beschreiben. Madame Melisende dagegen wurde man mit einem einzigen Wort wohl kaum gerecht. Ich betrachtete die Karte, die sie mir gegeben hatte, und las, dass sie Madame Melisende, Modistin der Mithraner, sei. Sie war größtenteils menschlich, knapp über einsfünfzig groß und hatte weißes Haar und Augen wie Stahl. Sie sah aus wie siebzig, musste mindestens hundert sein, besaß die Energie einer Zwanzigjährigen und roch nach vielen verschiedenen Vamps, wie ein Blutjunkie. Was meine Neugierde weckte. Doch mir fiel nicht ein, wie ich sie fragen konnte, warum sie so roch. Menschen können Vamps nicht riechen oder zumindest nicht so, wie ich es konnte.

An den meisten Blutdienern haftet der Duft von nur einem Vamp, das ist das Resultat der inneren Verbindung, die sich mit der Zeit bildet. Ein Blutdiener und ein Vamp bleiben jahrzehntelang zusammen, wobei der Diener für eine sichere und ständig verfügbare Blutquelle und emotionale Stabilität sorgt und seine Dienste zur Verfügung stellt Dienste, die in einem menschlichen Haushalt eventuell von Liebhabern, Angestellten und bezahlten Dienstboten übernommen werden und auf die sich beide Partner in gegenseitigem Einvernehmen einigen, als Gegenleistung für die Übernahme ihrer Lebenshaltungskosten und winzige Schlückchen Vampblut. Das Blut sorgt dafür, dass die Diener jünger und gesünder bleiben, und garantiert ihnen ein langes und vitales Leben, vorausgesetzt, sie überleben Wutanfälle, Trauer oder andere mentale Aussetzer ihres Vamps.

Ein Blutsklave trifft ein ähnliches, aber weniger verbindliches Arrangement und wird eventuell innerhalb eines Clans herumgereicht, weswegen er nach mehreren Vampiren riecht, doch gewöhnlich nur nach einem Clan. Blutjunkies rangieren einige Stufen tiefer, denn sie bieten sich auf Partys für alles an, wonach einem Vamp der Sinn steht von einem schnellen Snack bis zu schnellem Sex. Sie sind die Blutsüchtigen der Vampwelt und in Städten, die reisende Vamps anlocken wollen, ein wachsender Markt, ähnlich wie Callgirls. Nur ein Blutjunkie riecht nach mehreren Vamps aus unterschiedlichen Clans. Madame Melisende roch wie ein Blutjunkie, aber ohne den Geruch von Sex. Das war seltsam, aber nichts, worum man sich Sorgen machen musste.

Die Frau schob mich in die Mitte des Raums und musterte mich von Kopf bis Fuß. Leise vor sich hin brummend ging sie um mich herum und rückte mich immer wieder neu zurecht Arme erst ausgestreckt, dann lose an der Seite, Füße zusammen, dann auseinander. Als sie endlich zufrieden war, nahm sie meine Maße an Taille, Brust, Oberkörper, über der Brust, Hüften, Po, Schultern, dann Armlänge und Schrittlänge, wobei sie sie der Assistentin zurief, die sie notierte.

Als sie fertig war, nahm Madame Melisende das Klemmbrett, studierte es einen Moment und sah mich dann an, als würde sie ein Urteil fällen. Schockiert sagte sie mit französischem Akzent: »Hmmpf. Sie sind eine Amazone. Wie soll ich nur in der angegebenen Zeit das Passende für Sie finden?«, wollte sie wissen.

Ich wurde rot vor Verlegenheit. Rick jubelte. Molly kicherte.

Obwohl ich in einem christlichen Kinderheim aufgewachsen bin und eigentlich besser erzogen war, starrte ich Melisende böse an, als ich sagte: »Schon gut, Lady. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Sie mir gar nicht leisten kann. Sie können also gern die Biege machen. Außerdem habe ich schon ein Kleid.«

»Zeigen Sie mir dieses Kleid, das Sie behaupten zu haben«, sagte sie mit einem säuerlichen Schnüffeln.

Sie folgte mir, als ich in mein Zimmer marschierte, und nahm mir das Kleid aus der Hand, noch bevor ich es richtig aus dem Schrank holen konnte. Ich ging hinter ihr her zurück ins Helle. Sie hielt es hoch und erstarrte. »Mon dieu. Das ist schauderhaft, noch schauderhafter, als ich sagen kann.« Und dann gab sie einen Schwall Französisch von sich und warf das Kleid quer durch den Raum.

Beast sprang in meine Augen. Molly guckte erschrocken, Ricks Belustigung schwand, und an ihre Stelle trat etwas sehr Ruhiges und Nachdenkliches. Meine Stimme senkte sich eine Oktave. »Das ist mein einziges Kleid.«

Ungerührt von dem, was die anderen vielleicht in meinen Augen sahen, reckte Madame Melisende sich zu ihrer vollen Größe von fast ein Meter fünfzig auf. »Gut! Du chiffon! Des déchetes!« Und sie spuckte ihrer Assistentin ein paar Worte zu, die nach draußen huschte.

»Das. Ist. Mein. Einziges. Kleid«, sagte ich noch einmal und hörte das Knurren in meiner Stimme.

»Nein. Ist es nicht.« Sie schnüffelte wieder. »Jetzt haben Sie drei anständige Kleider, und ich nehme diesen Lumpen mit und werfe ihn weg. Und wenn die Mithraner Sie heute Abend fragen, wer Sie eingekleidet hat wie eine Königin, werden Sie Ihnen antworten: Madame Melisende. Und dann werden die Ältesten und die Alten endlich wieder zu mir kommen, so wie es sein sollte.«

Der letzte Satz ließ mich aufhorchen. Die Assistentin kam zurück und stapelte Kleider auf der Couch, ging dann wieder hinaus, um mit noch mehr Kleidern zurückzukehren, während ich versuchte, ihre Bemerkung zu deuten. Diese Frau, die so gebieterisch und streng war, brauchte Hilfe? Sie hatte Kunden verloren? Ich wollte gerade nachfragen, als Madame Melisende den Blick hob, mir in die Augen sah und befahl: »Ausziehen.«

Rick brüllte vor Lachen. Molly kicherte.

»Raus«, sagte ich zu Rick. Immer noch lachend bedachte er die Schneiderin und mich mit einem amüsierten, erfreuten Blick und verließ mit laut knallenden Stiefeln den Raum. Ich zog die Fensterläden zu, verschloss die Tür und zog mich aus. Und wurde zur Schneiderpuppe. Die nächste halbe Stunde war reine Folter, als ich Kleid um Kleid anprobierte, mich im Schlafzimmerspiegel begutachtete und feststellte, dass es mir gefiel, nur damit die Drachenkönigin es dann heruntermachte. Irgendwann hörte ich auf, in den Spiegel zu gucken. Meine Meinung zählte ja ohnehin nicht. Schließlich wählte Madame Melisende drei Kleider aus, holte eine tragbare Nähmaschine und begann mit den Änderungsarbeiten.

Ich schlüpfte in eines der Kleider, ließ mich auf das Sofa fallen, streckte mich darauf aus und nahm eine Tasse Tee von einer lachenden Molly entgegen. Ich schloss die Augen. »Lieber würde ich erschossen, erstochen oder von einem Rogue aufgefressen werden«, flüsterte ich ihr zu, »als noch einmal eine Anprobe für eine Abendrobe durchzumachen.«

Molly gluckste nur, als sie sich neben mich in den Ohrensessel setzte, den Rick frei gemacht hatte. »Es tut dir gut, ab und an mal eine Frau zu sein«, sagte sie. »Außerdem brauchst du jetzt eine andere Frisur.«

Ich stöhnte. Molly lachte wieder, aber dieses Mal glaubte ich das Timbre eines Folterers darin zu hören. Minuten später saß ich auf einem Hocker, und Molly bürstete mein Haar und flocht winzige Goldperlen hinein. Dann nahm sie die Zöpfe zusammen und legte sie um meinen Kopf zu einer eleganten Frisur, in der sich das Licht fing. Anschließend begann sie mit dem Make-up.

Es war schlimmer, als ich gedacht hätte. Ich hasste es. Es war reine Folter, egal wie gut ich laut Molly angeblich aussah. Molly schminkte mir große Kleopatra-Augen, puderte meine Haut mit etwas, das wie Goldstaub glitzerte, und legte so viel Mascara auf, dass sie schwer auf meine Lider drückte. Und sie ließ nicht zu, dass ich ihr Werk begutachtete, sondern drehte mich immer wieder mit fester Hand vom Spiegel weg. Natürlich hätte ich mich wehren können, aber Molly ist meine Freundin, und sie amüsierte sich so gut, dass ich ihr nicht den Spaß verderben wollte.

Es war schon spät, als Madame Melisende und ihre namenlose Assistentin fertig mit Nähen, Säumen, Auslassen und Engermachen waren. Sie stopften mich in ein Kleid, trugen alle Lampen herein und führten mich mit geschlossenen Augen vor den großen Spiegel. Molly, Madame, die Maus, deren Namen ich nicht kannte, und eine schläfrige Angelina, die man zur Abschlussvorstellung geweckt hatte, versammelten sich um mich. In vollkommenem Schweigen. Und ich öffnete die Augen. Dann stand ich dort, in meinem einzigen guten Paar Tanzschuhen, nur mit dem Goldnugget als Schmuck, in einem Kleid, das sich an meinen Körper schmiegte wie nichts, das ich jemals schon erlebt hatte, und starrte mein Spiegelbild an.

Ich riss die Augen auf. Drehte mich um mich selbst. »Heiliger Bimbam«, flüsterte ich, mit Rücksicht auf Angie. Ich sah fantastisch aus. Stylish, elegant und weiblich.

Mit den Absätzen war ich noch einmal sieben Zentimeter größer. Das seidene Strickkleid war vom Spann bis zu den Hüften ein lockerer Schlauch und wurde in der Taille von Satin zusammengehalten wie von einem engen Kummerbund. Über diesem breiten Streifen war ein tiefer Ausschnitt, ein großes V, über das im Kreuzmuster Satinbänder verliefen. Auch der Nackenträger war ein ungefähr zweieinhalb Zentimeter breites Satinband. Oh, und der absolut heiße Schlitz über dem linken Bein war perfekt zum Tanzen. Ich machte einen kleinen Tanzschritt, wobei unschicklich viel Schenkel zu sehen war. »Nicht zu fassen« sagte ich und freute mich nun doch.

Beast drängte sich in meine Gedanken. Angezogen wie Beute. Sie schickte mir ein Bild von zwei Katzen, die sich in stillem, schwarzem Wasser in einer eindeutigen Positur spiegelten, über ihren Schultern hing der Vollmond, und das Männchen markierte das Weibchen mit seinem Duft, indem es seinen Kiefer über ihren Kopf und ihre Ohren rieb. Sofort fiel mir das Foto von Leo und Katie in ihrer offensichtlich amourösen Pose wieder ein. Beast schnurrte zufrieden.

Ich seufzte so leise, dass Madame Melisende es nicht hören konnte. Ein namenloses Gefühl überlief meine Haut und stellte die feinen Härchen auf. Ich strich über das Kleid an meinem Körper hinunter. Ich trug nicht meine eigene Unterwäsche. Die hatte Madame mir heruntergeschnitten und mit den Worten »Man ruiniert nicht die Linienführung einer Kreation avec des culottes. Törichtes Mädchen« in den Müll geworfen. Und dann hatte sie mir einen Unterrock aus dickem, festem Stoff gegeben, der aussah wie ein Folterwerkzeug. Leise fluchend hatte ich mich in den unbequemen, beinahe unsichtbaren Stoff gezwängt. Aber die Schneiderin hatte recht behalten. Der Unterrock war notwendig, denn der Anblick des Kleides wäre ruiniert gewesen, wenn sich der Slip darunter abgezeichnet hätte.

Wieder strich ich mit den Händen über meine Hüften und spürte das prickelnde Gefühl, wenn Beast sich herumrollt und sich in meinem Geist streckt. Sex. Es war das Gefühl von Sex.

Dieser Vollmond würde nicht leicht zu überstehen sein.

Es klopfte einmal an der Tür, und ich sah auf die Uhr. Die aufgrund des Unwetters nicht richtig ging. Molly spähte durch das Glas der Tür, kicherte boshaft, warf mir einen Blick zu und öffnete die Tür. Rick kam herein, seine Stiefel waren laut in dem stillen Zimmer. Er sah sich suchend um und fand mich. Und blieb wie angewurzelt stehen.

»Allmächtiger«, hauchte er.

Molly lachte entzückt, Madame Melisende gluckste stolz, und Angie klatschte in die Hände. »Tante Jane ist eine wunderhübsche Prinzessin«, sagte sie.

Ich roch seine Reaktion. Rick fand, dass ich heiß aussah. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich dadurch selbstsicher und gleichzeitig schüchtern, und meine Handflächen begannen zu schwitzen. Ich ließ mir nichts anmerken. »Nicht schlecht, was? Für eine Vampkillerin?« Ich sah Madame an und fügte hinzu: »Nichts gegen Ihre Kunden.«

Sie schnüffelte, warf einen Blick auf ihre Uhr und sagte: »Monsieur Pellissiers Diener wird in acht Minuten erscheinen.« Sie wedelte der Maus zu, die sofort von der Nähmaschine aufsprang und begann, die verworfenen Kleider einzusammeln und sie hinauszuschleppen. Madame hängte eigenhändig meine beiden anderen neuen Kleider in den leeren Kleiderschrank und wandte sich zum Gehen, musterte mich aber vorher noch einmal von Kopf bis Fuß, um mir dann eine Handvoll ihrer Visitenkarten zuzustecken. »Wenn es Nachfragen gibt. Nur mit Termin.« Sie schnüffelte ein letztes Mal und ging auf dieselbe Art durch die Tür hinaus, wie sie hereingekommen war, als würde ihr das Haus gehören. Die Maus huschte ihr hinterher.

Ich drehte mich hin und her und zeigte viel Bein und fast ebenso viel Dekolleté. Rick setzte sich. Um seine Reaktion zu überspielen, aber auch, um mir nicht im Weg zu stehen. Molly nahm Angie bei der Hand und schloss die Tür, als die Modenschau zu Ende ging. Der Lieferwagen röhrte davon in die sehr dunkle Nacht.

Bevor Rick Gelegenheit hatte, mehr zu mir und meinem Kleid zu sagen, erschienen neue Scheinwerfer vor dem Haus, und Motorengeräusch drang durch die offenen Fenster. Ich hatte ein Oberschenkelhalfter auf der Toilette gelassen, und während Molly zur Tür ging, schnallte ich, obgleich Bruiser es mir untersagt hatte, ein Messer hinten an meinen Oberschenkel und vergewisserte mich, dass man weder den Griff noch das Futteral sah. Dann schob ich vorsichtig ein dünnes kleines Messer in mein Haar und steckte mehrere hölzerne Pflöcke wie Haarnadeln in meine Zöpfe. Ein kleines Kreuz ließ ich in eine bleigefütterte Hülle gleiten, die ich tief in meinen V-Ausschnitt schob. Das Kleid war so eng, dass es nicht verrutschte, und durch das Blei würde das Kreuz auch nicht zufällig anfangen zu glühen.

Dass ich mich unbewaffnet in die Gesellschaft mehrerer Vampire begab, würde mir kein zweites Mal passieren. Eine letzte Drehung, um sicherzugehen, dass das Messerfutteral sich nicht unter dem Stoff abzeichnete, dann holte ich tief Luft und lauschte.